Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ende und Anfang

In einem Wesen, das so sehr nach Wohlsein und Genuß verlangt, können schmerzliche Erinnerungen nicht zu eigentlichen Erfahrungen werden, denn die kleinen Freuden, die es trotz allem immer gibt, hindern, daß das Gelebte Macht behalte und das Künftige verdunkle. Josephine überließ sich, als Schmerz und Empörung über Alexandres Fortgehen abebbten, nicht vielem Nachdenken und Grübeln. Gab es eben die große Freude nicht, so sollte es doch freundliche Ruhe geben, in der allerlei Hoffnung gedeihen konnte. Die Schwangerschaft ließ sich diesmal weit besser ertragen. Josephine machte bis in die letzten Tage ihre Spaziergänge, sah begehrlich Ladenfenster an, und es wird erzählt, daß sie sich über die Unmöglichkeit, auch nur einiges von den vielen lockenden Dingen zu kaufen, damit tröstete, daß sie stets in ihrem Beutel die paar Schmucksachen mit sich herumtrug, die ihr ganzer Schatz waren, und oft eine Brosche oder Kette in der Hand hielt. Daß von Alexandre lange Zeit keine Nachricht kam, war nicht weiter verwunderlich; Briefe von den Inseln brauchten um die zwei Monate, und zudem war Krieg. Sie war nicht besorgt. In dem neuen Hause ließ sich's auch besser leben; die Straße war breiter, und die Zimmer hatten mehr Licht, nun es gegen Frühling ging. Am zehnten April kam das Kind. Es war ein Mädchen und wurde Eugénie-Hortense getauft. Josephine war in ihrem zwanzigsten Jahre. Sie erholte sich sehr schnell, und etwas von dieser neuerwachten frühlinglichen Lebensfreude war in ihrem Briefe, in dem sie Alexandre die Geburt der Tochter meldete.

Sie hätte jetzt gerne und viel Gesellschaft gewünscht, jüngere Menschen, mit denen man lachen konnte, und von Zeit zu Zeit auch ein bißchen Tanz; aber es kamen ebensowenig Besucher in die Rue St-Charles, als vordem in die Rue Thévenot gekommen waren. Ihre Zerstreuungen waren eine gelegentliche Ausfahrt mit dem gichtisch gewordenen Marquis und Madame Renaudin und ihre Gänge durch die Stadt, die ihr immer bekannter wurde: die Kais entlang bis zur düsteren Bastille, dann über die schöne Place Royale, deren Bäume nun schon dicht belaubt waren, und durch den Faubourg du Temple heimwärts durch halb Paris. Dann wieder ein bißchen Landleben in Noisy-le-Grand, mit den weißen Kleidern von daheim und der Hängematte in dem kleinen Garten, die Madame Renaudin dereinst mitgebracht hatte. Eugène krabbelte schon ein wenig in dem warmen Grase. Josephine hatte ihre Gitarre wieder bespannt, übte ihre paar Liedlein und sang, bis die kleine Hortense sie unterbrach. Es war, als ob seit den unendlichen Sonnentagen der Insel jetzt zum erstenmal wieder die Sonne gut warm ins Blut hineinschiene.

Im Juli kam Alexandres Antwortbrief. Nur die Wiedergabe dieses Briefes selber vermag eine Vorstellung zu vermitteln, was aus ihm über Josephine hereinbrach. Sie hatte einen Ausdruck der Freude über die Geburt Hortensens erwartet, einen Bericht über des Gatten Bekanntwerden mit ihrer Mutter, dem Hause in Trois-Ilets, der Welt, aus der sie kam. Alexandre aber schrieb: »Wenn ich Ihnen im ersten Augenblicke meines Zornes geschrieben hätte, hätte meine Feder das Papier verbrannt, und Sie hätten im Vernehmen aller meiner Anwürfe geglaubt, daß ich einen Augenblick schlechter Laune oder von Eifersucht gewählt hätte, um Ihnen zu schreiben. Aber es ist drei Wochen und länger her, seitdem ich, wenigstens zum Teil, weiß, was ich Ihnen jetzt mitteilen will. Doch trotz der Verzweiflung meiner Seele, trotz der Raserei, die mich erstickt, werde ich mich zu beherrschen wissen. Ich werde Ihnen kalt zu sagen wissen, daß Sie vor meinen Augen das gemeinste aller Geschöpfe sind, daß mein Aufenthalt in diesem Lande hier mich unterrichtet hat, wie abscheulich Sie sich hier aufgeführt haben, daß ich bis ins einzelne genauest Ihre Beziehung zu Monsieur de B..., Offizier im Martinique-Regiment, kenne, ferner jene mit Monsieur d'H..., eingeschifft an Bord des »César«; daß ich weder über die Art, wie sie Ihre Befriedigung gesucht, noch über die Leute im unklaren bin, die Sie verwendet haben, um sich die Möglichkeit dazu zu beschaffen; daß Brigitte nur darum freigelassen worden ist, um sie damit zum Stillschweigen zu verpflichten, daß Louis, der seitdem verstorben ist, mit ins Vertrauen gezogen war. Endlich kenne ich den Inhalt Ihrer Briefe, und ich werde eines der Geschenke mit mir bringen, die Sie hier gemacht haben. Es ist also nicht mehr Zeit, sich zu verstellen; und da mir keine Einzelheit unbekannt ist, bleibt Ihnen nur noch ein Weg einzuschlagen, der offenen Spiels. Was das Bereuen anlangt, verlange ich das gar nicht von Ihnen, denn Sie sind dessen unfähig. Ein Wesen, das imstande war, während der Vorbereitungen zur Abreise seinen Liebhaber in seinen Armen zu empfangen, eben da es wußte, daß es einem anderen bestimmt sei, hat keine Seele und steht unter allen liederlichen Frauenzimmern der Erde. Da Sie die Kühnheit gehabt haben, auf den Schlaf Ihrer Mutter und Ihrer Großmutter zu vertrauen, ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß Sie es verstanden haben, in San Domingo auch Ihren Vater zu hintergehen. Ich lasse ihnen allen gegenüber Gerechtigkeit walten und sehe Sie als die einzig Schuldige. Sie allein waren imstande, das Vertrauen einer ganzen Familie zu mißbrauchen und Schmach und Schande in eine fremde Familie zu bringen, deren Sie unwürdig waren. Was soll man nach so vielen Übeltaten und Abscheulichkeiten von den Wolken und den Anfechtungen denken, die über unser Eheleben gekommen sind? Und was von diesem letzten Kinde denken, das acht Monate und etliche Tage nach meiner Rückkehr aus Italien geboren worden ist? Ich bin gezwungen, es hinzunehmen, aber ich schwöre es bei dem Himmel, der über mir leuchtet, daß es von einem anderen ist, daß das Blut eines Fremden in seinen Adern rollt. Es soll niemals meine Schande erfahren, und ich schwöre auch noch, daß es weder in der Fürsorge für seine Erziehung noch in der für seine Versorgung etwas davon merken soll, daß es einem Ehebruche sein Dasein dankt. Aber Sie verstehen, wie sehr ich darauf bedacht sein muß, dem gleichen Unglück in Zukunft vorzubeugen. Treffen Sie also Ihre Anstalten: niemals, niemals wieder werde ich mich in die Lage begeben, nochmals von Ihnen hintergangen zu werden; und da Sie, wenn wir unter demselben Dache wohnen, imstande sind, damit die Öffentlichkeit nicht zu scheuen, haben Sie die Güte, sich sogleich nach Empfang meines Briefes in ein Kloster zu begeben. Das ist mein letztes Wort, und nichts in der gesamten Natur vermag mich dazu zu bringen, daß ich es zurücknehme. Nach meiner Ankunft in Paris werde ich Sie dort besuchen, ein einziges Mal; ich möchte eine Unterredung mit Ihnen haben und Ihnen etwas übergeben. Aber das wiederhole ich Ihnen: keine Tränen und keine Beschwörungen! Ich bin bereits gegen alle Ihre Bemühungen gewaffnet, und es wird meine Sorge sein, mich noch besser gegen schnöde Schwüre zu waffnen, die ebenso falsch wie verächtlich sind. Trotz all der Anschuldigungen, die Ihre Wut jetzt über mich verbreiten wird, kennen Sie mich, Madame, und Sie wissen, daß ich gut und zartfühlend bin, und ich weiß, daß Sie mir im Grunde Ihres Herzens recht geben. Sie werden im Leugnen beharren, denn seit Ihrer frühesten Jugend haben Sie sich an die Falschheit gewöhnt, nichtsdestoweniger werden Sie in Ihrem Inneren davon überzeugt sein, daß Ihnen nur geschieht, was Sie verdienen. Sie werden wahrscheinlich die Mittel nicht kennen, deren ich mich bedient habe, um so viel Greuliches zu enthüllen, und ich werde sie nur meinem Vater und Ihrer Tante mitteilen. Es soll Ihnen genügen, zu empfinden, daß die Menschen recht indiskret sind, und dies um so mehr, wenn sie Grund zur Klage haben; überdies haben Sie Briefe geschrieben; überdies haben Sie Monsieur de B... s Briefe dem weitergegeben, der ihm bei Ihnen nachgefolgt ist; endlich haben Sie sich Farbiger bedient, die man mit Geld zum Reden bringen kann. Betrachten Sie nun die Schande, von der Sie und ich wie auch Ihre Kinder bedeckt sein werden, als eine Strafe des Himmels, die Sie verdient haben und die mir Ihr Mitleid und das aller ehrenhaften Seelen erwirken muß.

Leben Sie wohl, Madame, ich schreibe Ihnen mit einem Duplikat, und diese beiden Briefe werden die letzten sein, die Sie empfangen werden von Ihrem verzweifelten und unseligen Gatten.

P. S. Ich breche heute nach San Domingo auf und rechne darauf, im September oder Oktober in Paris zu sein, wenn meine Gesundheit nicht den Strapazen einer Reise zusammen mit einem so schrecklichen Zustand unterliegt. Ich denke, daß ich Sie nach diesem Briefe nicht mehr in meinem Hause finden werde, und ich muß Sie aufmerksam machen, daß Sie mich als Tyrannen kennenlernen werden, wenn Sie nicht pünktlich befolgen, was ich Ihnen gesagt habe.« Dieser wie ein späterer Brief Alexandre Beauharnais' wurden mit der größtmöglichen Wörtlichkeit übersetzt, um eine Ahnung von ihrem Stil zu vermitteln.

Angesichts der späteren Josephine, die die Kunst, es sich im Leben so schmerzlos, als es irgend möglich war, einzurichten, gelernt hat, liegt die Versuchung nahe, die Erschütterung durch dieses Geschehnis zu unterschätzen, und mehrere Autoren haben ihr nicht widerstehen können. Aber alles Rückschließen vom späteren Menschen auf den Früheren ist ein mißliches und zweifelhaftes Ding. Wie immer Josephine nachher auf Ereignisse geantwortet haben mag: als dieses erste Unrecht über sie herfiel, war sie zwanzig Jahre alt und noch nicht verbraucht durch das in Kleiner-Münze-Ausgeben der Leidenschaftlichkeit (deren andere Seite ja die Leidensfähigkeit ist). Ja, sie hatte auf der Insel eine kleine läßliche Jugendsünde begangen: denn mehr war dieses kurze sinnlich-zärtliche Spiel mit Tercier wirklich nicht gewesen. Aber von diesem Vergehen war jetzt gar nicht die Rede. Sondern der Mann, der ihr Gatte und der Erzeuger dieser zwei kleinen Wesen da war, klagte sie gar nicht begangener Verbrechen an. Ach, und diese Mittel, von denen er geheimniskrämerisch sprach, dank denen er in Besitz seines Anklagematerials gekommen war! Madame Renaudin und Josephine waren ebenso in Martinique aufgewachsen wie die Anstifterin dieses ganzen Schnüffelns im Vergangenen; und sie wußten beide, was schließlich Alexandre trotz jener mysteriös sein sollenden Bemerkung selber nicht verhehlte; daß die Neger nur durch ein paar Taler oder ein Goldstück zum Verständnis dessen gebracht zu werden brauchten, was man von ihnen hören wollte, um – durch keinen Wirklichkeitssinn beschwert – irgend etwas von irgendwem Gesagtes auch gleich mit üppigen Einzelheiten auf den erforderten Fall anzuwenden. Von diesen Schwarzen, die einander ununterbrochen verrieten und preisgaben, sich im nächsten Augenblick zärtlich vertrugen, die Herren umschmeichelten und ihnen Schaden antaten, wo es gefahrlos geschehen konnte, von diesen Sklaven hatte Alexandre die Wahrheiten gekauft, auf Grund deren er nun seine Frau verstieß! Hätte er denn auch nur einen Augenblick geschwiegen, wenn er die ungeliebte Braut nicht als Jungfrau gefunden hätte? Und dann, waren nicht sein Vater und Madame Renaudin Bürgen genug für das Untadelige ihres Wandels in der Ehezeit, wenn er schon dem Selbstgesehenen und ihrer unterwürfigen Zärtlichkeit mißtrauen wollte? Das war mehr, als Eifersucht und Besessenheit eines ehrsüchtigen Verliebten an Unrecht erfinden konnten: das war kalt gebraute Grausamkeit, wohlüberlegtes Verfahren, zum vorgefaßten Entschlusse ein paar Rechtstitel zu beschaffen! Der Marquis und selbst Madame Renaudin, die stets klüglich laviert und Alexandres vorherigen Verfehlungen Josephinens Unzulänglichkeiten entgegengehalten hatten, waren jetzt empört und mühten sich um die völlig Fassungslose. Natürlich konnte von Kloster keine Rede sein! Beauharnais schrieb seinem Sohne den energischsten Brief seines Lebens, und Madame Renaudin fügte Beteuerungen und Beschwörungen hinzu. Und Josephine blieb bei den beiden. Aber wenn der Marquis ohne Überzeugung von seiner väterlichen Autorität sprach und die Tante versicherte, daß Verstand und gutes Herz den augenblicklich irregeleiteten Alexandre bald wieder zu Besinnung bringen würden, merkte Josephine, daß sie das im Grunde gar nicht mehr wünschte. Erst phantasierte sie noch ein bißchen, wie das ihr angetane Unrecht klar an den Tag kommen, Alexandre sie um Verzeihung bitten und sie großmütig vergeben würde. Aber diese Großmut war selbst der Phantasie zuviel. Nein, diese sinnlosen Anklagen, daß sie Liebschaften mit Männern gehabt hätte, die sie in der Tat kaum oder gar nicht gekannt hatte, daß sie die Ehe gebrochen hätte, während sie diese ganze Zeit in Paris auch nicht einen Augenblick allein mit einem fremden Manne gesprochen hatte, diese boshaften und rachsüchtigen Anschuldigungen, die irgendein schlechtes Frauenzimmer Alexandre eingegeben haben mußte, sollten entkräftet werden – und dann sollte all das ein Ende haben!

Daß Alexandres Geliebte die Anstifterin dieses Komplotts war und ihre Martiniquaiser Lokalkenntnis genutzt hatte, aus irgendeinem ihr zu Ohren gekommenen Klatsch über Josephine Waffen gegen »eine Alexandres in jedem Sinne unwürdige Ehe« zu schmieden, ist außer jedem Zweifel. In Alexandre selber mochte den entscheidenden Anstoß zum Entschlusse, seiner Ehe ein Ende zu machen, die beim ersten Besuche in Trois-Ilets gewonnene Erkenntnis gegeben haben, wie es um Ansehen und Besitztum der Familie Tascher in Wahrheit bestellt war. Zu dieser Kränkung seiner gesellschaftlichen Empfindlichkeit fügte sich dann alsbald die Verdrossenheit über die ja nicht unberechtigten Vorwürfe seiner Schwiegereltern. Als sich hernach auch noch zeigte, daß in dem schon abebbenden Kriege kaum mehr Lorbeeren für ihn zu holen seien, verfiel Alexandre, dem auch das Klima nicht bekam, in einen Zustand von Gereiztheit, dem die kreolische Freundin klüglich ein Ventil zu schaffen wußte. Wie, nicht genug an dem, daß diese Josephine unhübsch, unelegant und dumm war und, wie sich nun herausstellte, aus solcher unbedeutenden Familie kam, daß sie durch ihre verliebten Plattheiten den Flug seiner Ideen gelähmt und durch ihre ganze Person seinen Weg zum Erfolge zu hemmen gedroht hatte, war sie auch noch zu ihm aus den Armen anderer gekommen, hatte vielleicht sogar wirklich die Ehe mit ihm geschmäht! Ihm das! Nicht Liebe oder Ehrgefühl waren vor allem getroffen, sondern der Mittelpunkt seines Lebens, der die Mitte der Welt war: seine Meinung von sich selber. Er hatte sich zu diesem Wesen herabgelassen, er, er, er, – in dieser ungeheuerlichen Beleidigtheit erschien ihm jetzt jedes freundliche Wort, das er Josephinen gesagt hatte, als eine mit Verrat gelohnte edle Tat. Und sein wachsender Haß nährte sich aus seiner Ehrsucht und gedieh, von der Geliebten sorglich gehegt, zu einer Heftigkeit, die einen anderen zum Mörder gemacht hätte. Aber so eindeutig natürliches Tun war nicht seine Art. Er wollte vielmehr dieses niedrige Wesen, das er zu sich emporzuziehen versucht hatte, der Justiz der Gesellschaft überliefern, die es mit Schmach aus ihrer Mitte ausstoßen sollte. So wurde jener Brief geschrieben.

Als Alexandre, die Aussichtslosigkeit weiteren Verweilens auf den Inseln erkennend, die Heimkehr beschloß, ließ die nunmehrige Lage es ihm rätlich erscheinen, nicht mit der Freundin zusammen zu reisen. Diese nahm ein früheres Schiff. Alexandre war diese Trennung im übrigen nicht unwillkommen, da die hilfreiche Geliebte bereits allzudeutlich zu erkennen gab, daß sie nach Vollendung des gemeinsam begonnenen Rachewerkes an Josephine den Freund völlig als ihr Eigentum zu betrachten gesonnen war. Nach der Abreise der Freundin erkrankte Alexandre. Ein Haus von Bekannten bot ihm Gastfreundschaft und Pflege. Als er sich zu erholen begann, linderte er die in ihm wütende Empörung gegen Josephine ein wenig, indem er die junge Hausfrau zu seiner Geliebten machte.

Die Spannung der Rachsucht ließ ihn während der Überfahrt vergessen, daß er von einem mißglückten Unternehmen heimkehrte. Im Hafen von Brest erwarteten ihn Briefe des Vaters und der Madame Renaudin. Genießerisch straffte er sich zu neuen Tiraden. Im gleichen Tone wie im ersten Briefe drückte er in einem zweiten Josephinen sein Befremden aus, daß sie noch immer nicht im Kloster sei. Dann folgten von heißem Selbstbemitleiden erfüllte Worte über seinen Gesundheitszustand, den Fieber und Schmerz über das Erlebte auf gleiche Weise gefährdet hätten. Der Brief mündet in die Versicherung der Unerschütterlichkeit seines Entschlusses aus, die jeden Umstimmungsversuch unnütz mache. Er werde den Fuß nicht in sein Haus setzen, schrieb er, ehe Josephine es nicht verlassen habe, und fügte letztlich noch hinzu, daß er ihr die Wahl zwischen dem Kloster und der Rückkehr in ihre Familie lasse.

In der Tat mietete er sich, nach Paris zurückgekehrt, bei Freunden ein und setzte allen Versöhnungsversuchen der Familie die undurchdringliche tragische Maske tiefen, doch gefaßten Leidens und unbeugsamer Entschlossenheit entgegen.

So mußte Josephine das Haus, das ja zum größeren Teile Alexandre gehörte, verlassen. Und da ein Kloster als der schickliche Ort erachtet wurde, wo Frauen von Stand sich auf den Übergang in veränderte Lebensumstände vorzubereiten hatten, schlug Madame Renaudin jene Abtei von Panthémont vor, wo sie einst selber den Ausgang ihres Ehescheidungsprozesses abgewartet hatte. Es waren nicht wenige Klöster in dieser Zeit darauf eingerichtet, Pensionärinnen wie etwa verwaiste erwachsene Mädchen oder eben verwitwete Frauen aufzunehmen, wozu (wie in allen sich bereitenden Krisen einer Gesellschaftsordnung) neuerdings immer mehr in Scheidung begriffene Ehefrauen kamen. Diese Klöster waren, was heute Familienpensionen, Sanatorien und dergleichen Übergangsstationen für Frauen sind; ihre Regel fand auf diese vorübergehenden Bewohnerinnen nur ganz beschränkte Anwendung: sie mußten die Messe hören, zur vorgeschriebenen Zeit die Sakramente empfangen und zu einer bestimmten Stunde vor Abend heimgekehrt sein. Da das aber Forderungen waren, denen die Frauen der Gesellschaft sich meist ohnedies unterwarfen, und man im übrigen hier eine Freiheit genoß, die Josephine seit den Mädchenjahren nicht mehr gekannt hatte, besaß dieses Klosterleben nichts von jener gefängnishaften Strenge, die Alexandre Josephinen zugedacht hatte. Überdies war Madame Renaudin mit in das Kloster übersiedelt, um der Nichte, die sie mehr und mehr liebgewonnen hatte, die Anpassung zu erleichtern. Weibliche Solidarität und ein Stückchen Schuldgefühl, da sie selber ja Josephine zu dieser Ehe gebracht hatte, ließen sie nun für die also Mißhandelte umso eher Partei nehmen, als sie nun sicher war, daß diese, nachdem Alexandre sich so töricht ins Unrecht gesetzt hatte, aus dem unvermeidlich erscheinenden Ehetrennungsprozesse rehabilitiert und wohlversorgt hervorgehen müsse. Wohlerfahren unternahm sie auch selber alsbald die ersten Schritte, den Trennungsprozeß anhängig zu machen.

Es ist kein Bericht darüber aufzufinden, wie Josephine die erste Zeit in dieser vornehmen Abtei in der Rue de Grenelle verbracht habe. Anzunehmen ist, daß nun, nachdem die Entscheidung gefallen war, ein Gefühl der Erleichterung immer stärker aus den anfänglichen tränenreichen Klagen und Ausbrüchen der Empörung emporgekommen sei. Dann boten der Aufbau der Verteidigung und die Notwendigkeit, vor den vernehmenden Juristen recht erbarmenerweckend als Opfer zu erscheinen, einen Weg zur Objektivierung von Groll und Bitterkeit. Das also zu Protokoll Gegebene ging aus der Sphäre des Gefühls fort, – und die weltkluge Tante Renaudin kargte nicht mit tröstlichen Verheißungen, daß das Leben ihre arme Kleine noch reichlich für das Durchlittene entschädigen werde. Natürlich sei das Kloster nur ein Durchgang; von einer Rückkehr nach Martinique brauche wirklich keine Rede zu sein. Josephine habe ihre Kinder (deren Vorhandensein Madame Renaudin eine große Beruhigung war), und der Marquis sowie sie selber würden sie wahrhaftig nicht im Stiche lassen.

Mit Alexandres Hoffnungen auf eine Demütigung Josephinens stand es nicht zum besten. Den wenig glaubwürdigen Negeraussagen über die angeblichen Liebesabenteuer in der Mädchenzeit und der völlig haltlosen Anschuldigung des Ehebruches hatte Josephine einige gewichtige Argumente entgegenzusetzen. Am schwersten wog die von der Tante und ihr genau ausgearbeitete Zeittafel von Vereintsein und Trennung in dieser Ehe: dem alles in allem kaum ein paar Monate zählenden Zusammensein standen die Jahre nachweislich gewollter Abwesenheit entgegen. Josephinens Jugend, die Kinder und endlich die Aussagen der Familie taten das übrige, Alexandres Anschuldigungen völlig zu entkräften. Er mochte gehofft haben, daß sein bloßes Erscheinen und Auftreten als Rächer seiner Ehre (deren Kränkung er durch seine bloße Behauptung als erwiesen erachtete) genügen würden, Josephine völlig zu isolieren und all seinen Forderungen gefügig zu machen. Wäre die Trennung als durch Josephine verschuldet ausgesprochen worden, dann hätte er ihr zwar nicht verziehen, aber ihr immerhin ein paar großmütige Brocken hingeworfen. Statt dessen sah er das Unbegreifliche geschehen, daß die ganze Beauharnaissche Verwandtschaft, die sich größtenteils – hauptsächlich um des Marquis irregulären Hausstands willen – recht selten hatte sehen lassen, einmütig für dieses klägliche Nichts von Josephine gegen ihn Partei nahm und alsbald durch ihre Aussagen seine so sicher geglaubte Sache in eine hoffnungslose verwandelte. Das machte ihn zwar auch nicht einen Augenblick lang an sich selber irre – er betrachtete das lediglich als das tückische Gekläff der Banalität gegen den Größeren –, immerhin sah er sich aber durch diese Tatsachen genötigt, die stolze Rolle des unbeugsamen Verteidigers seiner Ehre, deren Versehrtsein mit einem Male gar nicht mehr nachzuweisen war, aufzugeben und einzulenken. Und nun er die Rüstung seiner Empörung nicht mehr zum Halt hatte, war es von der Unbeugsamkeit zur völligen Nachgiebigkeit schon nur mehr ein Schritt. Alexandre willigte in die Trennung der Ehe, bekannte sich als den Schuldtragenden und gestand Josephinen das freie Verfügungsrecht über ihre Person und ein Jahrgeld zu, wie es der Ehevertrag ihr als Wittum zugesichert hatte. Hortense, von deren angezweifelter Geburt nun nicht mehr die Rede war, sollte ganz bei der Mutter bleiben, Eugène bis zum vollendeten fünften Jahr; nachher sollte er stets die Sommerferien bei ihr verbringen. Im Falle, daß Alexandre gegen diese Abmachungen verstieße, konnte das eingestellte Prozeßverfahren sogleich wieder aufgenommen und ein Urteil gegen den zugestandenermaßen Schuldigen erwirkt werden.

Die Gerichte arbeiteten langsam zu jener Zeit. So hatte es an die zwei Jahre gedauert, bis das Verfahren so weit gediehen war, daß Alexandre es vorgezogen hatte, dem nicht mehr zweifelhaften Ausgang des Prozesses zuvorzukommen. Und Josephine hatte genugsam Zeit gehabt, sich in dem so bequemen Kloster auf die in Aussicht stehende Freiheit vorzubereiten. Nachdem Madame Renaudin zur Überzeugung gelangt war, daß Josephine auf gutem Wege sei, ihren Kummer und die neue Lage erträglich zu finden, war sie zu dem Marquis zurückgekehrt. Und Josephine begann sich im Kloster einzuleben. Sie hatte bisher ohne viel Nachdenken geführt oder getrieben gelebt und die ihren Wünschen und Instinkten von anderen entgegengehaltenen Gebote für naturnotwendig betrachtet. Das ihr von Alexandre zugefügte Unrecht aber hatte sie aufgerüttelt; und als ihr während der Untersuchung des Prozesses dann gar aufging, daß sie Rechte habe, war in deren Verteidigung ihr Selbstbewußtsein erwacht. Nicht Alexandres unverständlich gebliebenen Maximen, sondern sein Dasein und ihre Unterwürfigkeit hatten ihr in den Ehejahren die Welt rundum verstellt. Wohl hatten kleine Wünsche und Begierden an dem unbekannten Draußen genascht; aber ihre Hoffnung auf Alexandre und der stetige Umgang mit dem Marquis und der Tante, die beide längst ihre Art zu leben für die einzig mögliche erachteten, hatten es verhindert, daß Josephine von dem Draußen anderes erblickte als irgendein Schmuck- oder Putzstück in einem Ladenfenster oder vielleicht später einen hübschen jungen Mann, der vorbeiging. Nun aus ihrer Indolenz aufgerüttelt, begann sie um sich zu schauen. Sie sah vor allem, daß die weitläufigen Gebäude der Abtei voll von weltlichen Bewohnerinnen waren, die auf Treppen und Gängen in eifrigen Gesprächen beisammenstanden, und daß Wagen unaufhörlich kamen und abfuhren. Sie begann zu merken, daß es Gruppierungen unter den Pensionärinnen gab, und sie ahnte, bevor sie noch durch Namen diese Ranges- und Standeszusammengehörigkeiten gestützt sah, aus Kleidung, Manieren, Gang und Art des Grußes das Verbindende dieser Gruppen. Sie selbst gehörte keiner an. Aber alle zusammen erregten sie mächtig und zogen sie an. Da war heimisches Lebensgefühl, in diesem einander unaufhörlich Besuchen, dem Kichern und Lachen, das aus den Türen drang, den aufgefangenen Gesprächsfetzen voll noch unverständlicher, doch entzückend erregender Medisance, voll wichtiger Erörterungen von Kleidungseinzelheiten. Da standen zum Beispiel drei junge Frauen auf einem Stiegenabsatze; die eine, offenbar eben zurückkehrend, hatte ein Päckchen geöffnet und zeigte bräunliche Seidenspitzen zusammen mit einem Stück braunschillernden Tafts. Josephine hatte ein kleines Herzklopfen und schlich langsam und mit gierigen Augen vorüber. Bald wagte sie, stehenzubleiben. Sie merkte, daß man von ihr wußte; man sagte ihr freundlich »arme kleine Frau«, und sie genoß die Menschennähe. Wenn die Kinder zu ihr gebracht wurden, zeigte sie sich ausgiebig mit den beiden auf den Gängen und im Garten, wurde von immer mehr der Frauen angeredet – und nach ein paar Monaten war es schon fast wie daheim auf der Insel, wo man in Rudeln zu leben pflegte, wenn man erwachsen war und »dazugehörte«. Josephine hielt die aufgetanen Augen offen. Sie beobachtete, horchte, lernte: jetzt endlich war sie in der Schule, die ihre ganze Wißbegier und Gelehrigkeit erweckt hatte. Erst war das Mitreden schwer: sie mußte die Sprache, die Modeausdrücke, die allen geläufigen Namen von Personen und Kenntnisse von Einrichtungen und Beziehungen als die Elemente dieses Umgangs erwerben. Dabei hatte sie viele Verlegenheit und Scheu niederzukämpfen; denn diese Damen, die fast alle in schwierigen und zweifelhaften Lebensdurchgängen sich befanden, ließen es sich angelegen sein, sich besonders frivol und degagiert zu geben, als ob sie nie sentimentale Bindungen erfahren hätten. Bald aber wußte Josephine von jeder das Stück Lebensgeschichte, das sich hinter solchem Gehaben verbarg, die einfachen schweren Lebensdinge, Enttäuschung, Verrat, Elend und Tod, über die hinweg hier alle die Frauen einander im Lächeln und der Gewandtheit des Verbergens bestärkten und ihre Erziehung zum Nichternstnehmen vollendeten.

Es gab auch eine Anzahl von Damen aus sehr großen Familien im Kloster; mit denen blieb es bei einem Gruß, einem kurzen Austausch von Höflichkeiten. Da um sie der Klatsch der anderen am emsigsten am Werke war, wurde Josephine gerade auf sie am meisten aufmerksam. Bald schon begann sie zu verstehen, eine wie unzulängliche Lehrerin die Tante Renaudin ihr gewesen war, da die Arme ja »nicht dazugehörte« und längst den Zusammenhang mit der Welt verloren hatte, die die ewig gleichen kleinen Inhalte hinter dem eiligen Wechsel der Formen so geschickt verbarg, daß sie selber stets amüsiert erscheinen konnte. Was etwa an in sich ruhendem Sein hinter der selbstverständlichen Anmut jener wirklichen großen Damen wirken mochte, fragte Josephine sich ebensowenig, als Alexandre nach dem Inhalte des Edelmännischen oder nach der Anwendbarkeit der gepriesenen Gedanken gefragt hatte: sie sah, beobachtete, lauschte und lauerte, kehrte in ihr Zimmer zurück und wiederholte vor dem Spiegel ein Kopfnicken, ein Fächerheben oder horchte kritisch ihrer eigenen Stimme, wenn sie den Tonfall dieser Marquise, jener Herzogin nachahmte. Und ihre Stimme war angenehm, biegsam, ihr Gehör für die Nuance schnell geschult; sie besaß Humor, empfand schnell, wo die geringste Übertreibung ins Lächerliche führen konnte, und sie verstand, daß das Ziel der gesellschaftlichen Erziehung nicht etwa die Beherrschung eines Kodex von Formen und Phrasen, sondern die Erwerbung einer Sicherheit ist, welche endlich die eigene Natur vertrauensvoll gewähren lassen kann.

In dieser hohen Schule der Weltläufigkeit lernte Josephine auch anderes. Sie hatte der Tante Renaudin unaufhörliches Reden von Gelddingen weder verstanden, wenn sie ihr in den ersten Zeiten der Ehe die Vorzüge der nunmehrigen geldlichen Sicherheit bewiesen hatte, noch, wenn die Besorgte bei Beginn des Scheidungsverfahrens immer wieder auf die von Alexandre zu erwartenden Summen zu sprechen kam. Jetzt hörte sie aus vielen Gesprächen verborgen oder unverhehlbar gierig das Wort Geld immer öfter heraus. Und ihre Geldblindheit begann zu schwinden. Sie hatte die Beengtheit der häuslichen Verhältnisse in der Mädchenzeit nie empfunden, so hatte ihr auch die allzu oft gerühmte Sicherheit in der Ehe nichts gegolten. Jetzt aber hörte sie, wie die und jene Frau um ein Stück Geld sich verzweifelt wehrte, und sie begriff aus der Zähigkeit dieser Kämpfe die Bedeutung dieses Geldes: daß es zu haben nichts weniger als Unabhängigkeit, Wagen, Schmuck und schöne Kleider für all diese Frauen beinhaltete. Und Josephinens Interesse an den Gesprächen der Tante über ihre eigene geldliche Lage wurde immer lebendiger. Nicht daß sie vom Reichsein an sich geträumt hätte: aber Geld ausgeben zu können, kaufen, immer neue hübsche Dinge kaufen, mußte so schön sein! Eine negerhafte Gier nach Sichschmücken, nach Glanz und Buntheit kribbelte in ihr als das Erbe von der Insel her durch all die neuerworbene Gelehrsamkeit von Maß und Gehaltenheit der wirklichen Dame hindurch. Hier gab es eine kleine Kollision zwischen ihrem Lerneifer, ihrer Entschlossenheit zur Eleganz und einem Faktor, den sie in ihrer Eile der Anpassung außer acht gelassen hatte: ihrer Natur. Die sagte gebieterisch in all die Erziehung hinein: ja schön, soweit das alles das Leben angenehmer macht – aber nicht weiter; du hast dir genug abgehen lassen müssen. Jetzt sollst du dir nichts mehr versagen. Und schnell war ein Abkommen in Josephinen getroffen, welches das Unvereinbare aufs prächtigste zu vereinen schien, in der Entschlossenheit, es gut und hübsch und amüsant zu haben im Leben und dabei einen Platz in der Gesellschaft zu finden, ohne die man niemand war – und die sich die Zugehörigkeit schon nicht zu teuer bezahlen lassen würde. Daß sie ein gut Teil dieser Lebensweisheit auch von Alexandre hätte lernen können, fiel Josephinen auch jetzt noch nicht ein, so sehr hatten seine Rednerkünste ihr seine Absichten verstellt.

Nach solcher Schule kam die Ehetrennung mit ihren allergünstigsten Bedingungen nun ganz anders verstanden. Josephine war die Vicomtesse de Beauharnais, nicht häßlich, noch nicht dreiundzwanzig Jahre alt; und statt schmählicher Ausstoßung, die Alexandre ihr zugedacht hatte, konnte sie der Teilnahme sicher sein, die schuldlosem Unglück gezollt wird. Und unerfahren noch in ihrer Gabe, Geld zu handhaben, sah sie ihre Vermögenslage nun auch voll Optimismus. Das ihr ausgesetzte Jahrgeld zusammen mit dem Beitrage für Hortensens Unterhalt betrug etwa zwei Drittel des als sehr hoch betrachteten Ruhegehalts, das der Marquis de Beauharnais als Generalleutnant erhielt. Josephine war schon angenehm überzeugt, daß das Leben aus den Fenstern ihres Klosterzimmers, das nun wohl bald eine andere beziehen würde, entschieden hübscher aussehe als aus denen des Hauses in der Rue Thévenot oder des anderen in der Rue St-Charles.


 << zurück weiter >>