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9.
Die Hexenmühle.

Die Thurmuhr hatte eben die zehnte Stunde geschlagen, folglich war es bereits tiefe Nacht im Dorfe, nur in wenigen Häusern waren die Fenster noch hell, und die meisten Leute schliefen schon fest nach des Tages Last und Hitze – aber nein, es war ja Sonntag gewesen, also schliefen sie nach gehabter Erquickung neuer Arbeit entgegen. Unter den Bäumen vor dem Wirtshause, wo die Lampe schon immer dunkler schwelte, saß noch eine kleine Gesellschaft um den Tisch bei allerhand Erzählungen. Sie bestand aus dem Weinbauern, dem Dorfschulzen, zwei Frachtfuhrleuten, die im Wirtshause eingekehrt waren, und dem Lammwirt in eigner Person. Als Erich sich zum Tische gesellte, hörte er den Dorfschulzen eben sagen:

»Und ich bleib' dabei, an dem Mathes ist nie kein Gutes gewesen, Ihr müßt's ja selbst spüren, nun er Euch aus dem Dienste gelaufen ist, wer weiß wohin.«

»Und ich bleib' dabei,« entgegnete der Weinbauer, »der Mathes ist rechtschaffen. Ihr kennt den Mathes nicht, Schulze, sonst würdet Ihr nicht so reden. Wer kann für's Unglück?«

»Unglück? War das auch bloß Unglück, von wegen der Else?«

»Was da, der Jugend kann man nicht gar viel anhaben. Nicht daß ich mein', er hätt' da groß' Recht gethan, er hat die Geschicht' aber sauer genug büßen müssen.«

»Was ist das für eine Geschichte?« fragte Erich.

»Ich erzähl' sie ein ander Mal, der Schulze und der Lammwirt wissen sie schon,«

»Erzählt, erzählt!« riefen die beiden Fuhrleute; »wir sind unsrer Drei, die sie noch nicht wissen, also Stimmenmehrheit. Erzählt also, Weinbauer.« –

Auch Erich forderte aufs Neue dazu auf.

»Nun meinetwegen,« sagte der Weinbauer, indem er seine kurze Pfeife von Neuem stopfte. Die Uebrigen rückten näher, legten die Arme auf den Tisch und hüllten sich in eine Wolke von Tabaksqualm, waren also in der gehörigen Positur des aufmerksamen Zuhörens.

Der Weinbauer that noch einen langen Zug aus seinem Schoppen und begann:

»Es war grad im März vor drei Jahren, da kam der Mathes aus der Fremde zurück nach Heimbach, wo er geboren ist. Er hatte schon von früh auf einen Drang gehabt, die Welt zu sehn, und schon in seinem vierzehnten Jahre war er seinen Eltern davongelaufen in die Wett, und sie haben nichts mehr von ihm gehört. Drauf starben sie beide schnell hinter einander, sie waren arm und hinterließen nichts als hier und da Etwas cm Schulden. Die Gläubiger machten sich gleich über das Haus und das Stückchen Ackerland her, um zu dem Ihrigen zu kommen. – Der Mathes aber, wie er zwanzig Jahr alt war, bekam Lust, wieder 'mal zu sehen, wie es in der Heimat zugehe, und ist wieder retur gekommen. Das waren, wie ich gesagt hab', im März grade drei Jahr her, ich weiß das ganz genau,« versicherte der Weinbauer, »und der Lammwirt muß das auch wissen.«

Der Lammwirt nickte bejahend.

»Wie der Mathes nun so den Berg herunter kam den Fahrweg ins Dorf, da merkte er, daß Vieles anders geworden war. Auf der Stelle, wo seiner Eltern Haus gestanden, da war jetzt ein besseres gebaut, und auf dem Kirchhof zeigte man ihm die Gräber seiner Eltern, zwischen denen schon ein großer Holunderstrauch aufgewachsen war, Kinder spielten noch genug im Sande auf der Straße, aber er kannte sie nicht. Er sah viele neue Häuser und noch mehr neue Gesichter, die ihn groß ansahen aber nicht grüßten. Aber die Sonne schien noch wie früher, die Berge standen auch noch, und das Wasser floß seinen alten Weg. Von der Wiese läuteten noch die Kuhglocken durcheinander, und der alte Gemeindehirt saß auch noch am Wege und sang wie sonst sein Lied. Der hat ihn auch sogleich wieder erkannt, und ihm die Hand zum Willkomm gegeben. Drauf hat sich der Mathes zu ihm gesetzt und den Hund gestreichelt, und hat sich vom Gemeindehirten erzählen lassen, wie's im Dorfe unterdessen zugegangen war. Der hat ihm drauf geraten, er solle zum Lammwirt gehn, der brauche einen rüstigen gesunden Knecht, und das hat der Mathes auch gethan, und hat sich dem Lammwirt verdungen.«

Der Lammwirt nickte bejahend.

»Ja, da war nun bald des Verwunderns viel im ganzen Dorfe. Der Mathes war der schönste Bursch, den man jemals in Heimbach gesehn hatte, und wo er sich sehn ließ, da gukten die Mädel ihm verstohlen nach, und die Alten konnten's ihnen nicht 'mal verbieten, denn sie sahen über die Schultern der Jungen auch nach ihm hin. Wie's nun aber zu gehn pflegt, daß Schönheit und Reichtum selten beisammen sind, so konnte auch keins von all den Mädchen daran denken, den Mathes zu heiraten, denn er war blutarm. Der Mathes dachte aber auch an nichts weniger, als an heiraten, er war so schüchtern, daß er immer die Augen wegwandte, wenn ihn Eine ansah, er ging auch auf keinen Tanz oder Lichtkarz, oder wenn er gar hinging, so nahm er seine Geige, die er aus der Fremde mitgebracht hatte, und spielte mit den Spielleuten, tanzen mochte er aber gar nicht. Wenn am Feierabend die Bursche sich zusammenthaten und singend durchs Dorf zogen, da ging er mit seiner Geige weit weg aus dem Dorfe auf den Berg und spielte sich allein ein Lied, das war ihm lieber als all das Gelärm.

Da stand nun eine Stund' vor dem Dorfe eine Mühle, man kann sie noch sehn da im Bachgrunde zwischen den Bergen, die nennen die Leute die Hexenmühle. Die Mühle hatte einem reichen Müller gehört, dem fing sein Geschäft an zu stocken, bald gings gar nicht mehr, und plötzlich war der Müller verschwunden. Die Leute sagen, der Teufel hab' ihn geholt, das ist aber dummes Zeug und Geschwätz von den Leuten.

Der Müller hinterließ eine Tochter von funfzehn Jahren, und eine alte Muhme, die hatte die Siebenzig schon hinter sich. Was sollten nun die Zwei machen? Die Mühle wurde schadhaft, das Rad ging in Stücken, das Dach kriegte Windlöcher, Alles ging auseinander. Die Muhme mußte ein Stück Gerät nach dem andern verkaufen, und zuletzt blieb ihr kaum noch das Nötigste. Von Vieh behielt sie nur eine Ziege, die weidete hinter der Mühle den Berg hinauf an den frischen Kräutern und Sträuchern.

Aber wie nun böse Zungen von dem Müller gesagt hatten, er habe mit dem Teufel im Bündniß gestanden, der ihn erst reich gemacht und dann geholt habe, so wandten sie sich auch auf die alte Muhme und auf die junge Else. Denn weil die verfallene Mühle zuletzt so wüst und schauerlich aussah, so meinten sie, das gehe nicht mit rechten Dingen zu, und es war doch ganz natürlich. Der Muhme sagten sie nach, sie sei eine böse Hexe, die Menschen und Vieh Krankheiten anhauche, und der Else gingen sie auch immer aus dem Wege. Wenn die Muhme dergleichen hörte, so hat sie nur immer geseufzt, und ist ruhig an ihrem Krückstock weiter gehinkt, aber was die Else betrifft, so war's mit der freilich nicht ganz richtig. Erstens sah sie dem Gesicht auf dem verwünschten Bilde da in der Kapelle aufs Har gleich« –

»Was ist das für ein Bild?« fragte einer der Fuhrleute.

»Ja da müßt' ich zwei Geschichten auf einmal erzählen! Es war eben ein Bild, von dem nichts Guts zu sagen war. Die Else also war zwar immer still, aber in ihren Augen glänzte es oft gar unheimlich, und dabei geberdete sie sich wie ein Kind. Wenn's aber Nacht wurde und der Vollmond schien, so stieg sie aus dem Fenster, oft im bloßen Hemd, kletterte die alten morschen Bretter und Sparren hinauf, und wandelte langsam drauf hin. Unter einem Andern wär Alles gleich kurz und klein gebrochen, unter ihr aber hielt es fest, sie mochte auch auf die dünnsten Brettlein treten, und dabei murmelte sie immer, wie im Traume, vor sich hin, bis der Morgenstern aufging, dann stieg sie wieder zum Fenster hinein, und wußte des Morgens selber nichts mehr davon.

Ich hab' mich erst auch drüber entsetzt,« schaltete der Weinbauer ein, »später aber hab' ich sagen hören, das sei eine Krankheit, man nenne so einen Menschen mondsüchtig. Aber das war nun eben genug für die Leute, daß sie sich vor den zwei Frauenzimmern aus der Mühle fürchteten, und ihnen alles Ueble nachsagten.

So kommt der Mathes eines Abends mit der Geige den kleinen Bergpfad herabgeschritten, und hört in der Nähe Jemand seinen Namen aussprechen. Er dreht sich um, da steht die Muhme und winkt ihm. Drauf geht er getrost auf sie zu und sagt ein: ›Grüß Gott!‹ – ›Mathes,‹ spricht die Muhme, ›meinst Du auch, ich sei eine Hexe?‹ – ›Ich glaub' an keine Hexen,‹ antwortete der Mathes. – ›Guck, das ist brav,‹ fährt die Muhme fort, ›es hätt' mir auch weh gethan. Du kannst's nicht mehr wissen, aber ich weiß es noch, wie Du ein ganz klein Kindle warst, kein so herzigs Bürschle hat's je gegeben. Da hab' ich Dich gar oft auf dem Arm geschaukelt, und das hat seinen guten Grund gehabt. Aber jetzt komm mit mir in die Stube, ich will Dir 'was geben.‹

Sie gingen Beide nach der Mühle, und als sie an den Bach kamen, sagte der Mathes: ›Der Steg über das Wasser muß mit Nächstem herunterbrechen, ich will Euch einen neuen machen.‹ – ›Ja,‹ spricht die Muhme, ›mach' uns einen neuen, Mathes. Ich fürcht' immer herunter zu fallen. Ich selbst kann da nicht angreifen, und der alte Gemeindehirt, der der Einzige ist, der seit einem Jahr noch zu uns kommt, war auch schon lange nicht hier.‹ –

In der Mühle war's schlimm bestellt, das merkte der Mathes gleich, Alles war morsch und brach und knackte, wo er seinen Fuß hinsetzte, solche kräftige Tritte mochte das alte Gebäu nicht mehr aushalten. Die Muhme aber schlich an eine alte wurmstichige Truhe und holte ein Papier heraus, in das ein grünes Seidenband gewickelt war.

›Guck, Mathes,‹ sagte sie, ›dies Band hat mir Dein seliger Vater geschenkt, wie er noch jung war und ich auch. Wir mochten uns gern, aber damals war er arm und ich reicher Eltern Kind, die wollten's nicht zugeben, daß wir uns kriegen sollten. Dein Vater hat nachher eine Frau gebraucht, und da hat er Deine selige Mutter geheiratet, ich aber bin, als ich hernach mündig wurde, zu meinem Bruderssohn hier auf die Mühle gezogen und bin ledig geblieben bis heut. Wenn ich Dich anseh, Mathes, so ist mir's, als stünd' Dein seliger Vater vor mir, so schmuck war er grad wie Du. Guck, das Band hier hab' ich immer gehalten, wie ein Kleinod, jetzt aber will ich Dir's schenken, es ist von Deinem Vater, und Du bist, außer dem Gemeindehirten, der einzige Mensch, der seit einem Jahr freundlich zu mir gesprochen hat.‹ –

Wie der Mathes das Band in Händen hielt, lief ihm eine Thräne über die Backen, denn er dacht' an seine Eltern, die Muhme aber sah ihm in's Gesicht und fing bitterlich an zu weinen. Der Mathes gab ihr drauf die Hand und sagte: ›Gebt Euch zufrieden, wenn Ihr was braucht, so mögt Ihr's mir nur sagen.‹

Indem er so sprach, geht die Thür auf und die Else kommt herein. Aber – den Mathes erblicken, einen Schrei ausstoßen und schnell davon laufen, das war Eins. – ›Was fällt der Else ein?‹ fragt der Mathes verwundert. – ›Ja, so macht sie's immer, wenn sie Dich sieht,‹ sagt' die Muhme; ›gleich läuft sie davon, und die Thränen stürzen ihr aus den Augen.‹ –

So vergingen einige Wochen, Der Mathes machte den Steg über den Bach zurecht, ja er that noch mehr. Alles, was er sich an seinem Lohn abknappen konnte, brachte er der Muhme, und die nahm es ohne Bedenken an. So oft er Zeit hatte, ging er auf die Mühle, nagelte hier ein Bret fest, setzte dort eine Latte ein, fügte die zerbrochenen Stühle wieder zusammen, und dann erst ging er mit seiner Geige auf den Berg.

Oft hatte er bemerkt, wie die Else ihm nachgeschlichen, aber immer wieder davon gelaufen war, sobald er sie erblickte. Einmal aber war sie ihm doch zu nahe gekommen, und er rief ihr zu: »Bleib hier, Else, ich thu' Dir kein Leid!« – Die Else wurde rot über's ganze Gesicht, als er ihre Hand ergriff. Wie sie aber aufsah und mit ihren Augen auf sein schönes junges Gesicht traf, da kam's plötzlich ganz wunderbar über sie, sie fuhr mit den Armen um seinen Hals und küßte und preßte ihn so heftig, und schluchzte dabei so, daß der Mathes Mühe hatte, sie wieder zu sich zu bringen. –

Von nun an waren sie jeden Abend beisammen, sie stiegen auf den Berg und schauten weit über's Land hin, wenn die Sonne hinter'm Gebirge unterging. Da spielte der Mathes Lieder auf seiner Geige, die Else aber steckte das grüne Band auf seinen Hut und machte Kränze von Waldblumen, einen für sich, einen für den Mathes, und einen für die Ziege, denn die lief ihr überall nach. Das war nun eine schöne Zeit für den Mathes und die Else, die Abende waren warm und der Sommer lang. Aber wie es nun so zu gehen pflegt, so ging es auch hier. Beide waren jung, sie waren immer allein in Wald und Bergen, so ward in ihnen die Natur mächtig, das junge Blut ist heiß und kennt nicht Widerstand, und wer kann der Jugend wehren?

Es ist grade wie beim jungen Wein,« bemerkte der Weinbauer, »der gährt und möcht' alle Bänder am Fasse sprengen, zu der Zeit muß man sein am meisten Acht haben. – So ging es nun den Sommer über und weit in den Herbst hinein, wie der Wein schon stark Farbe ansetzte. Jetzt aber kam der Winter und der erste Schnee war schon gefallen. Da nahm eines Tags die Muhme, den Mathes vor und sprach:

›Mathes, Du siehst wie es nun ist. Ich mach' Dir keine Vorwürfe darüber, wie es um die Else bestellt ist, wenn's anders gegangen wär', so wär's eben anders gekommen. Wenn die Kirche näher wär und der Pfarrer menschenfreundlicher, so würd' ich Euch Beide zusammen geben lassen, aber die Schande vor dem Pfarrer hielt ich nicht aus.« –

Der Mathes schlug die Augen nieder und wurd' feuerrot, die Muhme aber fuhr fort:

›Guck, Mathes, so müssen wir so lange warten, bis Dein Kind auf der Welt ist, und dann laßt Ihr Euch trauen. Jetzt aber ist kein andrer Ausweg, als daß Du zu uns ziehst in die Mühle und Deinen Dienst aufgiebst, Du kannst nachher auf Tagelohn gehn. Ich selbst kann wenig schaffen, die Else auch nicht, also muß Einer bei uns sein, der uns hilft. Ich sag' Dir's nochmal, Mathes, ich mach' Dir keine Vorwürfe, aber Du mußt nun hier Deine Pflicht erfüllen, es geh wie's geh.‹

Der Mathes sah das ein und versprach Alles, ging auch noch selbigen Tags zum Lammwirt und erzählt' es ihm, und sagte seinen Dienst auf. Der Lammwirt kannte den Mathes als den fleißigsten und rechtschaffensten Burschen, er gab ihm seinen vollen Lohn und erbot sich auch, bei dem Kinde Gevatter zu stehn.«

Der Lammwirt nickte bejahend.

»So zog nun der Mathes in die Mühle. In den ersten Tagen hatte er gleich genug zu thun. Da ging es an ein Hämmern und Arbeiten, und er brachte wenigstens die Stube und Kammer in Ordnung, daß sie vor dem Wetter geschützt waren. Die ganze Mühle in Stand zu setzen, das ging freilich nicht an, dazu hätt' er wol fünfhundert Gulden gebraucht, und er hatte doch nur noch zwei, denn sein übriger Lohn war von ihm schon auf die nötigsten Bedürfnisse der Else und der Muhme verwendet worden. Nachdem er nun drei Tage in Haus und Hofe das Nötigste geschafft hatte, ging er auf Tagelohn, der Lammwirt hatte ihn gleich zuerst bestellt, und verschaffte ihm so viel Arbeit, daß er genug verdienen konnte.

Während er nun den Tag über beschäftigt war, machte sich die Muhme über ihre alte Truhe her, und holte einige noch ganz gute Stücke Zeug hervor, die sie von früher verwahrt hatte, die zerschnitt sie und machte Kinderzeug daraus. Mit der Else aber war das eine schlimme Sache. Sie konnte nicht nähen und nichts und wenn die Muhme es ihr auch zehnmal vorgemacht hatte, so war's, als wär ein Kind drüber gewesen, und die Muhme mußte Alles wieder auftrennen. Auch hatte die Else gar keinen Begriff, was mit ihr vorgehen solle, und hätte immer hinauslaufen mögen in den Schnee, wo die Buben einander balgten. Von ihrem Nachtwandeln hatte man zwar, seit sie den Mathes kannte, nichts mehr bemerkt, aber sie sprach oft mitten am Tage wie im Traume vor sich hin, und nur wenn der Mathes, zu Hause war, sprach sie ganz vernünftig und ging nicht von seiner Seite, ja sogar wenn er im Hofe zu thun hatte und er sie nicht hinauslassen wollte in die Kälte, stellte sie sich an's Kammerfenster und schaute ihm zu.

So war der Winter fast vergangen, es war Mitte März, aber es lag noch Schnee, Der Mathes ging an dem Tage nicht auf Arbeit, denn die Muhme hatte ihn gebeten, zu Hause zu bleiben, sie könne ihn nötig haben. Es wurde Abend, die Sonne schaute noch einmal über die weiße Winterdecke ehe sie unterging, und die Spatzen lärmten in dem kahlen Gesträuch umher. Da trat der Mathes aus der Hausthür, seine Brust ging, als wär' er eine Meile im Galopp gelaufen, so bebte er am ganzen Leib und seine Augen sahen aus, als wollten sie gleich die verlöschende Sonne wieder in Brand stecken. Vor der Thür aber stand schon lange der Gemeindehirt, der trat auf den Mathes zu, faßte ihn am Arme und fragte: ›Mathes, ist's überstanden?‹ – Der Mathes aber konnte mit Mühe die Worte herausbringen: ›Das Kind ist todt auf die Welt gekommen.‹

Der Gemeindehirt sah lange still zur Erde, dann ging er weg und zimmerte zu Haus einen kleinen Sarg, den brachte er am andern Morgen dem Mathes. Am Abend nahm der Mathes das Särgel mit seinem todten Kinde unter den Arm und ging mit dem Gemeindehirten und dem Todtengräber auf den Kirchhof, da haben sie es begraben. Der Mathes hat die ganze Zeit über kein Wort gesprochen, nur auf dem Kirchhof hat er sich niedergekniet in den Schnee und laut geweint. Der Gemeindehirt hat auch ein par Thränen vergossen, und der Todtengräber auch.

Ich weiß das so genau,« unterbrach sich der Weinbauer, »weil's mir der Gemeindehirt erzählt hat, und meinem Vetter, dem Lammwirt, hat's der Todtengräber auch erzählt.«

Der Lammwirt nickte bejahend.

»Dem Mathes war aber nun so zu Mut, als könnt' er nirgends seine Ruhe haben. Er ging nicht grades Wegs wieder zur Mühle, sondern hinaus auf's Feld, es war wieder heller lichter Mondschein, und der Schnee leuchtete noch dazu. Immer weiter lief er umher in der Nacht, immer die Berge hinauf, in den Wald, und wieder hinunter, und wieder hinan neben den Felsen.

Es mochte schon Nacht sein, als er dran dachte, wieder heimzugehn. Und wie er in die Nähe der Mühle kommt, da meint er zu sehn, wie sich hoch oben was Weißes bewege. Er geht nahe heran, und da sieht er ganz deutlich im hellen Mondschein, wie die Else auf einem Sparren ganz hoch, grad über dem Bache, nachtwandelt. Als rührte ihn ein kalter Schlag, so fuhr's ihm durch alle Glieder, er wußte vor Angst nicht was thun, und schrie so laut, daß man's eine halbe Stunde weit hören konnte: ›Else! Else!‹ – Aber kaum hatte er's ausgerufen, da knickte die Else zusammen, und – krach! prasselte das ganze alte Lattenwerk mit ihr hinunter in den Bach. Der Bach aber war sehr wild und reißend, und daher nicht gefroren. In einem Nu fuhr der Mathes herunter und nach in den Bach, er achtete nicht der fallenden Bretter, die eins nach dem andern hinunterfielen in das Wasser. Jetzt hatte er die Else gefaßt, sie gab kein Lebenszeichen von sich, und wie ein Wilder rannte er mit der Erstarrten in die Mühle hinein, schrie laut auf, und warf sie auf das Lager, er wußte selbst nicht, was er thun sollte.

Der Gemeindehirt aber hatte den Schrei des Mathes gehört, und machte sich alsbald auf den Weg zur Mühle. Wie er hinkam, fand er die Else todt, der Mathes lag über der Leiche auf den Knieen, die Muhme saß auf ihrem Bett, der Schreck hatte sie gelähmt, sie wackelte mit dem Kopfe und konnte nicht reden.

Das werden nun im nächsten März drei Jahre, ich war grad mit dem Wagen hier bei meinem Vetter, dem Lammwirt, wegen drei Stückfaß Vierundzwanziger, die halt' ich noch gespart im Keller, und der Lammwirt wollt' sie mir abnehmen. Da hatt' ich sie ihm hergefahren nach Heimbach. Ich weiß es noch wie heut', es war grad ein Sonntag, und die Sonne schien schon recht aus Herzensgrund, aber die Nacht zuvor war noch ein frischer Schnee gefallen. Wie mir der Lammwirt das Geld für meinen Wein bezahlt hatt', da erzählte er mir die ganze Geschichte. Drauf wollt' ich Abschied nehmen, aber der Vetter sagte: ›Erst trinken wir noch einen Schoppen, schick' Du derweil Deinen ledigen Wagen voraus, da brauchen Dich die Pferde nicht den Berg 'nauf zu schleppen.‹ Und das that ich, und er gab mir hernach das Geleit noch ein Stück Wegs, bis ich meinen Wagen nachgeholt hätt'. Wie wir den Berg 'nauf kommen, da ist ein kleines Tannengebüsch. Guck, sagt der Lammwirt, da sitzt der Mathes. –

Und richtig, da saß der Mathes, aber schrecklich anzusehn, ganz verwildert und verrissen, grad' als wär' er nicht recht bei Sinnen, und starrt' hinunter in's Dorf. Und wie wir nun auch hiunterschaun, da sehn wir Leute, die trugen einen Sarg, und hinterher ging ganz allein der Gemeindehirt mit seinem Hund, und eine Ziege lief nebenher. Jetzt muß der Mathes den Zug auch gesehn haben, denn er fuhr plötzlich in die Höhe, streckte die Arme gen Himmel, als wollt' er durch die Luft fliegen und wäre doch eingewurzelt in den Boden.

Drauf dauerte uns des armen Burschen, und wir traten an ihn und redeten ihm gut zu. Aber der Mathes hob grimmig die Faust in die Höh, als wollt' er uns gleich niederschmettern, und rollte ganz wild die Augen. Wir ließen uns aber nicht abschrecken und der Lammwirt sagte: ›Mathes, sei gut, Du bist jung und rüstig, was geschehn ist, ist nu mal geschehn, und Du mußt's verwinden. Willst Du wieder in Dienst gehn, so will ich schon sehn, daß ich Dir einen verschaffe.‹

Da fiel mir ein, daß ich einen solchen Burschen auch recht gut daheim bei meiner Hantierung brauchen könnt', und bot ihm an, er sollt' gleich mit mir gehn, denn ich wußte von meinem Vetter, dem Lammwirt, daß der Mathes sonst fleißig und rechtschaffen wär. Der Mathes aber wollt' lange nicht heraus mit der Sprache, endlich kriegten wir ihn so weit, daß er mit mir in den Wagen stieg, und der Lammwirt gab ihm die Hand drauf, daß er die Muhme in's Haus nehmen und die beiden Gräber gut in Stand setzen wollt'.

Und so ist's gekommen. Ich hatt' meine Müh unterwegs mit dem Burschen, denn er wollt' partu wieder zurück, ich hielt ihn aber fest und redete ihm gut zu, und er ist bei mir in Dienst getreten. Ich hab' nie über ihn klagen dürfen, ich wünscht', ich hätt' mehr solche Burschen zu meiner Arbeit. Jetzt aber sind's vier Wochen, seit er mir wieder davongelaufen, ich denk' aber, er kommt schon wieder. Das war die Geschichte vom Mathes.«

Der Weinbauer klopfte seine Pfeife aus und stand auf. Die Fuhrleute schüttelten verwundert und ergriffen die Köpfe und gingen schweigend in's Haus, der Dorfschulze empfahl sich ebenfalls.

»Gute Nacht, Herr Helldorf,« sagte der Weinbauer, indem er Erich die Hand bot. Mit großen Schritten ging auch er davon und verschwand im Dunkel.

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