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Unweise und ungestillt ...

 

Princes, and ye whom pleasure quickeneth,
Heed well this rhyme before your pleasure tire:
For life is sweet, but after life is death.
This is the end of every man's desire.

Swinburne

 

Es war am Morgen des 16. Dezember 1809, daß Josephine den »Henkerskarren« bestiegen hatte, der sie aus den Tuilerien fortbringen sollte. Der von ihr so bezeichneten Kalesche folgten mehrere andere Wagen – und dieser Auszug der Kaiserin muß trotz der Livreen und Hofwagen mit all dem kunterbunten Zeug, das da verladen wurde, und vor allem der kleinen Menagerie und dem Rudel von Hunden etwas recht Gauklerhaftes gehabt haben. Die Fahrt ging nach Malmaison, das Josephinens eigenstes Haus war, der Mittelpunkt in all dem Her und Hin dieser ganzen Jahre. Wie es bereits beim Kaufe, da nicht nur der Kaufschilling, sondern sogar die unerläßlichen Zuschreibungsgebühren gefehlt hatten, schon recht nach Josephinens Art zugegangen war, so war es weiter mit Malmaison geblieben: Zu- und Umbauten ohne Ende, Kommen und Gehen von Arbeiterscharen und Gästescharen, Wohnen in der Unrast. Dahin fuhr Josephine nun im strömenden Regen dieses schnelldämmernden Wintertages, der zum Lebensinhalt gewordenen Bürde ledig.

Ödnis und Leere war um sie in diesen Tagen; das Weinen, das zu lange ein Mittel zum Zweck gewesen war, geschah nur noch automatisch weiter, wenn die Besucher fort waren, vor denen die Tränen pflichtmäßig geflossen waren. Und wenn auch schon wieder kleine Gelüstchen, Neugierden und spielsüchtige Gedanken sich meldeten, diese Boten des Lebens kamen gespenstisch in die wie ausgebluteten Tage. Wer mag da nach Liebe oder Nicht-Liebe fragen? Wie alles auch gewesen sein mochte, es waren fünfzehn Jahre Lebens, die zu Ende waren. Und wie wenig in Josephinens Bewußtsein auch gegenwärtig war, daß sie demnächst siebenundvierzig Jahre alt würde, die Jahre waren doch in ihr, aufgespeichert und mitgetragen in allen Organen. Und obgleich ihr gar nicht nach Abdankung und Ruhestand zumute gewesen, die Müdigkeit langen Umgetriebenseins, die durch das Versprechen von Dauer und Geborgenheit in diesem Kaiserinnen- und Ehestand beschwichtigt worden war, stöhnte jetzt, aufgejagt, im Lebensgrunde auf. Und alles war so ratlos, sinnlos, so schal, wie ein Zimmer nach langem Spiel oder langem Streit, aus dem der verbissen gewohnte Partner fortgegangen ist. Sie hatte es schwer in diesen ersten Tagen und schwerer noch, weil die Veränderung der gewohnten Lebensluft sich erst auch noch auf eine Art äußerte, die ihr half, sich in das Gefühl von Elend und Verlassenheit vollends hineinsteigern zu können. Der anfänglich kleine Hofstaat war zu selbstverständlich da, er brachte keine Neuigkeiten, lockte bald auch nicht mehr zu Tränen – und mit den Besuchern sah es in diesen ersten Tagen kärglich aus. Ein paar Frauen von Würdenträgern kamen, ihrem Herzen gehorchend; aber der riesige Schwarm, der enger oder weiter zur Hofhaltung gehörte und von dem jeder und jede einzelne Josephine irgendwann im kleinen oder großen ausgenützt hatten, wußte noch nicht recht, wie der Wind wehte, und wartete lieber vorerst ab, bis der Kaiser wieder sichtbar würde.

Napoleon hatte sich nach Josephinens Fortgehn in das Trianon zurückgezogen, wo es keine Erinnerungen an sie gab. »Er verbrachte hier drei Tage, sah keinen Menschen, nicht einmal seine Minister, und während der ganzen Dauer seiner Herrschaft waren diese drei Tage vielleicht die einzigen, in denen die Gefühle eine größere Macht über ihn hatten als die Staatsgeschäfte. Alles war aufgehoben, seine Korrespondenz, die Audienzen und die Ratssitzungen. Das einzige, wofür er Vorsorge traf, waren etliche Anordnungen betreffs der neuen Lebenseinrichtung der Frau, von der er sich eben getrennt hatte, und sogar die ließ er mich nur durch einen seiner Offiziere wissen«, schreibt der Minister Mollien. Daß Napoleon den Abschied von der großen Liebe seiner Jugend so schwer nahm, ließ er Josephine hingegen nur allzu oft wissen. Er schrieb ihr erschüttert zärtliche und sehnsüchtige Briefe und lud sie schließlich allzubald mit Hortense nach dem Trianon zum Essen ein, währenddessen »sie beide so glücklich und zufrieden aussahen, daß man hätte glauben können, sie hätten einander niemals verlassen«. Dieses Nicht-Allein-Austragen-Können dessen, was Napoleon schließlich doch selbst gewollt hat, dieses schon ungefährlich geglaubte Sichhingeben an die Schwermut ausgeliebter Liebe sowohl wie an »seine ewige Schwäche für Josephine« übte auf die Verlassene in Malmaison eine Weile noch eine recht schmerzliche Wirkung: etwa eine, die ein gelegentlich aus Mitleid gereichtes Glas Kognak auf einen hat, der sich der Trunkentziehung gefügt hat.

Aber endlich begannen doch wieder Lichter in dem Nebel zu spielen, Ausblicke öffneten sich. Und als dann gar noch Napoleon, nach Paris zurückgekehrt, eindeutig zu verstehen gab, daß Besuche bei Josephine ihm sehr erwünscht seien, und ohne Unterlaß die Wagen aus Paris anrollten, gab es unter den jedem Besucher je nach seiner Wichtigkeit zudosierten Tränenergüssen schon immer lebhaftere Neugierde und Teilnahme an dem, was das Leben war. Die erste kräftige Äußerung davon war der Wunsch, möglichst bald den ihr zugebilligten Pariser Wohnsitz, das Elysee-Palais, beziehen zu können, wo sich vorläufig die Murats festgesetzt hatten und Fest über Fest gaben. Dann tauchten auch gleich, als kräftigere Lebensboten, die altgewohnten Begleiter, die Geldsorgen, auf. Nicht daß Josephine etwa hätte über ihre Versorgung klagen können: zu den vom Staate ihr jährlich ausgesetzten zwei Millionen, die später auf drei erhöht wurden, hatte der Kaiser aus seiner Zivilliste ein Jahrgeld von einer Million gefügt. Und als Josephine in dem milder werdenden ersten Schmerze der Trennung Andeutungen über die Schwierigkeiten ihres Auskommens in die Briefe hauchte, hatte er ihr sogleich die noch in mehreren Tischladen in Malmaison verwahrt gewesenen 600 000 Franken geschenkt und bald darauf noch etwa 200 000 Franken dazugetan. Aber unkontrollierbare Schulden, die Josephine bei der letzten Regelung wie stets vorher verschwiegen hatte, waren weitergeschleppt worden und störten von allem Anfang an das durch die Aussicht auf so viele unter den neuen Umständen möglichen Neuanschaffungen höchst schwanke finanzielle Gleichgewicht. Jetzt scheuten auch die Händler und Putzmacherinnen die Fahrt nach Malmaison nicht mehr, und als Josephine dann im Januar 1810 sich schließlich doch das Elysee-Palais hatte erobern können, wimmelte es wieder von Kaufversuchungen aller Art. Und noch wirkte das lange Verbot für eine Weile als Würze weiter, so daß Josephine hemmungslos nach jeglichem Ding griff, das dargeboten wurde, und das Erworbene nur noch immer schneller liegen ließ oder hinter sich warf.

Dieses eben jetzt schon fast lustlos gewordene zwanghafte Kaufen war jedoch nicht imstande, ihre Enttäuschung über den geringen Widerhall ihres Einzugs ins Elysee zu übertäuben. Daß der Kaiser sich nicht von Josephinen getrennt habe, um lange allein zu bleiben, wußte jeder. Gerüchte und Gerede, von der Wichtigkeit erfüllt, die das Kommen einer neuen Herrin mit sich bringt, liefen von einem zum anderen. Neue Order hinsichtlich Josephinens war noch nicht erteilt worden; das kürzlich erlassene Verbot, über Josephinens Tun und Lassen in den Zeitungen zu berichten, bestärkte alle die vorsichtigen Nutznießer des Kaisertums in der Überzeugung, daß mit dem baldigen Kommen einer neuen Kaiserin Josephinens Aufenthalt in Paris nicht erwünscht sein könne und daß man sich daher eben jetzt besser nicht auf eine Verkehrsform festlegte, die nächstens vielleicht schon ungern gesehen würde. So waren jetzt die meisten Besucher im Elysee-Palais Leute aus der antikaiserlichen Clique des Faubourg Saint-Germain, die aus ihren ausposaunten Besuchen bei »dem unglücklichen Opfer des Tyrannen« eine Protestkundgebung gegen Napoleon zu machen wünschten. Josephine genoß diese Teilnahme dennoch sehr und sparte nicht mit privatesten Erzählungen, die dann kaum noch entstellt zu werden brauchten, um triumphierend »als Material gegen das Ungeheuer Bonaparte« aus den Salons bis zu dem Grafen von Artois und den anderen Bourbonen zu gelangen. Aber diese fünfzehn oder zwanzig Besucher am Tag konnten Josephine nicht die Beruhigung geben, daß sie zu dem gesellschaftlichen Zentrum geworden sei, als das sie sich gesehen hatte. Als sie zudem noch immer untrüglicher zu hören bekam, daß der Kaiser sich so weit zu amüsieren beginne, als der Inamusable dessen fähig war, griff sie nach der nächsten sich zu bieten scheinenden Gelegenheit, die ihr neue Wichtigkeit zu geben versprach. Wenig unterrichtet über die bereits schwebenden Verhandlungen setzte sie sich vor, die doch unausbleibliche Heirat des Kaisers selber in die Hand zu nehmen; dadurch erhoffte sie sich außer der Dankbarkeit Napoleons eine Art Protektorat über ihre Nachfolgerin zu sichern und überdies dem Unvermeidlichen das Gift ebenso zu nehmen, wie sie vordem gelegentlich ihrer Eifersucht dadurch zuvorgekommen war, daß sie dem Gatten eine ihrer Damen für die kaum noch Abenteuer zu nennenden halben Liebesstunden sozusagen zum Geschenk gemacht hatte. Ihre und Hortensens Bemühungen um die Fürstin Metternich, die »die österreichische Heirat« in die Wege leiten sollte, hatten in all der zur Schau gestellten Großherzigkeit dann allerdings etwa den praktischen Erfolg, den das eifrige und aufgeregte Schlagen mit einem Fächer gegen einen Baum hat, der eben von geschickten Holzfällern zu Fall gebracht wird.

Kaum drei Monate nach der Scheidung, am 11. März 1810, schloß der als Napoleons Stellvertreter nach Wien entsandte Marschall Berthier die Ehe mit der achtzehnjährigen Erzherzogin Marie-Louise, dem Patenkinde Marie-Antoinettens und Ludwigs XVI., und drei Tage darauf war die neue Kaiserin der Franzosen unterwegs nach Paris. So oft auch Napoleon versichert hatte, er würde in der zweiten Gattin nichts als die künftige Gebärerin seines Erben sehen können, so anders stellte sich ihm diese neue Ehe dar, nun er an dieses hübsche Mädchen als an seine Frau denken konnte und das ganze seinem Wesen eingeborene Verlangen nach der Ehe als der einzig rechten Liebes- und Lebensform wieder alle Gewalt über ihn hatte. Napoleons Schwägerin Katharina von Württemberg schrieb in dieser Zeit an ihren Vater, daß der Kaiser bereits in seine künftige Frau verliebt und ihm diese Ehe auf eine unvorstellbare Weise zu Kopf gestiegen sei, daß er Schneider und Schuster kommen lasse, um sich mit möglichster Sorgfalt zu kleiden, und daß er Walzer tanzen lerne. Und dies in seinem einundvierzigsten Jahre, nachdem er diese ganze Kaiserzeit hindurch seine Kleidung oft bis zur Lächerlichkeit vernachlässigt hatte! Fügt man die Tatsache hinzu, die wenige Jahre später Marie-Louisen eine so willkommene Rechtfertigung ihres Ehebruches bot Überdies war Napoleon exkommuniziert und also ohne Recht gewesen, das Ehesakrament zu empfangen!: daß Napoleon, alles Zeremoniells vergessend, in seiner ehegierigen Ungeduld das junge Mädchen in der ersten Nacht nach ihrer Begegnung in Compiègne einfach in Besitz nahm, ohne daß noch Segnung und Zeremonie ihr Bett zum Ehebett gemacht hätten, so hat man eine Vorstellung, mit welchem Gefühlsaufwand Napoleon dieser der Staatsräson zuliebe geschlossenen Ehe entgegenging. Gewiß hat all das die freundschaftliche Zuneigung, deren er Josephine immer wieder versicherte, keineswegs verringert, nur rückte sie in diesen Wochen unvermerkt an einen anderen Platz des Lebens. Und mit der täglich wachsenden Bedeutung, die die herannahende Marie-Louise für ihn gewann, wuchs auch Napoleons schlechtes Gewissen und seine Unsicherheit gegen Josephine, die er in diesen Tagen erst wirklich verließ. Nach den fassungslosen Sehnsuchtsbriefen, die er ihr zwei Monate zuvor noch geschrieben hatte, war ihm Josephine jetzt in Malmaison plötzlich viel zu nahe. Er wünschte sie weiter fort von Paris; am liebsten hätte er sie wenigstens für eine Zeitlang außerhalb Frankreichs gewußt. Aber die Aussichtslosigkeit jedes Versuches, Josephine ohne Gewalt aus Frankreich fortzubringen, war zu offensichtlich. So wurde Josephinen vorläufig ein anderer Aufenthaltsort angewiesen: Schloß und Herrschaft Navarre, ein sehr bedeutender Besitz, der ihr als Eigentum verschrieben wurde. Um der Ziemlichkeit willen habe sich Josephine noch vor Marie-Louisens Ankunft dahin zu begeben, forderte Napoleon, der unter dieser Ziemlichkeit vor allem die Schonung der Gefühle der Braut verstand und überdies Angst vor irgendeiner ungeheuerlichen Szene von seiten Josephinens haben mochte.

Drei Tage nach dem für die Abreise nach Navarre bestimmten Termin war Josephine noch in Malmaison, in angstvoller und eifersüchtiger Neugier hoffend, hier schnellstens mit Berichten über die »Neue« versorgt zu werden. Daß sie eben dann in jener Nacht, in der Napoleon in Compiègne so wenig Verständnis für das Gefühlsleben einer Habsburgerin bewies, dennoch Malmaison verließ, muß auf einen so entschiedenen kaiserlichen Befehl hin geschehen sein, daß sie weiteres Zögern nicht mehr wagte. Die Entfernung gerade in diesem Augenblicke erschien ihr grausam. Und dieses Navarre in all seiner barocken Mächtigkeit war lange unbewohnt gewesen, bot keine Bequemlichkeit, und die Märzfeuchtigkeit kroch durch die schlecht schließenden Türen und Fenster. Was ihr aber dieses fremde Stück Erde vollends zum Exil machte, war, daß die Mehrzahl derer, die jetzt ihren Hofstaat zu bilden hatten, in Paris zurückgeblieben waren: sei es, um die Festlichkeiten zu sehen (und Marie-Louise, die in Josephinens Mantel und Krone zum Altar schritt), sei es, um rechtzeitig gesehen zu werden und nicht etwa eine Chance bei der neuen Herrin zu versäumen. Josephine schrieb alsbald, Navarre bekomme ihr nicht, – aber welcher Ort der Erde wäre ihr in diesen Tagen bekömmlich gewesen, da Essig und Galle einzige Labung in der Lebensdürre boten, in diesen Tagen, da sie leiblich fühlte, wie jetzt die andere, die Junge, von ihrem Leben Besitz nahm, durch ihre Tuilerien ging und von ihren Leuten umworben wurde.

Da Napoleon den ersten Ehemonat in Compiègne, wo er Marie-Louise zum ersten Male »sträflich« umarmt hatte, zuzubringen und dann mit ihr eine Reise nach Belgien zu unternehmen vorhatte, wurde Josephinen die Rückkehr nach Malmaison verstattet, zumal sie sich verpflichtet hatte, von hier alsbald nach einem Badeort zu gehen. Dieser Brief, in dem es schließlich auch nicht ohne Geldforderung abgeht, spricht (überdies im Ton sich vergreifend, mit der Anrede »Majestät«) das Wort von Josephinens Opfer aus, das von da ab sie selbst wie die ganzen Beauharnaisschen Nachredner nicht mehr entbehren können: »... Aber während ich in Malmaison sein werde, kann Eure Majestät sicher sein, daß ich dort leben werde, als ob ich tausend Meilen von Paris entfernt wäre. Ich habe ein großes Opfer gebracht, Sire, und jeden Tag fühle ich seine Größe stärker. Indessen, dieses Opfer wird bleiben, was es sein soll, es wird ganz und gar meinerseits sein. Eure Majestät wird in Dero Glück durch keinerlei Ausdruck meines Bedauerns gestört werden ...«

Mit diesem so peinlich feierlich gegebenen Versprechen verhielt es sich hernach freilich ebenso wie mit der Mehrzahl von Josephinens Versprechen an Napoleon. Sie störte wissentlich so wenig, wie sie ihres Wissens in ihrer Geldgebarung nicht gegen Napoleons Wünsche verstoßen hatte. Aber sie war da, machte sich sichtbar, hielt ihr Opfer vor, und sie ließ so sehr glauben, daß jede Stunde ihres Lebens von dieser entsagungsvollen Liebe erfüllt sei, daß Napoleon sich vor aller Welt immer wieder ins Unrecht setzen mußte, wenn er ihr bedeutete, daß sie besser für eine Zeit Paris fernbliebe.

Marie-Louise, ein Wesen von geringen Verstandesgaben und ohne alle Anmut des Herzens, von karger Natur und unfähig, der am Wiener Hofe genährten Vorurteile gegen diese Emporkömmlingswelt völlig ledig zu werden, hatte außer der so unpersönlich bereit gewesenen Gattenliebe Napoleons wenig Zuneigung zu erwecken verstanden. Und diese Stimmung gegen sie trug das Hofgerede schnell über den Umkreis der Tuilerien hinaus, und alsbald tauchte der Name wieder auf, den Marie-Antoinette getragen hatte, l'Autrichienne. Da redete dann auch noch die Blutsverwandtschaft in die Heimwehlegende nach Joséphine la Française – denn dies war ja die stärkste Wirklichkeit in der nun schon üppig wachsenden Legende: daß Josephine so sehr französisch war, wie ja meist die, die am äußersten Rande einer nationalen Zivilisation geboren werden, dieser stärker Ausdruck geben als die selbstverständlich in der Mitte eines Kulturkreises Aufwachsenden.

Josephine war jetzt unersättlich im Anhören und Herausfordern aller Berichte, die ihr huldigten, indem sie erzählten, wie wenig sich die »Neue« eingelebt habe. Als sie dann gar noch hörte, daß Marie-Louise auf sie eifersüchtig sei, schossen närrisch in ihr die Hoffnungen auf: daß eines Tages die Liebe der Franzosen für sie (wofür sie das steigende Ressentiment Frankreichs gegen das Kaiserreich hielt) und die Unbeliebtheit der Anderen Napoleon zur Besinnung bringen würden, worunter sie die triumphale Zurückbringung auf ihren Thron verstehen mochte. Napoleons Fürsorge für sie und die Herzlichkeit der gelegentlichen Zusammentreffen mit ihm bestärkten sie noch so lange in den Träumen vom Wiedergewinnen ihrer Position, bis die bittere Nachricht kam, daß Marie-Louise schwanger sei und über sie recht behalten habe.

Aber allmählich war aus alldem die große Erregung gewichen, und es hatte sich in das alt-neue Lebensspiel eingefügt. Navarre, wohin wiederzukehren Josephine angewiesen wurde, war indessen mit riesigen Kosten wohnlich gemacht worden und war schließlich beinahe erträglich. Jetzt hatte sie ihren »kleinen Hofstaat« hier gesichert: vierzehn Damen, zwölf Herren, den Seelsorger, der ein Erzbischof war, nicht gerechnet. Eine Lebensform, die sich von der in den Jahren vorher wenig unterschied, war alsbald eingerichtet; eine kleine Neuerung darin war, außer dem gierigen Warten auf Klatsch über Marie-Louise, Josephinens nunmehrige Leidenschaft fürs Patiencenlegen, das oft viele Stunden des Tages erfüllte. Madame de Rémusat gibt ein Resümee des Lebensganges in Navarre: »Die Zeit vergeht hier auf eine wunderliche Weise; man ist immer zusammen, man tut nichts Besonderes, man plaudert kaum recht, und dennoch langweilt man sich nicht. Die gleichen Stunden bringen die gleichen Beschäftigungen mit sich, und man weiß schließlich nicht mehr, ob gestern ist oder heute.«

Am 20. März 1811 gebar Marie-Louise den Sohn, dem schon vor seiner Zeugung Rang und Titel eines Königs von Rom vorherbestimmt worden waren. Josephine nahm das Ereignis »de bonne grâce« hin, sie beschenkte den Überbringer der Nachricht überreichlich, beglückwünschte Napoleon überschwenglich und erhielt zu Antwort das Billett: »Meine Freundin, ich habe Deinen Brief erhalten und danke Dir dafür. Mein Sohn ist groß und gesund. Er hat meine Brust, meinen Mund und meine Augen. Ich hoffe, daß er seine Bestimmung erfüllen wird ...«

Josephine benützte den Anlaß dieser Geburt, den Bewohnern von Evreux, der Nachbarstadt ihrer Besitzung, ein Fest zu geben, währenddessen ihrer Freigebigkeit so viele Huldigung zuteil wurde, daß sie darüber beinahe vergessen konnte, daß dieses Kind nicht ihres war und daß es Eugène die Anwartschaft auf das italienische Königtum nahm.

In diesem letzten festerfüllten Jahre des Kaiserreiches war Josephine auf Navarre verwiesen, wo jetzt eine wirkliche Hofhaltung sich herausgebildet hatte. Josephine verausgabte auf die gewohnte Art ihre drei Millionen und ein gut Stück Geld dazu, hatte alle durch die Normandie reisenden Leute von Rang und Stand zu Gast und außerdem eigens zu ihr gekommene Besucher genug, so daß sich dieses Exil wenig von ihrem vorherigen Leben in den Zeiten unterschied, die Napoleon abwesend gewesen war. Narbengewebe waren um den Stachel Marie-Louise gewachsen, und Josephine mußte ihn schon recht willentlich neu ins Fleisch drücken, um gelegentlich noch für einen Besucher etwas von der früheren tränenreichen Untröstlichkeit wiederzufinden. Ihre vormalige tägliche Kummernahrung, die Nachrichten aus Paris, war ihr längst gewohnter Tagesbestandteil geworden, schmerzlos wie gelegentliches Greinen und Klagen um das verlorene Glück, worin sich jegliche woher immer stammende Augenblicksunlust ausseufzte.

Hortense, nun mit Napoleons Zustimmung von dem ungeliebten Gatten getrennt, war jetzt unter Weglassung dieses leidigen Holland zur Königin Hortense schlechthin geworden, die ihre Position bei Hof hatte und wahrte. Sie war die beste Berichterstatterin ihrer Mutter und die getreue Mittlerin zu Napoleon. Was Josephine am stärksten in alldem noch verdroß, bedrückte und zeitweise zu kleinen Verzweiflungsausbrüchen brachte, war am Ende doch die Tatsache der Entfernung von Paris, wo man alles frischer erfuhr, neuer hatte, wo doch die Quellen des Lebens flossen, aus denen noch ein bißchen Macht, noch Geld, noch die Freuden an den eben geborenen Moden und überhaupt das Gefühl der Zugehörigkeit zur Welt zu schöpfen waren.

Erst im September 1811 wurde Josephinen die Rückkehr nach Malmaison wieder gestattet. Die vielen Monate dieses Aufenthaltes wurden ihr zu einer Zeit rechter Wunscherfüllung und Entschädigung für Navarre, das von der Pariser Nähe aus gesehen sich ihr schnell in einen elend tristen Verbannungsort gewandelt hatte. Zwar war ihr der Wunsch nicht erfüllt worden, hier in Malmaison das geplante riesenhafte neue Schloß bauen zu dürfen. So ließ sie wenigstens weiter um- und zubauen, kaufte neue Ländereien zu und ließ es sich überhaupt angelegen sein, ihrer Wehmut und Verlassenheit keine Freude zu versagen. Ihr vielgerühmter Kult für den Kaiser bestand nun wohl schon nur mehr darin, daß sie sein Arbeitszimmer bewahrte, wie er es zuletzt verlassen hatte. Im übrigen ging es in diesem Schlosse der Kaiserin hinsichtlich Napoleons recht seltsam zu. Nicht nur, daß nunmehr der gesamte Hofstaat sich aus Angehörigen der alten Gesellschaft zusammensetzte, auch die willkommendsten unter Josephinens Besuchern kamen aus dem alten Aristokraten-Faubourg. Und die Hofdamen und Kammerherren, die einst als bettelnde Emigranten durch Josephinens Fürsprache hatten zurückkehren dürfen und sich und ihrem ganzen Anhang die fettesten Posten des Kaiserreiches gesichert hatten, wetteiferten mit den Damen und Herren des Faubourg Saint-Germain in royalistischen Bemerkungen und Anekdoten, in unverhüllten Gehässigkeiten gegen den Kaiser und seine Herrschaft. Und Josephine schwieg nicht nur wohlwollend, ja geschmeichelt dazu, sie kramte beziehungsreich ihren eigenen Kummer aus, wobei Napoleon immer schlechter wegkam. Dennoch würde man irren, wenn man in Josephinens Protegieren all der Royalisten, in der Wahl ihres Umganges gerade unter ihnen und in ihrem Pensionenzahlen an verarmte Aristokraten allzuviel wirkliches Ressentiment gegen Napoleon oder gar das wirkliche Erwachen einer schon früher gern zur Schau getragenen politischen Gesinnung sehen wollte. Josephinens Werben um diese ganze Gesellschaft, die sie ausbeutete und ihre Freigebigkeit als selbstverständliche Pflicht betrachtete, war lediglich der Ausdruck völlig kritikloser Bewunderung für diese Klasse, welches Gefühl seit den Jahren des Vegetierens am Rande dieser Gesellschaft in ihr lebendig geblieben war. Daran hatte ihr eigener Aufstieg so wenig ändern können wie alle die bitteren Erfahrungen an ihren Schützlingen: etwa an der Gräfin Larochefoucauld, die nach der Scheidung sofort ihr Amt niedergelegt hatte, weil sie auf die gleiche Stelle bei Marie-Louise hoffte, oder mit Polignac, zu dessen Lebensrettung sie zum mindesten beigetragen hatte und der es hernach bei seiner Rückkehr nach Frankreich auch nicht für nötig befand, ihr einen Dankbesuch abzustatten. Den Angehörigen dieser Klasse gegenüber verließ Josephine jeglicher gesellschaftlicher Instinkt; ein durch keine Erfahrungen belehrbarer Backfischbegriff von Grandseigneur und Grande Dame machte sie bis zum Schwachsinn nachgiebig, als ob sie sich wirklich erkaufen wollte, von all denen »nicht als Protektorin, sondern als Ihresgleichen angesehen zu werden«. Madame de Rémusat (der es hernach in Josephinens Umgebung wahrhaftig noch nachgerühmt wurde, daß sie als eine der ersten die weiße Kokarde der Bourbonen verteilt habe) hat von dieser blinden Schwäche Josephinens ebenso wie viele andere erzählt – und profitiert. Daß in dem Jahre 1812, das die symptomatische Verschwörung Malets zeitigte, sich alle die Salonfeinde des Kaisers immer offener gehenließen, hatte auf Josephinens Schwäche für sie um so mehr Einfluß, als Napoleon ja jetzt nicht mehr da war, der vorschrieb und korrigierte: obgleich von ihm in dieser Hinsicht gesagt werden muß, daß Josephinens sichtbarster Einfluß auf ihn darin bestanden zu haben scheint, daß er etwas von ihrer Idolatrie für die Abkömmlinge aus alten Familien übernahm.

Die einzige gute Bonapartistin in Malmaison war noch Hortense. Sie hatte sich etwas von ihrer Mädchenschwärmerei für Napoleon bewahrt und besaß Verstand genug, seine nun schon kleinlich oder ins Manische entstellten großen Eigenschaften zu sehen. Sie war mit ihren Kindern bei der Mutter, und ihr damals Oui-Oui genannter jüngster Sohn erlebte in dieser Zeit sein Malmaison, von dem er als der zweite Kaiser der Franzosen seinem Sohne Loulou zu erzählen pflegte.

Während die Legende diese schon unter dem Schatten des russischen Feldzuges stehenden Monate in Malmaison als die Zeit von Josephinens still gewordener Schwermut mit dem Dufte der Souvenir de la Malmaison umgibt, können sich die Tatsachenberichte nicht genug tun an der Aufzählung festesfreudiger Einzelheiten »dieser großen Saison von Malmaison«. Als eine neue Note wird besonders aufgeführt, daß Josephine jetzt im Gegensatze zu den Gepflogenheiten in den Tuilerien auf die verfeinertste Zusammenstellung und Zubereitung der Mähler den größten Wert legte, was noch eine besondere Anlockung für die Besucher darstellte. Durch die Eheprobleme nicht mehr abgelenkt oder gar zu Haltungslosigkeiten verführt, konnte Josephine jetzt ihre gesellschaftlichen Gaben voll entfalten und den tausend kleinen Wichtigkeiten so sehr alle Zeit und Kraft widmen, daß für etwaige große, die zudem plump und störend gewesen wären, nichts mehr übrigblieb. Sie war jetzt die gerühmte vollendete Schloßherrin – und keine Bourbonin oder Habsburgerin wäre diesem wunderlichen Ideal näher gekommen, das darin besteht, das Vergnügen als Pflichtenkreis zu systemisieren und dabei doch zu tun, als ob das keine Pflichten wären. Überhaupt hat diese Gattin des aus der Revolution emporgestiegenen »Soldatenkaisers« selbst unter den zum Thron geborenen Herrscherinnengestalten in der Höhe, auf die sie die Kunst des gesellschaftlichen Als-Ob gebracht hat, kaum ihresgleichen: in diesem Tun, als ob alle Menschen, die man sah, gleich entzückend und ehrenhaft wären, als ob der eigene wirkliche oder mögliche Umgang die Welt wäre und als ob es die »häßlichen« und die »traurigen« Dinge nicht gäbe. Aber – so muß der Mensch von heute sich hier besinnen – ist nicht solche höchste Perfektionierbarkeit eines eben schon ein wenig abgelebt gewordenen Lebensstils den Zwischenzeiten, den Übergängen eigentümlich? Ist sie nicht heute auch wieder unter den Frauen der Industriekapitäne und der Bankherren feinnervigst entwickelt, mit allem Als-Ob und Sichabwenden von dem Häßlich-Praktischen, das doch die Daseinsgrundlage gewesen? Hat nicht Josephine vorher wie nachher von den zu Weltgeschichte gewordenen »Geschäften« ihres Mannes gedacht wie diese Frauen von heute und von immer über das geld- und machtschaffende Tun ihrer Männer? So möchte hier für diese Zeit, die in all ihrem Jammer in das »Zeitgemäße« so arm verliebt ist, sich eben noch eine kleine Bemerkung einfügen lassen, die denen, die der direktesten Bezüge auf das Heute durchaus nicht entraten wollen (als ob nicht alles gelebte Leben sich von selber auf alles Heute beziehen ließe), dieses Leben Josephinens noch unter einem anderen Aspekte zeigt. In die abschiedliche Schwermut des historischen Blickes auf Lebensformen, die nie wiederkehren werden, drängt sich die naturhafte Belehrung, daß in dem Tanzen und Sich-Verwandeln des Menschentums immer noch fast alles aus Gestern und Ehegestern bewahrt bleibt und weitergegeben wird, als ob es kein Nacheinander einer Lebenszeit gäbe, sondern nur ein Nebeneinander eines Lebensraumes, und das gestern im Mittelpunkt Gewesene heute eben nur in Seitengemächer abgedrängt wäre, wo es weiterlebt und wo es plötzlich wieder Lebensmitte sein kann. Was nun Josephine und alles verfeinerte Frauenzimmertum in den Zeiten anlangt, so ist es zweifellos, daß jedes erfolgreiche Parvenütum ein Stückchen wirklichen oder gewollten Ancien regime verhätschelt und sich seine Reize dienstbar zu machen sucht, zumal wenn sie sich gegenüber der vernünftigen Bestrebtheit der Heraufkommenden mit der irrationalen Selbstverständlichkeit offenbaren, mit der die damenhaften Frauenzimmer Epochen bewahren und weitergeben können. So mögen heute schon in Amerika oder irgendwo Legenden um Frauen entstehen, die ihre Als-Ob-Wirklichkeiten gegen die »häßlichen« Wirklichkeiten der Umwelt zu behaupten verstanden. Und gar erst möchte man seine Zweifel haben, ob – sofern in den noch unvorstellbaren neuheraufkommenden Ordnungen große Männer noch entstehen können – die Gattinnen solcher Führer nicht wahrscheinlich modifizierte Josephinen sein könnten, welche Modifizierbarkeit ja ein Wesensteil des »großen« Frauenzimmers ist.

Josephine also ließ in diesen Monaten in Malmaison durchschnittlich dreißig Gedecke pro Mahlzeit auflegen, wobei sich außer der höheren Dienerschaft ein Lakai für jeden Gast verstand. Und daß sie in dieser Zeit von Napoleons Kontinentalblockade imstande war, sich ausländische und sogar englische Leckerbissen für ihren Tisch zu sichern, war ein modischer Ruhmestitel, der ihr beträchtlich schmeichelte. Jeden Morgen aber ging dem Heranfluten der Gäste die bescheidener aufgemachte, aber kostspieligere Auffahrt der vielen Händler, Putzmacherinnen und dergleichen voran, die nun nicht mehr den Kaiser zu fürchten brauchten. Außer der schon unwiderstehlichen Lockung ihrer Waren hatten die bekannteren unter ihnen nun auch noch etwas zu erzählen, was dem Kaufen einen noch größeren Reiz gab: daß Marie-Louise eine schlechte Kundin sei, keinen Geschmack habe, billig kaufen wolle und wie eine Kleinbürgerin allwöchentlich nach ihren Rechnungen fragen ließ. Hätte Josephine überhaupt ein Bewußtsein ihres Alters gehabt, sie hätte es vor diesem Angebote ewiger Jugend der Modeherrlichkeiten vergessen. Sie kaufte, bestellte; kein Musselin war ihr zu hell, kein Hut zu mädchenhaft, kein Kleiderschnitt brachte ihr in Erinnerung, daß ihr berühmt gewesener Busen mächtig und die Mitte ihres Leibes beinahe schon übermächtig geworden war. Wie Trunksucht war dieses Kaufen, aber es belebte sie wieder, scheuchte die Verdrossenheit der immer schwierigeren und längeren Morgentoilette von ihr, und wenn endlich der letzte der Händler fort war, war sie eine glückliche alterslose Frau, die in den um sie aufgehäuften »Chiffons« ihren genießerischen Anteil an ihrer Zeit hatte, an der die Mode ja nicht weniger teilhat als das, was sich großartig Geschichte nennt. Daß Napoleon, beängstigt durch die Ausgaben, ihr eben damals schrieb, sie solle doch eine Million im Jahr zur Seite legen, dann habe sie in zehn Jahren zehn Millionen für ihre Enkelkinder, mochte in einer Gefühlsanwandlung in das Kapitel »Er hat mich nie verstanden« eingegangen sein; Folgen praktischer Art hatte diese Mahnung so wenig wie das Entsenden des Finanzministers Mollien, der ihre Geldangelegenheiten regeln sollte und dem es angesichts der altgeübten Tränenströme Josephinens nicht viel besser erging als Napoleon in all den Jahren vorher.

Josephine hatte lange darauf gehofft, Napoleon würde seinen Wunsch durchsetzen und sie mit Marie-Louise zusammenbringen können. Aber auch Marie-Louise hatte ihre Tränen, und Josephine mußte darauf verzichten. Doch das Kind wollte sie wenigstens sehen, sie drang in den Kaiser bei den seltenen Begegnungen und in Briefen. Und in seinem Vaterstolz und dem Gefühle, daß Josephine ein Recht darauf habe, willigte er ein. Das Schlößchen Bagatelle im Bois de Boulogne war für die Begegnung ausersehen worden, und Napoleon begleitete zu Pferd (er ritt noch immer so schlecht wie alle Jahre zuvor) den Wagen, in dem eine große Dame der alten Gesellschaft, nun Gouvernante des Enfants de France, den König von Rom auf den Knien hielt. Josephine war sehr erregt und liebkoste unter aufsteigenden Tränen lange das gar nicht so kräftige blauäugige Kind. Als sie dann aufsah, mochte etwas in ihrem aufgeregten Wesen Napoleon die Vorboten irgendeines Ausbruchs verraten, so hatte er es eilig, das Kind in den Wagen zurückzubringen und Abschied zu nehmen. Bald darauf brach er nach Rußland auf, und diese flüchtige Begegnung war die letzte zwischen Napoleon und Josephine.

Die Gerüchte, die aus diesem schicksalshaften Zug in die Schimäre alsbald nach Frankreich kamen und sich bös zu den verbürgten Nachrichten aus Spanien fügten, gingen Josephine wenig nahe. Sie hatte in den ganzen Jahren ihrer Ehe sich durch den hunderttausendfachen Tod und das unendliche Leiden, das durch Napoleon in die Welt gekommen war, im Genusse der Früchte dieser »Geschäfte« nicht stören lassen, denn sie hatte entschieden das in Historie ausartende Menschentun nicht gern, sofern es nicht gerade ihre Krönung gewesen oder um die »rechtmäßigen« Könige von Frankreich ging. So war eigentlich die erste der aus Rußland kommenden Nachrichten, die sie berührte, die Bitte ihres Sohnes Eugène, sie möge sich zur Niederkunft seiner Gattin nach Mailand begeben. Sie hatte für Ausland immer weniger übrig. Das Schlößchen Pregny, das sie auf dieser Schweizer Reise im Jahr nach der Scheidung so voreilig gekauft hatte, fiel ihr ein: sie könnte ja auf der Rückreise eine Weile da bleiben? Eugènes Bitte war nicht abzuschlagen. So machte sie sich im Sommer nach Mailand auf den Weg – und nichts verrät, daß die erinnerungsvolle enthusiastische Begrüßung der Mailänder in ihr irgend Erinnerungen erweckt hätte. Sie blieb so kurz, als es sich irgend mit der Schicklichkeit vertrug, und reiste dann nach Aix in Savoyen. Denn es war um diese Zeit schon die große Mode, den Hochsommer in Heilbädern zu verbringen, und Josephine war sicher, daß in diesem Jahre Aix eine besonders glänzende Saison haben würde. Aber es gab zu viel von der ehemaligen Familie da, Madame Lätizia, Pauline und die zur Königin von Spanien gewordene Gattin Josephs waren da. Das verdarb ihr den Geschmack an diesem Tout Paris, in dem die Nichtpariser überwogen, und sie ging doch für eine Weile nach diesem Schlößchen Pregny, das sich natürlich jetzt für ihr Gefolge als viel zu klein erwies. Josephine hatte sogleich den Kopf voll von Umbauplänen, aber es zog sie doch zu sehr nach Malmaison zurück. Sie brachte nur gerade ein Schweizer Ehepaar »in Originaltrachten« samt einigen Stück Schweizer Vieh nach Malmaison mit. Für dieses Ehepaar mußten dann natürlich nicht nur die pittoresken Trachten reichlich und aus bestem Material beschafft, sondern es mußte auch ein stilgerechtes Schweizerhaus errichtet werden, welche beträchtlichen Kosten sicherlich durch die Kunst, echten Schweizerkäse zu bereiten, wieder hereingebracht werden würden. Daß dieser echte Schweizerkäse dann schließlich doch gerade für die Tafel reichte, ebenso wie der in Malmaison von einer Engländerin hergestellte Chester, war eine Genugtuung, die diese Ausgaben schnell vergessen machte.

Und noch ein Herbst in Malmaison, der Herbst, in dem die Große Armee sich siegend aufrieb. Nachdem man vergeblich nach Zeichen von Schicksalsahnung und bluthaftem Miterleben des Abstiegs dessen an Josephinen gesucht hat, was sie werden gesehen und wovon sie hochgetragen worden war, möchte man wenigstens das andere finden, die ichliche Abkehr, etwas von einem sanft durchsonnten Nachsommerglücke, die Schwermut eines goldenen Abends mit Blumen und Tieren, kurz all das, was der Wie-es-hätte-sein-müssen-Bericht überliefert. Aber nichts von alldem ist zu finden. Nur Zustrom von Gästen, die paar Kaiserlichen ein wenig verdüstert durch das Malet-Unternehmen, die übrigen, wie vorher in der Mehrzahl, voll der Genugtuung, daß alles so prächtig schlecht ginge. Und Josephine empfangsfreudig, putzfreudig, kauffreudig wie nur je.

Der Neujahrstag dann verdroß sie, nicht nur, weil sie nun fünfzig Jahre werden sollte, sondern auch, weil er ein Freitag war und man 1813 schrieb. Aber schließlich ließ sich das so verdrießlich angekündigte Jahr in Malmaison doch recht freundlich an. Die willigen Pflichten erfüllten die Tage, und in ihren Lücken hatten die auch schon zum Rituale gewordenen Launen die Herrschaft. Und eilfertig rann der Sand aus dem Stundenglase, und jedes Körnchen wurde wichtig genommen und rann doch im Augenblicke durch die haltenwollenden Finger. Entschlossenheit zur Eleganz und Gewährenlassen der schon zur routinierten Besessenheit gewordenen Anmut erfüllen jetzt den Lebensraum und treiben Schicksalsgefühle und andere häßlich-lästige Regungen so aus, wie das flimmernd erfüllte Heute jede Mahnung aus Ehdem vertreibt. Indem man tut, als ob all das seit jeher schon so sicher und selbstverständlich gewesen, hat man auch mitgesichert, daß es für immer so sein würde. Was jetzt rings um Josephine geschah, lohnt des Berichtens kaum noch. Denn ums Geschehen ging es nur noch, freilich um das richtige, das mit dem gleichen kleinen Vergnügen weiter erzählbare, mit dem man es erfahren oder wahrgenommen. Kaufen, Besuche, Mahlzeiten, immer dieselben Gänge durch Schloß und Park, dieselben längst nicht mehr mit eigenen Augen gesehenen Sehenswürdigkeiten. Da eine Heirat, da Gerede von einer Liebschaft, Bittsteller und viel Patiencenlegen. Zwischendrein aufflackernde Unrast: mehr kaufen können, mehr bauen können, Malmaison wieder ganz und gar umgestalten können, als ob sich damit das Leben änderte. Das leise Knirschen des rinnenden Sandes ist in wohlvertraute Geräusche verkleidet, in den tief bekannten Tonfall der Konversationen, in das Heranrollen von Wagen, in Meldungen der Dienerschaft, das monotone Zählen bei den Spielen, das Schreien der Urwaldvögel in den Volieren. Und das alles übertönt das Stürzen der Blöcke, die aus diesem kaiserlichen Bauwerke immer eiliger brechen. Die Schlacht bei Leipzig wäre kaum mehr zu überhören gewesen, aber noch hat man zu den vielen Siegen von früher die Berichte über einige Erfolge irgendwo in Deutschland in den Ohren. Und noch immer ist all das Politik und gehört zu den Männergeschäften. Und erst das Aufhorchen der anderen, ihres Umganges, ihrer Freunde macht sie stutzig. Hortense, um das stolze Gebilde ihres zum traurigen Wütenden gewordenen Jugendhelden und ein bißchen auch schon für sich und die Ihren bangend, bedrängt die Mutter mit Geschehnissen. Dann sind »die 500 000 Bajonette« auf dem Marsche nach Frankreich. Noch möchte Josephine weitertun wie vorher. Aber immer mehr der wohleingespielten Spielgefährten werden recht unelegant ängstlich und bleiben fern. Und da kommt nicht Napoleons Verzweiflungskampf Josephinen zum Bewußtsein, sondern die Ahnung, daß ihre Position gefährdet sein könnte, in die sie sich so prächtig eingelebt hatte. Noch versucht sie, sich blind und taub stellend, weiter zu leben wie zuvor. Aber diese Lebensform, auf Mitspieler und Komparsen gestellt, auf Kaufleute und Feilbieter, beginnt gespenstisch zu werden. In den Stunden, in denen sonst zwanzig Wagen gewartet hatten, sind kaum zwei mehr da. Die Händler haben plötzlich den Wert ihrer Waren in der Hand gegenüber den mit einem Male recht ungewiß anmutenden Gewinnen aus Josephinens stets bereiten Käufen einsehen gelernt und halten sich mehr und mehr ferne. Winteröde und Einsamkeit umdroht Malmaison, und wer noch kommt, bringt Nachrichten aus der immer aufdringlicheren schlimmen Wirklichkeit. Wäre doch Bonaparte rechtzeitig Connétable des Königs geworden! Und hätte er sie doch bei sich behalten! Sie glaubte längst schon selber, daß es mit dem Glücke des Kaiserreiches, das ihr sonst so wenig Kopfzerbrechen gemacht hatte, seit ihrer Scheidung abwärtsgehen mußte.

Endlich war es aus all den Nachrichten und Gerüchten nicht mehr zweifelhaft, daß Bonaparte – mit einemmal war der Name wieder ringsum da – den Vormarsch der Alliierten nicht mehr aufhalten konnte. Und alsbald hieß es, Kosaken hätten die Brücke von Neuilly besetzt und Malmaison sei bedroht. Nun galt es andere Zuflucht zu suchen. Jetzt erschien das unlieb gewesene Navarre gelegen; es war weit ab vom Wege der Eindringenden. Aus allen Laden wurden die achtlos verstreuten Summen zusammengescharrt – denn daß von Napoleon jetzt nichts mehr kommen konnte, hatte Josephine mit einemmal herzpackend wirklich begriffen. Ein paar Mitkommende schossen ein wenig Geld zu. So ging die Fahrt nach Navarre, noch einmal eine Fahrt voll Bangnis um die Stellung in der Welt. Die einzig zuverlässigen Nachrichten in all den Jahren, die Napoleons, fehlten ihr jetzt. Und in die noch unerregte Ferne der Normandie kam aller andere Bericht rumorend, entstellt, in jeder nächsten Stunde die Nachricht der vorhergehenden widerlegend. Dann war Paris besetzt, und schon rüsteten sich die bourbonischen Geier, aus dem Sieg über die Adler, an dem sie kein Teil gehabt hatten, die ganze Beute an sich zu reißen. In dieser Zeit schrieb bereits Marie-Louise, die schon des Generals Neipperg, ihres Liebhabers – denn auch sie hatte einen –, mehr gedachte als des Schicksals ihres Gatten und ihres Kindes: »... Der General Neipperg hat mir seit achtzehn Tagen kein Lebenszeichen gegeben, so daß ich nur die Einzelheiten aus dem Tagesberichte kenne, aber ich freue mich mit aller Welt der guten Nachrichten, die sie enthalten ...« Und wäre es nicht so schaurig wirklich um Stellung und Geld gegangen, so hätte Josephine angesichts der Tatsache, daß der König auf dem Wege nach Paris war, leicht ähnlich schreiben können. Sie zitterte und war verzagt und verstand das Symptom nicht, daß Navarre übervoll war von unsicheren Royalisten und solchen, die sich für den Übergang zur Königstreue unter ihren Schutz stellten. Sie bangte vor allem um ihr Malmaison, woher keine Nachricht kam, sie wartete überhaupt auf Nachrichten von all denen, die ihr Dank schuldeten und ihn jetzt beweisen sollten.

In tiefer Nacht kam Hortense an. Sie hatte bis zuletzt zu den Bonapartes stehen wollen. Nur ihre Kinder wollte sie nicht diesem törichten verhaßten Louis überlassen, der sie in letzter Stunde gefordert hatte. Sie hatte noch einen Versuch gemacht, sich Marie-Louisen anzuschließen; doch ernüchtert von der Gleichgültigkeit der geliebten Gattin Napoleons gegen das Schicksal von Kaiser und Reich und angesichts des sauve qui peut all der Bonapartes hatte sie sich zur Mutter geflüchtet, entschlossen, all ihren Verstand aufzuwenden, um Josephinens Prestige ihrer Familie nutzbar zu machen.

Am 29. März 1814 war Josephine nach Navarre gekommen; am 31. März hatten die Alliierten Truppen Paris besetzt. Einen Tag darauf war Hortense in Navarre angelangt. Aber all ihre Beruhigungsversuche vermochten Josephinens Besorgnis um das Schicksal Malmaisons nicht zu beschwichtigen. Und so stimmte sie zu, daß die Mutter sich dahin auf den Weg mache, – eben ein wenig zu früh – denn ein bourbonischer Abgesandter traf kurz nach Josephinens Abreise in Navarre ein und überbrachte eine Versicherung des Respekts und ein Versprechen einer Fürsorglichkeit, die ebenso herzerquickend für Josephine gewesen wäre, als sie sich hernach als unverpflichtend erwies.

Die letzte helfende Hand wurde Josephinen von der unerwartetsten Seite gereicht. Als von Napoleons russischer Heirat die Rede gewesen war, hatte sie sich geäußert, sie hätte gern dabei geholfen, aber zu diesem Hofe hätte sie niemals irgendeine Verbindung gehabt, es sei denn die, daß der Zar in Erfurt in ihrer Abwesenheit auf ihr Wohl getrunken habe. Dieser selbe Kaiser aller Reußen, über den Napoleon sich damals beinahe verliebt geäußert und dem er hernach den unseligen Krieg in sein uneinnehmbares Land getragen hatte, erwies nun Josephinen mit einem Male alles Interesse, das er dem Freunde von Tilsit und Erfurt und dem Alliierten versagt hatte. Er schickte mehrere Abgesandte mit Freundschaftsversicherungen, und endlich machte er selber der indessen wieder in Malmaison eingerichteten Josephine seinen Besuch. Seinem Beispiel folgte alsbald der König von Preußen mit seinen beiden Söhnen – einer von ihnen hat sechsundfünfzig Jahre nachher den Degen des besiegten anderen Napoleon entgegengenommen. Und als sich in Paris die Nachricht von diesen Besuchen und davon verbreitete, daß die meisten der mit den siegreichen Truppen gekommenen Fürstlichkeiten Josephinen ihre Aufwartung gemacht hatten, meldeten sich immer mehr Fremde von Stand in Malmaison, und auch Franzosen kamen in immer größerer Zahl; die neuen Royalisten freilich überwogen jetzt beträchtlich die alten, die nun von Josephinen nichts mehr zu erwarten hatten. Es war Frühling, und Josephine ging unermüdlich, in hellen Musselin gekleidet, mit den Gästen durch Gärten und Glashäuser, sah jeden Vormittag größere und prächtigere Auffahrt vor dem Schlosse und hatte zur Vergnüglichkeit all des Empfanges auch noch die Genugtuung, daß sie damit den Familieninteressen diente und etwaigen Gefährdungen ihrer Position vorbeugen konnte.

Napoleon war nun schon seit ein paar Wochen auf Elba und wartete vergeblich auf Nachrichten von Marie-Louise. Josephine hatte in den Tagen des großen Zusammenbruches einmal den Wunsch mehr ausgesprochen als empfunden: Napoleon in sein Exil zu folgen. Aber das war eben um die Zeit gewesen, da sie zu Hortense sogar davon gesprochen hatte, nach Martinique zurückzukehren, diesem Martinique, das ihr längst nichts mehr als eine matte Erinnerung und ein Anhängsel zu ihrem Kreolinnentum war. Und wüßte man nicht längst aus allem Vorhergegangenen, wie sie es mit Erinnerungen gehalten hat, so hätten es diese Wochen lehren können, da es auf die unerwartetste Weise wieder Leben und Gegenwart nach ihrem Herzen gab.

Napoleon hatte in dem armseligen Abdankungsvertrage von Fontainebleau den Interessen Josephinens und ihrer Kinder mehr Fürsorge zugewandt als seiner ganzen Familie zusammen. Als aber die fällige Rate von Josephinens nunmehriger, mit einer Million jährlich festgesetzten Apanage nicht zur Zeit ausgezahlt wurde, richtete Josephine ihren Unmut nicht etwa gegen die neue Herrschaft, sondern gegen Napoleon. Im übrigen wurde in Malmaison nicht allzuviel und höchst vorsichtig von ihm gesprochen. Als der Zar sich so unvorhergesehen zum Anwalt erboten hatte, war dem zu seinem Schwiegervater nach München geflohenen Eugène ein Eilkurier gesandt worden, er solle nach Paris kommen, seine Interessen erforderten es. Und so brav der gutartige und mittelmäßige Sohn Josephinens auch dem Kaiser bis zuletzt angehangen hatte, ließ er sich, nun es mit diesem Kaisertum so gründlich zu Ende war und die Marschälle und Würdenträger einander, wie gestern im Verrat, heute in der neuen Servilität überboten, gern von Mutter und Schwester zu diesen Interessen überreden. Was Napoleon verschmäht hatte, sollte Eugène zu werden suchen: der Connétable der Bourbonen. Eugène war dann auch wirklich von Ludwig XVIII. empfangen und mit solcher Auszeichnung aufgenommen worden, daß zu Josephinens Empörung bei erster Gelegenheit in den Zeitungen ihrer und Hortensens nur noch als der Mutter und Schwester des Prinzen Eugène Erwähnung getan wurde. Im übrigen blieb es hinsichtlich der versprochenen angemessenen Unterbringung Eugènes vorläufig wie später bei den vagen Versprechungen. Der »getreuen Bonapartistin« Hortense erging es in ihren Bemühungen um die Sicherung ihrer Position insofern besser, als sie die tiefe Peinlichkeit in der Art, wie ihr ihre Wünsche erfüllt wurden, nicht empfunden zu haben scheint. Der höchste Titel, den der König von Frankreich zu vergeben hatte, war der herzogliche. Und Hortense, der niemand hätte das Recht auf ihren königlichen Titel absprechen können, nahm nicht nur aus den Händen der Bourbonen den für ihre Besitzung Saint-Leu errichteten Herzogstitel entgegen, sie ließ es auch geschehen, daß sie in der Urkunde einfach de Beauharnais genannt und weder ihr Königtum noch der Name Bonaparte aufgeführt war. Als sie sich hernach im Exil doch wieder Königin nennen ließ, hatte ihr nach dieser Krise wiedererwachter Bonapartismus schon die rein Beauharnaissche Form gefunden, von der früher bereits gesprochen worden ist.

Der Zar kam immer öfter nach Malmaison, und Josephine entfaltete all ihre Gaben, ihm zu gefallen. So entzückt er auch über die von Josephinens angenehmer Stimme getragenen graziösen gewichtlosen Bemerkungen und kleinen Erzählungen zu sein schien, war doch ein fast noch stärkerer Anreiz für seine Besuche Hortense, die ihm in ihrer ersten anmutig erfahrenen Frauenreife durch ihre anfängliche Zurückhaltung nur noch reizvoller geworden war. Alexander erbat sich als Gunst, Hortensens Besitz Saint-Leu kennenlernen zu dürfen. Josephine fühlte sich in diesen Tagen ungewohnt müde. Sie klagte auch darüber, aber sie nahm das selber so wenig ernst wie ihre längst an ihre grundlose Hypochondrie gewohnte Umgebung. Den Besuch mit dem Zaren in Saint-Leu wollte sie sich auf keinen Fall entgehen lassen, obgleich der dafür angesetzte Tag feucht und kühl war, noch auch wollte sie sich weniger frühlinglich als in diesen ganzen Maitagen kleiden. Sie kam mit einer Erkältung zurück und behandelte sich mit Orangenblütentee und den Mittelchen, die ihr bei ähnlicher Gelegenheit gegeben worden waren. Aber sich sonst zu schonen, hatte sie wenig Lust, da der Zar, der nun schon wie ein alter Freund war, fast täglich kam und sich die illustren Gäste um sie drängten.

Sich schonen? Hatte sie nicht Pflichten gegen solche Gäste? Freilich war etwas in ihrem Körpergefühl ihr befremdlich. Sie hatte vordem im größten Kummer besonders gut geschlafen und mehr Appetit als sonst gezeigt. Jetzt wurden ihre Nächte voll Unruhe, und die köstlichen Gerichte der Tafel lockten sie immer weniger. Sie gab sich nicht zu, daß sie krank sei – das wäre ein zu schlecht gewählter Moment gewesen. Am 23. Mai hatte sie außer dem fast täglich kommenden Zaren den Kaiser von Österreich (Marie-Louisens Vater!), den König von Preußen und mehrere deutsche Fürstlichkeiten zum Diner. Sie eröffnete den Ball mit Alexander und machte nachher mit ihm und anderen Gästen noch einen langen Rundgang durch den nachtkühlen Park. Und so ging es noch zwei Tage weiter mit Festlichkeiten und Empfängen, Mählern und »zehnmal glänzenderem Hofhalten als je seit ihrer Scheidung«. Und zu all dem Belebenden ging noch wie Champagner in ihrem schon fiebernden Leibe die beglückende Zuversicht um, daß sie in den nächsten Tagen vom Könige empfangen werden würde. Das Kaisertum war in nichts zerfallen, auf Napoleons Namen wurde von den Pamphletschreibern, die Ludwig XVIII. gefallen wollten, aller Unflat gehäuft. Aber Josephine war die Kaiserin geblieben, da Marie-Louise längst mit ihrem Sohne nach Österreich entschwunden war, – und der Empfang durch den König (der die zwanzig Jahre von Revolution und Kaisertum schon ungeschehen glaubte) sollte ihr ihre Position sichern. Sie begriff die Absurdität ihrer Hoffnung nicht, daß sie von den Bourbonen die Bestätigung ihrer Kaiserinwürde erwartete –, aber diese unvermeidliche Enttäuschung durch ihren König blieb ihr erspart. Auch daß aus diesem Auf und Ab von Erregung und großer Mattigkeit dann plötzlich furchtbar wirkliche Krankheit geworden war, brauchte sie nicht mehr begreifen zu lernen. Denn schnell hatte das hochaufbrennende Fieber ihr Bewußtsein getrübt. So hatte sie auch nicht diese Vorrast vor dem Eingang in die große Ruhe, die Besinnung des Leibes und der Seele vor der großen Scheidung.

Am Abend des 27. Mai mußte Hortense bereits die Honneurs für den Zaren und die anderen Gäste machen. Unter diesen soll ein Engländer gewesen sein, der Josephine in Martinique kennengelernt und sein ganzes Leben geliebt hatte und sie jetzt wiedersehen wollte. Er sah sie nicht mehr.

Die Krankheit, offenbar eine septische Angina, fand keinen Widerstand mehr. Bald war der Puls kaum noch fühlbar, die Atmung nur mehr mattes Röcheln. Die Nacht vom 28. zum 29. Mai lag Josephine wissenlos in der Unrast der Zerstörung. Am Morgen, es war der Pfingstsonntag, erteilte ihr ein eilig herbeigerufener Priester die letzte Ölung, und bald nach acht Uhr starb sie.

Eugène und Hortense verließen wenige Stunden später die Tote, einer Zeremonienvorschrift für den Tod von Souveränen gehorchend, und sie blieben fern, so daß sich »Totenwachen, letzter Abschied und das Leichenbegängnis ohne sie vollzogen«.

Josephinens Leichnam war einbalsamiert und in geschlossenem Bleisarge, den ein hölzerner umgab, feierlich aufgebahrt worden. Über zwanzigtausend Menschen gingen an der Bahre vorbei. Doch die schwarzen Draperien in der Kirche von Rueil (der Pfarre, zu der Malmaison gehört) trugen nicht Kaiserkrone noch Wappen oder Monogramm. Und die Truppen, die dann am 2. Juni dem Leichenzuge die militärischen Ehren erwiesen, waren Abteilungen der russischen Leibgarde, die der Zar gesandt hatte. Josephine wurde in der Kirche von Rueil selber begraben, in der Gruft, über der noch heute das Denkmal sie im großen Ornat kniend zeigt wie damals in Notre-Dame vor dem Papste.

Aus einer Zeitungsnachricht erfuhr Napoleon auf Elba Josephinens Tod, und er schloß sich in tiefer Traurigkeit ein. Als er dann wie ein grabentstiegener Revenant, besessen von Gelebtem, nochmals nach Frankreich zurückgekehrt war, besuchte er Malmaison. Und da er hernach, wahnwitzig wie einer, der die Welt ungeheuerlich verändert findet und tobt, statt zu verstehen, am Ende dieser hundert Tage eine Zuflucht suchen mußte, war es Malmaison, wo er sein Urteil erwartete. »Beim Anblick dieser verlassenen Gärten, dieser nicht mehr bewohnten Zimmer, dieser in den Festen welk gewordenen Galerien, dieser Säle, wo Gesang und Musik verhallt waren«, bereitete er sich zum Abschied von der zerschmetterten Welt vor, die sein Genius geschaffen und sein Dämon zerstört hatte. Und er ging durch Josephinens Zimmer, in denen es ein wenig moderig und dennoch nach ihr roch, und redete zu sich: »Sie hat mich doch geliebt, sie hat mich geliebt ...«

 

Ende

 


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