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Zweites Buch.
Neben einer Weltwende

Allerlei Ereignisse

Als Josephine Frankreich verließ, war der Prolog der großen Tragödie, in der ihr endlich die unerwartetste Rolle zugedacht war, schon gesprochen. Sie hatte nicht viel davon bemerkt. Ja, allerdings, im Ton der Konversation hatte sich etwas geändert, und es gab eine »Lage«, von der des öfteren gesprochen wurde. Dann hieß es, in Versailles tage eine Versammlung der Notablen (eine offensichtlich unübliche Angelegenheit, da man einiges Wesen davon machte), dann wurde davon geredet, daß Calonne gestürzt sei und ein Erzbischof, Brienne, jetzt die Geldbeschaffung übernommen habe; schließlich erzählte der alte Marquis Beauharnais verdrossen, daß man es mit den Notablen auch nicht geschafft habe und ein unliebsames Mittel versucht werden würde. Damals hörte Josephine das erstemal das Wort États généraux, worunter sie sich ebensowenig vorstellte wie die meisten ihrer Zeitgenossinnen aus ihrem Stande – oder ebensoviel wie die Mehrzahl der Frauen der besseren Stände vor 1914, wenn sie die Überschriften Kabinettswechsel, Krise und dergleichen in einer Zeitung sahen. Ein wenig über die Zeiten zu jammern gehörte neuerdings zwar zum guten Tone, und das trug Josephine denn auch mit dem sonstigen Modischen nach Martinique mit. Aber sie hatte noch nicht einmal genug »dazugehört«, um das Unbehagen der eigentlichen Gesellschaft mitzuempfinden, das jene süße verspielte Behäbigkeit des 18. Jahrhunderts zersetzte und die Unrast zu einer allgemeinen machte: die Unrast, die mit Jean Jacques Rousseau von unten herauf gekommen war, diesem ersten der »philosophes«, dessen Lehren, mit denen man hatte so schöne Denkspiele treiben wollen, plump und grob die Forderung, aus den Gedanken Konsequenzen zu ziehen, erzwangen.

Josephine, von der die Biographen, die auch noch aus diesem dazu ungeeignetsten Menschenwesen ein moralisierendes Schemen zu machen versuchten, kühnlich behaupteten, sie hätte die Wiedervereinigung mit der Familie gar nicht erwarten können, war auf ihrer langen Seefahrt weniger denn je zuvor gestimmt, über Frankreich anders als auf ihr eigenes Leben bezogen nachzudenken. Sie empfand, was Chateaubriand in seinen Memoiren ausgesprochen hat: daß man an dem Maße von Heimweh, das man empfindet, ermessen könne, wie weit man sich von Paris, dem Herzen der Welt, entfernt habe.

Das seit Hortensens Memoiren gerühmte traute Familienglück in Trois-Ilets ließ sich denn auch nicht anders an, als Josephine es vorausgesehen hatte. Statt des Marquis und der Tante Renaudin hatte sie andere Kranke zu betreuen: den Vater und die ihr verbliebene Schwester Manette, die sie langsam und unaufhaltsam dahinsiechend vorfand. Und der Trost am Mutterherzen mag auch kein ungetrübter gewesen sein, da Madame Tascher de la Pagerie, die eine grundschwierige Ehe hinter sich hatte, der Ansicht zu sein schien, daß Josephine es unter den so viel besseren Verhältnissen, als ihre eigenen es gewesen waren, zur Trennung der Ehe nicht hätte kommen lassen dürfen. Eine große Hilfe für die Heimgekehrte war, daß sie ihr kleines Mädchen mit sich hatte. Indem sie das lebhafte Kind mit der ihm märchenfremden Welt voll von Negern, unbekannten Tieren und wunderbarem Pflanzenwuchs vertraut machte, tauchte ihr viel Vergessenes aus ihrer eigenen Kindheit wieder empor. Dann sah sie als Führerin Hortensens auch altvertraut und selbstverständlich Gewesenes wieder neu; und wie stark auch ihr Heimweh nach Frankreich und die Unlust an diesem sinnlosen Zeitverwarten auf der Insel sein mochten, prägte sie sich jetzt manches Einzelne aus diesem vordem ein allgemeines Wuchern, Blühen und Früchtetragen gewesenen Pflanzenwuchse ein. Und sie trank die schöne große Wärme ein und nahm die Insel (die sie hernach nie wieder sah) jetzt aufgetaner und wissender ins Blut – so daß sie jetzt erst recht zu der Kreolin wurde, von der Alexandre nichts hatte an ihr entdecken können. Schwerer wurde es dann, wenn die Regenzeit kam, die Wasserstürze um das noch immer recht unwohnliche Haus rauschten, Besuche ein unmögliches Unternehmen waren und Josephine außer den beiden Kranken nur die freudlose Mutter und Hortense hatte, die Tag und Nacht vor den immer neu heraufziehenden ungeheuerlichen Gewittern Schutz bei ihr suchte. Die großen Ereignisse waren die seltenen Schiffe, die Post aus Frankreich brachten. Von der Tante Renaudin wurde Josephinen berichtet, daß Alexandre seit ihrer Abreise regelmäßig und ohne Einwände ihre Rente nach Fontainebleau auszahle (war ihm also doch soviel an ihrer Entfernung gelegen gewesen?); aber bald erfuhr sie mehr und immer Unglaublicheres von Alexandre.

Hätte man Josephine in der Zeit ihrer ersten Verliebtheit in Alexandre von ihm erzählt, er sei plötzlich König von Frankreich geworden, so hätte sie das wohl in ihre damalige Welt, in der es noch nichts als ihre leichtgläubigen Wünsche gab, mit weniger Zweifel aufgenommen als die Nachrichten, die jetzt über ihn kamen und sich so gar nicht mit ihrer Meinung von ihm zusammenreimen wollten, dieser ersten Meinung, die sie sich von einem Menschen gebildet hatte. Aber sie hatte ja noch keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, und diese ganze so verlockende Welt der Männer war undurchdringlichen Geheimnisses voll. Auch war und blieb ein letztes Restchen jenes Glaubens noch in ihr, der Erfolghaben und das Rechte tun mit der Logik des Märchens zusammendenkt. Alexandre war nicht gut, das wußte sie; wie konnte das also wahr sein, was nun jede aus Frankreich kommende Nachricht berichtete: daß er ein wichtiger Mann geworden sei, daß sein Ansehen von Tag zu Tag wüchse und sein Name immer öfter unter den bekannt werdenden Führern der neuen Bewegung genannt werde. Wie es um diese Bewegung selber bestellt sei, wußte sie freilich so wenig wie alle die Menschen um sie; doch sie mißtraute dem Ganzen, weil ein unwahrer Mensch wie Alexandre es darin zu etwas zu bringen schien. Sie trug Alexandre nichts mehr nach, noch auch fand sie am Lügen etwas sonderlich Verurteilenswertes. Das Unwahre, das sie meinte, hatte vielmehr etwas mit der Natürlichkeit zu tun, die ihre erste Forderung geworden war. Aber diese Bewegung – man wußte noch nicht einmal, wie man sie nennen sollte – mußte wohl ihre Bedeutung haben; denn jede Nachricht aus dem alten Lande war voll von ihr, und sogar auf der Insel saßen die Männer jetzt zusammen und diskutierten, statt Karten zu spielen wie vordem. Dann machte sich sogar unter den Negern etwas unbekannt Gewesenes bemerkbar, ein winziges Zögern im Gehorsam, eine Spur von Aufsässigkeit, ein Lauern in den Blicken. Etwas Unheimliches jedenfalls und von derselben Art beängstigend wie die Nachrichten davon, daß man anfinge, dem Könige Vorschriften machen zu wollen. Jetzt begann Josephine, etwas von Unbehagen und Besorgnis zu empfinden: es war nicht so sehr, daß sie das allgemeine Gefühl der sie Umgebenden teilte und sich fragte, was in dieser drohenden Erschütterung der Über- und Unterordnung der Menschen aus der Welt werden solle – vielmehr bangte sie davor, daß all dieses Mißliche, aus dem Gleichgewicht Kommende ihr ihren Anteil an den Freuden verkürzen könnte, die ihr die Zukunft schulden mußte.

Alexandre in den Generalständen! Alexandre in der Nationalversammlung! Was waren seine Verdienste? Natürlich hatte ihn der Herzog von Larochefoucauld, der Freigeist und Philosophenschwärmer, der bei so etwas nicht fehlen durfte, hineinprotegiert! (Und es war in der Tat so: Alexandre war in die Revolution hineinprotegiert worden, wie ehedem sein Vater in seine Karriere!) Als die Nachrichten über seinen Aufstieg nicht mehr anzuzweifeln waren, sah Josephine ihren eigenen Vorteil. Sie stand ja jetzt schon ganz leidlich mit Alexandre, er schrieb ihr sogar gelegentlich über Eugène: Nun, beim getrennten Leben sollte es natürlich bleiben, aber es war jetzt sicher gut, seinen Namen zu tragen, anders gut als früher. Zwar wußte sie noch nicht, daß dieses Früher schon so zu werden begann, wie wir »Vor dem Kriege« sagen, aber sogar die Auswirkungen auf das Leben der Insel ließen keinen Zweifel mehr darüber, daß etwas Bedeutsames vor sich ginge. Josephinens Heimweh nach Frankreich wurde zur unruhigen Angst, etwas Entscheidendes zu versäumen. Aber es scheint, daß der rechte Anlaß zur Abreise noch nicht gefunden werden konnte oder daß sie dem, was sie fortgetrieben hatte, noch nicht lang genug ferngewesen war. Auch mochte es an Geld oder an der rechten Überfahrtsmöglichkeit gefehlt haben. So blieb sie weiter in Martinique, wie eine Verbannte, die der Heimrufung wartet, und es waren beinahe zwei Jahre vergangen, bis sie der dann allerdings unwiderstehliche Ruf, ja Befehl zum Aufbruche erreichte.

Die Widersetzlichkeiten der Neger waren auf allen Inseln immer planmäßiger geworden, und schließlich hatten die ersten Aufstände begonnen, kleine Proben zu dem grausigen allgemeinen Aufruhr hernach. Drohungen und Befehle von Seiten der Aufständischen, das vor Port-Royal verankerte kleine Geschwader nicht ausfahren zu lassen, hatten den Flottenkommandanten zu eiliger Heimreise bewogen. Unter den wenigen, denen er Überfahrt anbot, war Josephine mit ihrem Kinde. Der Aufbruch ging noch um vieles hastiger vor sich als jener von Fontainebleau. Alles Gepäck zurücklassend eilte Josephine zu dem Boote, ohne auch nur mehr von der Familie Abschied nehmen zu können (Vater und Schwester starben nicht lange nachher, und auch die Mutter hat Josephine nicht mehr wiedergesehen). Die Ausfahrt aus Frankreich hatte mit einem Sturm begonnen; die Heimreise begann mit einer Beschießung der Eskader durch die Forts, schlecht gezielten Schüssen ungeübter Kanoniere, den ersten Kanonenschüssen, die Josephine gehört hatte.


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