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Ce drôle de Bonaparte

Angesichts eines Zeitalters, in dessen Heldenverehrung ebenso trübe Quellen münden wie in seine Heldenversehrung, ist es ein schwieriges Beginnen, einer Gestalt wie der Napoleon Bonapartes zu nahen. Man möchte sich gerne an eine wohldokumentierte Objektivität halten, vergegenwärtigt sich etwa die schlimmen drei Bände von Th. Jungs »Bonaparte et son temps« mit all ihren zum Teil unwiderleglichen Berichten von Schwindel, Lüge und Hochstapelei, den grausigen Fellachimmorden in Ägypten, dann all die anderen Autoren, die einem die sinnlosen und ungeheuerlichen Menschenschlächtereien, das Vergeuden lebendigen Lebens und die Entrechtung einer kaum frei gewordenen Nation nahebringen: und in all das hinein mengt sich die Vision jener ungeheuren Schönheit des unzerstörbaren Jünglingsgenius, die in der Totenmaske beschlossen ist. Aber in diese Zweifel spricht die Besinnung, daß hier ja doch nicht eine Geschichte Napoleons erzählt werden soll, sondern die eines Frauenlebens, mag dieses auch erst durch die Verbindung mit Napoleon »biographiefähig« geworden sein. Und zu dieser Besinnung findet der Autor die Zuversicht in sich, daß jeder Denkende sich einmal mit dem Phänomen Napoleon Bonaparte auf seine Art auseinandergesetzt haben muß wie mit den anderen großen Phänomenen der Menschheitsexistenz. So bescheidet sich der Verfasser, von Josephine aus gesehen ihren Anteil an diesem Napoleonleben zu erzählen, sicher, daß jeder Leser seine ihm gemäße Napoleondeutung zu den Tatsachen und Deutungsversuchen dieser Lebensgeschichte dazutun wird.

Das Gesetz von der gleichen Aktion und Reaktion scheint sich im Politischen so zu modifizieren, daß die Reaktion dann mit ganzer Kraft einsetzt, wenn die Aktion nach der Erreichung eines Ziels zugleich mit den Ideen auch ihre vitale Stoßkraft zu verlieren beginnt. Solange in Frankreich Revolution in mächtigen Hirnen und Willenskräften verkörpert großes, gärendes, in neue Formen drängendes Leben gewesen war, ging das bißchen Monarchismus kaum noch gespensterhaft schleichend in den Nächten um. Und die dieses ausgeblutete Unwesen, für das man längst schon eher sterben als leben konnte, noch mit versprechender Wirklichkeit hätten nähren können, die überlebenden Bourbonen und all die Emigranten, taten hochmütig und töricht mit viel Hofhalten, Intrigieren, militärischem Paradieren und kläglicher kriegerischer Unfähigkeit das Ihrige, sich aus dem Blutkreislauf Frankreichs immer mehr auszuschalten. (Wer übrigens die Rolle der Emigranten in den ersten sieben Jahren der Revolution und ihre Auswirkung auf den innerfranzösischen Monarchismus begreifen will, lese im dritten Bande des Memorials von Sankt Helena den langen Bericht des Grafen Las Cases über seine eigene Emigrantenzeit.)

Als aber all dem zum Trotz die kaum gesicherte Republik so unvermittelt aus den Händen der Ideenmänner und der heroischen Verteidiger der Idee in die Hände der Arrivisten, der Machtverliebten und der Schieber überzugehen drohte, begann in Paris selber eine weit gefährlichere Reaktion, als es die in der Vendée und die der Chouans gewesen war: die Reaktion der Halb- und Viertelrevolutionäre, die sich's angesichts all der Korruption doch noch lieber mit dem erprobten Alten arrangieren wollten. Was aber eigentlich die Empörung, die sich die Royalisten zunutze zu machen hofften, in breitere Massen der Bevölkerung trug, war die Tatsache, daß die von dem demnächst abtretenden Konvent ausgearbeitete Verfassung ihnen alle Hoffnung nahm, die nachfolgenden Regierungskörperschaften von Grund auf aus neuen Männern zusammengesetzt zu sehen.

Nun begann das Regieren in Frankreich vorwiegend ein »Weitertun von Putsch zu Putsch« zu werden; daß auf einen davon, den des XIII. Vendémiaire, hier besonders hingewiesen wird, hängt durchaus mit der Aufgabe dieser Darstellung zusammen. Daß es nämlich an diesem 3. Oktober nicht zu einem völligen Umsturze kam, ist das Werk des Mannes, der, mit dessen Vollbringung in die große Geschichte eintretend, Josephinen begegnete und sie unversehens auf seinen Weg mitnahm.

Als am 12. Vendémiaire der von mehr als drei Vierteln der Nationalgarde-Sektionen bedrohte Konvent seine ganze Hoffnung auf den klirrenden Säbel des schönen Barras gesetzt hatte, empfand dieser plötzlich, daß ihm an militärischen Ehren just in solchem Augenblicke, in dem ein Mißgriff die Stellung, die Zukunft, ja das Leben kosten konnte, recht wenig gelegen sei. Zum mindesten aber sollte für ihn ein anderer, der ihr gewachsen wäre, die Verantwortung solcher ehrenvollen Mission übernehmen, ein Soldat, ein Organisator, der mit den paar tausend Mann zur Verfügung stehender Truppen der vielfachen Übermacht standhalten könnte. Es war keine Zeit mehr zu verlieren. Ein paar Generäle waren Barras genannt worden. Einer der Namen erweckte die Erinnerung an einen schmächtigen, kaum mittelgroßen jungen Menschen mit einem gelblichbleichen fanatischen Gesichte; es war wohl der, der vor nicht langer Zeit Térézia um eine neue Uniform gebeten hatte. Das Gesicht war nicht nach Barras' Geschmack, der Fanatiker gar nicht mehr leiden konnte; aber dieser kleine Korse, Buonaparte hieß er, dieser Bursche, der damals bei Toulon so geschickt die Batterien aufgebaut hatte, sah aus wie einer, der weiß, was er will; und eben so einen brauchte man jetzt. Barras ließ ihn kommen.

Bonaparte, der in Korsika geboren war, da es eben französisch geworden war, hatte, als es seinem mit unendlichen Bittschriften und Bittfahrten für die zahlreiche Familie sich abarbeitenden Vater gelungen war, ihn auf einem Freiplatz in der französischen Militär-Erziehungsanstalt unterzubringen, noch kein Französisch gekonnt und noch viele Jahre lang seine Schrift möglichst unleserlich gemacht, um seine mangelhafte französische Orthographie zu verbergen. Linkisch und wild, immer von diesen glatten Franzosen gehöhnt, bettelarm, immer wie mit zusammengebissenen Zähnen, hatte er die Knaben- und ersten Jünglingsjahre hingebracht, hatte das Not- und Zwecklügen gelernt und sich auf ein Später vertröstet, das ihn entschädigen sollte. Aber dieses Später mit dem Bettelsolde des Unterleutnants, den er noch mit einem jüngeren Bruder teilte, ließ sich auch nicht besser an als das elende Früher. Er hatte kaum Freunde, Frauen waren unerreichbar, und die einzigen Beglücker, die in diesen finsteren Wartejahren Helle und Üppigkeit gaben, die Bücher, waren nur unter schweren Entbehrungen zu erlangen. Dann hatte er es mit der Heimat, mit Korsika, versucht. Aber die Hoffnung, in den dortigen Wirrnissen rasch emporzukommen, war auch bald gründlich fehlgeschlagen, – und erst da die Familie, des bißchen Eigentums beraubt und bedroht, von der Heimatinsel hatte flüchten müssen, hatte Bonaparte seine Sache ernsthafter auf Frankreich zu stellen begonnen. Toulon, zu dessen Befreiung aus englischen Händen er so viel beigetragen hatte, war seine erste Chance gewesen. Er war mit fünfundzwanzig Jahren Brigadegeneral geworden – aber wenig später schon war das ein Titel ohne Sold. Er hatte sich zu sehr mit den Jakobinern eingelassen, mit Robespierres Geschwistern angefreundet – und der berühmte Brief, daß er, hätte er den Verräter erkannt, ihm als erster den Dolch in die Brust gestoßen hätte, half schließlich wenig. Nach der Haftentlassung war er durch Paris geirrt, hatte endlich seine Wiederanstellung erwirkt, doch als Infanteriebrigadier. Das lockte ihn nicht. Mit immer neuen Gesuchen voll falscher Angaben und erbettelten ärztlichen Zeugnissen hatte er sein Abgehen zur Truppe immer wieder hinausgeschoben, auf das Wunder wartend, das nicht kommen wollte. Dann wuchs ein Traum in ihm auf, von allem Anfang an scharf umrissen und voll genauer Bezüge zu Tatsächlichkeiten, wie alle seine Träume damals noch: der Traum vom Orient des großen Alexander, eingekleidet in die Hoffnung auf seine Kenntnisse als Artillerieoffizier: die türkische Artillerie zu reorganisieren und für sich in jenem Lande, das ihm ja bald auch nicht mehr fremder sein würde, als Frankreich es nicht lang zuvor noch gewesen war, den Hebelpunkt zu finden für sein »Δός μοι πῆ στῶ καὶ τὴν γῆν κινήσω«. In Erwarten dessen, daß sich dieser Traum verwirklichen werde, hatte er nach vielen Mühen und Bittgängen einen Unterschlupf im topographischen Büro des Kriegsministeriums gefunden, der ihm seinen Sold verbürgte, ohne daß er zur Infanterie überzugehen brauchte, und wo er etlichen sachlichen Träumen, die ihm während seines Dienstes bei der im Südosten fechtenden Armee gekommen waren, im Ausarbeiten eines Feldzugsplanes gegen Oberitalien Gestalt schuf. Und nun, auf die Berufung in die Türkei wartend, wie dereinst Cromwell auf die Ausfahrt des Auswandererschiffes nach Amerika gewartet hatte, erreichte ihn der Ruf Barras'. Das konnte die große Chance sein! Aber Bonaparte gedachte seiner Erfahrungen mit diesem Konvent und war voll von Bedenken. Er hatte mit allen geäußerten politischen Gesinnungen, mochte er auch gegen das alte System persönlich in Auflehnung gewesen sein, stets doch nur sich gesehen, seinen Weg, der in die Bahn seines Sternes führen mußte. Nun kam dies Anerbieten: eine wenn auch kleine Armee zu kommandieren und, in seinen Entschließungen keinem untertan, ein sehr großes Wagnis auf sich zu nehmen. Dieses lockte ihn, der Zweck nicht. Er erbat sich Bedenkzeit. Barras hatte zitternde Hände, wie ein Spieler, der eine entscheidende Karte hält. Bonaparte wog nicht die Chancen des Erfolges ab, sondern die Größe des möglichen Gewinnes. Arm, keusch, nüchtern mit Speise und Trank, wie alle jungen Südländer von geistiger Rasse, sah er diese Männer vor sich, Barras, Tallien und ihre Clique, die sich die Verfassung gemacht hatten, die ihnen das Weitergehen der Macht unter neuen Namen und Titeln gewährleisten sollte. Die kannte er und fühlte sich ihnen gewachsen. Und die anderen? Da gab es dumpfes oder edles Gären, in Köpfen, mit denen man es aufnehmen konnte – aber dazu Ziele, die ihn als jakobinisch kompromittiert vorerst ausschließen würden. Da zögerte er nicht mehr – blieb nicht schließlich noch immer die Türkei?

Und dann die Nacht zu diesem XIII. Vendémiaire und der Tag. In einer halben Stunde hatte Bonaparte alle Informationen gehabt. Da war gleich ein junger Kavallerieoffizier, geschniegelt und geschmückt, er hieß Murat und sah noch aus wie ein verkleideter Handlungsgehilfe, der er angeblich gewesen war. Bonaparte glaubte ihn brauchbar und entsandte ihn, die vierzig Kanonen zu holen, an deren Besitz alles lag. Und dieser Murat fing die Geschütze den heranrückenden Nationalgardisten vor der Nase weg und brachte sie nach Paris. Und mit nie vorhergesehener Schnelle waren sie in Stellung gebracht und bestrichen Brücken und Kais. Dann der Angriff der Übermacht genau an den vorhergesehenen Punkten, Kartätschenfeuer in gestaute Massen, die immer wieder heranfluteten, immer wieder aufgelöst davonjagten, Haufen von Toten zurücklassend. Dann endlich die Entwaffnung der Aufrührer, Sieg; Sieg Barras' und des Konvents. Wie er selber über diesen Sieg dachte, sagen die an seinen Adjutanten und Freund gerichteten Worte: »Wenn mich diese Burschen da (die Royalisten) an ihre Spitze gestellt hätten, wie hätte ich die Volksvertreter zusammengeschossen!« Aber Bonaparte wurde diesmal nicht vergessen: Divisionsgeneral, erst interimistisch, dann in aller Form ernannter Oberbefehlshaber der Inlandsarmee, das war der Lohn. Vor ein paar Monaten noch hatte er eine Uniform erbettelt, hatte angesichts der hübschen eleganten jungen Leute, die neben den wunderbaren Frauen in den Wagen saßen, als vermessentlichsten Wunsch den ausgesprochen, auch in solch einem Phaethon fahren zu dürfen. Nun war er im Palais der Kommandantur in der Rue Neuve-des-Capucines eingerichtet, hatte Wagen und Pferde, Dienerschaft, Adjutanten, die seine Befehle weitertrugen, war eine Macht, eine Macht. Und wohin er kurz zuvor halb noch als verschämter Bittsteller gekommen war, wurde er jetzt selbstverständlich, ja empressiert eingeladen, ging bei Barras aus und ein, saß unter den unerreichbar gewesenen schönen Frauen, redete, versuchte sogar auf eine aufgeregte, von innerem Drängen verwirrte Art zu scherzen, fand belustigte und interessierte Zuhörerinnen, saß mitten unter ihnen, sog ihren Duft ein und redete paradox, kindisch und wie besessen.

An die zehn Jahre später kam eine Legende auf, die bis heute weiterberichtet und geglaubt wird und die sogar der Hauptbeteiligte in seine niedlichen familiendienstfreudigen Memoiren aufgenommen hat. Dieser, Eugène Beauharnais, der damals fünfzehn Jahre alt war, dichtet sich selber einen heroischen Knabenstreich an, der den General Bonaparte mit Josephine in Verbindung gebracht hätte. Er erzählt, was ihm erzählt worden ist: daß nach dem Aufstande am XIII. Vendémiaire eine allgemeine Entwaffnung angeordnet worden sei, während welcher die Waffensucher auch den Degen Alexandre Beauharnais' aus dem Hause in der Rue Chantereine fortgetragen hätten. Da habe er, Eugène, sich auf eigene Faust zum neuen Oberkommandierenden, Bonaparte, begeben und mit blitzenden oder tränenden Augen den Degen des Vaters zurückverlangt. Und Bonaparte, der ja in der Tat ein so guter Sohn war, habe, von solcher Kindesliebe und dem Mute des hübschen Jungen gerührt, sogleich die Herausgabe des Degens angeordnet. Darauf sei ein Dankbesuch Josephinens erfolgt, die wieder den offensichtlich sehr von ihr beeindruckten jungen General zu sich eingeladen habe. Was diese hübsche Legende endgültig widerlegt, ist die Tatsache, daß nach dem XIII. Vendémiaire überhaupt keine Entwaffnung stattgefunden hat (und daß im übrigen die Entwaffnungen sich vor allem auf Schußwaffen, aber kaum auf einen der zierlichen Offiziersdegen aus der Königszeit her, wie Alexandre ihn trug, erstreckt haben).

Bonaparte selber erzählt ebenso wie eine Reihe der glaubwürdigeren Zeitgenossen, daß er Josephine zum ersten Male im Hause Barras' begegnet sei. Unter den Berichten über dieses erste Zusammentreffen beschreibt einer sogar Josephinens Kleidung an diesem Abende: ihr Kleid war aus weißem indischen Musselin, dessen übertriebene Weite sich wolkig um ihren Körper legte. Das unter der Brust grob gefältelte Leibchen war über den Schultern von zwei schwarz emaillierten Löwenköpfen gehalten; die kurzen plissierten Ärmel bedeckten nur ein Stückchen ihrer schönen Arme, die um die Gelenke goldene Armreifen trugen.

Josephine erzeigte dem »Retter des Konvents«, von dem sie von Barras und anderen unaufhörlich reden gehört hatte, ein mit viel Amüsement untermischtes Interesse. »Ce drôle de Bonaparte«, wie sie ihn bald darauf in einem Briefe nannte, war auch sonderbar genug. Nicht daß irgend Parvenühaftes an ihm gewesen wäre; daran hatte man sich in diesen Zeiten schon allmählich gewöhnen lernen müssen – es war lediglich etwas schlechthin Sonderbares an ihm. Das fing schon beim Äußeren an: daß man ihn weder schön noch häßlich nennen konnte. Dann bei der Kleidung: die neue Uniform des Divisionsgenerals, leidlich gut geschnitten, war doch, als ob er noch nicht hineingewachsen wäre. Im Hause der Madame Permon, die ihm als Landsmännin wohlwollte, hatte man ihn den gestiefelten Kater zubenannt. Die leidenschaftliche traurige Wildheit lange geduckter Jugend voll der Zuflucht in abgerückte Wirklichkeiten, die doch weltsüchtige Wirklichkeiten der Seele, nicht kraftlose Tagträume und impotente Abkehr waren, hing ihm noch an, gleichwie die brennende Keuschheit dieser endlosen Wartejahre. Nun war schon ein ungeheurer Schritt in das Sichbewähren getan – aber die innere Spannung war damit nur noch gewachsen, und der junge Mensch mit den glatten, lang auf die Schulter herabfallenden Haaren und dem erschreckend heftigen, düster blauen Blicke eines unbändigen Kindes trug diese Spannung mit in das, was ihm die langersehnte Unterhaltung in guter Gesellschaft war. Er befremdete und zog an und war immer ein bißchen lächerlich mit seiner maßlosen Lebhaftigkeit, in der dann plötzlich hinreißende Ideen, die schärfsten Beobachtungen, die beinahe geistreich sein konnten, hervorstießen – und denen doch aller Humor fehlte, der sie erträglich gemacht und in die Konversation eingegliedert hätte.

Dar junge General war erst wie trunken von all den Frauen. Aber während alle die lusterfahrenen Männer um ihn in ihrer gierigen Konzentrationsunfähigkeit jeweils eine der Frauen herauslasen, weil man eben doch nicht alle auf einmal haben konnte, drängten ihn schnell seine ganzen Kräfte zu einer, die alle Frauen sein sollte. Er war nicht naschhaft, er war in Liebesdingen ein Neuling wie ein Gymnasiast. Und er war ein Glied eines alle Trennungen überdauernden eisenfesten Familienbandes, war der Sohn einer harten, altweltlich starken Familienmutter, deren Zärtlichkeit er entbehrt und deren Warten auf Übernahme der Klan-Führung durch einen der Söhne er stets fühlte; das in Einsamkeit gehärtete Muttersöhnchen aus einer wilden, mit ewigem Guerilla erfüllten Welt, in der die Familie die Kampf- und Trutzeinheit ist: und alledem war er durch sein von wenig Erfahrung korrigiertes Gefühl und durch die in fremdländischer Einsamkeit zu Ketten gewordenen Bande verbunden. Gehörte man solch einem Klan an, dann blieb man unlöslich in diesem engen Sonnensystem verhaftet, mochte man selber lichtspendende Sonne oder Trabant sein. Wohin immer Bonaparte sich in seinen machtgierigen, ichheißen, unphantastischen Träumen geträumt hatte: der Klan, die Mutter und die vielen Geschwister gehörten mit dazu. So geschah, der aufgelösten Zeit zum Trotze, auch noch das Erwachen und lange Sehnen seiner jungen Männlichkeit in diesem Zeichen: Liebe als Leidenschaft eines Gliedes der Bonaparteart, zugleich ichlich begehrend und das begehrte Wesen alsogleich in den Bonapartekreis einbeziehend.

Als der ältere Bruder Joseph, »der Glückspilz«, die Tochter des Seifenhändlers Clary in Marseille geheiratet hatte, hatte Napoleon Bonaparte von der ersten Begegnung an die jüngere Schwägerin Désirée (die hernach von eines anderen Gnaden wahrhaftig eine Königin geworden ist) für sich erwählt, nicht zu Liebschaft und jungem Sinnesspiel, sondern zu Ehe und Mitsein in der Bonapartewelt. Hier kaum abgewiesen, doch in vieler Trennung als ein etwas närrischer Schwagersbruder ohne Aussichten vergessen, hatte der junge Bonaparte als so plötzlich verabschiedeter Brigadegeneral es mit der ersten Frau versucht, in deren Haus in Paris er zugelassen war, jener Madame Permon, der Mutter der nachmaligen Duchesse d'Abrantès (die in ihren Denkwürdigkeiten Unschätzbares über diese Jahre aufbewahrt hat). Madame Permon, aus Korsika stammend wie er, ihre Herkunft aus dem Kaisergeschlechte der Komnenen herschreibend, war mit Charles de Buonaparte, dem Vater, befreundet gewesen, dem sie im Alter weit näher stand als dem Sohne, der nun um die noch nicht lang Verwitwete alles Ernstes warb; als um eine Mutter-Geliebte, in deren Haus und Lebenskreis er nach Klan-Art der junge Patriarch werden könnte. Als er auch hier abgewiesen worden war, schwieg in Elend und Wartegier dieses Heimatsuchen, dieses Liebesverlangen als Haus-und-Herd-Schaffen-Wollen, für eine längere Weile. Und da es wieder aufstand, umwarb es ein Frauenwesen, das als Gegenstand solchen Werbens nicht minder wunderlich erscheint, denn dieser Frau selber ihr Werber anfangs erschienen war.

Napoleon Bonaparte erzählt in den Jahren, da alles Leben ein Starren durch Gitterstäbe auf die Vergangenheit geworden war, in Sankt Helena, von der ersten Begegnung: »Ich war nicht unempfindlich für den Reiz der Frauen, doch bis dahin hatten sie mich nicht verwöhnt, und mein Charakter machte mich vor ihnen schüchtern. Madame de Beauharnais war die erste, die mir Sicherheit gab. Eines Tages, als ich neben ihr meinen Platz hatte, sagte sie mir schmeichelhafte Dinge über meine militärischen Talente. Dieses Lob berauschte mich, ich wandte mich ununterbrochen an sie, ich folgte ihr überallhin – und ich war leidenschaftlich in sie verliebt. Und unsere Gesellschaft wußte bereits, daß ich weit von dem Wagnisse entfernt war, es ihr zu sagen ...«

4. Bonaparte

Josephine war auf die recht jugendliche Art solcher Zeit ein gut Stück älter als er, war auf tragische Weise Witwe geworden und hatte Kinder; das war das einzig Mütterliche an ihr, das des jungen Menschen Familiendonquichotterie verlockte. Aber es gab so viele andere Lockungen an ihr: das unaufhörlich wechselnde Spiel von Damenhaftigkeit, kreolisch lässigem Schmachten, von jäh aufflackernder Lebhaftigkeit im Gespräche, von süß melancholischer mädchenhafter Schutzbedürftigkeit und dann wieder ganz und gar einschüchternder Sicherheit und Gewandtheit. Und dann, wer kennt nicht die Kunst der eleganten Frauen, mit der sie es verstehen, jedem Manne die für ihn geeignetste Artigkeit zu sagen? Und wer hätte nicht selber mindest einmal in jungen Jahren eilig Hoffnungen auf solche anmutige und unverpflichtende Höflichkeiten gebaut, da er sich im schwanken Jugendselbstbewußtsein erhoben gefühlt und – was lediglich »die Kunst, Männer zu behandeln« war – als ganz und gar ihm zugedacht vermeint hatte? Und ist denn nicht immer gerade in solchen Zeiten der Mann, der im schaffendem Traume von Welt seinen Lebensmittelpunkt hat, mag er selbst noch so reif sein und gescheit wie der alte Goethe, der ja auch nicht »klug« war, leichtgläubig aus Sehnsucht und viel leichter düpiert als der Mann, »der das Leben nimmt, wie es ist«?

Die reizende Vicomtesse mit ihrer süßen Nonchalance und ihrer gefährlichen Artigkeit bestrickte den jungen Menschen, von dem viele Leute redeten, erst ohne sonderliche Absicht gerade nur ein klein bißchen, sozusagen auf Vorrat, weil sie so einen Kauz wirklich noch nicht gekannt hatte, und auch (die Motive gingen ja nun so leicht durcheinander), weil er wirklich mit einem Male jemand war, den man sehr gut brauchen konnte und der in Erwartung solcher Möglichkeiten eine Menge kleiner Annehmlichkeiten wie Logen für Theater und dergleichen verschaffen konnte. Josephine hatte freilich nicht damit gerechnet, daß der junge Mensch ein völliger Ignorant in den zu solcher Verfeinerung gediehenen Spielregeln des Gesellschaftsspieles Erotik war und diese unglaubliche Art des Ernstnehmens zeigte, die die Tiere, die Kinder und die Genies haben. »Die Frauen in Paris sind sehr kokett«, schrieb Hoche nach der Trennung von Josephine; der mit ihm fast gleichaltrige Bonaparte nannte diese amüsierte neugierige Koketterie mit knabenhaft klopfendem Herzen sein Wunder – und griff mit beiden gierigen Händen nach der ganzen Schale, aus der ihm wie beinahe jedem ein paar Tropfen gespendet worden waren. Und Josephine lud ihn in die Rue Chantereine, ließ sich von ihm ins Theater und zu Bällen begleiten und von ihm heimbringen. Hielt ihn der Dienst oder die glühende Angst vor seiner kaum mehr zu bändigenden Sehnsucht ein paar Tage von ihr fern, dann schrieb sie ihm ein Billett, durch dessen weltläufig nichtssagenden Tadel über Vernachlässigung ein kleines lockendes Gurren klang, das ihn vollends entflammte. Und dann eines Nachts nahm sie ihn mit in das Zimmer mit den blauen Nankingbezügen über den Möbeln aus Guadeloupe, das Zimmer mit den vielen Spiegeln und dem großen Bette. Warum? Aus Neugier? Aus Nachgiebigkeit gegen solche unwahrscheinliche und ganz unzeitgemäß wilde Verliebtheit? Aus Lust am Abenteuer, das eine kleine Dose der Liebesdroge versprach? Einfach aus Laune? Oder um den werdenden Einflußreichen fester an sich zu fesseln? Jeder Grund mag mit in dieser kaum bedachten Geste gewesen sein, in diesem Gewährenlassen einer sinnlichen Frau, die in solcher Nachtstunde ihre vielen kleinen krausen Gedanken wegschiebt, nachdem der eine sichermachende sich zur Schildwache vor dem Ich gemeldet hatte: der Vorbehalt.


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