Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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1. Der Ryot.

Ein einsames aber reizendes Tal des Carnatic lag vor den Blicken des Reisenden, der eben von einer der Höhen der Ausläufer des Nella Mella-Gebirges nach der Meeresküste herabzog.

Ein kleiner Fluß, der Gandlagama, durchströmte das Tal.

Das ganze weite Tal erschien wohl angebaut: in den sumpfigen Teilen die Reisfelder, an den Hügelabhängen Mais- oder Zuckerrohrpflanzungen, dazwischen Indigo- und Kaffeeplantagen, roter Pfeffer und duftige Gewürzstauden.

Prächtige Kokospalmen erhoben sich majestätisch auf den Gipfeln der Hügel, der Pisang wiegte seine breiten riesigen Blätter im leisen Luftzug, und der wohltätige Bananenbaum wechselte mit den reizend gefiederten Tamarinden und ließ seine saftige angenehme Frucht rotgelb durch die Blätter leuchten. Stachliche Ananas-Hecken umsäumten die Felder, am Ufer des Flusses wiegte die sagenhafte Lotosblume ihre Kelche, und in hundert Gestalten wechselnde Fächerpalmengebüsche bewahrten der Gegend den Charakter milder Naturschönheit, während ein ausgedehnter Dattelwald am nördlichen Abhang den Übergang zur wirklichen Wildnis vermittelte, die in den dunklen üppig belaubten Zweigen der indischen Fichte auf den Höhen des Gebirgszuges lagerte.

Ein Paradies des Friedens, der Ruhe und des Glücks schien diese köstliche Flur. Das war auch der Eindruck, der Gedanke des Reiters, der den Weg am Bergabhang herabstieg und mit seinem Blick das Tal, das Dorf und das Schloß des Zemindars auf den jenseitigen Höhen umfaßte.

Es war ein seltsamer Gesell, der einsame Reiter, wie er auf dem alten abgetriebenen Dromedar hockte. Er schien alt – vielleicht fünfzig oder sechzig Jahre, denn das struppige Haar und der wirre Bart waren grau, und dennoch leuchtete manchmal etwas aus dem Auge, was eine jüngere ungebeugte Kraft verriet.

Der Fremde trug die Lumpen eines Fakirs, die kegelförmige Wollmütze, den Strick mit der Kürbisflasche und der Geißel um den Leib.

Es mußte offenbar einer der Fanatiker aus dem Himalaya oder von den Grenzen Afghanistans sein, den sein Wandertrieb so weit nach dem Süden verschlagen.

Mann und Tier waren abgemagert und verkommen von den Anstrengungen einer weiten Reise und schienen mit gleich sehnsüchtigen Blicken den Reichtum des Tales zu betrachten, das ihnen Erfrischung und Kräftigung nach den Strapazen des Zuges durch die Wildnis versprach. Dennoch lag in dem Auge des Bettlers mehr, als die Sehnsucht nach einem körperlichen Genuß. In den Falten seiner Stirn war tiefes Nachdenken und um den Mund, dessen vollere Bildung Ansprüche oder Erinnerungen früheren Wohllebens zu verkünden schienen, zuckte es wie grimmiger Hohn und Schmerz.

Der Bettler näherte sich der Mitte des Tales, wo er von der Höhe des Weges die bescheidenen Hütten eines indischen Dorfes bemerkt hatte.

Noch bevor er es erreicht, sah er eine kleine Schar von Reitern und Fußgängern von der anderen Seite des Tales gleichfalls ihren Weg nach dem Dorfe richten und vernahm den gellenden Ton eines Muschelhorns in drei langgezogenen Noten.

Bei diesem Laut hielten die auf den Feldern zerstreuten Arbeiter mit ihrer Beschäftigung inne, holten die weidenden Ochsen zusammen und nahmen ihren Weg nach dem Dorf.

Viele der Leute, Männer, Frauen, Mädchen und Knaben kamen an dem Fakir vorüber.

Seine früher so hohe, aufgerichtete Gestalt schien jetzt alle Kraft und Elastizität verloren zu haben; sie hockte zusammengekrümmt zwischen den Höckern des Tieres, die Augen des Reiters hatten einen eigentümlichen Starrblick angenommen, der, vor sich hin in die leere Luft stierend, nichts zu bemerken schien, was um ihn her vorging. Ebensowenig erwiderte der Bettler den Gruß der vorbeieilenden Talbewohner.

Dieser fanatischen Maske ungeachtet, bemerkte er sehr wohl das auffallende Benehmen und Äußere dieser Leute, als sie in seine Nähe kamen. Ihre Züge drückten sämtlich, trotz des sie umgebenden Reichtums der Natur, große Not und bitteres Leiden aus.

Fast zugleich mit einem Haufen dieser Landleute erreichte der Fakir den Eingang des Dorfes, das aus etwa hundert Hütten bestand, die ohne Ordnung im Kreise zerstreut um eine kleine Moschee in der Mitte des Platzes lagen.

Der reisende Bettler schien jetzt zu wissen, woran er sich zu halten hatte, er erkannte aus der Form des Gebäudes sogleich, daß die Bewohner des Dorfes Mohammedaner waren.

Bisher hatte noch kein Zeichen an ihm verraten, ob er Hindu oder Moslem; denn beide Religionen haben ihre umherwandernden Bettelmönche, die Fakirs und Derwische, die in allen Äußerlichkeiten einander so gleich sind, daß eine Unterscheidung fast ganz unmöglich ist.

Jetzt, am Eingang des Dorfes, erhob der Dromedarreiter seine Stimme zu dem gellenden Ruf: »Allah il Allah, Mahomed illah!« und verkündete damit, daß er gleichfalls zum Glauben des Propheten gehöre.

Die Hütten des Dorfes waren ebenso einfach als ärmlich. Nur eine der Hütten zeichnete sich durch größere Räumlichkeit und einen zierlicheren Bau, sowie mehrere ähnliche Nebengebäude vor den anderen aus.

Auf der offenen Veranda, nahe der emporführenden Treppe, saß ein Indier von kräftigem, ernstem Aussehen, mit langem, dunklem Bart, seine Hukah rauchend. Zu diesem Gebäude richtete der Fakir, nachdem er mit sachkundigem, raschem Blick die Umgebung geprüft, den Lauf seines Tieres, und sagte mit singender Stimme den gewöhnlichen Gruß: »Salem aleikum!« indem er den Vers des Dichters Hafiz hinzufügte: »Die Pforten des Paradieses sind vor allen den Barmherzigen geöffnet. Wer da hat, der möge geben, denn er säet für die Ewigkeit. Die Armen und die Wanderer sind das Erbe Allahs an die Reichen!«

Der einfach aber reinlich in Weiß gekleidete Mann neigte ernst sein Haupt.

»Mein frommer Bruder ist willkommen im Hause Caulathy Mudalys, obschon er im Irrtum ist, wenn er ihn für reich hält.«

»Caulathy Mudaly,« sagte der Bettler, »behauptet ein armer Mann zu sein, und doch besitzt er das schönste Haus in diesem Dorfe. Er ist ein Zemindar!«

Der Moslem schüttelte verneinend das Haupt. »Allah bewahre mich. Ich bin ein Ryot, wie meine Nachbarn, und sitze nur durch die Gnade Allahs frei auf dem Erbe meiner Väter.«

»Aber ich sehe große Speicher und Ställe. Warum verleugnet der Wirt vor einem frommen Mann seine Habe?«

»Jene Speicher,« sagte finster der Landmann, »sind leer bis zur nächsten Ernte. Es ist wahr, der Prophet hat mir mehr gegeben, als ich brauche, aber ich gab, wie es der Koran befiehlt, meinen Überfluß hin, um meine Brüder vor den Peons zu retten. Leider reichte es nicht, denn die Affen hatten die Maisfelder zerstört, und der Zemindar ist ein harter Mann!«

»So habt ihr einen harten Grundherrn?«

»Dies Land, o Fremder,« sagte der Bauer, »gehörte unseren Vätern und dem Peischwa. Aber bis auf das Feld, wo der Fluß sich an dem Hügel windet, ist jetzt alles Eigentum des Zemindars, und der Zemindar ist einer der Faringis von Madras! – Doch führe dein Dromedar zu jenem Mangobaum, süßes Gras wächst in seiner Nähe, und es wird der Kraft bedürfen.«

Eine feingeflochtene Binsenmatte war neben dem Hausherrn ausgebreitet, und ein junges, nach der Sitte der Moslems verschleiertes Mädchen kniete dort, ein hölzernes Gefäß mit Wasser in der Hand, um dem heiligen Mann Füße und Hände zu waschen.

Unterdes hatte sich der Platz vor der Hütte und um die kleine Moschee mit den Dorfbewohnern gefüllt. Eine allgemeine Aufregung und Angst schien unter ihnen zu herrschen.

Dabei vermieden sie scheu, einer Gruppe zu nahe zu kommen, die der Fakir schon bei seinem Erscheinen bemerkt hatte.

Es waren dies vier oder fünf in seltsamen Stellungen auf der Erde kauernde, dem brennenden Strahl der Sonne ausgesetzte Menschen, die gleich Kugeln zusammengeballt dort hockten und eine schwere Steinlast auf Kopf und Rücken zu tragen schienen.

Nahe dabei, aber im Schatten der Moschee, saßen zwei Peons oder indische Polizeisoldaten, an der weißen Kleidung, den gleichen Turbans und den langen Stäben erkennbar, die neben ihnen an der Wand lehnten.

Sie schienen sich wenig um das Treiben um sie her zu kümmern, und nur zuweilen warf der eine oder der andere einen Blick auf die unglücklichen Gefangenen neben ihnen.

Währenddessen war ein alter Mann mit einer Anzahl Landleuten näher zu der Veranda gekommen. Sie hoben wie flehend die Hände empor, während ihre Blicke sich von Zeit zu Zeit ängstlich nach der anderen Seite des Dorfes wendeten.

Dort kamen jetzt die Reiter und Fußgänger, die der Fakir vorher vom Bungalow des Zemindar heranziehen gesehen.

»O Caulathy Mudaly,« sagte der alte Mann, »bei dem Propheten und der heiligen Kaaba von Mekka, hilf uns, wenn du kannst, die böse Stunde ist gekommen!«

Und Männer und Weiber stimmten wehklagend in den Ruf ein: »Hilf uns, hilf uns!«

Der Ryot hatte sich erhoben. Er stand auf den Stufen der Bambustreppe, die zu seiner Wohnung führte.

»Wann habt ihr je um Hilfe gerufen und Caulathy Mudaly hätte nicht seine Hand aufgetan?« fragte er mit ernster, klangvoller Stimme. »Ist einer unter euch, der sagen kann, ich hätte nicht mit ihm geteilt, so lange ich noch hatte? – Bin ich nicht selbst arm jetzt, wie ihr, und habe kaum die Salz- und Kopfsteuer für mich und die Meinen bezahlen können, und mehr als eine Hand voll Reis, um uns zu ernähren bis zur Ernte? Da sind meine Speicher! Geht hin und seht, ob sie gefüllt sind! – Dort sind meine Ställe – seht zu, ob ihr mehr als das Joch Ochsen darin findet, das zur Bestellung meines Feldes notwendig ist. Allah hat unseren Peinigern Macht gegeben – wir müssen das Schicksal tragen. Vielleicht rührt der Prophet ihr Herz!«

»Sie haben keines – es ist ein Stein in ihrem Busen!« schrie eines der Weiber. »Sie tragen die weiße Leber der Faringis! Sie haben kein Mitleid mit mir gehabt – warum sollten sie es mit euch haben?«

Die Sprecherin riß das Gewand von Hals und Brust, und ein schauerliches, Ekel erregendes Bild bot sich den Blicken dar. Die linke Brust des Weibes zeigte die furchtbaren Verwüstungen jener schrecklichen Krankheit, welche man Krebs nennt.

Aber der Derwisch war der einzige, der vor diesem schrecklichen Anblick zurückschauderte – allen anderen war es ein bekannter, gewohnter; denn die Zahl der unglücklichen Frauen, die langsam an der schrecklichen Krankheit dahinstarben, welche die unmenschliche Marter der Steuereinnehmer der Kompagnie ihnen auferlegt, ist nicht gering in den indischen Provinzen!

Der freie Ryot wandte sich ab von seinen unglücklichen Brüdern. »Ein heiliger Pilger ist bei mir eingekehrt als Gast,« sagte er traurig. »Geht und beleidigt sein Ohr und sein Auge nicht mit dem Anblick eurer Schmerzen!«

»Möge sein Schatten lang und sein Segen bei uns sein,« murmelten die Unglücklichen, indem sie sich entfernten. »Er wird für uns beten.«

Der Wirt winkte seinem Gastfreund nach dem Inneren des Hauses. »Die Weiber haben zu deinem Mahl bereitet, was wir zu bieten vermögen, Pilger,« sagte er. »Wenn ich dir raten darf, so besteige alsdann dein Tier und setze deinen Weg fort, denn dein Schlaf würde von dem Jammer des Unglücks gestört werden.«

Der Fremde hatte seine gebeugte Gestalt aufgerichtet, seine Züge waren ehern, sein Auge brannte fest und finster.

»Was fürchtest du?« fragte er.

»Die Leute des Deputy-Kollektors sind im Anzug. Sie kommen, um Steuern zu erpressen für den Zemindar und die Regierung, und ihr Herz ist von Stein. Es ist der letzte Termin, den sie den Bewohnern des Dorfes gesetzt, und die Marter wird bald in vollem Gange sein.«

»Ich habe gehört von den Leiden, die die Armen erdulden müssen, aber man hat mir Dinge erzählt, die meine Seele nicht glauben mag. Ich komme aus fernen Ländern, wie ich dir gesagt – laß mich selbst sehen, was Wahrheit ist an der Klage dieser Leute!«

Der Ryot antwortete nichts als das Wort »Owh!« (komm). – Dann schritt er vor seinem Gastfreund her und verließ seine Hütte.

Der Derwisch folgte ihm auf den Platz vor der Moschee.

Hier war die Schar, welche das Dorf vom anderen Ende her betreten, jetzt eingetroffen und hatte sich um ihre Führer aufgestellt.

Diese bestanden in dem Verwalter des Zemindars oder Grundherrn, einem noch ziemlich jungen Europäer von hübschem, aber frechem Aussehen, mit hochmütig auf die Dorfbewohner herabblitzenden Augen im sonnverbrannten Gesicht, und dem Deputy-Kollektor, einem alten finsteren Muselmann, tyrannischen Amtsdünkel und Habsucht in den harten Zügen. Beide waren zu Pferde und von mehreren berittenen Dienern begleitet, während etwa zehn Peons und ebenso viel bewaffnete Sepoys ihr anderes Gefolge bildeten.

Unter den Gruppen befand sich auch Caulathy Mudaly und der Derwisch, der mit großer Aufmerksamkeit den Verwalter des Grundherrn betrachtete.

»Hört, ihr Hunde, ihr Gesindel!« redete dieser sie an, als allgemeine Stille eingetreten war, »die ihr nur durch die Gnade eures Gebieters und meine Nachsicht noch dies hübsche Tal durch eure Gegenwart beschmutzt – ich hoffe, ihr habt euch an den Burschen da, die wir gestern ins Annundal gesteckt, ein Beispiel genommen und eure Rupien aus den Winkeln zusammengescharrt, wo ihr sie versteckt. Seine Ehren, Sir Lytton Mallingham, euer gütiger Grundherr, trifft morgen früh mit seiner Jagdgesellschaft hier ein, und das Geld muß für ihn bereit liegen, oder ich lasse euch samt und sonders das Fell über die Ohren ziehen! Verstanden?«

Seine Sprache war ein Kauderwelsch von Englisch und Hindostanisch, schien aber den Bedrohten sehr wohl verständlich, denn viele von ihnen fielen auf die Knie, streckten jammernd die Hände nach ihm aus, und alle schrieen kläglich durcheinander, daß sie kein Geld hätten, und um Nachsicht bis nach der neuen Ernte bäten.

»Ich kenne euer Gewinsel und weiß, was dahintersteckt. Würdiger Aly Karam, beginne dein Geschäft und schenke keinem der greinenden Schurken ein Annah

Der Steuereinnehmer befahl dem Munsiff, die Rolle herbeizubringen, welche das Verzeichnis der Bewohner des Dorfes enthielt.

»Parasuma Granny, der Munsiff des Dorfes,« las der Steuerbeamte.

»Zwei Rupien und drei Annahs Rest von der Salzsteuer für die Regierung,« fügte der Einnehmer grimmig hinzu. »Hund von einem Vorsteher. Ich speie in deinen Bart, wenn du dein Amt so schlecht verwaltest, daß du selbst mit Schulden ein böses Beispiel gibst. Wo ist das Geld?«

»Effendi,« sagte der alte Mann, »noch niemals bin ich im Rückstande gewesen, und die Hilfe, die mein Sohn, der bei der Bengal-Armee steht, zu schicken pflegt, ist ausgeblieben. Ich wartete vergeblich auf seine Ankunft.«

»Bosch! Unsinn! – ich werde der Regierung berichten, daß sie dich deines Amtes entsetzt.«

»Very well! ich will dafür Sorge tragen!«

»Mein Vater und Großvater waren bereits Richter im Dorfe,« sagte der Alte, indem er in den Taschen seines Kaftans kramte. »Ich habe kein Geld, aber mein Sohn schenkte mir, als er das letzte Mal bei mir war, diesen Ring, den er in Kabul im Afghanenkrieg erbeutet. Ich bitte dich, ihn für die Schuld anzunehmen und mir den Rest des Wertes herauszugeben.«

Er übergab dem Kollektor einen Ring, der einen einzigen Blick darauf tat und ihn dann einzustecken suchte. Aber der würdige Verwalter des englischen Grundherrn war nicht weniger rasch und hielt die Hand mit dem Ringe fest.

»Bah – purer Tombak mit einem wertlosen Glasstein,« sagte er mit einem verständigenden Blick auf den Kollektor. »Das hübsche Aussehn ist der einzige Wert, aber weil der Alte sonst eine ehrliche Haut ist und wenigstens den guten Willen hat, zu bezahlen, bitte ich dich, Nachsicht mit ihm zu haben, Freund Aly.«

»Ich will es verantworten um deinetwillen,« sagte der Steuereinnehmer großmütig, indem er den Ring in seinen Leibbund steckte, »daß die Schuld bis zum nächsten Termin unberichtigt bleibt. Aber ich rate dir, Munsiff, daß du dann das Geld bereit hältst, denn die Schatzkammer der Kompagnie ist nicht gewillt, mit sich spielen zu lassen.«

Der arme Dorfrichter sah ihn verblüfft an. »Maschallah! ich dachte – ich meinte – –«

»Deine Meinung ist die Meinung eines Esels, dein Vater und dein Großvater waren Esel. Nimm dich in acht, daß ich meine Güte nicht bereue. – Wer ist der nächste auf der Liste?«

Der Verwalter grinste spöttisch, während der alte Mann verdutzt zurücktrat. »Halb Part, Aly,« flüsterte jener in englischer Sprache, »der Smaragd ist unter Brüdern fünfhundert Rupien wert!«

Das scharfe Ohr des Pilgers vernahm sehr wohl die Worte – sein Auge hatte den schändlichen Handel genau beobachtet.

»Caulathy Mudaly,« las der Unteraufseher von seiner Liste.

»Es ist ein freier Ryot und hat die Steuer bezahlt – bis auf ...«

»Verzeih,« unterbrach ihn der Mann, »ich habe Salztaxe und Kopfgeld bis auf den letzten Peis berichtigt.«

»Willst du mich lehren, was in meiner Liste steht, Sohn einer Jüdin?« brüllte der Kollektor. »Du schuldest die Opiumsteuer mit zehn Rupien und sechs Annahs.«

»Aber ich baue keinen Opium und habe nie damit Handel getrieben.«

»Du wirst zahlen oder wir pfänden deine Habe und sperren dich ein! Verstehst du? Wallah! ich werde mir doch von einem Schurken, wie du bist, nicht in den Bart lachen lassen!«

Der Ryot ballte die Faust, seine Zähne knirschten und seine Stirn färbte sich dunkelrot. Dennoch besiegte er mit gewaltiger Kraftanstrengung die aufsteigende Erbitterung und sagte mit verbissenem Grimm: »Ich werde zahlen, aber ich bitte dich, bemerke in deiner Liste, daß ich keinen Opium bereite.«

»Ich werde tun, was mir beliebt,« entgegnete mürrisch der Beamte, »jetzt mach und hole das Geld.«

»Ich habe nachher noch ein Wort mit dir zu reden, Caulathy Mudaly,« sagte der Verwalter. »Also bleibe nicht etwa aus. Wer ist der Kerl an deiner Seite? ich kenne ihn nicht, obschon seine Fratze mir irgendwo aufgestoßen sein muß!«

»Es ist ein Pilger, Sahib, der weit her kommt und an die heiligen Orte auf der Insel will.«

»Möge er verdammt sein!« war die freundliche Gegenbemerkung. »Ihr seid Narren, daß ihr solche Müßiggänger noch füttert! Aber vielleicht ist der Bursche ein Gaukler und kann allerlei Kunststücke, mit denen er morgen die Herrschaft ergötzen mag. He – Kerl – bist du ein Zauberer, machst du Künste?«

»Ich verstehe nur eine Kunst,« sagte der Derwisch, »aber sie würde nicht passen für dich, edler Sahib.«

»Warum nicht? was ist's?«

»Ich verstehe die Kunst des Tättowierens, ich mache Zeichen auf Schultern und Arme, die unvergänglich bleiben.«

Der Ton, in welchem der fahrende Bettler diese Bemerkung machte, war gleichgültig und bedeutungslos, dennoch schienen die Worte eine gewisse eigentümliche Wirkung auf den englischen Verwalter zu machen, denn er wandte sich, ohne weiter zu antworten, rasch ab und zu dem Fortgang der Szenen bei der Steuererhebung.

Der Mann, der zunächst aufgefordert worden, war ein Hindu. Der Kollektor forderte von ihm fünfzehn Rupien als Rest des Zehnten oder vielmehr Dritten – denn der indische Landmann muß außer den Steuern den dritten Teil all seiner Erträge und Habe an den Gutsherrn zahlen. Vergebens beteuerte der Arme, daß die Verwüstung seines Reisfeldes durch eine Herde wilder Elefanten ihm kaum das Korn zur neuen Aussaat gelassen und daß er seit dieser nur von wilden Früchten mit den Seinen sich genährt habe.

»Laß ihm die Kittie geben, Freund Aly,« sagte der Verwalter, bemüht, den Eindruck der zufälligen Antwort des Derwisches in seinem Geist zu verwischen. »Im vorigen Jahr hat man bei seinem Weibe die Stäbe angewandt, und ich erinnere mich, daß das Mittel geholfen. Was meinst du, wenn wir die Brüste aller dieser Weiber, wenigstens der jungen, in den Kittie preßten, es würde uns das Geschäft ungemein erleichtern?«

Der Kollektor schien diese Tortur en gros noch nicht für anwendbar zu halten.

Der Kollektor winkte den Peons, den Kittie bereit zu machen. Zwei derselben erfaßten den Hindu und zwangen ihn, nieder zu knien. Sein Weib – jene Unglückliche mit der brandigen Brust – warf sich vor den Peons und ihrem Gebieter auf die Knie und flehte vergeblich in herzzerreißenden Tönen um Erbarmen für ihren Mann.

Die Häscher hatten unterdes einen breiten flachen Stein herbeigebracht und zwangen den Verurteilten, die linke Hand flach auf denselben zu legen.

Dann nahm einer der Peons den Kittie, einen etwa 18 Zoll langen Stab, an dem einen Ende breit und dick, an dem anderen mit stumpfer Spitze, stellte letztere auf die Handfläche des Hindus und setzte sich auf das dicke Ende des Stockes. Zwei andere Diener der Gerechtigkeit hielten den Hindu fest.

»Willst du zahlen, Kifna PillayDie Namen der Gemarterten bei dieser so scheußlichen Szene sind historisch

»Möge die Allgütige mir helfen! – Ihr wißt es, ich kann es nicht!«

Das Blut quoll zwischen den gequetschten Adern und Muskeln hervor.

Aly Kuram, der Deputy-Kollektor, fuhr, ohne sich weiter um die Leiden des Gemarterten zu bekümmern, in seiner Liste fort. Der nächste war wieder ein Mohammedaner. Er hatte die Regierungssteuer bezahlt, aber er schuldete noch dem Zemindar siebzehn Rupien. Aus Glaubensfreundschaft wurde er nur gepeitscht und auf drei Tage zum »Annundal« verurteilt.

Das Annundal wird mit Variationen, je nach dem Geschmack und dem Raffinement der Steuereinnehmer, angewendet. Hier wurde der Schuldige mit dem Kopf zwischen die Knie festgebunden, und ein Stein vom Gewicht eines Zentners auf seinen Rücken gelegt.

Dem darauf folgenden Schuldner begnügte man sich, die große Zehe des linken Fußes mittelst eines angebundenen Strickes möglichst dicht an den Hals zu schnüren und ihn so zu zwingen, auf einem Beine zu stehen. Sobald er sich zu rühren wagte, schlugen ihn die Peons mit ihren Stäben in die Weichen.

Da bis jetzt noch kein Geständnis, kein Herausrücken von verstecktem Gelde erfolgt war, ergrimmte der habsüchtige Kollektor immer mehr und befahl, Feuer anzuzünden und die Eisen glühend zu machen.

»Nana Baulambal!«

Eine junge Frau – eine Witwe – trat zagend aus dem Haufen.

»Du bist eine Hindu – wie kannst du dich unterstehen, mit einem Schleier vor uns zu erscheinen? Fort mit dem Lappen!«

Der rohe Griff des Steuerdieners riß das verhüllende Tuch von ihrem Haupte und Hals, daß Antlitz und Brust allen Blicken bloßgestellt waren.

Der Verwalter betrachtete das Weib, die verschämt die Arme über die enthüllte Brust kreuzte, mit lüsternen Blicken, denn sie war eine jener weichen, üppigen Schönheiten, wie man sie häufig in Indien findet.

»Dein Mann ist gestorben?«

»Du sagst es, Sahib – das Unglück ist über meinem Hause. Er starb vor vier Monden.«

»Du bist seine Erbin und mußt seine Schulden bezahlen. Er ist die Landpacht für das letzte halbe Jahr mit 120 Rupien schuldig geblieben. Hast du das Geld zur Stelle?«

»Wischnu erbarme sich – ich weiß, daß mein Mann die Landpacht für das ganze Jahr entrichtet hat, als er bei dir auf dem Amt in Winnkonda war. Er nahm das Geld mit sich, zehn Tage vor seinem Tode.«

»Was weiß ich, wo der Hund das Geld verpraßt hat. Hast du eine Quittung?«

»O Herr – du weißt, daß wir nie eine erhalten!«

»So willst du mich mit Lügen füttern! – ich kenne dich von früher, du bist der Widerspenstigkeit voll. Zahle oder fürchte meine Rache!«

Das Weib warf sich vor ihm auf die Knie. »Habe Mitleid mit mir – ich konnte deinen Willen nicht tun. Das Gesetz Brahmas verdammt die Ehebrecherin auf ewig zur Wanderung!«

Der Verwalter schlug ein lautes Gelächter auf, und den Kollektor spöttisch auf die Schulter klopfend, sagte er: »Alter Fuchs – da kommt es heraus, weshalb du immer um die Hütte der schönen Baulambal schlichst.«

»Verflucht sei die Lügnerin und die Hündin, die sie geboren!« schäumte der Steuererheber. »Die Kittie an ihre Brüste!«

Das Jammergeschrei der Unglücklichen ward durch ein Tuch erstickt, das man in ihren Mund preßte. Zwei Peons hatten sie ergriffen und ihr die Arme auf den Rücken geschnürt. Dann schleppte man sie nach ihrer nahegelegenen Hütte.

Der Derwisch machte eine Bewegung, als wollte er der vergeblich Ringenden zu Hilfe eilen, aber er bezwang sich mit gewaltiger Anstrengung, kreuzte die Arme über die Brust und warf einen scharfen Blick zur Seite.

Allen diesen entsetzlichen Grausamkeiten hatten die zehn Sepoys mit dem europäischen Unteroffizier, welche den Schutz und die militärische Bedeckung des Kollektors auf seiner Rundreise bildeten, unbewegt zugesehen.

»Es ist vergeblich,« murmelte der Derwisch nach jenem Blick auf die gleichgültigen Gesichter der Soldaten – »das Elend ihrer Brüder findet kein Echo in ihrem Herzen. Es müssen andere gewaltigere Leidenschaften sein, die ihr Blut entflammen sollen. Aber welche?«

Die schreckliche Manipulation nahm ihren Fortgang und selbst die Eisen kamen wiederholt in Gebrauch. In der Tat erreichten bei Verschiedenen die grausamen Martern ihren Zweck und zwangen sie zum Geständnis, wohin sie ihre letzten Rupien verborgen hatten. Selbst goldene Mohurs und Guineen kamen zum Vorschein. Es ist seltsam, mit welchem Geiz oder vielmehr mit welcher hartnäckigen Energie der Indier zusammenspart und seinen kleineren oder größeren Schatz selbst mit Aufopferung seines Blutes verteidigt.

Das erpreßte Geld wurde in einen feinen Binsenkorb getan, der vor dem Kollektor stand. Viele aber, und zwar die meisten der gepeinigten Dorfbewohner, ließen geduldig die Marter über sich ergehen oder mußten das Entsetzlichste ertragen, weil es ihnen wirklich an jedem Mittel fehlte, die oft ganz ungerechte und längst bezahlte oder übertriebene Forderung der beiden Blutsauger zu befriedigen.

Unter den Martern schien, außer dem Zusammenpressen der Daumen und Schienbeine durch den Kittie, dem Aufhängen an einen Baumast am Bart usw., namentlich die Stricktortur die gräßlichsten Leiden zu verursachen. Diese besteht in der Umknebelung der Glieder und der Stirn des Opfers mit einem trockenen Strick aus Pflanzenfasern, die, naß gemacht, sich mit so großer Gewalt zusammenziehen, daß sie das Fleisch bis auf die Knochen durchschneiden.

Die Sonne war unterdes untergegangen und die Nacht mit jenem raschen Übergang eingetreten, der den Tropengegenden eigen ist. Das Geschäft der humanen Steuererpressung, das bereits volle drei Stunden gedauert hatte, nahte seinem Ende. Das Stöhnen und Jammern der Gemißhandelten ringsum mit den dunkelfarbigen, phantastischen Gestalten hätte dem Auge eines fühlenden Europäers die Szene als ein Spukbild der Hölle erscheinen lassen müssen.

Zuletzt erinnerte sich der Kollektor noch des freien Ryots, dessen Stellung im Dorf, so gering sie war, schon oft seinen Ärger erregt hatte, und rief ihn vor sich.

»Hast du das Geld herbeigeschafft?« Der Gastherr des Derwisch trat hervor und zählte mit verbissenem Zorn die Geldstücke vor dem Forderer auf. »Ich habe es von der kleinen Mitgift meines einzigen Kindes genommen,« sagte er, »möge das unrecht Erworbene Feuer werden in deiner Hand!«

Der Kollektor lachte. »Sei froh, daß du so fortkommst. Deine Tochter ist sicher hübsch genug, daß sie keiner Mitgift bedarf.«

Der Ryot wollte sich mürrisch zurückziehen, als ihm der Verwalter zu bleiben winkte. »Ich habe noch mit dir zu reden, Caulathy Mudaly. Wie ist es, hast du dich besonnen, das Feld am Fluß uns zu verkaufen? Seine Ehren haben die Anlegung der Mühle streng befohlen und werden sehr ungehalten sein, wenn die Angelegenheit bei ihrer Ankunft nicht in Ordnung wäre!«

»Verzeih, Sahib – es ist mein bestes Land – dem Zemindar gehört ja ohnehin das ganze Ufer, und er wird nicht ungerecht sein gegen den armen Mann. Er kann leicht seine Mühle an einer anderen Stelle bauen.«

»Narr! das wissen wir so gut wie du! Aber der Herr will dein Land nun einmal nicht länger mitten zwischen seinem Grundbesitz haben. Nimm die dreihundert Rupien, die meine Nachsicht dir geboten und sperre dich nicht weiter. Hier ist der Kollektor und sein Gehilfe als Zeuge, dort der Dorfrichter – also der Handel ist abgemacht!«

»Entschuldige mich, Sahib,« entgegnete demütig der Bauer, »das, was du mir bietest, ist nicht die Hälfte dessen, was mein Vater für das Land an den vorigen Zemindar gezahlt hat, und nicht der vierte Teil seines wahren Wertes. Ich kann das Recht am Strom nicht missen, von dem allein ich meine Felder bewässern muß. Sie sind nichts wert, wenn ich es verliere.«

»Du weigerst dich also? Bedenke wohl, was du tust, Hund von einem Bauer!«

»Es ist mein freies Eigentum, Sahib. Der Zemindar ist so reich – was bedarf er das Erbe eines armen Mannes!«

Der Verwalter hatte sich zu dem Steuereinsammler gebeugt und heimlich eine kurze Zeit mit ihm gesprochen. Dieser blätterte in seinen Listen.

»Höre,« sagte er endlich, »Thumbin Mudaly, der achtzehnjährige Bursche, den ich vorhin peitschen ließ, ist ja wohl dein Verwandter?«

»Er ist der Sohn meines verstorbenen Bruders.«

»So hat er ein Anrecht auf deine Felder?«

»Nein, Effendi. Mein Vater teilte das Seine zwischen uns, aber mein Bruder verkaufte sein Erbe an den Zemindar und geriet in Armut. Eben darum möchte ich das meine behalten.«

»Dann wäre es deine Sache gewesen, dafür zu sorgen, daß er der Kompagnie und dem Gutsherrn nicht zu kurz tue. Du mußt für die Steuerschuld des Burschen und seiner Mutter einstehen. Für was hat man Verwandte, wenn man nicht dafür zahlen müßte. Ahi! Du wirst die neunzig Rupien vorstrecken, die sie schuldig sind.«

»Du beliebst Scherz mit deinem Diener zu treiben, Effendi, ich kann kaum die eigenen Steuern zahlen und habe kein Geld zu verleihen.«

Der Kollektor strich sich den Bart. »Willst du die Summe geben?«

»Ich schulde dir nichts – ich habe schon mehr bezahlt, als das Gesetz vorschreibt. Ich kann es nicht.«

»In das Annundal mit dem aufsässigen Schurken! Werft ihn nieder, ihr Schufte, fürchtet ihr euch vor einem elenden Bauer?«

Der letzte Befehl war an die Peons gerichtet gewesen, die sich Caulathys hatten bemächtigen wollen, von ihm aber mit kräftigem Widerstand empfangen und zurückgeworfen worden waren.

Der Ryot stand, auf seinen linken Fuß gestützt, die Hände geballt vorgestreckt, das Auge blitzend, das Bild eines kräftigen, zum Äußersten gereizten Mannes.

»Bismillah! Bin ich ein Hund oder ein Sklave, daß man es wagt, mich so zu behandeln? – Nieder mit der verfluchten Herrschaft der Faringis! Auf, Männer, rafft euch auf aus eurem Dulden und Leiden! Denkt an den alten Glanz unseres Landes und setzt euch zur Wehr gegen die Tyrannen, wie ich es tue!«

Einige Stimmen erhoben sich und schrien über die Ungerechtigkeit.

Der Verwalter und der Kollektor waren aufgesprungen. »Will der Hund Rebellion predigen? Unteroffizier, tut Eure Pflicht!«

»Gewehr zum Fuß! – fertig zum Feuern!« Die Ladestücke der Sepoys rasselten in die eisernen Läufe.

»Gewehr auf! – Schlagt an!«

Aber keiner der Dorfbewohner rührte sich mehr – Schrecken und Zagen lag auf allen Gesichtern – nur eine Frau und ein junges Mädchen waren aus der Menge herbeigeflogen und hatten schützend und bangend den Gatten und Vater umschlungen.

»Jetzt bindet den Sohn einer Hündin!«

Die Peons warfen sich auf den Ryot. Noch wollte er sich im Gefühle seines guten Rechts unerschrocken zur Wehr setzen, aber Frau und Tochter selbst hinderten ihn daran. In wenig Augenblicken war er zu Boden geworfen und geknebelt.

Den Weibern war bei dem Ringen der verhüllende Schleier vom Haupte gerissen worden, – die langen, schwarzen Flechten wallten um das goldbraune, edelgeformte Gesicht des jungen Mädchens, dessen schöne, große Augen Furcht und edlen Zorn ausdrückten. Die Natur des Vaters regte sich in dem Blute des Kindes. Wenig achteten in diesem Augenblick Mutter und Tochter auf die züchtige Sitte ihres Glaubens.

Der Verwalter schaute mit lüsternem, boshaftem Auge auf die jugendliche Schönheit des etwa dreizehn- oder vierzehnjährigen Mädchens, ein Alter, das unter diesem Himmelsstrich bereits die Jungfrau zur Reife bringt und in dem viele schon verheiratet sind.

»Jetzt, hochmütiges Ding, will ich dich kirre machen,« flüsterte er vor sich hin, und zu dem Kollektor gewendet: »Hundert Rupien sind für dich, Freund Aly, wenn du mir beistehst, den störrischen Kerl und seine Tochter jetzt zu unserm Willen zu zwingen.«

Der Steuereinnehmer lächelte grimmig. »Spannt den Schurken ins Annundal, bis seine Muskeln und Knochen sich strecken, als wären sie vom Harz des Gummibaums.«

Die Peons knebelten die Zehen des Mannes, der nach seiner Überwältigung keinen Laut mehr von sich gab, um seinen Hals und schnürten die lebendige Kugel mit den vorhin erwähnten Baststricken zusammen. Dann warfen sie ihn wieder auf den Boden, und der Kollektor selbst setzte sich mit der vollen Last seines Körpers auf den Rücken des Gemarterten, statt ihn mit einem Stein zu beladen.

»Willst du dich jetzt fügen, das Geld zahlen und dem Zemindar dein Feld verkaufen?«

»Niemals! Niemals!«

»Der Bursche ist ein verstockter Sünder! Feuchtet die Stricke an und bindet das heulende Weib an den Bananenbaum! Wir können ihr Gejammer hier nicht brauchen!« Er stieß die zu seinen Knien flehende Frau mit einem Fußstoß von sich. Es geschah mit ihr, wie er gesagt.

»Nun, braunes Täubchen,« sagte der Verwalter, indem er sich dem zitternden, mit wogendem Busen, aber starrem Schweigen in der Mitte des Kreises stehenden Mädchen näherte. »Du erinnerst dich, wie trotzig du mich noch gestern unter den Dattelbäumen zurückgewiesen, als ich dir den Vorschlag machte, meine Geliebte zu werden, weil ich dich beim Baden im Fluß belauscht und wußte, daß du ein nettes Stückchen Fleisch geworden. Du schläfst diese Nacht bei mir im Bungalow, und dein Vater willigt ein, sein Feld zu verkaufen, dann soll ihm die Steuer für den Lungerbund von Neffen erlassen sein und er morgen früh aus dem Annundal kommen. Also sträube dich nicht weiter, hübsche Zelima!« Er faßte ihren Arm und wollte sie fortziehen, aber die junge Indierm riß sich los und versetzte ihm einen so kräftigen Schlag ins Gesicht, daß er zurücktaumelte und sich die Backe hielt.

»Gott verdamme dich – verfluchte Kreatur! Das sollst du büßen! Du hast dich an deinem Grundherrn vergriffen, Dirne, dessen Person ich vorstelle! Das soll dir zur Stelle vergolten werden. Bindet ihr die Hände auf den Rücken!«

Er stürzte zu seinem würdigen Genossen. »Die Käfer, Aly – gib mir die Büchse mit den Käfern! Ich bin zu nachsichtig gegen die gelbe Brut gewesen, aber ich will sie züchtigen, daß sie an diese Nacht denken sollen!«

Der Kollektor reichte ihm eine kleine hölzerne Büchse.

Unterdes war das Mädchen von den rohen Polizeischergen gefesselt worden. Sie ertrug es ohne Widerstand, nur die Lippen fest aufeinandergepreßt.

Der Engländer stand jetzt vor ihr. Er hatte die Hände sorgfältig umwickelt, ehe er die Büchse geöffnet. Dann hatte er aus dieser ein etwa einen Zoll langes, schwarzes Insekt herausgenommen und zeigte es der Jungfrau.

Es war einer der entsetzlichen, berüchtigten Zimmermannskäfer.

»Willst du mich jetzt fußfällig um Verzeihung bitten, willig tun, was ich dich geheißen und den alten Schurken, deinen Vater, zu dem Verkauf bestimmen?«

»Nie! Ich hasse, ich verachte dich, schändlicher Faringi!«

»Zu Boden mit ihr! Bindet ihr die Füße an die Enden dieses Stocks.«

Der schändliche Befehl wurde erfüllt.

Der Ryot heulte vor Wut, schleuderte durch seine Bewegungen den Kollektor von sich und versuchte, gleich einer lebendigen Kugel, sich in die Nahe seiner unglücklichen Tochter zu wälzen.

»Barmherzigkeit, Sahib – wage es nicht, mein Kind anzurühren. Nimm mein Feld und alles, was mein ist, aber lasse sie frei!«

»Es ist ohnehin verfallen, Narr, für deine Rebellion. Ihren Trotz will ich brechen.«

Der flehende, entsetzliche Blick des Gefesselten traf in diesem Moment das Auge des Derwisch.

Vorwurf – Bitte – Verzweiflung lag darin.

»Willst du um Verzeihung flehen und meinen Willen tun?« drohte der Verwalter des Zemindars zu dem unglücklichen Mädchen.

»Niemals!« Sie spie ihm in das Gesicht. Zur Wut entflammt, riß seine Linke ihr die einfache Kleidung vom Leibe. Der keusche Körper der Jungfrau wand sich hüllenlos vor den Blicken der Männer.

Der Schrei des Ryots glich dem Gebrüll eines Tigers. Mit verzweifelter Anstrengung hatte er sich in die Nähe des Grausamen gerollt und preßte seine Zähne gleich einem wilden Tiere in den Fuß des Peinigers, da seine Glieder eng in den furchtbarsten Schmerzen gefesselt waren.

Der Gebissene schrie vor Schmerz und Grimm auf, wandte sich nach dem Angreifer und stieß ihn von sich. »Hund – das sollst du mir vergelten! Fort mit ihm – haltet die Bestie mir vom Leibe!«

Diese augenblickliche Unterbrechung hatte der Derwisch benutzt, sich zu dem unglücklichen Mädchen zu beugen, und während ihr mißhandelter Vater von den Peons zurückgeschleift und gestoßen wurde, flüsterte er ihr zu: »Rufe: Pfui über Jack Slingsby! Wer hätte geglaubt, daß der schöne Jack ein Weib martern würde!«

Das Mädchen sah ihn groß und staunend an – die Worte waren ihr ohne Sinn. Bereits wandte sich ihr Henker wieder zu ihr und stieß den Derwisch brutal zur Seite.

Seine lüsternen Augen weideten sich an dem junonisch schönen, unbefleckten Körper der unglücklichen Hindu-Jungfrau, den seine freche Hand betastete.

Ihr Blick machte seine Bosheit, seinen Grimm vollends zügellos. Das Entsetzlichste, Abscheulichste geschah vor den Augen so vieler Männer, die viehisch grinsend dem schändlichen Schauspiel zusahen.

An jene Teile, welche die Sitte der rohesten Völker durch ein ewiges Mysterium geheiligt hält, und die nur die Bestialität zu mißhandeln wagt, legte die freche Hand die Nuß mit dem giftigen Insekt.

Die Feder versagt den Dienst, die empörende Mißhandlung zu verfolgen – aber der Leser bilde sich ja nicht ein, daß sie eine Ausgeburt zügelloser, gemeiner Phantasie ist!

In den Zuckungen jungfräulicher Angst und Scham traf das Auge des armen Mädchens auf die mahnend erhobene Hand des Fakirs – sie erinnerte sich seiner Worte und rief mit lauter Stimme:

»Pfui über Jack Slingsby! Schmach über den schönen Jack, der ein Weib martert!«

Die wenigen, von keinem der Umstehenden verstandenen Worte übten dennoch eine Zauberkraft auf den Verwalter. Er prallte, wie vom Blitz getroffen, zurück, seine Farbe veränderte sich und seine Augen starrten erschrocken auf das Mädchen und dann auf seine Umgebung, als suche er da den Eindruck, den sie gemacht. Die Nuß und die Schale mit den Käfern war seiner Hand entfallen, und der Derwisch benutzte rasch die Gelegenheit, indem er das Mädchen aufrichtete und ihr ein Kleidungsstück überwarf, den Fuß auf das schändliche Marterwerkzeug zu setzen und das giftige Gewürm zu zertreten, wobei er spöttisch den erschrockenen Engländer betrachtete.

Endlich hatte dieser sich gefaßt. Er stieß den Helfer zornig zurück und faßte wild den Arm des Mädchens. »Welcher Teufel hat dir den Namen verraten?« flüsterte er. »Noch einen Laut, und ich erwürge dich und die Deinen. – Aber ich will dich schon zum Geständnis bringen! Stopft ihr einen Knebel in den Mund und fort mit ihr nach dem Bungalow der Herrschaft. Daß keiner mit ihr zu sprechen wagt, bis ich selbst dort bin.«

Aber ehe der neue, grausame Befehl vollzogen werden konnte, änderte sich plötzlich die Szene.

Die schmachvolle Beschäftigung und die erregten Leidenschaften hatten alle verhindert, auf den Weg acht zu haben, der von den Höhen im Süden in das Tal führte, sonst hätten sie dort schon lange Fackeln glänzen sehen und das Schnauben von Pferden und Elefanten hören können. Jetzt sprangen, ihre Fackeln hochschwingend, zwei indische Chiprassys in vollem Rennen auf den Platz, schlugen mit den langen Stäben den im Wege Stehenden auf die Köpfe, und ihr lauter Ruf verkündete: »Platz! Platz! für Seine Ehren den Sahib-Sahib! – Begrüßt euren Gebieter, ihr Männer und Frauen!«

Hinter den Läufern kamen mehrere Männer zu Pferde, Europäer in Jagdkleidern oder der schimmernden roten Uniform der britischen Offiziere, jeder begleitet von seinem Seyce oder Pferdehalter. Zwei mächtige Elefanten folgten, die Haudah des einen zur Aufnahme der ermüdeten Reiter bestimmt, in der des anderen eine Dame mit einer Dienerin und einem Kinde.

Die Schar der Dienstboten beiderlei Geschlechts, welche ein englischer Haushalt oder eine englische Reisegesellschaft in Indien bedarf, folgte teils zu Fuß, teils auf Eseln und Pferden oder Ochsenkarren mit dem zahlreichen Gepäck, so daß bald die ganze Breite des Platzes von dem Zuge angefüllt war.

Es befanden sich unter jenen mehrere ältere und jüngere englische Offiziere, die sich um den Mann gruppiert hatten, dessen Anhalten zuerst den Zug ins Stocken gebracht.

Obschon derselbe Zivilkleidung trug, konnte diese doch eine gewisse militärisch feste und sichere Haltung nicht verbergen. Sein ruhiger Sitz auf dem feurigen Araber, der ihn trug, rivalisierte mit der Sicherheit jedes englischen Sportsman, er war von hoher aristokratischer Haltung und imponierender Gestalt. Dem entsprach auch das Gesicht, gebräunt von der Sonne und den Strapazen eines bewegten Lebens, aber von klassisch edlen Zügen, die den griechischen Typus zeigten.

»Halten Sie an, Gentlemen,« sagte er mit sonorer, wohllautender Stimme und der weichen Aussprache des Englischen, welche den Südländer verriet – »da vor uns liegen Menschen am Boden und unsere Pferde oder Elefanten möchten sie verletzen.«

Der Vorhang eines der Palankine wurde zurückgeschlagen und eine hüstelnde Männerstimme ließ sich hören mit der Frage, ob man bereits vor dem Landhause angelangt sei? Jetzt hatte sich auch der Verwalter von seinem Schreck über die Worte des Mädchens und die plötzliche Dazwischenkunft des Reisezuges gefaßt und nachdem er dem nahestehenden Munsiff mit einem Rippenstoß zugeherrscht, die Herrschaft durch ein Freudengeschrei der Bauern begrüßen zu lassen, eilte er mit dem Hute in der Hand zu dem Palankin des Gebieters.

»Mylord, erlauben Sie mir, mit Ihren getreuen Untertanen Sie in Ihrem Dorfe zu begrüßen. Die Freude, Sie heute schon hier zu sehen, kann uns allein darüber trösten, daß wir mit den Vorbereitungen zu dem feierlichen Empfang noch nicht zu Ende sind.«

Die Diener hatten auf einen Wink des Gebieters den Palankin niedergelassen und der Schein des Feuers fiel hell und grell auf die Gestalt des darin Sitzenden.

Sir Lytton Mallingham, eines der einflußreichsten Mitglieder des geheimen Rates von Indien und Kanzler der Präsidentschaft Madras, war ein Mann von einigen fünfzig Jahren, der den größten Teil seines Lebens in Indien zugebracht und sich ein kolossales Vermögen erworben hatte. Er war bekannt wegen seines habsüchtigen, harten Charakters, dem Mitleid und Großmut fremde Gefühle waren.

Der Rat hatte erst in seinem späten Mannesalter vor sechs oder sieben Jahren, bei einem Aufenthalt in England, die jüngste Tochter eines Lords mit einem der stolzesten Namen des stolzen Englands geheiratet. Lady Helene ward das Opfer der Spekulation ihrers Herrn Papa, wie gar manche Tochter des edlen Blutes Altenglands wird, das den Glanz des Reichtums sehr wohl zu schätzen weiß. Man sagte, daß sie sich mit gebrochenem Herzen in ihr Schicksal gefügt, da sie eine unglückliche Liebe zu einem jungen Kavallerieoffizier gehegt. Einmal als Frau, verstand sie auch meisterhaft, die Würde ihres Standes und den Schein äußern Glücks festzuhalten, wenn auch der erkünstelte Rosenschein ihrer Wangen dem tiefen Beobachter verriet, daß unter dieser so glänzenden Hülle der Moder des Kummers und des Leidens wohnte.

In den letzten Jahren hatte Lady Helene Mallingham jedoch auffallend sich verändert. Ihr Auge war belebt und strahlte zuweilen von einem ungewohnten Feuer und Glück, und sie gab sich mit sichtlicher Neigung den rauschenden Freuden und Vergnügungen der glänzenden Kreise von Madras hin.

Nur in einem Gefühl begegneten sich fortdauernd die ungleichen Gatten. Das war die Sorge für ihren jetzt dreijährigen Knaben, ihr einziges Kind, an dem der Baronet mit jener exaltierten Zärtlichkeit hing, die sehr häufig ältere Männer für die Frucht einer späten Ehe zeigen.

Das Kind war ausgezeichnet schön, doch durch die Eltern überaus verzärtelt. Der Stolz und der Reichtum Sir Mallinghams hatte es für nötig gehalten, ihm schon in seiner frühen Kindheit eine französische Erzieherin zu geben.

Es war auffallend, welchen großen Einfluß diese Person in der kurzen Zeit ihrer Anwesenheit in der Familie des Baronets schon über alle Glieder derselben gewonnen hatte. Sie nannte sich Marquise Deprevaille und behauptete, aus einer der ältesten, aber verarmten Familien der Auvergne zu stammen.

Die Marquise war um einige Jahre älter als die Lady, schien aber jene Grenze des Alters schöner Frauen, das verhängnisvolle dritte Jahrzehnt noch nicht passiert zu haben.

Sie war ein höchst verführerisches Weib; der Ausdruck ihres pikanten Gesichts fein und beweglich, ihr großes, dunkles Auge feurig und zugleich intrigant. Sie besaß bald das Vertrauen der Lady, die volle Herrschaft über das verzärtelte Kind und einen auffallenden Einfluß bei dem Herrn des Hauses.

»Ah, Master Burton,« sagte der Baronet – »erfreut, Euch zu sehen; ich hoffe, Ihr habt meine Befehle empfangen und alles zu unserer Aufnahme bereit gemacht. Meine Gesundheit macht den Aufenthalt von einigen Wochen in der frischen Luft der Berge notwendig, und diesen Herren da habe ich eine reiche Jagd versprochen für ihre Begleitung.«

Das Zeichen, das er geben wollte zur Fortsetzung des Zuges, wurde durch ein gellendes Jammergeschrei unterbrochen. Der Witwe Baulambal war es gelungen, den Knebel aus ihrem Munde zu stoßen und ihr Schmerzensgeheul erfüllte die Luft.

Zugleich hatte sich Zelima, die Tochter des Ryot, durch die Peons gedrängt und warf sich vor dem Palankin auf die Knie. »Erbarmen, Sahib,« schrie in flehenden Tönen das Mädchen, »Erbarmen bei dem Glauben deines weißen Gottes und der heiligen Mariam für mich und meinen unglücklichen Vater!«

Die Vorhänge des zweiten Palankins wurden aufgerissen, und zwischen den Falten erschien das bleiche, schöne Gesicht der Lady. »Was geht hier vor, Sir Lytton, was ist geschehen?«

Der Baronet, welcher aus der Gegenwart des Steuereinnehmers ahnen mochte, was geschehen, befahl, vorwärts zu reiten, aber das Hindumädchen lag mit ausgestreckten Armen auf dem Boden und schrie, daß die Pferde und Elefanten über ihre Leiber weggehen sollten, wenn man sie nicht erhöre.

»Was ist mit den tollen Weibern?« herrschte unwillig der Baronet zu dem Verwalter – »was wollen sie und was bedeutet das Geschrei?«

Der hohe Mann im Jagdhemd war mit einem der jüngeren Offiziere sofort vom Pferde gesprungen und nach der Hütte geeilt, woher es erklungen. Sie trugen jetzt auf ihren Armen die unglückliche Frau herbei.

Ihre Arme hingen schlotternd herab, sie warenAktenmäßige Tatsache aus den Gelenken gerissen und gebrochen, die Brüste auf das entsetzlichste zerquetscht.

»Gerechtigkeit, Sahib, Rache an diesem Bösewicht! Möge die Devy mit tausend Martern seine blutige Seele peinigen, Gerechtigkeit gegen ihn, wenn du ein Richter bist in diesem Lande, ich klage ihn an auf Raub und Gewalttat!«

»Fort mit dir, Weib,« zürnte unwillig der Zemindar, »kein Richter wird solche unsinnige Klage annehmen, die gegen eine respektable Person im Amte gerichtet istDiese Antwort auf die gerichtliche Klage bei Mißhandelten ist gleichfalls Tatsache. – Schafft das Weib beiseite!«

Der Fremde griff zornbleich nach dem Jagdmesser an seiner Seite, aber ein leiser, warnender Ruf in italienischer Sprache, der aus der Haudah des Elefanten hinter ihnen kam, ließ ihn sich fassen, und mit ingrimmig zusammengepreßten Lippen warf er der Armen seine Börse in den Schoß und wandte sich ab von dem traurigen Anblick.

»Nun rasch – was ist hier vorgefallen?« befahl der Grundherr.

»Möge dein Schatten lang sein, Herr,« berichtete der Deputy- Kollektor. »Die Bewohner dieses Dorfes sind schlimme Zahler und die Steuern vom letzten Termin schuldig, obschon die Ernte gesegnet war. Die Schurken weigerten sich, ihre Schuld zu zahlen, und jenes Weib hatte freche Reden im Munde.«

»Aber mein Vater ist keine Steuern schuldig – er ist ein freier Ryot und sitzt auf seinem Erbe,« schrie das Mädchen dazwischen.

»Man wollte ihn zwingen, für einen anderen zu zahlen und weil er sich weigerte, spannte man ihn ins Annundal. Habe Erbarmen mit uns, Herr!« Ihre zitternde Hand wies nach dem lebenden Klumpen, der eine Menschengestalt barg.

Die Lady schauderte. »Sir, üben Sie Mitleid mit den Unglücklichen,« bat ihre liebliche Stimme.

»Es ist der stöckische Bauer, der sich weigert sein Land für schweres Geld zu verlaufen, das mitten zwischen Ihren Feldern am Ufer des Flusses liegt,« berichtete der Verwalter.

»Steht es so?« sagte der Rat finster; »dann muß ein strenges Beispiel gegeben werden. Laßt den Kerl im Block, und morgen soll er den Gerichten übergeben werden.«

Die Frau des Verunglückten schrie auf im Jammer, da sie Englisch genug verstand, um den Inhalt des Befehls zu begreifen. »Allah erbarme sich unser! Was soll aus mir und diesem unglücklichen Mädchen werden, die man schon mit dem schlimmsten bedroht hat, da ihr der Schutz des Vaters fehlte!«

Die Lady hatte die Klagen der Frau teils verstanden, teils erraten, da sie in schlechtem Englisch vorgebracht worden, um das Mitleid ihres Gebieters zu erregen.

»Das Mädchen gefällt mir,« sagte Lady Mallingham. »Sie soll uns zur Cottage begleiten und die Stelle der Dienerin einnehmen, die unterwegs erkrankt und zurückgeblieben ist. Sorgen Sie dafür, Sir – und nun lassen Sie uns weiter, denn diese traurigen Szenen greifen meine Nerven allzusehr an, und Eduard wird gleichfalls der Ruhe bedürfen.«

»Laßt diese Dirne sich der Dienerschaft anschließen, Burton,« befahl mißlaunig der Nabob, »und nun vorwärts, meine Herren, damit wir an Ort und Stelle kommen!«

Der Zug setzte sich in Bewegung und schritt über den Platz weiter, die Schobedars voran. Burton, der Verwalter, war einen Augenblick zur Seite getreten und hatte seinem würdigen Genossen, dem Kollektor, seine Instruktionen gegeben.

Der Kollektor trat zu dem Mädchen und ihrer Mutter. »Komm denn, du Närrin, die du des Segens nicht wert bist, den Allah über dich ergießt. Ich werde dich zu den Bungalows begleiten und dich den Personen übergeben, die für dich sorgen wollen.«

Das Mädchen sah ihn zornig und verächtlich an, indem sie sich in die Fetzen ihres zerrissenen Schleiers zu hüllen suchte.

»Weiche von mir,« sagte sie – »ich gehe nicht mit dir!«

»Mashallah – du willst doch nicht die Gnade von dir stoßen, die dir geworden, Törin? Wenn das Ohr der Gebieterin dir offen steht, so ist es der einzige Weg, den Rebellen, deinen Vater, zu retten! Fort mit dir, Dirne, oder ich will dir beweisen, was es heißt, Ali Karam, dem Kollektor der Regierung, in den Bart zu lachen!«

Er faßte sie rauh am Arm und wollte sie, trotz ihres Widerstrebens, mit sich fortziehen, als der Schlag einer starken Hand ihn zurückstieß und ein Reiter sich zwischen ihn und die Jungfrau drängte.

»Fort mit dir, Spitzbube,« sagte eine drohende Stimme, – »fort, oder ich schlage dir den kahlen Schädel ein. Dieser Mann hier,« der Reiter, der kein anderer war als der stattliche Mann in dem braunen Jagdhemd, wies auf den Derwisch, der in der Nähe stand – »hat mich zu deinem Beistand gerufen, indem er mir erzählte, wie schändlich man mit dir umgegangen. Ich werde dich schirmen gegen die Buben, bis ich dich einem geeigneten Schutze übergeben kann.«

Das Mädchen sah mit den großen, braunen Rehaugen zu ihm auf: »Du bist mir ein Fremdling, aber ich vertraue dir. Du und jener fromme Mann sind die einzigen Freunde, die wir in unserer Not gefunden. Aber ich möchte meinen Vater nicht in seinem Unglück und in den Händen seiner Feinde lassen!«

»Ich werde bei deiner Mutter bleiben, Kind,« sagte der Derwisch, »und mit Allahs Hilfe Mittel finden, die Bande deines Vaters zu erleichtern. Geh getrost mit jenem Mann, wenn er auch ein Christ ist und zu den Faringis gehört. Er wird deine Unschuld schützen, – so gewiß er auf den Stein von Sankt Helena geschworen!«

Der Reiter fuhr zusammen bei den Worten, wie vorhin der Verwalter bei der Nennung eines Namens. Aber als er hastig sein Pferd wandte und den Fakir befragen wollte, war dieser bereits im dunklen Schatten der Moschee verschwunden.

Wenige Augenblicke noch hielt der Reiter im forschenden Umherschauen auf dem Platz, da aber alles Suchen und Vermuten vergeblich war, wandte er sich wieder zu dem Mädchen, empfahl ihr, die Hand an seinen Steigbügel zu legen, und folgte nachdenkend mit ihr dem schon in der Ferne verhallenden Geräusch des Zuges.


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