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2.
Jugendideale.

Als Erich erwachte, war die Sonne eben in aller Pracht aufgegangen. Ein gesunder Schlaf hatte das besorgliche Gefühl, das ihm gestern Abend eine Erinnerung gebracht hatte, verscheucht, er war fröhlich und erquickt. Im Hause war es noch still. Rasch warf er sich in die Kleider und eilte hinaus in das frische Weben des Morgens. –

Das war ein Morgen! Er eilte jenem Gipfel zu, von dem aus er gestern Abend zuerst das Städtchen gesehen hatte. Es war eine seiner Eigenheiten, daß, wenn er in eine Gegend kam, er sie auf Schritt und Tritt kennen zu lernen suchte. Jeden Waldsteig mußte er durchwandern, jeden Hügel besteigen, dann aber fühlte er sich heimisch und konnte die Schönheiten der Gegend von Herzen genießen.

Er stürmte den Berg hinauf, der ungefähr eine halbe Stunde von der Stadt entfernt war. Goldig lagen die Berge da, das Städtchen streckte sich in blauem golddurchschillertem Dampfe in der Tiefe. Die Bäume schienen im Feierkleide, die Vögel begrüßten sich zwitschernd im Thauregen auf den Zweigen, und die Waldblumen glänzten rings umher wie glatte frisch gewaschne Kindergesichter. Erich überkam es, als müßte er jetzt etwas Ungeahntes, Schönes erleben, so feierlich froh war ihm zu Muthe.

Kaum aber war er auf der Höhe angelangt, als er eine Stimme rufen hörte: »Da ist er wirklich!« Johannes sprang um die Büsche auf ihn zu, und beide begrüßten einander wie alte Bekannte, die sich Jahre lang nicht gesehen hatten. Die Jugend macht schnell Bekanntschaften.

»Ich hab's geahnt,« sagte Johannes mit funkelnden Augen, »mein wandernder Sänger von gestern mußte auch heut schon hier sein. Wir haben noch viel von ihm gesprochen, dieser Maler, den ich gestern nach Heimbach hinunterbegleitete, ist ein durchtriebener, toller Mensch. Gestern hat er gleich an jedem Fenster, wo er ein Mädchengesicht erblickte, eine Unterhaltung angesponnen und sämmtliche heimbacher Burschen eifersüchtig gemacht. Darauf begab er sich ins Wirtshaus, bevor er noch zu seinem Verwandten, dem Pfarrer, gegangen war, mehre Burschen lauerten ihm auf und es wäre ohne Zweifel zu einer Schlägerei gekommen, hätte ich nicht die Sache beigelegt. Das ganze Dorf war dabei in Aufregung geraten, und der Pfarrer hat seinen auffallenden Gast nicht eben mit offenen Armen empfangen. Jetzt liegt er nun in der Pfarre und verschläft wie eine Ratze den schönen Morgen.«

»Das sieht ihm ganz ähnlich,« entgegnete lachend Erich. »Er kann sich nirgends in seinen Tollheiten und Ausschweifungen beschränken, und Andre haben dann meist gut zu machen, was er verbrochen hat. Er ist im Uebrigen ein liebenswürdiger Gesell, und hat sogar Momente, wo er ziemlich vernünftig ist. Ich lernte ihn auf einer Reise vor einigen Jahren kennen, seitdem haben wir manch Stück Land zusammen durchstreift.« –

Erich und Johannes schweiften noch eine Weile über Hügel und Thal. Letzterer war sehr gesprächig und lebendig, und Erich konnte das harte Unheil nicht begreifen, welches Ulrich über ihn gefällt hatte. Er fühlte sich durchaus von keiner Schwebelei und Nebelei abgestoßen, im Gegentheil zog ihn das Wesen des neuen Bekannten lebendig mit sich fort, und er wünschte eine nähere Vertraulichkeit mit ihm. –

Doch die Sonne stieg höher und Erich wollte seiner Schwester nicht den Kummer bereiten, gleich das erste Frühstück zu versäumen. Die Jünglinge reichten einander die Hand, und als sie einander ansahen, war es als schauten beide in eine Welt von Ereignissen, die geheimnißvoll verschleiert zwischen ihnen läge, aus der aber ein Harmonienmeer lockender Klänge hervorriefe, ein Weben und Regen tausendfarbiger Lichter und Strahlen, ein jauchzender Ruf halb bekannter und halb fremder, aber wonnig klingender Stimmen. – Johannes versprach am Abend nach der Stadt zu kommen, und Erich schritt singend nach Hause, wo Beate ihn schon längst erwartete.

Er besorgte, die Schwester werde wieder auf ihr Gespräch vom gestrigen Abend zurückkommen, doch da verstand er sich schlecht auf die Diplomatie der Frauen. Ulrich hatte ganz recht gewarnt: Was sie auf den ersten Angriff nicht erlangen, das wissen sie zu erschleichen. Und so wartete Beate, die ein Geheimniß ahnte, ruhig die Stunde ab, wo Erich ihr nicht würde widerstehen können. Sie ahnte ein Geheimniß, ja sie freute sich sogar heimlich darüber und fand es gar nicht so unwahrscheinlich, daß ihr Erich – in den sie, wie ältere Schwestern gewöhnlich in den jüngeren Bruder, halb verliebt war – in irgend einer näheren Beziehung zu der schönen stolzen Gräfin stehe. –

Die Familie erhielt eine Einladung zum Abend, die sie nicht ausschlagen konnte, Erich aber weigerte sich hartnäckig, mit von der Partie zu sein, er erwartete Johannes. Und Beate, indem sie seinen Anzug musterte, drang auch weiter nicht in ihn, schickte aber heimlich zu einem Schneider, der dem Bruder eine salonmäßige Hülle schaffen mußte, für künftige Fälle. – –

Der Abend kam. Erich war allein zu Hause, bald aber erschien Johannes. Ein Kahn lag am Ufer festgebunden, und Johannes schlug eine Fahrt vor. Sie ruderten ein Stück auf dem Strome hin, als Letzterer dem Ufer wieder zulenkte, und Erich sah in einem Garten, der ebenfalls hart ans Ufer stieß, seine liebliche Fährmännin stehen. Sie grüßte unbefangen herüber. Die Jünglinge hielten den Kahn am Ufer fest, wo Sabine auf einem Bänkchen saß, umgeben von einem Gewirre gepflückter Blumen, die sie zu einem Kranze wand. Sie sprach ohne Scheu und Verlegenheit mit den beiden jungen Gesellen im Kahne, Johannes schien sie schon länger zu kennen.

»So nahe wohnen wir bei einander?« sagte Erich.

»Sehen Sie,« sagte das Mädchen, »daß ich also recht gut wissen konnte, daß Sie der Bruder der Frau Doktorin sind, Sie brauchten mich nicht gleich so zu verspotten.«

»Nun,« entgegnete Erich, »es sollte kein Spott sein, übrigens wußten Sie meinem Spotte doch recht wohl zu begegnen. Aber für wen wird denn der schöne Kranz?«

»Morgen ist Kindtaufe bei Nachbarsleuten, die haben mich um Blumen gebeten. Wir haben ja so viele, der Vater hat mir fast das ganze Gärtchen hier dazu eingeräumt, weil wir draußen noch einen großen Garten haben, und da kommt immer Alles zu mir.«

»Wahrscheinlich auch, weil Niemand so schön Kränze zu winden versteht. Wie schön Sie die Farben vertheilt haben!«

Sabine sah lächelnd und zufrieden ihren eben fertigen Kranz an. Da hörte man im Hause eine Männerstimme rufen. Sabine sprang auf mit den Worten: »Gleich, Vater, ich komme schon!«

In den Garten aber trat ein langer hagerer Mann mit strengen Gesichtszügen, einer Adlernase, grauen durchdringenden Augen und starkem, schon gebleichtem Har. Doch wurde die Strenge seiner Mienen durch einen jovialen Zug um den Mund gemildert. Er trug einen langen, bäurischen blauen Rock, und so kam die imponirende Gestalt des Weinbauern mit Hut und Stock dahergeschritten.

»Ei, grüß Gott, Herr Nachbar Helldorf,« sprach der Weinbauer zu Erich, »wie gefällt's Ihnen bei uns? Ich hab' Sie gestern schon gesehn. Aber Sie werden mir doch nicht so einen halben Besuch an der Hinterthüre machen wollen? Binden Sie Ihren Kahn an, und kosten Sie 'mal meinen Zweiundvierziger. Und Sie auch, Musje Johannes. Sabine, ist der Mathes noch nicht da? Wo der Wettersbub nur wieder steckt.«

Erich und Johannes folgten der Einladung des Weinbauern. Dieser schritt voran in das Haus. Sein Name war Hartmann, er ließ sich aber lieber Weinbauer nennen. Er besaß bedeutende Weinberge in der Umgegend, vorzüglich in Heimbach, und einen gefüllten Keller nebst Gebäude in der Stadt, woselbst er gute Geschäfte machte, indem kleinere Weinbergbesitzer ihm ihren Wein verkauften, dessen Versendung und Besorgung an größere Handlungshäuser in entfernteren Städten er dann übernahm.

In der Wirtsstube war ein Verschlag in einer Ecke eingerichtet für vornehmere Gäste, dahin führte der Weinbauer die beiden Jünglinge. Sabine brachte auf einem zinnernen Teller den Zweiundvierziger in einem steinernen Deckelkruge, und Gläser. –

»Stoßen wir an auf gute Nachbarschaft,« sagte der Weinbauer zu Erich. –

»Und wir ebenfalls,« wandte sich der Letztere zu Sabinen, die ohne Umstände ihres Vaters Glas ergriff, mit Erich und Johannes anstieß, und trank. –

»Höre, Sabine, wenn der Mathes kommt, schick ihn mir herein, der Bursch macht mir 'mal wieder – nu, man muß mit ihm nachsichtig verfahren!« –

Sabine ging in die anstoßende Küche und Erich bemerkte, wie hin und wieder die Gardine des Thürfensterchens leise verschoben wurde, um einem lauschenden Auge Platz zu machen.

»Wer ist denn der Mathes, den Sie erwarten?« fragte drauf Erich.

»Der Mathes ist in meinem Dienste, er ist mir heut weggelaufen, wer weiß wohin? Wenn er nur nicht wieder da 'nauf zu der alten zerfallenen Kapelle gelaufen ist, andre Menschen gehn dem Ort, wo das verwünschte Bild gehangen war, aus dem Wege, zweimal aber hat ihn der Gemeindehirt von Heimbach schon da oben getroffen, ich möcht' wissen, was der Bub da oben schafft?«

Erich erinnerte sich, gestern schon von dem Bilde gehört zu haben, und fragte, was es damit für eine Bewandtniß habe.

»Ja, was wird's sein?« entgegnete der Weinbauer. »Kein Mensch weiß recht, warum es Einem bei dem Bilde immer kalt über den Rücken läuft. Die Leute sagen, es wären schon Viele dadurch unglücklich geworden, und haben's aus der Kirche wegschaffen wollen. Der Graf aber sagte, es gehörte zur Kirche und müßte drin bleiben. Nachher ist die Kirche, oder die Kapelle, denn's war nur ein kleines Ding, abgebrannt, und Jeder dankte Gott, daß das Bild mit verbrannt wär. Ja, wer weiß es aber? Da schau mal Einer 'nein in's neue Schloß, ich mein', es wird wol gerettet sein und irgendwo hängen, denn 's ist ein Erbstück. Ich wünscht', die alte Schmierale wär zum Teufel, denn's ist gottslästerlich, so was zu malen!«

Des Weinbauern Zweiundvierziger war gut und machte die Herzen warm. Eine Kanne nach der andern wurde gebracht, der Weinbauer war gesprächig, Erich und Johannes fühlten, daß ihre Herzen sich näher an einander schlossen. Sie sprachen von ihren Studien, ihren Lieblingswünschen, Bestrebungen, und der Weinbauer hörte, wenn er in eine derartige Unterhaltung nicht eingreifen konnte, aufmerksam zu.

Es war spät geworden, da trat Sabine ein, überreichte Erich einen Schlüssel und sagte: »Die Frau Doktorin schickt dem Herrn Bruder den Hausschlüssel, im Fall er spät ausbleiben wollte.«

Erich mußte lächeln über die Vorsorglichkeit seiner Schwester, die selbst bei seinen kleinen Ertravaganzen nicht ruhen mochte.

Die vorige Unterhaltung wurde wieder aufgenommen, und Johannes sagte, indem er sein Glas erhob: »Was man in der Jugend wünscht, das hat man im Alter die Fülle!«

»Ich stoße mit drauf an,« entgegnete Erich, »nehme aber dies Goethesche Wort in dem Sinne, wie ich es verstehe.« Er leerte sein Glas und fuhr fort: »Man braucht nicht alt zu sein, um zu erkennen, daß dieser Ausspruch nur eine relative Wahrheit hat. Das Fortschreiten mit jedem Lebensjahre lehrt uns schon, daß man Vieles, was man in der Jugend gewünscht hat, niemals erlangen kann, weil es eine leere Träumerei war, an dem Meisten aber, was man an Jugendwünschen erlangt, hat man nur noch eine halbe Freude, denn jener Jugendschmelz ist verwischt, aus dem jene Wünsche hervorwuchsen.«

»Das wäre eine traurige Aussicht in die Zukunft,« entgegnete Johannes, »wenn ich recht verstehe. Dann hätten wir an jedem neuen Tage ein neues Glied in der Kette trauriger Erfahrungen und eines verfehlten Strebens, und könnten uns keines Augenblickes recht erfreuen. Nein, ich glaube grade, Alles, was wir lebendig fühlen und was wir genießen, berechtigt uns zu der Annahme, daß die Zukunft es nicht in uns auslöschen könne. Jede gute Stunde, in der wir die Lichtmomente unseres Lebens empfinden, ist der Boden, in welchem die Fruchtkörner unsrer Gedanken keimen und Wurzel schlagen, um sich mit Blüten und Zweigen, strebend und immer neue Knospen treibend, hinauszuranken in die Zukunft.«

»Allerdings,« sagte Erich erfreut, »nur muß jene Gedankensat auch wirklich fruchtbar sein. Ich denke, daß jene Fülle, die man besitzen soll, nicht eine Reihe von Erfüllungen ist, sondern der Totaleindruck von schönen Erinnerungen, der seinen Abglanz wirft auf die Thätigkeit der Gegenwart, auf eine Thätigkeit, zu der uns Geistesbildung und Charakterentwickelung geführt haben. Meinte Goethe wirklich, daß alle Jugendwünsche einst erfüllt werden sollten, so widerspräche er sich selbst durch den Ausspruch: Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.«

Der Weinbauer schien auch dieser Ansicht zu sein, er nickte und füllte die Gläser auf's Neue.

»Doch glaube nicht,« fuhr Erich fort – denn das vertrauliche Du war heute schon in den Verkehr der beiden Jünglinge getreten – »glaube nicht, daß ich so sentimental sei, jede schöne Jugendhoffnung als unerfüllbar zu beklagen. Ich baue mir Luftschlösser, ich habe meine Ideale, und glaube an eine ewige Jugend, die geisteskräftig und frisch sich durch das Leben erhalten kann.«

»Ewige Jugend!« rief Johannes und stieß mit Erich an, dann reichte er ihm die Hand, und Beide standen auf und sagten dem Weinbauer gute Nacht, der sehr von ihnen befriedigt zu sein schien. Sabine kam nicht mehr zum Vorschein. –

Sie traten hinaus auf die Straße. Es war eine helle Mondnacht. Beiden war das Herz voll und warm.

»Ich geh noch nicht nach Hause,« sagte Erich, »ich begleite dich nach Heimbach, oder willst du bei mir bleiben?«

»Nein, gehen wir nur,« erwiederte Johannes, indem er des Freundes Arm nahm; »nur jetzt nicht wieder zwischen Mauern und Wände! Laß uns noch umherschweifen.«

Sie schritten durch die mondhellen Straßen. Die alten hochgegiebelten Häuser grenzten sich schroff und schwarz ab gegen den hellen Nachthimmel, und ebenso ihre dunklen Schatten auf den Straßen. Die Berge schauten von allen Seiten hoch herein, und es war tiefe Stille, nur die Brunnenröhren rauschten nah und fern, oder der Nachtzug in den Bäumen, die hin und wieder vor einem Hause standen.

Erich und Johannes sprachen nicht. Sie standen jetzt auf einem Platze, wo ein großes steinernes Becken das Brunnenwasser aus den Rachen von drei ergrauten und morschen Delphinen auffing, über denen ein Triton in das Muschelhorn stieß. Dies einstige Kunstwerk, denn dafür mochte es wohl oft gehalten worden sein, war schwarz und vielfach zerbröckelt, die Linden aber, die man mit ihm zugleich dorthin gepflanzt hatte, standen hoch und breitästig mit weiten Schatten da, und nahmen sprossend jährlich in dem Maße zu, als ihr Nachbar, der Triton, verfiel. Dort stand ein Bänkchen, Johannes führte Erich zu ihm hin.

Johannes fühlte, daß sein Herz fast überquoll, er hätte alle Töne seiner Sele mögen dahinrauschen lassen in einem jubelnden Accord der Liebe, um anzuklopfen an dem befreundeten Herzen. Zwischen Beiden lag aber noch jenes Siegel, jenes unbekannte, geheimnißvolle Bannwort, das die strömende Flut des Ergusses hemmte. Hier waren zwei Selen, die sich fast in stürmender Eile ergriffen hatten, schon hatten sie einander erkannt, oder ahnten einen Sternenhimmel voll Liebe eine in der andern; schon hatten einzelne Gefühle der Wonne sich losgerungen und flogen entzückt einander entgegen; schon wollten die ersten Strahlen zweier Morgensonnen einander zusprühen, und, jede auf der fremden Trift, tausend Blumen und Sänger wach küssen – noch aber ging ein banges Zögern mit forschenden Augen zwischen Beiden hin, als fürchtete Einer des Andern Schweigen durch ein ungeschicktes Wort zu unterbrechen, oder als fürchteten Beide eine Enttäuschung über einen heilig geglaubten und groß empfundenen Augenblick.

Solch eine Regung durchflog plötzlich Johannes Brust, er ergriff schnell die Hand Erichs, und dieser, als habe er nur auf die Minute geharrt, flog an seine Brust und umarmte ihn stürmisch. –

Der Mond stand in reinem Lichte vor ihnen, die steinernen Delphine ließen nach wie vor eintönig ihre Fluten dahinrauschen, in den Linden aber säuselte ein leiser Hauch der Nacht den Segen über diese Stunde. –

Es hat die Natur einen Keim in den Busen der Menschen gelegt, gemeinsam für zwei holde Blüten des Lebens, Zwillingsregungen von gleicher Fähigkeit und Stärke. Die Sterblichen nennen sie Liebe und Freundschaft. Schön und groß ist es, wenn sie Hand in Hand gehen, gewöhnlich aber gewinnt die Liebe ihrer Schwester den Vorrang ab. Die Freundschaft ist auch eine Liebe, ja sie ist die geklärtere, uneigennützigere. Auf die Gluten jener gießt sie ihren erquickenden Thau, auf die Wunden jener bringt sie ihren Balsam. Im Sturme schreitet die Liebe einher, im Sturme ergreift auch die Freundschaft das jugendliche Gemüt. Voll, rein, frisch und natürlich muß die Brust fühlen, in der sie ihren Wohnsitz aufschlagen soll. Der Jüngling nur hat Kraft zu lieben, der auch die Freundschaft ganz empfindet. –

Hier stehen zwei Jünglinge, in aller Kraft der Jugend erblühend, sie verstehen nicht, was sie mit Allgewalt an einander zieht, sie empfinden nur, daß es geschieht. Laß wehen deinen Odem, allschaffende, allkräftigende Natur!

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