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5.
Neue Gruppen, neue Menschen,
neue Verhältnisse.

Es war tiefe Nacht, als sie in der Stadt eintrafen. Der Weinbauer harrte unruhig ihrer Wiederkehr. Sie stiegen aus dem Wagen, die drei Jünglinge schritten dem Hause des Doktors zu, wo Beate und Ulrich nach überwundenem Schreck schnell geschäftig waren in Sorge um Erich. Die Wunde war bedeutender, als man geglaubt hatte, und die Ueberwindung, mit welcher Erich seinem Schmerze getrotzt hatte, um die Gefährten nicht zu ängstigen, hatte seine Erschöpfung noch vermehrt. Ein heftiges Wundfieber stellte sich ein, Beate und Johannes theilten sich in die Nachtwache, dem Maler wurde ein Lager angewiesen und bald schlief er, als wäre nichts geschehn.

Sabine ging kummervoll allein nach Hause. Auf sie fiel jetzt der ganze Zorn des Weinbauern. Der zu Grunde gerichtete Schecke, der zerbrochene Wagen erfüllte ihn mit Wut und Aerger. Er tobte noch Nachts im Hause umher, schalt sich einen Narren, daß er den jungen Leuten vertraut habe, schalt auf diese und schalt auf Sabinen, die er doch selbst zum Mitfahren bewogen hatte.

Sabine ertrug mit Geduld alle Scheltworte, ihr Herz war von ganz anderen Gedanken erfüllt, sie schlich traurig auf ihr Kämmerlein, setzte sich auf das Bett und ließ ihren Thränen freien Lauf. Sie schlief die ganze Nacht nicht. Ein Gefühl der Angst durchzitterte sie, die Sorge um Erichs Zustand ließ ihr keine Ruh, und dann lastete es wieder auf ihrer Sele, als habe sie eine schwere Schuld auf sich genommen. Sie kam sich so verlassen vor, Niemand achtete auf sie, und sie pries Johannes glücklich, der am Lager des Freundes sitzen und ihn pflegen durfte. Sie dachte die Scene, die sie mit Johannes auf dem Kirchhofe gehabt, noch einmal durch, ein Schauer überflog sie, sie barg ihr Antlitz in die Kissen, als wollte sie sich vor sich selber verstecken, und doch konnte sie ihm nicht gram sein. Seine Sorge für Erich hatte so viel bei ihr wieder gut gemacht, er kam ihr vor wie ein Bruder, der ihr eine kummervolle Stunde bereitet habe, dem sie dennoch aber verzeihen müsse.

Gegen Morgen schlief sie ein. Wirre Träume gingen durch ihren Schlummer, endlich glaubte sie Erichs Stimme zu hören, die ihren Namen rufe. Sie erwachte, es war die Stimme des Weinbauern, der an ihre Thür klopfte, um sie, die fast immer die Erste im Hause wach war, zu wecken. –

Auch an Johannes Himmel drängte sich Wolke um Wolke, die Sorge um den Freund bekümmerte ihn tief, doch hin und wieder zerriß der nächtige Schleier und die Sonne seiner Liebe zückte um so glühendere Strahlen hindurch. In seliger Täuschung saß er so am Krankenlager, bis neue Wolken den Horizont verhüllten. Erich hatte mehre schmerzenvolle Tage zu überstehen, seine gesunde Natur aber kam den Heilmitteln seines Schwagers entgegen, nach acht Tagen konnte er das Zimmer wieder verlassen und Ulrich gab ihm die Hoffnung, er werde in wenigen Tagen auch den letzten Verband ablegen können.

An einem Nachmittage saßen die Hausgenossen in der Gartenlaube am Kaffeetisch. Beate und Erich sprachen mit einander über ein Buch, das sie ihm während der Krankheit vorgelesen hatte, dann fragte er, ob Sabine vielleicht einmal dagewesen sei. –

»Sie selbst war nicht bei uns,« sagte Beate, »wol aber hat täglich einer von des Weinbauern Dienstboten nach deinem Befinden gefragt. Er hätte übrigens als guter Nachbar wol selber einmal vorsprechen können.«

»Er zürnt mir wahrscheinlich wegen des zerbrochenen Wagens. Aber ich bin, weiß der Himmel, nicht schuld daran. Ich will gehn und ihn mir versöhnen.«

Unterdessen schwatzte und lachte Bernhard mit Sophien. Dieser hatte sich seit jenem Abende gleich häuslich niedergelassen im Hause, es gefiel ihm ganz vortrefflich daselbst. Er sah, daß er in diesem gebildeten Kreise nur seine liebenswürdige Seite hervorkehren dürfe, und that seiner Natur einigermaßen Zwang an. Der Doktor lachte über sein lustiges Wesen, seine sprudelnden Einfälle und fand sich sehr bald in ihn. Sophie fand seine, wenn auch oft etwas burschikosen Artigkeiten und Aufmerksamkeiten gar nicht so übel; und Beate ließ lächelnd, aber beobachtend geschehen, was sie, ohne das Gastrecht zu verletzen, nicht hindern konnte.

Mit Erich beschäftigte sich Bernhard seltener, denn dieser war lauer gegen ihn geworden, es schien, als gelte des Malers Besuch nicht ihm, sondern seiner Familie. Gegen Johannes aber hatte Bernhard einen entschieden Haß erfaßt. Er suchte ihn im Stillen bei jedem Familienglied lächerlich zu machen und zu verdächtigen, und von daher schrieb sich theilweise auch Erichs Sinnesänderung gegen den Maler. Johannes kam seltener ins Haus, er war auch heut nicht da, Erich pries sich glücklich, ihn nun seinerseits wieder aufsuchen zu können. –

Der kleine Kreis saß in der Laube, als der Doktor oben das Fenster öffnete und hinabrief:

»Kinder, macht euch auf etwas Angenehmes gefaßt, der Regenwurm kommt mit der Hambutte

»O weh,« rief Beate seufzend und stand auf, ihren Gästen entgegen zu gehen. Kurz darauf erschienen ein Herr und eine Dame in der Hausthür und traten in den Garten.

Der Herr, eine dünne, magre Figur, mit kränklichem Gesicht und weibisch zarten Junggesellenmanieren, sah allerdings einem Regenwurm täuschend ähnlich. Der Doktor hatte ihm diesen Namen sehr bezeichnend gegeben. Es war der Professor Gelblich, ein stiller Privatgelehrter, der sich hauptsächlich mit Entomologie beschäftigte, Schmetterlinge, Käfer, Fliegen, Heuschrecken und dergleichen Gethier sammelte, sich aber auch den Fröschen, Unken, Salamandern u. s. w. liebend zuneigte, und im Uebrigen Nichts von der Welt wußte noch wollte, als daß sie ihn in Ruhe lasse und ihm seine Bequemlichkeit nicht nehme.

Diese letztere wurde ihm gewährt durch seine Schwester Röschen, welche, ebenfalls in unverehelichtem Stande, die Zügel seines Hauses in Händen hielt. Dieses Röschen stand jetzt an seiner Seite. Es war, was körperliche Ausdehnung betrifft, durchaus das Gegenstück ihres Bruders, eine allseitige bedeutende Korpulenz war ihren zweiundvierzigjährigen jungfräulichen Reizen beigegeben und die auffallende Jugendlichkeit ihrer Kleidung gab ihrer Erscheinung eine wirksame Anziehungskraft. Der Doktor behauptete zwar, das Röschen sei längst verblüht und zu einer recht drallen Hagebutte, oder Hambutte, wie er sie zu nennen pflegte, geworden, dennoch aber hielt sie noch jeden jungen Mann für gefährlich; daß sie ihn für schön hielt, verstand sich dabei von selbst.

Sie kam heut, um sich bei Beaten nach dem Befinden ihres schönen Bruders zu erkundigen. Nachdem sich die Gesellschaft gesetzt hatte, begann sie:

»Ach, auch ich bin in großen Sorgen, die mich keine Nacht schlummern lassen, Sie wissen, daß in der Stadt ein Elefant zu sehen ist. Neulich gehe ich mit meinem Bruder aus, um das Thier zu sehen; ich nahm in meinem Strickbeutel Obst mit, um es damit zu füttern, und das zahme Thier nahm mir die Früchte aus der Hand und ließ sie sich wohl schmecken. Der Besitzer war nicht zugegen, sondern nur ein untergebner Dienstbeflissner. Jetzt trat der Wärter ein und sprach davon, wie geschickt das Thier den Stöpsel aus einer Flasche ziehen könne. Mein Bruder ließ eine Flasche Bier geben, der Elefant machte sein Kunststück und trank das Bier. Es waren einige Kinder zugegen, welche sich darüber freuten, und so ließen wir das Schauspiel noch durch zwei Flaschen Bier wiederholen. O Gott, wir hätten vorsichtiger sein können! Obst und Bier zusammen! Nach einigen Tagen stürzt der Besitzer des Elefanten zu mir ins Zimmer und schreit mir entgegen, sein edles Thier sei erkrankt, eine fürchterliche Kolik drohe ihm den Tod, er habe erfahren, daß wir demselben in seiner Abwesenheit auch Obst gegeben hätten, und wenn der Elefant stürbe, müßten wir ihn bezahlen! Denken Sie, um Gotteswillen, den Elefanten bezahlen! Er nannte eine unmäßige Summe. Ach, wir beide, die wir so harmlos dahinleben, wir beide sollen nun den Tod eines Elefanten auf uns laden und ihn gar noch bezahlen! O, und der Besitzer ist so ein schöner Mann, mit südlichem, gebräuntem Teint und glühenden Augen, oh, es war mir schrecklich, daß ich ihm so gegenüberstehen mußte!«

»Und was das Schlimmste bei der Sache ist«– fuhr der Regenwurm seufzend fort –

»Bruder, Du wirst doch nicht?« unterbrach ihn die Hambutte.

»Der Elefant ist –«

»Bruder, schone meiner Nerven!« bat die Hambutte

Der Regenwurm aber wollte durchaus reden, und seufzend blickte seine Schwester zur Erde.

»Das Thier ist,« fuhr er fort, »ein Weibchen, und soll in wenigen Tagen Mutter werden. Es ist dies eine große Seltenheit, aber um so interessanter, und auch um so trauriger für uns. Denken Sie nur, wenn das Thier vorher stirbt –!«

Die Hambutte wischte sich die Augen und sagte schnell:

»Ach in allen Träumen sehe ich den Elefanten mit drohend geschwungenem Rüssel vor meinem Lager stehen! Oder ich sehe den Sohn des Südens, seinen Besitzer in allen möglichen Situationen. Ach, die letzte Nacht sah ich ihn im Traume vor mir auf den Knieen! Träume sind zwar Schäume, aber –«

Die Gesellschaft, die während der ganzen Erzählung ihre Lachmuskeln kaum hatte im Zaume halten können, war jetzt überwältigt. Sophie gab hinter ihrem Taschentuche, das sie krampfhaft vor das Gesicht gepreßt hatte, zuerst das Signal, dann lachte Alles. Die Hambutte schien etwas verletzt, wurde aber durch Bernhard augenblicklich wieder gewonnen, welcher sagte:

»O wie beneidenswert ist der Sohn des Südens, der in solchen Träumen leben darf! Solche Scenen muß die Kunst verherrlichen, ich male das Alles in eine Reihe von Skizzen, später führe ich es in Oel aus.«

Sogleich griff er nach Bleistift und Papier und fing an zu zeichnen.

»Der kleine Schelm ist gefährlich!« flüsterte die Hambutte Beaten zu, und suchte hin und wieder über ihre Kaffeetasse hinüber zu erröten, wenn sie bemerkte, daß der Maler bei ihrem Portrait beschäftigt war.

Es konnte kaum eine andre Unterhaltung in Gang kommen, man war einmal im Lachen. Beate gab sich die erdenklichste Mühe, mit dem Regenwurm eine Konversation anzuknüpfen, dazwischen ertönte immer ein Seufzer des Malers, der sehnsüchtig zur Hambutte hinüberblickte, und eine Reihe der abscheulichsten Karrikaturen entwarf.

Er wurde darin unterbrochen, man hörte einen Wagen vor dem Hause vorfahren, Beate ging nachzusehen, und kam bald darauf mit Frau von Stüving, der Gesellschaftsdame der Gräfin Corona, zurück, welcher ein Bedienter folgte mit mehren herrlich blühenden Blumenstöcken in Töpfen. Die Blumen schickte Corona Beaten. Die Dame brachte außerdem einen Brief des Grafen an Erich mit.

Erich ging auf sein Zimmer, um ihn zu lesen. Er erstaunte und glaubte seinen Augen nicht zutrauen. Der Brief enthielt, in den schmeichelhaftesten Ausdrücken, die Bitte des Grafen, Erich solle die Kapelle auf der Ruine Weilburg, neu erbauen. Er dürfe dabei ganz nach seinem Geschmack verfahren, alle Mittel würden zu seiner Disposition gestellt. Es war keine bloße Aufforderung, der Brief enthielt eine Bitte.

Erich las und las den Brief wieder, es lag ihm am Tage, daß Coronas Wünsche den Grafen dazu vermocht hatten. Unruhig ging er im Zimmer umher, dann warf er das Schreiben auf den Tisch mit den Worten:

»Daraus kann nichts werden! Sie will mich aufs Neue an sich fesseln, sie hat mir noch Geständnisse zu machen, die ich ihr gern erlasse, wir dürfen einander nicht wieder nahe treten!« –

Wieder schritt er in Gedanken vertieft einige Minuten auf und ab, endlich nahm er den Brief und ging damit zu seinem Schwager.

Ulrich las ihn und sagte:

»Der Antrag ist ehrenvoll und schmeichelhaft, die Sache verträgt sich nicht nur mit deinem Lebensplan, sie kommt ihm sogar wesentlich zu statten. Mache hier dein Meisterstück, es wird dir keine bessere Gelegenheit geboten. Die Familie Weilburg ist reich und angesehn, so daß dir zur Ausführung des Planes die schönsten Mittel zu Gebote stehen; sie hat bedeutende Connexionen, und so kann die Sache ein entschiedenes Moment in deiner künstlerischen Laufbahn werden. Möglich, daß du darüber anders denkst, aber wäre ich an deiner Stelle, so würde ich die Gelegenheit mit Freuden ergreifen. Das ist so meine Ansicht, thu übrigens ganz nach deinem eignen Gutdünken. Meine Frau ist darin meiner Ansicht, dessen bin ich gewiß.«

Erich beschloß die Entscheidung bis zum andern Tage zu verschieben, er ging wieder in den Garten und sagte der Ueberbringerin des Schreibens, er werde morgen dem Herrn Grafen persönlich seine Aufwartung machen.

Die Gesellschaft empfahl sich, die Hambutte suchte vergeblich die Skizzen von Bernhard zu erhalten, sie waren denn doch zu toll, als daß er sie ihren Augen hätte preisgeben können, er versprach ihr dieselben nächster Tage zu überbringen. Darauf ging man aus einander, auch Ulrich schickte sich mit Sophie und dem Maler zu einem Spaziergange an.

Erich blieb allein im Garten. Er hatte sich Corona's Kreise entronnen geglaubt, und die Aussicht von Neuem, und vielleicht auf längere Zeit in ihre Sphäre gebannt zu werden, erfüllte ihn mit Bangigkeit. Er betrachtete die Blumenstöcke, die sie geschickt hatte, es waren Exemplare, die jeder Gärtner den Stolz seines Gewächshauses nennen konnte. Blumen mit tropischem Duft, fremder Blüte und fremder Gestaltung. Er ahnte, für wen die Blumen bestimmt waren, wenn gleich seine Schwester den Namen der Empfängerin hergeben mußte. Die Erde des einen der Blumentöpfe war mit Moos bedeckt.

Dieser Anblick führte ihn weiter, er dachte an jene goldnen Stunden, die er mit dem Freunde in Wald und Moos durchlebt, er dachte an das moosige Hügelchen unter der Eiche, wo er in so lieber Gesellschaft geruht. Durch alle seine Träume und Phantasieen während seiner Krankheit hatte stets ein liebliches Mädchenantlitz hindurchgeblickt, es war das Sabinens. Er mußte so oft an sie denken, und doch konnte er sich solcher Gedanken nicht recht freuen, sie drückten und bekümmerten ihn oft. Aber immer kehrten sie wieder, so oft er auch des Freundes Bild an ihre Stelle zu setzen bestrebt war.

In solche Gedanken versunken, starrte er in die Blumen hinein, dann fuhr er sich mit der Hand über die Augen, als wolle er mit Gewalt aus einem Traume erwachen, er blickte auf – und vor ihm stand Sabine!

Zum ersten Mal sah er sie seit jenem verhängnißvollen Tage wieder. Sie waren allein im Garten.

»Gott sei Dank, daß Sie wieder wohl auf sind!« sagte Sabine bewegt. »Ich konnte nicht anders – ich mußte – ich wollte nur selbst einmal fragen, wie es Ihnen geht.«

»Es geht mir gut, Sabine,« entgegnete Erich; »mein erster Ausgang sollte zu Ihnen sein, aber freundlich und gütig kommen Sie mir zuvor.«

»Ach, Sie haben so viel ausgestanden, Sie haben für uns Alle gelitten, hätten wir nur auch –«

»Das thut nichts, Sabine. Das Geschick hatte mir den Schmerz zugetheilt, weil es wußte, daß ich, als der Stärkste, ihn am leichtesten würde ertragen können. Ich bin zufrieden damit. Meine Natur hält dergleichen aus. Und trotzdem, daß das Ende jener Fahrt betrübter war, als der Anfang, so denke ich, war das dennoch ein schöner Tag, und das soll er uns bleiben. Was wir Gutes und Schönes erlebt haben, wird ja durch das darauf folgende Trübere nicht getrübt, es besteht beides selbstständig für sich. In der Zeit, da mich meine Wunde auf dem Lager festhielt, habe ich so viel an Sie gedacht.«

»Ich, auch! Mir war so angst –«

»Wirklich?«

Sabine erröthete. Sie blickte sich scheu um und fragte:

»Ist die Frau Doktorin nicht zu Hause?«

»Sie muß bald herauskommen. Haben Sie Johannes lange nicht gesprochen?«

»Nur ein Mal seit unserer Ausfahrt. Aber der Herr Maler ist ein recht böser Mensch. Wenn ich einem Menschen etwas Schlimmes zutraue, so ist der's. Selbst seine Lustigkeit ist mir immer, als thäte er's nur zum Schein, als wäre er so recht von Grund der Sele verdorben, und wollte sich nur hinter sein Lachen verstecken. Sagen Sie ihm doch, daß er –«

»Das Urteil über Bernhard ist wol etwas zu hart, Sabine.«

»Gott strafe mich, wenn ich ihm Unrecht thu', ich sage nicht gern von Jemand Böses. Aber bitten Sie ihn doch, daß er nicht mehr zum Vater kommt – aber er will auch gar nicht zum Vater, er kommt immer, wenn der nicht zu Hause ist. Und wenn ich ihn dann abweisen will, kommt er mir immer nach in die Küche, oder wo ich sonst zu thun habe, und macht solche Scherze und beträgt sich so arg, daß die Mägde lachen und schreien. Ich darf das nicht zugeben, und wenn er sich wieder dergleichen erlaubt, so muß ich den Vater bitten, daß er ihm das Haus versagt – sagen Sie ihm also – ach, nehmen Sie es nur nicht übel, aber ich denke, so einen Freund dürften Sie gar nicht haben.«

»Thut er das? Das ist allerdings höchst unrecht von ihm. Es soll nicht wieder vorkommen. Er ist auch im Grunde mein Freund gar nicht – oder doch nur –«

Sabine sah ihn freudestrahlend an. Das Gespräch wurde unterbrochen, da Beate zu ihnen trat. Sie begrüßte Sabinen und betrachtete dann noch einmal die von der Gräfin gesendeten Blumen.

»Welch eine herrliche Erika,« sagte sie, indem sie die großen Purpurglocken einer Blume dieses Namens betrachtete.

Sabine sah sie mit großen Augen an und fragte halb erstaunt:

» Wie heißt die Blume?«

»Erika.«

Sabine schien verwirrt. Die Aehnlichkeit mit dem Namen Erich fiel ihr auf, und, kaum gedacht, hatte sie es schon auf der Zunge, aber kaum ausgesprochen, wünschte sie das Wort wieder zurück, ja die Worte erstickten ihr fast in der Kehle, als sie sagte:

» Erika – das klingt ja beinah wie Erich

Eine dunkle Röte der Beschämung übergoß ihr Gesicht und Hals, sie hätte in die Erde sinken mögen vor Verlegenheit. Beate lächelte und Erich warf dem Mädchen einen freudigen Blick zu, er athmete tief auf, als wäre seine Brust plötzlich von einer drückenden Last frei geworden. Sabine aber eilte davon, sie gab häusliche Geschäfte vor. – –

Es wurde Abend, und an diesem Abende geschah, was in der Welt an jedem Abende zu geschehn pflegt. Die Leute aßen und tranken, oder unterließen es auch; sie lachten oder weinten, wie grade einem Jeden zu Mute war, und gingen dann zu Bette. Das soll uns nun weiter nichts kümmern, wir wollen nur einen Blick in ein Kämmerlein werfen, das die stille Klause eines schönen unschuldigen Mädchens ist.

Das Kämmerlein ist eng und klein und hat eine schiefe Wand, denn es liegt unter dem Dache und hat nur ein Fenster, welches offen steht und die kühle Nachtluft, die über Strom und Gebirge weht, hereinströmen läßt. Es ist äußerst reinlich und sauber hier. Gerätschaften stehn nicht viel umher, eben weil nicht gar viele Platz haben. Ein Bett und ein Stuhl daran, ein hoher gewölbter Koffer, ein Tischchen, darüber ein Spiegel, das ist Alles. An den Wänden hängen keine Bilder, sondern einige Kleider an Nägeln; an der einen Wand ein kleines verschlossenes Schränkchen, darin liegt wahrscheinlich das Gesangbuch neben anderen Heiligthümern eines jungen Mädchens, und über dem Bette hängt ein Kranz von Immortellen, der ist aber schon alt und verwelkt.

Die Thür öffnet sich und Sabine tritt ein. Sie geht noch nicht schlafen, sondern setzt sich auf das Bett und stützt gedankenvoll die Stirn auf den Arm. So sitzt sie eine Weile, dann steht sie auf, faltet die Hände und spricht, mit einem verklärten Blick zum Himmel, leise vor sich hin:

»Lieber Gott, verzeih mir, wenn ich Unrecht thu', aber ich kann ja nicht anders, ich muß so viel an ihn denken! Ach, laß ihn so gut bleiben, wie er ist, daß ich, wenn ich an ihn denke, doch immer etwas Gutes im Sinne habe. Du weißt, wie herzlich lieb ich ihn habe – ach und es ist ja zwischen ihm und mir kein andres Band möglich, als daß wir still an einander denken dürfen. Ob er auch an mich denkt, das weiß ich nicht, aber du weißt, mein Gott und Vater, daß ich nicht anders –«

Plötzlich hält sie inne und heftet ihre Blicke unverwandt auf das Fenster.

»Was ist denn das? Da steht ja – –!«

Es überläuft sie vor Schreck und Entzücken – da steht auf dem Fenstersims ein Blumenstock mit purpurnen Glocken, es ist jene Erika, dieselbe Blumenstaude, vor welcher sie heut Nachmittag erröthend gestanden hatte. Ein jauchzender Freudenruf entfährt ihrer Brust:

»Erich! ach – Erich!« –

Noch aber steht sie mit auf die Brust gepreßten Händen vor der Blume da, noch wagt sie dieselbe nicht zu berühren, ihr ist's, als schaute des Geliebten Auge selbst aus den Zweigen hervor. Bebend vor Wonne geht sie zum Fenster und wagt einen verstohlenen Blick hinaus. Es ist Alles still und dunkel, nichts rührt sich, nur der Nachtwind spielt in den Bäumen des Gartens und wirft ein neckendes Luftwellchen in die Zweige der Erika, daß ihre Blüten sich neigen und einander berühren.

Sabine athmet tief und ahnungsvoll, wer als er konnte ihr die Blumen gebracht haben? Aber auf welchem Wege? Eitle Fragen! Sie nimmt die Staude in ihren Arm, küßt und herzt die roten Blüten, sie möchte tanzen, singen, jubeln und weinen zugleich. Welch ein Paradies ist hier plötzlich im engen Kämmerlein aufgeblüht! Bald faltet sie die Hände, wie zum Gebete, bald läßt sie die Zweige durch ihre Finger gehn, bald setzt sie sich nieder und blickt sie mit verklärtem Auge und seligen Gedanken an, dann umarmt sie dieselben wieder und preßt ihre Wange hinein. Ach er hat ja an sie gedacht, nur von ihm, nur von Erich konnte das Geschenk kommen. –

Schnell aber geht sie noch einmal zur Thür und schleicht hinunter zur Küche, wo sie an der noch glimmenden Asche des Herdes ein Licht anzündet, sie will sich überzeugen, will bei Licht sehen, ob das auch wirklich dieselbe Blume ist. Sie täuscht sich nicht. Schnell löscht sie das Licht wieder, als könne sie im Dämmerlichte des Sternenhimmels freier und sicherer ihr Glück empfinden. Sie schließt das Fenster, kniet nieder und betet:

»Ich danke dir, du gütiger Gott, für diesen Segen! Gieb ihm, der mir diese Freude bereitet hat, alles Glück der Erde, mache daß alle Menschen ihn lieben müssen, dann brauche auch ich meine Liebe nicht zu verbergen. Ach du weißt, wie ich ihn liebe, laß ihm durch einen Traum sagen, wie lieb ich sein Geschenk habe und gieb ihm und mir Friede und Ruhe ins Herz, daß wir mit unsern Gedanken nicht von der rechten Bahn weichen. Amen.« –

Sabine schläft jetzt, ein andres Herz aber wacht noch und denkt: »Jetzt hat sie die Blumen gesehn, möge sie mir nicht zürnen, daß ich mir selbst eine Freude bereitete m dem Gedanken, sie ihr zu gewähren!«

*


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