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Viertes Buch.
»Die große Position«

 

... Welt-Spiel, das herrische,
Mischt Sein und Schein: –
Das Ewig-Närrische
Mischt uns hinein.

Nietzsche

 

Verwandlung

Es ist lange Zeit ein Übereinkommen zwischen den durchschnittlichen Bücherlesern und deren Lesestoff-Erzeugern gewesen, daß das Erzählen von Menschenschicksalen wesentlich im Schaffen klarer Kausalitäten zwischen Ereignissen und den von ihnen betroffenen Personen bestehe: das oder jenes verständlich gemachte Geschehnis trifft auf den so und so dargestellten Menschen, – und das Ergebnis ist eine sichtbarliche Wandlung an diesem, eine mit dem äußeren Ereignisse korrespondierende Zustandsveränderung des davon Betroffenen. So wird nicht selten durch geschicktes Hantieren mit den Umständen sogar eine völlige Verwandlung eines Menschen glaubhaft gemacht; und damit ist den nicht wenigen, die in solchen handlichen Klitterungen eine Lebensdeutung zu suchen sich gewöhnt haben, leicht der Ausblick auf eine Lebenstatsache verstellt, die vor Augen zu behalten frommen würde. Auf die Tatsache nämlich, daß Verwandlung eines Menschen ein so hohes und seltenes Menschheitsereignis bedeutet, daß man es nur unter Begriffen wie Gnade oder Auserwählung überhaupt zu fassen vermag. Was gemeinhin unter diesem sehr hohen Worte begriffen wird, und worauf vieles unterhaltliche oder auch historisch gewandete Erzählen sich bezieht, ist nicht etwa ein von Grund auf Anderswerden einer schon bestimmt geformten Menschennatur (wie das zum Beispiel von Buddha oder Franziskus von Assisi berichtet wird), sondern vielmehr, wenn man diese sozusagen substantielle Veränderung eine chemische nennen wollte, lediglich eine physikalische Abwandlung, in der das Grundwesen doch weiterwirkt.

Übergangszeiten, in denen keine festgefügten Ordnungen mehr das Zustandekommen solcher Typen befördern, die man als lebenseinheitliche zu betrachten pflegt, liefern Beispiele ohne Zahl für solche sogenannten Verwandlungen, und die Literaturen stehen in ihrer Darstellung nicht nach. Da in der Wirklichkeit wie in den Büchern die an sich labileren und vollends in der Liebe »zum Aufgehen in einem Menschen« neigenden Frauen unter all den sich aufdrängenden Beispielen überwiegen werden, sei hier als ein primitivstes Exempel eine Frau angeführt: etwa eine, die erst ein auffallend frommes Bürgermädchen gewesen und dann eine Prostituierte geworden ist. Wird einem nun vom Leben oder einem Autor solch ein Wesen erst als ein Marienkind in einer Prozession und dann halbnackt und betrunken bei einer Orgie gezeigt und zwischen die beiden Bilder nur etwa der kleine Erzählertrick von einer zerstörerischen Liebe eingeführt, so mag man wohl versucht sein, das Wort Verwandlung hinzunehmen. Ist aber etwa zum ersten Bilde das Wissen gegeben, daß in dieser Frömmigkeit ein haltloses Auf und Ab von Selbsterniedrigungssucht und Sichzurschaustellen, von dumpfem Sichberauschen an Demut und zugleich Sicheinschmeicheln bei der Umwelt am Werke sind und daß ebendieselben Eigenschaften in einer Allotropie in der Dirne wirken (als Rauschsucht, Reuelust und dergleichen), so braucht von Verwandlung nicht mehr die Rede zu sein. Ohne zu verschwinden, sind etliche Farben und Linien an einem Menschenbilde verblaßt und andere betonter hervorgetreten; aber in der Dirne ist die eitle Bigotte noch weiter da, und ihre nunmehrige Lebenssprache ließe sich mit einiger Mühe in den alten Text rückübersetzen. Es sind, kurz gesagt (von den »Umständen« ausgewählt oder unterstützt), Kräfte des Willens oder öfter noch der Unlust an einem Teil des eigenen Wesens am Werke, die aus der Vielfalt einander widersprechender Triebe und Eigenschaften eine Gruppe herausheben und daraus einen »Charakter« machen; scheinbar geschieht das, indem das nicht mehr ins neue Bild Passende einfach dazusein aufhört. Das heißt, daß das Vergessen begonnen hat – auch bei den Autoren, die von solchen Verwandlungen Kunde geben.

Soweit man in dem Haufen von über Josephine Gedrucktem überhaupt von Biographien reden kann, dienen sie, wie schon angemerkt wurde, vorwiegend den Zwecken eines Beauharnaisschen Ahnenkults oder sind auf hübschen und soliden Fälschungen aufgebaute romanähnliche Gebilde – wenn sie nicht gar der nicht weiter erwähnenswerten Art der »Enthüllungen« von Tatsachen angehören, die so wenig wirklich überliefert sind wie etwa, ob und wo Josephine Muttermale gehabt habe. Diejenigen aber unter den zusammenfassenden Lebensberichten, die Josephinen überhaupt ein Vorleben von nicht ganz einwandfreier Art zugestehen, machen voll Genugtuung dieses Zugeständnis wieder wett, indem sie übereinstimmend von Josephinens Verwandlung seit der Versöhnung nach der Rückkehr Bonapartes aus Ägypten sprechen. Der einzige und wesentlichste Historiker, der das nicht tut, ist Frédéric Masson. Aber wieviel der Verfasser diesem durch Jahrzehnte unermüdlichen Detektiv der Napoleonischen Geschichte und beutereichen Materialjäger für diese Darstellung auch verdanken möge, kann er Massons weit über tausend Seiten umfassendes Werk über Josephine doch nur eher als eine gescheite und verdienstvolle Materialsammlung denn als eine wirkliche, einen Menschen gestaltende Biographie ansehen.

Wie wunderlich aber auch der Einfall erscheinen mag, einem rechten frauenzimmerlichen Wesen wie Josephinen eine so gewaltige Umgestaltung des ganzen inneren Lebens zuzumuten, es gibt dafür, von weither gesehen, doch etwas wie eine Erklärung; nicht etwa dafür, daß das nunmehrige Fehlen von Liebhabern als eine Wesensveränderung gedeutet wird, sondern vielmehr dafür, daß eben hier und jetzt Josephine allmählich aus einer sentimentalen in eine edle und großartige Gestalt umgedichtet wird. In diesem Zeitpunkt ihres Lebens begannen nämlich die freilich erst Jahre später vollerblühenden Triebe einer wirklichen Verwandlung zu sprießen, die allerdings sich nicht in Josephinens Natur vollzog, sondern an ihrem Bilde in der Umwelt, an den Meinungen und Berichten von ihr, an den Deutungen ihrer Handlungen, kurz an der historischen Figur, die Josephine als die Gattin Bonapartes zu werden angefangen hatte – und über die sie in diesem Prozesse dann auch gleich beträchtlich hinauswuchs. Das heißt anders gesagt: während sie es noch maßlos und hübsch und närrisch auf eine Weise weitertrieb, in der wahrhaftig noch genug von der alten Josephine sichtbar blieb, begannen sich in den geheimnisvollen Wunderspiegeln der Volksphantasie Umrisse zu sammeln und mit alledem zu füllen, was aus Als-Ob und aus Wunsch und Hoffnung, daß es mit ihr so sein möge, endlich eine Legendenfigur macht. Es entsteht also um diese Zeit die den heutigen Franzosen noch vertraute charmante Josephine, die mit der dereinst ein lebendiges Frauenwesen gewesenen gerade nur eine kleine Reihe von Daten und Tatsachen gemein hat und die im übrigen eine Art Idol aus all den Eigenschaften geworden ist, die Französinnen an sich selber bewundern, – und Französinnen bewundern nicht nur recht Vieles und recht Widerspruchsvolles an sich selber, sondern sie verstehen sich auch von alther darauf, daraus auf dem Umwege über die Männer Normen zu machen. Nimmt man dazu, daß die Märchen sich ja auch nicht mit unnötigen Vorgeschichten belasten und daß Josephinens Brauchbarkeit für die Legendenbildung ja vor allem in der Märchenhaftigkeit ihres nun anhebenden Aufstieges gegeben war, so wird man in den sich jetzt vorbereitenden ungeheuren Veränderungen von Josephinens Lebensumständen ein weiteres Element finden können, das die biographischen Verwandlungskünstler für sich anzuführen haben. Aber selbst darin hat ihnen Josephine mit ihrer Wirklichkeit die Umdichtung nicht leicht gemacht: denn kaum eine andere unter den sehr hoch emporgestiegenen Frauen hat sich von der neuen Größe so wenig verändern lassen wie Josephine.

So wenig es hier auch um irgendeine Art des Widerlegens von fest eingewurzelten Meinungen geht, mußte dem Ausklang dieser Lebensgeschichte doch der kleine Exkurs über Verwandlung und insonderheit Josephinens sogenannte Verwandlung vorausgeschickt werden, zumal nun mehr und mehr ein Zusammenfassen und Auf-ein-paar-Nenner-Bringen zur Notwendigkeit wird. Wie? werden sich nun die Leser fragen, die wissen, wann Josephine gestorben ist: wie ist das möglich, daß fast noch ein Drittel dieses Lebens, angefüllt mit dem Eigentlichen, auf solch einen kurzen Raum zusammengedrängt wird? Ist nicht all das bisher Erzählte doch nur Vorgeschichte des wunderhaften Aufstiegs gewesen, der nun beginnt? Ist das nun Willkür des Biographen, oder setzt er am Ende vom Leser voraus, daß dieser über die noch folgenden anderthalb Jahrzehnte, die in umfangreichen Büchern als die Zeit von Josephinens Größe und Tragik dargestellt werden, selber genügend unterrichtet sei? Nun, für den Biographen beginnt hier eben nicht das Eigentliche: dieses scheint ihm vielmehr in der Versöhnungsnacht, die Josephinens Unterwerfung genannt worden ist, zu Ende zu sein; zu Ende Aufruhr, Sichbewahren von Liebesabhängigkeiten, zu Ende die leichtfertige Gewißheit, daß immer noch neues köstliches Geschehen kommen müsse, zu Ende endlich ganz und gar alles eigene schicksalbringende Abenteuer. Daß es so ist, sollen die noch folgenden wenigen Kapitel zeigen. Und auch, daß die Kürze dieses Abschlusses weder in der Willkür ihres Verfassers bedingt sind, noch daß er von seinen Lesern anderes Wissen erwartet als ein allgemeinstes über die welthistorische Epoche, die die Napoleonische heißt. Denn von ihr wird nun nur noch im engsten Zusammenhang mit Josephine die Rede sein. Wie wenig das auch sein mag, ist es doch immer noch um ein Beträchtliches mehr denn Josephinens wirklicher Zusammenhang mit all der großen Geschichte, der genau betrachtet einzig darin zu finden ist, daß sie mitten in ihr steht, ohne selbst auch nur wie Helena, von der ja in den Kämpfen um Ilion kaum mehr die Rede ist, diesen durch Liebesschuld verbunden zu sein. Und vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Bürgerwelt den zärtlich-törichten Mythos von ihr im Wachstum hütete und weiter hegt: daß Josephine an der Seite des ungeuerlichst Wollenden, und von lauter Heftigen, Ehrgeizigen und immer Agierenden umgeben, einfach da war und nichts wollte, als daß man sie lasse, wohin sie ohne ihr Dazutun gelangt war, und sie da die vielfältigen kleinen Spiele weiterspielen lasse, die ihr die abendwärts hastende Zeit noch recht amüsant machen sollten.


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