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Drittes Buch.
Die große Chance

Viele Briefe und eine Antwort

 

Dans les plus grands amours
il y a toujours un de trop.

 

So wenig die nun zu Josephine Bonaparte gewordene Frau, deren Lebenswege bisher erzählt worden sind, die Eheschließung mit diesem kleinen Korsen als einschneidendes Ereignis empfunden haben mag – der Verfasser wie die Mehrzahl seiner Leser haben dieses Wissen vor der damaligen Josephine voraus. Und wenn der Verfasser auch mit etlichen seiner Leser ganz und gar nicht die Meinung teilen mag, daß nun erst die »eigentliche« Geschichte beginne (wie zum Beispiele etwa die eigentliche Geschichte Immanuel Kants erst nach einem halben Jahrhunderte Lebens ihren Anfang nimmt), so fühlt der Ordner dieser biographischen Fakten doch die Erwartung (die er selber einmal in der ersten Beschäftigung mit diesen Fakten verspürt hat): daß jetzt nach dem Auf und Ab von Rhythmen mit dem Eintritte der großen Gestalt das Maëstoso zu beginnen habe, der große Satz, der sich aus dem Thema Napoleon entwickeln muß. Aber eben hier, um im musikalischen Gleichnisse zu bleiben, mußte der Biograph Josephinens sich besinnen lernen, daß sein kleines Orchesterchen seine Musik eines Lebens, nunmehr umbraust von einem gewaltigen Orchester, weiterzuspielen hat und daß der Part Josephine in all dem wirklichen Maëstoso, dem Rubato eines großen Erfinders und Dirigenten, und in der Weltwirkung solcher Musik leicht zur Begleitstimme werden könnte. Damit aber möchte sich der Verfasser, der auf die Partitur Leben in ihrer ganzen Polyphonie hält, durchaus nicht abfinden. So läßt er schnell, mag es auch dünn und schrill klingen, ehe das Napoleon-Thema mit einem langen schicksalsmächtigen Allegro con brio einsetzt, das Stückchen Josephine-Thema so spielen, wie es eben jetzt ist.

Wir wissen, daß der junge Bonaparte sich von ungeheurer Liebe ganz erfüllt auf den schaurig grandiosen Weg gemacht hatte, den die Geschichte den Ersten Italienzug nennt und auf dem er sein plötzlich allen sichtbares Leben mit allem Lächerlichen und Unzulänglichen, das darin mithauste, in den Mythos hineinriß. Dieser junge Mensch, der aus dem designierten Befehlshaber einer Armee von 30 000 halbverhungerten, abgerissenen, barfüßigen Soldaten in einem Monate zu einer von ungeheuerem Ruhm umleuchteten Gestalt geworden war, die diesen Namen Bonaparte bis an den Rand von Europa warf, schrieb vom ersten Tag der Trennung an Brief nach Brief an die Frau, die recht widerwillig zugestimmt hatte, diesen Namen als ihren entgegenzunehmen. Ehe aber diese Briefe, denen diese Kapitel vor allem gehören, ihre Stimme erheben, soll die Empfängerin, die in keiner Liebe und keinem Tun Geborgene, mit wenig Worten vergegenwärtigt werden.

5. Brief Bonapartes

Der Urwald der Heimatinsel, die gärenden Träume der Mädchenzeit, die überreichliche Sehnsuchtsmitgift waren in Josephine aufgebraucht. Einsamkeit und Schwermut, die Spiel und Lust immer wieder in die todumstellte Lebenstiefe hinabholen können, waren an viel unpersönliches Geschehen völlig verausgabt worden. Und ein Überdruß an allem, was nach Tragik oder großer Erschütterung roch, hielt das Überlebende aus alten Wünschen und ahnungsvollem Sein in untersten Lebensverliesen gefangen. Josephine, die das Fühlen durch Weinen, Sentimentalitäten und schnell vergessene Ausbrüche oder durch Rührung über empfindsame Musik zu ersetzen versuchte, war in ihre Zeit hineingewachsen, wo sie am Ewigkeitsfernsten, Genüßlichsten und Geselligsten »Leben, wie es eben ist« zu spielen unternahm. Aus dieser Zeit hatte Bonaparte sie unvermerkt ein wenig fortgedrängt, sie in seine hineingezogen; ihre schnell entflammten Sinne hatten sie nachgiebig gemacht, seine vielen gewalttätigen Umarmungen ihr bißchen Willen betäubt. Nun aber war Bonaparte wieder fort aus dem Hause, das er schnell so sehr erfüllt hatte. Und viele Gäste kamen, brachten ihre Zeit in ihren Reden und Wünschen, ja in ihren Kleidern mit und holten Josephine, bis sie wieder mittrieb von Empfängen zu Bällen und Mählern, ins Theater, ins vielgestaltige Nur-ja-nicht-Alleinsein.

Aber der junge Mensch, den sie geheiratet hatte, weil er vielleicht Karriere machen und sie anständig versorgen würde, war zwar aus dem Hause und ihren Sinnen fortgegangen; aber heftiger, als je Worte zu ihr gekommen waren, begann er nun in Briefen sein langes Fordern nach dem Platze in ihrem Leben, nach ihrem Fühlen und Denken, nach allem, was ein zum ersten Male Liebender, der sich geliebt und begehrt glaubt, nur fordern kann.

Am Tage seiner Abreise noch schrieb Bonaparte den ersten seiner vielen Briefe an Josephine, dieser heftigsten und innigsten Liebesbriefe, die aus einem Menschenalter auf uns gekommen sind und die dadurch völlig einzigartig sind, daß in ihre Werbungen und Zärtlichkeiten, in ihre Sehnsuchtsrufe und ihr liebendes Zürnen sich wie nebenbei der allerknappste Bericht von einem Kriegszuge mischt, der ohnegleichen ist. Daß der erste Brief dieses liebenden Gatten an seine Frau an die Bürgerin Beauharnais, spätere an die Bürgerin Bonaparte bei der Bürgerin Beauharnais adressiert sind, darauf sei ebenso nebenbei hingewiesen wie darauf, daß gleich in den ersten Sätzen von Geld die Rede ist! Dieser erste erhaltengebliebene Brief (der vorhergehende vom ersten Reisetage ist verlorengegangen) lautet:

 

»24. Ventôse, Jahr V. (14. März 1796). Ich habe Dir von Chatillon geschrieben und Dir eine Vollmacht geschickt, damit du verschiedene Summen, die mir zukommen, beheben könnest. Es müssen dies 70 Louis in altem Geld und 15 000 Livres in Assignaten sein.

Jeder Augenblick entfernt mich von Dir, anbetungswürdige Freundin, und jeden Augenblick finde ich weniger Kraft, von Dir entfernt zu sein. Du bist der immerwährende Gegenstand meiner Gedanken; meine Phantasie erschöpft sich mit Suchen, was Du eben tust; wenn ich Dich traurig sehe, zerreißt mir das Herz, und mein Schmerz wächst. Wenn Du fröhlich und übermütig mit Deinen Freundinnen bist, mache ich Dir Vorwürfe, daß Du so bald die nun schon drei Tage dauernde schmerzvolle Trennung vergessen hast; denn dann bist Du leichtfertig und also von keinerlei tiefem Gefühl berührt. Wie Du siehst, bin ich nicht so, daß ich mich leicht begnüge; aber, meine gute Freundin, es ist wieder ganz etwas anderes, wenn ich fürchte, daß Deine Gesundheit angegriffen sei oder daß Du Gründe zu Kummer habest, die ich nicht ahnen kann. Dann bedaure ich die Geschwindigkeit, mit der ich von Deinem Herzen fortgetragen werde. Ich fühle wahrhaft, daß Deine natürliche Güte nicht mehr für mich vorhanden ist, und ich kann nur dann zufrieden sein, wenn ich ganz und gar versichert bin, daß Dir nichts Widriges zustößt. Wenn jemand die Frage an mich richtet, ob ich gut geschlafen habe, fühle ich, bevor ich antworte, daß ich Post brauchte, die mich versichert, daß Du wohl geruht hast. Krankheiten und die Raserei der Menschen betreffen mich nur, wenn ich denke, daß sie Dich treffen könnten, meine gute Freundin. Möge mein Genius, der mich allezeit inmitten der größten Gefahren bewahrt hat, Dich umgeben, Dich schützen, dann biete ich mich schutzlos dar. Oh, sei nicht froh, sondern ein wenig schwermütig, und vor allem möge Deine Seele frei sein von Kummer wie Dein schöner Körper von Krankheit. Du weißt, was unser guter Ossian darüber sagt. Schreib mir, meine zärtliche Freundin, und zwar recht ausführlich, und empfange tausend und einen Kuß der zärtlichsten und wahrsten Liebe.«

Dann Marseille, Wiedersehen mit der Mutter und den Schwestern, und dann an Toulon, der ersten Etappe des Aufstiegs, vorbei nach Nizza, wo Bonaparte mit der berühmten Proklamation das Kommando über die Italienarmee übernimmt. In dem von hier geschriebenen Briefe klingt schon ein anderer Ton auf:

»Ich habe nicht einen Tag verbracht, ohne Dich zu lieben; ich habe nicht eine Nacht verbracht, ohne Dich in meine Arme zu pressen; ich habe keine Tasse Tee genommen, ohne den Ruhm und den Ehrgeiz zu verfluchen, die mich von der Seele meines Lebens entfernt halten. Inmitten der Geschäfte, an der Spitze der Truppen, während ich durch die Gelände eile, habe ich einzig meine anbetungswürdige Josephine in meinem Herzen; sie beschäftigt meinen Geist und erfüllt meine Gedanken. Daß ich mich von Dir mit der Geschwindigkeit der Rhoneströmung entferne, geschieht nur, um Dich geschwinder wiederzusehen. Wenn ich inmitten der Nacht aufstehe, um zu arbeiten, geschieht das nur, weil es um ein paar Tage die Ankunft meiner süßen Freundin näherrücken kann. – Und bei alledem redest Du mich in Deinem Briefe vom 23. und 26. Ventôse mit Sie an! Sie Du selber! O Du Schlechte, wie hast Du diesen Brief schreiben können! Wie ist er kalt! Und dann vom 23. zum 26. sind es vier Tage, was hast Du indessen getan, da Du Deinem Gatten nicht geschrieben hast? ... O meine Freundin, dieses Sie und diese vier Tage lassen mich meine einstige Gleichgültigkeit zurückwünschen. Unheil über den, der daran Schuld trägt! Möge er zur Strafe und Marter empfinden« (Unklarheit im Original), »was Überzeugung und offenkundige Gewißheit mich empfinden ließen. Was sind die Martern der Hölle, was die Schlange der Furien! Sie, Sie! Was wird erst in vierzehn Tagen sein?!!! Meine Seele ist traurig, mein Herz ist ein Sklave, und meine Einbildungkraft erfüllt mich mit Entsetzen ... Du liebst mich weniger, Du wirst Dich schon getröstet haben. Eines Tages wirst Du mich nicht mehr lieben: sag es mir; ich werde zum mindesten das Unglück zu verdienen wissen ... leb wohl, Weib, Qual, Glück, Hoffnung und Seele meines Lebens, die ich liebe, die ich fürchte, die mir zärtliche Gefühle einflößt, welche mich zur Natur rufen und zu stürmischen Regungen, vulkanhaft wie der Donner. Ich verlange von Dir weder ewige Liebe noch Treue, einzig Wahrheit, Offenheit ohne Grenzen. Der Tag, an dem Du mir sagtest: ›Ich liebe dich weniger‹, wird der letzte meiner Liebe oder der letzte meines Lebens sein. Wenn mein Herz niedrig genug wäre, ohne Gegenliebe zu lieben, würde ich es mit meinen Zähnen zermalmen. Josephine! Josephine! Erinnere Dich dessen, was ich mehrere Male gesagt habe: die Natur hat mich mit einer starken und entschlossenen Seele geschaffen. Dich hat sie aus Spitzen und Gaze auferbaut. Hast Du aufgehört, mich zu lieben? Vergib, Seele meines Lebens, meine Seele ist ausgespannt über weites Planen. Mein Herz, das völlig von Dir erfüllt ist, hegt Befürchtungen, die mich unglücklich machen. Ich bin verdrossen, Dich nicht mit Deinem Namen anreden zu können« (nämlich Bonaparte). »Ich erwarte, daß Du ihn mir schreibst. Leb wohl. Oh, wenn Du mich weniger liebst, hast Du mich niemals geliebt. Dann wäre ich sehr zu beklagen.

Bonaparte

P. S. Der Krieg in diesem Jahre ist nicht wiederzuerkennen.

Ich habe Fleisch, Brot und Futter austeilen lassen; meine Kavallerie wird bald aufbrechen; meine Soldaten erzeigen mir ein Vertrauen, das sich nicht ausdrücken läßt: einzig Du machst mir Kummer; einzig Du, Freude und Qual meines Lebens. Einen Kuß Deinen Kindern, von denen Du nicht sprichst. Herrgott, das würde doch Deine Briefe um die Hälfte länger machen. Und Deine Besucher hätten nicht das Vergnügen, Dich schon um zehn Uhr morgens zu sehen ...«

 

Es bedarf der verlorenen Briefe Josephinens nicht, um sich vorzustellen, was sie enthalten haben mögen: wie sie diese ihr schon ein wenig unbegreiflich gewordene Wildheit zu zähmen, diese ihr ungemäße Glut zu dämpfen versucht hat, und wie sie die Phraseologie maßvoller weltläufiger Eheleute dieser unwissend-ahnungsvollen Besessenheit entgegenzuhalten unternommen hat. Ihm plötzlich Sie zu sagen und fürs erste einmal vier Tage nicht zu schreiben, da er auf Kosten des Schlafes zum Schreiben Zeit fand, während er diese elenden Menschenhaufen zu einer Armee umschuf! Bald darauf schon hätte er es noch als Gnade empfunden, wenn Josephine es bei Schreibpausen von vier Tagen hätte bewenden lassen. Indessen er in phantastischer Schnelle zwischen der österreichischen und piemontesischen Armee, an unerwarteten Stellen zuschlagend, durchbrach, beide voneinander abschneidend, seine verhungerten Haufen zu herrlichsten Werkzeugen seinen Willens machend, hatte er Josephine immer wieder seine Liebesrufe, Beschwörungen, seine drohenden Zärtlichkeiten und jünglingsheftigen Liebesängste geschrieben.

Es läge nahe, die Geschichte dieser Liebe Bonapartes zu Josephine nunmehr in Briefen zu erzählen – aber der Briefe sind zu viele, und sie würden in dieser Lebensgeschichte einen weit größeren Raum einnehmen, als ihnen von der Empfängerin aus gesehen zukommt. Sie würden, um zum anfänglichen Gleichnisse dieses Kapitels zurückzukehren, unser Orchesterchen überdröhnen und aus dem Kanon, in dem wir unsere Stimme zu wahren haben, den großen Monolog eines Liebenden mit seiner Liebe machen. So müssen wir entschlossen Josephine den weiteren Briefen und Ausschnitten so voransetzen, wie sie diese ganz und gar behäbigkeitszerstörerischen Sendschreiben aufnahm, diese Meteore, die ihr glühend in das eilfertig träge Amüsement einschlugen. Wir wissen nicht, wie sie es mit den allerersten Briefen hielt, wenngleich ihre in Bonapartes Antworten gespiegelten Äußerungen es ahnen lassen. Sicher ist, daß sie diese Briefe bald als eine Art Aufputz und eine Bestätigung ihres Liebeswertes herumzuzeigen begann, daß sie mit den Blättern, über denen Orte wie Montenotte, Novi, Arcole oder Rivoli standen, dem sehr antibonapartistischen Hunde Fortuné vor der asthmatischen Schnauze herumspielte und daß sie, mit Toilette, Schminken und Coiffuren zu sehr beschäftigt, ankommende Briefe ihrer Kammerfrau zum Öffnen und erstmaligen Lesen übergeben hat. Sprächen nicht allzu viele glaubwürdige Äußerungen für solches Verhalten, so ließe allein schon das Verschwinden allzu vieler Briefe und das abenteuerliche Auftauchen etwelcher (wie der viele Jahre später von Tennant veröffentlichten) auf die sorglose Gleichgültigkeit schließen, mit der diese alsbald zu einer unvermeidlichen Lebensbegleitung gewordenen Botschaften eines allzu heißen Herzens von Josephine aufgenommen worden sind.

Am Vorabende der ersten phantastischen Taten Dem Beispiele von Jung in »Bonaparte et son temps« folgend, soll hier das allzu viele historische Geschehen, das in der Darstellung selber kaum mittelbar Platz finden kann, wo das nötig ist, in vereinfachtester Aufführung von Ereignissen Platz finden: 27. März 1796 Proklamation Bonapartes (der sich eben jetzt in einer Meldung an das Direktorium zum erstenmal ohne das u schrieb). 10. April Beginn der Feindseligkeiten; 12. April Schlacht bei Montenotte; 13. April Schlacht bei Millesimo; 22. April Schlacht bei Mondovi; 25. April Einnahme von Cherasco, darauf folgend der Waffenstillstand, der Piemont als Gegner ausschaltet; 7. Mai Po-Übergang bei Piacenza; 10. Mai Schlacht bei Lodi und Übergang über die Adda; 15. Mai Einzug in Mailand, Siegesfest in Paris, Pariser Vertrag mit Sardinien; 30. Mai Übergang über den Mincio, Einnahme von Peschiera; 3. Juni Eroberung von Verona; 19. Juni Einnahme von Bologna, Ferrara und Reggio; 24. Juni Waffenstillstand von Foligno mit dem Kirchenstaat; 28. Juni Besetzung von Livorno; 29. Juli Schlacht bei Salo; 30. Juli und 1. August Schlacht bei Lonato, 3. August Schlacht bei Castiglione. Hinzugefügt sei nur noch, daß alle diese Schlachten Siege waren. dieses »italischen Alexanderzuges« schrieb Bonaparte an seine Frau: »Ich habe den Brief erhalten, den Du, wie Du sagst, unterbrochen hast, um aufs Land zu gehen. Und danach nimmst Du den Ton der Eifersucht an, mir gegenüber, der ich hier erdrückt bin von Arbeit und Strapazen! O meine gute Freundin, es ist wahr, ich habe unrecht. Im Frühling ist es schöner auf dem Lande, und zweifellos war dort auch der neunzehnjährige Liebhaber. Das ist ein Grund mehr, keinen Augenblick mit Schreiben an den zu verlieren, der dreihundert Meilen weit von Dir nur durch die Erinnerung an Dich lebt, Freude empfindet und vorhanden ist und der Deine Briefe liest wie einer, der nach einer sechs Stunden langen Jagd ein Lieblingsgericht verschlingt. Ich bin nicht zufrieden; Dein letzter Brief ist kühl wie Freundschaft. Ich habe nichts von dem Feuer darin gefunden, das Deine Blicke entzünden und das ich zuweilen darin gefunden zu haben glaubte. Aber wie sonderbar bin ich doch! Ich habe gefunden, daß Deine vorhergehenden Briefe allzusehr auf meiner Seele lasteten; der Aufruhr, den sie hervorriefen, griff meine Ruhe an und erregte meine Sinne. Ich wünschte mir kühlere Briefe, aber nun bringen die mir eisige Todeskälte. Die Furcht, von Josephine nicht geliebt zu werden, die Idee, sie unbeständig zu sehen, sie ... aber ich mache mir selber diese Qualen. Und es gibt deren so viele wirkliche, muß man sich ihrer noch welche schaffen? Du kannst mir nicht eine so grenzenlose Liebe eingeflößt haben, ohne sie zu teilen, und mit Deiner Seele, Deinem Denken und Deiner Vernunft kann man nicht als Erwiderung auf völlige Hingabe und Aufopferung einem den Todesstreich versetzen ... Du sprichst mir von Deinem schlechten Magen: ich hasse ihn. Leb wohl bis morgen, mio dolce amor. Ein Gedenken meiner einzigen Frau und vom Geschicke einen Sieg, das sind meine Wünsche. Ein einzigartiges Gedenken, völlig, würdig dessen, der jeden Augenblick Deiner gedenkt ... Du bekommst Orangen, Parfüms und Orangenblütenwasser von mir ... Einen Kuß, tiefer, tiefer als Dein Busen.«

Der nun folgende Brief, der letzte aus der ersten Phase dieses Feldzuges, in dem in vierzehn Tagen sechs Siege erfochten, mehrere Festungen genommen und der reichste Teil Piemonts erobert worden ist, fügt zu den Liebesworten, dem Spiel selbstquälerischer Eifersucht und der blitzartig auftauchenden Ahnung, daß die Eifersucht begründet sein könne, den Aufklang des neuen Themas: Josephinens Reise nach dem italienischen Kriegsschauplatze. Es ist dies das Thema, das die ganzen nächsten Kapitel des Liebesromans entscheidend füllt, ein elend trauriges Thema, aus einem Stück Schicksalsmelodie, und etwas Zusammengesetztes, das an Gassenhauer mahnt. Aber dieses Thema wird ja nun für eine Weile genügend zu hören sein. Hier ist sein Aufklang: »Meiner süßen Freundin ...

Ich habe Deinen Brief vom 16. und 20. erhalten. Du hast mir eine Menge von Tagen nicht geschrieben. Was machst Du denn? Nein, meine gute, gute Freundin, ich bin keineswegs eifersüchtig, aber zuweilen unruhig. Komm schnell. Ich warne Dich; wenn Du zögerst, findest Du mich krank. Die Strapazen und Dein Fernsein, das ist zuviel auf einmal.

Deine Briefe sind die Freude meiner Tage, und glückliche Tage sind für mich nicht häufig. Junot« (Bonapartes Adjutant) »bringt zweiundzwanzig Fahnen nach Paris. Du sollst mit ihm hierherkommen, verstehst Du? Wenn das irgendwie nicht geschähe« (Auslassung im Original), »daß er nicht käme, nie wieder gutzumachendes Unglück, trostlose Schmerzen, unaufhörliche Pein, wenn ich das Unglück hätte, ihn allein zurückkehren zu sehen. Meine anbetungswürdige Freundin, er wird Dich sehen, in Deinem Tempel atmen. Vielleicht wirst Du ihm sogar die einzigartige und unschätzbare Gunst eines Kusses auf Deine Wange gewähren. Und ich werde allein hier sein, weit, weit fort. Aber Du wirst kommen, nicht wahr? Du wirst hier sein, an meiner Seite, an meinem Herzen, in meinen Armen, an meinem Munde. Nimm Flügel, komm, komm! Aber komm gemach, denn der Weg ist lang, schlecht und mühselig. Wenn Dein Wagen umstürzte oder Dir ein Unheil zustieße, wenn die Ermüdung ... komm gemach, meine anbetungswürdige Freundin, aber sei oftmals in Gedanken mit mir ... Nach den ersten in extenso angeführten Briefen muß sich die Darstellung weiterhin mit der Einfügung bezeichnender Ausschnitte begnügen. Die bisher wiedergegebenen sowie alle weiteren vor dem 6. Juli datierten Briefe sind nach Masson zitiert, spätere nach der zweibändigen von Hortense herausgegebenen Briefsammlung (bei Firmin Didot Frères 1833), deren erster Brief vom 6. Juli stammt. Diese Sammlung, aus der alles, was irgend Schatten auf Josephine werfen könnte, sorgfältig ausgeschaltet ist, ist das Evangelium all der Biographen geworden, die ein Jahrhundert lang bis in unsere Tage, wie noch Edouard Driault, sich bemüht haben, aus Josephine eine geschlechtslose Idealgestalt und aus ihrer Ehe mit Bonaparte ein Vorbild für Backfische zu machen.

Ich weiß nicht, ob Du Geld brauchst, denn Du hast mir niemals von Deinen Gelddingen gesprochen. Wenn es der Fall ist, verlange welches von meinem Bruder, der 200 Louis hat, die mir gehören. Wenn Du jemandem eine Stellung verschaffen willst, schicke ihn mir, ich bringe ihn unter ...«

Im nächsten, nach dem Waffenstillstande mit Piemont geschriebenen Briefe wird der Ruf nach Josephinens Kommen drängender und bestimmter: »(26. April) Murat, der Dir diesen Brief übergeben wird, wird Dir, meine anbetungswürdige Freundin, erklären, was ich getan habe, was ich tun werde und was ich ersehne. Ich habe einen Waffenstillstand mit dem Könige von Sardinien abgeschlossen. Vor drei Tagen habe ich Junot mit meinem Bruder abgesandt, aber sie werden nach Murat ankommen, der jetzt über Turin geht. Ich schrieb Dir durch Junot, mit ihm abzureisen und zu mir zu kommen; heute bitte ich Dich, mit Murat zu reisen und den Weg über Turin zu nehmen. So ersparst Du vierzehn Tage. Es wäre also möglich, daß ich Dich hier vor Ablauf von vierzehn Tagen sehe! Komm! Der Gedanke bringt mich vor Freude außer Fassung; in Mondovi und in Tortona ist Unterkunft für Dich bereit ... Nie noch ist eine Frau hingebungsvoller, feuriger und zärtlicher geliebt worden denn Du. Und keiner war es jemals möglich, unbeschränkter Herrin eines Herzens zu werden und ihm seinen Geschmack und seine Neigungen vorzuschreiben und alle seine Wünsche zu formen ... Kein Brief von Dir. Ich bekomme nur alle vier Tage einen, anstatt daß Du, wenn Du mich liebtest, zweimal täglich schriebest. Aber man muß natürlich mit diesen kleinen Herren Besuchern von zehn Uhr morgens an schwatzen und dann die Klatschereien und die Dummheiten von hundert wichtigmacherischen Modeherrchen bis um ein Uhr nachts anhören. In den Ländern, wo es noch gute Sitten gibt, ist jeder Mensch um zehn Uhr abends zu Hause, aber in diesen Ländern schreibt man auch seinem Gatten, denkt an ihn und lebt für ihn. Leb wohl. Josephine, Du bist für mich ein unerklärliches Ungeheuer ... ich liebe Dich jeden Tag mehr ... Einen Kuß auf Deinen Mund, einen auf Dein Herz, nicht wahr, es ist kein anderer darin als ich? Und dann einen auf Deine Brust ...« Dann folgen Instruktionen, was Josephine an Dienerschaft und was an Gepäck mitführen solle; denn nun rechnet Bonaparte schon sicher mit ihrem baldigen Kommen. In seiner Ungeduld wendet er sich bald darauf an Barras und schließlich sogar an Carnot, und es ist, als ob er damit erreichen wollte, daß eine offiziell angebotene Beihilfe zu den Reisevorbereitungen Josephine zu schnellerem Aufbruche drängen würde.

Denn schon ist es unverkennbar, daß Josephine zögert. Anfangs erspart ihr das Direktorium noch persönliche Ausreden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß sie bei Barras das Verbot ihrer Reise erwirkt habe, oder vielmehr diesen Aufschub ad Kalendas graecas bis nach der Einnahme von Mailand, die dem Direktorium die Sicherheit gäbe, daß der siegreiche Heerführer (um die Sprache der Aufhebung dieses Verbotes zu variieren) nicht am Ende in Josephinens Armen vor lauter Myrten den Lorbeer verschmähe. Josephine zögerte – oder besser: sie war entschlossen, den Aufbruch hinauszuschieben, so lange es irgend möglich wäre. Bonaparte war ihr aus einem Liebhaber immer mehr zu einer Pflicht geworden, die sie nur darum anerkannte, weil sie ihr Tag um Tag schmackhafter gemacht wurde. Denn wie sie seinerzeit sich in dem kurzen Strahlen von Alexandre Beauharnais' flüchtiger Glorie gesonnt hatte, nahm sie jetzt – nicht mehr als eine abseitige geschiedene Frau wie damals, sondern als die junge Gattin des jungen Siegers – ihr größtmögliches Teil an der staunenden Bewunderung entgegen, die mit jeder der einander überstürzenden Siegesnachrichten größer um diesen nun von ihr nicht mehr heimlich gehaltenen Namen Bonaparte wuchs. Die Revolution hatte eine ganze Anzahl ihrer Verteidiger mit schnellem Ruhme gelohnt – aber so zwingend und in solcher Schnelle hatte sich noch kein Führername aufgezwungen wie dieser. Mit einem Male hatte Josephine auf die unerwartetst neue Weise ihre »Position«. Sie war die Frau dieses von Sieg zu Sieg stürmenden Jünglings, den seine Soldaten bereits vergötterten, den sie zu ihrem »petit caporal« ernannt hatten und der von jeder gewaltigen Tat als von einem Anfange sprach. Und daß sie die Geliebte, die vergötterte Frau dieses Bonaparte war, trug Josephine als einen zeitgemäßen Aufputz zu allen ehrenden Empfängen und Siegesfeiern, während welcher sie mit Puderdose und Taschentuch unversehens den letztgekommenen Brief Bonapartes hervorzog, um ihn dem nächstbesten der Freunde, die oft kaum Bekannte waren, zu zeigen. Sie unterhielt sich »himmlisch«. Nie war Paris ihr so bezaubernd, nie alle Menschen so charmant zu ihr gewesen. Ozon großen Erfolgs machte ihre Atemluft leicht und prickelnd; und im Grund war es doch ganz so, als ob es ihre Erfolge gewesen wären. Es war ja erstaunlich genug, daß das alles durch den komischen kleinen Bonaparte geschah – sie nahm es hin, genoß es, dachte nicht weiter darüber nach und wob wahrhaftig auch nicht die kleinste Aureole um den bejubelten Sieger, der sich ja nun wirklich als eine ganz gute Partie zu erweisen schien. Er schickte Geld, zweimal sogar ungebeten. Die Gläubiger ließen sie in Frieden. Die hübschesten Muscadins, die jungen Herren nach der Mode, die sie gar nicht kannte, grüßten sie auf Promenaden oder im Theater tiefer, als es der vorgeschriebenen blasierten Ziererei anstand. Josephine hörte den Namen, den sie selber erst so heimlich gehalten hatte, rund um sich raunen. Bei Gott, Unsinnigeres war gar nicht zu denken, als daß sie jetzt, gerade jetzt hätte Paris verlassen sollen! Glücklicherweise gab es ja noch dieses Reiseverbot für sie, das wohl eine längere Zeit vorhalten mußte. Aber es hielt nicht vor. Schneller, als es selbst noch die wundergläubigsten Bewunderer des neuen Campeador erhofft hatten, hatte dieser Bonaparte seinen Einzug in der Hauptstadt der Lombardei gehalten. Und nun er Mailand als Unterpfand hatte, konnte kein umwegiges Beeinflussen des Direktoriums mehr frommen; Carnot hielt sein Bonaparte gegebenes Versprechen, das für Josephine zugleich Erlaubnis zur Reise und Forderung, sie zu beschleunigen, bedeutete.

Aus mehreren Briefen Bonapartes geht hervor, daß Josephine des öfteren in ihren verlorengegangenen Schreiben verhüllt oder deutlich über einen schwanken Gesundheitszustand geklagt habe. Das erscheint wie eine Vorbereitung dessen, womit sie sich nunmehr der unabweislich gewordenen Reise entzog, die sie in die Arme dieses allzu liebenden Gatten und auf die Schauplätze seiner Taten führen sollte, deren Widerhall in Paris sie doch weit genußreicher und ihr angemessener fand. Als nachher mit den Jahren immer stärker eine sonderliche Mitgift aus der fernen Inseljugend in ihr emporkam, der Aberglauben, in dem die Kinder und ihre tierhaft verängstigten Negerinnen einander bestärkt hatten, hat Josephine vor dem Vorwande, mit dem sie sich für eine Weile von dieser Reise freilog, tief erschrecken müssen. Sie erfand ein Ereignis, das ihr zu dieser Zeit ebenso unerwünscht gewesen wäre, wie sie es später flehentlichst herbeigewünscht hatte; sie schrieb Bonaparte, daß sie schwanger sei – und sie blieb in Paris.


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