Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Hausstand

Wenngleich von der Eheschließung bis zu der Aussöhnung mehr als dreieinhalb Jahre vergangen waren, kann diese Zeit der Trennungen und Wiedervereinigungen, der wildesten Leidenschaft, der Eifersucht und des endlichen qualvollen Verzichtens Bonapartes und Josephinens unbekümmertes Weiterführen des alten Lebens, bis die Scheidung fast schon Wirklichkeit war, kaum als ein Ehestand bezeichnet werden. Dieser hebt vielmehr nun an, da Josephine ihr junggesellinhaftes Sich-Ungebundenfühlen aufgab und sich stillschweigend in den Lebensraum begab, der ihr einzig in dieser Ehe gelassen war. Bis dahin hatte es wohl einen Hausstand gegeben, neuerdings sogar deren zwei, – aber es war der Hausstand der Josephine Beauharnais gewesen, die sich nur zögernd und allmählich hatte Madame Bonaparte nennen lassen und das Vorhandensein eines Gatten oft und gründlich vergessen hatte. Nun war der aber auf eine nicht mehr wegleugbare Weise da und sagte von dem Haus in der Rue de la Victoire »Mein Haus« und hatte auch aus Malmaison eilig das schon muffige dünne Düftlein des verwichenen Idylls ebenso ausgetrieben, wie es Josephine aus sich selber mit kräftigem Vergessen gebannt hatte. In diesem wunderlichen Schicksalsaugenblicke nun, in dem Bonaparte unter seine große Liebe den untragischen Schlußstrich gesetzt und entschlossen zu einem Gatten geworden war, für den es kein Liebesproblem mehr in dieser Ehe geben sollte, begann Josephine die Einordnung in den neuen Lebenszustand närrisch genug: mit einem Mehr an Unterordnung, als sie leisten konnte, und einem eifrig geschürten Liebesgefühl für den Unterwerfer. Sobald sie verstehen gelernt hatte, daß dieser herzliche, freundlich-strenge Ehemann ihr nichts von den bösen alten Dingen nachtrug, ahnte ihr auch, daß er ihr eigentlich und im Tiefsten unerreichbar geworden war. Und da hob eben die wunderliche Liebe Josephinens für Bonaparte an. Doch von ihr und ihren Wurzeln und Trieben wird noch die Rede sein.

Wie Josephine mehr als zwanzig Jahre zuvor, freilich damals töricht und verschüchtert, durch das düstere alte Haus der Beauharnais in der Rue Thévenot gegangen und Umschau unter alledem gehalten hatte, womit sie von nun ab leben sollte, so ging sie jetzt durch das neue Haus ihres Lebens. Und die neuen Gefühle für den Gatten saßen ebendort in ihr, wo die junge Unwissenheit von einst ihr den Blick beirrt hatte. Und so geschah es, daß diese nunmehrige Besitzstandsaufnahme dessen, womit sie aus- und zurechtzukommen hatte, ihr ein so schief und befangen gesehenes Resultat zeigte, daß ihre neuen Vorsätze davor schnell wieder der alten Erfahrung wichen, daß man sich's eben mit allem arrangieren müsse, wie es gerade ginge. Da war zum Beispiel gleich die große Geldfrage. Bonaparte war wahrhaftig nicht karg, und Josephine mußte wissen, daß er ihre Schwächen kannte und nachsichtig gegen sie war. Aber sie fürchtete sich vor ihm, das war ein neues Phänomen, dessen Unsinnigkeit sie selbst verstand und gegen das sie doch nicht aufkommen konnte. Etwas von der schlimmen Furcht, in eine freundlose Armut hinabzusinken, war aus jener Nacht in ihren Nerven geblieben und mit in ihr Gefühl für Bonaparte aufgenommen worden. Und diese Furcht vor seinem Zürnen (das, wie sie schnell entdecken mußte, nie lange währte und mit dem sie auf die rechte Weise auch stets schnell fertig werden konnte) war es auch, was sie nur allzuoft ihm und den Seinen gegenüber ihre erfahrene Kunst der Menschenbehandlung vergessen ließ und sie dazu brachte, den Blick für Maße und Distanzen zu verlieren und gelegentlich blindlings in eine Panik zu geraten, wo sonst ein Lächeln und ein richtiges Wort sich erlösend eingestellt hätten.

Am folgenreichsten offenbarte sich für Josephine dieses Im-Stiche-gelassen-Werden von ihrer routinierten Geschicklichkeit im Umgang mit Menschen ebenden Menschen gegenüber, die sie von nun ab als ihre nächsten zu betrachten hatte, dem bonapartischen Klan.

Josephine wußte zur Genüge, wie unlösbar Bonaparte mit seiner Familie verbunden war (von der Stendhal später gesagt hat, es wäre ein Glück für Napoleon gewesen, wenn er sie nicht gehabt hätte). Seine niemals ruhende Fürsorge für die Seinen mußte auch noch in den Zeiten von Bonapartes größter Liebe für Josephine ihr klargemacht haben, daß hier ein Tabu sei, an das sie nicht rühren durfte. Damals freilich war Bonaparte ihr noch einer gewesen, mit dem sie morgen vielleicht schon nichts mehr gemein haben konnte, so hatte ihre nicht eben zum Kopfzerbrechen neigende Natur diese ganze Verwandtschaft samt ihren Anfeindungen gerade nur dann wichtig genommen, wenn es sich darum handelte, ob die ihr von Bonaparte zugesandten Geldsummen auch ausgezahlt würden, oder wenn sie die Zuträgereien der Schwäger und Schwägerinnen zu fürchten hatte. Jetzt war das alles ganz anders geworden. Josephine hatte mit der Mitexistenz der Madame Lätizia und der vier Brüder und drei Schwestern ihres Gatten in ihrer Lebenseinrichtung zu rechnen und sich zu ihnen so zu stellen, daß, soweit es in ihren Kräften lag, ein erträgliches Verhältnis entstünde.

Was die Schwiegermutter anlangte, wäre freilich jede Bemühung vergeblich gewesen. Josephinens Vorleben, ihr Alter, ihre Unfruchtbarkeit, ihre Vermögenslosigkeit zusammen mit ihrem Hange zur Verschwendung hatten in der bedürfnislosen kleinbürgerlich sparsamen Mutter Lätizia ein gewaltiges Bollwerk von Vorurteilen errichtet; und hätte es sich Josephine auch noch so sehr angelegen sein lassen, den Weg zu diesem engen harten Herzen zu finden, sie hätte scheitern müssen. Denn Madame Lätizia, die mit fünfundvierzig Jahren schon eine alte Frau war (die freilich hernach die meisten ihrer Kinder überlebt hat), sah in der geputzten geschminkten Schwiegertochter beinahe eine Altersgenossin, die sich ins Ehebett des Sohnes eingeschlichen hatte und der Familie das ihr Gebührende nahm. So war ihr jedes Wort der »Witwe Beauharnais« verdächtig. Und Josephine war dieser bäuerlich dürren Abwehr gegenüber dadurch vollends machtlos, daß sie die kurzen Reden der Madame Lätizia meist nur zur Hälfte verstand, da die alte Frau, auch als sie längst in einem grandiosen Palast eingerichtet und höchst widerwillig als Madame Mère zur Hofhaltung gezwungen war, noch immer das Französische verstümmelt, mit italienischen oder korsischen Dialektbrocken reichlichst untermischt redete.

So wenig Brücken es auch zwischen dieser urwelthaften Matriarchin und der Repräsentantin dieser »gottverdammten« Zivilisation auch geben mochte, in der die Frauenzimmer von sechsunddreißig Jahren in durchsichtigen Kleidern tanzten und die Jungen spielten, so sehr hätte sich eine natürliche Verbindung zu den anderen Kindern dieser Mutter ebenso herstellen lassen müssen, wie sie sich zu Napoleon Bonaparte schließlich jenseits seiner Liebe ergeben hatte. Denn alle diese sieben anderen Bonapartes waren beflissen, französisch-manierlich und gesellschaftlich vollwertig zu sein, hatten die snobbistische Schwäche einer ersten Generation für alles Elegante, das Tradition verrät; und insonderheit mit den weiblichen Bonapartes hätte Josephine trotz des Altersunterschiedes leicht frauenzimmerlich Wesensverwandtes entdecken und sich zum Beispiel mit der hübschen Pauline ebenso verständigen können wie seinerzeit mit der hübschen und ebenso amoralischen Térézia. Wie wenig freudigen Widerhall die Versöhnung der Ehegatten in der Familie auch erweckt haben mochte, wie sehr auch der Einfluß der Madame Lätizia vor allem hinsichtlich der Kostspieligkeit Josephinens wirksam sein mochte, alle die Geschwister Bonapartes hätten zweifellos zum mindesten willigeren Herzens den Anschein guten Einvernehmens zu erwecken versucht, hätte Josephine sie nicht alle in dem Ressentiment ihrer vielgestaltigen Habgier bestärkt. Da indessen das Ereignis sich vollzogen hatte, auf welches das Kapitel von der Rückkehr hinwies, nämlich der Staatsstreich vom XVIII. Brumaire, und Bonaparte Erster Konsul geworden war, war seine ihm vorher durch Fama und Hoffnungen eingeräumte Machtstellung nunmehr zu einer verbrieften und verbürgten Gewalt geworden. Und wenngleich Josephine jetzt oder in der größeren Folge sonst ihren Anteil an solcher Macht kaum je als Hochmut oder Überheblichkeit geäußert hat, hat sie doch immer wieder in allen nun auftauchenden Zeremoniellfragen über Vortritt und dergleichen sämtliche höchst empfindlichen und eitlen Geschwister Bonapartes sowie vor allem die Gattinnen der Brüder durch ein übertriebenes Bestehen auf den Rechten ihrer Stellung verletzt. Und die Übertreibung dieser ihr sonst so ungemäßen Ehrsucht ebenso wie gelegentlich wieder die Übertreibung von Sympathiebeweisen in ihren Annäherungsversuchen an die Geschwister ihres Gatten zerstörten ihr endlich vollends die Möglichkeit eines persönlichen Nahekommens.

Gewiß wäre es keinesfalls leicht gewesen, mit diesen sieben Varianten unbegabten Ehrgeizes und hemmungsloser Ichlichkeit auszukommen, von denen Bonaparte selber gesagt hat, sie hätten sich so gegen ihn benommen, als ob er zu ihrem Schaden das väterliche Erbteil vertan hätte. Denn wie jeder und jede von ihnen in jeder Stufe von Bonapartes Aufstieg nicht etwa nur einen Rechtstitel auf immer neue Ansprüche an ihn sah, sondern dazu auch noch das absurde Gefühl hatte, Napoleon hätte mit jeder erfolgreichen Tat etwas getan, was eigentlich ihnen zu tun zugekommen wäre, so neideten sie auch Josephinen ebenso wie einander jeden Beweis von Napoleons unerschöpflicher Freigebigkeit gegen die Seinen. Aber es kann hier weder von dem Verhalten der sieben Geschwister gegen den Bruder erzählt werden, von dem dieser selber endlich gesagt hat: »Meine Anverwandten haben mir viel mehr Böses getan als ich ihnen Gutes«, noch auch kann Illustrationen der individuellen Besonderheit jedes der Geschwister in ihrem lieblosen Ausnützertum und ihren Verrätereien Platz eingeräumt werden. Was Josephine dabei angeht, hat sie zu den oben erwähnten Fehlern hernach den größeren gefügt, auf Intrigen mit kleinen Komplotten, auf Klatsch mit übelster Nachrede und auf kleine Gehässigkeiten mit haltungslosen Szenen geantwortet zu haben. Wenn Josephinens allzu eifrige Verteidiger all das damit zu rechtfertigen versuchen, daß sie, in ihrer Liebe für den Gatten immer tiefer über die immer tückischere Undankbarkeit seiner Geschwister empört, diese habe gelegentlich ihr gerechtes Zürnen fühlen lassen, so muß solcher Deutung eine Tatsache für viele entgegengehalten werden: daß nämlich Josephine die Urheberin jener Behauptung gewesen ist (die hernach kein Pamphletenschreiber der Restaurationszeit zu verbreiten versäumte), der Verleumdung, daß Napoleon der Liebhaber seiner Schwester Pauline gewesen sei. Thiers erzählt (nach einem handschriftlichen Zeugnisse aus der Zeit): Josephine habe sich hinreißen lassen, dem Gatten gegenüber diese Anschuldigung auszusprechen. Daraufhin habe Bonaparte sogleich die Scheidung beschlossen. Und nur Hortensens und Eugènes Entschlossenheit, der Mutter zu folgen, hätten ihn schließlich abermals umgestimmt. – Dieser Bericht findet sich jedoch in keinem der wichtigeren Quellenwerke der Zeit wieder. Welch eine wunderliche Äußerung der Gattenliebe, und wie absurd erfunden dazu: gerade Bonaparte mit seinem bürgerlich engen, strengen Familienbegriff des Inzestes zu bezichtigen! Daß solche Anschuldigung an seinem Namen haftenbleiben könnte und nicht etwa an dem der Pauline Borghese, an deren Ruf auch noch Schlimmeres nichts mehr hätte ändern können, war Josephinen dabei wohl kaum in den Sinn gekommen. Sie hatte nur die blendend schöne junge Schwägerin dabei vor Augen, da sie selber eine welkende Frau geworden war, und dazu Bonapartes blinde Zärtlichkeit für seine Lieblingsschwester, die Liebhaber haben durfte, soviel sie nur wollte, und die Josephinens Empfindlichkeiten nur allzuoft mit schlauester Grausamkeit verletzt hatte.

Daß aber das Leben mit dieser Familie in der Folge doch nicht zu der unaufhörlich brennenden Hölle geworden ist, als welche sie Josephinens gelegentliche Äußerungen darstellen möchten, lag vor allem daran, daß allmählich mit der immer märchenhafteren Erfüllung ihrer Ehrgeizwünsche die Geschwister immer öfter und länger von Frankreich fernblieben.

Am leichtesten war es in den ersten Jahren noch, mit den jüngsten der Geschwister auszukommen, vor allem mit Louis und Jerôme. Zwar waren auch die schon bald von der Familie gegen Josephine beeinflußt worden; aber für eine Zeitlang gab es besonders für den Jüngsten, Jerôme, einen Reiz, der ihn in das Haus seines Bruders Napoleon lockte: Hortense, die hübsch, spielfreudig und in ihrer frühwachen, von Empfindsamkeit umschleierten Sinnlichkeit weit anziehender war, als ihre Mutter es in diesem Alter gewesen, deren echte, rechte Wesenserbin sie zu werden versprach. Nur daß in Hortense in der Erziehung durch die so anderen Lebensumstände der Revolutionszeit die kreolische Sinnenfrühreife der Mutter mit einer pariserischen wachen Selbstsicherheit sich paarte, und daß das Vatererbe an geistigem Dilettantentum in ihr als eine Lust an Versen und Musik aufgegangen war, die in der Folge all ihr Lieben und Liebeln poetisch einkleidete.

Obgleich Jerôme jünger war als Hortense, habe Josephine, so wird berichtet, das Entzücken dieses leicht entzündlichen Jünglings (der im übrigen der bestgeartete unter den Geschwistern war) nicht ohne Wohlgefallen mit angesehen. Wie schlimm auch ihre eigenen Erfahrungen mit ihrer frühen Ehe gewesen sein mochten, dachte sie doch daran, Hortense so bald als möglich zu verheiraten; sei es, daß die so erwachsen wirkende Tochter unliebsam Zeugnis von ihren eigenen Jahren ablegte, sei es, daß sie einfach dem Brauche der Zeit folgen wollte und sich ihr alsbald der Gedanke dazufügte, daß die Verbindung Hortensens mit einem der Brüder Napoleons ihre eigene Position in der Familie stärken würde. Sicher ist, daß sie zäh an der Verwirklichung solchen Planes arbeitete und den doch zu jungen Jerôme darin durch Louis Bonaparte ersetzte. Für diesen hatte Napoleon jene besondere Art von Zärtlichkeit, die man Wesen entgegenbringt, mit denen man es opferreich schwer gehabt hat. Für ihn war Louis der Knabe geblieben, den er in der Unterleutnantszeit bei sich gehabt und dessen kindlicher Hunger stets wieder die paar ersparten Franken aufgezehrt hatte, um die ein lang ersehntes Buch hätte erworben werden sollen. So hatte er Louis mehr an sich gezogen als die anderen Brüder, ihn fast noch als Knaben zu seinem Adjutanten gemacht und ihn in Italien und Ägypten mitgehabt. Diese besondere Zuneigung Bonapartes zu Louis schien Josephinen diesen als Schwiegersohn zu empfehlen, zumal er auch mit Eugène einigermaßen befreundet schien und so ein Bindeglied von den Beauharnais zu den Bonapartes zu werden versprach. Louis, der ebensowenig wie Hortense von dieser Ehe begeistert war, ist hernach weder ein guter Ehemann noch dieses erhoffte Bindeglied geworden. Aber damals war das ebensowenig vorauszusehen gewesen wie etwa sein späteres anmaßendes und tückisches Benehmen gegen den Bruder, der ihn seinen Sohn genannt hatte, und überhaupt sein ganzer engstirniger kleinlicher Lebensgang.

Wie lästig sich aber auch mehr oder minder all die Familienmitglieder als Mitspieler in Josephinens nunmehrigem Stücke gelegentlich erweisen mochten, sie waren wie gesagt zu ihrem Glücke immer weniger da; und solange nicht »das große Familienkomplott« gegen Josephine begonnen hatte, konnte diese mit ihrer sich immer mehr dem Augenblick hingebenden Seinsart diesen Anhang um so öfter und leichter vergessen, als es nun so viel gab, das ihre Augenblicke bunt und mannigfaltig füllte. Seit in jenen aufgeregten Brumairetagen, in deren verschwörerischer Geschäftigkeit sogar sie ahnungslos eine kleine Rolle ausgefüllt hatte, zu ihrer größten Überraschung der General Bonaparte als der Erste Konsul nach Hause gekommen war, war das ganze Leben in einen Bereich gehoben worden, in dem es für Josephine eine Lust zu leben war. Mit einem Male war das, was sie stets so eifrig, ja oft demütigend eifrig gesucht hatte, Geselligkeit, Mähler, Empfänge, dieses ganze elegant verkleidete Nicht-Alleinsein-Müssen, ihr Pflichtenkreis geworden. Und wenn sie von da ab auch häufig mit einem kleinen Seufzer von der Last solcher Pflichten sprechen konnte, so war ihr doch dies Zusammenseinkönnen mit vielen Menschen, mit Menschen von fast allen Arten, weiter ein unausschöpfbares Vergnügen. Und wenn sie später gelegentlich vom Suchen der Einsamkeit sprach, so bedeutete das lediglich eine Verringerung der sie umgebenden Menschen auf ein Maß, das immerhin noch ein rechtes Rudel war. Da Josephine überdies persönlich nicht eben sonderlich wählerisch war, kam ihr das Pflichthafte dieser Geselligkeit noch für lange nur dann zu Bewußtsein, wenn sie plötzlich eine Neigung für ein besonders übel beleumundetes Frauenwesen in sich entdeckte und Bonaparte ihr solchen Umgang verwies, nun immer mehr auf Ehrbarkeit der Frauen bedacht. So sah es denn mit dieser so reich bestellten Geselligkeit um Josephine nun schon recht anders aus als in den Tagen, da die ihr jetzt verbotene Térézia ihre Gefährtin und Barras der Mittelpunkt einer sich groß dünkenden kleinen Welt gewesen, Barras, von dem schon keiner mehr sprach und der machtlos schäumend in sein noch immer wohllebiges Exil gegangen war, wo er die armselige gallige Rache seiner Memoiren vorbereitete.

Im ganzen war also dieser reichbevölkerte Hausstand durchaus von einer Art, die Josephinen wohltat. Und wenn sie um diese Zeit auch als die Favoritin eines großen Paschas bezeichnet worden ist, so ist dazu zu sagen, daß es vorerst keine Nebenfrauen gab und daß der Favoritin dies kleine Hinweisen hier, das Verweisen da, all das Regelngeben und Disponieren des Paschas nicht mißfiel: weil es bequem war, von einem geleitet zu werden, der wußte, was er wollte, und weil sie die Biegsamkeit der Regeln und die Elastizität der Anordnungen schnell erprobt hatte. Und wie unvernünftig sie auch das gelegentliche Toben ihres Herrn fürchten mochte, wußte sie sich doch an ihrem Platze sicher, solange sie sich nicht gegen das unausgesprochen gebliebene Grundgebot der Favoritin verginge. Aber dazu war ihr in dem großen Grauen vor der Verlassenheit wohl die Lust allmählich vergangen, zumal seitdem sie sich dann in diese Liebe zu Bonaparte hineinzusteigern begonnen hatte. Überdies lebte sie ja jetzt auf eine so ausgefüllte und ermüdende Art, – und endlich kam noch etwas dazu: um ihren Körper stand es nicht mehr so wie vordem. Die vielen kleinen Flämmlein zuckten nicht mehr darin; die Lust aus Männerblicken, die Erregung, den eigenen Leib im dünnen Gewande bewundert gehen zu fühlen, waren fort, oder vielleicht nicht fort, nur anderswo, nicht mehr in dem Körper selber, der immer entschiedener nun seine schönen Rundungen zu übertreiben begann und schwerer wurde. Es ging etwas vor in ihr, in diesem geheimen leiblichen Hausstand. Was es sei, wußte Josephine nicht oder wollte es nicht bedenken. Sie würde wieder Bäder gebrauchen, dachte sie gelegentlich – das konnte es doch noch nicht sein! Aber darüber wurde sie tief im Leibe verdrossen und dann wieder sinnlos und ermüdend froh, und unverfolgbarer denn je begannen jetzt, da sie sich glücklich meinte, Launen aus ihr hervorzubrechen, trübe und heftige, und ganz plötzlich überkam sie immer öfter eine Unrast, in der sie alles, was sie sah und hatte, bis zum Leiden verdroß. Dann mußten neue Menschen her, neue Spiele und vor allem ganz neue Dinge, viele, viele Dinge, die alle in dem ersten und einzigen Augenblicke, da sie kamen, aus dieser verworrenen Gierunrast eine winzige prickelnde Lust machten, die mehr wollte, mehr.


 << zurück weiter >>