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4.
Die Fahrt auf dem Einspänner.

Das Haus des Weinbauern in der Stadt war in der Nachbarschaft desjenigen gelegen, welches dem Doktor Ulrich gehörte. Sabine, die früher viel mit Beaten persönlich zu thun gehabt hatte, kam seit einiger Zeit nicht mehr, oder doch nur höchst selten zu ihr, und auch nur dann, wenn Erich nicht zu Hause war, sei es, daß es sich zufällig so traf, sei es, daß sie Gründe dazu hatte, sie schickte jetzt die Mägde hin und her, während sie sonst ein parmal täglich in kleinen Geschäften zu Beaten gekommen war. Desto öfter machte sich dafür Erich, meist mit Johannes, das Vergnügen, den Weinbauer zu besuchen. Nicht immer aber schenkte ihnen Sabine ihre Gegenwart, sie schien ungemein in der Wirtschaft beschäftigt zu sein, und diese war in der That bedeutend genug, um Thätigkeit vollauf zu gewähren.

Der Weinbauer hatte ein großes Zutrauen zu Erich gewonnen, und als die Freunde eines Abends bei ihm waren, sagte er:

»Morgen bring ich ein Fäßchen Wein mit dem Wagen nach Hohenfichten zum Herrn Pfarrer, wollen die jungen Herrn mitfahren? Ich hab noch zwei Plätze in meinem Wägel, und der Herr Pfarrer ist ein Mann, der für Sie passen müßt', denk ich. Die Gegend da herum wird auch so was für Sie sein.«

Die Freunde nahmen die Einladung an. Der nächste Morgen war hell und klar, und schon um fünf Uhr trat Erich und Johannes in das Haus des Weinbauern. Der Schecke stand bereits angespannt vor den kleinen dreisitzigen Wagen vor der Thür, und ein Knecht war beschäftigt, das Fäßchen Wein auf den Einspänner zu schaffen.

Der Weinbauer trat den Freunden entgegen.

»Ja, da hab ich,« sagte er, »nun plötzlich so ein Geschäft über den Hals gekriegt, daß ich vor einer halben Stunde nicht weg kann. Frühstücken die Herrens derweil bei mir, lang soll's aber nicht dauern, so bin ich parat.«

Erich schlug vor, sie wollten Beide vorausgehn, schon aber trat Sabine, rosig und frisch wie der Morgen, zu ihnen und meldete, der Kaffee stehe bereit. Dieser Gesellschaft war nicht zu widerstehen, sie folgten dem Mädchen ins Haus, und die halbe Stunde war schnell vorüber.

»Das ist heut ein Wettersmorgen!« rief der Weinbauer, indem er zu ihnen ins Zimmer trat. »Die Geschicht' wird länger, als ich gemeint hab', die Herrens müssen's nicht verübeln, ich kann nicht mitfahren.«

»So lassen wir die Fahrt bis auf ein ander Mal,« entgegnete Erich.

Der Weinbauer aber schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, ich hab' nun mal bestimmt, daß das Fäßchen heut in Hohenfichten abgeliefert wird, und so bleibt's. Der Schecke würde sich auch wundern, wenn er wieder abgeschirrt würde. Sabine, du fährst an meiner Stelle mit den Herrns.«

Sabine erröthete und wollte Einwendungen machen. »Red' nicht unnütz,« fuhr der Alte fort, »du fährst. Ich kann Ihnen,« so wandte er sich an Erich, »schon trauen, Sie bringen mir das Mädel wieder ganz mit. Und nun mach', Sabine, eh' es warm wird.«

»Ja so flink geht das aber nicht,« entgegnete diese mit Entschiedenheit, »da muß ich erst noch viel besorgen, wenn ich den ganzen Tag nicht zu Haus sein soll.«

»Nun so besorg's und laß die Herrn nicht lange warten, mach', mach', es geht auf sechs Uhr.«

Sabine schien noch nicht recht zu glauben, daß es dem Alten Ernst sei, ein Blick aber genügte, um ihr volle Gewißheit zu geben. Sie eilte davon. Im Nu hörte man ein Rennen von Mägden im Hause, in der Küche waren eine Menge Zungen geschäftig, Schlüssel und Geschirre flirrten dazwischen. Unterdessen musterte der Weinbauer draußen den Einspänner, probirte, ob das Fäßchen gut liege, zog und ordnete am Geschirr des Schecken.

»Ja, wär' der Mathes noch bei mir,« sagte er, »da könnt' der mit Ihnen fahren, so muß aber die Sabine mit.«

»Wo ist denn der Mathes geblieben?« fragte Erich.

»Weg ist er, wo? Ja das frag' ich auch. Ich wart's ab, ich denk' er kommt schon wieder, aber spüren thu ich's doch, daß er nicht da ist – Andres, hast kein' Verstand, daß die alte Leine nimmst? Ich hab' gesagt, daß das andre Geschirr sollst nehmen! Wart du – das reißt der Scheck in der ersten Stund'. Gleich spannst um! Der Mathes hätt' da gleich ein Einsehn gehabt.« –

Indessen der Knecht die Anordnung des Weinbauern vollzog, war Sabine fertig geworden und stand reisefertig in der Thür.

»Nu, das ist schnell genug gegangen,« rief ihr der Weinbauer zu. »Ja aber, wer von den Herrns wird fahren?«

»Ich lenke das Roß!« rief Johannes. –

»Nein, ich,« rief Erich, indem er mit einem Sprunge auf dem Bock saß. Er hatte schnell überlegt, daß auf diese Weise Johannes und Sabine neben einander zu sitzen kämen. Jetzt saßen sie im Einspänner, und beim ersten Schritt, den sie hinein thaten, schien der Geist der Lustigkeit über sie zu kommen. In der Hausthür drängten sich die Mägde neugierig und lachend zusammen, und eine Menge Nachbarn sahen aus den Fenstern zu, wie das jugendliche Trifolium sich zum Ausfluge ordnete. Sabine wiederholte noch einige Aufträge von ihrem Sitze herunter, Johannes und Erich fingen bereits, jeder ein andres Lied, an zu singen, die kleinstädtischen Nachbarshunde huben an zu bellen, und der Weinbauer rief: »Nun macht, daß ihr fortkommt, jungs Volk!«

Erich trieb den Schecken an, die Umstehenden lachten ihm nach, und dahin rollte der Einspänner durch die Straßen des Städtchens, hinaus in die morgenhelle sonnige Landschaft.

Die Hügel hinauf, in die Thäler hinab, durch Laubwald und Tannen, durch Wiesenthau und Sonnenschein, auf den Flügeln jugendlichen Frohsinns, ging die Fahrt dahin.

Sabine war äußerst lebendig und gesprächig, sie fühlte sich durch die beiden eben so frischen und offnen Jünglingsgesichter so gar nicht beengt, daß sie die ganze Heiterkeit und Liebenswürdigkeit ihres Wesens fröhlich spielen ließ. Sie beschrieb den Freunden den Pfarrer und die Pfarrerin zu Hohenfichten, von denen sie viel Gutes zu sagen wußte; sie benannte jedes Dorf, das der Einspänner durchflog, oder das von der Höhe aus im Thal aus Obstbäumen, Wiesen und waldigen Hügeln sichtbar wurde; erzählte, was sich da und dort zugetragen, und lachte über die lustigen Einfälle ihrer beiden Gefährten.

Dann kam das Gespräch auf Heimbach und das gräflich Weilburgsche Haus.

»Ach,« sagte sie, »das gnädige Fräulein ist so schön, daß man gar nichts Andres mehr sehen möchte, wenn man sie eben betrachtet hat, und ich denke, Schönheit ist eine rechte glückselige Gottesgabe. Aber dennoch, wenn ich ihr so in die Augen sehe, so ist mir's, als wär' sie doch nicht recht glücklich. Und wenn es sie einmal überkommt mit andern Gedanken, als man sie gern hat, was soll das Fräulein da wol machen, um sie los zu werden? Sie malt, sie singt, sie liest, ich denke, dabei könnt' ich nicht froh werden. Ich muß recht mit den Händen schaffen können, eine rechte Arbeit vornehmen, da wird mir gleich wohl. Und so dumm bin ich auch nicht, daß ich nicht auch bei dem Kleinsten etwas zu denken wüßte, man kann sich bei Allem was denken. Und dann mal ein Lied gesungen, das so recht herzig alle bösen Gedanken vertreibt, es muß aber ein Lied sein, bei dem man lachen kann und weinen zugleich, daß es nur drauf ankommt, wie man's singt und wann. Wenn's auch der Leierkasten tausendmal heruntergedudelt hat, es kann Einem doch dabei wieder gut zu Mute werden. Ich weiß eine alte Frau, sie wohnt beim Lammwirt in Heimbach, die kann die schönsten Lieder in der ganzen Gegend, ach und sie ist so gut und lieb, ich möcht' ihr immer die Hände küssen.«

Johannes Augen leuchteten, er kannte die Alte recht wohl, es waren seine Lieder, die sie zu singen pflegte. Johannes beschäftigte sich gern und viel mit der Alten, die wir später noch werden kennen lernen. Er sang ihr Lieder, die er gedichtet und zu denen bei ihm eine Melodie mit den Worten zugleich entstanden war, vor, und sie faßte sie schnell und leicht auf, sie war als greise Sängerin im ganzen Dorfe bekannt. Und diese Lieder hatten Sabinens Beifall gefunden! Er war mehr als zufrieden.

Jetzt trabte der Schecke durch einen herrlichen Eichenwald. Der Weg schlängelte sich durch eine Felsenwindung, rechts und links neigten sich die glänzend grünen Zweige herab und streiften den Reisenden um's Haupt. –

»Was ist doch so ein Wald für eine prächtige Wohnung für die Thierlein!« sagte Sabine; »wenn ich so unter den Bäumen weg gehe, ist mir's, als könnt' ich Alles verstehen, was sich so die Vögel erzälen, und ich kann mir nicht denken, daß ein Mensch, der immer im Walde lebt, andre als gute Gedanken haben kann. Da ist's so still und ruhig, und wenn der Wind durch die Blätter geht, ist mir's, als kam' ich Sonntags aus der Kirche und hörte noch, wie drinnen die Orgel ein Weilchen weiter spielt. Da kann ich gar nicht anders, als alle Menschen so recht lieb haben.«

Ein augenblickliches Schweigen trat ein, Jeder der beiden Gefährten verstand den ächten reinen Naturton, der aus Sabinens Sele klang. Erich wandte sich um nach dem Pärchen im Wagen, er traf zuerst auf Sabinens Augen und glaubte ein schnelles Rot sich über ihre Wangen verbreiten zu sehen. Schnell wandte er den Kopf wieder um, er glaubte einen Gedanken belauscht zu haben, der sich leise aus Sabinens Sele in die des Freundes hinüberrankte. –

Rasch trieb er den Schecken an, der sich nicht recht in die ungewonte Leitung finden zu können schien und die Ohren spitzte, wenn es plötzlich schneller ging, bald mit dem Kopfe schüttelte, wenn er langsamer laufen sollte, als wäre dieser Tag unerhört in seiner Lebenskarriere. –

Nach einer Pause nahm Sabine wieder das Wort:

»Drei Stunden sind's von der Stadt nach Hohenfichten, und wenn wir dort auf die Höhe kommen, haben wir grade den halben Weg. Da, mein' ich, machen wir ein Weilchen Halt und steigen aus, derweil ich dem Schecken ein Bündel Heu gebe. Es ist zwar im nächsten Dorf ein Wirtshaus, wir brauchen aber keins. Es ist mir nicht etwa drum zu thun, daß die Leute mir etwas nachreden könnten, weit ich mit zwei jungen Herren allein fahre, bewahre Gott, dafür fürchte ich mich nicht, die Leute kennen mich auch schon – aber ich denke man braucht kein Geld auszugeben, wenn's nicht Not thut.«

Die Freunde waren mit Sabinens Anordnung zufrieden, und bald war der Einspänner auf der Höhe angelangt und seitwärts in den Schatten der Bäume gelenkt. Man stieg aus. –

»Jetzt mögen die Herren auf einen Augenblick da über den Weg ins Gesträuch gehen und sich bei Strafe nicht umsehn,« sagte Sabine; »erst wenn ich in die Hände klatsche, dürfen Sie zurückkommen!«

Die Freunde ahnten, daß Sabine eine Ueberraschung vorhabe, fügten sich ihrem Befehl und hatten inzwischen Zeit, das herrliche Thal zu betrachten, das sich lachend zu ihren Füßen ausbreitete.

Noch einmal schaute Sabine ihnen nach, ob sich auch Keiner umsehe, dann holte sie behutsam ein Körbchen aus dem Wagen und schritt damit zu einer riesigen alten Eiche, die am Wege stand und mit ihren mächtigen Wurzelästen das Erdreich zu einem kleinen Hügelchen um sich her gebildet hatte. Hier auf das schwellende Moos, wo der Thymian blühte und duftete, und die Bienen beim Einsammeln rauschende Unterhaltung pflogen, breitete sie ein weißes Tüchlein und packte aus dem Körbchen Weißbrod und Früchte und sonstiges Zubehör eines kleinen bescheidenen Morgenmahles, wozu noch eine Flasche Wein kam. Schnell pflückte sie dann einige Blumen, besteckte damit das Brod und, streute sie über das weiße Tuch, und in den Hals der Flasche setzte sie einen Eichenzweig. Dann, nachdem Alles geschmückt war, klatschte sie in die Hände und stellte sich vor die umblühte Tafel, damit dieselbe nicht sogleich bemerkt werde.

Erich und Johannes kamen. Letzterer überreichte Sabinen einen vollblühenden Strauß dunkelblauer Gentianen, während Erich drei verspätete Walderdbeeren brachte. –

»Ach die herzigen Dingerchen,« rief Sabine, »so spät kommen sie noch zum Vorschein! Und so schön und rot! Das kommt mir vor, als ob die Erde recht ein Par Tropfen von ihrem Herzblut hergegeben hätte, um im Herbst noch einmal das zu bringen, was sie im Frühjahr vollauf hatte. Gut, die drei Beerlein sind zum Nachtisch, jetzt aber lad ich die Herren ein, meine Gäste zu sein, sehen Sie nur, wie die Bienen schon vorweg naschen, recht wie die schlechtgezognen Kinder!«

Alle Drei lagerten sich auf das schwellende Moos unter dem Schatten der breitästigen Eiche, und zu ihren Füßen tief unten glänzte das Land in seiner Pracht, Satenstreifen, Wiesen, Gärten und Dörfer im Glanze der Sonne. Die Freunde lobten Sabinens Morgenmahl, indem sie ihm wacker zusprachen. –

»Ich hab's mit Willen so klein eingerichtet,« sagte sie, »daß nachher zu Mittag die Frau Pfarrerin nicht schilt.« –

Darauf pflückte sie Blumen, die rings um sie her in Fülle standen, und flocht einen Kranz, unter welchen sie die von Johannes erhaltenen Gentianen mischte, und für jeden ihrer Begleiter einen Strauß. –

»Jetzt singen Sie ein hübsches Lied,« sagte sie, an dem Kranze flechtend.

Die Freunde zögerten nicht, Johannes sang und Erich begleitete die Melodie mit seiner tieferen Stimme:

Wer ein Herz treueigen hält,
Dem er still vertrauet,
Hat auf dieser schönen Welt
Schönstes Glück erschauet.
Bleib er nah' und bleib er weit,
Weiß er doppelt seine Freud',
Weiß er, daß auch seinem Leid
Still ein Auge thauet.

Brauchen doch die Menschen nicht
Gleich dein Glück zu kennen,
Die mit höhnischem Gesicht
Spottend gern entbrennen.
Draußen oft verhallt ein Wort,
Eigne Brust ist einz'ger Ort,
Wo du deiner Sele Hort
Darfst bei Namen nennen.

Das ist wie der Sonnenschein,
Der die blühenden Triebe
Lächelnd weckt zum goldnem Sein,
Und die schöne Liebe.
Spielend küßt er Alles wach,
Lockt und treibet allgemach,
Gleich als ob es vor und nach
All sein Eigen bliebe.

Lieb' und Knospen treibt die Zeit,
Daß sie sich entblatten.
Ist das Blühn auch eingeweiht,
Giebt das Licht doch Schatten.
Der da hütend still gewacht,
Weil es blüht' in Duft und Pracht,
Wird auch seiner kaum gedacht,
Nie wird er ermatten.

Schau in's Aug', das dir erfreut
Grüßend so begegnet,
Draus auf all dein Glück und Leid
Thau der Liebe regnet.
Freundeslieb' ist heil'ges Gut,
Das dich stärkt mit Kraft und Mut!
Wenn dir das im Busen ruht,
Bist du gottgesegnet.

Sabine hatte ihren Kranz vollendet, Erich nahm ihn und setzte ihn ihr auf. Es war ein schönes, malerisches Bild, die drei jugendlichen Gestalten hier im Grünen unter den Zweigen des Eichbaums gelagert zu sehen. In des bekränzten Mädchens Zügen der reinste Jugendglanz und alle Anmut ungefälschter Natur; in Johannes Antlitz die weiche Jugendlichkeit, die fast noch an das Knabenalter erinnert, aber in den Blicken alle Glut aufblühender Leidenschaft, und Erich als der Dritte, in dessen frischer männlicher Schönheit des Lebens vollste Kraft sich spiegelte. Der Himmel blau, der Wald blühend und ahnungsvoll dämmernd, und in der Tiefe aller Reiz und Zauber auf die lachende Fernsicht des Thales ausgegossen.

Das sind goldne, lichterfüllte Augenblicke, wo jugendliche Menschenherzen in reinster Hingebung einander erkennen, und in einander die frischen lebendigen Quellen der Natur sprudeln und wirken sehen. Da einen sich die Quellen der Empfindungen zu einem gemeinsamen Strome, lustige Kähne tanzen darauf hin, bewimpelt mit bunten Hoffnungsflaggen, angefüllt mit jubelnden, bekränzten Jugendträumen und Gedanken. Am Steuer sitzt die Liebe im roten Rosenkranze. Unter ihre weißen Rosen flicht die Sehnsucht glühende Purpurblüthen und schwingt jauchzend die Fahne des Lebens dem entzückenden Ufer der Idealwelt entgegen. Nicht leere Träumerei ist es, was in solchen Augenblicken das Herz erfüllt, es ist das vollkräftige Sprudeln und Streben der Natur, das sich in tausend verständlichen Triebfedern zu erkennen giebt, und wie ein Wonneruf der allliebenden Mutter an die Herzen dringt: Ich gab euch die schöne Welt, ihr gabt sie mir schöner wieder! –

»Jetzt mußt Du etwas zum Besten geben, Erich,« sagte Johannes; »ich habe ein Lied gesungen, nun erzähle Du eine Geschichte, oder ein – Märchen.«

»Ach ja,« bat Sabine, »erzählen Sie Etwas!«

»Ich soll ein Märchen erzählen?« erwiederte Erich; »da werde ich Mühe haben! Aber damit Ihr seht, daß wenigstens mein guter Wille bereit ist, so will ich den Versuch machen. Freilich wird meine Erzählung nicht von eigner Erfindung sein, ich will ein kurzes Märchen wieder erzählen, das ich einst gehört habe. Um Nachsicht muß ich Euch aber bitten, wenn –«

»Nur keine Vorrede!« fiel Johannes ein.

»Eben daraus, daß ich eine Vorrede machen muß, seht Ihr schon, wie wenig selbstständig ich mich auf diesem Felde fühle. Mir ist es rein unmöglich ein Gedicht zu machen, und selbst, wenn ich den Gedanken dazu hätte, würde ich doch nie eine Kunstform für ihn finden können, die Mühe, die ich damit hätte, würde mir den Gedanken selbst verleiten, kurz, ich bin für Dergleichen untauglich. Ebenso geht es mir mit einer Erzählung. Würde ich in einer Gesellschaft aufgefordert, Etwas zu erzählen, ich würde in die größte Verwirrung geraten, alles Produziren ist mir nicht nur unmöglich, sondern sogar verhaßt, wenn es nicht der Ausdruck des unbedingten Genius ist. Ich kann, wenn mir eine Empfindung durchaus in Tönen aus der Sele will, nur ein tolles Durcheinander von Formlosigkeit und kunstlosem Gedudel hervorbringen, Du bist darin bevorzugter, Du kannst dichten und singen –«

»Stille, stille! Dein Märchen! Dein Märchen!« drängte Johannes.

»Seht Ihr wol, Ihr kriegt's schon vorher satt! Nun gut denn, hört zu, ich will Euch ein Märchen erzählen, es ist ganz kurz. Wißt Ihr, wer Fichtenhütel ist?«

» Fichtenhütel? Nein.«

»Fichtenhütel ist ein Waldgeist, und zwar ein recht gutes Geistlein. Es trägt immer ein grünes Wamms und eine kleine Büchse über die Schulter, dazu ein Hütchen auf dem Kopfe mit einem Fichtenzweig, darum heißt es Fichtenhütel. Es sind ihrer Viele, die den Fichtenhütel gesehen haben wollen, aber nur Wenige haben ihn wirklich gesehn. Er wohnt in den tiefsten Waldschluchten, wo die Bäume so recht dicht und alt beisammen stehn, wo das Moos und Farrenkraut recht frisch in dem herrlichen Waldgeruche aufwachsen. Da wohnt er recht eigentlich, aber er geht auch sonst im Walde umher, hat jedoch keine Jagdhunde, weil er die nicht braucht. Er thut dem Wilde nichts, seine Diener sind die Eichhörnchen, die holen ihm, was er etwa braucht. Auch laufen die Thiere vor diesem Jäger nicht davon, im Gegentheil, er kommt oft zu den Rehfamilien auf Besuch, die Rehbockväter unterhalten sich vielfach mit ihm über Erziehung ihrer Kinder, und ziehen ihn zu Rate bei der Verheiratung ihrer Töchter, der angenehmen jungen Rieken. Ebenso wenden sich die jungen schmucken Rehböcke in Herzensangelegenheiten vielfach an ihn, denn wie er es bestimmt, so ist es immer gut und vortrefflich. –

Da wohnte nun am Waldessaume ein armer Holzschläger, dem ging es recht traurig, er hatte oft Nichts, wovon er sich satt essen konnte. Seine Frau war ihm längst gestorben, er hatte nur eine Tochter – aber nein, seine Tochter war es gar nicht, sondern ein Findelkind, das er einst im Walde gefunden hatte. Er wollte das Kind erst gar nicht zu sich nehmen, aber die Leute sagten, Fichtenhütel habe ihm das Kind hingelegt, er solle es nur erziehen, er werde dadurch ein reicher Mann werden.

Denn das habe ich noch vergessen zu sagen – weil ich sehr schlecht erzähle – daß Fichtenhütel in dem Rufe stand, er könne die Leute reich machen. Da nahm der Holzschläger das Mägdlein zu sich und nannte es Waldrose, und wartete nun von Jahr zu Jahr, daß der Reichthum kommen solle. Aber dabei merkte er gar nicht, daß er schon längst recht reich geworden war. Geld hatte er freilich noch nicht mehr als früher im Hause, im Gegentheil, oft ging's recht knapp her, aber wenn er das schöne blühende Mädchen ansah, wie es schaffte und thätig war, so lachte ihm das Herz, ihm war's als wär's sein Kind, ja noch mehr, als war's sein guter Engel. Er war daher schon längst reich, er wußte es nur nicht recht.

Waldrose war natürlich sehr schön, denn sonst könnte sie in einem Märchen gar nicht vorkommen, aber sie war nicht nur schön, sie war auch anmutig und unschuldig, und das ist die Hauptsache, denn eine Schönheit, die diese beiden Eigenschaften nicht hat, das ist gar keine Schönheit.

Der Holzschlager erzählte der Waldrose oft, daß sie Beide einst sehr reich werden würden, dann müßte sie durchaus einen Prinzen heiraten, er werde ihr schon einen aussuchen, der sein gutes Auskommen habe. Habe er aber das auch nicht einmal, und wäre er nur sonst ein recht braver junger Prinz, so werde ihr eigner Reichthum schon hinreichen, ein Prinz aber müsse sein Eidam durchaus sein, er verheirate seine Tochter nicht unter ihrem Stande. Im Uebrigen solle sie den Fichtenhütel nur recht oft anrufen und ihn bitten, mit dem Reichtum nun bald einmal Ernst zu machen, es daure denn doch ein wenig lange. –

Aber eh' der arme Holzschläger es sich versah, starb er eines Tages, ohne daß der Reichtum oder der Prinz Eidam in's Haus gekommen war. Nun war Waldrose recht traurig, da saß sie allein im armen Häuschen, oder sie pflückte Beeren und trug sie zum Verkauf. Täglich rief sie nach Fichtenhütel, aber der kam immer nicht.

Eines Tags saß sie auch recht betrübt im Walde unter einer Fichte, sie hatte einen Topf voll Beeren gesammelt, der stand jetzt neben ihr.

Da rief sie:

Fichtenhütel, Fichtenhütel! komm' und mach' mich reich! –

Und wie sie aufsah, richtig da kam Fichtenhütel um die Bäume geschritten, sie erkannte ihn gleich an dem grünen Fichtenzweige. Aber wie sie nun so recht hinsah – da war er es ja gar nicht, sondern – du meine Zeit! – das war ja des Försters Jakob, der sie schon oft so lange angesehn hatte, daß sie gar nicht wußte, was er wollte. Der trat jetzt zu ihr und faßte sie bei der Hand, da schlug ihr das Herz – so sehr – sie konnte ihm auch gar nicht gram werden als er sie küßte und zu ihr sprach: Waldrose, ich bin dir von Herzen gut, du mußt mir auch gut sein! –

Da saßen sie nun bis auf den Abend, dann gingen sie nach Hause und Waldrose hatte Alles um sich her so vergessen, daß sie den Topf mit Beeren stehn ließ. Aber auch Abends konnten sie sich noch nicht trennen, sie setzten sich vor die Thür des Häuschens und saßen bis in die Nacht hinein.

Als nun der Jakob ihr den Gutenachtkuß gab, da sagte Waldrose:

Jakob, mir ist, als brauchten wir nun den Fichtenhütel gar nicht mehr, und wenn er da plötzlich ankäme, würd' ich zu ihm sagen: Bester Herr Fichtenhütel, nehmt's nicht für ungut, aber ich bedarf eures Reichthums nicht, und sagt's doch auch dem edlen Herrn Prinzen, er möcht's nicht übel nehmen, aber ich könnt' nicht seine Braut werden, der Jakob ist eben früher gekommen, und – ich kann nun keinem von all den edlen Herrn Prinzen mehr dienen!

Da küßten sie sich noch einmal, und dann noch einmal, ja wer da zählen wollte! Die Beiden waren so reich, so reich, daß sie sich gar nichts mehr wünschten! –

Im Hintergrunde aber, wo der Wald recht blaugrün dämmerte, ging Fichtenhütel vorbei und nickte zufrieden und sagte: Ich werd's bestellen!

Und nun ist mein Märchen aus. Es war recht albern, nicht wahr?« –

Sabine blickte Erich in die Augen, schüttelte leise den Kopf und sah dann schweigend hinunter in das Thal. Johannes lehnte sich an den Stamm der Eiche zurück und fing leise an ein Lied zu summen, dann ließ er die Töne voller anschwellen, daß es endlich hell und laut erklang:

Willkommen, mein Wald,
Grünschattiges Haus!
Durch die Wipfel schon hallt
Mir dein grüßend Gebraus,
Wie trink ich in Zügen
Mich frisch und gesund.
Hier athm' ich Genügen
Aus Herzensgrund!

Zum grasigen Hang,
Aufsteigend vom Thal
Dringt der Glocken Klang
Und des Abends Strahl.
Und es rauscht durch der Eiche
Hochstrebenden Baum
Im grünen Bereiche
Ein Liedestraum.

Den Blumen gesellt
Auf schwellendem Moos,
Tief schau ich die Welt,
Und den Himmel, wie groß!
Und ich träum' in dem Schweigen
Waldschattiger Ruh,
Den Himmel mein eigen,
Die Erde dazu!

Alle Drei waren einen Augenblick still, sie fühlten, daß aus den Pforten der Seligkeit ein Strahl der Liebe zuckte und durch ihre Herzen ging, ein Gefühl, das sie jauchzen machte im tiefsten Innern und leise erbeben zugleich. Sabine nahm zuerst das Wort:

»Mir ist, als könnte der ganze Wald sprechen, und als wollt' er mich fragen über so viel, was ich ihm gar nicht Alles sagen kann!«

»Ja,« rief Johannes, »du fühlst rein und ahnungsvoll, wie das Herz fühlen muß, das makellos geblieben ist, wie die Natur es gebildet! Bleibe dir treu, und bleiben wir Drei uns treu! Hier die drei Beerlein laßt uns theilen, sie seien uns ein Symbol der ewig treibenden, ewig geschäftigen, liebenden Natur! So wie wir das würzige Arom ihrer purpurnen Kindlein kosten, so wollen wir die ganze herrliche Kraft ihres Lebens in uns aufnehmen und wirken lassen. Reichen wir uns die Hände, seien wir fortan ein Herz, das gleichmäßig schlägt und glüht, wenn auch in drei Gestalten, und knüpfen wir an diese Stunde eine Welt von Hoffnungen, eine Zukunft voller Liebe und Wonne!«

Sabine erbebte, als Johannes ihre Hand ergriff, sie an seine Lippen preßte und ihr in die Augen sah. Es war ihr, als ergriffe sie ein Schwindel, als sähe sie in die Glut einer Sonne, vor der sie sich bange verbergen müßte, um nicht von ihren Strahlen versengt zu werden. Erich aber, als er ihre andre Hand erfaßte, fühlte ein leises Zucken darin, schnell entzog sie ihm dieselbe, während Johannes ihre Linke noch festhielt.

Dann aber sprang Sabine schnell auf, es war als wollte sie absichtlich eine Situation abkürzen, die sie bedrückte, und, nach dem Wagen sehend, rief sie:

»Ach du armer Schecke! Da sitzen wir und tafeln und vergessen dir dein Theil zu geben!«

Rasch ging sie hin und legte dem Schecken ein Bündel Heu vor, das sie mitgenommen hatte.

»Ja da müssen wir nun noch eine Weile warten, bis der auch abgespeist hat,« fuhr sie fort, »wir kommen noch bei Zeiten nach Hohenfichten.«

Noch einmal machte sie sich am Wagen etwas zu schaffen, und indem Johannes der anmutigen Gestalt des Mädchens nachsah, war es ihm, als müßte er in der überschwellenden Wonne seines Herzens etwas erfassen und an sich drücken. Er umarmte Erich mit stürmischer Glut, sprang auf und sang:

Da schmälen sie das Leben aus,
Da schmäh'n sie auf die Welt,
Das ist ein Jammer und ein Graus,
Wenn Zwei sich so gesellt:
Das Herz ist todt, das Herz ist todt,
Das Leben ist voll Gram und Not!
        Ich aber find' das Leben schön,
        So recht von Herzen schön!

Es fällt wol in die Rosenpracht
Ein Schauer schwer und kalt.
Doch ob es wettert über Nacht,
So kommt der Morgen bald.
Dann glänzt in Tropfen ohne Zahl
Des Segens lichter Freudenstrahl,
        Die Welt, sie wird nur doppelt schön,
        So recht von Herzen schön!

Es blüht noch Jugend auf der Welt,
Und Frühling auf der Erd',
Und wem die Jugend nicht gefällt,
Ist nicht des Frühlings wert.
Drum wer das Leben kann verschrein,
Das muß ein Pfaff und Träumer sein.
        Ich aber find' das Leben schön,
        So recht von Herzen schön!

»Das Lied gefällt mir,« sagte Sabine, »ja ich find' auch das Leben so recht von Herzen schön, das Lied muß ich lernen, daß ich's manchmal für mich singen kann. Aber nun ist's wol Zeit, daß wir aufbrechen, es möchte sonst zu heiß werden. Dem Schecken steck' ich aber noch ein par Zweige an gegen die Fliegen.« –

»Der ganze Wagen muß grün aufgeputzt werden,« rief Johannes.

Er pflückte drauf Eichenzweige und steckte sie in alle Fugen des Einspänners, wobei Erich ihm half. Dann nahm er die leere Weinflasche und wollte sie zertrümmern, Sabine aber nahm sie ihm weg und sagte:

»Nicht zerschlagen! Man muß nichts zerbrechen, so lang es noch halten will. Es ist mir nicht um die Flasche zu thun, aber lieber schenk' ich sie einem Armen, da kann sie noch lange gebraucht werden.« –

Das Kleeblatt saß wieder im Einspänner und Erich lenkte den scheckigen Hippogryphen, welchem Johannes' Lieder Flügel angesetzt zu haben schienen. Denn dieser sang und jubelte lustig in die Welt hinaus, Sabine war heiter wie vorher, Erich aber war stiller geworden. Er wußte sich keine Rechenschaft darüber zu geben, er wußte nicht einmal, daß er ernster geworden war.

»Singe doch mit, Lenker des göttlichen Schecken!« unterbrach Johannes seinen eignen Gesang, indem er dem Freunde einen liebevollen Rippenstoß versetzte. Dieser fuhr auf aus seinen Gedanken, lachte und sang hinfort mit und war Gefährte aller Lustigkeit bis zum Ziele.

Der Einspänner rollte durch das Dorf Hohenfichte. Das Pfarrhaus lag auf einer Erhöhung, man gelangte zu ihm von der Landstraße aus auf einer Folge von steinernen Stufen, die über Weinterrassen emporführten. Der Fahrweg aber machte einen kleinen Umweg durch das Dorf, und führte dann aufsteigend vor der Pfarre und Kirche vorbei. Der Kirchhof schloß sich, nur durch eine Hecke getrennt, an den Garten, und aus dem Dunkel alter Tannen und Linden lauschte das Kirchlein weiß mit spitzem Thurme hervor. –

Der Wagen hielt, und aus der Thür drängte sich außer dem Pfarrer und seiner Frau, noch eine dritte Gestalt, es war Bernhard der Maler. Die Bewillkommnung war stürmisch. Bernhard sprang, lachte und sang, umarmte Erich und Johannes, und wollte sich eben mit einer Umarmung auf Sabinen stürzen, als diese ihm einen Blick voller Entrüstung zuwarf und erschrocken auf die Seite der Pfarrerin wich. Er fühlte sich durch diesen Blick so betreten, daß er die Augen niederschlug. Lange dauerte es aber nicht, so war sein wildes Wesen wieder im Gange.

Der Pfarrer, ein Mann von etwa sechsunddreißig Jahren, offnem freiem Gesicht und, bei würdevollem Aussehn, doch heitrem Wesen, führte die jungen Männer ins Zimmer, während Sabine der Pfarrerin in die Küche folgte, denn diese war augenblicklich darauf bedacht, den Horizont des bevorstehenden Mittagmahls zu Gunsten des unerwarteten Besuchs zu erweitern. Sabine ging ihr gleich zur Hand. Aber ihr war es, als wäre die ganze Harmlosigkeit der Herfahrt nun mit Einem Striche abgeschnitten. Sie hörte im Zimmer den Maler toben und lachen, sein Anblick war ihr im ersten Moment widerwärtig gewesen, und jetzt glaubte sie auch in ihrem Benehmen ihren beiden Begleitern gegenüber auf der Herfahrt zu frei, ja sogar unziemlich gewesen zu sein. Die ganze Situation trat vor ihre Sele, wie sie allein mit den beiden jungen Männern unter der Eiche gesessen, wie sie ihnen die Hände gereicht, mit ihnen gesungen – eine unnennbare Angst überkam sie. Sie griff sich an die Stirn und fühlte den Kranz von Waldblumen noch auf ihrem Haupte. Rasch nahm sie ihn ab und warf ihn bei Seite. Thränen traten ihr in die Augen, ein Gefühl der Bangigkeit überkam sie, als habe sie eine schwere Schuld auf dem Herzen. Mit aller Kraft preßte sie ihr Gefühl zurück, antwortete der Pfarrerin auf alle Fragen und leistete ihr mit umsichtiger Gewandtheit Beistand. Aber ihre Heiterkeit wollte nicht wieder kommen, ihr war beklommen und ängstlich zu Mute.

Bernhard machte unterdessen seiner Ausgelassenheit in aller Weise Luft. Das Pfarrhaus war als solches natürlich reich gesegnet mit Nachkommenschaft. Fünf interessante Repräsentanten tummelten sich um ihn herum, er warf sie bald in die Höhe, bald in die Sofaecken, bald zum Fenster hinaus, trug sie auf den Schultern, setzte sie auf den Ofen, bis sie schrieen, worauf er sie laufen ließ. In ähnlicher Weise führte er die Unterhaltung. Jedes angesponnene Gespräch brachte er durch Gewaltstreiche aus dem Gange, jedes Urtheil ließ er ins Gegentheil umschlagen und adoptirte es dann.

Von seinem Charakter vorläufig nur so viel: Er war nicht ganz einig mit sich, ob er die Blonden liebenswürdiger finden solle oder die Braunen; ob er lieber süßen oder herben Wein trinke, das Eine aber stand fest, daß sein Geld und seine gute Laune in umgekehrtem Verhältnis zu einander standen, die letztere nämlich war unverwüstlich, während das erstere nur in ganz kurzen Stationen in seiner Tasche verweilte. Man konnte ihn in sofern einen guten Gesellschafter nennen, als in seiner Gegenwart die Unterhaltung nicht leicht ins Stocken geriet, die Art und Weise aber, wie er sie aufrecht erhielt, war oft die übermütigste und anmaßendste.

Obgleich Künstler, hatte er doch keine ächte Künstlernatur, wie denn überhaupt sein ganzes Wesen Widerspruch war. Schönheit war für ihn nur so lange bewunderungswert, als sie Ziel des Genusses war; Begeisterung trat bei ihm auf als fieberhaftes Drängen, das sein Ziel ebenfalls wieder nur im Genusse fand.

Von Jugend auf auf Andre angewiesen, von Fremden erzogen, von Fremden erhalten, hatte er die Ueberzeugung erlangt, die Welt müsse seinem Talente dienen, das heißt sie müsse ihm selbst jeden Genuß gewähren, von Dankbarkeit wußte er nichts, von eigentlicher Anhänglichkeit oder gar Zuneigung lebte kein Funken in ihm. Sein Vater war Landpfarrer gewesen, daher seine vielfachen Bekanntschaften bei der Geistlichkeit. Bei Jedem blieb er so lange es ihm behagte; fing er an Langeweile zu spüren, oder war bei Einem gar der Wein schlecht – dann ade!

Der Pfarrer von Hohenfichten ertrug seine Ausgelassenheiten mehr, als daß er sie billigte, oft aber mußte er über ihn lachen und konnte ihm trotz aller Leichtfertigkeit nicht gram sein. Erich fühlte sich von Bernhards Benehmen grade heut vielfach verletzt, ohne es sich merken zu lassen. Johannes war selbst erregt, und sobald der Maler nicht gar zu extravagant war, machte er mit ihm gemeinschaftliche Sache.

Die Gesellschaft saß bei Tische. Des Pfarrers guter Wein erhitzte Bernhard immer mehr. Sein Benehmen Sabinen gegenüber war durchaus rücksichtslos und den Ansichten gemäß, die er überhaupt vom weiblichen Geschlecht hatte. Der Pfarrer hatte Mühe, seinen Uebermut im Zaume zu halten.

Sabine saß während der Mahlzeit wie auf der Folterbank. Sie konnte keinen Bissen genießen, wie eine schwere Last drückte es auf ihrem Herzen. Endlich sprang sie auf und eilte hinaus. Die Pfarrerin ging ihr nach und kam wieder mit der Nachricht, das Mädchen habe Kopfweh, es werde vorübergehen. –

Die Tischzeit wurde durch des Pfarrers Weinspendungen länger ausgedehnt, der Maler mußte darauf verzichten, ein Gespräch des Pfarrers mit Erich zu unterbrechen und zeichnete bei einer Zigarre Karrikaturen. Johannes stahl sich hinaus in den Garten. Seine Stirn glühte. Er sah sich rings um und schritt einen Gang entlang, der an der Thür zum Kirchhof mündete. Diese stand offen, er betrat den Grasplatz – da saß Sabine auf einem Bänkchen und weinte heftig.

Die Ereignisse des Tages, wie klein und unbedeutend sie auch waren, lasteten schwer auf ihrem Herzen, sie fühlte sich so in tiefster Sele verletzt, daß Thränen ihr einzige Linderung geben konnten. Bald suchte sie dieselben zurückzudrängen, bald ließ sie ihnen wieder freien Lauf. Hierher, unter den Schatten eines Fliederstrauches, innerhalb der Kirchhofsmauer, hatte sie sich geflüchtet, um mit sich selber zur Ruhe zu kommen. Da hörte sie Tritte – Johannes stand vor ihr.

Erschreckt sprang sie auf, trocknete die Augen, sah sich um und fragte mit ängstlicher Stimme:»Ist Erich in der Nähe?«

Johannes deutete die Frage zu seinen Gunsten und sagte: »Nein, Sabine, wir sind allein,« –

Sie setzte sich etwas ruhiger nieder und er nahm neben ihr auf dem Bänkchen Platz.

»Sabine,« fragte er sanft, indem er ihre Hand ergriff, »warum weinest du? Wir lebten heut so schöne Stunden, sie sollen dein gutes Herz nicht trübe stimmen. Ich bin so glücklich, ein liebes Wort noch von dir, und mein Glück wird Glückseligkeit.«

Sabine wurde unruhiger, ihr Busen hob sich angstvoll, sie suchte ihm ihre Hand zu entziehen, er aber hielt sie fest und fuhr fort:

»Laß mir deine liebe Hand, mir ist als hielte ich in ihr die Wonne der ganzen Welt umschlossen. Was du mir heut unter der Eiche, in Gegenwart des Freundes durch einen verstohlenen Blick bekanntest, sage es mir jetzt frei und offen. Ich weiß, dein Herz gehört mir. Sabine, geliebtes Mädchen, das meine ist dein, mit jedem Pulsschlage dein – du bist mein Ideal, meine Welt – ich liebe dich mit aller Glut – ich bete dich an – Sabine –«

Seine Stimme erstickte, er wollte die Geliebte umarmen, sein ganzes Wesen war in Aufregung. Sabine aber sprang auf, ein leiser Schrei entwand sich ihrer Brust:

»Ach Gott! Ach Gott!« –

Das war Alles, was sie sagen konnte. Mit Gewalt riß sie sich von ihm los, flog wie von Dämonen gejagt über die Gräber des Kirchhofs, durch die Gebüsche, bis ihr weißes Gewand hinter den Tannen verschwand.

Johannes stand da wie ein Träumender. Noch durchtanzten bunte Gedanken seine Sele, wie bekränzte Elfenkinder, die den Reigen schlingen um ein geliebtes Götterbild – da war Sabine verschwunden, der Vorhang seines Paradieses war gefallen. Er ging ein par Schritte, dann blieb er sinnend stehn. Warum war sie ihm entflohn? Weil das Bekenntniß der Liebe Scheu trug, über die noch unentweihten Lippen zu gleiten? War es kindische Scham der kaum erblühten Jungfrau? War sie sich selbst noch ein Rätsel, und hatte sein Wort ihr die Lösung zugerufen, vor welcher sie halb entsetzt, halb beseligt zurückgewichen?

»Sie liebt mich! Sie liebt mich!« rief es in seiner Brust. »Sie liebt mich und wagt es nicht zu bekennen!« –

Träumend schritt er der Gartenpforte zu, den Gang entlang, und trat wieder in das Haus. –

Sabine war unterdessen über den Kirchhof dahingeflogen. Sie suchte an der entgegengesetzten Mauer nach einer Thür, es war keine vorhanden. Sie rannte neben der Mauer hin, ihr war es, als hörte sie immer Tritte hinter sich, endlich blieb sie erschöpft stehen und hielt sich an einem Baum fest, um nicht nieder zu sinken. Sie bebte nicht mehr, ihr Auge wandte sich starr nach der Seite hin, von welcher sie gekommen war, ihre Hände ballten sich krampfhaft, als sei sie jeden Augenblick gewärtig, einem Verfolger zu begegnen. Der sanfte schöne Johannes, wie war er ihr plötzlich ein Gegenstand des Schreckens geworden!

Wenige Minuten vergingen, und gefaßter blickte sie um sich. Sie konnte das Pfarrhaus sehen und die Pforte, welche in den Garten führte. Eben schritt Johannes langsam hindurch und dem Hause zu. Die Pfarrerin begegnete ihm und schien ihn etwas zu fragen. Erwies mit der Hand nach dem Kirchhofe. Die Pfarrerin kam daher geschritten und Sabine kam ihr entgegen, Sie fragte nach Sabinens Befinden.

»Es geht besser,« sagt« diese, »es ist aber wol Zeit, daß wir den Heimweg antreten. Oder vielmehr nicht wir, sondern die beiden Herren allein, wenn Sie mich bis morgen beherbergen wollen, so gehe ich morgen früh zu Fuße nach der Stadt.«

Die Pfarrerin war damit einverstanden, wunderte sich aber, daß das sonst so gesunde Mädchen heute für ihr Wohlsein so besorgt sei.

In Sabinen ging etwas vor, das merkte die kundige Frau wol, hielt sich aber nicht für befugt, weiter nachzufragen, oder ihr etwas zu raten.

Noch waren Beide nicht ins Haus getreten, als das Mädchen stehn blieb und entschlossen sagte:

»Ich fahre doch heute mit, der Vater könnte sich ängstigen. Ich bin auch zu Hause zu nötig – bitte, sagen Sie nichts davon, daß ich hier bleiben wollte, Frau Pfarrerin, ich habe mich anders besonnen, ich fahre mit.« –

Die Hausfrau nöthigte ihren Gästen nochmals einige Erfrischungen auf, und bald stand der Einspänner wieder vor der Thür. Aber zu ihrem Schrecken erfuhr Sabine nun, daß Bernhard sie begleiten wollte. –

»Der Wagen ist nur für drei Personen eingerichtet,« rief sie entschieden, »wir dürfen die Last nicht größer machen, die das arme Pferd zu ziehen hat.«

»Hoho!« sagte der Maler, »ich werde kaum mehr lasten, als das Faß Wein, das auf der Herfahrt mitgekommen ist. Uebrigens wird die Fahrt um so interessanter, wenn wir nun recht eng zusammengedrückt sitzen.« –

Es halfen keine Einwendungen, weder von Sabinens noch von Erichs Seite, ja der Maler ergriff sogar die Zügel des Schecken, schwang sich trotz Erichs Gegenreden auf den Bock und forderte die Gesellschaft auf, einzusteigen. Er wollte sich todtlachen, daß man ihm die Zügel nicht anvertrauen wolle, und so stiegen denn die Drei ein, Sabine saß in der Mitte, und Bernhard hieb auf den Schecken wütend ein.

Die Drei im Wagen saßen lautlos beisammen und wagten sich nicht zu rühren, nur hin und wieder bat Erich den Maler nicht so wild einzuhauen; wenn er die Hügel so hinauf jage und wieder hinab die Zügel schießen ließe, müsse das Thier auf halbem Wege liegen bleiben.

»Ihr mögt einen schönen Schneckengang gefahren sein,« entgegnete dieser; »und wie ihr da sitzt! ich glaube, ihr schlaft alle Drei, wartet, ich will euch durch Singen munter erhalten!«

»Wir nehmen's für genossen,« sagte Erich, als Bernhard anfing ein Lied zu singen, das nicht für Sabinen's Ohren paßte. Da dieser aber nicht aufhören wollte, faßte ihn Erich derb bei der Schulter und rief ihm leise aber eindringlich ins Ohr: »Hast du denn weder Verstand noch Zartgefühl, Mensch, daß du dich nicht entblödest, so ein Lied vor den Ohren eines Mädchens zu singen! Schweig jetzt, oder wir sprechen uns ernstlich!«

»Ach ihr Pedanten,« lachte der Angeredete und sang: »Wir winden dir den Jungfernkranz mit veilchenblauer –«

»Um Gotteswillen, nur nicht so wild den Berg hinunter!« flehte Sabine.

»Sieh' dich vor!« schrie Erich dem Maler zu. –

Der Wagen war nicht mehr zu halten und rollte den steilen Weg blitzschnell hinab, der Schecke flog keuchend und stöhnend und selbst gestoßen und getrieben von dem dahinfliegenden Wagen. Rechts und links prallte dieser bald an einen Baum, bald stieß er krachend über einen Stein. In einer Minute mußte sich der Fahrweg um eine Felsenecke winden, grade aus senkte sich schräg ein Abhang, und konnte der Wagen nicht aufgehalten werden, so mußte er mit den darin Sitzenden in die Tiefe hinunter geschleudert werden. Entsetzen ergriff Alle. Im Angesichte dieser fürchterlichen Gefahr, stürzte sich Erich über den Maler, ergriff die Zügel und riß das von Erschöpfung halb todte Thier rechts hinüber, so daß es mit letzter Kraftanstrengung einen Seitensprung machte, und den Wagen mit sich rechts an den Felsen riß. Der Schecke stürzte mit einem Angstschrei zusammen, der Wagen ging krachend in Stücken, die darin Sitzenden konnten gerettet sein.

Erich sprang zuerst wieder vom Boden auf und rief, indem er Sabinen behülflich war:

»Wer ist verwundet? Wer von Euch lebt, der spreche! Sabine wie geht's? Johannes, wie geht dir's?«

»Gut, gut, ich bin unverletzt.« –

»Ich auch;« war die Antwort beider. –

»Nur etwas zerschlagen!« seufzte Bernhard, indem er sich die Knie rieb. –

Mit dem Bewußtsein, dem sichern Tode nur durch plötzliche Geistesgegenwart entronnen zu sein, die Trümmer des zerschellten Wagens vor sich, und die Abspannung des jähen Schreckens in allen Gliedern, so standen die Wandrer auf dem Wege. Erich war unermüdlich zu fragen, ob auch Niemand einen Schaden fühle, Sabine hätte den Maler alle ihre Empörung und Verachtung mögen fühlen lassen, sie schwieg aber; und Johannes ergriff Erichs Hand und sagte bewegt:

»Du hast uns gerettet!«

Das Bewußtsein gemeinsam überstandner Gefahr bringt schon an sich fremde Menschen einander näher, um wie viel enger schließt es befreundete an einander! Es war dunkel, doch aber konnte Erich in Sabinens Augen den Glanz eines selenvollen, dankbaren Blickes bemerken, mit dem sie zu ihm aufsah. Sie gab ihm die Hand, sie gab sie auch Johannes. Der Maler fand schnell seinen Humor wieder, nachdem er seine geschundenen Gliedmaßen ein wenig zurechte gebracht hatte. Er betrachtete den ächzend daliegenden Schecken, betrachtete die Trümmer des Fahrzeuges und betrachtete die Gruppe derer, die er in Todesgefahr gebracht hatte, und die nun schweigend eine Minute beisammen standen. Er trat lachend hinzu und sang den Vers eines bekannten Liedes:

Als sie sich nun aufgerappelt hatten
Undte sich besannen,
Daß sie noch Leben Leben hatten –

In diesem Augenblicke wankte Erich, er griff um sich, um sich an etwas fest zu halten, im nächsten lag er ohnmächtig am Boden. Ein neuer Schreck durchzuckte Alle.

»Erich, Erich! was ist dir?« schrie Johannes, indem er zusprang und das Haupt des Ohnmächtigen auf seine Knie nahm. Sabine kniete ebenfalls, von entsetzlicher Ahnung erfüllt, neben den Leblosen nieder. Johannes riß ihm die Kleider auf, er befühlte seine Brust, er fühlte etwas Feuchtes, und zog aufschreiend seine Hand blutig hervor. Rasch warf er ihm den Rock ab, das Leinenzeug war rot gefärbt vom Blute, und dieses rann in Strömen aus einer Wunde am linken Oberarm.

Was nun thun, fern von aller ärztlichen Hülfe? Sabine rang die Hände und betete still. Bernhard stand erstarrt da. Johannes nahm sein, Taschentuch und band es fest um die Wunde, um das Blut zu stillen.

»Noch tausend Schritte sind's ungefähr zu einem Waldkruge,« sagte Sabine, »bis dahin tragen wir den Kranken.«

»Bernhard, fliege voran,« rief Johannes, »sieh zu, daß du im Kruge ein Pferd bekommst, reite im Galopp nach der Stadt, hole den Doktor Ulrich, bringe einen Wagen mit!«

Der Maler zögerte einen Augenblick unschlüssig. –

»Pack Dich!« schrie er ihm zu, »Du hast gewissenlos das Unheil angerichtet, willst Du nun durch Dein Zaudern durchaus ein Menschenleben auf Deine Sele laden? Fort, oder ich jage Dir einen Knüttel nach!«

Er hatte bei diesen Worten ein Stück eines zertrümmerten Rades ergriffen und schwang es drohend empor, so daß den Maler ein Grauen erfaßte vor seinem rollenden Auge und seiner Geberde, und er mehr aus plötzlichem Schreck, das Rad an den Kopf zu bekommen, davonlief, als aus Bereitwilligkeit, Hülfe zu holen. Denn diese Eile war sehr unbequem und er war nicht gewöhnt irgend ein Opfer zu bringen. Dennoch aber lief er, zwar innerlich fluchend, und erreichte den Krug.

Ein Pferd war nicht zu bekommen, wol aber wurde ihm gesagt, wenn er tüchtig rennen könne, wäre es noch möglich einen Wagen einzuholen, der eben hier abgefahren sei. Er versprach einem Knaben ein Trinkgeld, wenn er den Wettlauf für ihn übernehme. Der Junge lief, der Wagen wurde angehalten und nach einiger Weigerung zurückgebracht. Es war ein Leiterwagen, ein Bauer und seine Frau saßen darauf. –

Johannes und Sabine knieten in stummer Verzweiflung neben Erich, der noch immer kein Lebenszeichen von sich gab. Da war keine Quelle rings herum, nichts, gar nichts, und ratlos seufzend blickten sie gen Himmel. Wie anders war doch die Herfahrt gewesen!

Die freie Natur läßt die Menschen schneller bekannt werden in einigen Stunden, als Mauern und Wände, und überhaupt der bürgerlich gesellige Verkehr, es in mehreren Wochen vermag. Die Natur ist das gemeinsame Haus, in welchem Jeder frei schalten darf, an das Jeder ein gleiches Eigenthumsrecht zu beanspruchen hat. Die gar zu arg gezogenen Schranken der Höflichkeit und Sitte, mit ihren vielfachen Pedantereien, fallen ab, denn es ist Niemand Wirt und Niemand Gast, und Jeder steht dem Andern mehr als Individualität, als unmittelbarer Ausdruck seines innersten Wesens gegenüber. Gedanken und Empfindungen äußern sich leichter und frischer, und werden lebendiger aufgenommen und verstanden, und tausendfältige Bänder der Neigung, Freundschaft, Liebe, schlingen sich enger und enger um den Kreis der so Genießenden.

Mit rückhaltloser Unbefangenheit hatten sich auch unsre drei Wandrer einander hingegeben, dieser Tag hatte so Vieles aufgeregt, ins Leben gerufen – er sollte vielleicht noch viel mehr befestigen.

Sabine beugte sich weinend über Erich, ihre Thränen fielen auf sein Antlitz. Er schlug die Augen auf. Die mondlose, sternenflimmernde Nacht ließ ihn seine Umgebung nicht gleich erkennen. – »Er lebt! Erich! Erich!" rief Johannes. Erich wollte sich erheben, ein stechender Schmerz in seiner Wunde hinderte ihn daran. »Hilf mir,« sagte er zu Johannes, »hilf mir nur aufstehen, ich fühle mich kräftig genug, um weiter zu gehn.«

Johannes hob ihn auf, legte Erichs linken Arm in eine Binde, zu welcher Sabine ihr Tuch hergab, und seinen rechten sich um die Schultern, damit der Verwundete sich stützen könne. Erich fragte nach Mancherlei, wurde aber gebeten nicht zu sprechen, und so gingen die Drei langsam fort auf dem Wege nach dem Kruge. Sie waren einige hundert Schritt gegangen, als sie es hinter sich rasseln hörten. Sie blieben stehen und horchten. Es war der Schecke, der sich erhoben hatte und nun langsam, mit gesenktem Kopfe ihnen nachhinkte, ein Stück der zerbrochenen Wagendeichsel hinter sich her schleppend.

Bernhard kam ihnen entgegen, der Leiterwagen stand vor der Thür des Kruges. Es wurden einige Bündel Stroh darauf gelegt, und nachdem man den Wirt gebeten hatte, die Trümmer des Wagens vom Wege abzuholen und den Schecken die Nacht zu beherbergen, nahm die Gesellschaft auf dem Stroh Platz und fuhr schweigsam und mit gemischten Empfindungen der Stadt zu.

*


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