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11.
Noch ein vielbewegter Tag.

Das macht das dunkelgrüne Laub,
Daß der Wald so schattig ist;
Das macht die liebe Maienzeit,
Daß so rot das Röslein ist.

Mein's Schatzes Lieb' war das Röslein rot,
Das blüht' am Waldesrain,
Und das grüne Laub, und das grüne Laub,
Als wie die Gedanken mein.

Nun ging die schöne Maienzeit
Und die schöne Liebe zur Ruh,
Nun fallen die Läublein all herab
Und decken das Röslein zu.

Durch diesen Gesang der Muhme wurde Erich am Morgen geweckt. Er trat hinaus auf die Gallerie, und vor ihm lag das Thal, ein grüngoldnes, morgenhelles Lichtbild, überströmt von erquickenden Luftwogen, und drüber breitete sich wolkenlos das Blau des Himmels. Er fühlte sich wie neu erschaffen, hinter ihm lagen die Sorgengewölke des gestrigen Tages, frisch und heiter eilte er hinunter und ließ sich das Frühstück hinaus vor die Thür bringen. Da saß die Muhme und spann.

»Guten Morgen, Herr Baumeister,« sagte sie zu Erich, »Ihr habt einen gesunden Schlaf! Die Bauleute waren schon da und haben nach Euch gefragt, dann sind sie voraus gangen auf den Berg. Ihr scheint's auch nicht eilig zu haben mit der neuen Kapelle, und Ihr thätet gar gut, wenn Ihr den ganzen Bau verschlieft.«

Erich mußte den Vorwurf des Langeschlafens heut auf sich sitzen lassen, obgleich er ihn im Allgemeinen von sich weisen konnte, der allgemeine Widerwille der Leute aber gegen den Wiederaufbau der Kapelle machte ihm doch sonderbare Gedanken.

»Was habt Ihr nur, Muhme,« sagte er, »gegen den Bau einzuwenden? Ist es denn nicht ein gutes Werk, eine Kirche zu bauen?«

»Ja, eine Kirche, wenn sie im Dorf steht und für alle Menschen gebaut ist, die ist ein gutes Werk, das will ich meinen! Aber so eine da oben, die gar nicht Not thut und die der liebe Gott selber schon gerichtet hat, die soll der Mensch ruhn lassen. Dadurch, daß man an einen schlechten Ort was Gutes setzt, dadurch wird die Stelle noch nicht gut, und wenn's auch eine Kirche ist, die man hinbaut – hernach kommt der Satan doch und sagt: Der Altar ist mein!«

»Warum glaubt Ihr denn, Muhme, daß der Ort da oben böse sei?«

Die Muhme schien nicht auf die Frage eingehn zu wollen. Sie sagte:

»Ihr wärt ein rechter Baumeister vor dem Herrn, wenn Ihr da unten den armen Leuten ein Haus bautet.«

Erich konnte dagegen nichts sagen, er schwieg eine Weile, dann fragte er nach Johannes. Die Muhme schüttelte mit dem Kopfe und sprach:

»Ich hab' Alles gehört, was zwischen Euch vorgegangen ist, ich hab' ein gar feines Gehör. Der Herr Johannes müßt' ein Engel sein, wenn der zuerst zu Euch kommen wollt'! Ich will Euch was sagen, Herr Baumeister, Eure Sach' ist gar nicht gut bestellt. Die Sabine ist zu gering für einen großen Herrn, aber sie ist zu gut für Euch, wenn Ihr Böses im Sinne habt.«

»Muhme, Ihr wißt –?«,

»Ich weiß was ich weiß, die Sabine ist ein Kleinod und ist nur für einen rechtschaffnen Burschen bestimmt.«

»Ihr kennt mich doch nicht anders, Muhme?«

»Ich kenn' Euch gar nicht, Herr Baumeister, nach Eurem Gesicht zu meinen, da müßtet Ihr recht gut und brav sein, aber der Mensch betrügt sich oft, das weiß ich.«

»Muhme, Ihr sollt mich nicht für schlecht halten. Ich liebe Sabinen treu und innig –«

»So macht nicht lang Verzug und nehmt sie zum Weibe! Wer nicht frisch bei der Hand ist, der verliert, ich hab lang' genug gelebt, um das zu wissen. Die Sabine hat mir oft genug ihr Leid geklagt, daß sie Euch nicht aus den Gedanken kriegen könnt' und Ihr wärt doch gar nicht für sie geschaffen. Jetzt wißt Ihr's, Herr Baumeister. Ich weiß nicht, wieweit Ihr mit einander seid, aber das bitt' ich Euch, seid rechtschaffen, junge Liebe ist schwach –«

»Muhme, so wahr Gott lebt, ich meine es treu und gut, Sabine soll mein Weib werden, das verspreche ich Euch.«

»Das ist brav gesprochen, Herr Baumeister! Laßt's aber nicht zu lang anstehn, jung gefreit, hat nie gereut!«

Der Lammwirt trat jetzt zu ihnen, Erich reichte der Alten die Hand und schickte sich an hinaufzugehen zur Ruine, um den Arbeitern Anleitung zu geben. Die gestern mitgebrachten Pergamentblätter nahm er nur flüchtig in die Hand und verschloß sie dann wieder, er wollte sie aber doch erst lesen, ehe er dem Grafen die Entdeckung des Bildes mittheilte, denn sie hatten sein Interesse mächtig erregt.

Er ließ für's Erste den Platz, wo die alte Kapelle stand, von allem Schutt säubern, ordnete das Nötigste dazu an, und da dies für mehre Tage Arbeit genug gab, überließ er die Arbeiter einem Aufseher und ging wieder hinunter. Der Lammwirt überreichte ihm einen Zettel und sagte ihm, der Graf habe hergeschickt und lasse ihn bitten, auf's Schloß zu kommen. Der Zettel war von Beaten, welche sich und ihre ganze Familie, nebst dem Gelblichschen Geschwisterpar zu Nachmittag bei ihm anmeldete. Erich gab dem Lammwirt den Auftrag, für entsprechende Quantitäten von Kaffee und Kuchen zu sorgen, und begab sich dann auf das Schloß.

Der Graf schien heute sehr leidend zu sein, er saß in einem Lehnstuhl, die Füße in Flanell und Decken fest eingewickelt. Doch empfing er ihn freundlich.

»Es thut mir leid,« begann er, »die Entdeckung des mir so wichtigen Gemäldes nicht Ihnen, sondern einem Andern verdanken zu müssen. Vor ungefähr zwei Stunden war ein junger Mann bei mir, der sich für einen Maler ausgab, und mir erzählte, das Bild befinde sich wirklich in einem Felsenkeller der alten Burg, er habe es in der verflossenen Nacht dort entdeckt.«

Erich wußte nun, daß Bernhard sein Spiel gegen ihn begonnen habe, er also hatte ihn belauscht, als er mit Mathes das Bild betrachtet hatte.

»Es ist gleichgültig,« entgegnete Erich, »wem Sie die Auffindung des Gemäldes verdanken, genug, daß Sie von Erhaltung desselben in Kenntniß gesetzt sind. Doch kann ich nicht verhehlen, daß auch ich in der vergangenen Nacht zu dem Orte gedrungen bin, wo es sich befindet.«

»Um so weniger angenehm ist es mir, Herr Helldorf, daß noch ein Dritter um unser Geheimniß weiß, der junge Maler hat Ihnen vielleicht sogar das Prioritätsrecht dieser Nachricht ablaufen wollen. Sie hatten mir Diskretion versprochen, ich glaube also nicht, daß Andre durch Sie auf meine Forschungen aufmerksam gemacht worden sind, daß man aber in weiteren Kreisen darum weiß, ist mir fatal. Kennen Sie den jungen Maler?«

»Ich kenne ihn.«

»Was halten Sie von ihm.«

»Ich enthalte mich jedes Urtheils über ihn, Sie werden wol selbst seine Gaben kennen lernen, Herr Graf. Er hat sich, wenn ich nicht irre, auch erboten, Fresken für die neue Kapelle zu malen?«

»Allerdings, doch war es nicht eben meine Absicht, einen Künstler in dieser Art bei meinem Werk zu beschäftigen. Auch muß ich Ihnen gestehn, daß mich das Wesen des Malers durchaus nicht angesprochen hat. Mit sehr geschäftiger Zudringlichkeit eröffnete er mir, daß jenes Gemälde vielfach Schaden gelitten habe, und erbot sich, dasselbe wieder herzustellen und aufzufrischen. Sie kennen ihn, warum wollen Sie sich des Urtheils über sein Talent enthalten? Ich möchte wol wissen, wie Sie darüber denken, denn wenn das Bild in der That Schaden genommen hat, so würde ich es jedenfalls herstellen lassen, und um so besser wäre dann die Acquisition eines geschickten Künstlers.«

»So weit ich mir das Bild betrachtet habe,« entgegnete Erich, »habe ich keinen Schaden daran gefunden, es ist durchaus unverletzt, zu einer Auffrischung würde ich auch nicht raten, das Bild scheint für Ihr Haus, Herr Graf, weniger den Wert eines Kunstwerks, den es auch nur in gewissem Sinne besitzt, zu haben, als vielmehr den eines Erbstückes, das, so wie es aus den Händen der Vorfahren gekommen ist, bleiben muß. So weit ich nun von dem Gegenstande des Gemäldes zu schließen vermag, ist es sogar besser, es dunkelt ein und wird der Nachwelt unkenntlicher, für Sie und Ihre Familie bleibt es ja doch dasselbe, denn in seiner Erhaltung scheint sein Hauptwert zu liegen.«

Der Graf sah ihn einen Augenblick starr und erstaunt an, dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und sagte:

»Sie haben vollkommen recht, so ist's. Ihr Rat ist verständig, ich adoptire Ihre Ansicht. Was mache ich aber nun mit dem Maler? Er hatte es so sehr angelegentlich und eilig, daß ich, für seinen warmen Eifer dankbar, ihm sogleich eine Wohnung in meinem Schlosse angeboten habe, damit er das Bild herstellen könne. Ich kann nun nicht hindern, daß er hier bleibt.«

»Es wird Ihnen nicht schwer werden, ihn zu beschäftigen. Lassen Sie ihn das Schloß, oder die Gegend aufnehmen, Sie werden sich dadurch ein Verdienst um den jungen Künstler erwerben, der bei dergleichen Arbeiten seine Studien machen kann.«

»Sie verwenden sich für ihn, und so scheint denn die Rivalität, die ich zwischen Ihnen Beiden glaubte, nicht statt zu finden. Ich will Ihnen nicht verschweigen, daß er mich vor Ihnen gewarnt hat.«

»Und Sie mögen, Herr Graf,« entgegnete Erich lächelnd, »seine Warnung, wenn Sie dieselbe für so vernünftig halten, wie vorher meinen Rat in Betreff des Bildes, immerhin berücksichtigen.«

»Es wird hoffentlich nicht nötig sein, ich glaube jetzt zu wissen, woran ich mit dem Maler bin. Er ist sehr zudringlich. Kaum habe ich ihn entlassen, so höre ich von meinem Kammerdiener, er habe sich bei meiner Tochter melden lassen, und betrage sich gegen die Domestiken, als wäre er hier zu Hause. Meinetwegen, ich will ihn auf einige Zeit beschäftigen, ich habe noch eine Menge alter Familienporträts in der Ahnengallerie, da mag er eins oder das andre auffrischen. Den Auftrag aber, den ich ihm gegeben habe, das Gemälde heut Abend abzuholen, nehme ich zurück, und ersuche Sie darum –«

»Auch das, dächte ich, überließen Sie ihm allein, wie Sie einmal angeordnet hatten. Auf diese Weise erlangen Sie sein Stillschweigen über die Sache, während Sie sonst vor seiner eifersüchtigen Zunge nicht sicher sein dürften.«

»Wunderbar, daß wir um dieses jungen Menschen willen so viel Umstände machen müssen! Gut denn, es mag beim Alten bleiben.«

»Noch eine Mittheilung habe ich Ihnen zu machen, Herr Graf, welche auch von Wichtigkeit für Sie sein wird. Es waren durch die geborstene und dadurch verschobene Hinterwand des Gemäldes einige Pergamente sichtbar geworden, diese habe ich an mich genommen, sie stehen sogleich zu Ihren Diensten.«

Der Graf wußte nichts von diesen Blättern, und fragte, ob Erich dieselben gelesen habe. Er verneinte es, und empfahl sich, um sie zu holen. Nach einer Weile brachte er sie dem Grafen, und als er ihn verlassen hatte und sich auf den andern Flügel des Schlosses wenden wollte, um zu Johannes zu gehen, eilte ihm ein Bedienter nach, der ihn zu Corona beschied. Diese Einladung war ihm so unwillkommen, daß er schon eine abschlägige Antwort auf der Zunge hatte, dennoch aber, obgleich mit bangen Erwartungen, folgte er demselben. Er wurde zu ihrem Privatzimmer geführt, zu welchem sonst Niemand Zutritt erhielt. Es war auf das Geschmackvollste durch feine Spaliere aus Rosenholz, um welche sich Epheu und Passifloren rankten, und welche die ganzen Wände bedeckten, zu einer großen, grünen Laube dekorirt. Um die Fenster zogen sich diese Spaliere bogenförmig, und aus den Bogen senkten sich Ampeln herab von rothem Thon, gefüllt mit Rankengewächsen. Daneben waren kleine Tischchen aufgestellt, auf deren einem ein weißer Kakadu im Käficht schwatzte, während auf dem andern eine Krystallschale mit Goldfischen stand. In den Ecken standen Statuen von weißem Marmor, kleinere Büsten und Statuetten schmückten, aus dem Grün hervorstechend, die Wände, und ein duftendes Chaos der schönsten Gewächshausblumen nahm aufsteigend die Seiten des Trümeau's ein, Ein Fortepiano stand an der einen, ein Schreibtisch mit wenigen auserlesenen Büchern an der andern Wand, gegen das Fenster hin.

Corona trat ihm entgegen in allem Glanze ihrer strahlenden Schönheit, nur ein dunklerer Schatten um ihre Augen zeugte von dunkleren Stunden und von inneren Kämpfen.

»Da Sie uns fliehen, Orion,« sagte sie, »so müssen wir Sie auffangen, wo wir Ihrer habhaft werden können, so mögen Sie sich's deuten, daß ich Sie, als Sie von meinem Vater kamen, zurückrufen ließ.« –

Sie wies Erich ein Tabouret, ihrem Platze am Fenster gegenüber an, und fuhr fort:

»Sie wußten seit Ihrem ersten Besuche bei uns, daß ich Ihnen Mancherlei mitzutheilen habe, Thatsachen, die Sie wahrscheinlich längst wissen, die ich mir aber vorgenommen habe, Ihnen persönlich mitzutheilen. Das wußten Sie, Orion, und kamen dennoch nicht! Sie wußten, wie weit ich die Grenzen überschritten habe, durch welche das Vorrecht meines Standes mich dennoch einschränkt, Sie wußten, was ich mir durch dieses Opfer selbst vergeben habe –«

»Daß Sie sich etwas vergeben haben, dagegen protestire ich, Corona,« sagte Erich mit dem Bemühen, kalt und schroff zu erscheinen; »mein bürgerliches Selbstbewußtsein erkennt ein derartiges Opfer nicht an. Die kurzen Augenblicke, welche wir miteinander – zu vergessen haben, sprechen nicht von der Tochter eines bevorzugten Standes, sondern von einem Mädchen, welches Corona heißt. Das ist die einzige Fassung unsers Verhältnisses, der ich heut noch Aufmerksamkeit schenke.«

»So sprachen Sie bei unsrer letzten Unterredung nicht,« entgegnete Corona mit Unwillen. »Gut denn, so will ich es in Ihrem Sinne behandeln und es zu vergessen suchen, wie sehr Sie mich beleidigen. Ich weiß, daß in Ihrem Herzen Nichts mehr für mich spricht, dennoch aber sollen Sie von mir erfahren, welche Folgen jene Tage in den Bergen für mich gehabt haben. Ich war verlobt, ohne meinen Verlobten zu lieben. Einige glänzende Eigenschaften an ihm fesselten mich, ich gab dem Wunsche meines Vaters nach. Der Umgang mit Ihnen, Orion, entfremdete mich ihm, er bemerkte es, ohne es mich fühlen zu lassen, noch es zu dürfen, denn ich beherrschte ihn. Jene Scene in Zürich auf dem Balkon hatte er mit angesehn, er wollte Sie in der Frühe des nächsten Morgens sprechen, Sie waren entflohn. Jetzt erst sprach er sich gegen mich aus. Hatte jener Abend an sich schon mein Geschick entschieden, so lös'te die Scene, die ich nun mit ihm hatte, unser Verhältniß gänzlich, ich gab ihm mein Wort zurück. Er liebte mich, der Gedanke mich nicht besitzen zu dürfen, brachte ihn zur Verzweiflung, er drang in mich, mein Vater unterstützte ihn, ich blieb bei meinem Entschlusse, mich von ihm zu trennen. Ich reiste mit meinem Vater ab, der weder einen Begriff noch eine Ahnung davon hatte, daß seine Tochter unter ihrem Stande lieben könne – dies müssen Sie dennoch anhören! – und der die Trennung des von ihm gewünschten Verhältnisses allein persönlicher Abneigung zuschrieb. Schon daß er der Neigung oder Abneigung ein Recht einräumte, war viel, für ihn gilt nur der konventionelle Abschluß in dergleichen Verhältnissen, und mein Verlobter war aus einer bedeutenden schottischen Familie, er hatte beschlossen in Deutschland zu bleiben, als ihm meine Hand zugesagt wurde. Das war nun vorbei. Ich reiste mit meinem Vater nach Paris, dorthin war Arthur uns gefolgt, er wiederholte noch ein Mal sein Dringen in mich, ich aber war fertig mit mir, ich mußte ihn abweisen. Hier haben Sie in dürren, kalten Worten das Gerippe dessen, was geschehn ist. Von meinen Kämpfen, von meinen Leiden aber wissen Sie noch Nichts!«

Sie lehnte sich erschöpft zurück, ihre Augen glühten, sie athmete schnell und heftig.

Erich sah schweigend vor sich hin, Beide sprachen lange kein Wort, dann begann er:

»Corona, wenn das Geschick für das, was Sie gethan, wodurch Sie vielleicht zwei Herzen gebrochen, das Ihres Verlobten und das Ihres Vaters, wenn es dafür von mir Rechenschaft verlangt, wie Sie zu glauben scheinen, dann, Corona, werden wir Beide sehr unglücklich sein.«

»Worin besteht hier das Unglück?« entgegnete sie schnell; »doch nur in dem eignen Gefühl! Sie fühlen nichts, so sind sie auch nicht unglücklich. Sie sind vielleicht auch nicht einmal schuldig, ich selbst habt alle Schuld zu tragen, denn ich habe Sie in unseren Kreis gezogen. Sie widerstrebten stets, ich weiß es, einen Augenblick aber glaubte ich mich von Ihnen geliebt, doch das, was Sie damals thaten, war, wie ich jetzt weiß, nur – Mitleid!«

Sie bedeckte bei diesen Worten ihr Gesicht und weinte heftig.

Erich ergriff ihre Hand und sagte:

»Nein, Corona – das ist ein abgeschmacktes Wort! Das war es nicht, aber daß ich nur aufrichtig bin, jugendlicher Uebermut war es, Vergessenheit meiner Selbst. Auch ich habe für diesen Augenblick gebüßt, vielleicht weniger als Sie, doch immer war es ein Ereigniß meines Lebens. Ich danke Ihnen für das, was Sie erzählt haben, und wie Sie es mir erzählt haben, und erkenne ganz seinen Wert an. Aber, Corona, zürnen Sie mir nicht und zürnen Sie nicht dem Schicksal, daß es uns verschieden empfinden ließ. Die Natur hat Sie edel und schön geschaffen, sein Sie auch groß, Corona, vergeben und vergessen Sie, und verbinden Sie sich Ihrem einstigen Verlobten auf's Neue.«

»Niemals! Niemals!« rief Corona leidenschaftlich, aber nach Fassung ringend.

»Sie können ihn achten, sei Ihnen das ein Ersatz für eine Jugendhoffnung, die nicht zu erfüllen war–«

In diesem Augenblicke hörte man mehrmals heftig schellen, dann folgte ein schnelles Hin- und Herlaufen und Rufen, und in der nächsten Minute riß Frau von Stüving die Thür auf und rief: »Um Gotteswillen, gnädigste Gräfin –«

Sie stockte, da sie Erich sitzen sah. »Was ist geschehn!?« fragte Corona.

»Der Herr Graf hat seine bösen Zufälle, und heftiger als jemals!«

Corona winkte ihr mit dem Tuche, nicht weiter zu reden, und flog zur Thür hinaus. Das ganze Schloß war in Allarm, und Jeder ermahnte den Andern im Vorüberrennen, doch um Gotteswillen ruhig zu sein, damit Niemand etwas von der Sache erfahre, wodurch eben nichts Andres bewirkt wurde, als daß nun Alle in Neugier und Aufregung gerieten. Erich ging mit der Gesellschaftsdame in ein in des Grafen Nähe gelegnes Zimmer und bat um Erlaubniß abwarten zu dürfen, wie das Uebel sich gestalten werde. Die Dame vertraute ihm unterdessen, daß der Graf an epileptischen Krämpfen leide, die zwar selten, aber dann um so schrecklicher sich einzustellen pflegten. –

Als Corona in des Grafen Zimmer trat, fand sie den Hausarzt, den Kammerdiener und noch einen Dritten, und zwar diesen am eifrigsten, um den Kranken beschäftigt. Dieser Dritte war der Maler Bernhard. Der Arzt lobte dessen Umsichtigkeit, denn er war der Erste bei dem Grafen gewesen, und trieb alle Uebrigen fort, ausgenommen ihn. Der Kranke erholte sich, er hatte mehre Pergamentblätter krampfhaft mit den Händen umfaßt, die Krankheit mußte ihn bei der Lesung derselben überfallen haben, und sein Erstes war nun, daß er sich seine Schatulle reichen ließ und die Blätter hastig darein verschloß. Corona fragte danach, er aber schüttelte nur mit dem Kopfe, seufzte mehrmals tief auf, es war mehr ein jammerndes Aechzen zu nennen, und sank dann erschöpft und ohnmächtig in den Lehnstuhl zurück.

Erich dankte dem Himmel, als er sich endlich entfernen konnte. Welche Mächte walteten in diesem Hause! Wie war hier bei allem Glanz alles Elend daheim, Krankheit, Selenleiden und unselige Leidenschaft! Er eilte davon, ihm war's, als müsse er angesteckt werden von all dem Unheil. Welche Thaten und Geschicke mußten jene Pergamentblätter enthalten, daß der Graf, der doch die Geschichte seines Hauses im Allgemeinen inne haben mußte, so fürchterlich davon erschüttert werden konnte. Ueber eine Stätte, deren stolze Zinnen einst, den Zeiten trotzend, emporgeschaut hatten, waren nun die Stürme von Jahrhunderten hingerauscht und hatten den Makel grausiger Thaten nicht fortwehen können, so daß selbst noch die Bewohner einer niedrigen Hütte, jener Mühle, in welcher die Muhme gewohnt hatte, in der Gegenwart dadurch zu leiden hatten, indem der Volksglaube eine vielleicht nur zufällige Ähnlichkeit mit Gestalten jener Tage in Verbindung brachte. Und doch waren es dort oben, wie hier unten, rein menschliche Verhältnisse, denen der Aberglaube den Stempel des Dämonischen aufdrückte, denn eben das rein Menschliche, die Leidenschaft, das ungezügelte Streben des Sterblichen, ist der Dämon, der ihn niederwirft, wenn er seinem Drängen freie Bahn eröffnet. –

Als Erich am Nachmittag auf die Gallerie trat, schimmerten ihm farbige Kleider entgegen, die Gesellschaft, welche sich bei ihm angemeldet hatte, erschien. Ulrich mit Frau und Kindern nebst seiner Schwester Sophie und einem kleinen Neffen, der auf einige Wochen zu ihm zum Besuch gekommen war. Das Gelblichsche Geschwisterpar machte die Gesellschaft vollständig. Erich freute sich im Kreise der Seinigen einige erheiternde Stunden genießen zu können, denn ein erheiternder Ruhepunkt war seinem bewegten Gemüt durchaus nötig.

»Puh!« rief der Doktor, indem er sich die Stirn trocknete, »was ist man doch für ein Narr, bei solcher Hitze Landpartieen zu machen, während man zu Hause eine kühle Stube mit aller Bequemlichkeit genießen kann. Daran sind aber wieder die Frauensleute schuld, die gar kein Gefühl für Wärme zu haben scheinen! Himmeltausend – puh! Ein Glas Bier, Lammwirt!«

»O Sie irren,« entgegnete die Hambutte, welche bei ihrer Korpulenz wie ein Bär schwitzte, »Sir irren durchaus, Herr Doktor! Wir Frauen und Mädchen sind jedem edlen Gefühl zugänglich, das starke Geschlecht darf uns nicht in dieser Weise herabsetzen.«

»Nun, wenn Sie denn die Empfindung der Hundstagshitze für ein edles Gefühl halten, geehrtes Röschen, so mögen Sie denn schmerzlos zur glühenden Rose aufblühen, ich aber werde dabei zum schmerzlich gemarterten Braten.«

Die Hambutte schlug geschmeichelt die Augen nieder und sagte schmunzelnd: »Ich sprach nur von Gefühlen im Allgemeinen.«

Im Garten des Lammwirts war ein Tisch gedeckt, Kaffee und Kuchen prangten verlockend darauf, und die Gesellschaft nahm Platz. Die Hambutte fand es entzückend hier, und rezitirte fortwährend schlecht angewandte Stellen aus Dichtern, die Gesellschaft war heiter, wie man auf Landpartieen zu sein pflegt. Beatens ältestes Söhnchen tadelte laut seine Tante Sophie, weil sie sich vom Kuchenteller das größte Stück von unten hervorgezogen habe, Ulrichs neu angekommener Neffe Franz goß den Milchtopf über den Tisch aus, der Regenwurm hatte das Unglück ein Stück Kuchen in den Sand fallen zu lassen, welches im Nu von einem auf dergleichen Eventualitäten schon harrenden Hunde, zum allgemeinen Gelächter, aufgeschnappt wurde, kurz, es fehlte nichts zu einem bunten, lebendigen Familienbilde.

»Wie ist denn jene Katastrophe mit dem Elefanten abgelaufen?« fragte Erich nach einer Weile.

Der Regenwurm zog die Augenbrauen in die Höhe, als habe er eine Sache von unendlicher Wichtigkeit vorzutragen, und antwortete:

»Sie ist zu allgemeiner Zufriedenheit abgelaufen. Das Thier ist nicht nur genesen, es hat sogar ein gesundes Junges zur Welt gebracht. Es ist dies höchst interessant –«

»Allerdings,« rief der Doktor, indem er sich zur Hambutte wendete, »und wie wär's, wenn Sie das liebe Thierchen käuflich an sich brächten! Sie haben ein Schoßhündchen und ein Schoßkätzchen, wie schön würde sich dazu ein Schoßelefantchen als Drittes im Bunde schicken!«

Beate und Sophie suchten ihr Lachen zu verbergen, während Ulrich im Behagen seines eignen Humors sein Zwerchfell jubelnd durchschüttern ließ. Die Hambutte schob in angenommener Verlegenheit ein großes Stück Kuchen in ihren Mund und drohte schalkhaft mit dem Finger.

»Es ist dies ein Fall von ungemeiner Wichtigkeit,« fuhr der Regenwurm fort, »ich habe darüber sogleich an die naturforschende Gesellschaft in der Residenz berichtet und hoffe die ersprießlichsten Erfolge für meine Studien. Vor mehren Jahren ist nämlich in England eine Giraffe ebenfalls niedergekommen, und man pflegte und wartete das auf diese Weise einheimische Exemplar eines Geschöpfes fremder Zonen, mit aller der Sorgfalt, die man einem jungen Prinzen zugewendet haben würde, man machte aber die Entdeckung, daß auf diese Weise die Mutter dem jungen Thier gänzlich entfremdet wurde, sie erkannte es nicht mehr als das ihrige an, nachdem die Menschenhand es an sich gerissen hatte, und verweigerte dasselbe zu säugen. Es lassen sich, daran höchst interessante Untersuchungen über das instinktive Familiengefühl der Thiere knüpfen, auch ich habe eine derartige Abhandlung –«

Die Hambutte ließ ihren Bruder, wenn er von seinen naturwissenschaftlichen Studien sprach, selten ausreden, schnell schnitt sie ihm auch jetzt den Faden seiner Rede ab durch die Frage:

»Haben die Herrschaften denn auch schon von dem wunderbaren Fremden gehört, der vor einigen Tagen im Gasthofe zum blauen Affen in der Stadt, uns gegenüber, eingekehrt ist? Er muß ein bildschöner Mann sein, ich habe ihn nur einmal hinter den Fenstervorhängen nach mir herüber lauschen sehn, seitdem aber bleiben die Fenster den Tag über fest verhängt. Ich habe Erkundigungen über ihn anzustellen versucht, aber nur durch den Barbier Herrn Schnüffelmeier, der wöchentlich zwei Mal zu meinem Bruder kommt, erfahren können, daß er ein großer bildschöner Ausländer sei, der sich niemals rasiren lasse, sondern einen großen schwarzen Bart trage. Außerdem soll er sehr sonderbare Eigenheiten haben. Seinen Namen hat er verweigert ins Fremdenbuch zu schreiben, und als die Polizei aufmerksam auf ihn wurde, hat er dem Polizeirat seinen Namen mitgetheilt, dieser aber hat durchaus Stillschweigen darüber gelobt. Aber denken Sie nur, wie wunderlich! Bei Tage schläft der Fremde meistenteils, Nachts aber geht er aus und kehrt erst bei Tagesanbruch zurück. Ich weiß nicht – aber ich glaube doch meiner Sache gewiß zu sein – ich weiß nicht, was ich davon denken soll, ich habe es aber doch ganz bestimmt gehört, es hat sich nämlich schon seit zwei Nächten eine Guitarre unter meinen Fenstern hören lassen –«

»Das ist der Schusterjunge von nebenan,« entgegnete der Regenwurm, »der vermaledeite Schusterjunge, der bei seiner Harmonika schwärmt, und auch mich schon öfter zur Verzweiflung gebracht hat!«

»Nein,« rief die Hambutte mit Leidenschaft, »es war eine Guitarre oder Cither, ich habe sogar eine Serenade dazu singen hören!«

»Du wirst da ein Opfer Deiner Selbsttäuschung, Schwester, die Serenade sang der Kater unsers Nachbars, des Bäckers, der auf dem Dache jaulte, man kann keine Nacht vor dem Geschrei dieser Bestien schlafen!«

Die Hambutte wandte sich beleidigt ab von ihrem prosaischen Bruder, und Beate schlug einen Spaziergang durch Wald und Berge vor, der mit Beifall angenommen wurde.

Schon am nächsten Baume blieb der Regenwurm stehen, langte eine Schachtel aus der Tasche und legte Etwas hinein, was er eben vom Baumstamme abgelesen hatte.

»Was legen Sie da in die Schachtel?« fragte Sophie.

Er zeigte ihr seinen Fund, und sie fuhr entsetzt zurück.

»Pfui,« rief sie, »pfui! pfui! Das ist ja eine dicke runde Spinne!«

»Es ist eine aramea saccata,« entgegnete er.

»Aber mein Gott, da haben Sie ja noch eine ganze Schachtel voll Ungeziefer! Abscheulich! Abscheulich! Nur das eine grüne Käferchen ist allerliebst!«

»Carabus sycophanta,« entgegnete der Regenwurm. »Uebrigens aber, mein Fräulein, ist in der Wissenschaft Nichts allerliebst oder abscheulich, sondern Eins ist so wichtig wie das Andere, und der Lucanus cervus ist so schön wie die forficula auriculata.«

»Zeigen Sie mir doch das letztere Thier. Pfui, das ist ja ein ganz gemeiner Ohrwurm! Ich dachte an Aurikeln.«

»Ja, mein Bruder ist entsetzlich,« sagte die Hambutte, »Nichts hat er im Kopfe als die botanischen Namen seiner Bestien!«

Der Regenwurm wollte eben aus der Haut fahren über diesen Schnitzer seiner Schwester, eins von den Kindern brachte ihm aber eben einen wichtigeren Gegenstand für seine Aufmerksamkeit.

»Ei ei, Kleiner, was hast Du da,« sagte er mit erfreuter Miene, »das ist ein bostrichus typographus oder Borkenkäfer –«

»Ach, was gehen uns Deine typographischen Mostrichkäfer an!« fuhr die Hambutte auf ihn los. Sie faßte Sophien unter den Arm und zog sie mit sich mit den Worten: »Wir Mädchen wollen im Grünen schwärmen, kommen Sie!«

Die Gesellschaft zerstreute sich nun in kleinen Zwischenräumen im Walde. Beate und Erich gingen voran, der Doktor mit den Kindern und dem Regenwurm folgte, die Hambutte wurde sentimental, Sophie pflückte Sträußchen und sang ein Lied, das weit durch die Thäler dahintönte:

Wenn ich ein Vöglein wär,
Flög ich zu dir!
Tausend Mal klang es her,
Drüben und hier.
Wie auch die Zeit entflieht,
Ewig das alte Lied:
Wenn ich ein Vöglein wär,
Flög ich zu dir!

Fröhliche Wiederkehr
Hoff' ich, ach, kaum,
O du herztraut Begehr,
O du mein Traum!
Daß die Welt behüt,
Das wünscht mein ganz Gemüt,
Wenn ich ein Vöglein wär,
Flög ich zu dir!

» Scarabaeus stercorarius;« belehrte der Regenwurm die Knaben, die umher sprangen und ihm oft die allerzweideutigsten Gegenstände brachten für seine Schachteln. Sophie ließ sich nicht stören und fuhr

fort:

Schwalben, dort schweben sie
Schönerm Land zu,
Selig erstreben sie
Heimat und Ruh.
Wie auch die Zeit entflieht,
Ewig das alte Lied:
Wenn ich ein Vöglein wär,
Flög ich zu dir!

Unterdessen waren Erich und Beate der Gesellschaft weit vorausgeeilt, die erfahrene Schwester hatte zu ihrem Betrüben gar bald gemerkt, daß Erichs Sele etwas bedrücke, sie hielt daher den Augenblick für passend, ihn auf's Gewissen zu fragen. Erich fühlte allerdings auch das Bedürfnis, seinem so vielfach bedrängten Herzen durch Mittheilung Luft zu machen, er schüttete daher die ganze Last seines Kummers in das trostreiche Schwesterherz aus. Er bekannte ihr seine Liebe zu Sabinen, erzählte ihr seinen gestern gehabten Auftritt mit Johannes, ja er ließ sie sogar in sein Verhältniß zu Corona Blicke thun. –

Beate erstarrte. Ihr eignes Leben war so konfliktlos, die Geschichte ihrer Liebe so plan und einfach gewesen, daß sie hier das Unglaubliche zu hören meinte. Ulrich hatte einst um ihre Hand geworben, er hatte sie ohne Schwierigkeit erhalten. Drei Monate darauf waren sie verheiratet, sie lebten in einer glücklichen Ehe, Beate war Mutter zweier gesunden frischen Knaben, äußerer Wohlstand machte ihr das Leben leicht und sorgenlos – das waren ihre ganzen Erlebnisse.

Jetzt aber ließ Erich sie in Verhältnisse blicken, die sie immer nur in gedruckten Romanen für möglich erachtet hatte, daß ein Mensch dergleichen wirklich erleben könne, das hatte sie niemals geglaubt. Noch vor wenigen Wochen allerdings hatte sie mit Genugthuung daran gedacht, daß die Gräfin vielleicht eine stille Neigung zu ihrem Bruder haben könne, daß die Beiden aber so weit mit einander wären, das erfüllte sie mit Schrecken. Ja sie fühlte sich sogar ein wenig verletzt, daß der Bruder, den sie wie eine Mutter liebte, und auf den sie gern auch noch in der Gegenwart die Macht ausgeübt hätte, die sie in seiner Kindheit über ihn gehabt hatte, so lange diese Geheimnisse vor ihr bewahren konnte.

»Wie das enden soll, Erich,« sagte sie, »das weiß der Himmel! Ist es denn aber überhaupt möglich? Zwei Liebesverhältnisse auf einmal, und beide durchaus verderblich. Dein Verhältniß zu Corona lasse ich ganz bei Seite, es versteht sich von selbst, daß dieses vorüber ist. Aber das andre, Deine Liebe zu Sabinen, ist noch viel weniger zu billigen. Bedenke doch nur Deine Stellung in der Welt, und dann sieh das unbedeutende Mädchen an!«

»Unbedeutend?« fragte Erich, »was nennst Du so? Weil sie in niedrigem Stande geboren ist? Das gilt mir sogar als ein Vorzug. Sie ist ein Engel, ein Kind der Natur, so schön und lieblich, wie es kein zweites giebt! Habe ich doch einst aus Deinem eignen Munde ihr Lob gehört, warum setzest Du sie heut herab? Sabine muß mein werden, sie ist für mich erschaffen.«

»Thorheit! Ihr seid Kinder, alle Beide seid Ihr Kinder!«

»Was mich betrifft, Beate, ich bin kein Kind, ich bin ein Mann, ich weiß was ich will, und ich habe sie gewählt.«

»Bildet Euch doch nur um Gotteswillen nicht ein, daß sich solche Jugendideen und Hoffnungen realisiren ließen. Ihr seid Beide zu jung, zu überschwänglich, um solche Verhältnisse übersehen zu können. Du hast noch Jahre lang zu arbeiten, denn wenn Dir gleich Deine äußeren Lebensumstände erlauben, ohne ein Amt oder dergleichen dazustehn, so war es ja doch stets Dein Wille und Streben Dir einen festen, sicheren Wirkungskreis zu gründen.«

»Das ist auch jetzt noch meine Absicht.«

»Dergleichen Träumereien hemmen Dich aber in Deinen Bestrebungen. Du bist dreiundzwanzig Jahr, ist das ein Alter, um an ernste Liebesverhältnisse zu denken? Ulrich war sechsunddreißig, als er mich heiratete. Von Dergleichen darf nun aber zwischen Euch gar nicht die Rede sein. Bist Du darin so blind, so sehe ich desto heller und werde nun selbst die Sache in die Hand nehmen, Sabine muß fort von hier, ich lasse mir den Weinbauer kommen und rede mit ihm, ich will das Mädchen schon unterbringen.«

»Nein, Beate, das wirst Du nicht, laß Du Deine Hand durchaus aus dem Spiele –«

»Beruhige Dich, es kommt mir zu, hier thätig einzugreifen. Es sind verständige Hände nötig, um diesen Konflikt zu lösen.«

»Ich protestire durchaus gegen Deine Einmischung, Beate!« rief Erich mit Eifer. »Ich lasse sie mir unter keinen Umständen gefallen, und greifst Du dennoch ein in ein Verhältniß, das mit allen seinen Folgen mein ist, das ich ganz allein zu vertreten habe, so stehe ich für nichts, Schwester! Ich kann es dahin bringen, daß Alles sich friedlich lös't, willst Du aber durchaus ein Theil an der Lösung haben, so machst Du die Sache noch schlimmer, Du machst uns Alle unglücklich. Ich bin Mann genug, um selbstständig denken und handeln zu können, willst Du mich daran hindern, so ist die Thorheit auf Deiner Seite. Ich bitte Dich also, bringe es nicht dahin, daß ich das Vertrauen, das ich Dir schenkte, bereuen muß.«

Beate schwieg verletzt einige Augenblicke, während Erich aufgeregt neben ihr her ging. Eben wollte sie wieder reden, als Sophie mit Geschrei auf sie los stürzte, und hinter ihr her der Regenwurm, dessen lange Rockschöße im Winde flogen.

»Was giebt es denn?« fragte Beate, durch die Unterbrechung des Gespräches nur noch unwilliger.

»Rettet mich vor dem Professor,« rief Sophie, »er ist verrückt geworden, will mich am Kleide festhalten, und spricht fortwährend von Sphinxen und Pilastern!«

Erich hielt den keuchenden Professor fest, dieser aber schrie, indem er wieder hinter Sopieen, die ihrerseits sich hinter Beaten versteckte, zu kommen suchte:

»Verscheuchen Sie mir doch das prachtvolle Exemplar nicht!«

»Ach Gott, er spricht irre, er nennt mich ein Exemplar!«

»Ist Ihnen denn ganz wohl, Herr Professor?« fragte Erich.

»Allerdings, aber lassen Sie mich, sie fliegt mir davon!«

»Um Gotteswillen,« rief Sophie, »was wollen Sie denn aber mit den Sphinxen»und Pilastern?«

»Mißverständniß!« entgegnete er athemlos; »es sitzt eine ganz vortreffliche sphinx pinastri hinten am Saume Ihres Kleides, ach Gott, verscheuchen Sie mir nur das vortreffliche Exemplar nicht!«

Erich sah nach, während Sophie immer noch ihr Grausen nicht los werden konnte, und fand eine große graue Kiefernmotte, die er dem Professor reichte, der mit erleichtertem Herzen das Exemplar unverletzt fand und es in eine Schachtel steckte. Der Doktor kam lachend angeschritten, die Kinder sprangen herzu, die Hambutte warf ihrem Bruder einen Blick der Entrüstung zu. Die Gesellschaft war wieder beisammen, Beate konnte ihr Gespräch mit Erich nicht wieder aufnehmen. Der Doktor scherzte über die Sphinxe und Pilaster, Sophie beruhigte sich auch wieder, und der Regenwurm suchte den Schreck, den er ihr bereitet hatte, wieder gut zu machen, indem er eine schöne verspätete Waldanemone pflückte und ihr dieselbe zu ihrem Strauße überreichte. Auch der Doktor suchte sich nun bei der Hambutte niedlich zu machen und pflückte ihr einen Strauß von Disteln und trocknen Zweigen, wodurch sie jedoch keineswegs angenehm überrascht wurde. Inzwischen sank die Sonne tiefer und die Gesellschaft rüstete sich zum Heimweg.

Erich trat beim Abschied noch ein Mal zu Beaten und flüsterte ihr zu:

»Ich hoffe, Du wirst über mein Geheimniß schweigen,«

»Ich glaube nicht, daß ich Dir das versprechen darf,« entgegnete sie, »ich werde mit meinem Manne sprechen.«

»Beate,« rief Erich leidenschaftlich, aber mit leiser und zusammengepreßter Stimme: »Beate, wenn Du nur Einen Schritt thust ohne mein Wissen, so mache Dich auf das Schlimmste gefaßt!«

Beate sah ihm in's Gesicht, er kam ihr in diesem Augenblicke so fürchterlich vor, daß sie ihn nicht wieder anblicken konnte. Darauf begann die Gesellschaft ihre Heimwanderung, Beate schweigend und mit sehr betrübtem Herzen. –

Am Abende dieses Tages ging noch Etwas vor, wobei Erich zwar persönlich nicht betheiligt war, was aber in der Folge nicht ohne Einfluß auf ihn blieb, weshalb ich es nicht unerwähnt lassen darf. Bernhard war, wie wir bereits wissen, mit der Abholung jenes verhängnißvollen Bildes beauftragt. In der Dunkelheit des Abends stieg er hinauf zur Ruine, zwei Diener des Grafen folgten ihm, deren Einer eine Laterne trug, denn der Graf hatte verboten, Fackeln anzuzünden, damit die Sache kein Aufsehn errege.

Bernhards Streben war jetzt, sich um jeden Preis im Hause des Grafen unentbehrlich zu machen, und wo man ihm nicht entgegenkam, suchte er dies durch Zudringlichkeit zu bewerkstelligen. Er wollte Erich von hier verdrängen, der, wie er glaubte, hier Anknüpfungspunkte suchte, und ließ kein Mittel unangewendet, zu seinem Ziele zu gelangen. Er hatte im Grunde niemals viel von Erich gehalten. So lange dieser ihn aus seinen Mitteln unterstützt, ihn auf Reisen mitgenommen, über seine tollen Streiche, so lange sie nur einigermaßen eine harmlose Natur bewahrten, gelacht hatte, so lange hatte er seinen Umgang fest gehalten. Bernhards Charakter war aber ein durchaus verwahrlos'ter. Seine Talente waren eine falsche Bahn gegangen, seine Jugend ohne rechte Anleitung gewesen, und wie er sie durchtobt hatte, das wissen wir schon aus seinen Selbstbekenntnissen.

Jetzt, da er in Erich einen Rivalen zu sehen glaubte, schoß der Bodensatz von Kraft und Festigkeit in ihm plötzlich empor, aber nicht mehr vollkräftig und gesund, sondern als krankhaft aufbebendes Fiebern, das sich wie eine Giftpflanze in Argwohn, mißgünstigen Ehrgeiz und Haß durch seine Brust verzweigte und seine Minute ruhen zu dürfen glaubte, um jedem Streich seines vermeinten Gegners gewappnet entgegen zu treten.

Als er gestern nach jener Scene der Entzweiung von Erich gegangen war, hatten ihn seine Füße fast willenlos zurückgeführt. Er hatte den Fackelschein auf der Ruine bemerkt, die Neugier lockte ihn, er schlich ihm nach, kam so zu der Entdeckung des Bildes, welches er nun heut abholen sollte.

Er war jetzt mit seinen Begleitern auf den Trümmern angelangt. Er hatte sich den Weg durch jene finsteren Stufengänge wohl gemerkt, schob den Riegel der eisernen Thür, welche zum Gewölbe führte, auf, und stand jetzt mit seinen Begleitern in dem feuchten kalten Felsenkeller. Kaum aber waren sie eingetreten, als mit Gewalt die Thür von außen zugeworfen und der Riegel von fremder Hand vorgeschoben wurde. Das plötzliche Zukrachen der Thür erfüllte die beiden Diener, die vor dem Orte an sich schon ein Grausen mitbrachten, mit Todesschrecken, schreiend stürzte der Eine zu Boden, der Andre taumelte an einen Pfeiler und fiel ebenfalls nieder, die Laterne zerschellte am Boden, das Licht ging aus, und sie waren eingesperrt hier im dunkeln, von aller Hülfe entfernten Felsenverließ.

Bernhard faßte sich zuerst wieder, er rüttelte an der Eisenthür, sie gab nicht nach. Er lief, er schrie nach Hülfe, Niemand hörte ihn, und bei dem dumpfen Dröhnen des Halles in dem weiten Gewölbe wimmerten und ächzten die beiden angsterfüllten Diener immer auf's Neue. Diese waren außer sich, daß sie sich zu diesem Unternehmen hergegeben hatten, alle Hexereien und bösen Einwirkungen, die im Volke diesem Orte beigelegt wurden, traten vor ihre Sele, sie verwünschten sich selbst und jenes Gemälde stets von Neuem.

Die Lage, in der sich die drei Eingesperrten befanden, war aber auch peinlich und erschütternd genug. Hier begraben zu sein in der Tiefe der undurchdringlichen Felsenmauern, im Finstern, in der ungesunden feuchten Kellerluft, vielleicht sogar dem Hungertode preis gegeben zu sein, das war eine genügend beängstigende Aussicht. Bernhard hatte nur Einen Gedanken, den: daß Erich ihm diesen Streich gespielt habe. Er schäumte vor Wut, er hätte rasen mögen. Bald aber legte sich die Aufregung, Ueberlegung trat an ihre Stelle, und ein Gelübde that er sich im Stillen, das seine ganze Rache, seinen ganzen Haß umfaßte. Doch schon darin, daß er ein Gelübde thun konnte, lag die Hoffnung, aus dieser Gefahr zu entkommen.

Er durchsuchte seine Taschen nach seinem Messer, das er sonst bei sich zu führen pflegte, um den Versuch zu machen, das Schloß der Thür aufzubrechen, es fehlte ihm heute, und die Pistole, die er zu sich gesteckt hatte, konnte ihm jetzt nichts nützen. Da fühlte er in einer Tasche ein Kästchen mit Streichhölzern, das war ein Hoffnungsanker! Mit Mühe machte er in dem feuchten Raume Licht, und untersuchte ihn. Er fand nach langem Umhertappen jenen zweiten Ausgang, stieg langsam weiter, immer höher in den dunklen Gängen, und als er endlich das Freie erblickte, kehrte er zurück, um seine beiden zaghaften Gefährten mit dem Gemälde abzuholen.

Zögernd schickten diese sich dazu an, das ziemlich breite Bild mußte mit großer Mühe durch die engen Gänge gedrängt werden, und unter tausend Ausrufungen der Angst und des Ingrimms waren sie endlich so weit, daß sie die Sterne wieder sahen. Da sprang eine Gestalt um die Ecke, erfaßte den Maler, und suchte ihn nieder zuwerfen. Dieser glaubte, Erich habe ihm aufgelauert, nahm alle Kraft zusammen und riß sich los, dann zog er blitzschnell die Pistole und drückte sie los. Die Gestalt aber hatte den Lauf der Pistole glänzen sehn, sprang eben so schnell um eine Mauer, hinter welcher sie verschwand, und der Schuß ging in die Luft.

»Jetzt fort,« rief Bernhard, dessen Fibern krampfhaft zuckten, »macht daß Ihr mit dem Bilde hinunter kommt!«

Er brauchte den Befehl nicht zu wiederholen, denn die angsterfüllten Diener flogen mit ihrem Raube, wie vom wilden Heere gejagt, dahin. Er selbst folgte ihnen, sich häufig nach seinem Verfolger umsehend, und in fürchterlicher Spannung aller seiner Sehnen, denn, eingedenk, daß er keine Waffe weiter bei sich habe, während er seinem Feinde vielleicht noch ein Mal begegnen könne, mußte er sich auf die Kraft verlassen, welche die Todesangst, gepart mit dem brennendsten Gefühl des Hasses, ihm einflößen würde.

Jetzt waren sie im Dorfe, bald auch im Schlosse, die Entführung des Gemäldes war gelungen, Bernhard triumphirte. Droben aber auf dem Gemäuer wankte noch Einer umher, dem man heut ein theures Kleinod geraubt hatte, das war der Mathes. Erich schlief längst, er hatte, nachdem seine Gesellschaft ihn verlassen, noch ein Mal vergeblich Johannes aufgesucht, Abends aber war er nicht aus dem Hause gegangen.

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