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Übung im Freisein

Das Leben im Kloster Panthémont war eine beinahe zu gute Schule gewesen. Es hatte nicht nur gelehrt, sondern auch gleich eine – bis auf das Fehlen der Männer – vortreffliche Gelegenheit geboten, das Gelernte anzuwenden. All diese unbeschäftigten, geselligkeitsgierigen, aus ihrem gewohnten Kreise für eine Weile verwiesenen Frauen hatte es zueinander gedrängt –, und diese vorübergehende Lebensform so vieler aus mannigfachen Verhältnissen kommenden Wesen täuschte das Bild einer Gesellschaft vor, die mit allen Reserven oder Strebereien der einzelnen doch vortrefflich zusammen hauste. Denn die Männer waren nur vorgestellt da: Eifersucht, sich auf Kosten der anderen zur Wirkung bringen und die wirklichen Intrigen um die Erotik, die den völlig gesellschaftlichen Frauenwesen oft erst Würze oder gar Sinn des Erotischen sein mögen, all das war hier nur im Reden vorhanden. Es war also eine Geselligkeit ohne die Gefahren, ohne das Vergiftete des zu nahen Zusammenlebens der wirklichen Gesellschaft. Und die fleißige Schülerin Josephine ging aus dieser Schule voll von Illusionen hervor, die ihr die Verwirklichung ihres neuen Lebensplanes (wenn man den Entschluß, seine vielen Wünsche gewähren zu lassen, so nennen kann) als zu leicht darstellten. Die ihr im Kloster entgegengebrachte Sympathie, die Tatsache, daß der Name Beauharnais bekannt zu sein schien, und die Menge der angeknüpften Beziehungen hatten ihr die Vorstellung gegeben, daß die Vorbedingung zu einem Leben, wie sie es zu führen wünschte, nämlich ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft, gegeben sei. Die unvermeidliche Erfahrung, daß sie im Irrtum sei, ließ dann nicht lange auf sich warten. Daß sie in der Tat durch Herkunft und Rang zu dem, was in der Abtei hundertmal im Tage »le monde« genannt wurde, gehörte, hatte draußen keinerlei Bedeutung. Denn diese eigentliche, durch eine Gemeinschaft der Interessen gebundene adelige Gesellschaft gab es tatsächlich seit Ludwig XIV. nicht mehr. Dieser hatte die Privilegien zu Namen gemacht und, indem er den Widerstand der um ihre alte Macht im Staate kämpfenden Kaste brach, dieser ihr Lebenszentrum genommen. Nach seinem Willen sollte das Königtum der neue Mittelpunkt der Adelswelt werden. Er zog immer mehr der Adeligen an den Hof, gab ihnen Ämter, Würden und Gehälter –, wie ein Geschichtschreiber sagt, gab er so tropfenweise zurück, was er in ganzer Fülle genommen hatte. Was vom Glanze dieses Königs getroffen noch einen schönen Schein gab, verfiel unter der Regierung seines Nachfolgers bereits schnell der Zersetzung. Schon unter Ludwig XV. hatte das Gefühl der Zusammengehörigkeit des Adels, das einst zur Fronde geführt hatte, ein Ende. Daß einer den oder jenen Namen oder Titel trug, war kein Anlaß mehr, in ihm etwas zu ehren, daraus man selber Ehre empfing. Als gar später mit dem Nobilitieren ohne wirkliches Verdienst immer achtloser umgegangen wurde, zerfiel die alte Adelsgesellschaft vollends. An ihrer Statt gab es immer mehr Koterien, deren jede sich für die Gesellschaft hielt, angefangen mit der (durchaus nicht konstanten) »höchsten Gesellschaft«, die von dem letzten Hofe des Ancien régime recht viel Licht nahm und viel Schatten auf ihn warf.

Ob sich Josephinens kleine Erfahrungen zum Verständnisse dieser Verhältnisse summierten, ist recht zweifelhaft. Mit den Erfahrungen in einem Leben wie diesem verhält es sich ja meist so, daß sie doch nur Erlebnisse sind, auf die andere und andere folgen müssen, bis eine gewisse Art des Ausgangs endlich auch mehr zur Gewohnheit als zur Erfahrung wird. Es begann also damit, daß Josephine in ihrem Eifer, den gesponnenen Fäden von Panthémont weiter ins Leben hinaus zu folgen, einer Anzahl der indessen in ihren Kreis zurückgekehrten Frauen ihren Besuch machte und daß sie dabei merken mußte, daß Panthémont nicht die Welt sei, daß Freundlichkeit zu nichts verpflichte und daß endlich keine von diesen »Freundinnen« gesonnen sei, ihr ein Türlein zu dem aufzumachen, was jede dieser Damen für sich die Gesellschaft nannte. Das war nicht ermutigend. Aus der Erkundigung nach ihren nächsten Vorhaben verstand sie, daß man nicht von ihr erwartete, daß sie allein wohnen würde. Das überhaupt verstand sie jetzt schon, wie immer es sonst mit ihrer Gabe, Erfahrungen zu machen, bestellt sein mochte: daß man von ihr allerlei erwartete und daß in ihrer Erfüllung dieser Erwartungen sich eigentlich ihre Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft ausdrücken würde, wofür sie selbst vorläufig nicht viel Entgelt zu erhoffen haben dürfe.

Wohin also? Ihr einziges Stückchen Zuhause war doch bei der Tante Renaudin und dem Marquis. Ungleich den großen Herren, die in Paris unveränderlich in ihrem Hause zu wohnen pflegten, das jedermann kannte, hatte der Marquis in den wenigen Jahren jetzt schon zum dritten Male den Wohnsitz gewechselt. Schuld daran trug diesmal mittelbar das Ende von Alexandres Ehe: nach der Trennung von Josephinen nämlich hatte dieser sogleich auch eine klare Scheidung seiner Einkünfte von denen des Vaters vollzogen, also gerade das getan, was Madame Renaudin mit der Stiftung dieser Ehe hatte verhindern wollen. Damit war eine Verbilligung der Lebenshaltung für den Marquis unerläßlich geworden. So wurde das Haus in der Rue St-Charles wieder aufgegeben und – unter dem Vorwande, daß die Gesundheit ländlichere Umgebung erfordere – ein Wohnsitz außerhalb der Hauptstadt gesucht und schließlich dort gefunden, wo zuweilen durch das Erscheinen des Hofes noch etwas vom großen Leben zu spüren sein sollte, in Fontainebleau. Der Name war in den Geschichten in Panthémont so oft in Verbindung mit königlichen Jagden, Hoffesten, Schäferspielen im Grünen und allem Verlockenden großer Welt von damals genannt worden, daß es Josephine, als sie sich dahin auf den Weg machte, gar nicht zu Bewußtsein kam, daß sie den Weg in die Freiheit mit einer Rückkehr begann.

Die beiden alten Leute waren eifrigst bemüht, die längst getröstete Wiederkehrende nach Kräften für das Durchgemachte zu entschädigen. Aber die Kräfte reichten nicht weit, und es blieb vorerst bei Versprechungen und Ankündigungen der geselligen Freuden, die sie Josephinen zu schulden glaubten. Der Marquis hatte sich durch seine affichierte Verbindung mit Madame Renaudin zu lange einem Umgange entfremdet, dessen er nicht zu bedürfen vorgab, so daß er den meisten Zusammenhang mit seiner einstigen Gesellschaft verloren hatte. Wenngleich das Alter indessen seinem Zusammenleben mit der Freundin allmählich das Bedenkliche genommen hatte und damit sein Haus und Umgang »möglich« geworden war, konnte er in seinem Alter kaum mehr nach angemessenen neuen Verbindungen suchen – und den alten Bekannten, sofern sie nicht weggestorben waren, war er derweil ein verblaßter Name geworden. Da man aber ein junges Wesen im Haus hatte, dem man die Annehmlichkeiten geselligen Verkehrs schuldete, mußte dieser wohl aufgenommen werden, wo er sich eben bot. Als später nach mannigen Wandlungen Josephine am wunderlichsten Platze ihr Herz für das alte Königtum wiederentdeckte, ist der Behauptung, daß sie zur Hofgesellschaft gehört habe, von ihr mindestens nicht widersprochen worden. Stellt man dieser Behauptung die Namen derer gegenüber, die Gäste und Gastgeber dieser Fontainebleauer Geselligkeit der Beauharnais waren, so klingen diese ungerecht dürftig, und ihre wohlangesehene Mittelmäßigkeit schrumpft unangemessen ein. Übrigens war Josephinens Erscheinen in der während der Abwesenheit des Hofes nicht sonderlich belebten kleinen Stadt jetzt schon selber für manche anziehend genug, die Bekanntschaft der Beauharnais zu suchen. Josephinens Wille zu gefallen hatte seine formende Kraft an ihr zu üben begonnen, die gelehrige Anpassung an die zeitgemäßen Ansprüche an Hübschheit und Geschmack hatte ihm geholfen; so begann sie nun schon etwas von der Zeit vorwegzunehmen, welche die Natur ihr als Blütezeit zugedacht hatte. Alles in ihren Zügen war schmäler und feiner geworden, wodurch die dunkelblauen Augen, die derweil die Kunst des Blickes gelernt hatten, größer erschienen. Das Dickliche, Breite oder Plumpe war aus ihrer Gestalt verschwunden. Die schon seinerzeit von ihrem Vater in seinem Anpreisebriefe gerühmten »hübschen Extremitäten« gehörten nun einem wohlproportionierten Körper an, den die Mutterschaft keineswegs versehrt hatte und an dem der Teil, der in den folgenden Jahren an Frauenkörpern kein verborgener war, der Busen, jung und straff gerundet schon die Schönheit zeigte, die ihm lange nachgerühmt wurde. Die sehr helle und zarte Haut, wie sie eher die falschen als die echten Blonden haben und in der das Erröten noch lange, wenn es längst nichts mehr zu bedeuten hatte, sein Spiel trieb, ergänzten die von Alexandre verschmähten Gaben, die durch Kleidung und Bewegung zur Geltung zu bringen Josephine nun schon zu lernen begann.

Über die Frische dieser Reize hatte sie einen lockend zurechtgemachten kleinen Aufputz von Weltschmerz gelegt, der mit dazu beitrug, Bewerber um ihre Gunst anzuziehen, die dann schnell entflammt waren, wenn Josephine, die keine Pose durchhalten konnte, ihren jungen Lebenshunger ahnen ließ. Es werden ihr in dieser Fontainebleauer Zeit etliche Liebhaber zugeschrieben, und unter den genannten Namen finden sich auch welche, die es nachweislich ebendort um jene Zeit gegeben hat. Dennoch wird die Annahme, daß sie nun begonnen habe, von den ihr bisher recht kärglich zugemessenen Gaben zu genießen, mehr durch die Kenntnis ihrer Natur und ihrer Entschlossenheit zum Genusse gestützt als durch sicherzustellende Tatsachen. Es gibt nun freilich einen Grund, der sie eben jetzt zu einer ihrem später geoffenbarten Wesen gar nicht entsprechenden Heimlichkeit gezwungen haben könnte: die Angst vor Alexandre, dessen Haß nun zu giftiger Ranküne geworden war und dem jeder Vorwand recht war, einen Akt boshafter Gehässigkeit gegen Josephine zu motivieren. Aber auch diese Angst hätte nicht hingereicht, sie vor Maßlosigkeiten, die alles verraten mochten, zu bewahren, wenn ihr eine dieser zärtlichen Tändeleien zur Leidenschaft geworden wäre; es gibt Beispiele aus einer Zeit, da sie längst keine Novize mehr war (der eher solch eine jäh auflodernde Verliebtheit die Vernunft blenden mag) und da sie mehr aufs Spiel setzte als Alexandres Zorn. So ist vielmehr anzunehmen, daß diese Erlebnisse ihr nicht sonderlich nahe gegangen sind und daß also diese Liebhaber nicht von der Art waren, ihr den Kopf völlig zu verdrehen (wozu es damals ja nicht allzuviel bedurft hätte) oder doch mindestens von dem wegzudrehen, was ihren Blick und ihr Denken anderswo gefangen hielt.

Man ist versucht, in diesem Abschnitte von den empfindsamen Biographen Josephinens etliche ihrer Vergleiche zu leihen, die von Wermutstropfen, kaltem und stürmischem Frühling und dergleichen reden und in ihrer Darstellung hier mit schwermütigen Farben nicht sparen. Die Herrlichkeit, die Josephine beim Verlassen der Abtei vor sich gesehen hatte, verlor Tag um Tag ein wenig von ihrem großen Glanz. Und wenn wir trotz all der Widerwärtigkeiten dieser Zeit nicht annehmen wollen, daß sie der von ihnen Betroffenen als eine ganz schlimme erschienen ist, denken wir vor allem an ihre freudegierige und schnell zu tröstende Jugend, die aus einem kleinen Gartenfeste mit Komödiespielen, einem Jagdritt, einer flüchtigen, zärtlichen Begegnung genug von der »irdischen Nahrung« zu nehmen wußte, um diese Bedrängnisse als ein Nebenbei des Lebens empfinden zu können.

Es war schon an sich, trotz des besten Willens der Tante und des Marquis, nicht leicht gewesen, sich mit den altgewordenen Leuten wieder einzuleben, die von der Zukunft nichts mehr erwarteten. Ein wenig gedemütigt durch den nunmehrigen unangemessenen Umgang, geriet der Marquis, der im übrigen aus vielen Symptomen die große drohende Veränderung der Welt merken mochte, immer mehr in eine Geschwätzigkeit voll deprimierenden Lobpreisens des Gewesenen. Schlimmer wurde es noch, als er seine Gichtanfälle, denen durch Maßhalten mit Speise und Trank vorzubeugen er nicht zu bestimmen war, immer öfter und peinvoller bekam und endlich auch Madame Renaudin ernsthaft krank wurde, so daß Josephinen nebst der Betreuung der beiden Kinder auch noch die Pflege der Kranken oblag. Dazu kam, daß selbst, wenn ihr das alles ein wenig Freiheit ließ, es mit der Geselligkeit in Fontainebleau immer kärglicher wurde. Josephine, die für Staatsdinge und all das, was schließlich, wenn es vorbei ist, Geschichte heißt, so wenig übrig hatte und so unmäßig viel davon zu merken bekam, mußte sich jetzt damit abfinden, daß ihr etwas von dieser Art eine freudige Erwartung verdarb. Nachdem der »Emporkömmling« Necker, der aller Anfeindung zum Trotz tapfer und vernünftig die Ordnung des Finanzchaos angebahnt hatte, gestürzt war, hatte sein Nachfolger Calonne das Amt, nach dem er so gedrängt hatte, mit einem Rückfall in die tollste Verschwendung begonnen, die ihm die immer mächtiger werdende Königin gewinnen und auch sonst Anhang schaffen sollte. Aber lange ging es nicht damit: denn alle Kredite waren erschöpft. Und nach dem kurzen Aufleuchten der alten Herrlichkeit war die nun unvermeidliche strenge Sparsamkeit doppelt schmerzlich. Zu ihren Geboten gehörte das Unterlassen der kostspieligen Übersiedlungen der ganzen Hofhaltung; und die kleine Josephine Beauharnais, die von wunderbaren Festen, lampiongeschmückten Barken auf dem Teiche und der Bekanntschaft mit allen Kavalieren des Königreiches geträumt hatte, sah sich um all diese Hoffnungen betrogen. Freilich gab es zuweilen noch für ein oder zwei Tage ein wenig Aufregung: anrollende Hofkutschen, Pferde, Hunde, die Hörner der Piköre. Aber das hieß gerade nur, einen Blick durch ein geschlossenes Gittertor tun dürfen, und nichts mehr. Nachdem seit dem Tode Maurepas' Ludwig XVI. seinen (selbst der Führung so bedürftig gewesenen) alten Führer verloren und so viele seiner gutgemeinten Versuche, sich des schweren Erbes würdig zu erweisen, scheitern gesehen hatte, hatte der Lebensschwache den Halt für seinen vielen guten Willen dort gesucht, wo die größere Lebenskraft ihn zu verheißen schien: bei Marie-Antoinette. Nun war der König so weit, sich die beinahe einzige leidenschaftliche Liebhaberei seines Lebens, die Jagd, wieder zu gestatten, die er sich in den hoffnungsvollen und reformfreudigen Anfangszeiten seiner Regierung vielfach versagt hatte. Und er war schon auf dem besten Wege, der matte, dickliche Mann zu werden, der 1790 in seine Tagebücher nur noch die Anzahl der erlegten Rebhühner und Hasen und nichts davon eintrug, was mit seinem Königreiche geschah.

Josephine sah also zuweilen durch ein Gittertor den König und seine Jagdbegleiter die Freitreppe in jenen Hof herabsteigen, in dem ... Nun, wer gedächte bei Erinnerung an diesen wunderbaren Ehrenhof von Fontainebleau nicht eines besiegten großen Kriegers, der hier von seiner Garde Abschied nahm?

So hatte Josephine den König gesehen und so auch die Königin. Das war ihr Anteil an dieser abendbunten Welt des alten Königtums, das und zuweilen die Erlaubnis, eine der Probejagden vor der Ankunft der hohen Herrschaften mitzureiten und dabei die auf dem alten Portorico-Pony ihrer Mädchenzeit erworbene Reitkunst wieder aufzufrischen.

Danach gab es Rückkehr an Krankenbette und zu den Kindern, und solange nur das sie bedrückte, war das Leben noch gut. Aber es gab bald Böseres, mit dem sie zurechtzukommen hatte.

Josephine hatte ihre wohlhäbige Freiheit mit den Anschaffungen all der Requisiten eines eleganten Lebens begonnen, das sie vor sich geglaubt hatte. Es ist kaum wahrscheinlich, daß diese ersten selbständigen Einkäufe damals schon ihre Einkünfte überstiegen hätten. Diese erste peinvolle Bekanntschaft mit Geldsorgen hatte andere Ursachen als ihre spätere Vertrautheit mit ihnen. Josephinens Wohlstand hatte eine Voraussetzung, die sie nicht bedacht hatte: daß nämlich die ihr zugesicherten Summen auch wirklich ausgezahlt würden. Sie mochte wohl damit gerechnet haben, daß die Rente, die ihr ihr Vater nach der Trennung der Ehe ausgesetzt hatte, unregelmäßig einkommen würde, aber sie hatte nicht daran gezweifelt, daß Alexandre seine Verpflichtungen pünktlich erfüllen würde. Dieser jedoch schien entschlossen, sie die einzige Abhängigkeit, in der er sie noch halten konnte, ausgiebig fühlen zu lassen. Was da an Schikanen, tückisch erfundenen Vorwänden zu Zahlungsverweigerungen und raffiniert ausgeklügelten Bemühungen, Josephinen das Leben schwer zu machen, vor sich ging, läßt an den finstersten Strindberg denken – oder mehr noch an die Büros der Rechtsanwälte, in denen der Giftsamen aus schlechten Ehen in Abmachungen gepflanzt wird, die dem anderen zu fühlen geben sollen, daß auch mit der Trennung noch nichts erreicht sei. Erst focht Alexandre jede fällige Zahlung an; mußte er sie schließlich doch leisten, so war ihm keine Ausflucht zum Hinausschieben zu schlecht. Stück um Stück forderte er Möbel und Hausrat zurück, die sich zum größeren Teil gar nicht in Josephinens Besitz befanden; dann verlangte er die Rückgabe der paar wirklich nicht kostbaren Schmuckstücke, die sein Hochzeitsgeschenk an sie gewesen waren, und mit ihnen gleich auch etliches andere, das er zur selben Zeit beim gleichen Juwelier erworben und gar nicht Josephinen gegeben hatte.

Was Alexandre selber anlangt, führte er in dieser Zeit ein sehr kostspieliges Leben, dessen Aufwand jedoch nicht mehr der hübschen Martiniquaiser Freundin zugute kam; diese hatte sich indessen von ihm getrennt, und andere hatten ihren Platz eingenommen. Wer von den vielen Schönen, die seiner ziellosen Streberei damals Rast oder Nahrung gaben, die Mutter des in aller Heimlichkeit geborenen Kindes Alexandres war, ist nicht bekannt. Von diesem Mädchen mag hier nur angemerkt werden, daß Josephine nicht nur um sein Dasein wußte, sondern sich später sogar seiner hilfreich annahm. Während aber Alexandre seinen Weg im Dienste der Ideen und des Vaterlandes, dessen er sich wenig später so sehr rühmte, solcherart mit allerlei Kurzweil erleichterte, stand es um Josephine immer armseliger. Es gibt nicht viel Geheimnisse in ihrem Leben: das eigentliche und einzige, das undurchblickbar geblieben ist, ist in der Zeit beschlossen, in der sich das völlig unvoraussehbare Ende ihres Fontainebleauer Aufenthaltes vorbereitete. Es geschah im Frühsommer des Jahres 1788, daß Josephine, ungeachtet dessen, daß die Tante von neuerlicher schwerer Krankheit kaum genesen und daß ihr Sohn Eugène ihr eben zum Sommeraufenthalte mit ihr gebracht worden war, wie auf der Flucht Fontainebleau verließ und, Hortense mit sich führend, nach Le Havre eilte, um sich nach Martinique einzuschiffen.

Es gibt etliche Mutmaßungen, die als Begründungen gelten möchten. Zulänglich erscheint keine. Mochten die Geldnöte auch groß gewesen sein – für Unterkommen war ja im Hause des Marquis gesorgt; und daß es daheim in Trois-Ilets mit dem Gelde nicht besser stand, wußte Josephine aus all den Antwortbriefen, die auf ihre Bitten um Geldsendungen gekommen waren. Anderswo wieder heißt es, daß Josephine in der Panik der Entdeckung einer Schwangerschaft (die auf dem Schiffe mit einer Fehlgeburt geendet hätte) so überstürzt geflohen sei. Das klingt nicht wahrscheinlicher, wenngleich ihre nachherige Unfruchtbarkeit dieser behaupteten Fehlgeburt zuzuschreiben versucht wird: wäre sie wirklich schwanger gewesen, so hätte sie wohl eher mit der Tante Renaudin Hilfe irgendwo in Frankreich verborgen das Kind zur Welt gebracht, wie jene unbekannte Freundin Alexandres, als sich in die Enge des Lebens auf der Insel zurückzubegeben, wo sicher nichts verborgen bleiben konnte. Angst vor Gläubigern wird angeführt, Schrecken über eine Drohung, mit der Alexandre auf die Entdeckung einer ihrer kleinen Sünden geantwortet hätte. Aber all das scheint zur Erklärung nicht hinzureichen, warum sie Frankreich, »das einzige Land der Erde, wo Leben Leben ist« und das ihr von seinen vielen Versprechungen noch so wenige gehalten hatte, so plötzlich verlassen hätte.

In Le Havre wartete sie nicht einmal das Eintreffen des fälligen großen Passagierschiffes ab, das sichere Überfahrt verbürgte, sondern ging eiligst an Bord des erstbesten elenden Kauffahrteischiffes, dessen Ziel die Antillen waren, als ob sie sich erst auf Schiffsplanken sicher gefühlt hätte. Das armselige Fahrzeug, dem Josephine in solcher Hast ihr und ihres Kindes Leben zu einer monatelangen Fahrt (fort aus der »Atemluft der Hoffnung« und nach einem trostlosen Ziel) anvertraut hatte, begann seine Reise in einem Sturm, der es tagelang vor sich her jagte. Als die Todesangst vorbei war und das Elend des Körpers sich zu stillen begann, war Frankreich weit, und Josephine fuhr durch den sommerlichen Ozean dem weltfernen Stückchen Erde zu, von dem sie neun Jahre zuvor mit einem Schimmer von dem Kolumbustraume ausgefahren war, der in jeder Jugend ist, die sich auf den Weg macht. Sie war eine Ehefrau gewesen, hatte zwei Kinder geboren, Demütigungen erfahren, ein wenig am Glück der Sinne genascht; hatte verstehn gelernt, daß man Geld haben müsse in dieser Welt, durch deren Gittertore sie gespäht hatte – und nun fuhr sie zurück zu den Tascher, brachte ein paar hübsche Kleider, Redensarten und Manieren und so viel Warten mit, als habe das Leben überhaupt noch nicht begonnen.


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