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7.
Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht.

In der Frühe des nächsten Morgens wanderte Erich seiner neuen Bestimmung entgegen. Der Thau lag noch in silberweißen Streifen über den Wiesen, durch Busch und Wald athmete des Morgens erquickender Hauch, und die Morgenglocken aus den Dörfern nah und fern läuteten den Sonntag ein. Alles strahlte wie in buntem Feierkleide, Alles tummelte sich in lebendiger Lust umher. Die Finken probirten ihre Tonleitern und Rouladen, der Goldammer und die Amsel hatten eine Morgenbesprechung aus ihren beiderseitigen Nestlein auf demselben Zweige, und der Specht klopfte in äußerster Geschäftigkeit an alle Baumstämme, als wollte er untersuchen, ob sie auch wirklich noch in gehörigem Bestande wären, und nicht etwa hohl, er schien die Forstwissenschaft aus dem Grunde zu verstehen.

Erich ging mit raschen Schritten den Weg entlang, er sah weder den Wald noch die Wiesen, noch was sonst um ihn vorging, das bunte Durcheinanderjagen seiner Gedanken und Empfindungen nahm alle seine Sinne in Anspruch. Noch klangen alle Saiten in seiner Brust von dem Glücke des gestrigen Abends, ja sie hätten in einem unermeßlichen Harmonienstrom dahinrauschen mögen, wenn nicht ein schriller Mißton ewig dazwischen getreten wäre: Der Gedanke, an seinem Johannes Unrecht gethan zu haben. Er wiederholte sich Sabinens Worte und seine eignen Entschließungen, er ging genau bei sich durch, was er dem Freunde sagen wolle, und konnte doch nicht zur Ruhe kommen.

Plötzlich wurde er aufgeschreckt durch einen derben Schlag auf die Schulter, und eine Stimme rief:

»Heda, Herr Musje, an guten Bekannten rennt man nicht so ohne Gruß vorüber!«

Es war des Weinbauern Stimme, der kurz vor Erich aus der Stadt aufgebrochen war.

»Nun, geht's schon so früh nach Heimbach? Das gottselige Werk soll wol am Sonntag begonnen werden? Ja, wir haben schon gehört, was der Herr da für ein Geschäft übernommen hat. Das nichtsnutzige Bild soll wieder da 'nauf auf den Berg gebracht werden, und dazu braucht's ein par neue Wände, das Ding aufzuhängen. Denn aus andrem Grunde wird die Kapelle doch nicht gebaut.«

»Was Ihr nur immer in Eifer geratet,« entgegnete Erich, »wenn Ihr an das Bild denkt. Es ist gar nicht mehr vorhanden, die Kapelle wird um ihrer selbst willen erbaut.«

»Ist nicht mehr vorhanden? Macht das einem Andern weiß. Da im Schlosse steckt's, das laß ich mir nicht ausreden. Herr Helldorf, wenn Sie's selbst nicht wissen sollten – ich sag' Ihnen, ich weiß die ganze Sache. Das Bild ist ein alt Familienstück, die Grafen von Weilburg haben vor Zeiten nichtsnutzig gelebt, und wie das Maaß des Verbrechens bei Einem ist voll gewesen, da ist er fromm geworden und hat seine Hauptschandthat hinmalen lassen. Nachher hat er das Ding in die Kapelle gehängt, um den Herrgott zu versöhnen. Ja, unser Herrgott wird ein Narr sein! Der Satan hat bei dem alten Grafenhause immer seine Hand im Spiel gehabt, es ist noch heut gezeichnet.«

»Aber, Weinbauer, Ihr redet da sonderbare Dinge. Was geht mich die Sache an? Ihr scheint überdies mehr darin finden zu wollen, als zu finden ist.«

»So? Ich könnt' Euch viel sagen. Aber, Herr Helldorf« – fuhr der Weinbauer mit vertraulicherem Tone fort: »Laßt Euch nicht gar viel mit dem alten Grafen ein. Es ist da nicht richtig!«

»Weinbauer, macht mich nur nicht lachen! ich habe Euch immer für einen aufgeklärten Mann gehalten.«

»Aufgeklärten Mann? Ihr versteht mich da schlecht, junger Herr. Ihr meint, ich fürcht' mich auch vor dem alten Bild da? Das ist's nicht. Nein, aber 's giebt genug Leute, die 's thun, drum muß man vermeiden, was den Aberglauben nährt. Was denken Sie? Wenn Eins krank wurd' – da mußt's ihm der Anblick des Bilds angethan haben. Starb Eins – ja da schrien die Leute, der Satan sei aus dem Bild 'rausgetreten und hab' ihn geholt. Denn das ist's eben, daß die Leute sagten, zu gewissen Zeiten strecke der Satan seinen Kopf zwischen den andern Personen auf dem Bilde hervor, ob er gleich für gewöhnlich nicht drauf zu sehen ist. Solche Dummheiten zu hören, das hat mich immer gewurmt, und nun soll's wieder losgehen? Ich hab' noch genug an der letzten Geschichte.«

»An welcher?«

»Wegen meinem Mathes – aber da hat's noch einen andern Grund gehabt. Ich erzähl's Euch schon noch 'mal. Ja aber, Herr Helldorf, ich rat's Ihnen, lassen Sie sich nicht mit dem alten Grafen ein, sein Haus ist gezeichnet

»Ich verstehe Euch wahrhaftig nicht, Weinbauer!«

»Nicht? Nun so hört, junger Herr, das Unglück stirbt in dem Hause nicht aus, und wer sich zu nah dran wagt, den packt's mit. Es ist immer gut, wenn man sich davon hält, es sei nun wie's sei, ich denk nur, ich könnt' nicht mit Lust da aus. und ein gehn. Das gnädige Fräulein da – nu, schön sieht sie aus, aber wer sie ansieht und kennt das Gesicht von dem Mädchen auf dem Bilde – nu, da haben die Leute grade vollauf zu schwätzen!«

»Wie so denn? Redet doch, Mann!«

»Weil das Fräulein dem Gesicht auf dem Bilde auf's Har ähnlich sieht, nur daß sie noch schöner ist. Auf die Art trauen die Leute auch dem Fräulein nicht.«

»Aber inwiefern mißtrauen sie ihr denn?«

»Ja, was weiß ich!«

Der Weinbauer schien das Gespräch abbrechen zu wollen, und reichte einem alten Manne, der ihm entgegenkam, die Hand mit den Worten:

»Grüß Gott, Gemeindehirt! Nu, habt Ihr was aufgespürt über den Mathes? Ich komm' heut 'mal selber mit vorbei.«

Der Gemeindehirt nahm ihn am Arme und füllte ihn fort. Der Weinbauer zog den Hut und rief Erich zu:

»Nun, adieu, Herr Helldorf. Nehmt meine Rede nicht für ungut, 's war gut gemeint. Adieu!«

Erich war durch die Worte des Weinbauern nachdenklich geworden, schon aber sah er aus der Ferne Johannes auf ihn losstürmen, und als er diesen erblickte, trat das ganze Gefühl seiner Schuld wieder vor seine Sele. Wie ein Verbrecher kam er sich vor, sein Herz klopfte, als müsse er jetzt vor seinen Richter treten. Er sah in des Freundes unbefangenes Antlitz, über welches aller Schmelz der Jugendfrische heut schöner als jemals ausgegossen zu sein schien, er mußte die Augen abwenden, er ertrug seinen Anblick nicht. Johannes bemerkte eine Wolke auf Erichs Stirn und fragte nach der Ursache. Erich aber wollte nicht gleich die erste Begrüßung trüben, er läugnete daher seinen Trübsinn und zwang sich, heiter zu sein.

Sie schritten durch das Dorf, dem man den Sonntagsmorgen ansah. Die Kinder ließen ihre Feierkleider in der Sonne strahlen, die Männer, in Hemdsärmeln, lehnten in der Thür und schmauchten vor der Kirche ihre Pfeife; hie und da wurde man am Fenster eine Mädchengestalt gewahr, die sich mit ihrem Sonntagsputz beschäftigte.

Das Wirtshaus zum Lamm, wo sich Erich einquartiren wollte, lag ganz am Ende des Dorfes, und etwas über dasselbe erhaben, auf einem Hügel, über welchen die Landstraße führte. Es hatte ein hohes Untergeschoß, in welchem sich die Kellergewölbe befanden; eine steinerne Treppe führte zu einer breiten Rampe, welche sich rings um das Haus zog, und auf welcher Tische und Bänke standen. Eine zierlich geschnitzte hölzerne Gallerie ging unter dem Dache, nach Art der Schweizerhäuser, ebenfalls um das ganze Haus, und eine Treppe führte auswendig zu den Zimmern hinauf. Vor der Thür standen mehrere alte Kastanienbäume und beschatteten die Plätze auf der Rampe. Das Haus machte den Eindruck wohlhabender Behaglichkeit. An einer langen Eisenstange, die weit auf die Straße hinausreichte, war das Schild, mit einem goldnen Lamme darauf, befestigt. –

Erich und Johannes waren am Ziel. Der Wirt trat ihnen grüßend entgegen, und erbot sich, seinen neuen Mieter sogleich auf sein Zimmer zu führen.

Man zog es jedoch vor, auf der Rampe zu bleiben und einen Schoppen Wein zu trinken. Der Wirt schickte darauf seine Kinder, die Erichen die Hand küssen mußten, und setzte sich zu den beiden Jünglingen. Er erzählte Mancherlei, auch Johannes war gesprächig, und so fiel Erichs Wortkargheit nicht eben auf.

Da hörte man in der Nähe eine zitternde leise Stimme ein Lied singen. Erich horchte.

»Das ist die Muhme,« sagte der Wirt, »die kann gar viele Lieder.«

Erich und Johannes schauten um die Ecke des Hauses und erblickten ein steinaltes Mütterchen, das am Spinnrade in der Sonne saß. Die Alte spann aber nicht, das Spinnrad stand neben ihr, sie ließ sich nur von der Sonne bescheinen, und des Lammwirts jüngstes Kind, ein Knäblein von zwei Jahren, saß zu ihren Füßen und blickte mit großen Augen zu der Alten auf, welche folgendes Lied sang:

Da drüben auf jenem Berge steht
Ein Holunderbaum, vom Wind umweht,
        Gewieget zu der Erden.

Die Nacht ist hell und die Luft ist kühl.
Zwei Buhlen, die weinen der Thränen so viel,
        Sie müssen scheiden, ja scheiden.

Sie rissen mit Thränen, mit Thränen sich los,
Der Schmerz war tief, und der Schmerz war groß,
        Sie sahen sich niemals wieder.

Er zog wol über's weite Meer;
Sie hört' eine schaurige Todesmähr,
        Und ging weit über die Berge.

Verschollen ist ihr Nam' im Land,
Der Mond nur ihre Gräber fand,
        Drauf spielen die Lüfte des Maien.

Der grüne Baum, der steht annoch,
Mit tausend Blüten sprossend hoch,
        Gewieget zu der Erden.

Als die Alte geendigt hatte, sah sie starr hinaus in die Landschaft, aber das Haupt zitterte ihr, und als die Kirchenglocken in diesem Augenblick anfingen zu läuten, seufzte sie tief auf.

»Das Lied hat der Herr Johannes der Muhme gelehrt,« sagte der Lammwirt leise zu Erich.

Die Alte aber wandte sich um, und als sie Johannes erblickte, streckte sie ihm ihre welke Hand entgegen mit den Worten:

»Grüß Euch Gott, Herr Johannes, Ihr habt die alte Gertrud lange nicht besucht.«

Erich war ergriffen und bewegt. Er wollte sich von seinen Gefühlen nicht bemeistern lassen, und während Johannes mit der Muhme sprach, verlangte er auf sein Zimmer geführt zu werden, wohin ihn der Wirt sogleich begleitete. Es war ein geräumiges, luftiges Zimmer, dessen einzige Thür auf die Gallerie stieß, die Fenster gingen nach derselben Seite. Der Wirt ging und sein Gast trat hinaus auf die Gallerie. Vor ihm lag die Landschaft in aller Schönheit ausgebreitet, ihm gegenüber das Schloß.

»Wer ist denn der Herr, mit dem Ihr gekommen seid?« hörte er unten die Muhme fragen.

»Das ist mein Freund Erich,« entgegnete Johannes; »mein liebster und bester Freund. Er wird die Kapelle da oben wieder aufbauen, und für die Zeit hier wohnen.«

»Das ist schön, Herr Johannes, daß Ihr gute Freundschaft haltet. Wenn Ihr aber etwas auf ihn könnt, so redet ihm zu, daß er die Kapelle nicht wieder aufbaut.«

»Was habt Ihr dagegen, Muhme?«

»Weil der liebe Gott hat seinen Blitz in die alte Kapelle schlagen lassen, drum will er nicht, daß man sie wieder baue. Das wär kein gut' Ding, er hat mehr Blitze, die er 'nunterschicken kann, und 's wär' Schad' um den jungen Baumeister. Redet's ihm aus, Herr Johannes, wenn ein Unglück geschieht, so denkt an die alte Gertrud.«

Es läutete zum zweiten Mal, die Alte griff nach ihrem Krückstock und Gesangbuche, und humpelte langsam nach der Kirche. Johannes ging hinauf zu Erich, der mit schmerzenvollen Blicken hinausstarrte in die Ferne. –

»Erich, was hast Du nur heute?« fragte er den Freund.

Erich drückte ihm die Hand schweigend und schüttelte mit dem Kopfe.

»Warum willst Du mir verhehlen, was Dich bedrängt?« fragte Johannes wieder. »Ich habe ein Recht auf die Hälfte Deines Kummers, sprich Dich aus, sage mir Alles.«

»Wenn Du es erfährst, wird der Kummer ganz Dein, und mein zugleich, es ist besser, ich trage ihn allein.«

»Erich, Du machst mich bestürzt! Willst Du mir mein Recht nicht zugestehen, so gieb doch wenigstens meiner Bitte nach und laß mich Dein schmerzliches Geheimniß wissen.«

»Johannes, ich fürchte das Ende unsrer Freundschaft zu sehen, ich fürchte, Du selbst wirst sie lösen – habe ich doch selber schon ihre Fäden gelockert.«

»Du selbst? Was fällt Dir ein? Du bist krank. Warum sollte meine Liebe zu Dir aufhören, warum die Deine zu mir? Ich verstehe Dich gar nicht. Warum sprichst Du solche Rätsel aus? rede klar und deutlich, und sag' mir Dein Leid. Und sei überzeugt, mein Erich, daß Nichts auf der Welt im Stande wäre uns zu trennen, Du mußt das ja selbst fühlen, wenn ich Dir das jetzt bekräftige, geschieht es nur, um Dich zu beruhigen. Also sprich offen und ehrlich.«

Erich umarmte den Freund krampfhaft, dann riß er sich los und sagte:

»Ja, ja, Du sollst, Du mußt Alles wissen, ich kann diese drückende Last nicht auf der Sele behalten. Johannes – ich liebe Sabine!«

Johannes sah ihn mit einem halb ungläubigen, halb kindlich ängstlichen Lächeln an, und Erich fuhr fort:

»Verabscheue mich, wenn Du mußt – aber höre mich erst aus. Als Du mir einst auf jener Felsenplatte am ›Todessprung‹ das Leben gerettet hattest, vertrautest Du mir Dein Geheimniß, daß Du Sabinen liebest. Ich war's, der Dir versprach, Dir die Gewißheit ihrer Gegenliebe zu bringen. O, Johannes, es war vermessen von mir – jetzt bringe ich Dir das Geständniß, daß ich sie liebe, daß sie nicht Dich, sondern mich liebt, daß wir uns vor Gott ewige Treue gelobt, daß sie mein, ewig mein bleiben muß, weil das Leben ohne sie für mich eine Wüste sein würde. Ich liebe sie ewig, Johannes, und mehr als Dich – ich darf Dir's nicht verhehlen! Ich weiß, ich bin schuldig, ich bin grausam gegen Dich, daß ich Dir's selber sage, das Herz geht mir über, ich kann nicht anders. Du wolltest meinen Schmerz zu Deinem eignen Jammer erfahren, Du weißt nun mein Geheimniß!«

Johannes stützte den Kopf gegen einen Pfosten und bedeckte sein erbleichendes Gesicht mit den Händen. Erich stand mit untergeschlagenen Armen, und von Trotz und Schmerz verzogenen Mienen da und stierte in die Weite. Eine lange Pause hörte man nichts als die Athemzüge Beider. Dann fuhr Johannes auf, Todtenblässe bedeckte seine Züge, er krampfte die Lippen zusammen und stürzte davon.

»Leb wohl!« rief er zurück.

Ein Schauer durchrieselte Erich, als er den Freund so erblickte, er eilte ihm nach und hielt ihn fest:

»Johannes, was willst Du thun? Wohin–«

»Laß mich los, um Gotteswillen, laß mich!«

»Du willst Dir ein Leid thun, Johannes?«

»Nein!«

»Versprich mir's!«

»Ich verspreche Dir's!«

»So bleibe! Was ich noch thun kann – gieb mir selbst an die Hand, wie ich Dich trösten kann. Mein Leid ist dem Deinen gleich!«

»Geh, laß mich los! In diesem Augenblick können wir einander nicht in die Augen sehn. Leb' wohl!«

Er riß sich los und stürzte davon.

Erich seufzte tief auf und ging hinein in sein Zimmer. Die Welt war ihm gleichgültig, jetzt war's ihm, als habe er mit dem Freunde auch die Geliebte verloren. Von Vorwürfen und Qualen wurde seine Brust lange, entsetzliche Stunden hindurch gestachelt. Der Tag verging, die Abendsonne schoß glühende Strahlen in sein Zimmer, er wollte hinausgehn in den Wald.

Herein aber sprang Bernhard und rief:

»Heidi, Deine Kneipe ist famos, hier besuche ich Dich oft! Und Mädel sind im Dorfe, Donnerwetter! Heut ist nun gar noch Komödie, das soll ein vergnügter Abend werden!«

Der Maler bemerkte jetzt erst Erichs bleiche und erstarrte Gesichtszüge.

»Was ist denn mit Dir vorgegangen?« rief er entsetzt.

»Nichts!« entgegnete Erich barsch. »Bleib Du hier, ich gehe aus.«

Der Maler sah ihm erstaunt nach, er aber schritt hinaus auf den ersten besten Pfad, es war ihm gleichgültig wohin.

*


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