Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12.
Morgenthau.

Die Freundschaften der meisten Jünglinge sind äußerlich, selbst da, wo sie das Produkt einer tieferen Empfindung sind. Angeborener und von der Kultur genährter Stolz, wirkt schon gegen jede unmittelbare Aeußerung des Gefühls, und da, wo dasselbe wirklich hervorbrechen will, wird ein spöttelnder Scherz darüber gekleistert, damit doch gar die kalte, besonnene Bildung ihre Genugtuung erhalte, denn so viel gestehen selbst von den natürlich Empfindenden die Meisten zu, daß eine Überwältigung des Gefühls ein Drangeben der männlichen Würde sei. In dieser Hinsicht wirkt die Bildung – oder was wir so Bildung nennen, gute Erziehung, feine Lebensart der Gesellschaft – dem Gemüt entgegen, und es gehört schon ein gut Theil, oder vielmehr eine ganze, durchaus kräftige Natur dazu, um dieser Macht zu trotzen, und sein besseres Selbst nicht zu verläugnen der kalten Eitelkeit zu Liebe. So kommen denn die wenigsten Freundschaften schön, als unmittelbarer Ausdruck des Gemüts zur Erscheinung.

Wir machen hiermit den Uebergang zu Johannes. Dieser war nach jenem Auftritt, in welchem ihm Erich seine Schuld und seine Liebe zu Sabinen gestanden hatte, trostlos davongeeilt, ihm war sein Liebstes aus der Sele gerissen, ihm war's, als ginge die Welt vor seinen Augen unter. Er hatte den Freund und die Geliebte zugleich verloren, Alles, woran er mit Liebe und Hingebung gehangen hatte, müsse nun, glaubte er, zu Schanden werden. Er eilte nach Hause, dort aber war seines Bleibens nicht, hinaus stürzte er sich in die Berge, nach einer Gegend hin, welche er mit Erich noch nicht durchstreift hatte, er suchte Ruhe, er suchte seinen Schmerz zu überwältigen.

Aber es gelang ihm nicht, selbst die Natur, die ihn sonst über seine kleineren Leiden getröstet hatte, konnte dies Mal ihr altes Hoheitsrecht nicht zur Geltung bringen. Er kehrte die Nacht in einer Mooshütte ein, die auf einem Berge, in der Nähe eines entfernten Landgutes, stand, der frühste Morgen aber trieb ihn schon wieder hinaus, und auch den nächsten Tag trieb er sich ruhe- und bedürfnißlos in der Gegend umher. Er klagte das Schicksal an, das ihn allein zum Leiden geschaffen habe; fern an schönen schimmernden Strömen sah er geliebte holde Gestalten wandeln, sie sahen ihn nicht, sie verstanden ihn nicht, sie waren nicht für ihn geschaffen!

»Ach,« klagte er, »ich glaubte an eine heilige große Liebe, die mir wie ein Hauch des Himmels die Sele durchglühte! Ich glaubte an Wahrheit, Treue und Freundschaft, es war Alles Täuschung, Alles leerer Wahn!« –

So unter Klagen und Qualen schweifte er umher, die Sonne stieg, die Sonne senkte sich, da warf er sich ermattet nieder auf das Moos und weinte seinen Jammer aus. Er wurde ruhiger. Alte Hoffnungen bauten sich auf den Trümmern zersprungener Luftschlösser von Neuem auf, er dachte an die Entwürfe, die ihn einst begeistert hatten, an manche schöne Jugendhoffnung, das Ziel seines Lebens stand ihm plötzlich bestimmter als jemals da, und er traute sich die Kraft zu, allein, ganz allein dahin gelangen zu können. Der Lebensmut der Jugend schwellte seine Brust, er beschloß allem Kleinlichen zu entsagen, seine liebsten und reinsten Gefühle zu opfern, und im ruhigen Ausharren zu zeigen, daß er stark genug sei, aus diesem Kampfe geläutert hervor zu gehn.

Die Einsamkeit, die uns in unsre eigne Brust hinein verweist, ist oft die Mutter der schönsten und größten Entschlüsse, und doch verhärtet sie auch wieder den Menschen gegen die Welt, ja das schöne Gefühl auf sich selbst angewiesen zu sein, wie oft giebt es dem Menschen die Idee einer eignen Wichtigkeit und Befähigung, zu der er im vertrauten Umgang wollte mit Andern nicht gekommen wäre. Nehmt einmal den Umgang mit Menschen wieder auf, Ihr, die Ihr durch Leiden zurückgedrängt in die Welt der eignen Brust, der Welt da draußen entsagt hattet, weil sie nicht wert sei, daß Ihr all das Edle und Erhabne, was Ihr fühltet, an sie verschwendetet – tretet wieder in den Kreis der Menschen, und seht ein, daß Ihr Thoren wart. Euer kleines Leiden ist nur ein winziges Theilchen vom großen Kampf der Menschheit, kämpfet Euer Theil mit Kraft durch, dann tretet wieder zu den Menschen und helfet ihnen tragen.

Aber der Entschluß, einsam stehn zu wollen, kann auch nicht lange in einem Herzen haften, in welchem alle Lebensquellen noch frisch und lauter strömen. Die Phantasie läßt unter den bunten Bildern der Fata Morgana wol einmal eine Einsiedlerhütte vor der Sele vorüberziehen, dann aber rauschen die Banner des Lebens wieder um so lauter, und über dem Glühen des Morgenrotes vergessen wir den letzten Abendstern.

Auch Johannes gab seinen Entschluß auf, allein stehen zu wollen; konnte er die Geliebte nicht besitzen, so wollte er doch den Freund behalten, ihm wollte er sie lassen, sie Beide sollten glücklich sein, Alles, Alles wollte er ihnen opfern, nur ein Winkelchen ihres Herzens sollten sie ihm erhalten. Jetzt sprang er auf, er hatte überwunden, sein Herz war wieder leicht. Es war Abend, derselbe Abend, an welchem jenes Bild nach dem Schlosse transportirt worden war. Er ging in Erichs Wohnung, Alles war still und dunkel, Erich schlief schon längst, Johannes schlich auf leisen Sohlen zu seinem Lager, er wollte ihn aber nicht wecken, obgleich er gern zu ihm gesprochen hätte. Leise fuhr er mit der Hand über die Locken des Schlummernden und trat, Frieden in der Sele, den Heimweg an.

Als Erich am Morgen die Treppe herunter kam, trat ihm der Lammwirt entgegen mit den Worten:

»Nu, Herr Baumeister, morgen haben wir eine Leiche im Hause!«

»Wie so?« fragte Erich erschrocken.

»Die Muhme hat's die Nacht schlimm gekriegt, sie überlebt den heutigen Tag nicht. Sie verlangt hinaus in die Sonne, man muß ihr die letzten Stunden nur Alles anthun, was sie gern hat, heut Abend ist's vorbei.«

Die Muhme wurde darauf zu ihrem gewöhnlichen Platze auf der Rampe in die Sonne gebracht, sie war allerdings sehr schwach und hinfällig, darauf ging Erich seinen Bau besichtigen. Trotz der bedeutenden Zahl von Arbeitern wollte doch die Sache nicht so schnell gehen, als er wünschte, die Leute mußten getrieben werden, denn sie arbeiteten mit Unlust hier oben, und behaupteten, daß aller Schutt und alles Gestein, was sie am Tage fortgeschafft hätten, über Nacht wieder durcheinandergeworfen und an den alten Ort getragen werde. Mehrere von ihnen hatten sich bereits geweigert, bei der Arbeit fernerhin thätig zu sein. Der Widerwillen war allgemein.

Unter solchen Umständen hatte denn Erich auch keine sonderliche Freude an dem Bau. Er ordnete das Nötigste an und begab sich nach der Stadt, um mit seiner Schwester zu sprechen. Inzwischen war Johannes in Erichs Wohnung gewesen, sie hatten einander wieder verfehlt. Als Erich am Hause des Weinbauern vorbei ging, sah er den Thorweg offen stehn und konnte folgende Scene beobachten, welche im Hofe vorging.

Der Mathes spaltete Holz und zwar mit ungemeiner Emsigkeit. Da kam der Weinbauer langsam aus dem Hause geschritten, die kurze Pfeife im Munde, stellte sich breitbeinig und mit untergeschlagnen Armen vor ihn hin und sah ihm schweigend eine Weile zu.

»Nu, Mathes,« sagte er dann mit ruhiger Gemächlichkeit, »bist endlich auch wieder da?«

Der Mathes hackte aus Leibeskräften auf die Holzklötze los, als wolle er durch diese Leibesthätigkeit seine Verlegenheit verbergen.

»Ich hab' mir's wol gedacht, daß Du wiederkommen würdest,« fuhr der Weinbauer fort. »Wie lange wirst Du nun wieder hier bleiben?«

»Bis Ihr mich wegjagt,« entgegnete der Mathes, ohne sich in der Arbeit unterbrechen zu lassen.

»Hm, bis ich Dich wegjage? Das wird auf Dich ankommen. Aber bist Du nicht ein Narr, Mathes? Wo hast denn so lange gesteckt? Kannst Dir hier Deinen guten Lohn verdienen und lumpst da wie ein Vagabund im Wald 'rum. Brauchst nicht zu reden, ich weiß schon Deine Schliche, gehst Du aber nochmal in der Weise auf Reisen, so hat's ein End' mit unsrer Freundschaft!«

Der Mathes strengte sich bei der Arbeit an, daß ihm die Tropfen von der Stirn rannen, der Weinbauer aber erblickte Erich und trat grüßend zu ihm. Erich hielt eine lange Unterredung mit ihm aus, bis der Weinbauer endlich nach Hut und Stock griff, da er ein Stück über Land zu gehen hatte. Sabine ließ sich nicht sehen, obgleich Erich oft die Augen nach ihr umherwandern ließ, erst beim Fortgehen trat sie leise an ihn heran und flüsterte ihm die Worte zu:

»Heut Abend komm' ich nach Heimbach!« dann verschwand sie wieder.

Diese Worte hatten Erichs ganze Sele entflammt, und ungewöhnlich heiter betrat er das Haus seines Schwagers. Aber so froh auch sein Gruß war, den er Beaten entgegenbrachte, so trübe, ja kalt, wurde er von ihr erwidert. Sie ging auf seine Heiterkeit durchaus nicht ein und blieb sich in ihrem frostigen Benehmen den ganzen Tag gleich. Ulrich hatte Erich eingeladen, bei ihnen zu bleiben, er hatte es nicht ablehnen können, das Wesen seiner Schwester aber fing endlich an, auch seine gute Laune zu verscheuchen. Gern hätte er sich unter vier Augen mit ihr verständigt, sie aber schien jeder Annäherung geflissentlich aus dem Wege zu gehen, Erich wurde endlich stiller und empfahl sich gegen Abend.

In Heimbach angekommen, umkreiste er ruhelos das Haus, er spähte nach allen Seiten, endlich kam Sabine den Waldsteig herabgeschritten, sie hatte sich von Mathes übersetzen lassen, und war diesseits über die Berge gekommen. Erich flog ihr entgegen, und obgleich erst drei Tage vergangen waren seit jenem Abende, der ihre Liebe befestigt hatte, dünkte ihnen doch die Zeit, die sie sich nicht gesehn hatten, eine Ewigkeit. Sie machten darauf einen weiten Gang durch die Berge, sie schwelgten in dem blühenden Wundergarten der ersten Liebe. Bald schwieg Erich und ließ die Naturtöne und einfachen aber rein empfundenen Worte des Mädchens sein Ohr umschwirren, bald lauschte Sabine mit Andacht und liebender Hingebung der Worte des Geliebten.

Sie gingen jetzt einen schmalen Waldsteig entlang, links fiel der Berg schräg herab und ließ die Blicke in eine anmutige Thalschlucht schweifen, durch die sich ein Bach schlängelte, an dessen Ufern sich duftige grüne Wiesenteppiche hinzogen, hin und wieder von Erlengebüsch durchbrochen, welches sich an einigen Punkten eng zusammendrängte und wie ein Inselchen mitten im saftigen Wiesengrün dastand. Prächtige Eichen mit starken Stämmen besetzten den Fuß der Berge bis gegen ihre Mitte hin, die felsigeren Gipfel wurden durch dunklere Tannen gekrönt.

Erich und Sabine waren so glücklich auf dieser kleinen Wanderung, unter den seligsten Gesprächen vergaßen sie Zeit und Stunde. Erich vorzüglich fühlte einen solchen Jubel in seiner Sele, er fühlte sich so elastisch geschmeidig, daß er in ausgelassener Wonne bei jedem Schritt hätte hoch aufspringen mögen. Er liebte Sabinen mit einer Innigkeit und Glut, daß er in ihr bald eine überirdische Heilige anbetete, bald das liebliche Mädchen jauchzend an sich drückte, im seligsten Bewußtsein, daß er hier der Natur reinstes Walten, zum unschuldigsten und holdesten Erdengeschöpf verkörpert, in seine Arme schließe.

»Hör nur zu, Erich,« sagte Sabine, »wie es in den Bäumen rauscht! Wenn man recht hinhört, so meint man, in jedem Baume klinge das Rauschen anders. Durch die Eichen rauscht der Wind ganz anders, als durch die Fichten, und so überall. Ich denke mir, das ist hier wie mit den Gedanken der Menschen. Du denkst in ganz andrer Weise, als ich, und wieder der Vater denkt anders als Du. Schau, so eine Fichte, die so recht ehrwürdig drein schaut, das ist der Vater, und dort die frische grüne Eiche, in der die Sonne spielt, das bist Du.«

»Und Du, Sabine, welcher Baum bist Du?«

»Ja, da weiß ich keinen,«

»Dort sehe ich eine Birke, ja, das bist Du! So recht schlank und anmutig, die gleicht Dir! Die Birke ist die Blondine des Waldes. Sie wird im Frühjahr am ersten grün, wenn die Märzsonne ihre frühsten Strahlen auf die Erde senkt, sie versteht die Sonne am besten von all den Bäumen des Waldes, so verstehst auch Du jeden Lichtglanz eher und besser, als jedes andre Erdenkind!«

Sabine hatte im Gehen Blumen gepflückt und einen Kranz daraus gemacht, sie setzte ihn auf, und Erich steckte einen Fichtenzweig an seinen Hut. Sabine blickte ihn lächelnd an und sagte:

»Jetzt siehst Du grade aus wie der Fichtenhütel aus Deinem Märchen!«

»Und Du,« entgegnete Erich, »bist auch so eine schöne, ja eine noch viel schönere Waldrose

Sabine sprang schelmisch einige Schritte zurück, und rief, indem sie lächelnd in die Hände klatschte:

»Fichtenhütel, Fichtenhütel, komm und mach mich reich!«

Erich flog auf sie zu, um sie zu umschlingen, sie aber entsprang ihm, und nun jagten und haschten sie einander, wie die übermütigen Kinder, um die Bäume. Sabine kam den Abhang hinunter plötzlich in Schuß, Erich rannte ihr lachend nach. Unten am Fuße des Abhanges hemmte der Bach Sabinens Eile, sie wollte sich aber nicht fangen lassen und lief neckend an demselben auf und ab. Da schoß Erich auf sie zu, umfaßte jauchzend ihren schlanken Leib, hob sie auf den Arm und sprang mit kühnem Satze mit ihr über den breiten Bach. –

»Erich! Erich!« rief Sabine erschrocken, schon aber stand sie auf dem jenseitigen Ufer, Erich war ausgeglitten und befand sich in knieender Stellung vor ihr. So blieb er vor ihr liegen, die Arme hatte er noch um sie geschlungen, und sah mit wonnetrunknen Blicken zu ihr empor.

»Du waghalsiger Bursch!« rief sie, sich von ihrem Schreck erholend; »mit mir über einen so breiten Bach zu setzen!«

Dann strich sie ihm das Har von der Stirn, faßte seinen Kopf mit beiden Händen, und sagte, indem sie ihn mit leuchtenden Blicken betrachtete:

»Ach, wenn ich nur wüßte, was ich Großes an mir hätte, daß Du prächtiger, lieber Mensch mich so lieben kannst! Verdiene ich's denn auch gar? Und doch weiß ich, daß Du es gut und wahrhaftig meinst, ja, wenn die ganze Welt aufstünde und mich glauben machen wollte, Du wärst falsch, ja, wenn Du selber Dich so bei mir anschwärzen wolltest – Nichts würd' ich glauben davon, Nichts! Eher würd' ich denken, ich selber sei schlecht geworden! Sag mir nur, was bin ich denn, ich armes Mädchen? Ich bin so unwissend, so verkehrt, ich bin Deiner gar nicht wert –«

»Du bist mein Leben,« rief Erich, sie begeistert an sich drückend, »Du bist mein Ideal, mein Alles – ach ich hab' kein Wort dafür, Du bist eben meine Sabine, mit der ich vor Wonne gleich in den blauen Sonnenhimmel hineintanzen möchte!«

Er sprang bei diesen Worten auf, umfaßte sie, und indem er eine lustige Tanzmelodie sang, fing er mit ihr an, auf dem grünen Wiesenteppich zu walzen, daß aus allen Büschen die Vögel aufgeschreckt zu den höheren Zweigen emporflatterten, und auf's Höchste verwundert zu diesem improvisirten bel champêtre hinunterblickten. Erich war so glückselig, daß er Bäume, Wiesen, Berge im Wirbel um sich her walzen zu sehn glaubte, er konnte nicht aufhören zu tanzen, bis Sabine ihn endlich festhielt, ihn am Ohr zupfte und mit neckischem Drohen rief:

»Wirst Du, ausgelassner Bursch, gleich gut sein? Solche wilde Tänze darfst Du nicht wieder aufführen!«

»Ach, laß uns alle unsre Wonne ausjubeln, Sabine,« rief Erich. »Ich kann sie nicht in mich verschließen, ich bin ein schlechter Sänger und Tänzer, aber ich muß singen und springen, mir ist's, als schnellte mich der Erdboden selbst zu immer neuen Jubelsprüngen empor. Nun, ich will ja still sein, so still und fromm wie Du! Aber komm, dort steigen wir noch den Berg hinauf und sehen vom Gipfel aus die Sonne untergehen.«

Sabine wollte einwenden, daß es schon spät wäre, gab aber seinen Bitten nach, und so stiegen sie denn den Waldsteig hinauf. Schon schossen die Sonnenlichter schräg durch die Stämme des Waldes, die Bäume warfen schroffe Schatten auf den Moosboden, und durch das Gesträuch flimmerten die Strahlen in braunem und grünem Golde, aus dem die blauen und roten Waldblumen wie blendende Edelsteine hervorglänzten. Jetzt standen sie auf dem Gipfel des Berges, zwei herrliche Jugendgestalten, vom hellen Glutenmeer der Abendsonne überströmt. Zu ihren Füßen das Dorf Heimbach, gegenüber das Schloß Weilburg, links in der Ferne die Thürme der Stadt, und rechts eine weite herrliche Landschaft in aller Pracht der bunten Herbstfarben.

Da schwebte trillernd eine Lerche dicht über ihren Häuptern.

»Schau nur,« sagte Sabine, »schau nur das winzige Vöglein an! Den ganzen Tag, von Sonnenaufgang bis spät Abends schwebt es singend in der Luft, und warum hat nun grade die Lerche, die doch höher fliegt als alle andern Vöglein, ihr Nest recht in den tiefsten Wiesengründen, dicht am Erdboden, und nicht auf den Zweigen, wie die andern? Manchmal muß ich dabei an den Johannes denken, dessen Worte und Gedanken sind mir oft so hoch und fern, daß ich ihm gar nicht folgen kann, recht wie eine Lerche, die man auch zuletzt gar nicht mehr sieht in der Luft. Ja, manchmal kommt mir der Johannes gar nicht vor wie ein Mensch, der auch essen, trinken und schlafen kann, ein par Mal ist es mir schon vorgekommen, als sähe ich Flügel an ihm, mit denen er sich nur aufzuschwingen brauchte zu den seligen Engeln.«

»Ach, unser armer Johannes!« seufzte Erich. »Wo mag er jetzt umherschweifen? Wir haben ihm sehr wehe gethan, Sabine!«

»Ach freilich,« entgegnete Sabine, »aber konnten wir denn anders? Es muß ein rechtes Unglück sein, von dem nicht wieder geliebt zu werden, was man liebt!«

Erich nickte schweigend. Eine Pause trat ein, Erich schien einen Entschluß in seiner Brust abzuwägen, dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und rief:

»Ich will kein Geheimniß vor Dir haben, meine Sabine, höre zu, ich will Dir noch von einem andern unglücklich liebenden Herzen erzählen.«

Und nun weihte er Sabinen in sein Verhältniß zu Corona ein.

Sabine seufzte tief auf, als er geendigt hatte, sie faltete still die Hände und sagte:

»Ach, das arme Fräulein! Wenn mir so wie ihr geschehen wäre, ich glaube ich wär' längst gestorben. Ach, Erich, was bin ich denn, daß Du mich dem schönen Fräulein vorziehst?«

»Wer kann diese Rätsel ergründen, meine Sabine,« entgegnete Erich. »Ich liebe Dich, habe nie vorher geliebt, und werde nur Dich, ewig, ewig lieben. Laß uns leben, glücklich, selig leben! Morgen, Sabine,« fuhr er fort, indem er sie sanft auf ein Felsstück zum Sitzen niederzog, und ihr die Worte in die Ohren flüsterte, »morgen geh' ich zu Deinem Vater und bitte ihn um Deine Hand!«

Hold erröthend saß Sabine da, dann blickte sie mit einem langen Blicke Erich an und sagte:

»Ich folge Dir, wohin es auch sei! Ich ahne es, wir werden noch manches Leid zu tragen haben, aber laß uns nicht verzagen, unsre Liebe soll stark und fest sein, ich kann nicht denken, daß sie jemals aufhören werde!«

Da saßen sie Beide, Hand in Hand, hoch auf dem Gipfel des Berges. Ströme von Licht flossen purpurn über Fels und Gebirge, Ströme von Seligkeit flossen durch die Herzen des jugendlichen Pares. Sie glaubten sich der Welt entrückt, in sonnige, märchenhafte Gefilde gebannt, sie genossen die ganze Fülle ursprünglicher, glückselige erster Jugendliebe. Lange sprachen sie kein Wort, fest an einander geschmiegt,

Sabine war die erste, die zum Aufbruch mahnte. Sie standen auf von ihrem Felsensitz, sollten diese, dem geschäftigen Leben heimlich abgestohlenen Stunden nun zu Ende sein? War es doch das erste Mal, daß sie allein durch Wald und Gebirg schweifend, ihr Glück gekostet hatten! Und wie viel Knospen waren heut in ihren Herzen erblüht, wie viel Schönes und Liebes hatten sie, Eins in des Andern Herzen, entdeckt!

Erich breitete, als sie den Gipfel verlassen wollten, die Arme aus und rief:

»Ach könnt' ich, wie der Adler, meine Flügel ausbreiten, und Dich mit mir forttragen durch die Lüfte!«

»Wie heißt's in dem Liede?« sagte Sabine lächelnd: »›Da's aber nicht kann sein, bleib ich allhier.‹ Und so laß uns denn zufrieden wieder hinunter gehn nach Heimbach, komm, ich sehe noch zu, wie es der alten Gertrud geht, dann muß ich fort.«

Sie stiegen vom Berge hinab und gingen vor das Haus, wo die Muhme noch immer in der Sonne saß. Die letzten Abendgluten fielen auf das Gesicht der Alten, und um sie her, an der Wand und auf dem Boden, zitterten die Schatten der Zweige, die vom Abendwind leise bewegt wurden. Die Alte sah starr in die Sonne, als sie aber das jugendliche Par kommen sah, streckte sie die Arme aus und erfaßte die Hände Beider.

»Wie geht's Euch, Muhme?« fragte Sabine.

»Gut geht mir's, über die Maßen gut! Die Sonne geht unter, seht nur, wie sie leuchtet! Wenn man sein Leben hinter sich hat, sieht man gern hinein in die Sonne, die auch zur Ruhe geht. Es ist ein wunderlich Ding um's Leben – Freud und Leid, man kann's kaum unterscheiden. Da quält man sich ab unter Thränen, und mag doch nicht, daß das Leben aufhöre, die Andern möchten in den Himmel springen vor Lust, und denken, jetzt möchtest Du sterben, daß Dein Glück auf der Welt nicht aufhöre. Es ist Alles Eins, die Sonne geht drüber hin, und sieht die Thränen und sieht das Glück und denkt: Ihr Armen, Ihr geht Alle dahin und Andre vergessen Euch, und wissen nichts von Eurer Lust und Qual, und tausend Geschlechter kommen nach Euch, und es ergeht ihnen eben so, und – es ist Alles Eins!«

Erich und Sabine standen mit stummem Schauer vor der Alten, sie wagten nicht zu sprechen, ein verklärter Glanz schien über die verwitterten Züge ausgegossen.

»Ihr seid jung,« fuhr sie fort, »Ihr seid jung und frisch, was geht Euch das Sterben an, was kümmern Euch meine Worte! Ihr wollt leben, nun so lebt, seid ein Herz und ein Leib, und nehmt hin, was die Welt Euch bietet. Gebt mir Eure Hände – so! Geb Euch der Himmel seinen Segen, wenn ich hinauf gehe vor Gottes Thron, will ich für Euch bitten, denn Ihr seid gut und ohne Falschheit. Und nun geht hin, die Sonne ist unter, laßt mich schlafen, ich bin gar müde.«

Die Alte ließ das Haupt auf die Seite sinken und murmelte leise Worte vor sich hin, es war ihr Abendgebet. Nur einmal machte sie mit der Hand noch eine Bewegung, als wolle sie das jugendliche Par fortweisen, dann schien sie sanft zu entschlummern.

Schweigend und Hand in Hand gingen Erich und Sabine von ihr, es war ihnen so feierlich und bewegt zu Mute, als kämen sie vom Altare, als habe der Priester sie eingesegnet. Die Sonne war hinter dem Gebirge versunken, aber glühende Wolken schwebten noch um die Stätte, wo sie verschwunden war, und ein immer leiseres Rot hauchte die entfernteren Fleckchen an, die in der Höhe des blauen Himmels schwebten.

Erich sah auf, da kam Johannes auf ihn zugeschritten, besorgt sah er ihm entgegen, ungewiß, ob der Freund ihn als Freund begrüßen werde. Aber mit glühenden Wangen flog dieser an seine Brust und rief:

»So habe ich Dich nicht umsonst so lange gesucht, da ich Euch Beide vereint finden sollte! Seid glücklich, Ihr Beiden, liebt Euch, seid so glücklich, als ein Sterblicher zu werden vermag. Ich habe überwunden, nehmt Alles hin, ich geb' Euch alle Wünsche und alle Liebe, ich will nichts, als Euch glücklich sehn, aber, Erich, laß auch mir noch ein Stückchen von Deinem Herzen!«

»O Du Paradiesessele!« rief Erich überwältigt, »wie habe ich Unwürdiger so viel Liebe verdient?«

Er konnte nicht weiter reden und preßte den Freund mit Heftigkeit an sich.

»Sie sind ein lieber, guter Mensch,« sagte Sabine, indem sie Johannes die Hand reichte. »Ich weiß, was Sie um uns gelitten haben, wir werden's Ihnen nimmer vergessen, bleiben Sie uns nur treu, wir werden einen Freund noch gar nötig haben.«

Es war ein großer, sonnenheller Augenblick, den die Versöhnten hier feierten, die Brust hob sich ihnen, als athmeten sie alle Wonne der Welt auf einmal ein, als gäbe es kein Ende dieses Glückes. Und drei Schritte von ihnen war eben ein Herz zur Ruhe gegangen, die Muhme war gestorben. Neben dem Tode stand ein frisch aufblühendes Leben, das nichts fühlte von dem Schauer der Vernichtung, das nur sich selbst fühlte, nur sein eignes jubelnd aufloderndes Dasein.

*

13.


 << zurück weiter >>