Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Der Blutbrunnen zu Cawnpur

Der Ausbruch der Empörung in Bithoor bei dem Ball im Schlosse Nena Sahibs war das Signal zur Erhebung des Audh und des ganzen Zentral-Indiens.

Während am andern Morgen die Königin von Audh eilig nach ihrem alten Herrschersitz aufbrach um Lucknow und das Rohilcand in Flammen zu setzen, eilte die kühne Rani von Ihansi zurück nach ihrer Residenz und erhob offen die Fahne des Kampfes gegen die Engländer.

Die Nachricht von der Befreiung Delhis und der Erhebung des Nena ging wie ein Lauffeuer durch das Land, und bald hatte die Empörung so überhand genommen, daß eine Unterdrückung derselben mit den vorhandenen Kräften der Kompagnie nicht mehr möglich war, obschon fast durchgängig die Sikhregimenter und die Ghurkas, die nepalesischen Bergbewohner, unansehnliche, aber kühne und ausdauernde Soldaten, treu geblieben waren.

In Ihansi waren sämtliche Europäer, fünfzig an der Zahl, darunter Frauen und Kinder, ermordet worden.

Wir haben bereits erzählt, daß General Lawrence, der Gouverneur von Audh, sich von Bithoor eilig nach der Hauptstadt Lucknow zurückzog, von Sir Mallingham und seiner Gattin begleitet. Lucknom war ein wichtiger Punkt und der General traf eilig seine Vorbereitungen. In der Nacht vom 30. zum 31. Mai begann das 71. Nativ-Infanterie-Regiment die Meuterei, indem es die Bungalows der Europäer in Brand steckte, mehrere Offiziere erschoß, und den Versuch machte, sich der Kanonen zu bemächtigen. Zweihundert Europäer, einige Kompagnien des 48. und 13. einheimischen Infanterie-Regiments und die einheimische reitende Artillerie, sowie das 7. Reiter-Regiment, waren hinreichend zur Vereitelung des Angriffs auf die Geschütze. Am Morgen des 31. Mai suchten die Empörer sich zu organisieren, wurden indes von der Artillerie, der britischen Infanterie und den Reitern vom 7. Regiment zersprengt und bis nach Mudkipur, zehn englische Meilen von Lucknow, verfolgt, wobei ihnen eine Menge Leute getötet und gegen hundert gefangen wurden.

Aber kaum von diesem Siege zurückgekehrt, empörte sich das 7. Reiter-Regiment zum größern Teil, das 13. Nativ-Regiment ging gleichfalls zu den Feinden über und von dem 48. blieben nur etwa 100 Mann treu.

So sah sich Sir Henry Lawrence genötigt, die weitläufige Stadt aufzugeben und sich in die stark befestigte Residenz und in das von ihm erbaute Fort Mutschi-Baban zurückzuziehen. Lucknow zählte, wie alle großen orientalischen Städte, eine bedeutende Anzahl von Müßiggängern, welche allen Christen fanatisch feindlich gesinnt und stets zu Angriffen auf ihr Leben und Eigentum bereit sind. Diesen predigte ein von Bithoor gesandter Fakir den Krieg gegen die Ungläubigen; sie rotteten sich zusammen, ermordeten in der Nacht zum 1. Juni einen Engländer, der unbesonnen sich aus der Residenz in seine frühere Wohnung gewagt hatte, entfalteten dann die grüne Fahne des Propheten und nahmen, verstärkt durch zwei empörte Sepoy-Kompagnien, 2000 Mann stark, in Hooseinabad, westlich der Stadt an den Ufern des Coomten, welcher Lucknow im Norden begrenzt, eine Stellung. Hier wurden sie von dem Kapitän Carnegie, der mit einigen treu gebliebenen Truppen und den Peons oder Polizeisoldaten gegen sie marschierte, zersprengt, und als sie sich in der Nacht wieder auf einer andern Stelle der Stadt gesammelt, nochmals auseinander getrieben, wobei sie viele Tote und Gefangene verloren.

General Lawrence verkündigte jetzt das Standrecht, zwei permanente Kriegsgerichte wurden eingesetzt und eine Menge Aufrührer unmittelbar nach ihrem Verhör gehenkt. Die kräftigen Maßregeln wirkten, die Bazars in der Stadt öffneten sich wieder, das Vertrauen kehrte zurück. Am 2. Juni wurden die Polizei und die treugebliebenen einheimischen Offiziere mit Geld belohnt und die kleinen europäischen Posten in der Nachbarschaft zur Sicherung der Stadt herbeigezogen. Alle christlichen Einwohner schlossen sich den Truppen als Freiwillige an. Die Ruhe schien wieder hergestellt. Sir Robert Mallingham blieb auf das Betreiben seiner Gattin in Lucknow, als dem sichersten Ort, da eine Reise durch das rings empörte Land gefährlich war; denn täglich gingen Nachrichten über die weitere Ausdehnung der Empörung ein. In Allahabad und Benares war gleichfalls die Empörung ausgebrochen.

Allahabad ist militärisch wie kommerziell ein sehr wichtiger Punkt für die britische Herrschaft, da die Stadt am Zusammenfluß des Ganges und der Dschumna liegt und dadurch einen Wallfahrtsort der Hindus bildet, an dem jährlich über 200 000 Pilger zusammentreffen. Die Empörung brach hier am 5. Juni aus. Ein Regiment Sepoys, das sich zuerst treu bewiesen und sogar gegen Delhi geführt zu werden verlangt hatte, schlug plötzlich um und ermordete in der Nacht gegen 50 Offiziere, die außerhalb des Forts eben am Meßtisch saßen, darunter zehn junge Kadetten, die kurz zuvor aus England eingetroffen waren. Die Empörer bemächtigten sich der Brücke, die hier über den Ganges führt, und begannen dann mit dem Pöbel die Stadt zu plündern. Ein Mahomedaner stellte sich an ihre Spitze, nannte sich den Statthalter des Kaisers von Indien und ließ alle Europäer, die ihm in die Hände fielen, hinrichten. Auch ein Sikhregiment beteiligte sich an der Meuterei.

Auf diese Nachricht eilte Murad Khan, der tapfere junge Häuptling der Sikhs herbei. Mit seiner Hilfe gelang es der Energie des Obersten Neil, der in Allahabad kommandierte, des Aufstandes Meister zu werden. Er hatte für diesen Zweck nur eine Handvoll Engländer, eine Kampagnie Madras-Füsiliere und ein treugebliebenes Sikhbataillon, sowie eine Anzahl bewaffneter Zivilisten, die sich ihm als Freiwillige angeschlossen. Durch den Willen und die Überredung Murad Khans bezwungen, verließ das Sikhregiment die Reihen der Empörer und kehrte zum Gehorsam zurück. Als man in die Straßen vordringen konnte, wurden alle Eingeborenen, welche irgend Widerstand zeigten, niedergestochen. Nachdem die Stadt beruhigt und besetzt war, schifften sich die Europäer auf einem Dampfer zur Verfolgung der längs des Flusses hin fliehenden Insurgenten ein, töteten alle, welche sie erreichen konnten und zündeten jedes Dorf an, wo sie Bewaffnete trafen. Dann wurden Kommissionen zur Aburteilung der Schuldigen niedergesetzt und eine Woche lang wurden täglich Dutzende derselben gehenkt.

Ebenso gelang es, den Aufstand in Benares, der heiligsten Stadt der Hindus, zu Ausbrüchen des Fanatismus besonders geneigt, mit Energie niederzuschlagen, indem die Artillerie das empörte Fußvolk mit Kartätschenlagen zu Paaren trieb. Der Galgen war hier permanent und seine drei Stricke wurden selten leer. Ein Radschah mit seinen beiden Wessieren waren die ersten, die daran aufgeknüpft wurden, bloß weil sie im Verdacht standen, die Unruhen zu begünstigen.

Aber an hundert anderen Orten siegte die Empörung und wurden die Engländer vertrieben oder ermordet. Selbst in der Nähe von Kalkutta, in Barakpur meuterten die Regimenter, und um die Mitte des Juni waren bereits zwei Drittel der Armee von Bengalen in vollem Aufstand.

Kehren wir nach Cawnpur zurück, als dem Punkt, der zunächst von dem Ausbruch der Empörung in Audh bedroht war.

Von beiden Seiten wurden hier Fehler begangen. Es war eine große Unvorsichtigkeit vonseiten des General Lawrence, daß er das Sikhregiment, das in Cawnpur garnisonierte, auf die Botschaft des Generals Barnard nach Delhi marschieren ließ und nach Lucknow eilte, statt sich sofort mit allen treu gebliebenen Truppen gegen das allerdings durch seine natürliche Lage sehr feste Bithoor zu wenden und den Nena anzugreifen. Da dieser aber sich anfangs – von den Szenen des Balles tief erschüttert und in einem halb wahnwitzigen Zustand nach dem wirklichen Tode der Geliebten – ruhig verhielt, glaubte man Cawnpur nicht gefährdet oder kräftig genug, Widerstand zu leisten. Erst nach der Unterdrückung des ersten Aufstandes in Lucknow und auf die Botschaft, daß die Sepoys der Garnison bereits zum großen Teil zu den Empörern übergegangen waren, sandte der Gouverneur von Audh 84 Europäer dem General Wheeler zur Verstärkung.

Nena Sahib hatte gleichfalls, im tiefsten seiner Seele durch das schreckliche Ende der Gattin verwundet, die Zeit verstreichen lassen, statt sofort die erste Überraschung der Engländer zu benutzen und sich auf Cawnpur oder Lucknow zu werfen. Ein Fieber mit gräßlichen Phantasien voll Tod und Blut fesselte ihn fast zwei Wochen lang ans Lager, das Doktor Walding bei Tag und Nacht kaum verließ. Da die großen Führer und Lenker des Aufstandes: Tantiah Topi und der Derwisch Sofi, sowie Major Grimaldi sich in Delhi befanden, leitete Baber Dutt, sein Bruder, die Anstalten und mußte sich begnügen, das Heer der Aufständischen zu verstärken, das sich in Bithoor sammelte.

Erst in den letzten Tagen des Mai erhob sich der Nena, ein verwandelter Mann, von seinem Krankenlager. Das finstere Schweigen war einer fieberhaften Tätigkeit gewichen, einer Überreizung der Sinne und des Geistes, die ihn keinen Augenblick rasten ließ.

Seine Wangen waren eingefallen, dunkle Ränder lagen um seine Augen, und der sarkastische grausame Zug um seinen Mund hob sich in tiefen Falten hervor.

Mit Walding hatte sich Anarkalli, die Tänzerin, in die Pflege des Kranken geteilt. Sie wechselten in den Wachen an seinem Lager, ihre Hand reichte ihm sorgsam zur bestimmten Stunde die Medizin, und ihr Auge schien jede Spur der fortschreitenden Genesung mit Gier zu verschlingen.

Während dieser sorgfältigen Pflege fand sie, wie der Arzt bemerkte, Zeit und Gelegenheit, täglich mit fremden Personen des verschiedensten Standes zu verkehren, die ihr Nachrichten aus Cawnpur brachten.

Während der ersten Tage des bewußtlosen Zustandes des Nena war die Leiche seiner unglücklichen Gattin der Ruhe der Erde übergeben worden.

War es Zufall oder Verhängnis – der Arzt, der die Anstalten leitete, hatte denselben friedlichen und schönen Platz gewählt, der unter dem Gesang des Bulbul und dem Rauschen der Fontäne die sterbliche Hülle der jungen Prinzessin der Shiks barg. Ohne Ahnung von dem schrecklichen Opfer des Thugs, dessen Tod so weit reichende und traurige Folgen für die Befreiung Hindostans haben sollte, gruben die Männer das Grab der Gattin des neuen Peischwa dicht an der Ruhestätte Mahannas und des alten Schotten, der ersten Opfer der Herrschaft des Nena über die Kinder der Finsternis.

Als der Bahadur am elften Tage die Augen aufschlug, die Hand an die Stirn legte und sein erstes Wort mit dem Blick voll Haß und Racheglut der Name »Rivers« und eine Verwünschung des Verdammten war, legte die Bajadere den Finger auf seinen Mund.

»Möge die Hoffnung Hindostans schlafen und in der Ruhe neue Kräfte gewinnen. Sein Feind hat die Mauern Cawnpurs nicht verlassen. Er ist in seiner Hand und wird seiner Rache nicht entrinnen. Die Krieger des Srinath umgeben die Stadt auf allen Seiten.«

Der Nena zog einen kostbaren Diamant vom Finger und reichte ihn der Tänzerin. Mit diesem Trost, den er erhalten, sank der Kranke in neuen Schlummer; mit diesem Trost erholte er sich wunderbar von Stunde zu Stunde. Am fünfzehnten Tage nach dem Ball bestieg er sein Roß und sprengte gen Cawnpur, – sechs Stunden nachher war die Stadt ringsum von einer Postenkette der Sepoys umgeben, die der Nena selbst aufgestellt und revidiert hatte.

Jede der Abteilungen war von einem seiner Vertrauten, einem jener furchtbaren Kohorte befehligt, die er selbst sich gezogen, den Männern von Stahl und Eisen, den geborenen Feinden der Engländer, bis auf Gibson, den Tigerjäger, den die Liebe zu seinem Zögling, der gewohnte Gehorsam, gleichgiltig gegen sein Vaterland gemacht hatte.

Als der Nena wieder im Schloß zu Bithoor anlangte, ließ er den unglücklichen Bruder seines Weibes kommen.

»Eduard O'Sullivan, mein Bruder,« sprach er zu ihm – »die Stunde der Vergeltung ist gekommen, die uns noch einmal die bösen Götter aus der Hand gewunden, in der wir sie hielten. Freue dich, Bruder Margaretens! Bei dem Tod, der im Verborgenen trifft, ehe der Mond wechselt, will ich die Zunge des Verräters ausreißen und dir geben, will ich seine Arme unter tausend Martern vom Leibe hauen und an die Stelle der deinen setzen, und wehe dem, der es noch einmal wagt, dem Tiger von Bithoor seine Beute streitig zu machen!«

Ein drohender furchtbarer Blick streifte bei den Worten das ruhige, feste Auge des Arztes, dem der Nena sonst mit großer Achtung und Freundschaft begegnete.

Von diesem Augenblick an durfte der Verstümmelte den Nena nicht mehr verlassen.

General Wheeler erkannte die Unmöglichkeit, die Stadt zu halten. Nach kurzem Kriegsrat wurde beschlossen, selbst das Fort aufzugeben, als dem Geschützfeuer zu sehr ausgesetzt, und das auf dem höchsten Punkt des Ufers belegene Lazarett mit der anstoßenden Kaserne zu befestigen.

Hierhin zog sich General Wheeler mit seinen geringen Streitkräften zurück, – etwa 50 englischen Artilleristen, 80 Mann, die ihm nach der Unterdrückung des ersten Aufstandes in Lucknow Sir Henry Lawrence unter dem Kommando der Leutnants Thompson und Delafosse zu Hilfe gesandt, und an 50 Offizieren verschiedener Regimenter, die, aus ihren Garnisonen vertrieben, sich hier versammelten, nebst den europäischen Beamten und Kaufleuten der Stadt. Die Zahl der waffenfähigen Europäer betrug etwa 250 bis 260, die Zahl der Frauen und Kinder, die zu ihnen gehörten: 240.

Noch während der Krankheit des Nena hatte General Wheeler durch einen Indier einen anonymen Brief erhalten, in welchem ihm der Schreiber in englischer Sprache anbot, die Frauen und Kinder sicher nach Allahabad geleiten zu wollen, und versicherte, daß Baber Dutt, der Bruder des Peischwa, diese Flucht gestatten wolle. Die Handschrift schien dem General nicht unbekannt; – als Editha sie sah, wurde sie tief bewegt, denn sie hatte einen gleichen Brief erhalten – aber zu aufopfernd und edel, um ihre Verwandten in der Stunde der Gefahr zu verlassen, verschwieg sie, daß sie wohl wußte, man könne auf die Redlichkeit des Schreibers bauen, und General Wheeler, die Gefahr nicht so groß wähnend und sicher auf baldigen Ersatz hoffend, schlug das Anerbieten aus. Nur eine Frau mit zwei Kindern fand sich an der im Briefe bezeichneten Stelle ein: – sie wurde von Ralph, dem Bärenjäger, und Gibson empfangen und über die Wachen der Sepoys hinaus an die Ufer des Ganges gebracht, wo sie ein Schiff aufnahm und sicher nach Allahabad brachte.

Diese Bewilligung war das Geschenk Baber Dutts an den deutschen Arzt für die Pflege seines Bruders, und Walding verstand wohl die Warnung in den Worten des Nena. Er vermochte nichts mehr zu tun und mußte das weitere dem Willen Gottes überlassen.

Am 5. Juni zog Nena Sahib unter dem Triumphgeschrei des fanatisierten Volkes, das ihn als seinen Helden, als den Befreier Indiens begrüßte, in Cawnpur ein. Achttausend Sepoys, Reiter und Fußvolk, mit 35 Kanonen begleiteten ihn.

Die Engländer im Innern ihrer Verschanzungen hörten das Geschrei des Pöbels, sie sahen von den Parapets ihrer kleinen Bastion die drohende Wolke der Feinde sich gleich einer Schlange um die Stadt im Halbkreis ringeln, dessen Sehne die breite Fläche des heiligen Stromes war.

General Wheeler selbst lag krank in den gewölbten Räumen des Lazaretts, von seiner Tochter und seiner Nichte gepflegt, während sein Sohn die Dienste eines Adjutanten versah und mit seinen Kameraden die Armierung der kleinen Wälle leitete.

Noch in der Nacht begann der Kampf, indem die Artillerie des Nena ihr Feuer gegen die Verschanzung eröffnete. Die Kanonade dauerte mit kurzen Unterbrechungen den ganzen Tag fort. Die große Geschicklichkeit der europäischen Artilleristen wurde durch das schwere Kaliber der Artillerie des Nena wieder aufgewogen.

Dagegen taten fortwährend die Endfield-Rifles der Engländer den Sepoys bedeutenden Schaden.

Der Tag verging unter diesem gegenseitigen Plänkeln. Jedermann begriff, daß es nur das Vorspiel eines blutigen Ernstes war.

Der Tag ging rasch in die Nacht über und die Belagerten stellten ihr Feuer ein, um nicht ihre ohnehin geringe Munition unnütz zu schwächen, während der Feind in seiner Kanonade fortfuhr. Oberstleutnant Stuart befahl, die sechzehn Kanonen des Forts mit Kartätschen zu laden. Im Schutz der Dunkelheit gelang es, sechs von dem kleinsten Kaliber auf das flache Dach der Kaserne und des Hospitals zu schaffen.

Von Zeit zu Zeit schlug eine Vollkugel der nächsten Hindubatterie gegen die festen Mauern oder fuhr in den Erdwall, die Bresche erweiternd, die das Feuer des Tages bereits darin gerissen. Eine Anzahl von Männern, von zwei zu zwei Stunden sich ablösend, war unter Leitung des Leutnants Halliday beschäftigt, die schmale Schranke auszubessern, die nebst ihrem Mut sie allein vor den Säbeln der Feinde schützte.

Es mochte gegen 11 Uhr sein, als zwei Frauengestalten in schwarze Mantillen gehüllt, aus der Tür des Hospitals traten, in dem die Kranken, die Frauen und Kinder, untergebracht waren. Sie trugen kleine Körbe am Arm und trippelten über den freien Platz hinweg nach dem Wall, an dem die dunklen Schatten der arbeitenden und wachehaltenden Männer sich abzeichneten.

In der Nähe der Bresche trat ihnen ein Offizier entgegen. »Was wollen Sie hier, meine Damen? Es ist Befehl gegeben, daß die Frauen das Hospital nicht verlassen sollen. Kehren Sie zurück in das Gebäude.«

Die Stimme machte eine der Frauen erbeben. »Leutnant Sanders,« sagte sie leise, »wird uns nicht hindern wollen, auch unsererseits eine Pflicht zu erfüllen. Wir wollen jenen Männern, die so angestrengt für unsere Sicherheit arbeiten, eine Stärkung bringen.«

Der Offizier hatte bei dem ersten Wort, das sie sprach, seine Verlobte erkannt. Nach jener Erklärung im Garten des Palastes zu Bithoor war es das erstemal, daß der Offizier der Geliebten ohne andere Zeugen als ihre Kusine nahe war.

»Miß Highson,« sagte er mit einiger Verlegenheit, »wird sicher meine Besorgnis desto mehr gerechtfertigt finden, nachdem ich sie erkannt. Ich kann nicht dulden, daß sie sich solcher Gefahr aussetzt.« »Ich wünsche Sie zu sprechen – wenn es sein kann, auf einige Augenblicke allein, und da dies nicht in dem Hospital geschehen kann, haben wir Sie aufgesucht.«

»Und Sie scheuten die Gefahr der Kugeln nicht, Sie...«

Das Mädchen machte eine stolze und ungeduldige Bewegung mit der Hand.

»Wenn Sie Halliday oder etwa Forbes einen kleinen Wink geben wollen,« lächelte ihre Begleiterin, »so wird sich vielleicht eine Gelegenheit finden, das Tête-à-Tête meiner hübschen und so erschrecklich ernsten Kusine nicht allzusehr zu stören.«

»Das Feuer des Feindes hat nachgelassen, es fallen nur noch einzelne Schüsse,« sagte der Offizier – »Halliday wird seine Anweisungen erteilt haben und abkommen können. Ich eile, ihn zu rufen, indem ich bitte, mir Ihre freundlichen Gaben anzuvertrauen.«

Er nahm die beiden Körbe und ging nach der Bresche. Bald darauf kam er in Begleitung eines zweiten Offiziers zurück. Halliday begrüßte erfreut die Tochter des Generals und zog sich mit ihr unter dem Schutz der aufgehäuften Faschinen und Erdkörbe zurück, während Editha ihrem Verlobten einen Wink gab, ihr zu folgen.

Sie stieg furchtlos zum Parapet des Walles hinauf und ging auf diesem entlang trotz der dringenden Bitten des Offiziers.

»Dieser Ort eignet sich am besten durch seine Verlassenheit zu dem, was ich Ihnen zu sagen habe. – Schicken Sie den Mann dort fort!« Sie wies auf einen Soldaten, der am nächsten Geschütz lehnte.

Der Offizier trat zu der Schildwacht, bedeutete ihr, daß er einstweilen den Posten versehen werde und schickte sie nach der Bresche hinunter, ihren Teil an den dorthin gebrachten Erfrischungen zu empfangen.

»Hören Sie mich an, Sir, und beantworten Sie mir die Fragen, die ich an Sie tun will. Ich kenne Sie als einen tapferen, mit dem Charakter unserer Gegner vertrauten Soldaten. Was halten Sie von unserer Lage? – aber antworten Sie mir, wie Sie einem Mann, einem Krieger antworten würden.«

Der Offizier zögerte einige Augenblicke. »Was ich Ihnen sagen könnte, ist nicht viel Tröstliches – ich fürchte, wir sind in einer bösen Klemme.«

»Und der Ersatz, von dem mein Onkel spricht, auf den alle hoffen?«

»Ich halte ihn für mehr als zweifelhaft. Die Ruhe in Lucknow ist trügerisch, ebenso in Allahabad und Benares. Das Schlimmste ist, daß man die Gefahr unserer Lage nicht einmal ahnen wird.«

Die Miß sann eine Weile nach. »Sie wissen, Sir,« sagte sie dann, »daß vor acht oder zehn Tagen dem General das Anerbieten gemacht wurde, alle Frauen und Kinder sicher nach Allahabad zu geleiten?«

»Ich weiß es, und ich bedaure jetzt schwer, daß ich nicht ernstlicher in Sir Hugh drang, das Anerbieten anzunehmen.«

»Der Vorschlag war aufrichtig und wahr. Ich kenne den, der ihn machte, und vertraue ihm.«

»Und wer war es – wenn ich fragen darf?«

»Es war ein Mann, der sich Ihnen und mir bewährte in der Stunde der Gefahr – derselbe, dessen Rat uns allein aus den Händen des Nena rettete, als wir der Rache zum Opfer fallen sollten für die fluchwürdige Tat, mit der man sein Herz zerrissen.«

»Doktor Clifford – ein Verräter seiner Landsleute, das Werkzeug und der Vertraute des Nena, unser Feind?«

»Clifford oder Walding,« sagte die Miß mit Festigkeit, – »welchen Namen er auch führen mag, er ist ein edler Mann und vielleicht unser Gegner, aber gewiß nicht unser Feind!«

»Ich will nicht mit Ihnen streiten, Miß, aber ich liebe die Männer nicht, die ihrer Farbe, ihrem Glauben untreu und die Freunde unserer Feinde sind. Der Anteil des Doktors an der Flucht des Sikhprinzen ist jetzt außer allem Zweifel.«

»Doktor Clifford ist der einzige Freund, nach dem, was Sie mir über unsere Lage gesagt haben, der uns retten kann. Ich habe viel über meine Pflicht nachgedacht und bin zu der Überzeugung gekommen, daß sie darin besteht, den geringen Einfluß, den ich vielleicht – auf Doktor Clifford besitze, zum Besten meiner Verwandten und Landsleute zu benutzen.«

»Aber was kann ich dabei tun, Miß?«

»Ich habe ihm geschrieben,« unterbrach ihn das Mädchen, »hier ist der Brief. Es ist nötig, daß er heimlich in seine Hände gelange. Vielleicht kennen Sie unter der Garnison einen Mann, der Kühnheit und Gewandtheit genug besitzt, sich in das feindliche Lager zu wagen und diesen Brief zu überbringen.«

»Weiß der General, Ihr Oheim, um Ihre Absicht, Miß?«

»Keine Seele – ich habe kein Recht dazu, Geheimnisse, die wir beide allein über Doktor Clifford wissen, zu verraten, und je weniger Personen um meine Absicht wissen, desto besser wird es für deren Erfolg sein.«

»Wohlan denn – ich kenne nur einen einzigen Mann, der mir Kühnheit und Schlauheit genug zu haben scheint, um den gefährlichen Gang mit einiger Aussicht auf Erfolg zu unternehmen.« Mickey, der Sergeantmajor und Proviantmeister des 31. Regiments kam von dem Teile des Walles langsam dahergeschlendert, dem sich die beiden Damen zuerst genaht hatten.

Er war unterdes herangekommen und blieb in einiger Entfernung von dem Paar stehen, bis der Leutnant ihn näher rief.

»Mickey Free,« sagte er, »es gibt zehn Pfund zu verdienen und uns allen einen großen Dienst zu leisten, der vielleicht die Garnison retten kann, wenn Ihr einwilligt.«

»Jäsus – zehn Pfund sagen Euer Gnaden? Soviel Geld hat meiner Mutter Sohn lange nicht beisammen gesehen. Und was soll ich tun dafür?

»Ihr versteht das Hindostani etwas?«

»All ihr Heiligen – was werd' ich nicht? Muß ich nicht für Oberst Stuart und die Offiziere mich genug herumzanken mit den schwarzen Halunken, um alle Tage eine Mahlzeit auf den Meßtisch zu stellen?«

»Ich meinte, ob Ihr genug Hindostanisch verständet, um Euch allenfalls in das Lager der Rebellen wagen zu können, ohne sofort erkannt zu werden?«

Der Irländer kratzte sich hinter den Ohren. »In das Lager der Pandys,Schimpfnamen, den die englischen Soldaten den empörten Sepoys gaben, nach dem ersten (Mungul Pandy), der wegen Verdachts der Meuterei gehängt wurde. meinen Euer Gnaden?«

»Ja wohl – der Mann, den Ihr zu sprechen suchen und dem Ihr den Brief übergeben sollt, ist Doktor Clifford und er befindet sich in der Nähe des Maharadschah von Bithoor.«

»Je nun – wenn's nicht anders sein kann – ich glaube, die Schufte mögen mich noch am besten leiden von allen. Muschla – ich habe da einen Kerl, – er nennt sich Nudschur Dschewarri, den könnt' ich beinahe einen Freund heißen, wenn der Halunke ein Christenmensch wäre. So ist er freilich nichts, als ein schmutziges schwarzes Vieh. Aber das tut nichts – er war der beste Korporal im ganzen Einunddreißigsten.«

»So wollt Ihr das Abenteuer wagen? Es handelt sich darum, sobald als möglich den Brief in des Doktors Hände und uns Antwort zu bringen.«

»Heiliger Sankt Patrik, was werd' ich nicht. Wenn Euer Gnaden mir nur Urlaub verschaffen wollen, damit ich nicht als Ausreißer gelte, will ich wahrhaftig den Rauch von des Nena Houkah in der Nase haben, eh' noch der Kerl seinen Rosenkranz beten kann!«

»Ich werde sofort für Eure Ablösung sorgen und Euch bei Oberst Stuart rechtfertigen. Vertrauen Sie gefälligst dem Mann den Brief an, Miß, und lassen Sie uns gehen.«

»Wenn ich den Sergeantmajor recht verstanden habe,« sagte Miß Editha, – »so will er sogleich sich auf den Weg machen. Lassen Sie mich hierbleiben, Sir, indes Sie einen Mann zur Ablösung befehlen.«

Der Offizier verneigte sich schweigend und entfernte sich, – er verstand, daß die Dame mit dem Boten allein zu sein wünschte.

Diese benutzte in der Tat die Gelegenheit.

»Wenn Sie Doktor Clifford sprechen, mein Freund, so geben Sie ihm diesen Ring zurück, er wird ihm zeigen, wer Sie sendet, und sagen Sie ihm, daß ich all meine Hoffnung auf ihn gesetzt habe und daß – wenn seine Anstrengungen uns nicht zu retten vermögen, Editha Highson auch in der Stunde des Todes seiner noch mit Achtung und Freundschaft gedenken wird. Gott geleite Sie auf dem gefährlichen Wege und sei Ihr Schutz!«

Der Irländer, mit mehr Takt und Gefühl, als man seiner rohen Natur hätte zutrauen sollen, beugte sich über die Hand, die sie ihm reichte, und küßte ehrerbietig ihre Fingerspitzen.

»Merry Dikson, der jungen Lady Kammerjungfer, hat mir viel Gutes von Ihnen erzählt, und die schwarzen Burschen sollen Mickey Free in einem Ölkessel sieden, wenn er sich nicht dankbar erweist für die Freundlichkeit, die Sie gegen das arme Mädchen gehabt haben. Sollten die Pandys mir ihren Hanf zu kosten geben, so mögen Ihr Gnaden der armen Merry sagen...«

Eine Hand legte sich auf seinen breiten Mund.

»Still – keinen Laut!« flüsterte die Stimme des Fremden. »Nieder auf den Boden, Miß Highson, damit Ihr lichtes Kleid uns nicht verrät! Keine Bewegung, so lieb Ihnen Ihr Leben ist!«

Der Fremde hatte beide in den Schutz der Brustwehr gedrückt. An der Stimme erkannte jetzt die Lady den Sprecher. »Major Rivers...« flüsterte sie erstaunt und bestürzt.

»Er ist es, Lady, und bedankt sich für die freundliche Rücksicht, die Sie auf seine Sicherheit nehmen,« sagte der Resident spöttisch. »Ehe fünf Minuten vergangen sind, werden wir sie hier haben – nein – Goddam! sie sind näher, als ich dachte!«

Er riß die Lunte, die in der Erde steckte heraus und sprang empor. »Der Feind, Kameraden! – Zu den Waffen! zu den Waffen!« schrie er mit aller Kraft seiner Lungen. Im selben Augenblick zischten ein Dutzend Flintenkugeln um ihn her, ohne ihn zu treffen, und ein wildes Geschrei, als sei eine Legion von Teufeln los gelassen, erfüllte die Luft. »Wartet Kanaillen – ich will euch die Überraschung verderben!« murmelte der Major.

Im nächsten Moment sprühte ein Feuerstrahl aus der Enceinte des Walles, und ein Hagel von Kartätschen rasselte über den Boden jenseits des schmalen Grabens, den die kleine Besatzung am ersten Tage des Rückzuges rings um die unsichere Verschanzung aufgeworfen.

Ein Stöhnen des Schmerzes, der Jammerruf der Sterbenden und Verwundeten antwortete dem Schuß, der wohlgezielt in die dichtesten Rotten der Anstürmenden getroffen hatte. Als die Sepoys sich entdeckt und die Besatzung zu ihrem Empfange vorbereitet sahen, brachen sie in Wutgeschrei aus, und unter dem Schlachtruf »Ram! Ram! Mahadeo!« stürzten sie sich in den Graben und begannen den Wall hinaufzuklimmen.

Es war ein Glück, daß die Kartätschenladung, welche der Resident zuerst dem heranschleichenden Feind entgegengesandt, diesen einige Augenblicke stutzig gemacht und sogleich durch das Feuer von dem Dach des Hospitals unterstützt worden war, denn die Stelle blieb mehrere Minuten lang nur von Rivers und dem Irländer verteidigt, und – wie strafbar und schändlich auch sonst der Charakter und die Handlungsweise jenes Mannes sein mochten – er bewies sich, wie schon oft im Augenblick der Gefahr, als ein kühner und tapferer Soldat, der, ohne seines Lebens zu schonen, mit der größten persönlichen Bravour Umsicht und Entschlossenheit vereinigte.

Das Geschütz noch einmal zu laden, daran war keine Zeit zu denken. Der Major stieß mit seinem Degen den ersten Sepoy nieder, der an dem Wall emporkletterte, während Mick den Wischer der Kanone gleich einer Keule handhabte und auf die Köpfe der Emporklimmenden niederschmetterte, indem er sich nicht versagen konnte, jeden seiner Hiebe mit einem entsprechenden Ausruf zu begleiten.

»Ha – Freund Pandy,« sagte er bei dem Blitzen der Schüsse – »ich glaube, ich kenne dein vermaledeites schwarzes Fratzengesicht. Bei der Seele meiner Mutter, Euer Gnaden, es sind unsere Schelme vom 31sten, die undankbarerweise auf mich schießen. Der Teufel gesegne ihnen die Mahlzeit.«

Unterdes waren bei der Stelle des ersten Alarms mehrere Soldaten und Offiziere herbeigeeilt und beteiligten sich an der Verteidigung. Unter den ersteren, die herzustürzten, befanden sich Sanders und Halliday.

»Um Gottes willen – wo ist Miß Highson? ist sie verwundet?« Rivers, der einen Augenblick Zeit gewonen, wandte sich zu ihr. »Fliehen Sie geschwind, Miß – die Gelegenheit ist günstig und dieser Platz wird bald zu heiß für Sie werden! Wenn es uns gelingt, den Sturm zurückzuschlagen, ist die Gelegenheit die beste für Ihren Boten, die er finden kann!« Er hob die Zitternde auf und trug sie den Wall hinab bis an den Eingang des Hospitals. Dann sah man ihn im Schein der Laterne, die im Eingang brannte, seine Brieftafel aus der Tasche ziehen, im dichten Kugelregen einige Zeilen kaltblütig auf ein Blatt schreiben, dies zusammenfalten und wieder in das Gefecht eilen.

Die auf die Plattform des Hospitals geschafften leichten Geschütze erwiesen sich jetzt als ein ganz vortrefflicher Beistand und warfen ihren Kartätschenhagel mit unwiderstehlicher Gewalt in die Reihen der Feinde. Die Offiziere schlugen sich wie die Löwen des Landes, das ihre Nation wider Recht und Natur seit hundert Jahren unter ihre Füße getreten.

General Wheeler hatte sich von seinem Krankenlager erhoben und leitete vom Eingang des Hospitals her die Verteidigung. Und zwischen den pfeifenden Kugeln, zwischen diesem Höllengewühl eilten die Soldatenfrauen furchtlos hin und her, ihren Männern und Freunden Munition zutragend oder die Verwundeten unterstützend und in den Schutz der Gebäude zurückgeleitend.

Von Zeit zu Zeit stieg eine Rakete von dem Dach der Kaserne, mit ihrem Funkenregen die Szene erleuchtend, oder eine Leuchtkugel warf minutenlang ihren hellen klaren Schein weit über die Gegend.

In diesem Licht übersahen die höher stehenden Verteidiger der kleinen Feste die Wogen von Feinden, die immer aufs neue, wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, gegen sie anfluteten.

Aber ein zweites emporflammendes Blaufeuer ließ diese geheimnisvolle Ursache deutlich erkennen – es war der Nena, der auf einem dunklen Pferde sitzend, umgeben von seinen Getreuesten, nicht weit von der Stelle, wo der erste Angriff geschehen, den Sturm leitete und Schar auf Schar gegen die Wälle sandte.

An seiner Seite stand ein Weib in der lockenden glänzenden Kleidung der Bajaderen. Ihr Auge war zufällig auf die Stelle des Walles gerichtet und ein lauter Schrei – selbst durch das Kampfgetöse hörbar – ertönte aus ihrem Munde.

»Dort – dort – da sind sie!«

Der Nena wandte sein dunkles Gesicht, seine Augen funkelten wie zwei Blitze herüber und kreuzten sich mit den Blicken seines Todfeindes, der einen Moment erbleichend zurücktrat.

Dann spornte der Maharadscha wütend sein Roß, das mit gewaltigen Sprüngen durch den Kugelregen bis an den Rand des Erdgrabens setzte, der die Verschanzung umgab. Aber so schnell das Roß auch war – die Bajadere blieb an seiner Seite, denn sie hatte neben dem Residenten den britischen Offizier erkannt, den ihre Liebe aus den unterirdischen Kerkern der Würgerburg befreit.

Die Augen der beiden Feinde blieben fest aufeinander geheftet – der Resident streckte die Hand zurück. »Ein Gewehr – rasch – ein Gewehr!« zischte seine Stimme durch die fest aufeinander gepreßten Zähne. Er wußte nicht, wer es ihm reichte – aber er fühlte die Waffe in seiner Hand und mit teuflischer Freude hob er sie zur Wange empor.

Der Nena streckte drohend die geballte Faust gegen ihn aus. »Verfluchter – du mußt sterben!«

»So geh voran!« Die Flinte lag fest und unbeweglich an der Schulter des Schützen – der Finger berührte den Drücker.

In demselben Augenblick erhob sich das Roß des Maharadschah zum Sprung – der Schuß krachte und Pferd und Reiter rollten übereinander in den Graben.

Der Resident warf zornig das Gewehr zu Boden. »Verdammt sei der Zufall!« Über den gefallenen Maharadschah her ballte sich ein Knäuel von Kriegern, mit ihren Leibern ihn deckend, kämpfend gegen die jubelnden Engländer, bemüht, den Führer tot oder lebendig unter der Last seines Rosses hervorzuziehen und ihn aus dem Getümmel zu schleppen. Aus diesem Gewühl tauchte ein funkelndes schwarzes Augenpaar, ein entstelltes Frauengesicht plötzlich vor Leutnant Sanders auf – »Anarkalli!«

Die Lippen schienen sich zu einer Verwünschung zu öffnen – die Hand, mit einem Dolche bewaffnet, erhob sich und stieß nach ihm. Nur durch eine rasche Wendung entging er dem sicher geführten Stoß, der abgleitend leicht seine linke Schulter verwundete.

»Geht zum Henker, schwarze Bettel!« Damit stieß der Irländer, der neben dem Leutnant focht, ziemlich unsanft seine eigentümliche aber wirksame Waffe gegen die Bajadere und stürzte sie von der Höhe des Walles herab.

Faust an Faust, Auge in Auge wütete hier der Kampf noch einige Minuten um den zu Boden gestreckten Hindufürsten fort; während der Ruf der Hindostani: »Der Peischwa ist erschlagen! Rächt den Peischwa!« an den anderen Stellen den Mut und den Eifer der stürmenden Sepoys minderte, während die rasch sich verbreitende Nachricht den Widerstand der Belagerten erhöhte – kurze Zeit noch, und ihr Triumphgeschrei verkündete von mehreren Orten zugleich, daß der Feind im Weichen begriffen sei.

Das scharfe Auge des Residenten hatte recht wohl erkannt, daß das Bäumen des Pferdes im entscheidenden Augenblick wahrscheinlich seine mit so großer Sicherheit abgesandte Kugel verhindert hatte, ihr Ziel zu erreichen. Indem er mit einem abscheulichen Fluch die Hoffnung aufgab, daß nur die Leiche seines Feindes der Lohn aller Anstrengungen seiner Krieger sein würde, benutzte er einen Augenblick des allgemeinen Ringens, sprang auf die Brustwehr und – den Hieb eines Säbels parierend – erfaßte er dessen Eigentümer, einen kecken, in fliegende orientalische Gewänder gehüllten und daran kenntlichen Hinduoffizier an der Kehle. Unter dem herkulischen Druck seiner Finger öffnete sich der Mund des Unglücklichen, nach Luft schnappend, seine Augen verdrehten sich und die Arme hingen schlaff am Leibe herunter, während der kräftige Arm des Briten ihn zu sich zog und über die Brustwehr in das Innere der Verschanzung schleuderte.

Ebenso rasch hatte er den Arm des Irländers ergriffen und ihn aus dem Kampfgewicht gezogen, indem er den halb bewußtlosen Hindu ihm zuwarf.

»Du und ich, mein Bursche, haben genug hier getan und können jetzt an unsere Interessen denken. In fünf Minuten werden die schwarzen Schufte uns für diesmal den Rücken wenden, also hilf mir, diese Beute in Sicherheit bringen.« Der Irländer hob den leichten Hindu wie ein Kind empor und schleppte ihn nach dem Hospital, aber Major Rivers, der ihm folgte, hielt ihn zurück.

»Nicht dorthin, Sergeantmajor – zuerst laßt uns unsere eigenen Geschäfte verfolgen – dem Galgen entgeht der Kerl nicht. Bindet ihm Hände und Füße – hier ist mein Tuch, und dann herunter mit seinem Rock und seinem Turban, und hülle dich selbst darein.«

Mickey hielt erstaunt in der ihm befohlenen Arbeit inne und sah fragend auf den Offizier.

»Nun, verstehst du nicht? Ich meine, wenn du das Geschäft ausführen willst, das die Lady dir aufgetragen, wird es hundertmal leichter und sicherer sein, du hüllst dich in die Tschoga dieses Gentleman, als daß du mit rotem Rock und steifer Halsbinde unter seine Gefährten läufst!«

Der Irländer schlug sich vor den Kopf. »Weiß Gott, Euer Gnaden, was meines Vaters Sohn für'n Dummkopf war! Sie haben recht – so wird's gehen, und es müßte mit dem Infernalischen zugehen, wenn die Burschen mich nicht für einen der ihren halten sollten!«

»So tummelt Euch, Sergeantmajor – Ihr müßt mit den Nachzüglern zugleich die Wälle verlassen.« Es bedurfte der Ermahnung nicht. Mickey streifte mit Gewandtheit und Eile den unglücklichen Hindu, einen Jemedar vom 31. Regiment, ab.

»Ihr werdet am besten tun, Kamerad,« sagte der Resident, »wenn Ihr die Verkleidung außerhalb des Walles anlegt, denn sonst könnte leicht eine Kugel oder ein Bajonettstich eines der unseren allen Euren Abenteuern im voraus ein Ende machen. Für den Rat und die Hilfe, die ich Euch geleistet, fordere ich einen Dienst. Einstweilen nehmt diese Börse, Ihr werdet sie brauchen!«

»Euer Gnaden mögen befehlen. Ich sehe, die Leute haben Euer Gnaden verleumdet. Sie sind wirklich nicht so schlecht, als sie sagen.«

Der Offizier biß sich auf die Lippe. »Wenn es dir glückt, in der Stadt dich aufzuhalten und dem Doktor den Brief der Lady zuzustellen, so suche in das Haus des Babu Tippo Singh zu gelangen, den du kennen mußt, und Nurjesan, seiner Tochter, dies Billett zuzustecken.«

Der Ire sah ihn mißtrauisch an, indem er sich hinter den Ohren kratzte. »Den Teufel, Euer Gnaden – man erzählt sich so eine Geschichte in der Stadt, als ob Euer Gnaden dem Vater und der Tochter einiges Schlimmes zugefügt hätten.«

»Narr! Das Mädchen ist ganz auf unserer Seite und wird uns helfen, wo sie kann. Doch nun fort, oder es ist zu spät.«

Sie eilten beide, in dem Lärm und Gewühl unbeachtet, nach dem Wall zurück. Die Niederlage der Sepoys war jetzt vollständig, und die Kanonen auf den Wällen, deren sich die Verteidiger jetzt wieder bedienen konnten, beförderten mit jedem Schuß die Verwirrung und lösten jede Ordnung des Rückzuges zur wilden Flucht auf.

Den wütenden Anstrengungen der Leibwächter des Nena war es gelungen, ihn bewußtlos unter dem Pferde und dem Leichenhaufen hervorzuziehen und fortzubringen.

Noch während des Siegesjubels der Soldaten half der Resident dem tapferen Irländer die Außenseite des Walles hinabgleiten. Wenige Augenblicke nachher war der Sergeantmajor, auf dem Leib über den mit Leichen bedeckten Boden weiter kriechend, den Augen des Nachschauenden entschwunden.

Indes war dieser erste ermutigende Sieg der Engländer nicht ohne schwere Verluste erkauft worden. Erst nachdem der Kampf geendet und wenigstens für diese Nacht jede Gefahr beseitigt war, konnte man sie übersehen, und das Hospital wurde in der Tat jetzt eine Stätte, die diesem Namen entsprach. Aber gar mancher lag draußen an den Wällen, dem weder die Sonde des Doktors, noch die Sorgfalt der Frauenhände helfen konnten, kalt und tot.

Unter diesen Leichen war Oberst Stuart, der wackere tapfere Offizier.

Doch glücklich die Toten aus dem ersten Heldenkampf um den Erdwall des Hospitals von Cawnpur!


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