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Der ferne Bonaparte

 

Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht,
Wird immer warten und sich nie besitzen.

Rilke

 

Dieses Kapitel wird von seinem Verfasser mit einem Blicke der Sehnsucht nach den Dichtern und sogar mit einem kleinen Neid auf die legendendienerischen Biographen begonnen. Denn in jener selbstherrlichen Welt der Dichter mag Titania getrost den Esel umarmen – ihr Bild bleibt ungetrübt; und in diesem Bereiche des Willkürschaltens mit Geschehenem wird der Esel kein Esel mehr sein, oder Titania wird ihn nicht umarmt haben. Es gibt Hippolyte Charles nicht, oder er wird zur Zierde unter den Jünglingen, und Bonaparte ist eben Unhold genug, eine wehmütig holde Josephine gerechtfertigt nach Seelentröstung bei einem jungen Offizier suchen zu lassen, in dem etwas von Chateaubriands René oder auf deutsch ein Stück Theodor Körner zu finden wäre. Der hier erzählende Verfasser hingegen muß mit der Josephine in dieses Kapitel hinein, wie er sie verstehen gelernt und verständlich zu machen versucht hat; er kann, was nun kommt, nicht dadurch ausbalancieren, daß er schnell ein paar später sichtbar gewordene Ungeheuerlichkeiten Bonapartes hier einfügt, noch kann er endlich gar aus diesem kleinen Charles einen auch nur sympathischen jungen Mann machen. So wendet er den Blick von den Dichtern und den ungetreuen Verwaltern der Tatsachen wieder fort und der Masse des von wirklichen Menschen gelebten Lebens zu, aus der die nun anhebenden Kapitel dieses Frauenwesens Erdengang ausschöpfen sollen.

Bonapartes Familie (von der alsbald in Hinblick auf Josephine einiges zu sagen sein wird) hatte die Ehe Napoleons erst vorsichtig abwartend so hingenommen, als ob sie daran glaubte, daß diese Verbindung mit der um sechs Jahre älteren Frau in mehr als zweifelhaften Vermögensverhältnissen wirklich die gute Partie sein könnte, als die sie ihr dargestellt worden war. Diese von vornherein nicht eben zustimmende Betrachtungsweise hatte sich jedoch schnell von Grund auf verändert, als Bonapartes reichliche und unermüdliche Fürsorge für die Seinen jeden Zweifel darüber ausschloß, daß sein vielgerühmter Aufstieg keineswegs eine nur lediglich mit ein bißchen Ruhm bezahlte Illusion mehr sei. Da war mit einem Male in der Familie, deren Solidarität sonst ja doch vor allem in Napoleons Blut und Wunschträumen klanhaft stark weiterbestand, ein wachsender Widerstand gegen die eingedrungene und höchst kostspielige Mitnutznießerin dieses jungen und so sehr einträglichen Ruhms erstanden, der doch vor allem der Mutter und den Geschwistern zugute zu kommen hätte. Und als sich dann gar zu den sicheren Berichten über Josephinens Verschwendungssucht die kaum mehr anzweifelbaren Nachreden über ihre ehelichen Untreuen fügten, waren Mutter Lätizia und ihre Kinder schnell darin einig, daß Napoleon zu einer Mißheirat verführt worden sei. Wie der vielfältige und selten zarte Ausdruck dieser Überzeugung sich auf Josephinens Leben ausgewirkt hat, wird noch erzählt werden.

Einen der wesentlichsten Angriffspunkte bot Josephinens Unfruchtbarkeit, die korsischen Menschen wie den Bonaparte auch dann gegen das Gefühl gegangen wäre, wenn die Gattin ihres Napoleons sonst wahrhaftig ein Ausbund an allen für den Klan wünschbaren Eigenschaften gewesen wäre. Die Anspielungen auf diese Unfruchtbarkeit, die Napoleon ein wenig vergiftet von der ihm noch verschwiegenen Kenntnis um Josephinens Untreue zu hören bekommen hatte, waren denn der eigentliche Anlaß zu der Badekur in Plombières, von der Napoleon sich die Behebung dieses Übels versprach, das Josephine selber vorerst noch gar nicht so sehr als ein Übel empfinden mochte.

Auf dem Wege nach Plombières, in Lyon, traf Josephine mit Hippolyte Charles zusammen, den außer Josephinens zärtlichen Rufen noch ein ganz anderer Anlaß trieb, sich eilends zu dieser Zusammenkunft zu begeben.

Charles hatte das Kapital, das für ihn die Beziehung zur Frau des mächtigsten Generals der Republik darstellte, dazu verholfen, Teilhaber einer Handelsgesellschaft zu werden, deren große Heereslieferungen mehr einzubringen versprochen hatten, als er allein in seinen bisherigen vielfältigen Geschäften zu gewinnen hoffen konnte. Aber mit einemmal fehlte es dann dieser Kompanie Bodin an den nährenden Staatsaufträgen, augenscheinlich darum, weil ein redlicher General, Brune, das Direktorium vor diesen wucherischen Lieferungen gewarnt hatte. Nun stand es schlecht, sehr schlecht um die Kompanie, und Charles kam, um Josephine mit einem zärtlichen Appell an ihre Freundschaft und einen nicht überhörbaren an ihre Interessengemeinschaft zur Hilfe aufzurufen. Wie aus Protest gegen die ihr ungewohnte und schon ungemäß gewordene Sicherung durch regelmäßige und beträchtliche Einkünfte hatte Josephine in den paar Pariser Monaten so eifrig neue Schulden zu den alten hinzugefügt, daß ihr jedes Stück Geld willkommen war, mit dem sie einen bedrohlich drängenden Juwelier, Stoffhändler oder Parfümeur für eine Weile zur Ruhe bringen konnte. Wie hätte sie also einen Anteil an den so profitreichen Geschäften der Kompanie Bodin zurückweisen sollen, da sie doch durch die Charles gegebenen Empfehlungen an dem Zustandekommen etlicher solcher Geschäfte mitgewirkt hatte? Skrupel? Machten denn nicht alle, die nur irgend konnten, Geschäfte? Nein, man war von dieser Welt (dieser Welt des Direktoire nämlich, die aus Blutsümpfen und allem Menschenelend so geil emporgeschossen war), und man hatte »praktisch denken gelernt«. Hatte Bonaparte Skrupeln, wenn er sich sein Teil von den Kontributionen nahm, oder etwa gar Barras, der das Geld der Republik und ihrer reichen Klienten ebenso verpraßte wie das ihrer Gegner, der Royalisten? Als ein paar Monate später Fouché, der aus Staatsmitteln alle Geheimnisse kaufte, die ihm einen Zuwachs seiner unterirdischen Macht versprachen, Josephinen anbot, ihr die von Bonaparte aus Ägypten kommenden Nachrichten gegen ein nicht geringes monatliches Taschengeld abzukaufen, ging sie unbedenklich auf diesen so zeitgemäßen Handel ein; und sie wäre vermutlich tiefst erstaunt gewesen und hätte Tränen echter Kränkung in den schönen veilchenblauen Augen gehabt, hätte jemand ihr zu sagen versucht, daß das ein nicht ganz schickliches Geschäft sei, – ebenso wie Bonapartes Sekretär und Freund Bourrienne – und so viele andere ringsum – tief überzeugt von ihrem Rechte auf die Summen oder Vergünstigungen waren, um die sie sich kaufen ließen.

Nun schrieb Josephine einen stürmischen Brief voll von Fürbitten für die arme Kompanie Bodin und überfließend von Verdruß über den argen Störenfried, den General Brune, an Barras, den guten Barras, dem sie in unaufhörlichen Briefen die Interessen aller, die ihr in die Nähe kamen, zu empfehlen pflegte, so daß, hätte er ihr immer Gehör gegeben, die Hälfte aller Stellen von Bedeutung bald von Josephinens Schützlingen besetzt gewesen wären. Der nun wieder beschwichtigte Charles begleitete Josephine nach Plombières. Doch ehe sie hier noch ihre Kur beginnen konnte, widerfuhr ihr etwas, was eine Kur ganz anderer Art erzwang. Sie hatte Besuch wie fast immer; eine Bekannte war auf den kleinen Balkon hinausgetreten und rief Josephine, um sie auf ein eben vorbeikommendes Hündchen aufmerksam zu machen. Die anderen Gäste traten mit Josephine auf den Balkon, da löste sich plötzlich dessen Boden, und Josephine und ihre Gäste stürzten etwa sechs Meter tief auf die Straße.

Aus der Orgie von Heilbemühungen, die die illustre Kranke umtobten und die modischsten wie die abergläubischsten Mittel (zum Beispiel das Einhüllen der kontusionierten Hüftpartien in das Fell eines ad hoc geschlachteten Hammels) aufwandten und dann das Getane eilfertig zur Kenntnis der Öffentlichkeit brachten, geht hervor, daß Josephine zwar schmerzhafte Quetschungen, aber keinerlei ernstere Verletzungen davongetragen habe. Freilich strömt eine solche Flut von wehleidigem Selbstbedauern durch die Fülle ihrer in dieser Zeit ausgesandten Briefe, daß deren Adressaten den Eindruck von langer Lebensbedrohung gewinnen mußten und daß sich die darin geäußerte Absicht, nach der Wiederherstellung dennoch und trotz allem Bonaparte nach Ägypten nachzufolgen, als eine heroische Opferbereitschaft darstellte, die keiner füglich annehmen konnte. Bei dieser Absicht blieb es denn auch nur so lange, bis ihre Ausführung sich unvermerkt in eine Rückreise nach Paris verwandelte.

Daß Josephine nun zum letztenmal das Paris nach ihrem Herzen hatte, in dem noch das Unerfüllte – und wohl auch schon Unerfüllbare – aus dem weltfernen ersten Kommen des martiniquaiser Jungfräuleins, aus dem Ausgang der Klosterpensionärin von Panthémont und der Gefangenen aus der Maison des Carmes verschwommen lebendig war, muß hier akzentsetzend und vorwegnehmend gesagt werden. Denn so unökonomisch es wäre, wenn der Schreiber einer historischen Anekdote auf die nahe Pointe besonders hinwiese, so nötig wird solcher Hinweis in der langen und ein wenig verworrenen Anekdote eines Lebens, wo die Pointe, wenn es überhaupt eine gibt, meist irgendwo in der Mitte oder im zweiten Drittel und nur höchst selten als ein sinngebendes Wort auf dem Sterbebette am Ende steht. Es ist im Verlaufe dieser Lebensgeschichte bemerkt worden, daß der Verfasser, hätte er einen Roman zu schreiben gehabt, sein Erzählen mit der dreißigjährigen Josephine angehoben hätte, mit diesem durchstürmten und so großen Sommer, der wahren und vollen Josephinezeit, auf die alles vorher Hinweis und Vorbereitung gewesen war. Nun diese Darstellung im fünfunddreißigsten Jahre Josephinens angelangt ist, möchte der Erzähler bemerken, daß er mit dem, was dieses Kapitel auf seine freilich recht unromanhafte Art zu berichten hat, seinen Josephineroman geendet hätte: mit der unverkennbaren eindeutigen Schicksalspointe, die den Einschnitt setzte, hinter dem Weitertun und Gewährenlassen das Reifen umgehen und hintergehen und diese mittleren dreißiger Jahre nun gerne zur Lebensewigkeit gemacht hätten.

Da der Biograph hier schon mit dem Vorwegnehmen begonnen hat, kann er nicht umhin, diese Josephinen selber so völlig unvermerkt schicksalsvolle Wiederkehr nach Paris mit einem Namen einzuleiten, der von da ab zum Bilde dieses Lebens beinahe mehr gehört als die Namen Tascher, Beauharnais und sogar Bonaparte: dem Namen Malmaison. In wieviel Kleines und Kleinliches sich das Weiterwähren und Nichtbewähren dieses Lebens von nun ab auch auflösen mag: es ist etwas von ihm lebendig geblieben, denn töricht aufgewandte große Anmut und verspielte Tragik des Nicht-Altern-Wollens und Nicht-Abschiednehmen-Könnens, was alles ja jetzt anhebt, beginnen von da ab ihr erstes zaghaftes Wachstum in die Legende. Und diese Legende, die so wenig von dem wahren Erdenwallen Josephinens aufbewahrt, hat ihre irdische Nahrung aus dem Weiterbestand von Malmaison, dem Weiterwachsen der Bäume im Parke, dem Weiterblühen der Pflanzen von den Antillen, deren erste Setzlinge Josephine in diesen Boden nahe der Pariser Bannmeile gepflanzt hatte, in dem Weiterbestand dieser spielerisch strengen Zimmer, dieses Scheins von Kunst, dieser empfindsamen Koketterie von Natur und Dekoration, was alles zusammen in all der Musealität ja noch heute Malmaison – und Josephine geblieben ist.

7. La Malmaison

Josephine kannte seit vielen Jahren Malmaison von weitem. Aus den Fenstern des Landhauses in Croissy hatte sie durch die Bäume des Parkes hindurch das hohe Dach des Schlosses und ein Stück der damals noch daran angeschlossenen Wirtschaftsgebäude sehen können; und sie selbst behauptete, sie habe sich dieses Besitztum seit jeher gewünscht. Unverbürgt wird berichtet, daß Bonaparte, der in der Tat einen Landbesitz zu erwerben gedachte, nach der Heimkehr aus Italien Verhandlungen über den Kauf von Malmaison begonnen habe, die jedoch an der Höhe des geforderten Preises gescheitert seien. Sicher ist, daß Josephine bald nach der Rückkehr nach Paris mit dem Besitzer von Malmaison und dessen Sachwalter in Verbindung trat. Und da sie in diesem Augenblicke nichts als Schulden besaß und aus Gründen, die alsbald zu berichten sein werden, ihr Schwager Joseph mit der Bezahlung der ihr von Bonaparte ausgesetzten Summen plötzlich sonderbar säumig wurde, sah sie in der Höhe des Kaufpreises, den sie doch nicht würde bezahlen können, kein Hindernis mehr. Die auf ihre Veranlassung in den Ehekontrakt mit Bonaparte vorsichtig aufgenommene Klausel der Gütertrennung hätte zu einem Kaufvertrage im Namen des Gatten die Vorlage einer Vollmacht nötig gemacht. So entschloß sich Josephine, den Kauf auf ihren eigenen Namen abzuschließen. Die Kaufsumme für das Schloß zusamt dem ganzen altmodischen und bescheiden bürgerlichen Mobiliar sowie für die 129 Hektar Ländereien betrug, die Gebühren inbegriffen, nahezu 300 000 Franken. Die erste zu leistende Anzahlung von 15 000 Franken erhielt Josephine als Darlehen von dem Verwalter des Besitzers. Weitere Summen kamen von Barras, wenn man seinen Memoiren glauben darf. Und kaum war der Kauf abgeschlossen und solcherart ein Bruchteil des Preises erlegt, als sich Josephine auch schon in Malmaison einzurichten anschickte. Sie begann ihr Wohnen in dem Hause, dessen Namen unauflöslich mit dem ihren verbunden ist, nicht allein. Hippolyte Charles, der seit dem Palazzo Serbelloni in Mailand manche Behausungen mit Josephine geteilt hatte, war mit ihr nach Malmaison gekommen. Und in seiner Begleitung unternahm sie ihre ersten Entdeckungsreisen durch das neue Besitztum, die Wiesen und Wäldchen, die Weingärten, die unter der freundlicheren Sonne der alten Zeiten damals im Pariser Bereiche noch reichlich Wein trugen. Und bald brachte das Gerede der Nachbarn und der Besucher, die Charles bei ihrem Herannahen verschwinden gesehen hatten, die Neuigkeit nach Paris, daß Bonapartes Frau nun mit ihrem Geliebten, von dessen Existenz so viele schon wußten, nur ein paar Meilen von der Hauptstadt entfernt zusammen wohne. Die Familie Bonaparte war nicht unter den letzten, die diese Nachricht vernahmen.

Daß es im übrigen mit dieser Familie Bonaparte im Hinblick auf Josephine seine besondere Bewandtnis hatte, wird auch den mit den Tatsächlichkeiten der historischen Person Josephine Unvertrauten aus den mehrfachen Hinweisen in den vorhergehenden Kapiteln aufgegangen sein. Wenn trotzdem von dieser Bewandtnis bisher Genaueres noch nicht ausgesagt worden ist, liegt das insbesondere daran, daß die Ehe mit Bonaparte bisher noch nicht eigentlich in Josephinens Lebensmittelpunkt gerückt war und infolgedessen der immer fühlbarer werdende Anhang dieser Ehe von dieser Lebensgeschichte ebenso vernachlässigt werden konnte, wie er es von Josephine selber wurde. Wenngleich nun der eigentliche Bericht über diese Familienangelegenheiten noch sein besonderes Kapitel in diesem Buche haben wird, muß doch jetzt im Ankündigen weitergegangen und gesagt werden, daß in diesem Familienverhalten zu Josephinen nach einigen barometrischen Schwankungen ein Tiefdruck entstanden war, der sich durch das im Grund schon wenig überraschende Zusammenwohnen Josephinens mit Charles kaum mehr erklären ließ. Wie vampirisch liebearm die Verbindung all der Bonapartes zu Napoleon auch geworden sein mochte, seit er das lebenspendende Herz dieses Familienleibes war, empfanden alle Glieder doch hypochondrisch genau jede Regung dieser Daseinsmitte, ja oft sogar prophetisch vorausahnend.

Um ebendiese Zeit nun, da Josephine Malmaison gekauft und es mit einem spielerischen Honigmond eingeweiht hatte, hatte sich mit Josephinens Gatten in bezug auf Liebe und Ehe ebenso Bedeutsames begeben wie in seinem Geschicke als Machtträumer und Führer. Die Hauptereignisse des Ägyptenfeldzuges sind in Kürze die folgenden: Drei Wochen nach dem Aufbruche wurde Malta in einem Tage genommen; am 30. Juni Landung in Ägypten, 2. Juli Einnahme von Alexandria, 21. Juli die Schlacht bei den Pyramiden und 25. Juli Einzug in Kairo, so daß in kaum einem Monat Ägypten erobert war. Die Rückschläge beginnen am 1. August mit der Zerstörung der französischen Flotte bei Abukir durch die Engländer unter Nelson. Im September erklärt die Türkei Frankreich den Krieg. Im Oktober wird der Aufstand der Bevölkerung von Kairo im Blute erstickt. Um einem türkischen Angriff gegen Ägypten von Syrien aus zuvorzukommen, beginnt Bonaparte im Februar 1799 den Zug gegen Syrien. 7. März Einnahme von Jaffa, Hinschlachtung von mehreren tausend Gefangenen. Nach der vergeblichen Belagerung von Akkon (Saint-Jean d'Acre) am 20. Mai Rückzug nach Ägypten. 25. Juli siegreiche Schlacht bei Abukir über die von den Engländern unterstützten Türken. Am 23. August verläßt Bonaparte Ägypten.
Während seiner Abwesenheit war der größere Teil des von ihm eroberten Italiens wieder verlorengegangen. Am 15. August 1799 die unglückliche Schlacht bei Novi, in der der Oberkommandierende Joubert fällt.
Inzwischen hatte sich auch die Zusammensetzung des Direktoriums geändert, in dem nun Sieyès einen Sitz hatte.

Während der abenteuerliche Zug über das von einer gewaltigen feindlichen Flotte beherrschte Meer in ein Land, von dem Europa mehr aus mythischer als aus Gegenwartsgeschichte wußte und dessen stürmische Inbesitznahme Bonaparte trotz des ergebnislosen Syrienunternehmens noch berühmter machte als sein Italienfeldzug, wurde er selbst angesichts der opferreichen Unfruchtbarkeit dieses Sieges seines größeren Orienttraumes satt und sah sich wieder und nun endgültig auf Frankreich verwiesen. Die Nachrichten, die er von dort empfangen hatte, waren spärlich und vielfach einander widersprechend; so konnte er den ungeheuren Ruhmesgewinn aus diesem Unternehmen vorerst noch nicht voll ermessen und mußte sich mit der Hoffnung bescheiden, daß der Augenschein ihn zur rechten Zeit lehren würde, wie er mit diesem Frankreich zurechtzukommen habe. Anders erging es ihm mit der schmerzlichen Gefühlsverworrenheit aus seinem Ehestande, in der ihm hier in Ägypten Klarheit und heilsamer Entschluß aufgegangen schienen. Von welchen Gliedern der bonapartischen Familie die kaum mehr mißzuverstehenden Hinweise auf Josephinens Verhalten gekommen waren, ist nicht mehr festzustellen. Bourrienne behauptet, daß Bonaparte endlich in seiner nicht mehr zu bändigenden eifersüchtigen Wut und Gekränktheit Junot gestellt habe; Junot, seinen ersten Adjutanten aus der Zeit, da er der soldlose Brigadegeneral im schäbigen Rocke gewesen war, den Freund Junot, der nun durch seine Heirat mit Laure Permon, der Tochter der einst von Bonaparte selber umworbenen Madame Permon, Josephinens näherem Kreise angehörte und von allem Geschehenen unterrichtet sein mußte: von all dem Geschehenen, von dem nun jeder zu wissen schien außer dem einen, den es am meisten anging. Bourrienne, der Sekretär Bonapartes, berichtet in seinen Memoiren, daß der in die Enge getriebene Junot schließlich gesagt habe, was er nicht mehr verschweigen konnte. Junot beteuert (ebenso wie Berthier), daß er Bonaparte nichts erzählt habe. Wenn man aus den Charakteren der Beteiligten schließen will, ist es am wahrscheinlichsten, daß Bourrienne selber gesprochen hat. Nun war es Bonapartes Art nicht, in langem Grämen das Reifen eines Entschlusses abzuwarten, und am wenigsten mochte er es hier so halten, wo eine früh geschlagene und immer wieder aufgerissene Wunde durch diese nunmehrige Gewißheit ihm wie mit einem Glüheisen ausgebrannt und endgültig verschorft schien. Zum ersten Male erfahren wir jetzt von ihm, der die wahrscheinlichen flüchtigen Abenteuer seines Siegerweges scheu verborgen gehalten hatte, daß er sich mit einer jungen, hübschen, sprühend lebendigen Blondine, Pauline Fourès, der Frau eines Jägeroffiziers, den er alsbald nach Europa geschickt hatte, immer öfter öffentlich zeigte, so daß die Schöne nach Art der beinamenfreudigen Zeit von der Armee bald »Notre Souveraine de l'Orient« zubenannt wurde. Er habe dann die öffentlichen Spazierfahrten mit ihr, so heißt es, erst eingestellt, als ihm berichtet wurde, wie unglücklich Josephinens Sohn Eugène darüber sei.

Von Bonapartes Stimmung nach der gewonnenen Gewißheit über Josephinens Untreue legt der nachfolgende Brief an den Bruder Joseph Zeugnis ab: »... Ich kann in zwei Monaten in Frankreich sein. Ich lege Dir meine Interessen ans Herz. Ich habe vielen häuslichen Kummer, denn der Schleier ist nun gänzlich gehoben. Du allein bleibst mir auf der Erde, Deine Freundschaft ist mir sehr teuer, und um ein Menschenfeind zu werden, fehlt mir nur noch, sie zu verlieren und zu sehen, daß Du mich verrätst ... Es ist eine traurige Lage, sämtliche Gefühle für dieselbe Person zugleich in einem einzigen Herzen zu haben ... Du verstehst mich. Sieh zu, daß ich nach meiner Rückkehr einen Landsitz habe, entweder bei Paris oder in Burgund; ich rechne darauf, dort den Winter zu verbringen und mich einzuschließen, ich bin der menschlichen Natur überdrüssig. Ich bedarf der Einsamkeit und der Abgeschlossenheit, die Größe langweilt mich, das Gefühl ist mir ausgetrocknet. Der Ruhm ist mir mit neunundzwanzig Jahren schon schal, ich habe alles ausgeschöpft, es bleibt mir nichts mehr übrig, als recht wirklich ein Egoist zu werden. Ich beabsichtige, mein Haus zu behalten, ich werde es niemals wem immer geben. Ich habe gerade nur noch genug, um zu leben. Leb wohl, mein einziger Freund; ich bin niemals ungerecht gegen Dich gewesen; diese Gerechtigkeit mußt Du mir zuerkennen, trotz dem Wunsch meines Herzens, es zu sein ... Du verstehst mich.«

In dieser Zeit verdüsterter Besinnlichkeit las Bonaparte sehr viel, und unter den Stellen, die er anmerkte, findet sich in einer philosophischen Erzählung von Mercier die folgende: »Inmitten der glänzenden, ihm zu Ehren gegebenen Feste vernahm er eine Stimme, die ihm zuflüsterte: Du wirst in Verbannung und Vergessenheit sterben

Im übrigen deutet alles darauf hin, daß es der Jugend und Anmut dieser blonden Madame Fourès eben nur gelungen sei, in Bonaparte ein nicht sehr dauerhaftes Sinnenfeuerchen zu entzünden, und daß eher ein leidender knabenhafter Trotz ihn dazu gebracht hatte, dieses im Innersten doch nicht sehr tröstliche Abenteuer vor der Familie seiner Armee, die er Mitwisserin seiner Scham und Trauer glaubte, zur Schau zu stellen. So mag es ihm nicht schwergefallen sein, dem jungen Eugène zuliebe dieses Affichieren wieder aufzugeben, zumal er nun zu dem kaum achtzehnjährigen Sohne Josephinens, der ihm stets lieb gewesen war, in ein sonderliches Verhältnis gekommen war. In einer Mischung von Gefühlen, in denen ebensosehr das, was man heute Übertragung nennt, wie das Streben, in einem Josephinen so nahen Wesen einen Parteigänger zu finden, zusammenwirkten, hatte er gerade Eugène zu seinem Vertrauten gemacht und diesen redlichen Jungen, der von Liebe für seine Mutter und von jünglinghafter Schwärmerei für den jungen Stiefvater erfüllt war, in eine heftige innere Verwirrung gebracht. Doch dieser Jüngling war mit seinem Beieinanderwohnen von Unschuld und früh erworbener Weltkenntnis genugsam Kind seiner Zeit, um zu wissen, daß fast alle Frauen, denen er begegnet war, Liebhaber gehabt hatten oder noch hatten, so mochte ihm das Problem dieses Ehebruches seiner Mutter, das den bewunderten Bonaparte so völlig außer Fassung brachte, allem zuvor als ein praktisches erscheinen; nämlich als das, die Mutter instandzusetzen, ihre ja so oft bewiesene Macht rechtzeitig an dem zu erweisen, was sich da als immer drohenderer Entschluß zusammenzuziehen schien. Eugène mochte vorerst noch gehofft haben, daß Josephine, wie das ja geplant gewesen war, bald nach Ägypten nachfolgen und den beleidigt leidenden Gatten beschwichtigen würde, ehe sein Entschluß, die Ehe zu lösen, bei ihm selber feststand und ehe auch die Bonapartische Familie in ihrer Abneigung gegen Josephine weiterschürend das Ihre dazu tun könnte. So schrieb er der Mutter den folgenden Brief: »... Seit fünf Tagen scheint Bonaparte sehr traurig zu sein, und das ist infolge einer Unterredung über ihn gekommen, die er mit Julien, Junot und sogar Berthier gehabt hat; er war von diesen Gesprächen mehr betroffen, als ich geglaubt hatte. Alle die Worte, die ich gehört habe, kamen auf das zurück, daß Charles in Deinem Wagen bis drei Poststationen vor Paris mit Dir gefahren ist, daß Du ihn in Paris gesehen hast, daß Du mit ihm in der Italienischen Oper in einer Loge im vierten Rang warst, daß er Dir Deinen kleinen Hund geschenkt hat und daß er sogar eben jetzt noch bei Dir ist: das ist in abgerissenen Worten alles, was ich habe verstehen können. Du kannst Dir wohl vorstellen, Mama, daß ich das nicht glaube. Aber sicher ist, daß der General davon sehr getroffen ist. Indessen verdoppelt er seine Freundlichkeit gegen mich. Er scheint durch seine Handlungen sagen zu wollen, daß die Kinder nicht für die Verfehlungen ihrer Mutter einzustehen haben. Aber Dein Sohn beliebt zu glauben, daß all der Klatsch von Deinen Feinden erfunden worden ist. So liebt er Dich darum um nichts weniger und wünscht um nichts weniger, Dich zu umarmen. Ich hoffe, daß alles vergessen sein wird, wenn Du kommst ...«

Aber als dieser Brief geschrieben wurde, war Josephine von der Absicht, die Reise nach Ägypten zu unternehmen, schon so weit entfernt wie von Ägypten selber. Und dieser Brief, der sie vermutlich dennoch zu der Reise bestimmt hätte, erreichte ebensowenig sein Ziel wie der vorher angeführte, den einen Tag später Bonaparte an seinen Bruder Joseph geschrieben hat. Das Kurierschilf wurde von einem englischen Kreuzer gekapert, und eine Reihe der vorgefundenen Briefe wurde noch im selben Jahre in England veröffentlicht; so hatten recht viele Leser dieser Indiskretion weit eher eine Ahnung von dem, was sich über Josephine zusammenzog, als die also Bedrohte und Gewarnte selber. Und auch Joseph bekam die so herbeigewünschte Handhabe gegen die ihm herzlich unliebe Schwägerin nicht in die Hand, auf Grund deren er hätte an die Einleitung der Scheidung denken können. Immerhin brauchte er so aus den ihm von dem Bruder anvertrauten Summen wenigstens nicht den Landsitz zu kaufen, sondern verfügte darüber so eigenmächtig, daß von dem beträchtlichen ihm übergebenen Vermögen schließlich für Napoleon so gut wie nichts übrigblieb. Es hat jedoch ganz den Anschein, als ob dank dem privaten Spür- und Späherdienste, für den die bonapartische Familie sich immer neue Postverbindungen zu schaffen gesucht hatte, doch irgendwelche Nachrichten über die Stimmungsänderung Napoleons an die Geschwister gelangt wären. Denn sonst hätte es Joseph kaum gewagt, die Wahrung der Interessen des Bruders so weit zu treiben, daß er, während er sich selber ein Landgut kaufte und die größten Aufwendungen für die Familie machte, mit den Josephinen ausgesetzten Summen immer mehr zurückhielt. Als dann gar Bonaparte immer länger wegblieb, als seit der Zerstörung der französischen Flotte bei Abukir die Nachrichten über ihn immer unsicherer und übertriebener wurden und man nicht mehr wissen konnte, ob er überhaupt noch zurückkehren werde, hatte Josephine ihre beste Zeit mit der bonapartischen Familie, da sich sämtliche Mitglieder meist ferne von ihr hielten und alle die Komplöttchen und Intrigen ihr vorderhand unmerklich blieben. Bonaparte, mit dem sie alles in allem noch kaum ein Jahr zusammengewesen war, war zu einem jener Abstrakta geworden wie etwa ein Titel, dessen Vorteile man genießt; und das heitere und erheiternde Konkretum Hyppolite Charles war nun so selbstverständlich da, wie es jetzt schon an die zwei Jahre dagewesen war, nur eben ungestörter. Und während um Bonaparte ein neuer fremdländisch unheimlicherer Gesang des Heldengedichtes aus schnellem Sieg und großem bösen Abenteuer wuchs und nun auch der junge Eugène mit war in dieser Epopöe-Welt mit Wüstendurchquerungen in brennendem Durst, wilden Gefechten, ungeheuerlichem Hinmetzeln von Tausenden, voll Pest und Verzweiflung der von der Heimkehr abgeschnittenen Männer, trieb es Josephine, wie sie es alle die Jahre getrieben hatte. Nur vielleicht noch ein wenig rastloser, weil das, was Form und Inhalt dieses Lebens zugleich war, das, worum es ging, worauf alles ankam, sich immer schauriger und schneller aufbrauchte und sie, wie damals das Fallbeil, jetzt den Tag drohen fühlte, da kein Mann mehr sie begehren würde, am Ende gar vielleicht nicht einmal mehr Bonaparte.


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