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15.
Ein letzter Lichtstrahl vor dem Gewitter.

In derselben Nacht stand im Walde, wo auf der Höhe der Kreuzweg sich theilte, ein leichter Wagen, und daneben ging Johannes unruhig wartend hin und her, bald rechts bald links aufhorchend und in die finsteren Gebüsche spähend, wenn sich ein Rauschen vernehmen ließ, bald wieder einige Schritte vorwärts gehend bis zu einem hohen Granitblock, von wo aus der Weg ins Thal deutlicher zu erkennen war.

Endlich hörte er Tritte und Erich kam mit Sabinen den Bergpfad herauf.

»Endlich! Endlich!« rief Johannes; »steiget schnell ein, wir haben Eile!«

Die drei Flüchtlinge reichten einander schweigend die Hand. Sabine hatte nichts bei sich, als ihr Gesangbuch und ein weißes Tüchlein, das sie an den Zipfeln angefaßt hatte, und worin sie Etwas eingeschlagen zu haben schien.«

»Was trägst Du da in dem Tuche, Sabine?« fragte Erich.

»Das sind Zweige von der Erika, die Du mir einst geschenkt hast,« antwortete sie, »daraus mache ich hernach meinen Brautkranz, wenn der Pfarrer in Hohenfichten uns zu Nacht traut.«

»Sabine!« rief Erich, indem er ihre Hand ergriff, »noch hast Du den Wagen nicht bestiegen, der uns fortführen soll, ich frage Dich nochmals auf Herz und Gewissen: Gehst Du gern mit mir in die Welt?«

»Erich, ich habe Alles verlassen, um Dir zu folgen, ich gehe gern und freudig mit Dir, ich lasse nicht ab von Dir, und läge wenige Schritte vor uns das Grab!«

Alle Hingebung innigster Liebe und Unschuld lag in dem Tone ihrer Stimme, als sie so sprach. Erich umarmte die Geliebte und sagte dann:

»Nun denn, so sei Gott mein Zeuge, daß auch ich niemals von Dir lassen, daß ich in ewiger, heiligster Treue Dein bleiben will!«

Johannes trieb zum Einsteigen, er selbst hatte sich bereits auf den Bock geschwungen, und eben wollte Erich Sabinen in den Wagen heben, als Jemand aus dem Gebüsch trat, den Pferden in die Zügel griff und den Flüchtlingen ein: »Halt!« zurief.

»Wer da?« rief Erich, indem er hinzu sprang.

Sabine aber hatte die Stimme erkannt und rief zitternd vor Furcht:

»Ach Gott – das ist der Mathes!«

»Ja, ich bin der Mathes,« sagte Jener.

»Was willst Du hier?« fuhr Erich ihn heftig an.

»Ich will mit Ihnen. Ich weiß, daß Sie mit Sabinen davongehen, und da ich auch nicht mehr drunten leben mag, lassen Sie mich mit Ihnen reisen in die Welt!«

»Das geht nicht, Mathes, wir können Dich nicht brauchen. Geh zurück, und wenn Du schweigen kannst –«

»Sie können mich schon brauchen, Keiner kennt den Weg so gut wie ich, wenn ich Sie fahre, soll mal Einer kommen, der Ihnen auflauern will!«

»Laß ihn mitfahren,« bat Sabine Erich, »er wird uns nicht verraten, er ist nicht schlecht.«

Erich aber wollte sich nicht dazu verstehen, er sah überall Spione und Netze des Malers.

»Gut,« sagte Mathes, »nehmen Sie mich nicht mit, so laufe ich nebenher, aber zurück gehe ich nicht mehr, ich geh in die Welt. Aber, Herr Helldorf, ich geb' Ihnen mein Wort, ich hab' kein Arges im Sinne, ich will Sie bedienen, ich will Alles thun, nehmen Sie mich nur mit!«

Sabine bat, Johannes trieb. –

»Nun, so setz' Dich auf,« rief Erich, »und nun mit Gott hinaus!«

Der Mathes sprang auf den Wagen, ergriff die Zügel, und fort gings durch die finsteren Waldwege und Schluchten.

Während die Flüchtlinge dahinfahren, wollen wir noch Einiges nachholen, um im Zusammenhange zu bleiben.

Wie die Freunde es am gestrigen Abend besprochen hatten, ging Johannes früh Morgens nach der Stadt zu Sabinen, und händigte ihr einen Brief von Erich ein, in welchem dieser ihr seine gestrige Scene mit dem Weinbauern – die sie indessen selber von der Küche aus mit angehört hatte – mittheilte, und sie beschwor mit ihm zu entfliehen. Sabine war sehr bestürzt über diesen Brief, denn so schmerzlich sie auch die hartnäckige Weigerung ihres Vaters empfand, so war doch der Gedanke zu entfliehen, dem einfachen, stillen Kinde der Natur so etwas Schreckhaftes und Fremdes, daß sie den Vorschlag mit Entschiedenheit von sich wies. Johannes' Vorstellungen und Bitten fruchteten nichts, sie blieb dabei: »Ich entfliehe nicht.« –

Johannes trat betrübt den Rückweg an, und Erich wurde durch seine Botschaft in noch größere Betrübniß versetzt. Noch saßen die Freunde trostlos beisammen, als der Mathes hereintrat und Erich einen Zettel übergab, er war von Sabinens Hand. Mit blasser Tinte und auf grobem Papier schrieb sie die flüchtigen Zeilen:

»Erich, ich habe überwunden, ich verlasse den Vater und Alles, und gehe mit Dir! Erzürne Dich nicht, daß ich mich erst weigerte – ach Gott, ich erzähle Dir später Alles. Heut Abend um elf Uhr verlasse ich das Haus, und komme zu der großen Tanne im Walde, von wo Du mich abholen wolltest. Deine Sabine.« –

Erich jubelte laut auf, und Johannes eilte in einem benachbarten Dorfe, um in Heimbach Aufsehen zu vermeiden, einen Wagen aufzutreiben. Abends war Erich noch einmal in Johannes' Wohnung gegangen, um ihn zu ermahnen, daß er ja mit dem Wagen früher auf dem Kreuzwege im Walde wäre. Hier hatte ihn Bernhard getroffen, und er war auf diese Weise Theilnehmer jener nächtlichen Begebenheit im Schlosse geworden, Johannes hatte sich längst schon auf den Weg gemacht.

Erich hatte in Wechseln eine hinreichende Summe zu sich gesteckt, er war in der besten Hoffnung, daß der Pfarrer in Hohenfichte ihn mit Sabinen trauen werde. Wären sie dann unauflöslich mit einander verbunden, dann sollte Johannes die neu Vermählten bis zu dem drei Stunden von Hohenfichte entfernten Anhaltepunkte der Eisenbahn fahren, und mit dem Wagen zurückkehren. Von dort war es, wenn man den Dampfwagen benutzte, noch eine halbe Tagereise bis zu der Universitätsstadt G., daselbst lebte ein Freund Erichs, ein junger Professor der Naturwissenschaften, dessen Frau er als liebenswürdig und wohlwollend kannte, und in dieser Familie hoffte er für Sabinen ein augenblickliches Asyl zu finden. Er selbst wollte dann nach der Stadt zurückkehren, mit dem Weinbauern, der gegen diesen einmal geschlossnen Bund nichts mehr würde thun können, Alles ins Reine bringen, und alles Uebrige mußte, da er in zwei Monaten mündig und Herr seines sehr bedeutenden Vermögens werden sollte, sich von selbst ergeben. So war der Plan gemacht worden.

Schweigend fuhren sie nun dahin durch die Nacht, Sabine lehnte sich an Erichs Brust, er hatte sie fest umschlungen, kein Wort wurde auf dem ganzen Wege gewechselt.

Sabinens Herz pochte lauter, als der Wagen nun vor dem Pfarrhause zu Hohenfichte hielt. Der Pfarrer wurde mit Mühe aus dem Schlafe gepocht, endlich öffnete er und ließ verwundert über den nächtlichen Ueberfall, die Gesellschaft eintreten, und Erich trug ihm ohne Weiteres seine Bitte vor, ihn auf der Stelle mit Sabinen zu trauen. Der Pfarrer glaubte, die Gesellschaft habe den Verstand verloren, und setzte allen Bitten und Vorstellungen eine starre Weigerung entgegen. Johannes bat, Sabine fiel auf die Knie vor ihm – vergeblich! Er nannte ihre Flucht ein Verbrechen, eine Thorheit, einen kindischen Streich, und blieb bei seiner Weigerung.

»Komm,« sagte endlich Sabine zu Erich, da sie sah, daß keine Bitten halfen; »komm Erich, ich gehe auch so mit Dir. Andre Menschen werden gütiger gegen uns sein, wenn auch diejenigen, welche die Liebe auf Erden predigen, verstockt werden, da sie sie an ihren Mitbrüdern ausüben sollen. Komm, ich frage nach nichts mehr, gehen wir weiter, die Welt ist groß!«

»Ja, meine Sabine,« rief Erich, die Geliebte umschlingend, »wir hatten zu viel von den Menschen gehofft, aber komm, laß uns nicht länger hier verweilen, wo man die ächte Liebe, die Gott den Menschen ins Herz gepflanzt hat, eine Thorheit nennt. Sie, Herr Pfarrer, hätten ein Glück begründen können, jetzt, wenn wir nicht so glücklich werden, als wir gehofft hatten, haben Sie Ihr Theil mit an dem Unheil. Und nun Gott befohlen!«

Er faßte Sabinen bei der Hand, um mit ihr das Zimmer zu verlassen, der Pfarrer aber, der, alle Folgen und Umstände bei der Sache überlegend, im Zimmer auf und ab gegangen war, trat jetzt zu ihnen und hieß sie verziehen.

»Ich habe meinen Entschluß gefaßt,« sagte er; »ich will Euch trauen, aber unter der Bedingung, daß Sie, junger Mann, noch in dieser Nacht zurückgehen nach der Stadt, morgen früh komme ich selber dann mit Sabinen dahin, um der Sache eine möglichst wenig anstößige Seite abzugewinnen, und mit beiderseitigen Verwandten zu konferiren. Das ist die Bedingung.«

Erich schwieg einen Augenblick, sein ganzer Plan wurde hierdurch auseinander gerissen, er versprach sich wenig von der Vermittlung des Pfarrers, und hätte Sabinen nicht gern wieder nach der Stadt zurück gewünscht. –

»Wenn dies die unumgängliche Bedingung ist,« sagte er dann, »nun wohl, Herr Pfarrer, so geben Sie uns zusammen. Was sagst Du dazu, Sabine?«

»In Gottes Namen!«

In aller Geschwindigkeit wurden nun die nötigsten Zurüstungen gemacht, die Pfarrerin flocht noch einige Myrtenzweige in Sabinens Kranz, und Johannes überreichte dem Par zum Hochzeitsgeschenk ein par Ringe, die einst seine Großeltern bei ihrer Verlobung getragen hatten. Der Pfarrer erschien jetzt im Talar und forderte die Gesellschaft auf, ihm zur Kirche zu folgen. Erich und Sabine folgten schweigend Hand in Hand, dann folgten Johannes und die Pfarrerin mit ihrem Gesangbuche, der Mathes schloß den Zug. So schritten sie durch den Garten, über den dunklen Kirchhof, dessen Fichten über den Gräbern leise rauscheten. Johannes warf einen Blick seitwärts nach einem Bänkchen unter einem Hollunderstrauch, eine Erinnerung durchzuckte ihn – rasch wandte er die Blicke wieder ab.

Im Kirchlein war es still und dunkel, nur zwei Kerzen, die auf dem Altar brannten, verbreiteten ein magisches Dämmerlicht, der Küster stand, noch ganz verschlafen, daneben, die ganze Geschichte kam ihm vor, wie ein höchst sündhafter Traum, den er ganz gegen alle Kirchenordnung zu träumen sich unterstand. Jetzt stand der Pfarrer vor dem Altar und segnete bewegt mit kurzen Worten die jungen Flüchtlinge ein. Durch ihre Herzen ging ein heiliger Gottesodem der Liebe, sie wähnten, der Himmel theile sich über ihnen und gieße in leuchtenden Strahlen seinen Segen über sie aus.

Johannes war im Hintergrunde auf die Knie gesunken, und suchte seinen unaufhaltsam hervorquellenden Thränenstrom zu hemmen, neben ihm stand der Mathes mit still gefallenen Händen.

Die Ringe wurden gewechselt, die Ceremonie war vorüber, Erich und Sabine waren vermält. Noch standen sie in seligster Umarmung vor dem Altare, ihre Lippen schienen in einander gewachsen, ihre Selen in einander zu rinnen, wie zwei perlende Thautropfen sich einen im Kelche der Blume. Johannes flog auf sie zu und umarmte Beide, ebenso die Pfarrerin, und in stiller Andacht verließen Alle wieder die Kirche. –

Die immer geschäftige und sorgende Pfarrerin besorgte, um doch auch ihr Theil bei der Sache zu haben, schnell den Kaffeetisch, während dessen standen die Neuverbundenen in der Nebenstube am offnen Fenster.

Das Pfarrhaus lag auf einer Anhöhe und gewährte so eine herrliche Aussicht. Nächtliches Dunkel lag jetzt über das Land ausgebreitet, der Nachtwind spielte mit den Weinranken am Fenster, und fern über den schroffen Umrissen der Berge stieg jetzt der späte volle Oktobermond, ein dunkler, glühender Riesenball, empor, während von Osten her ein leises Grollen ein heraufziehendes Gewitter ankündigte, das schon sein warnendes Wetterleuchten vorausschickte. Aber die Glücklichen waren nicht gestimmt darauf zu achten, mochte um sie her alle Schönheit der Welt aufblühen, oder ihr Einsturz drohen, sie sahen nichts, sie hingen fest an einander und empfanden nur ihr eignes aufblühendes Glück.

Nach einer Stunde ermahnte der Pfarrer Erich zum Aufbruch. Der Abschied von Sabinen dauerte lange, sie konnten sich nicht trennen, und immer noch einmal umschlangen sie einander. Endlich riß Erich sich los, er dankte dem Pfarrer und fragte nach Johannes. Dieser aber war verschwunden, auch der Mathes war nicht zu finden. Dann grüßte er noch einmal zurück und machte sich auf den Weg nach der Stadt.

Der Pfarrer legte sich wieder zu Bett, die Pfarrerin schraubte die Lampe herab, daß sie dunkler brannte, und setzte sich schweigend in eine Sofaecke, Sabine aber saß im Brautkranze still am Fenster, dachte des Geliebten und blickte unverwandt hinaus in die Nacht.

Wunderbarer Zufall! In dieses Haus war sie vor kaum drei Monaten schon einmal im blühenden Kranze eingetreten, damals, als sie mit Erich und Johannes jene so fröhlich begonnene Fahrt machte, und heut saß sie nun hier, den Brautkranz in den blonden Flechten ihres Hauptes. Sie ließ alle die kleinen, und für sie so großen Begebenheiten, die die Geschichte ihrer Liebe bildeten, an ihrer Sele vorüberziehn, und ließ ihre Blicke hinausschweifen in die Zukunft, in so holde Träumereien versenkt, als nur immer eine Braut, die vom Altare kommt, zu träumen vermag.

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