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Der Abschied

Das rechte Mittel, nunmehr die schon angedeutete völlige Umkehrung in der Beziehung zwischen Josephinen und Napoleon auf die anschaulichste Art darzustellen, ist dem Erzähler versagt. Wie er des jungen Bonaparte objektblinde Verzückung und Klage, daß Liebe nicht Liebe schaffen kann, in Briefen hat reden lassen, müßte er jetzt in den Briefen der alternden Frau das Nichtlassenwollen vom letzten Liebesanteil wiedergeben können und die Klage, daß Liebe – oder was sich doch Liebe glaubte – nicht Liebe halten kann. Aber diese Briefe gibt es nicht. Schon mit Hortense, die zuviel von der Mutter gewußt hat, begann die besondere Art der Beauharnais-Tascherschen Verwaltung ihres Teils der Napoleonischen Privatwelt, wobei mehr und mehr die Geschehnisse so angeordnet wurden, wie sie sich hätten ereignen sollen. (Eine Variation eines Ausspruches von Nietzsche drängt sich dazu auf: Mein Gedächtnis sagt: Das hat sie getan – mein Stolz sagt: das kann sie nicht getan haben – endlich gibt das Gedächtnis nach.) Auf diese Weise sind mit vielen anderen Lebensdokumenten Josephinens auch die meisten ihrer schriftlichen Äußerungen von früher wie aus dieser Zeit ihrer großen Betrübnis unterdrückt worden, die manches erklärt und sicher da und dort Zeugnis für Josephine abgelegt hätten. So kann von der Abendröte dieses Frauenlebens nur gemäß den allerdings sehr vielfältigen Berichten erzählt werden, die andere darüber hinterlassen haben.

Die beiden in den meisten Zeugnissen einander gegenüberstehenden Behauptungen, daß Josephine nur noch Napoleon geliebt und sich aus ihrer Stellung in der Welt nicht viel gemacht habe, wie die andere, daß es ihr nur um die Position gegangen sei, zu der sie den Mann eben gebraucht habe, muten beide schief übertrieben an. Setzt man der ersten all die früheren und späteren unbezweifelbaren Beweise für Josephinens gesellschaftlichen Ehrgeiz entgegen, und der zweiten ihr ebenso unbezweifelbares Zärtlichkeitsverlangen und ihre lange Gewöhnung an das, was wir vorher die Liebesdroge genannt haben, so wird man Josephinens Gefühl für Napoleon recht erfaßt haben: mit seinem ganzen frauenzimmerlichen Durcheinander von Ja und Nein, von Naturhaftem und Gesellschaftlichem, von Empfindsamkeit und Berechnung. Es ist ein einziger wirklicher Liebesbrief Josephinens an Napoleon erhalten, noch aus der Konsulatszeit stammend. In ihm finden sich Sätze voll einer so selbstvergessenen, hingebungsvollen Zärtlichkeit, wie sie nur ein echtes Gefühl hervorbringen kann, mag es auch kein großes und dauerndes sein. Dieser Brief zusammen mit den vielen kleinlichen, boshaften und blind selbstsüchtigen Handlungen und Äußerungen Josephinens in ihrer späteren Ehezeit wird die Wahrheit von Josephinens Gefühl enthalten, welche Wahrheit, wo es um Gefühle mittlerer Seelen geht, ja stets eine recht komplexe ist.

Aber darum jenes früher ausgesprochene »Es wird nicht so arg gewesen sein«, wie es manche tun, auf die nunmehrigen Geschehnisse in Josephinens Leben anwenden zu wollen, zeugt von geringer Kenntnis der Menschennatur; und gar behaupten zu wollen, es sei in diesen Geschehnissen nichts Tragisches zu finden, da Josephinens Einsatz zu unbedeutend gewesen sei, ist vollends ein lebensfremdes hochmütiges Moralisieren. Denn wie Josephinens Einsatz auch gewesen sein mag: es war der ganze, den sie zu geben hatte – und wie man auch über Josephinens »Herz« sonst urteilen will: es war ein Menschenherz, das seine Lebenssache seit der Unterwerfung auf dieses Eine gestellt hatte, das Napoleon und die Position hieß, und darum so wirklich zitterte und litt, wie man eben um sein Eines zittert und leidet.

Übrigens sind die wirklich tragischen Geschehnisse, die einem Organismus widerfahren können, ja ebendie, welche sich anläßlich äußerer Ereignisse in ihm selber abspielen. Denn es kann, was von draußen kommt, wie der Tod eines geliebten Menschen, Enttäuschung in Freundschaft, materielle Verarmung, politische Unterdrückung und dergleichen mehr, durch einen lebenskräftigen Organismus ins Positive gekehrt werden; es kann alldem eine Antwort gefunden werden, die trotz allem das Leben an Güte, Weisheit und Wissen größer und weiter macht. Das eigentlich Tragische aber entsteht eben dann, wenn das Lebendige am Draußen versagt, ihm nicht mehr die lebensschöpferische Antwort findet und so Stillstand, Jammer und Abstieg den Tod vorwegnehmen.

Wenn wir es also zwar nicht so feierlich und rührselig nehmen wollen, wie es bei denen hergeht, die Josephine als eine schwermütige Gestalt in das Pantheon der großen Liebenden gestellt haben, so müssen wir doch alldem, was in diesem Kapitel noch zu erzählen ist, vorausschicken: daß es in Josephinens Gefühl und Überzeugung jetzt um die letzte Karte in ihrem Lebensspiel ging. Daß sie hernach schließlich doch noch ein Spiel vorfinden würde, mit dem es sich noch eine Weile leidlich munter weiterspielen ließe, konnte sie bei ihrer Art von Selbstkenntnis nicht wissen.

Seit das erst Unfaßbare beinahe Wirklichkeit geworden war, daß »der kleine Bonaparte«, den Josephine als ihr unumschränktes Eigentum betrachtet hatte, sich von ihr hatte trennen wollen, war diese Drohung zwar zeitweise aus ihrem Bewußtsein, doch nie mehr völlig aus ihrer Lebensluft gewichen. Auf den Triumph, den sie und Hortense mit der Krönung über die Familie Bonaparte errungen hatten, folgte alsbald die wieder bedenklich machende Krönung Napoleons in Mailand, der sie nur als Zuschauerin hatte beiwohnen dürfen. Und dann ging die Bohrwurmarbeit des Klans weiter. Josephine hätte sich auch an diese Lebensbegleitung gewöhnen gelernt, wenn nicht mit einem Male ein Ereignis sie zu der Ahnung aufgerüttelt hätte, daß dieses unaufhörliche Schüren des kaiserlichen Anhangs gegen sie am Ende doch nicht aussichtslos sein könnte.

Josephine hatte schon die ganzen letzten Jahre Napoleon mit Eifersucht umgeben, überwacht und hatte sich nur allzuoft vor den unerwünschtesten Zeugen zu Szenen hinreißen lassen. Diese Eifersucht war nicht nur die natürliche der Frau ihres Alters, die als ihr gehörig Betrachtetes nicht einbüßen noch gar einer anderen gönnen möchte; es war nicht nur die schnell aufflammende Eifersucht der Frau mit Josephinens Vergangenheit, die jede andere Frau stets willfährig und abenteuerbereit glaubt – es mischte sich darein noch ein Gift besonderer Art, das jeden dieser Stacheln in ihr brennen und schwären machte. Sie hatte immer wieder, wenn ihr ihre Unfruchtbarkeit vorgeworfen wurde, entgegnet: sie habe mit Eugène und Hortense ja den Gegenbeweis erbracht, und es sei durchaus nicht ausgemacht, daß nicht die Schuld bei Napoleon liege. Und sie hatte das so oft und so starrsinnig wiederholt, daß endlich Napoleon selber an seiner Zeugungsfähigkeit irre zu werden begonnen hatte. Nun bedeutete also jedes wirkliche oder mutmaßliche Anzeichen eines aufkeimenden Wohlgefallens Napoleons an einer Frau für Josephine nicht nur die aller Eifersucht eigene Summe von Angst und Bitterkeit, von Qual in Liebe, Stolz und Eitelkeit, sondern zu alledem auch noch die Furcht, die oft bis zur Raserei gesteigerte Furcht: daß einer solchen Liebelei ein Kind entspringen könne.

Dem im ganzen Hofumkreise zu einem präzise arbeitenden Apparat gewordenen Klatschdienst war weder das jähe Interesse entgangen, das der Kaiser für eine der Vorleserinnen seiner Schwester Karoline, Eleonore Denuelle de la Plaigne, bezeigte, noch auch hernach, daß die junge Dame aus Gesundheitsgründen ihr Amt verließ und zur gegebenen Zeit in ländlicher Heimlichkeit ein Kind gebar, für dessen Versorgung Napoleon durch Mittelspersonen Vorsorge treffen ließ.

Seit solcherart dem Kaiser seine eigenen Zweifel genommen und Josephine ihre wirksame Verteidigungswaffe verloren hatte, klang das Wort Scheidung, wenn es hörbar wurde, auf eine bösere Art drohend. Doch wenn nicht gerade neue Eifersucht Josephine hellhörig machte, wenn nicht das Wühlen der Familie besonders merkbar wurde oder gar ihr selber gegenüber zu plumpe Anspielungen fielen, brachte sie es zu Zeiten erstaunlich weit im Nichtbemerken der gefährlichsten Formen dieser Drohung. Wenn sie auch wissen mußte, daß Napoleon sie um keiner der Frauen willen verlassen würde, mit denen er seine sprichwörtlich gewordenen flüchtigen Abenteuer hatte, raste und tobte sie, aller damenhaften Haltung vergessend, bei jedem Erscheinen eines solchen doch in einer Bettnacht wieder erlöschenden Kometen – und ihre Eifersucht schwieg nur, wenn sie selber eine ihrer Damen zu flüchtigem Spiel für Napoleon ausersehen hatte.

Obwohl Josephine nicht im Zweifel darüber sein konnte, daß Napoleons Anhänglichkeit an sie außer der Erinnerung großer Liebe und dem ehelichen Beharren des Klanmenschen der Schätzung gewisser Eigenschaften an ihr entsprang, merkte sie nicht nur die Zeichen des Abnehmens dieser Anhänglichkeit nicht, sondern tat auch noch alles, um die Wirkung dieser dem Gatten lieben Eigenschaften zu zerstören. Hatte Napoleon eben für eine Weile die Folgen ihrer Verschwendungssucht gutgemacht und war er einen Abend über ihre Anmut und ihren Erfolg bei einem Empfange entzückt gewesen, so kam sicher am nächsten Tage schon etwas, was ihm als Verstoß gegen die kaiserliche Würde, als ein Sichgemeinmachen mit unerwünschten Leuten erschien, oder es kam eine Eruption einer schlechten Laune oder ein Lavastrom von Eifersucht, der alles neue Blühenwollen alter Neigung wieder ansengte. Sich gehen zu lassen, hatte Napoleon in seiner wachsenden Menschenverachtung und in der unaufhörlichen gewaltigen Spannung, in der er lebte und der die menschenüblichen Sicherheitsventile des Humors und der Freundschaft nicht gewährt waren, als sein alleiniges Vorrecht zu betrachten sich gewöhnt. Wenn Josephine nun aber auch nicht die große Dame war, als die sie ihm einst erschienen war, der die souveräne Haltung Natur ist, so sollte sie ihm doch bleiben, was er unter einer wirklichen Dame verstand, – und sie blieb es gelegentlich ganz und gar nicht. So kam es zwar nach allen Szenen und Eifersuchtsausbrüchen stets und oft noch recht heftig zur Versöhnung – aber es blieb etwas haften, was ihn immer öfter gerade das als Schwächen an Josephine empfinden ließ, was ihm einst nur Reiz und Anmut an ihr gewesen war. Nach dem Ausspruche Metternichs, der ihn aus vielen langen Gesprächen intimer kannte als die meisten unter den ihm Nahen, war das, was man an anderen Menschen die Bildung nennt, das Zur-Hand-Haben von Wissen und Kenntnissen, an Napoleon nicht sehr bedeutend. Was er jeweils brauchte, lernte er im Fluge oder improvisierte es. Und so hatte er – um abermals ein Wort von Nietzsche zu gebrauchen – seine Kenntnisse und Meinungen auf die Art, wie man Fische hat: wenn man nämlich einen reich besetzten Fischteich besitzt, in dem man jeweils fischen gehen muß, auf gut Glück also, welches er allerdings bei seinen unaufhörlichen Fischzügen in allen Geisteswässern reichlich hatte. Doch selbst der geniale Improvisator im Geistigen hat so wenig die Sicherheit und Serenität, die einem natürlich gewachsenen, wenn auch mittelmäßigen geistigen Organismus eigen ist, wie noch der erfolgreichste Emporkömmling nichts vom Insichruhen eines sonst unbedeutenden Landedelmannes hat. Daher kam es, daß Josephine ihn oft mit den Äußerungen ihrer kenntnislosen Urteile gereizt machte und daß ihre »ungebildeten Fragen«, die den Liebenden so sehr entzückt hatten, für ihn nicht mehr nur der Ausdruck einer holden Natürlichkeit waren wie einst. Dazu kam dann noch die Art, wie sie von seinen Kriegen, seinen Erfolgen sprach; er hat das in einer Briefstelle ausgesprochen: »Ich habe mit Kummer gesehen, daß Du eine Egoistin bist und daß die Erfolge meiner Waffen nichts Anziehendes für dich haben.« Für Josephine war es offensichtlich zu einer selbstverständlichen Gegebenheit geworden, daß Napoleon Erfolg haben und große Siege erringen müsse. So sah sie endlich gar nichts Außergewöhnliches mehr darin. Und wenn sie, etwa in ihren Briefen an Hortense, Nachrichten über die Feldzüge überhaupt mitteilte, sind es meist gerade nur zwei Sätze über irgendeine nebensächliche Tatsache, die zwischen Familienklatsch eingestreut stehen. Dieses immer krassere Sichtbarwerden der Verständnislosigkeit für die Bedeutung seines Tuns und der völlige Mangel an Bewunderung und Verehrung machten sein Gefühl für Josephine immer mehr zur bloßen Lebensgewohnheit. Und es kam zu dem sich mindernden Reiz der abgeblühten Josephine auch noch ihr Unernst, ihre Launenhaftigkeit und Unbeherrschtheit, die immer mehr Platz in dieser Gefühlsgewohnheit heischten. So mag dem von lauter Schmeichlern und Heischern umgebenen Einsamen in dem kühler gewordenen Herzen die Unfruchtbarkeit dieser Frau zuweilen zu der Bitterkeit geworden sein, der er schon am Abend der Krönung mit dem laut gewordenen Seufzen: »Wem werde ich das alles hinterlassen?« Ausdruck gegeben hat.

Wenn auch die Briefe Josephinens fehlen, so gibt es doch deren genug von Napoleon an sie. Und wie man aus den im ersten italienischen Feldzuge an sie geschriebenen auf sie selber schließen kann, so geben diese Briefe Napoleons aus den letzten Ehejahren nicht nur eindeutigen Aufschluß über seine gewandelte Meinung von Josephinen, sondern auch darüber, was aus dieser Ehe überhaupt geworden war.

Ein neuerer Autor, Arthur-Lévy, bemerkt, daß Napoleon über seine Feldzüge an Josephine endlich so geschrieben habe, wie ein Kaufmann auf Reisen von seinen Geschäften, Abschlüssen und Erfolgen an die Frau berichtet. Und zwar, muß man hinzufügen, wie ein Kaufmann, der sich sowohl der Geschäftsunkenntnis als auch des Mangels jeglichen Interesses für seine Branche bei seiner Frau bewußt ist. Ein paar Auszüge aus diesen Briefen mögen ein Bild davon geben, wohin Napoleon seit den Tagen von Arcole und Rivoli mit Josephinen gekommen war. Wer die vielen Briefe, die der große Briefschreiber Napoleon in diesen Jahren an andere geschrieben hat, kennt oder sich seiner Bulletins und Proklamationen erinnert, wird im Ton dieser ehelichen Geschäftsbriefe noch verräterischer ausgedrückt finden, was ihr Schreiber von Josephinens Interesse an dem Mitgeteilten hielt. Da ist zum Beispiel der nach der Schlacht bei Austerlitz geschriebene Brief: »... Ich habe die von den beiden Kaisern befehligte russische und österreichische Armee geschlagen. Ich habe mich ein wenig ermüdet, ich habe acht Tage im Freien biwakiert, und die Nächte waren recht frisch. Für heute abend habe ich mein Nachtlager im Schloß des Fürsten Kaunitz, wo ich zwei oder drei Stunden schlafen werde ...« Oder ein anderer, eine Woche nach der Schlacht bei Jena geschrieben: ... »Wittenberg, 23. Oktober 1806, Mitternacht. Ich habe mehrere Briefe von Dir erhalten. Ich schreibe nur ein Wort: meine Geschäfte gehen gut. Ich bin morgen in Potsdam und am 25. in Berlin. Es geht mir prächtig, die Anstrengung bekommt mir. Ich bin sehr zufrieden, Dich mit Hortense und Stephanie in großer Gesellschaft zu wissen. Das Wetter ist bis jetzt schön gewesen ...« Und dann vom folgenden Tage aus Potsdam: »Ich bin in Potsdam, meine gute Freundin, seit gestern und werde heute hier bleiben. Ich bin weiter mit den Geschäften zufrieden. Meine Gesundheit ist gut, das Wetter sehr schön. Ich finde Sanssouci sehr angenehm ...« Und kein Wort über seine Erschütterung im Arbeitszimmer und vor dem Grabe des großen Friedrich, kein Wort über »die stolzeste Trophäe«, den Degen. Eine Woche später: »Talleyrand kommt eben an und sagt mir, meine Freundin, daß Du nichts tust als weinen. Was willst Du denn? Du hast Deine Tochter, Deine Enkelkinder und gute Nachrichten; so hast Du Anlässe genug, zufrieden und glücklich zu sein. Das Wetter ist hier prächtig; während des ganzen Feldzuges ist nicht ein Tropfen Wasser gefallen. Ich befinde mich recht gut, und alles geht immer besser ...« Oder der nächste Brief: »Berlin, 2. November 1806. Eben erhalte ich Deinen Brief vom 26. Oktober. Wir haben hier ein prächtiges Wetter. Du wirst aus dem Bulletin ersehen, daß wir Stettin genommen haben; das ist eine sehr starke Festung. Alle meine Geschäfte gehen aufs beste, und ich bin recht zufrieden ...« Oder: »Ich bin in Posen, der Hauptstadt von Groß-Polen. Die Kälte beginnt; ich befinde mich wohl. Ich werde eine Fahrt nach Polen machen. Meine Truppen sind vor den Toren von Warschau. Leb wohl, meine Freundin, tausend freundliche Dinge. Ich umarme Dich herzlich.« Doch es sei genug an diesen paar Proben. Aus den auf sie folgenden Briefen von dieser Fahrt nach Polen aber sind Josephinens Briefe so deutlich mit herauszulesen wie an die zehn Jahre vorher aus den Episteln des jungen Bonaparte von den italienischen Kriegsschauplätzen. Nun ist die Umkehrung vollzogen, jammervoll haben die Rollen gewechselt. Jetzt schreibt Josephine drängende, flehende, in Tränen beschwörende Briefe an Napoleon, er solle sie nach Warschau kommen lassen – und er, der sie einst so glühend herbeigesehnt und so wild und traurig gerufen hatte, antwortet abwehrend, beschwichtigend, weist auf das schlechte Wetter hin, die elenden Straßen, die große Entfernung. Und diese Ausflüchte werden immer stärker zu Weigerung und Verbot, bis Josephine nach langem Warten endlich unter vielen Verzweiflungsausbrüchen auf diese Reise verzichtet. Woher aber Josephinen diese verzweifelte Lust kam, sich im Dezember auf den langen und beschwerlichen Weg von Mainz nach Polen zu machen, ist aus zwei Briefstellen Napoleons erklärt. Die eine lautet: »Alle diese Polinnen sind Französinnen«, die zweite vom nächsten Tage, wohl auf eine neuerliche angstvolle Anspielung über die Gefährlichkeit der schönen Polinnen antwortend: »... Du sagst mir, daß ich Deine Briefe nicht lese ... und Du fügst hinzu, daß Du nicht eifersüchtig bist. Ich habe seit langem bemerkt, daß die zornigen Leute stets behaupten, nicht zornig zu sein, daß die, die Angst haben, oft sagen, sie hätten keine Angst; Du bist also der Eifersucht überführt ... übrigens hast Du unrecht; ich denke an nichts weniger als daran, und in den Einöden von Polen denkt man wenig an die Schönen ...« Verräterisch genug ist allerdings, was dann folgt: »Gestern ist mir vom Adel der Provinz ein Ball gegeben worden: recht schöne Frauen, recht reich, und recht schlecht angezogen, obwohl nach der Pariser Mode.«

Von dem großen Balle jedoch, der ihm nach seiner Ankunft in Warschau gegeben wurde und auf dem er die Begegnung hatte, die Josephinens ahnungsvolle Eifersuchtsparoxysmen rechtfertigte, schreibt er ebensowenig, wie Josephine ehedem der Existenz von Charles Erwähnung getan hatte. Hätte Napoleon um diese Zeit noch Lebendiges unverblendet durch seine Herrscheridee sehen können, so hätte diese zweiundzwanzigjährige blonde Polin, die er auf jenem Balle kennenlernte und deren Seele nach seinen Worten so engelschön wie ihr Gesicht war, in der Tat für Josephine die große Gefahr werden können. Denn zu den Vorzügen ihrer jungen Schönheit besaß diese Gräfin Maria Walewska wirklich die Sanftmut des Wesens, die Napoleon in Josephine hineingedichtet hatte – und dazu eine unbeirrbare Stetigkeit der Seele, der ein einmal erstandenes Gefühl zum Schicksal werden mußte. Doch in all seiner Verliebtheit in dieses innige und schöne Wesen, das ihm die einzige einfach liebende Liebe seines Lebens gab und ihm hernach die einzige Frauentreue in seinem Dasein bewahrt hat, kam ihm auch nicht einmal der Gedanke, all der beglückenden Zärtlichkeit Dauer zu schaffen. Und selbst dann noch nicht, als später Maria Walewska nach dem neuerlichen Zusammentreffen mit ihm in Wien schwanger geworden war und ihm einen Sohn geboren hatte. Es ist dies der Graf Walewski, der unter dem zweiten Kaiserreiche als Diplomat und Außenminister eine ehrenhafte Rolle gespielt hat. Wer hätte dem Herrn der Gewalt den kleinen Gewaltstreich solcher Heirat verwehren, wer der edelgeborenen jungen Mutter seines Kindes die Anerkennung versagen können? Aber es ging unklar und dumpf abhängig in seinem Gefühle zu, und er wollte alles zugleich: auf das liebende Abenteuer nicht verzichten, Josephine trotz allem nicht verlieren und dazu noch eine legitime Gebärerin seines Erben haben, einen »Bauch« lediglich, wie er sagte – zu dem aber doch in seinen Gedanken ein kronbürtiges Frauenwesen gehören mußte.

Aus diesen Warschauer Liebeswochen (deren Nachglanz ihm von Maria Walewska tröstend in sein erstes Exil getragen wurde, als Josephine nicht mehr war und die Andere ihn verlassen hatte) gibt es mehr Briefe Napoleons an Josephine als in langen Zeiten vorher und nachher; das schlechte Gewissen des trotz allem patriarchalischen korsischen Ehemannes ließ ihn nicht mit Schweigen über so viel inständiges Drängen und Flehen hinweggehen. Aber weder seine Befehle, Josephine möge das häßliche Weinen lassen und heiter sein und sich amüsieren, noch sein nicht eben überzeugend klingendes allgemeines Räsonieren hatten anderen Erfolg, als Josephinens Rückkehr nach Paris endlich zu erzwingen – und weitere jammervolle Briefe von ihr. Wie weit Josephine Eifersucht und Verlierensangst damals schon gebracht hatten, zeigt vollends eine Bemerkung in einem dieser Briefe, auf die Napoleon geantwortet, er habe darüber lachen müssen: daß sie doch einen Gatten genommen habe, um mit ihm zusammenzusein! Wenn sie dann gar noch ihm schrieb, es liege ihr nichts am Ruhme, ihr Ruhm sei ihr Glück, so wird aus dem besseren Gedächtnisse Napoleons die etwas lehrhafte Antwort verständlich: Ihr Herz sei ausgezeichnet, doch ihre Vernunft schwach, sie fühle vortrefflich, aber sie räsoniere weit weniger gut.

*

Was nun Josephine selber in alledem angeht: soviel sie auch ihrem Herzen mit seiner Eifersucht und den panikhaften Ausbrüchen ihrer Natur nachgab, hatte sie doch eifrig und bohrend immer mehr über Napoleon nachgedacht oder, was ihr besser gelang, über ihn geredet. Es ist dies aber nicht jenes Nachdenken gewesen, mit dem man sich einen geliebten Menschen gegenwärtig hält und dem das Gefühl hernach alles Analysierte neuer und kräftiger zusammenfügt. Es war vielmehr die Art von Räsonieren, mit dem der Hypochonder um seine Krankheit kreist oder ein Gefangener sich seinen Wärter klarmachen möchte – im ganzen also keinesfalls eine Art, die der Person Napoleons hätte gerecht werden können. Ging es Josephinen dabei nicht um die brennenden Probleme seiner Treue, ihrer Position oder eben nur um das grundsätzliche Rechtbehalten, so hing sich ihr Lebens-Unmut an die ihr so wichtigen Einzelheiten, wie etwa die Forderungen hinsichtlich Eleganz, Manieren und dergleichen, vor denen Napoleon nun freilich so gesehen nicht eben gut wegkam. Da es ihr nicht gegeben war, aus dem ihr verdrießlichen Einzelnen im Wesen des Gatten in ein Großes zu kommen, ließ sie es beim gereizten Aufzeigen des sie an ihm Störenden bewenden (wozu solche Teilbetrachtung eines Menschen ja leicht wird) und hatte also aus all dem Nachdenken gerade nur ein Gegenwärtigmachen dessen, was ihr Gefühl ja ohnehin nur allzugut wußte, und nicht einmal den lebendigen Trost, den eine Schau auf das Gesamtwesen eines Menschen gewähren müßte; ja nicht einmal die kleinen Medikamente der ich-genüßlichen Eitelkeit fand sie, noch die Labung im Gedanken, daß ein so gewaltiger Mann so kleinlich sein könne.

Wie gern sich Josephine auch dareingegeben hatte, sich leiten und führen zu lassen, solange sie sich in dem verzichtend erwählten Leben gesichert glaubte, so sehr begannen ihre Natur oder die zur Natur gewordenen Überzeugungen ihre kleinen täglichen Revolten gegen die Schwächen und »Unmöglichkeiten« ihres Gesetzgebers, als die Geborgenheit in diesem Gesetze immer zweifelhafter zu werden drohte – worin sie sich im Grunde zu Napoleon ja nicht anders verhielt als Frankreich selber. Es waren dies aber nicht nur die Jahre, in denen sich das jünglingshafte Äußere Napoleons, das dann erst wieder sichtbar wurde, als alles zu Ende war, allmählich zu dem des kleinen dicken Besessenen umgestaltete, wie es der Dichter Tolstoi böser einprägsam denn alle Zeitgenossenberichte in »Krieg und Frieden« gestaltet hat; es waren vor allem die Jahre, in denen hinter seiner dämonischen Bürgerlichkeit der boshafte menschenfeindliche mißtrauische Mann enger Herkunft rachsüchtig hervorlugte. Es war die Zeit, da alle seine Bewunderung für Menschen und Vorbilder ausgelöscht und der Sinn der Welt seine Macht geworden war, da Chauteaubriands Bedauern, daß die Genies nur einander zum Nachahmen vorfänden, schon durch dieses sich als Weltgeschichte fühlende Ich überholt war. Zwar konnte Napoleon noch immer das Berückende der Größe fühlen lassen: wenn er einen berücken wollte, wie Goethe, den Zaren oder Metternich, und zuweilen noch Soldaten und Kinder, indem er so einfach zu ihnen war, wie er es zu Josephine meist gewesen war. Aber ihr erschien diese Natürlichkeit immer leichter und häufiger als Gewöhnlichkeit, denn Größe zu fühlen, sofern sie nicht durch Tradition geheiligt war, dafür hatte sie kein Organ.

Wer wüßte nicht einiges aus dem langen Kataloge der kleinen und großen schlechten Eigenschaften, der Bosheiten und Kleinlichkeiten, die von Napoleon überliefert sind? Von seinen Jähzornsanfällen, bei denen er Möbel zerbrach, von seinem Ausspionieren der ganzen Umgebung, vor dem kein Brief und kein Privatleben mehr sicher war, von seiner hämischen Lust an Zuträgereien, am Lügen und an den kleinen Peinlichkeiten, die er seiner Umgebung bereiten konnte, sowie endlich von dem berüchtigten Ohrläppchenkneifen, mit dem er Männern und Frauen ein augenblickliches Wohlgefallen auszudrücken liebte? Wohin aber sein Schicksal, von dem er sagte, daß es stärker sei als sein Wille, ihn schließlich mit alledem schon gebracht hatte, faßt ein Ausspruch eines ihm nicht sonderlich übelwollenden Mannes, de Pradt, zusammen, der oft mit ihm gesprochen hatte: »Der Kaiser besteht ganz aus List, aus List mit Gewalt gepaart – aber er hält mehr von seiner List. Ihm bedeutet Triumphieren nichts, das schlaue Fangen (attraper) aber ist ihm alles. ›Ich bin durchtrieben‹, hat er mir hundertmal gesagt.« Wenngleich von diesen Charaktereigenschaften Napoleons hier ja nur in Hinblick auf Josephine die Rede sein sollte, mag doch ein allgemeineres Urteil von Michelet hierher gesetzt werden, weil es mit dem Aufzeigen der Wirkung dieser Eigenschaften ihre Summe zieht: »Er hat die gräßliche Ehre, ein dem Menschen nur allzu natürliches Übel bestärkt und großgezogen zu haben, die Anbetung der brutalen Gewalt und die Vergötterung des Erfolges.«

Von solcher Wirkung ist jedoch gerade an Josephinen gar nichts zu verspüren. Es ging ihr mit Napoleon etwa wie der Gefährtin eines großen und gefährlichen Schriftstellers oder Denkers, die seine Werke nicht liest und außer an dem materiellen Ertrage daran nur gerade so weit Anteil hat, als sie die Depressionen und übellaunigen Absonderlichkeiten, die etwa den Schöpfungsprozeß begleiten, zu merken bekommt; und während vielleicht die Welt voll ist vom Widerhall dieser Werke, sagt sie sich: »Ja, so ist er eben« und setzt sich im übrigen mit ihrem täglichen Teil auseinander, das ihr die Wirkungswelt des Gatten darstellt. Diese Wirkungswelt Napoleons aber zu betrachten, soweit sie sich eben an Josephine darstellt, ist ein schwermütiges Ding und ruft jene würgenden Gedanken auf, denen man so gern aus dem Wege geht: was aus der Liebe in den Menschen werden kann, und was so oft aus den Menschen in der Liebe wird. Dem noch nicht erstandenen Dichter der Tragikomödie von all dem menschlichen Mißlingen um Napoleon bleibt es vorbehalten, erratend und deutend von dem zu erzählen, was er in der trüben Tiefe dieses Liebesabgrunds erblicken kann. Wir haben von dem Zu-Früh und Zu-Spät und dem Aneinander-Vorbeilieben dieser beiden Menschen das Verbürgte berichtet und das daraus Gewordene aufzuzeigen versucht. Was sich daraus als eine Wirkung Napoleons auf Josephine ableiten ließe, ist nur allzu schnell gesagt. Wer kennt nicht jene anscheinende Erziehbarkeit verliebter Frauen, die die Lebenssphäre des Geliebten in sich eintrinken und für die Dauer des Gefühls von seinem Tun und seinen Interessen so lebhaft erfüllt sind, daß ihnen für diese Liebesweile sogar Ideen und Kenntnisse zufliegen können, von denen sie vordem nichts gewußt haben und die freilich sich meist auch wieder verflüchtigen wie der Gewinn, den man gelegentlich zum Genuß des Spieles dazu erhält. Wie wenig wir auch von Josephinens Beziehung zu dem kleinen Hyppolite Charles wissen, steht doch fest, daß Josephine wie eine rechte Verliebte die allerdings engen Interessen dieses unterhaltlichen Schiebers geteilt und von seinen Geschäften mehr gewußt hat, als durch ihre Hoffnung auf Gewinnanteil erklärlich wäre. Nach solchen Liebeszeichen, diesem »Aufgehen« in der Sphäre des Gatten, wird man in Josephinens Leben vergeblich suchen, auch dann, da diese Vernunftehe ihre wunderliche späte Wandlung in eine Liebesehe begonnen hatte. Sieht man von Josephinens Verzicht auf Charles und seinesgleichen ab, so ist man mit den Ergebnissen, die sich Napoleon von Josephinens erziehbarer Fügsamkeit erwartet hatte, auch schon zu Ende; denn diese scheinbare Erziehbarkeit und Fügsamkeit waren ja nichts anderes als die feinnervige Anpassungsfähigkeit an veränderte Lebensumstände. Napoleon selber aber ist zwar zum Gegenstand des Gefühls dieser in die Liebe verliebten Frau ernannt worden, aber von ihm selber und seiner Einmaligkeit ist an dieser Liebenden kaum anderes zu verspüren, als daß er eben der Schöpfer oder vielmehr noch der Vergeber dieser Position ohnegleichen ist. Um so mehr ist der Art und dem Grad dieser Liebe allerdings etwas von ihm anzusehen, nur eben nichts vom Genius oder Heros, sondern sein Alltag, sein als Eigenschaften Wirkendes – nicht Austerlitz noch der Code Civil, sondern das Sesselzerschlagen und das Ohrläppchenkneifen.

Wendet man ein Wort eines englischen Schriftstellers, das auf Bücher gemünzt ist, auf Menschen an: daß sie andere Menschen zwar kaum gut oder böse, aber doch besser oder schlechter machen könnten, so hat man moralisch ausgedrückt, was hier psychologisch zu sagen ist. Es hat jeder Mensch sein besonderes Medium, durch das er Umwelt am stärksten zu erleben imstande ist. Josephinens Medium dieser Art war nicht so sehr das Amouröse, als vielmehr das Gesellig-Gesellschaftliche, in dem die ihr unerläßlichen Liebesdinge mitbegriffen waren. Wenn sie sich eigentlich anpassen oder erziehen lassen sollte, konnte es lediglich innerhalb dieser Sphäre geschehen, die – wohl aus jahrhundertalter Herkunft von einer Rasse, deren Dasein stets ein hochentwickeltes und verfeinertes Herdendasein gewesen ist – ihre Natur so bestimmte wie etwa einen Künstler seine Begabung. Da war die Sprache, die sie verstand, und wer die sprach, gehörte zu dem Menschenschlag, der sie aufhorchen machte und den Zuweg zu ihr fand. Das angenehm Gesagte, der rechte Ton, die in Worte nicht kleidbare Nuance einer beinahe ins Physische aufgegangenen Gesittung, das wog und zählte und lebte für sie. Und nur wer diese Sprache hatte und wem diese Gesittung Natur geworden war, der konnte zu ihr sprechen, ihre Interessen erwecken, ja sie bis zu einem gewissen Grade beeinflussen. So nahm sie Barras' wohlgewandete Mittelmäßigkeiten noch als Lehren an, so hatte sie in Panthémont und von der Tante Renaudin, so sogar von Alexandre lernen können. Und darum konnte sie von Napoleon nichts lernen. Denn, wie gesagt worden ist, seine Natürlichkeit war ihr ohne Anmut – und sein Lehrenwollen hatte nicht den Ton, der sie horchen machte; und wo dann eine rechte Wendung sie vielleicht doch überzeugt hätte, befahl oder schrie er – und sie flüchtete sich in Weinen und verstockte sich darin als in der noch immer wirksamsten Art, auf etwas zu antworten, worauf Geschmack und Empfindung sie Antwort nicht gelehrt hatten.

Auf was für Wege die Revolution und der Mangel an Geld und moralischen Hemmungen Josephine auch gebracht haben mochten, es wird ihr selbst von den feindseligsten Moralisten nicht abgesprochen, daß sie alle diese Wege mit Anmut gegangen und sich auch noch in den zweideutigsten Situationen mit Takt benommen habe, seitdem sie überhaupt sie selber geworden war. Es war der Liebe zu Napoleon vorbehalten geblieben, sie immer öfter Haltung und Grazie vergessen zu lassen und sie nach diesen Anfällen der Angstkrankheit in eine Stumpfheit aus Überreizung fallen zu lassen, in der sie, matt diese unbewältigbare Wirklichkeit fliehend, sich in ihre vielen kleinen vergeßlichen Spiele verkroch. Napoleon war brüsk und plump und laut; er konnte gewaltig sein, aber er hatte keine Würde; er sagte die tiefsten Dinge, aber auf eine Art, die ihr unbegreiflich war – unbegreiflich, wie ihr diese ganze Liebe hätte sein müssen, wenn es da noch hätte Fragen und Verstehen und nicht nur mehr das Panische von Vergehn-Fühlen und Nicht-Lassen-Wollen gegeben hätte. Das also war Napoleon in Josephinen geworden: ihr Gatte, ihr Mann, unverständlich, quälend, aber doch ihr mit Verzicht erkauftes Eigentum, mit dem sie nichts anderes beginnen konnte, als daß sie es eben haben und behalten wollte. Ihr war Gewalt angetan worden, sie hatte verzichtet, sich zu fügen versucht und das Sichfügen zur Liebe gemacht; dabei hatte sie ihre zarte und bewegliche Liebessprache verlernt. Sie schrie nun auch, machte Szenen und antwortete mit Maßlosigkeiten auf das Maßlose, mit dem sie zu leben hatte. Und während sie noch immer mit aller Feinheit und einer fast zu Geist werdenden Spielkunst des Geselligen große Herren entzücken und gehässige Damen entwaffnen konnte, war sie vor Abend ihres Frauentums dahin gelangt, diese letzte Liebe so aller Erfahrung vergessend zu lieben: wie ein Korsenmädchen, oder nein, ganz wie die kleine Yeyette von einst, die von der Liebe nicht mehr verstanden hatte als ihr eigenes töricht-gieriges Wünschen und was das Tuscheln der Negerweiber an abergläubischen Ängsten dazugetan hatte.

So stand es um Josephine und um Napoleon in ihr, und so um das Rüstzeug ihrer Seele, mit dem sie jetzt den Kampf führen sollte, damit ihr das, womit sie so närrisch und schmerzlich lebte, nicht genommen werde. Um etwas kämpfen, wovon sie jetzt so oft redete, war freilich nie so recht ihre Sache gewesen, wie sollte sie es nun anstellen? Gegen wen vor allem? Gegen Napoleon etwa, der aus seinen ganz unköniglich zart vor ihr behüteten Liebschaften zu ihr zurückkehrend sie immer wieder seiner zärtlichen Freundschaft und Anhänglichkeit zu versichern suchte? So ging es also gegen die bonapartische Familie, gegen die Josephine ohnehin längst ihre Listen und Künste aufgeboten hatte? Nein, auch da war nicht der Feind. Dieser war ungreifbar, körperlos. Wohl dienten ihm Pauline Borghese und Karoline Murat und Elisa Bacciocchi, und Josephine haßte die Schwägerinnen um dieses Dienstes willen, haßte sie, wie man Schneeballwerfer haßt, die eine Lawine entfesseln können, wenn Schnee und Föhnwetter sie formen wollen. Aber bei diesen Scharmützeln mit den Schneeballwerfern hatte all ihr Kampf auch sein Bewenden. Die Wetterzeichen ihres Schicksals waren immer schwerer abzulesen, denn der Wettermacher war immer längere Zeiten fern und hatte seine ewigen Kriege und Geschäfte. Und aus seinen Briefen Sturmdrohung herauszulesen, dem widersetzte sich der Vogelstraußtrieb, der in jeder langen Angst erwächst. Wie sie Jahre hindurch die Schrift dieser Briefe kaum hatte lesen können, ging es ihr nun mit den Inhalten, aus denen sie nur Grund zur Eifersucht oder, wenn das gar nicht ging, Tröstung herauszulesen verstand. Denn wenn einer den Lebensstil eines Menschen von Grund auf nicht versteht, wird ihm auch der Schreibstil nichts lehren. Wenn aber indessen diese körperlose Drohung wirklich Gestalt bekam, so hütete sich Napoleon doch sehr, etwas davon zu verraten, wie oft er sich dabei auch selber verriet.

Seit Napoleon die Überzeugung gewonnen hatte, daß an der Kinderlosigkeit seiner Ehe nicht er die Schuld trüge, hatte Josephine ihre stärkste Zuversicht aus der zärtlichen Liebe geschöpft, die Napoleon dem Erstgeborenen Hortensens entgegenzubringen schien (und die sie darüber hinweggetröstet hatte, daß sie Großmutter statt Mutter geworden war). Josephine hatte nicht ahnen können, daß diese sie rührende Verliebtheit dem Vorhandensein eines Kindes überhaupt und gar nicht diesem besonderen Kinde gegolten hatte und nur eine Äußerung jenes Napoleon so tief innewohnenden Familientriebs war, welcher den durchschnittlichen Mann lateinischer Rasse beim Anblick eines nichtssagenden kleinen Wesens zwangsläufig sogleich in den Ruf ausbrechen läßt: »Qu'il est mignon!« oder »Guarda che bel bambino!« Es traf Josephine dann mitten ins Leben, daß dieser kleine Napoleon, den sie schon zum kaiserlichen Erben eingesetzt gesehen hatte, im Frühling des Jahres 1807 starb. Sie war daraufhin sogleich zu der völlig verzweifelten Tochter gereist. Napoleons Antwort auf ihre Berichte über Hortensens Untröstlichkeit enthält eine der Briefstellen, in denen er nicht nur verriet, daß es ihm gar nicht um dieses besondere, sondern überhaupt um ein lebendes männliches Kind gegangen war, sondern dazu auch etwas von seinen sorglich gehüteten Gedanken, die mit dem Verschwinden dieses Enkelkindes Josephinens wieder das Problem zu umkreisen begannen. Denn dieses Problem, Erzeugnis seiner Herrschaft, die unter so vielen Blutopfern auch sein eigenes Lebensblut trank, war nun wieder voll wacher Forderung. Es wuchs mit dem vermeintlichen Wachstum dieser Herrschaft mit, und es hieß nach jedem Siege und jedem Gewinn: das im Raum Errungene in der Zeit zu sichern. Napoleon war nun dem vierzigsten Jahre nahe. Und es drängte ihn die Angst des Schöpfers, seinem für die Ewigkeit geschaffen geglaubten Gebilde auch nicht den nächsten Erben zu wissen, worein sich die Besorgnis mischte, daß etwa einer der Brüder sein Nachfolger werden könnte. Es glomm in ihm die Trübnis des Nachkömmlings eines stets kinderreich gewesenen Geschlechtes, der all den Mittelmäßigen seines Stammes Kinder aufwachsen sieht und sich selber, den Einzigen, den Gewaltigsten, ausgeschlossen fühlt. Und solchem Patriarchengefühl ist der Kinderlose ein Verschwender der Lebensgaben, der nicht vorsorgt und der, wenn sein Jugendteil verausgabt ist, dessen gewahr werden muß, daß er verarmt und von der Erdenzukunft ausgeschlossen sei. Wie klar und scharf und manisch-logisch Napoleon aber sonst seine Probleme gestellt sah und ihre Lösung ansprang, so verworren, gehemmt und unentschieden ging sein Denken und Wollen um dieses Problem im Kreise. Er sprach mit Talleyrand und Fouché, mit Roederer und anderen über die endlich unabweisbar notwendig werdende Scheidung, er ließ die andern ihm darüber reden – und versicherte Josephine seiner unverbrüchlichen Zuneigung. Er ließ heimlich eine Liste aller für ihn in Betracht kommenden heiratsfähigen Prinzessinnen aufstellen – und sprach und tat indessen, als ob das mit Josephine überhaupt nichts zu tun hätte. Im Grunde schwebte ihm unklar eine Lösung vor, durch die ihm zwar das möglichst schöne und höchstgeborene Mädchen als Gebärerin seiner Kinder gewährt werde, das ihm zu rechtem Familienglücke auch noch den ehrfurchtgebietenden Namen und eine zuverlässige Allianz mitbrächte – aber neben dieser jungen Kaiserin müßte Josephine weiter da sein, wie sie jetzt da war und schon so lange dagewesen war. Zwischendrein beauftragte er dann wieder einen seiner Minister, Josephinen nahezulegen, sie möge selber die Scheidung dieser kinderlosen Ehe vorschlagen; und wenn Josephine, von der Forderung solcher ihr so fernliegenden Großherzigkeit bestürzt, mit dem Argument heftigster Tränenströme zu Napoleon kam, gab er seinen Beauftragten preis und ließ sich sogar bestimmen, an Fouché – den diese Mission wohl ebenso kühl gelassen hat wie ihre Desavouierung – einen Brief zu schreiben, er möge sich nicht in seine Angelegenheiten mengen.

Unter solchem Zögern und den Proben zu einem Entschlusse, die mit schlechtem Gewissen begonnen und ebenso wieder ungeschehen gemacht wurden, sind die Jahre hingegangen, die die Geschichtschreiber Napoleons größte Zeit nennen. Trafalgar, die verblendete Kontinentalsperre, Spanien und die »schlechten« Siege im Osten hatten seine Macht und den Glauben an ihn schon zu erschüttern begonnen. Und er hatte es schon dahin gebracht, daß die Parole, unter der er seinen Aufstieg begonnen hatte, nun zum Feldruf seiner Gegner geworden war: die Freiheit.

Wie Josephine ihre Zeit bis in dieses Jahr 1809 hingebracht hatte, welches Napoleon seinen letzten entscheidenden Sieg gab, ist in diesem wie in den vorhergehenden Kapiteln erzählt worden. Der Kampf um ihr »Glück«, von dem sie so oft sprach, hatte in Tränen, Szenen und Vorwürfen bestanden, in nicht viel anderem also, als womit sie in einem früheren Leben Alexandre Beauharnais vergeblich festzuhalten versucht hat. Um all dies Auf und Ab voll Angst und Vergessen hatte ihre Unrast weiter ihren flimmernden Nebel gebreitet: aus vielem glänzenden Spielzeug, vielen, vielen Menschen, vielen fröhlichen Fünkchen, die wieder erloschen, ohne einmal rechte Freude anzuzünden. Und wenn die Angst wieder da war, hatte sie viele immer schlimmere Klagen gehabt und war immer unbedenklicher in der Wahl der Zuhörer geworden. Und wenn jetzt zuweilen ein körperliches Übelbefinden Josephine überkam, konnte sie, die doch ihrer großen Liebe zu Napoleon noch immer so beredt Ausdruck gab, ebenso überzeugt, wie sie von seiner blutschänderischen Beziehung zu Pauline gesprochen hatte, den sie eben Umgebenden sagen: Ja, es sei wohl möglich, daß ihr Dasein dem Gatten schon allzusehr zur Last falle und er sich ihrer durch Gift entledigen wolle. Daß sie aber, soweit gekommen, nicht darauf verfiel, sich solchen »Glückes« durch eine Geste des Stolzes oder auch nur der Klugheit zu entledigen? Wäre es ihr nur um die Position gegangen, so hätte sie sich zweifellos endlich zum Verzicht entschlossen, hoffend, daß er vielleicht doch nicht angenommen würde, aber mit der Gewißheit, daß sie hätte die Bedingungen stellen und sich hätte wenigstens die zweitbest mögliche Position sichern können. Aber es ging ja um alles zusammen, um alles durcheinander. Über die quälenden Stimmungsschwankungen dieser endenden Ehe, über Napoleons ein wenig absichtliche Nervenkrisen, mit denen er Josephine zu freiwilligem Verzicht zu bringen erwartete, über Josephinens Versuch, durch sanfteste Unterwürfigkeit jedem mit schlagenden Wettern drohenden kleinsten Groll des Gatten auszuweichen, und endlich über das peinliche Mitschwingen alles dessen in der Hofatmosphäre und darüber hinaus wäre ein ganzes Buch zu schreiben: ein groteskes, schauerliches Buch voll der Symptome der Zersetzung zweier Persönlichkeiten und der sich ankündigenden Auflösung einer ungeheuren Gewaltherrschaft. Uns schiene jedoch ein genauerer Bericht von all dem Josephinens Lebensgeschichte Wesentlicheres nicht mehr hinzufügen zu können, als die letzte Phase dieser langen Scheidungsgeschichte es vermag.

Am 21. Oktober des Jahres 1809 schrieb Napoleon aus München an Josephine: »Meine Freundin, ich reise in einer Stunde von hier ab. Ich werde zwischen dem 26. und dem 27. in Fontainebleau eintreffen; Du kannst Dich mit einigen Damen dahin begeben. Napoleon.«

Der Kaiser kam aus Wien; er hatte die verlorene Schlacht bei Aspern und Eßling bei Wagram wieder gutgemacht und bis zum Friedensschlusse drei Monate lang in Schönbrunn residiert. Ein junger Patriot hatte ihn töten wollen; und der Gedanke, daß morgen vielleicht ein solcher Versuch glücken könne, hatte die ganze Frage der Nachfolge wieder aufgerufen. Und dann war er in dieser Zeit mit Maria Walewska sehr glücklich gewesen – und so oft er auch behauptete, daß all das mit Josephinen nichts zu tun habe, es war doch in ihm, als er dieses kurze Billett an Josephine sandte und sich dann, die Postillione hetzend, auf die Reise machte. Das Tempo dieser Fahrt durch Deutschland, die kein Kurier überholen konnte, und die Tatsache, daß er im letzten Augenblick erst seine Abreise mitgeteilt hatte, scheinen die mehrfach ausgesprochene Vermutung zu bestätigen, daß er gleich vom ersten Augenblicke an Josephine habe ins Unrecht setzen wollen, wie es schlechtes Gewissen so gerne tut. Denn Josephine konnte nicht zur Zeit in Fontainebleau sein, wo er bereits am Morgen des 26. Oktober eingetroffen war. Und daß die herbeigerufenen Minister auf die Frage über die nach Aspern umlaufenden Gerüchte erwiderten, die Unruhe in der Nation in solchem Falle sei aus der Unsicherheit der Nachfolge erklärlich, schlug gleich zu Anfang den erwünschten Ton an – und dann gar erst Fouchés Bemerkung: daß es keinen unter den Marschällen gäbe, der nicht wie die Heerführer des großen Alexander schon von seinem eigenen Reiche träumte! Diesmal hatte Napoleon seinen Entschluß wohl gefaßt. Er war lange genug von Josephinen entfernt gewesen, um sich seiner selbst sicher zu glauben. Und auch politisch erschien es ihm jetzt höchlichst an der Zeit. Denn das böse spanische Unternehmen und die verlorene Schlacht bei Aspern waren schon Warnung gewesen, daß weitere Mißerfolge einem Herrscher seine Wünschbarkeit als Schwiegersohn noch beträchtlich verringern würden. Und eben da er sich durch den Wiener Frieden in noch unerschütterter Macht für eine Weile gesichert fühlte, glaubte er die rechte Stunde neuer fruchtbarerer Vermählung gekommen, die ihm zu der Hoffnung auf den Erben auch das so nötige Bündnis mit einer großen Macht bringen mußte. Daß dieser neuen Heirat die Scheidung vorausgehen müsse, konnte er sich endlich nicht mehr verhehlen. Er hatte schon, ohne sich mit diesem lästigen Gedanken genauer abzugeben, beim Zaren nach dessen Schwester anfragen lassen, hatte Ausflüchte und die Bedingung freier Hand in Polen zu hören bekommen – und unter diesem Hinauszögern hatte die Zarin-Mutter die dem Alter nach in Frage kommende Tochter überstürzt verheiratet. Jetzt wollte Napoleon den ordnungsgemäßen Weg einschlagen, der mit der großen Unerquicklichkeit anzufangen hatte. Und er begann so unsachlich und befangen, daß wirklich ein Jammerspiel von Unerquicklichkeiten aus dem wurde, was er zu einer wenn auch schmerzlichen, doch über aller Auseinandersetzung stehenden Notwendigkeit hätte machen können. Statt sofortiger eindeutiger Aussprache gab es erst Schmollen und Grollen mit der voraussetzungsgemäß zu spät gekommenen Josephine (vielleicht voll künstlich genährten Ressentiments aus ihrem Zuspätkommen einst nach Italien und Paris), brüskes Ihr-Ausweichen bei den Hoffesten, so daß das Getuschel von Scheidung plötzlich lautes Gerede war und sehr viele Mäntel sich nach dem neuen Winde hängten. Damit und mit der Entdeckung, daß Napoleon indessen hatte in aller Heimlichkeit die Verbindungstür zumauern lassen, die sein Schlafgemach mit ihrem verband, fing für Josephine dieser Aufenthalt im Fontainebleauer Schlosse an, durch dessen Gittertore sie vor unausdenklichen Zeiten Ludwig XVI. und Marie-Antoinette von den Jagden hatte zurückkehren sehen. Fontainebleau war entschieden für Josephine so wenig eine Glückstätte wie für Napoleon. Hier hatte sie die kurzen Freuden ihrer ersten Freiheit nach der Trennung von Alexandre erst mit aufreibender Krankenpflege und dann mit jenen Geheimnis gebliebenen Nöten gebüßt, aus denen sie so überstürzt nach Martinique geflohen war, zur Mutter, die nun auch fort war aus der Welt, wie der alte Marquis und die Tante Renaudin. Es ging jetzt festlicher her als in der letzten Königszeit. Große Hetzjagden wurden geritten, viele Kutschen folgten dem Wagen Josephinens durch den wunderbaren Forst, aber es war keine Freudigkeit in dem allem. Verwundert hat Napoleon sich über diese Hofhaltung in Fontainebleau geäußert, er verstehe gar nicht, daß so wenig Vergnügen dabei aufkomme, wo doch so viel Geld darauf verwandt werde. Viele Menschen standen tagaus tagein an den Gittertoren; und wenn Josephine sich zeigte, wurde sie anders als je zuvor begrüßt, inniger, parteinehmend, ja gerührt. Denn schon wußte der kleine Ort, der wie seit Jahrhunderten wieder ein Vorzimmer des Hofes geworden war, was vorging – und schon hüllte die gefühlsselige Josephinelegende die Kaiserin ein. Die alten Soldaten hatten all das Gerede über sie aus dem ersten Italienfeldzuge vergessen und gedachten nur noch, wie sie sie in Mailand gesehen hatten. Als das Gerücht von der Scheidung jetzt auch zu ihnen kam, redeten sie kopfschüttelnd, der Kaiser sollte »die Alte lieber nicht wegschicken«, sie habe ihm Glück gebracht. Und nach der trübseligen Rückkehr des Hofes nach Paris, während welcher Napoleon nicht mehr in Josephinens Wagen gefahren war, begann unter den kleineren Leuten des Hofes, die schon vom Anfang her da waren, das gleiche bedauernde Raunen wie unter den Soldaten. Denn Josephine kannte man mit allen ihren Vorzügen und Fehlern, mit ihrer Gutmütigkeit, die vielen Dienste erwiesen hatte, und man wußte, daß auch sie ihre Leute kannte. So wurde, ehe noch das Entscheidende geschehen war, neben der vielen aufkeimenden Schadenfreude noch weit mehr herzliches, wenn auch ein wenig selbstsüchtiges Bedauern laut.

Die Tage in Paris dann waren die schlimmsten. Der Kaiser vermied Josephine, wo er konnte. Bei den Mahlzeiten fiel kein Wort mehr, wenn nicht Napoleon das unerträgliche Schweigen mit einer an den Haushofmeister gerichteten Frage nach dem Wetter brach. Josephine hatte rotgeweinte Augen, ging schleppend zu Tisch, saß matt und ergeben und fast ohne zu essen da, schluckte hie und da an neuaufquellenden Tränen, und wenn das grausige Mahl um war, stand sie wieder in der Haltung einer Schwerkranken auf. Wenn es noch zu einem Gespräch kam, ging es um die Scheidung. Und wieder und wieder versuchte Napoleon, sie zu freiwilligem Verzicht zu bewegen, und sie entgegnete stets, sie könne es nicht, nicht weil sie den Thron nicht lassen wolle, sondern weil sie von ihm, ihrem geliebten Gatten, nicht lassen könne. Und als in gerührtes Gefühl hineingesteigert sie wieder in Tränen zerfloß, sagte ihr der Kaiser: sie möge nicht versuchen, sein Herz zu bewegen; er liebe sie noch immer, aber die Politik habe kein Herz, nur einen Kopf. Er wolle ihr fünf Millionen im Jahr und eine Herrschaft geben, deren Hauptort Rom sei (das Rom des Papstes, der ihn gesalbt und nun sein Gefangener war). Aber Josephine wollte nicht verzichten, solange sie nicht mußte. Und noch immer wurde die Forderung dazu nicht in der Weise ausgesprochen, die keine Widerrede mehr erlaubte. Noch immer wurden Anlässe zu Groll und strafender schlechter Laune gesucht. Und es fand sich einer, der Napoleons Unsicherheit prächtig zu Hilfe kam. Der Kaiser hatte immer wieder den Händlerinnen aller Art den Zutritt zu Josephinens Gemächern verwehren und etliche Ertappte selber entfernen lassen. Ein gleiches Verbot bestand für all die Schwarzkünstler, Wahrsagerinnen und dergleichen, von denen Josephine jetzt mehr denn je tröstliche Weissagungen wünschte. In diesen Tagen war ihr von einem neuaufgetauchten Magier dieser Art erzählt worden, daß er ein Weltwunder sei; und als sie sehnsüchtig vor Napoleon dieses Deutschen, er nannte sich Hermann, Erwähnung tat, hatte der Kaiser Erkundigungen über den Mann einziehen lassen, worauf ein striktes Verbot an Josephine erfolgte, ihn bei sich zu empfangen. Als an einem dieser Tage Regenwetter eine angesetzte Jagd unterbrach, kehrte Napoleon verfrüht nach Paris zurück und fuhr, nach vorausgeschickter Order, die Wache dürfe nicht ins Gewehr rufen, ungehört in die Tuilerien ein. Ahnungsvoll eilte er in die Gemächer der Kaiserin, wo er außer einer der verpönten Händlerinnen diesen Wahrsager Hermann fand, der ein in englischen Diensten stehender Spion war und die Kaiserin ausholen sollte. Und die ertappte Josephine verdarb sich ihre Lage vollends, indem sie behauptete, Madame Lätizia habe ihr diese Händlerin geschickt, die wieder den Wahrsager mitgebracht hätte. Das flehende Briefchen an die Schwiegermutter blieb erfolglos; denn als diese aus Napoleons Fragen zu entnehmen glaubte, daß Josephine bei einer staatsgefährlichen Handlung betroffen worden sei, gab Lätizia, Entscheidung witternd, die ungeliebte Schwiegertochter eilends preis. So hatte Napoleon einen soliden Anlaß zum Groll. Und diesmal ließ er das seine Entschlußkraft stärkende Zürnen nicht mehr ungenützt vorbeigehen.

Josephine verbrachte ein paar regnerische traurige Novembertage in Malmaison. Hier wie in Paris schon redete sie unablässig von der Scheidung, erzählte den Hofdamen, den Ärzten, den Audienzheischenden und Dienstleuten reichlich kommentiert die Aussprüche des Kaisers, sein Verhalten, klagte, klagte an und fand in alledem keine Erleichterung. Sie begriff allmählich, daß alles zu Ende war, aber sie wollte es noch immer nicht wahrhaben, sie wehrte sich mit lauter »Aber doch« und »Wenn doch« dagegen und war hilflos und elend. Sie kehrte nach Paris zurück. Hortense war bei ihr, von der Napoleon vergeblich verlangt hatte, sie solle die Mutter zum Verzicht bestimmen. Obgleich Hortense selber, ihres Ehestandes bitter unfroh, voll ihrer jungen Entschiedenheit für die Lösung jedes unguten Ehebandes war, hatte sie sich doch solcher Mission verweigert. Dennoch war sie jetzt Josephinen so wenig Trost wie alle andern, die angesichts der Unvermeidlichkeit der Scheidung nur noch zu raten wußten, wie Josephine sich dabei verhalten sollte. Mit der fünfjährigen Wiederkehr des Krönungstages und der vierjährigen von Austerlitz begannen die einzigen schweren Festtage in Josephinens Leben. Paris war voll fürstlicher Gäste, und es galt, anmutig zu empfangen und vor Menschen zu repräsentieren, die allesamt schon wußten, wie es um Josephine stand. Denn diesen Festen ging der Abend voraus, an dem Napoleon seinen künstlich genährten Groll nützte, um diesem trüben Gemengsel von in hohe Politik umbenanntem Ehrgeiz und schlechtem Ehemannsgewissen ein Ende zu machen und das entscheidende Wort zu sprechen. Als nach dem Abendessen am 30. November der Kaiser und die Kaiserin beim Kaffee für eine Weile allein saßen, begann die Auseinandersetzung. Daß sie von Napoleons Seite höchst aufgeregt geführt wurde, konnte zwar gesehen werden, da aber die paar Augenzeugen sich zu weit ab befanden, erscheint der von ihnen berichtete Wortlaut dieser Szene zu unsicher, als daß seine Wiedergabe lohnte. Sicher ist, daß Josephine mit einem Male aufschrie, auf den Teppich glitt und regungslos liegen blieb und daß der Kaiser den Schloßpräfekten Bausset herbeirief und ihn fragte, ob er imstande sei, die Ohnmächtige über die Geheimtreppe in ihre Gemächer zu bringen. Napoleon trug selbst den Leuchter, während der dicke Mann Josephine treppauf zu schleppen suchte, wobei sie ihm, dem Kaiser unhörbar, zuflüsterte, er presse sie zu stark. Erst nachdem Napoleon selber mit zugriff, gelang es, die Scheinohnmächtige in ihr Schlafzimmer zu bringen, wo sie der Obhut Hortensens und des herbeigeholten Leibarztes Corvisart überlassen wurde; doch dieser hatte mit den Ohnmachten der Kaiserin schon genugsam Erfahrungen gemacht, so daß er Napoleon alsbald entschiedenst beruhigen konnte. Freilich darf bei solchen Ohnmachten und dem vielen Tränenvergießen Josephinens nicht vergessen werden, daß ja auch die Gefühlsäußerungen ihre Moden haben und daß es für die so zeithörige Josephine zum guten Ton des Herzens gehört hat, auf diese Art schwierigen Lagen zu begegnen – wie sie es selber in dem angeführten Briefe kurz vor ihrer Verheiratung zugegeben hatte.

Nachdem Napoleon es endlich über sich gebracht hatte, mit einem so stumpfen Schwerte den gordischen Knoten zu zerhauen, trieb er hinsichtlich der neuen Ehe zu größter Eile an. Während Eugène herbeigerufen wurde, den zu adoptieren der Kaiser sich entschlossen hatte, während die Rechts- und Zeremoniellfragen mehr dekretiert als bedacht wurden, hatte Josephine eine doppelt schwere Zeit dadurch, daß Napoleon jetzt, wo das ungefährlich geworden war, sich ungehemmt den Ausbrüchen seiner Gefühle für sie hingab und sie immer wieder gerührt und tränenlockend seiner liebenden Freundschaft versicherte. Daß aber jetzt schon zahlreiche Palastdamen sitzen blieben und sich in ihrer Unterhaltung nicht stören ließen, wenn Josephine herankam, merkte der sonst auf Etikette so sehr Bedachte jetzt gar nicht mehr. Noch auch ersparte er Josephinen bis zum letzten Tage die nun wirklich zu bitterer Pflicht gewordenen Hoffeste und Empfänge. Und während Pauline schon ein großes Freudenfest anläßlich Josephinens Sturz gegeben hatte und Josephine nur noch wie in etwas Geliehenem vor all den Königen und Fürsten die Kaiserin spielte, war es schwer zu ertragen, daß Napoleon plötzlich noch eine posthume Eifersucht in sich entdeckte und der »Verstoßenen« noch weiter nachtrug, daß eine Zeit vorher ein um vieles jüngerer Herzog von Mecklenburg sich auffallend um sie bemüht hatte.

Der 15. Dezember war als der Tag der jammervollen Zeremonie bestimmt worden, denn eine feierliche Zeremonie mußte es auch da noch geben, mit der Vereinigung aller eben verfügbaren Familienmitglieder und sämtlicher Hofwürdenträger in großen Staatskleidern. Josephine war eine letzte Rede zum Auswendiglernen gegeben worden. Aber diese Mühe nahm sie sich nicht mehr, sondern sie las das ihr Aufgetragene einfach ab, und auch davon nur ein Stück, dann reichte sie in Tränen dem Minister des kaiserlichen Hauses das Manuskript zum Weiterlesen.

Napoleons Trauerrede auf diese Ehe lautete: »Gott weiß, wieviel ein solcher Entschluß meinem Herzen gekostet hat. Aber es gibt kein Opfer, das größer wäre als mein Mut, sobald es erwiesen ist, daß es zum Nutzen von Frankreich gebracht werde. Es drängt mich, hinzuzufügen: ich hatte mich nicht nur niemals zu beklagen, sondern ich muß mich im Gegenteil der Anhänglichkeit und der Zärtlichkeit meiner geliebten Gattin rühmen; sie hat fünfzehn Jahre meines Lebens verschönt; die Erinnerung daran wird für immer in mein Herz gegraben bleiben. Sie ist von meiner Hand gekrönt worden; ich will, daß sie Rang und Titel der gekrönten Kaiserin bewahre, aber vor allem, daß sie niemals an meinen Gefühlen zweifle und mich stets für ihren besten und liebsten Freund halte.«

Die Josephinen auferlegte Rede, an deren Wortlaut sie noch Veränderungen vorgenommen und die schließlich der Minister für sie gelesen hat, lautete: »Mit der Genehmigung unseres hohen und lieben Gatten muß ich erklären: da ich keinerlei Hoffnung bewahre, Kinder zu haben, die dem Verlangen seiner Politik und dem Interesse Frankreichs genugtun würden, gebe ich ihm willig den größten Beweis der Anhänglichkeit und Ergebenheit, der jemals auf Erden gegeben worden ist. Ich habe alles aus seiner Güte; seine Hand hat mich gekrönt, und auf der Höhe dieses Thrones habe ich nichts als Zeugnisse der Zuneigung und der Liebe des französischen Volkes empfangen. Ich glaube diesen Gefühlen Anerkennung zu zollen, indem ich der Auflösung einer Ehe zustimme, die hinfürder ein Hindernis für das Wohl Frankreichs ist und es des Glückes beraubt, eines Tages von den Nachkommen des großen Mannes regiert zu werden, der so offensichtlich von der Vorsehung berufen worden ist, um die Übel einer schrecklichen Revolution auszulöschen und den Altar, den Thron und die gesellschaftliche Ordnung wieder aufzurichten. Doch die Auflösung meiner Ehe wird nichts an den Gefühlen meines Herzens ändern; der Kaiser wird stets an mir seine beste Freundin haben. Ich weiß, wie sehr dieser von der Politik befohlene Akt seinem Herzen wehegetan hat, doch ihm wie mir gereicht das Opfer zum Ruhme, das wir dem Wohle des Vaterlandes darbringen.«

Damit war für Josephine die Teilnahme an Napoleons Bedürfnis nach pompösem Abtun privater Dinge erledigt. Daß er seiner Genugtuung über das grandios rührende Gelingen dadurch Ausdruck gab, daß er ein Bild davon malen ließ, berührte sie schon ebensowenig mehr wie die noch nachfolgenden Szenen ihrer offiziellen Entlassung aus der Ehe. Der zu allem brauchbare Senat hatte sich willig zu der Rechtsinstanz machen lassen, vor der sich – ohne auf den Code Napoleon Rücksicht zu nehmen – die zivil geschlossene Ehe auflösen ließ, wozu diesmal Eugène mit einer Rede das gefühlvolle Element lieferte. Und in Ermangelung des eben durch Napoleon außer Funktion gesetzten Papstes fand sich der französische Klerus bereit, die kirchliche Ehe auf Grund eines angeblichen Formfehlers zu annullieren.

Ein paar Wochen vorher hatte Josephine der Duchesse d'Abrantès in Malmaison gesagt, daß die Scheidung sie töten würde. Jetzt war auch diese lange Qual zu Ende – und immer noch war das Leben da, und unter aller Mattigkeit gingen noch immer Wünsche und Hoffnungen um und flüsterten in die elende Traurigkeit dieses Auszugs aus den Tuilerien, in das Ausweinen und kleine Aufseufzen schon wieder von den hundert wartenden Spielen, die noch immer Leben waren.


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