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Der Aufbruch

Aus den Klosterjahren hatte Josephine keine Freundin behalten. Die Schwestern, obwohl im Alter ihr nahe, waren noch Kinder. Von einer Tätigkeit im Haus wird nichts berichtet. Josephine war viel allein. Und da verging ihre Unsicherheit und Befangenheit allmählich wieder. Marion und die anderen Negerinnen erzählten ihr, daß sie schön sei – und sie wollte es so gerne glauben. Sie stand oft vor den wenigen und zu kleinen Spiegeln des Hauses. Der Bach, der umbuscht durch die Besitzung floß, mußte zum Spiegel dienen. Sie liebte das Baden, sie liebte ihre Nacktheit, und sie genoß es, sich von den Negerinnen anstarren und bewundern zu lassen. War sie nicht am Bach oder am Meeresstrand, so lag sie in einer Hängematte oder im Hause auf einem Diwan im abgedunkelten Zimmer, träumend, sich die Erfüllung irgendwelcher Wünsche ausmalend, Kleider und Schmuck spielten darin eine beträchtliche Rolle. Sie besaß an beiden weniger als fast alle unter ihren Klostergefährtinnen. Ein paar im Haus gemachte Musselinkleidchen, etliche seidene Kopftücher, eine Schnur negerhafter Glasperlen, das war alles. Sonst mußten Blumen zum Schmucke dienen, eine Kette aus bunten Beeren. Bald wuchs ihre Sehnsucht, sich schmücken zu können, aufs heftigste: sie hatte einen Bewunderer gefunden. Tercier, ein junger, kürzlich erst aus Frankreich gekommener Offizier, hatte sie auf seinen Spazierritten bemerkt und sich ihr genähert. Josephine war im Alter Julias, aber ein Kind eines heißeren Himmelsstriches und ihrer körperlichen Unfertigkeit zum Trotz schon voll Liebesbereitschaft und Neugier zugleich. Dazu hatte sie alle Freizügigkeit; und ein paar Schritte vom Strande und den wenigen Pfaden begann schon die volle Verborgenheit. Tercier versichert in seinen Lebenserinnerungen, daß die Gefährtin dieses kurzen Urwaldidylls die große Liebe seines Lebens gewesen sei. Aber das war lange, lange später, und indessen mochte der erstaunliche Lebensweg ebendieses Mädchens seine Phantasie bewogen haben, mit dem Gedächtnisse zu feilschen. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß er aus Furcht, zu einer recht unvorteilhaften Heirat gezwungen werden zu können, sich unter irgendwelchen Vorwänden von Josephine zurückgezogen hat, ohne, wie man damals sagte, Ehre und Tugend des Mädchens vollends gefährdet zu haben. Josephine wurde keine Zeit gelassen, sich langer Klage und Schwermut um die jäh zerstörten Freuden und Hoffnungen hinzugeben. Denn aus dem gelobten Lande, aus dem Tercier ein Bote gewesen zu sein schien, aus Frankreich, aus Paris, kam eine Nachricht, die auf die wunderhafteste Weise alsbald sie selber betraf. Die Senderin dieser Nachricht, ohne die vermutlich der Name Tascher und die Erinnerung an dieses Mädchen längst im Dunkel verschollen wären, war jene in Frankreich lebende Tante. Von ihr und ihren Lebensumständen ist nun ein weniges zu berichten, was zugleich auch die Gelegenheit gibt, auf jenen Gönner der Familie Tascher genauer hinzuweisen.

Es ist bereits erwähnt worden, daß Josephinens Vatersvater auf eine nicht näher bekannte Art sich das Interesse des neuernannten Gouverneurs zu sichern gewußt habe. Dieser beinahe unumschränkte militärische und zivile Machthaber hieß François de Beauharnais. Er war unter Umständen ernannt worden, die seine Stellung doppelt verantwortungsvoll machten: auf die Nachricht hin, daß England – übrigens ohne Kriegserklärung – mit einem gewaltigen Flottenaufgebote sich der Inseln zu bemächtigen anschicke. Warum gerade der wenig über vierzig Jahre alte Beauharnais ausersehen worden war, ist kaum zu erraten. Weder hatte er sich in seiner Laufbahn als Marineoffizier jemals hervorgetan, noch gehörte er einer der Familien an, denen ihr Name schon einen Anspruch auf jedes höhere Amt gab. Ja es ist anzunehmen, daß die Familie, aus der der neue Generalleutnant und Gouverneur stammte, nur nach irgendeinem Gewohnheitsrechte als adelig galt, ohne es wirklich zu sein; denn als zwei Jahrzehnte später der Sohn dieses derweil zum Marquis gemachten Beauharnais es versuchte, von einem Vorrechte des Hochadels, der Zulassung in den Wagen des Königs, Gebrauch zu machen, wurde er mehrmals als nicht berechtigt zurückgewiesen. Dennoch muß François Beauharnais, der durch seine Heirat sehr reich war und dem ein gefälliges Äußeres, die liebenswürdigsten Manieren und Geist in der Konversation nachgerühmt wurden, es verstanden haben, sich bei Hof Freunde und eine Stellung in der Gesellschaft zu schaffen. So wurde dieser liebenswürdige Offizier, von dem es sogar hieß, daß er »du talent« habe, im Augenblicke, da der wertvollste Kolonialbesitz Frankreichs bedroht war, zu dessen Verteidiger erkoren, und er begab sich »ohne Eile« nach den Inseln.

Die Begegnung mit diesem Manne war für den altgewordenen Gaspard-Joseph Tascher nach dreißig Jahren Lebens auf der Insel der erste wahre Glücksfall. Beauharnais sollte für die Söhne mit ihren hoffnungslosen Offizierspatenten etwas tun, und er mußte vor allem den heranwachsenden Töchtern zu einer Versorgung helfen. Mit der ältesten, Marie-Désirée, die hübsch, lebhaft und ehrgeizig war, ging alles aufs herrlichste. Beauharnais und seine Frau nahmen das Mädchen ins Haus und versprachen, für eine gute Verheiratung zu sorgen. Der Gouverneur war mit einer außerordentlich reichen entfernten Verwandten verheiratet, von der nicht viel mehr auszusagen ist, als daß diese Ehe ihr wenig Freude gebracht und die Freudlosigkeit sie anscheinend noch farbloser gemacht hat. Sie mochte erwartet haben, daß die pflichtenreiche Stellung ihres Gatten ihn viel von der Gouverneursresidenz fernhalten werde, und war es zufrieden, das Taschersche Mädchen zur Gesellschaft zu haben, ja sie schloß sich mehr und mehr an dieses an. Aber der Gouverneur war unerwartet wenig abwesend, war bald mehr und mehr von dem jungen Wesen entzückt – und es scheint, daß er nicht allzu viele Zeit mit Werben zu verlieren brauchte. Und während Ausschau nach der guten Verheiratung gehalten wurde, hatte das Mädchen unter den Augen der ahnungslosen Frau schon sein erstes Stück Ehe mit dem verliebten und liebeserfahrenen Manne, zu dem ihre jungen Sinne und ihre ehrgeizige Klugheit sie auf gleiche Weise hinzogen. Aus diesem vermeintlichen Abenteuer wurde für Beauharnais bald eine jener leidenschaftlichen und zähen Neigungen, wie sie nicht selten Männer im Nachmittage ihres Lebens überkommt, wenn nach vielem Spiel mit der Liebe das leergebliebene Herz endlich nach Bestand, nach der »Ewigkeit der Lust« verlangt.

Schweren Herzens schickte der Gouverneur sich darein, die Geliebte zu verheiraten, ehe unvermeidliche üble Nachrede es unmöglich machen würde. Ein junger Offizier aus guter alter Militärfamilie, überdies ziemlich wohlhabend, Renaudin, war ausersehen worden, verliebte sich auch wirklich in das hübsche Mädchen, und Beauharnais gelang es, den Widerstand der Verwandten gegen die Verbindung zu besiegen. Ehe noch die Heirat zustande kam, hatte das Mädchen von dem in der Melancholie einer mindestens vorläufigen Trennung besonders nachgiebigen Gouverneur für die Taschers alle Vergünstigungen erreicht, die er irgend vergeben konnte.

Beauharnais war so ausgefüllt von seiner Verliebtheit und dann von den Bemühungen um die Versorgung seiner Freundin, daß er darüber wenig Zeit fand, sich um die Verteidigung der bedrohten Inseln zu bekümmern. Guadeloupe, das Hauptziel des englischen Angriffes, verlangte immer wieder Truppen und Schiffe. Aber Beauharnais zögerte, zögerte. Als er sich nach unendlichen Wochen endlich zum Aufbruch entschloß (nachdem die Heirat der Freundin mit Renaudin vollzogen war), war es bereits zu spät. Die Entsatzarmee konnte nur feststellen, daß Guadeloupe bereits verloren sei, und Beauharnais nahm den Verlust der Kolonie zur Kenntnis und kehrte eilends nach Martinique zurück. Die Schuld an der Niederlage schrieb er den Verteidigern zu (die ihn doch vergeblich um Entsatz angefleht hatten). Daß er daraufhin etliche Offiziere von Verdienst und, was schwerer wog, mit guten Namen kriegsgerichtlich aburteilen ließ, focht ihn weniger an, als was bei dem jungen Ehepaare Renaudin vorging. Denn ganz plötzlich war es mit der Gefügigkeit wie mit der Verliebtheit des neuen Ehemannes zu einem Ende gekommen: er tobte, mißhandelte die Frau und schrie aller Welt zu, daß – nun daß es um der hübschen Désirée Unschuld eben stünde, wie es stand.

Frankreich war zwar weit, aber schließlich erfuhr man denn doch, daß eine Kolonie verlorengegangen war. Und wie gut auch Beauharnais' Verbindungen sein mochten, auch die kriegsgerichtlich abgeurteilten Offiziere hatten ihren Anhang. Und da sie unwiderlegliche Tatsachen vorzubringen hatten, wurde Beauharnais schließlich doch seiner Stellung enthoben und zur Verantwortung nach Paris zurückgerufen. Indessen hatte der kurze Renaudinsche Ehestand schon ein jähes Ende gefunden: Renaudin war nach Frankreich gegangen. Als es feststand, daß Beauharnais seine Rolle als Gouverneur ausgespielt hatte, entschloß sich Désirée Renaudin, die nun wieder in das Haus ihres Gönners zurückgekehrt war, gleichfalls nach Frankreich zu gehen. Den Vorwand bot der Prozeß, den sie gegen den brutalen Gatten anzustrengen gedachte. Im übrigen hatte sie nun ihre Sache völlig auf Beauharnais gestellt, und sie fürchtete so wenig wie er selber die Verantwortung dafür, daß diese Liebe zu ihr Frankreich eine schöne, reiche Kolonie gekostet hatte. Um den Schein zu wahren, beschloß sie, vor dem abgesetzten Gouverneur die Reise zu unternehmen. Aber es gab noch für sie zu tun. Madame de Beauharnais, die bereits einen Sohn hatte, der in Frankreich geblieben war, sah ihrer Niederkunft entgegen – und die Patin des zu erwartenden Kindes sollte Désirée Renaudin sein. Nachdem sie den Neugebornen, der Alexandre genannt wurde, über das Taufbecken gehalten hatte, beredete sie die Beauharnais, ihn nicht den Fährnissen einer langen und unsicheren Seefahrt anzuvertrauen, sondern ihn in der Obhut der Familie Tascher auf der Insel zurückzulassen. Erst als ihr dies zugesichert worden und sie sicher glaubte, daß die Beauharnais ihr bald nachfolgen würden, verließ sie Martinique. Sie sah die Insel nicht wieder, aber sie hielt über alles Erwarten der Ihren hinaus ihr Versprechen, der Zurückbleibenden zu gedenken. Erst viele Monate später machte sich auch die Familie Beauharnais auf den Weg. Vorher hatte der abgesetzte Gouverneur noch, wie schon erzählt worden ist, den Werber für Madame Renaudins ältesten Bruder gemacht und ihn eifrig seinem Nachfolger empfohlen. Der kleine Alexandre blieb für ein paar Jahre auf Martinique, brachte den Taschers ein Jahrgeld ein und wurde der Gespiele Josephinens und ihrer Schwestern, welchen Umstands er jedoch später kaum und sicher ohne Rührung gedacht hat.

Beauharnais hatte klüglich genugsam Zeit bis zur Rückkehr verstreichen lassen und derweil all seine Verbindungen für sich wirken lassen. Als es dann endlich zu der Verantwortung kam, lief alles noch glimpflicher ab, als er erwartet hatte. Und in der Folge schien das Ganze völlig vergeben und vergessen zu sein. Beauharnais wurde mit Ehren überhäuft, erhielt den Titel eines Flottenchefs, eine üppige Pension und schließlich noch eine ersehntere Standeserhöhung: das Marquisat.

Nach einer Fülle von maßlosen gegenseitigen Gehässigkeiten wurde Madame Renaudin schließlich von ihrem Gatten geschieden, ja es wurde ihr vom Gerichte nicht nur ein Unterhaltsbeitrag, sondern sogar ein Kapital zugesprochen, das ihr nach Renaudins Tod zufallen sollte. Bei diesen Versprechungen hatte es hernach freilich auch sein Bewenden. Aber Beauharnais war ja da. Nach der Scheidung hatte Désirée Renaudin sich, wie es der Brauch war, für eine Zeit in ein Kloster zurückgezogen. Als sie es verließ, übersiedelte sie »zu ihren alten Freunden Beauharnais«, ohne es sich zu Herzen zu nehmen, daß die Marquise es von da ab vorzog, bei Verwandten auf dem Lande zu leben. Madame Renaudin war entschlossen, hier ihren Platz zu behaupten. Das wurde ihr nicht schwer gemacht. Das Altern verengert den Kreis der Hoffnungen und Wünsche eines Lebens und steigert den Wert dessen, was sicheres Bleiben verheißt. So räumte Beauharnais der um so vieles jüngeren Frau immer mehr Macht in seinem Dasein ein. Mochte die zweideutige Situation seines Hausstandes ihm auch den Umgang mit den meisten Leuten aus der Gesellschaft erschweren und schließlich unmöglich machen: sein Ehrgeiz war gesättigt, für seine geselligen Bedürfnisse sorgte die Freundin mit ein paar Vertrauten – und so ging, von Désirées hübschen Händen geleitet, sein Leben einen freundlichen Gang. Der älteste Sohn war gut erzogen, heiratete früh und machte dem Vater nicht viel Kopfzerbrechen. Und seitdem der jüngere aus Martinique zurück war, ließ Madame Renaudin es sich angelegen sein, Einfluß auf ihn zu gewinnen; sie verstand es, seiner zeitig erwachten Eitelkeit zu schmeicheln, und als das abseitige trübe Leben der Mutter früh erloschen war, war »die liebe Patin« ihm alles, was eine Mutter einem Sohne hätte sein können, der, wie es sich ziemte, den größten Teil seiner Ausbildungsjahre fern vom Hause verbrachte.

Madame Renaudin hatte sich also ihren sicheren Platz in der Welt geschaffen und dafür auch das Ihre eingesetzt. Aber Beauharnais wurde alt, und mit seiner Gesundheit stand es nicht zum besten. Und die Freundin dachte an die Zukunft. Nicht daß sie sich hätte allzugroße Sorgen machen müssen, wovon sie nachher leben würde: der Marquis war freigebig und nach Kräften auf ihre Sicherung bedacht. Aber alles Einkommen würde dann völlig auf die Söhne übergehen. Dazu kam noch anderes: mochte sie auch jetzt keine Stellung vor der Welt haben, so hielt ihr Beauharnais' Zuneigung doch Feindliches fern und sie hatte ihr Stück Geborgenheit neben ihm. Hernach aber? Sie war keineswegs gesonnen, diesen Beauharnaisschen Lebenskreis, der ja ganz der ihre geworden war, je wieder zu verlassen. Die Neigung ihres Patenkindes bot jedoch wahrhaftig wenig Bürgschaft – heiratete Alexandre erst einmal, dann war sie für ihn wohl schnell ein Stück überlebter Vergangenheit geworden. Und da reifte langsam mit Alexandres Heranwachsen der Entschluß in ihr, dieser Gefahr durch eine Brautwahl nach ihrem Sinne zuvorzukommen. Man heiratete früh in dieser Zeit, wenn man von Stand war. Alexandre war im achtzehnten Jahr: es galt, daran zu denken.

Madame Renaudins Bruder in Martinique hatte drei Mädchen, deren eine Alexandres Frau werden sollte. Der Marquis, dem ein Frauenwesen aus dieser Familie Tascher so viele gute Jahre gegeben hatte, war schnell bewogen, diesem Plane zuzustimmen. Und von der Tascherschen Seite war doch wohl kaum ein Widerstand zu erwarten. Es wurde die mittlere Tochter ausersehen, die um vierzehn Jahre alt sein mochte und so für Alexandre dem Alter nach am entsprechendsten war. Und der Brief nach Martinique wurde geschrieben. Tascher sollte das Mädchen nach Frankreich bringen, man würde hier für ein letztes Stückchen angemessener Erziehung sorgen, und für die Aussteuer würde die Tante Renaudin aufkommen. Als aber dieser Brief in Martinique ankam, war das kleine Mädchen, für das solcherart ein Schicksal gemacht werden sollte, schon aus allem Erdenschicksale fortgenommen. Catherine-Désirée Tascher war in ihrem vierzehnten Lebensjahre nach einer kurzen Fieberkrankheit gestorben.

Aber die beiden anderen Mädchen blieben; und für eines von ihnen mußte sich doch dies Stück Weltglanzes haschen lassen. Denn in Haus und Pflanzung von Trois-Ilets stand es kaum besser als vordem. Der Hausherr selber, obwohl er kaum die Vierzig überschritten hatte, hatte ein Leben geführt, das zusammen mit der Beanspruchung durch das Klima ihn früh gealtert und bresthaft gemacht hatte. Er war beinahe häuslich geworden. Port-Royal und Sainte-Lucie hatten ihre Hauptlockungen verloren, und wenn er über die Alltagsnöte hinausdachte, verlangte er nur noch nach einem tüchtigen Arzt und nach den ihm seiner Meinung nach vorenthalten gebliebenen Belohnungen für seine Kriegstaten, die ihm mit jedem Jahr bedeutender erscheinen wollten. Nun schrieb er seiner Schwester und dem hochmögenden Gönner, daß der Tod die Tochter, auf die so ehrenvolle Wahl gefallen war, derweil hinweggerafft habe, daß er aber noch zwei andere Töchter hätte: zwar sei die eine erst im zwölften Jahre, aber das gebe Zeit zu würdiger Vorbereitung, die andere (die allerdings mit ihren fünfzehn Jahren schon als zu alt empfunden wurde) habe eine recht schöne Haut, hübsche Arme und wünsche nichts mehr, als nach Paris zu kommen.

In dem Werbebriefe war einiges Schmeichelhafte über das Äußere des im übrigen nicht weiter befragten Alexandre und die Tatsache angeführt gewesen, daß er vierzigtausend Livres Rente habe, die sich noch erhöhen würde. Von ihm war dann auch in dem Antwortbriefe auf das Schreiben Taschers nicht viel die Rede. Es hieß einfach, daß eine Taschersche Tochter gewünscht werde und daß man wohl auch mit der zu alten Yeyette vorliebnehmen würde, wenn hinsichtlich der jüngeren sich Schwierigkeiten ergäben. Die ergaben sich in der Tat durch den Widerstand der Mutter. Und so war Josephine, welche die langen Zeiträume zwischen den Briefen kaum überstehen zu können glaubte, die Verlobte eines jungen Offiziers in Frankreich, von dem sie neben ein paar verschwommenen Erinnerungen erster Kindheit nicht mehr wußte, als daß er in einem eleganten Regimente diente, für hübsch galt und sich Vicomte nannte. Und in der Zeit, die noch bis zu ihrer Abreise verging, waren alle Gerüchte von großer Welt, Hofleben und herrlichen Kleidern ihr Nahrung ihrer Träume, die eine maßlose Liebeserwartung ungeduldig durchfieberte. Derweil hatte Tascher seiner Schwester schließlich noch einzuwenden, daß es am Reisegeld mangle. Nach Beschwichtigung auch dieses Bedenkens, langwierigen Reisevorbereitungen und der nicht leichten Überlegung hinsichtlich des zu wählenden Schiffes war endlich beschlossen, daß das Mädchen vom Vater nach Frankreich gebracht werden sollte. Derweil war Josephine sechzehn Jahre geworden. Es ist nicht bekannt, daß sie die Welt der Insel schwerer verlassen habe denn ihre Tante ehedem. Freilich fing unterwegs das Heimweh an, als in der monatelangen Seefahrt der Himmel herbstlich grau, die Luft kalt und böse wurde, der kränkliche Vater mürrisch und von Schmerzen geplagt in seiner Koje blieb und sie kaum Hüllen genug hatte, den fröstelnden Körper zu erwärmen. Die vorausgesandten Briefe waren verspätet angelangt. Und so erwartete niemand den ernsthaft kranken Mann und das verängstigte Mädchen, als sie an einem nebligen naßkalten Spätherbsttage des Jahres 1779 in Brest ans Land gingen. In diesem selben Jahre betrat ein zehnjähriger Junge aus Korsika zum ersten Male das französische Festland, das er als Feindesland empfand: er hieß Napoleon Buonaparte.


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