Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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In den Apenninen.

An einer einsamen, schlecht erhaltenen und nur selten von Reisenden benutzten Seitenstraße, die von Spoleto, der neapolitanischen Grenze sich nähernd, nach Ascoli geht und dort in den großen Küstenweg aus dem Neapolitanischen nach dem Wallfahrtsort Loretto an der adriatischen Küste Italiens führt, lag auf dem westlichen Abhang des Gebirges eine kleine halbverfallene Osteria. Eine riesige Pinie streckte ihre Äste über das tiefgesenkte Dach, das ärmliche Haus lehnte an die zerklüfteten Felsen, gleich als finde es darunter ein Versteck; wilder Wein und Efeu wucherten an seinen Wänden und den morschen Holzpfeilern seiner Veranda, und das ganze Aussehen der kleinen Herberge ließ darauf schließen, daß es mehr ein Schlupfwinkel oder eine Herberge der römischen und neapolitanischen Schmuggler, ja wohl noch gefährlicheren Gesindels sei, als eine Unterkunft für gewöhnliche Reisende.

Dennoch gehörte der Mann, der in diesem Augenblick unter der Veranda des Hauses, den Kopf in die Hand gestützt, saß, offenbar zu keiner der oben angedeuteten Klassen. Das Äußere dieses Fremden war ebenso anziehend als ungewöhnlich, obschon er eine einfache französische Kleidung trug, an der, außer dem langen griechischen Feß, nichts Auffallendes war. Er mochte ungefähr dreißig bis zweiunddreißig Jahre zählen, und obgleich in der vollen Blüte männlicher Schönheit und Kraft, war doch eine tiefe Melancholie, eine bittere Lebensschule auf seinem klassisch edlen Gesicht ausgeprägt. In dem ganzen Wesen und der Gestalt des Mannes lag ein soldatischer Charakter, der Ausdruck eines kühnen und freien Kriegers, wenn auch die geregelten Formen und Bewegungen der zivilisierten Militärerziehung diesem Ausdruck häufig zu fehlen schienen.

Das Auge des Mannes war unverrückt auf den einzelnen leuchtenden Punkt des fast 50 Miglien entfernten Meeres gerichtet, während der Wirt der armseligen Posada, der schon lange vor ihm gestanden und zu ihm gesprochen, seinen Krug aufs neue aus dem Ziegenschlauch mit dem Wein von Belletri füllte und ihm denselben zuschob. »Nichts für ungut, Signor Capitano, aber es ist eine Sünde, die edle Gottesgabe, wenn sie eingeschenkt, verkommen zu lassen. Ich trinke auf das Wohl Eurer glücklichen überfahrt. Wahrlich, Kapitän, es war Zeit, daß Euch die guten Väter von St. Benedetto fortschafften, und Theodoros, Euer Diener, Euch zu mir, seinem alten Kameraden, brachte, obschon Ihr noch krank und schwach waret; denn die österreichischen Spürhunde lungerten bereits arg um das Kloster. Der Teufel hole die Schufte, die Franzosen in Rom, sie sind eben nicht besser als diese Scharfrichter von Neapolitanern und helfen einen ehrlichen Burschen, der nur gegen ihre Feinde den Degen gezogen, zu Tode hetzen. Wahrhaftig, Signor, ich hätte die Amnestie des heiligen Vaters angenommen und spazierte jetzt stolz über das Forum, ja vielleicht, wenn Ihr's recht angefangen, hätten Euch Ihre Eminenzen am Ende gar Eure alte Kompagnie wiedergegeben, und ich will ein Schuft sein, wenn ich nicht selber wieder Handgeld genommen.«

Der Capitano, wie ihn der Wirt bezeichnet, schüttelte trübe lächelnd den Kopf. »Du weißt, Francesco, daß ein doppelter Preis auf meinen Kopf gefetzt ist, der Kaiser von Österreich und Se. Herrlichkeit der König von Ionien, Sir Henry Ward, bemühen sich auf gleiche Weise darum. Den Franzofen tust du unrecht. General Gemeau hat mich auf meinen Brief wissen lassen, daß es ihm unmöglich sei, ohne seine strengen Instruktionen zu brechen, mir offen Schutz zu gewähren, da ich überdies in Rom zu bekannt bin. Aber der Wink wegen der französischen Handelsbrigg, die in Ancona ankert, und die Nachricht, daß den Kapitän acht Tage dort jede Botschaft treffen werde, gleicht die Weigerung vollkommen aus. Neapel, wenn ich in die Hände seiner Schergen gefallen wäre, hätte mich, wenn auch nicht nach Korfu, doch sicher an die Österreicher ausgeliefert. – Ob Theodows morgen abend in Ripatransone sein wird?«

»Es ist unmöglich, Signor Capitano,« erklärte der Wirt. »So gewandt und verschlagen der Bursche ist, so sind es doch 80 Miglien bis Ancona, und 60 von dort zurück nach Ripatransone. Dazu braucht er Zeit, um den französischen Schiffer zu finden und sich mit ihm über Zeit und Ort zu verständigen. Vor übermorgen abend kann er unmöglich dort sein. Doch seid unbesorgt, Signor, Euer Weg durch die Gebirge über Force und Montalto ist zwar länger als die Poststraße über Ascoli, aber wenig besucht, und die Soldaten haben genug zu tun in den immerwährenden Scharmützeln mit diesen Banden, um auf einen einzelnen Reisenden zu achten, wenn Sie nur meinem Rat folgen und meine Kleidung benutzen. Die Verwegenheit dieses Teufels von Pepe Mamiani wird alle Tage größer und, bei der Jungfrau, ich sage Ihnen, es sind tapfere Burschen unter seiner Bande.«

Der Kapitän hatte ihm aufmerksamer als vorhin zugehört und wollte ihn eben näher befragen, als das Wiehern von Pferden und Geschrei der Vetturins den Weg heraufscholl. Einen Augenblick horchten beide auf das Geräusch, dann warf der Kapitän einen Blick umher, als ob er ein Mittel suche, sich unbemerkt zu entfernen; aber die Felsenspalten zu erreichen, war es nicht mehr Zeit, und der Flüchtling hatte kaum das kleine Gemach der Osteria betreten, als bereits einer der Reiter vor die Osteria sprengte und laut nach dem Wirt oder einer Bedienung rief.

Bestürzt blickte der Gerufene, der seinem Gast gefolgt war, auf diesen. »Gebenedeite Mutter der sieben Schmerzen,« jammerte er, »ich bin verloren, wenn man Sie hier findet. Geschwind hinaus, Signor, durch das Hintere Fenster, der wilde Wein verbirgt Ihre Flucht.«

Der Kapitän jedoch, der durch das Fenster geschaut, winkte ihm abwehrend mit der Hand. »Geh ruhig hinaus,« sagte er, »und nimm dem Herrn das Maultier ab. Wenn ich recht gesehen, habe ich von ihm nichts zu fürchten, und sollte es sein, je nun, auf diese oder jene Weise muß es zu Ende gehen.«

Er kreuzte die Arme und blieb ruhig an das Fenster gelehnt stehen, den Ankommenden erwartend, der auch in das Haus und das Gemach eintrat.

Der Reisende war ein feiner, ernster Mann mit vielem Anstand und ruhiger Würde in seinem Wesen. Er mochte zwei bis drei Jahre mehr zählen als der Kapitän. Er begrüßte den Anwesenden leicht in italienischer Sprache, kaum aber hatte er ihn näher ins Auge gefaßt, als sein Fuß wie gebannt an der Schwelle des Gemachs haften blieb und er mit immer erstaunteren, aber auch zugleich ängstlichen Blicken den Offizier maß. »Um Gott,« sagte er endlich – »Sie sind es wirklich, Kapitän Grimaldi? Sie noch hier in diesem unglücklichen Lande? Kaum traue ich meinen Augen! Ich glaubte Sie in Griechenland oder längst in Sicherheit!«

Der Kapitän Grimaldi trat rasch auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »So sind wir also noch immer Freunde, trotz des Preises, den Ihr Oheim, Sir Henry Ward, auf meinen Kopf gesetzt?«

»Wie können Sie zweifeln? – Ich las von jener traurigen Proklamation in den Zeitungen.«

»So kommen Sie nicht von Korfu?«

»Nein, Freund – ich komme von London – zunächst von Rom. Schon vor zwei Jahren habe ich Korfu verlassen und von Ihnen nur gehört, daß Sie an dem Kampf in Venedig und später an dem unglücklichen Aufstand in Cephalonien teilgenommen. Ich bitte Sie, erzählen Sie mir von Ihren Schicksalen.«

Der Kapitän lächelte trübe. »Sie wissen, daß ich wegen meines Widerstandes im Senat und der Unterzeichnung der Proklamation für den Anschluß an Griechenland von Korfu verbannt wurde. Ich ging nach Rom zurück und trat aufs neue in die päpstliche Leibgarde, in der ich schon früher gedient. Es war in dem unglücklichen Jahre achtundvierzig, drei Monate nachher wurde Graf Rossi ermordet, und die römische Revolution brach aus.«

»Sie schlossen sich ihr an?«

»Nein, Sir, ich tat es nicht. Ich hatte dem heiligen Vater meinen Eid geleistet und schlug mich mit den schweizer Kompagnien und meinen Albanesen drei Tage lang in den Straßen Roms. Sie wissen, daß das Volk gegen uns Partei nahm, der Papst die provisorische Regierung anerkannte und floh. Die Leibwache wurde aufgelöst, meine Kapitulation war zu Ende. Als ich, von einer Wunde genesen, mich nach Griechenland einschiffen wollte, traf die Nachricht von der Bedrohung Venedigs durch die Österreicher ein. Sie wissen, daß Venedig die alte Heimat meines Geschlechts ist und sein Name in den goldenen Büchern der Republik verzeichnet stand.«

»Wer kennt den Namen Grimaldi nicht aus der Geschichte?«

»Ich eilte nach Venedig und half das Fort Sanct Secondo gegen die österreichischen Schergen verteidigen. Die Welt kennt den Heldenkampf, den wir unter Manin schlugen. Auch Garibaldi stieß nach dem Falle Roms zu uns. Als General Pepe am 22. August auf der Villa Pavadopoli den Vertrag zur Übergabe Venedigs mit Radetzky geschlossen, flüchtete ich mit mehreren meiner Gefährten auf einem Handelsschiff zurück in meine Heimat. Verbannt aus Korfu, wollte ich Zante nur betreten, um meine Verhältnisse zu ordnen und nach Griechenland zu gehen. Im Hafen von Korfu, an Bord des neutralen Schiffes, wurde ich verhaftet und in die Kerker der Zitadelle gebracht. In Cephalonien war am 27. August die Erhebung ausgebrochen, welche die alte Freiheit der Republik oder die Vereinigung mit Griechenland forderte. Mein älterer Bruder, Anastasio, stand an ihrer Spitze. Dreihundert Jonier wurden von unseren Tyrannen hingerichtet, von jener Nation, der Europa den Schutz des jungen Staates anvertraut, und die uns zu ihren Knechten gemacht hat. Ich sah sie sterben, die Märtyrer ihrer Rechte, an dem Galgen auf der Esplanada von Korfu. Neun Monate darauf erst öffnete sich die Tür meines Kerkers – mir ward bedeutet, nach Zante zu gehen und dort unter strenger Aufsicht, fern von aller politischen Teilnahme, zu leben, widrigenfalls mich das Schicksal meines Bruders erwarte.«

»Es ist hart mit Ihnen von der Regierung verfahren, ich gestehe es.«

»Ich ging nach Zante, auf das kleine Eigentum, das bei der Konfiskation unserer Güter mir geblieben«, fuhr der Kapitän fort, »und das untätige Leben, das tägliche Schauspiel maßloser Unterdrückung fraß an meinem Herzen. Ich schrieb an meine Freunde in Athen, um in die griechische Armee zu treten – das arme Griechenland war geknechtet, gleich uns von den übermütigen Beherrschern der Meere. England forderte, allem Völkerrecht zum Trotz die Inseln Sapienza und Cervi für sein Jonien und dreimalhunderttausend Drachmen für fremde Kaufleute, die von irgendeinem Räuber geplündert waren. Seine Flotte sperrte den Pyräus, seine Willkür hatte alle griechischen Schiffe mit Embargo belegt, trotz des Widerspruchs Frankreichs und Rußlands. Kein Jonier durfte in Griechenland Zuflucht finden – meine Hoffnung war vergebens. Ich vegetierte fort – nur der Schmerz in meinem Innern wuchs riesengroß. Da kam von den albanischen Küsten und aus Montenegro die heimliche Nachricht zu uns, daß russische Agenten sich dort aufhielten. Ich selbst konnte nicht hinüber, denn jeder meiner Schritte war bewacht. Ich kam heimlich mit getreuen Männern zusammen, ich sandte einen vertrauten Diener mit Briefen ab nach Patras, in denen wir dem alten Freunde Griechenlands, dem Zaren, unsere Dienste anboten und von ihm Hilfe für unser Elend forderten. In einer Oktobernacht klopfte es an das Fenster meines Hauses. Ein Unbekannter reichte ein Papier herein und verschwand so rasch, als er erschienen war. Mein alter Diener brachte mir den Zettel. Er enthielt die Worte: »Fliehen Sie – die Briefe nach Petersburg sind aufgefangen und in den Händen Sir Henry Wards. Befehl zu Ihrer Verhaftung. Der Weg nach Griechenland gesperrt. Italien!« Noch in derselben Nacht, während mein Diener meine Freunde benachrichtigte, erreichte ich Bromi und schiffte mich auf einer Barke ein. Nach zwei Tagen Umherkreuzens trafen wir ein Messina-Schiff, das nach Tarent ging. So erreichte ich das Festland.«

»Doch wie kommen Sie aus Kalabrien hierher, nach so langer Zeit – warum suchten Sie nicht längst Schutz in einem andern Lande?«

»Es war nicht möglich. In Neapel konnte ich nicht hoffen, mich einzuschiffen; infolge des Aufstandes in Sizilien war hier die Aufsicht streng und ausgedehnt. Ich glaubte im römischen Gebiet leichter die Küste des Mittelländischen Meeres zu erreichen und durchwanderte die Abruzzen. In Rieti, auf päpstlichem Gebiet, wurde ich erkannt. Mein plötzliches Erscheinen galt als Beweis neuer propagandistischer Versuche; der englische Konsul in Rom. Ihr Gesandter in Neapel schlossen sich der Verfolgung an und, gehetzt wie der Eber der Abruzzen, floh ich zurück in die Gebirge.

»Ein Preis stand auf meinem Kopf – meine Kraft war gebrochen; in dem Schnee der Apenninen sank ich fieberhaft zu Boden. Mein treuer Diener trug mich an die Pforten des Klosters St. Benedetto hoch im Gebirge an der neapolitanischen Grenze. Dort lag ich monatelang krank und verborgen im Schutz der frommen Väter, und sie entließen mich nach meiner Genesung erst dann, als mir durch einen Zufall Verrat und Gefahr drohte. Seit zehn Tagen bin ich hier bei einem Manne, der vor Jahren in Rom unter mir gedient, und der diese Schenke auf dem Gebirge von seiner Familie geerbt. Sein Dank gibt mir Obdach!«

»Und was gedenken Sie zu tun? Wie kann ich Ihnen helfen? – Richard Hunter, obschon nur ein Diener der Religion und des Friedens, wird keine persönliche Gefahr scheuen, um dem Freunde, dem Retter seines Lebens in den Schluchten des St. Salvador zu beweisen, daß die Verschiedenheit politischer Meinungen nicht die Pflichten der Dankbarkeit und der Freundschaft aufhebt.«

Der Capitano reichte ihm die Hand. »Eine Aussicht eröffnet sich mir – in Ancona liegt ein französischer Kauffahrer, der mich an der Küste aufnehmen soll. In Ripatransone erwarte ich Botschaft, und es gilt nur, dasselbe ungefährdet zu erreichen.«

»Das träfe sich herrlich,« sagte der Brite, »wir gehen nach Ascoli und an die Küste. Niemand in unserer Reisegesellschaft kennt Sie – Sie werden uns begleiten.«

»Noch weiß ich nicht, ob ich es wagen darf,« erwiderte der Grieche. »Sie haben mir noch nicht erzählt, welcher Zufall Sie in diese wilden Gebirge führt, wer Ihre Begleiter sind?«

»Vier junge Landsleute, jüngere Söhne edler Familien wie ich, die meiner Obhut anvertraut sind, und mit denen ich die Tour durch Frankreich, Deutschland und Italien gemacht. Ihre Bestimmung ruft sie in die Armee nach Ostindien, und dorthin, Freund, führt mich auch mein Schicksal. Ich gehöre zur Mission von Bengalen und gehe, wenn ich mein Lebensglück durch die Erfüllung meines teuersten Wunsches gesichert, nach Suez, um mich von dort nach Kalkutta mit meiner künftigen Gattin einzuschiffen. – Doch da kommen meine Begleiter, und wenn Sie auch keiner kennt, ist es doch nötig, Sie unter anderem Namen einzuführen.«

Während der Unterredung war die besprochene Gesellschaft angekommen. Sie bestand aus mehreren Reitern. Die Hauptgruppe bildeten vier junge Männer, von denen noch keiner das zwanzigste Jahr erreicht hatte, die nach ihrem Begleiter riefen. Die jungen Herren kamen alsbald ins Haus, wo ihnen der Vikar entgegentrat und ihnen den Kapitän zuführte. »Wie glücklich bin ich, daß ich Ihrem Willen nachgegeben und die große Straße durchs Gebirge eingeschlagen,« sagte er; »denn ein Zufall läßt mich in dieser Osteria einen alten Freund aus Neapel, den Comte di Griffeo treffen. Erlauben Sie mir, lieber Graf, Ihnen hier meine jungen Reisegefährten, vorzustellen: Sir Stuart Sanders, Fähnrich in Ihrer Majestät 84. Regiment in Ostindien, Kornet Pond, der Neffe des Generals Wheeler, Hugh Flinton, und James Ward, mein Vetter, der Sohn meines Oheims in Korfu, der seither in England erzogen wurde.«

Der Kapitän verneigte sich höflich vor den jungen Männern, und die Unterhaltung war bald im Gange.

»Heda, Wirt, wie weit rechnet ihr noch bis Osole?«

»Neun Miglien, Exzellenza zu dienen.«

»Und werden wir noch vor Einbruch der Nacht den Ort erreichen?«

»Möglich wohl, Exzellenz, indes ... die Jahreszeit ... die Gewitter ...« »So lassen Sie die Tiere vorführen, James, und Sie, lieber Pond, treiben unsere Führer zum Aufbruch.«

»Wenn Sie demnach erlauben, meine Herren, schließe ich mich Ihrer Gesellschaft an, bis unsere Wege sich trennen. Holen Sie mein Pferd, Francesco, und Sie, Freund, warten Sie nicht auf mich, sondern treten Sie den Weg nur an, was mich selbst das Beste dünken will, wenn ich jene schweren Wolken über dem Monte Cavallo sich erheben sehe. In wenig Minuten hole ich Sie ein.«

Die Dämmerung nahte bereits, als Grimaldi den Zug erreichte und sofort zu seinem Freunde ritt mit dem er über die Ereignisse der letzten zwei Jahre plauderte. So achteten sie wenig darauf, daß drohende Gewitterwolken den Abendhimmel umzogen und den Weg verdunkelten, der sich immer tiefer und wüster in die Berge hinein zog. In den südlichen Ländern ist die Dämmerung nur kurz und geht rasch zur Nacht über. Erst als sie fürchteten, längst vom rechten Wege abgekommen, und der Führer, fortwährend mit den beiden Maultiertreibern flüsternd, ihnen verdächtig vorkomme – fiel ihnen auf, daß sie die von dem Wirt ihnen angegebene Entfernung bereits zurückgelegt haben, oder wenigstens Osole sehr nahe sein müßten.

Hunter gab der kleinen Karawane das Zeichen zum Anhalten und ritt zu dem Führer hin, der ihn, auf seinen langen Gebirgsstock gestützt, trotzig erwartete.

»Ich und meine Begleiter sind der Ansicht,« sagte der Kaplan mit freundlichem Ton, »daß wir zu weit links in die Berge geraten sind.«

»Wenn Exzellenza in diesen Bergen besser Bescheid zu wissen meinen, als ich, so werden Sie am besten tun, sich selbst zu begleiten.«

»Dazu habe ich euch gemietet,« sagte der Geistliche ernst, »und ihr müßt uns dahin führen, wohin ich es euch bestimme. Für jetzt habe ich beschlossen, das wir unseren Weg zurücknehmen wollen nach der Osteria, die wir vor zwei Stunden verlassen haben. Also laßt die Tiere und die Leute umwenden und zeigt uns den Weg.«

Der Führer biß die Zähne trotzig zusammen und warf tückische Blicke auf den Sprechenden. »Ich und meine Gefährten gehen keinen Schritt zurück; wir versprachen, Sie nach Osole zu bringen und haben selbst Geschäftte dort; unser Weg geht also vorwärts!« Damit steckte er den Finger in den Mund, tat einen schrillen Pfiff, und schritt, unbekümmert um die Reisenden, voran, während die beiden Maultiertreiber bei dem Laut aufmerksam nach ihm hinblickten, wie ein Pferd die Ohren spitzt, wenn der Ton der Trompete zum Kampf ruft. Hunter aber, von der Begründung seines Verdachtes jetzt überzeugt, war rasch an des Führers Seite und packte ihm beim Kragen. »Halt, Kerl,« rief er, »wenn du nicht in Güte hörst, werden wir dich zum Gehorsam zwingen.«

»Laßt mich los, Signor, oder ...«

»Henry – Steffen – herbei!« schrie der Brite den Bedienten zu. »Faßt mir den Halunken und bindet ihn!«

»Maladetta bestia!« knirschte der Italiener und riß sich mit einem kräftigen Ruck aus den Händen des Vikars los. Mit der Gewandtheit einer Katze war jener an den Rand des Weges, wo er sich abschüssig in dichtes Gebüsch senkte, gesprungen und ließ einen zweiten Pfiff ertönen, dem ein wilder Gegenruf der beiden Maultiertreiber antwortete. Ehe die Reisenden es verhindern konnten, waren diese aus der Reihe gesprungen und kletterten an den Felsen empor. Ein greller Blitz aus der Wolkenwand zeigte Antonio den Führer, noch am Rande des Weges stehend. Dann erscholl der Knall einer Pistole, ein wilder italienischer Fluch wurde ausgestoßen und der Verräter verschwand am Abhang.

Mit flüchtigen Worten wurde jetzt den anderen ihre gefährliche Lage kund gemacht und eine rasche Beratung gehalten, die bei der Eile um so nötiger war, als plötzlich das Unwetter in voller Kraft über ihren Häuptern losbrach. Die Gesellschaft befand sich in einer trostlosen Lage, und der neapolitanische Pseudo-Graf trat an ihre Spitze.

Da man bereits den Entschluß geäußert hatte, nach der Osteria Francescos zurückzukehren, so würden die Verräter gewiß mit ihren Genossen sie auf dem langen Wege dahin im Dunkel der Nacht überfallen, und selbst im glücklichsten Fall bot die einsam gelegene, von jeder Hilfe abgeschnittene Herberge keinen genügenden Schutz gegen einen Angriff. Dagegen war es möglich, daß man bei dem mutigen Vorwärtsdringen aufs Geratewohl eben durch das Unerwartete den harrenden Feinden entgehen könne, die durch das Unwetter eben so gut behindert sein mußten, wie die Reisenden. Der in Strömen fallende Regen mußte jede Spur ihres Zuges verwischen, und jedenfalls, auch wenn sie keine bewohnte Gegend, erreichten, war es immer besser, in irgend einem abgelegenen Dickicht des Gebirges den Tag zu erwarten und die etwaigen Verfolger so über ihren Weg zu täuschen.

Die Ansicht des Kapitäns entschied.

Sie hatten das Plateau verlassen und waren immer tiefer ins Tal quer durch einen Wald gegangen, als einer der beiden italienischen Bedienten, der an der Spitze des Zuges sich befand, auf einen fernen Lichtschimmer deutete, der sich zwischen den Bäumen hindurch zu zeigen begann. Allgemeine Freude erfaßte die Reisenden, als sie dies Zeichen der Nähe einer menschlichen Wohnung erblickten.

Der Geistliche ließ seine Uhr repetieren – sie gab elf an. Sie waren unterdessen an den Rand des Waldes gekommen und vor ihnen lag ein großes dunkles Gebäude.

»Lassen Sie mich vorausreiten,« sagte Grimaldi, »und zuerst allein Einlaß versuchen. Einem einzelnen werden die Leute, die dort hausen, weit eher öffnen, und ich kann mich dabei zugleich überzeugen, ob nicht vielleicht eine uns überlegene Zahl von Feinden dort Schutz vor dem Wetter gesucht. Hören Sie einen Schuß, so bin ich in Gefahr, und Sie tun am besten, sich wieder in die Berge zu werfen. Mein Ruf soll Sie benachrichtigen, wenn das Feld rein ist und wir also eine Herberge finden. Bis dahin aber halten Sie sich im Dunkel des Waldes.«

Er gab seinem kleinen Pferde die Sporen und ritt auf das Gebäude zu. Er klopfte ohne Zögern mit dem Kolben seiner Pistole an das verschlossene Hoftor, daß der Schall laut durch die Nacht dröhnte.

Ein kleines Fenster im untern Geschoß öffnete sich und eine Stimme fragte: »Wer klopft? Ist es einer von uns?«

»Ja,« antwortete der Kapitän unbedenklich mit leiser und verstellter Stimme, vom Schatten des Tores, an das er dicht herangetreten, gedeckt. »Mach auf und sage, ob du allein bist?«

»Heilige Jungfrau von Loretto! Niemand ist im Hause, als Mutter Therese und ich. Komm getrost herein, Freund, ich wunderte mich schon, wo ihr in diesem Höllenwetter gesteckt. Im Augenblick bin ich bei dir.«

Der Türflügel wurde von einem Greise geöffnet.

»Heiliger Januario, mein Padrone!« rief er, »wer seid ihr und was wollt ihr, daß ihr einen armen, einsamen Mann so in dieser schrecklichen Nacht überfallt?«

Er versuchte das Tor wieder zu schließen, aber der Offizier war bereits dazwtschen getreten. Er sagte: »Nichts für ungut, Alter, Not kennt kein Gebot, ich bin ein verirrter Reisender und Ihr könnt Christenleuten nach einem Wetter nicht ein Unterkommen verweigern, um sich zu erholen. Ich habe einige Freunde bei mir, die draußen meiner noch harren, und muß mich vergewissern, ob sie ohne Gefahr hier eintreten können. Also voran, Alter, und zeigt mir eure Spelunke.«

Der Alte, einsehend, daß ihm nichts übrig blieb als zu gehorchen, fügte sich und gleitete ihn die zerbröckelten Steinstufen hinauf, die zum Hause führten. Den unteren Teil desselben nahm fast ganz eine weite Halle ein, die jetzt zur Küche diente und in welcher ein kleines Feuer auf dem Herde brannte. Ein altes, von Jahren und Gicht krumm gezogenes Weib, mit mürrischer Miene, saß dabei und spann, während von einem Mooslager daneben ein Knabe, von etwa zehn bis elf Jahren, beim Eintritt der Männer sich erhob und mit forschenden, verschlagenen Augen den Fremden betrachtete. Zwei Türen, die der Wirt öffnete, zeigten nur zwei leere und wüste Kammern ohne weiteren Ausgang, und auch im obren Stockwerk, das wiederum eine große Halle und zwei anstoßende leere Zellen enthielt, fand sich nichts Verdächtiges, was den Kapitän zu der Vermutung veranlassen konnte, daß wenigstens im Augenblick im Hause eine Gefahr sie bedrohe.

»Einstweilen scheint mir euer Haus sicher,« sagte der Kapitän, »und ich gehe, meine Freunde zu holen. Nur möchte ich doch vorher noch wissen, wen ihr eigentlich erwartetet, als ihr mir das Tor geöffnet?«

»Sancta Theresa – wen sollte ich erwartet haben?« fragte heuchlerisch der Wirt. »Hier des armen kleinen Peppo Eltern aus Arquata – meine Frau Muhme und Vetter – wollten uns heute besuchen und den Burschen abholen. Wir glaubten sie verspätet durch das höllische Wetter im Gebirge. Aber Exzellenza wollen mir die Frage erlauben, wie Sie denn bei diesem schrecklichen Gewitter hierher geraten und mein armes Haus gefunden haben?«

»Ich sagte es euch schon – wir kommen von Terni und haben uns im Gebirge verirrt. Der Führer und die Betturins haben uns hintergangen und sind, als wir uns ihrer versichern wollten, entflohen, ihre Tiere im Stich lassend. Der Schurke, der sich in Terni meinen Freunden zum Führer anbot, hatte sicher Helfershelfer im Gebirge, denen er uns in die Hände spielen wollte.«

»Kennt Exzellenza den Namen des Mannes?«

»Antonio Pescare nannte er sich mir.«

Der Knabe am Feuer machte eine leichte Bewegung, der Wirt und sein Weib blieben jedoch ruhig und unbefangen.

»Sorgt, unterdes ich meine Reisegefährten hole, für ein gutes Feuer und was etwa euer Haus vermag,« befahl der Offizier, »ich bin sogleich mit ihnen zurück.«

Der Wirt leuchtete ihm aus der Tür und kehrte dann sogleich in die Halle zurück, wo er den Knaben bereits im eifrigen Gespräch mit der alten Frau fand. »Der Vater hat es selbst gewagt,« sagte der Bursche, »und bei Sankt Peter – die englischen Ketzer sollen ihm nicht entgehen!«

»Peppino – du bist ein flinker Bursch, du kennst alle Stege des Gebirges und wirst ihn finden. Bringe ihm Nachricht, wo er die Fremden trifft. Jacopo wird dafür sorgen, daß ihr das Tor unverschlossen findet.«

Der Knabe nahm sogleich einen alten, kurzen Mantel von Ziegenhaaren um und setzte seinen spitzen Filzhut auf. »Seid unbesorgt, Muhme,« sagte er. »Ich werde sie finden und sende euch Botschaft. Merkt nur auf, ob ihr den Rabenschrei hört.«

Der Kapitän hatte seinen Freund von dem Zustand des Zufluchtsortes unterrichtet und dementsprechend wurden sofort die nötigen Befehle erteilt, das Tor wieder sorgsam geschlossen, die Maultiere und Pferde in einem im Hofe sich befindenden Schuppen untergebracht und mit Futter versehen, das sämtliche Gepäck aber in die Halle des Erdgeschosses gebracht, wo bereits die vier jungen Männer sich um das Feuer versammelt hatten und des überstandenen Ungemachs und der Gefahr rasch vergessend, mit der alten Frau ihren Scherz trieben, dem ziemlich guten Wein, den der Wirt herbeischaffte, zusprachen und es sich so bequem als möglich machten.

Das Verschwinden des Knaben beunruhigte trotzdem fortwährend den Offizier, und er verabredete mit seinem Freunde, daß sie abwechselnd in dem obern Stock, den man zur Schlafstätte der Herren gewählt, Wache halten wollten, indes einer der Diener das gleiche Amt in der Halle des Erdgeschosses versehen sollte. Master Hunter bestand barauf, die erste Wache zu übernehmen, und der Kapitän streckte sich in einem der oberen Seitengemächer gleichfalls auf den Boden, um einige Stunden Schlaf zu suchen.

Richard Hunter hatte die Lampe ausgelöscht, um nicht durch ihren Schein die Gegenwart von Menschen im Turm zu verraten, und saß, den Kopf in die Hand gestützt, am offenen Fenster, den Blick bald in den gestirnten, durchsichtigen Nachthimmel tauchend, bald auf die Schatten richtend, die der Mond, sich eben über die Tannen und Pinien erhebend, durch das Tal warf.

Still!

Aus dem Dunkel der Pinien glitt eine Gestalt langsam und vorsichtig über die lichten Stellen der Mondbeleuchtung hinweg und stahl sich in den bergenden Schatten der Hofmauer.

Ein schlecht nachgeahmter Rabenschrei ließ sich hören und wiederholte sich dreimal.

Darauf war es ihm, als klänge ein Fenster dicht unter ihm. »Wer ist da?« flüsterte eine Stimme, in deren unterdrücktem Hüsteln er den Ton des schuftigen Wirtes erkannte.

»Manigoldo! wer sonst als die Raben des Gebirges! Laß mich ein, alte Eule! Bei dem Kreuz von Suli – kennst du Danilos, den Uskoken nicht?«

»Einen Augenblick Geduld, ich will mich nur überzeugen, ob die Fremden schlafen, denn es sind ein Paar Augen unter ihnen, denen ich nicht traue.«

Er hatte kaum Zeit, sich in eine Stellung des tiefen Schlafes auf den Boden zu werfen, als Jacopo, der Wirt, hereinschlich, das Licht einer Blendlaterne auf die einzelnen Schläfer fallen ließ und namentlich sorgfältig bei ihm lauschte. Endlich schien er sich überzeugt zu haben, daß nichts zu besorgen und kehrte wieder in das untere Stockwerk zurück, im Vorbeigehen noch leise den Riegel vor die Tür der Kammer schiebend, in welcher der Kapitän schlief.

Dem Vikar klopfte das Herz in der Brust. Er schwankte einen Augenblick in Überlegung – denn die Gefahr, die ihm hier entgegentrat, war eine seinen Berufsverhältnissen ganz ungewohnte. Doch dauerte dieses Überlegen nicht lange und der Gedanke siegte, daß bei einem Lärmmachen der Spion und der Wirt leicht entfliehen könnten; er nahm deshalb den Säbel eines der jungen Männer auf und schlich leise die Treppe hinunter nach der Halle. Er schlich dicht heran und legte das Ohr an einen Spalt, was ihm erlaubte, jedes Wort deutlich zu hören.

»Warum ist Antonio nicht selber gekommen, warum schickt er einen Fremden?« fragte die selbst in der Dämpfung des Tones kreischende Stimme der Frau.

»Bah, alte Hexe, was weiß ich! – Er steuert hinter seinen Kameraden, den Halunken, her, um sie in allen Winkeln der Berge zusammenzusuchen. So bat er mich, zu gehen und euch zu sagen, daß er um fünf Uhr1 Uhr nachts; die Italiener und Orientalen rechnen ihre Stunden vom Untergang der Sonne. hier sein wird, um dieser englischen Brut ein Ende zu machen!«

»Also eine Stunde nach Mitternacht! Sie schlafen wie die Ochsen. Ich lasse euch ein, und ihr könnt ihnen die Kehlen abschneiden, ehe sie ein Ave sprechen, wenn diese Ketzer überhaupt beten.«

»A riverderci!« sagt die tiefe Stimme und der Vikar hörte ein Geräusch, wie das Öffnen einer Tür.

Er fühlte, daß der Augenblick des Handelns gekommen, riß daher die Tür der Kammer auf und sprang mit dem Säbel in der Faust hinein, zugleich mit lauter Stimme den Freund und die Gefährten zum Beistand rufend.

Der Anblick, der sich ihm bot, erklärte ihm sogleich, auf welche Weise der Bandit oder Korsar in das Innere des Turmes gekommen und früher der Knabe denselben verlassen hatte.

Eine Falltür gähnte geöffnet im Winkel der Zelle und zeigte eine Reihe von Stufen, die in die Tiefe führten; Jacopo hielt die Tür und der Fremde hatte sich ihr eben genähert, um hinunter zu steigen.

Der Korsar war im Begriff, die Stufen zu betreten, als die Tür der Zelle aufflog und der Vikar dazwischen sprang. Im Schreck ließ der Alte die schwere Falltür seiner Hand entschlüpfen, und donnernd schlug sie zu. Im nächsten Augenblick stand der Engländer auf ihr und schwang mutig den Säbel. »Ergebt euch, Schurken, ihr seid gefangen!«

Ein unterdrückter Fluch entfuhr dem Munde des Korsaren, im nächsten Moment sprang er gleich einem Tiger auf den Vikar zu, den Säbelhieb nicht achtend, der seine linke Schulter verwundete. Oben im Gebäude krachte ein Schuß: die plötzlich erweckten Schläfer sprangen empor, wirr durcheinander fragend, was geschehen; aber schon war der Vikar zu Boden gerissen, das Knie des Korsaren auf seiner Brust und der Yatagan zum Todesstoß erhoben.

»Schmach über Danilos Petrowitsch, wenn er den Besiegten tötet!« sagte eine ernste feste Stimme. »Es ist unwürdig eines freien Klementi

Die Worte schienen eine Zaubergewalt über den wilden Uskoken zu haben und seine Blicke suchten den Sprecher; durch die Türe drangen jetzt die jungen Offiziere und ihre Diener herein.

»Capitano Grimaldi! Die Panagia sei gelobt, daß ich dich finde!« Er eilte auf den Offizier zu und wollte seine Hand ergreifen.

»Danilos,« sagte schnell der Kapitän. »Reisende plündern und morden bleibt die Sache der Banditen, nicht die eines freien Kriegers. Die Herren hier stehen unter meinem Schutz, und ich teile ihr Los, das merke dir.« – Dann auf den Vikar zutretend: »Es freut mich, daß ich noch im rechten Augenblick kam. Besorgen Sie nichts, ich kenne diesen Mann, er ist ein Korsar der albanesischen Küste, aber ein tapferes und wackeres Herz. Lassen Sie jedoch diesen alten Halunken und die Hexe, sein Weib, binden und in Verwahrung bringen und den Ausgang untersuchen, zu dem diese Falltür führt.«

»Verzeihen Sie, Sir,« sagte, mit seinen Gefährten hinzutretend, der Kornet Pond, »Master Hunter hat Sie uns als den Grafen Griffeo aus Neapel vorgestellt, während dieser Mann Sie Kapitän Grimaldi nannte?«

Der Jonier, dem erst jetzt der unglückliche Verrat seines Namens einfiel, fühlte sein Gesicht sich mit dunkler Glut färben. »Und was folgern Sie daraus, Sir, wenn ich bitten darf?« fragte er unwillig.

»Unser Freund, James Ward, hier behauptet, daß Grimaldi der Name eines entflohenen ionischen Rebellen sei. Es ist nötig. Sir, daß Gentlemen wissen, woran sie mit einem Herrn sind, der so – seltsame Bekanntschaften mit den Helfershelfern der Banditen hat.«

Noch ehe der Kapitän antworten konnte, kam der Vikar herbei und fragte, erstaunt über die fast drohende Haltung, welche die jungen Männer gegen seinen Freund angenommen, was vorgefallen sei.

»Diese Herren,« sagte der Kapitän und ein bitterer Hohn umzog seinen Mund, »befragen mich soeben, welche Rechte ich auf den edlen Stammbaum der Partannas habe und ich muß ihnen erwidern, daß sie eben nur in der Freundschaft Master Hunters bestehen und ich wirklich der Kapitän Grimaldi bin, den der Vater dieses jungen Herren da sich nicht scheut, gleich einem österreichischen Sbirren, zu verfolgen.«

»Wenn Sie Kapitän Grimaldi sind,« versetzte der junge Ward heftig, »so verhaften wir Sie.«

»James, sind Sie wahnsinnig? Wollen Sie uns alle zugrunde richten?« rief der Vikar. »Welches Recht haben Sie an diesem Mann, törichter Knabe?«

»Er ist ein Rebell und Verräter gegen die Krone Englands,« erwiderte derselbe trotzig, »er steht mit Banditen im Bunde und ist dem Galgen verfallen. Ich selbst habe die Proklamation gelesen, die einen Preis auf seinen Kopf gesetzt, und ich wäre ein schlechter Sohn meines Vaters, wollte ich die Gelegenheit vorübergehen lassen, seinen Feind unschädlich zu machen.«

»Ich bitte Sie, mein Freund,« sagte der Vikar streng, »hören Sie nicht auf die Worte dieser jungen Toren. Und Ihnen, meine Herren, befehle ich, kraft der Aufsicht, die mir über Sie anvertraut, sich jeder Beleidigung dieses Mannes zu enthalten.«

»Euer Ehrwürden,« entgegnete der Fähnrich Sanders, »fassen, glaube ich, Ihr Verhältnis zu uns irrig auf. Wir sind Offiziere und Ihnen Achtung, aber keinen Gehorsam schuldig. Diese beiden Leute werden uns morgen als Gefangene begleiten.«

»Und wissen Sie so gewiß, Sir, daß Sie und Ihre trotzigen Kameraden morgen dies Haus wieder verlassen werden?«

»Wie meinen Sie das?«

»In zwei Stunden,« sagte der Vikar ernst, »wird Ihnen die Ankunft einer Bande von Mördern, die es auf uns abgesehen, die Antwort geben. Wir sind hier in der Höhle der Banditen, denen wir entkommen wollten. Kapitän Grimaldi, auf Ihren Rat ist unsere einzige Hoffnung gebaut. Sie sind ein Mann von Ehre und werden vergessen, was diese jungen Leute gegen Sie gefehlt.«

Der Kapitän, welcher schweigend und anscheinend gleichgültig gegen den Ausgang bisher dem Gespräch zugehört, wandte sich an den Seemann und befragte ihn in italienischer Sprache:

»Wie zahlreich ist die Bande des Pepe Mamiani?«

»An fünfzig Mann. Die Hälfte jedoch ist um seinen Leutnant Pescare versammelt, der sich an die Fersen dieser Inglesi geheftet.«

»Also führt Mamiani nicht selbst unsere Gegner?«

»Der Hauptmann, hat sich auf den Monte Vittore geflüchtet, nachdem er einen Weiberraub im Neapolitanischen ausgeführt.«

»Ist es möglich, ungefährdet von hier zu entkommen? Antworte auf meine Frage, Danilos.«

Der Korsar sah mürrisch vor sich hin. »Dies alte Gemäuer ist keine drei Büchsenschuß von der Straße nach Monako und Amandola entfernt, aber Pescare versteht sein Handwerk und hat alle Ausgänge besetzt.«

»Monako?« fragte der Vikar – »der Name ist mir nicht unbekannt. Ist ein solcher Ort in der Nähe?«

»Ein Flecken von kaum fünfzig Häusern, fünf Miglien von hier.«

Der Vikar suchte eifrig in seinem Portefeuille, während der Kapitän seine Fragen fortsetzte.

»Endlich! gefunden!« rief der Vikar, einen Brief hastig entfaltend. »Es ist der nämliche Ort, und sie müssen bereits dort sein! Wenn es gelingt, sind wir gerettet.«

»Was meinen Sie damit?

»Ich sagte Ihnen bereits, daß ein Verwandter von mir Offizier in österreichischen Diensten ist. Er schrieb mir nach Rom, daß er mit seinem Kommando Husaren nach Monako an der neapolitanischen Grenze kommandiert sei. Es muß der nämliche Ort sein, den dieser Mann nannte.«

»Eine Abteilung der Schwabi ist gestern in den Flecken eingezogen, wie ich hörte.«

»So ist es richtig. Wenn es uns gelänge, Botschaft dahin zu senden, wären wir gerettet. Aber wer von uns vermag den Weg in der Nacht durch das Gebirge und die Wachen der Banditen zu finden!«

Ein allgemeines Schweigen erfolgte; alle empfanden, daß das Unternehmen unmöglich war.

Der Kapitän Markos Grimaldi erhob sich. Einen Moment lang streifte sein ernster Blick mit bitterem Ausdruck über die Gruppe der Engländer, die noch vor kurzem sich als seine Verfolger gezeigt; – dann wandte er sich zu dem Uskoken und sagte ruhig:

»Danilos Petrowitsch, lege alle deine Waffen ab!«

Ohne eine Frage zu tun, ohne ein Wort der Gegenrede legte sie der Albanese auf den Fußboden neben sich.

»Jetzt, Sir Richard,« fuhr der Kapitän fort, »bitte ich Sie, einen aus Ihrer Gesellschaft auszuwählen, der, wohlbewaffnet, diesen waffenlosen Mann begleitet. Er wird ihn bis zum Eingang des von den Österreichern besetzten Ortes führen, – dort mag Ihr Bote die erwünschte Hilfe erbitten. – Kein unnützes Mißtrauen, keine Zögerung, Freund. Es ist die einzige Rettung, die Ihnen bleibt!«

Eine lange Pause, ein leises Flüstern der Männer untereinander folgte, während der Vikar ein Blatt aus seiner Schreibtafel riß und sich niedersetzte, um einige Zeilen zu schreiben.

»Hier auf dem Kamin steht ein altes Schreibzeug,« sagte Kornett Pond, »bedienen Sie sich seiner, wenn die Tinte nicht vertrocknet ist.«

»Da liegt ein Blatt eingeklemmt unter dem Tintenfaß, das wie ein Brief gefaltet ist,« bemerkte der junge Ward, indem er den Gegenstand hervorzog und an das Licht der Lampe hielt, »Wahrhaftig, ein wirklicher Brief, und – Gott verdamm meine Augen, das Blatt ist an Sie adressiert, Vetter Hunter, und mir ist, als kenne ich die Hand.«

Alle sprangen erschrocken und erstaunt herbei. Der Vikar riß dem jungen Mann das Blatt fort und warf einen einzigen Mick auf die Handschrift. Wie vom Blitz getroffen, sank er auf den Sessel zurück, Totenblässe überzog sein Gesicht, das seine Linke verhüllte, und der Name »Adelaide« war alles, was er mit entsetztem Tone zu stammeln vermochte.

»Um aller Heiligen willen, was ist Ihnen, Freund? Was wollen Sie mit diesem Namen sagen?«

Der Vikar reichte ihnen das Blatt. »Lesen Sie!«

Der junge Ward hatte es ergriffen. »Gott verdamm mich, es ist meiner Cousine Adelaide Hand! Ihr Name ist unterzeichnet!«

»Lesen Sie, Sir!«

Die Stimme des Kapitäns klang heiser, rauh, als er die Worte befehlend herausstieß. Eine nervöse Bewegung schien alle Fibern des starken Mannes zu erschüttern. Der junge Mann las die verhängnisvollen Worte vor. Sie lauteten:

»Mein Freund!

Banditen sind diese Nacht in die Villa des Marchese Sorrenti eingebrochen, wo ich mich seit drei Wochen aufhalte und Sie erwarte. Man hat mich fortgeführt – wie ich fürchte, nicht bloß eines Lösegeldes willen, denn der Anführer der Räuber verfolgt mich schon jetzt mit seiner Zudringlichkeit. In diesem Hause gönnte man mir einige Stunden Ruhe, und ich benutze sie, um diese Zeilen zu schreiben. Vielleicht fallen sie in die Hände eines, der um der Belohnung willen sie abgibt. Wenigstens können sie – wenn es zu spät ist, mich zu retten – Kunde von meinem Schicksal geben. Man führt mich auf den Monte Vittore, wie ich aus den Gesprächen der Räuber vernommen. Leben Sie wohl – ich weiß, wenn es sein muß, zu sterben.

Adelaide Seymour

Adressiert war der Brief an den Vikar Hunter, abzugeben im englischen Generalkonsulat zu Rom, gegen eine Belohnung von hundert Lires.

Alle standen verstummt von dem neuen Schlage, der sie betroffen – keiner wußte Rat.

»Es ist hart für ihn,« sagte endlich der Kornett Pond, auf den Vikar deutend, »im Augenblick, wo er seine Braut zu finden hofft, sie zu verlieren!«

»Seine Braut? Lady Adelaide die Braut dieses Mannes?«

Die Stimme klang noch heiserer und rauher als vorhin; die Hand des Kapitäns hatte sich wie eine Eisenschraube um den Arm des jungen Mannes gelegt.

»Ist Ihnen denn dies unbekannt, Sir?« fragte der junge Ward. »Meine Verwandten sind mit der Einwilligung meines Vaters verlobt, und Master Hunter machte den Weg mit uns, sich die Gattin zu holen.«

»Seine Braut! – So sei es denn, auch das letzte ist verloren!«

Die letzten Worte des Kapitäns – der leise Schmerzensruf eines gebrochenen Herzens waren von keinem fremden Ohr verstanden worden. Einige Augenblicke hatten hingereicht, des Wehes Herr zu werden und alle seine Manneskraft wiederzufinden. Nur die durchsichtig braune Färbung seines schönen Gesichts schien noch bleicher, klarer geworden, als er jetzt das Wort nahm.

»Ermannen Sie sich, mein Freund. Die Schläge des Schicksals dürfen den Mann und den Diener Gottes nicht zu Boden werfen. Es gilt, alle Kräfte der Seele aufrecht zu erhalten und dem Unglück die Stirn zu bieten. Fassen Sie sich, Richard, und geben Sie diesen Herren ein Beispiel. Nicht Sie allein sind beteiligt, auch andere hat dieser Schlag betroffen, härter, gewaltiger, als Sie zu ahnen vermögen.«

Auf einen Wink des Griechen hatten Mac-Allan, der Diener des Geistlichen, und ein anderer den geknebelten Wirt herbeigeschleppt. Der Vikar stürzte ihm entgegen.

Grimaldi schob den Geistlichen sanft beiseite. »Lassen Sie mich ihm die Fragen vorlegen, die Zeit drängt.« Er hielt dem Wirt den Brief der Lady vor. »Gottes Fügung,« sagte er mit ernstem Ton, »hat dies Blatt, das die Dame hier zu verbergen gewußt, in unsere Hände gebracht. Wir sind von dem Raube unterrichtet. – Wann ist die Signoria durch die Banditen von hier fortgeführt worden?«

»Exzellenza fragen mich unbekannte Dinge. Bei der Madonna, ich weiß von keiner Frau hier, als von dem alten Drachen, meinem eigenen Weibe!«

Der Kapitän zog ruhig sein Terzerol aus der Brusttasche, spannte den Hahn und legte die Mündung des Laufs fast dicht an die Schläfe des Alten. »Treten Sie einen Augenblick zurück, meine Herren,« sagte er kalt, »daß Sie das Blut dieses Elenden nicht beschmutzt. Antwort! Wenn ich drei gezählt, zerschmettert die Kugel dein Gehirn!«

»Eins –«

»Exzellenza,« stotterte der Bösewicht – »halten Sie ein, ich will sagen, was ich weiß! – aber bei der Jungfrau und allen Heiligen, ich bin unschuldig! Heute morgen, um die dreizehnte Stunde –«

»Wohin ist die Sennora gebracht, und war sie die einzige Gefangene?«

»Gang allein, Signor – die Männer haben sie nach dem Monte Vittore geführt, diesseits Castelluccio. Aus den Fenstern des Ortes können Sie die unzugänglichen Felsen sehen.«

Der Kapitän unterbrach ihn. »Stopfen Sie dem Wicht den Knebel wieder in den Mund und werfen Sie ihn zu seinem Weibe. Wollen Sie mir, Richard, diesen Gang anvertrauen? Sie selbst würden die Rettung nur erschweren, selbst wenn es Ihnen gelingen sollte, bis zu Ihrer Braut zu dringen!«

»Wie, Sie allein – Sie wollten ...«

»Sie kennen mich und wissen, daß nur der Tod mich von der Erreichung dessen abhalten wird, was ich mir vorgenommen. Merken Sie jetzt wohl auf jedes meiner Worte – Sie und diese Herren, die mich in diesem Augenblick wohl nicht mehr zurückhalten werden. Wenn es Ihnen gelingt, mit Hilfe des Militärs der drohenden Gefahr zu entrinnen, so setzen Sie den kommandierenden Offizier, im Fall er von dem frechen Streich Mamianis noch keine Kunde hat, sofort von dem Raub in Kenntnis, und fordern ihn auf, auch die päpstlichen Detachements in der Nähe aufzubieten, um den Fuß des Vittore von allen Seiten einzuschließen. Begeben Sie sich mit den Soldaten in die Osterie, in der wir uns heute nachmittag getroffen, und teilen Sie dem Wirt alles mit, was vorgefallen. Er ist ein alter Soldat, diente in Rom unter meiner Kompagnie und kennt alle Schleichwege des Gebirges und wird Ihnen die beste Anweisung geben, die Pässe und Zugänge des Vittore zu besetzen, wenn Sie ihm sagen, ich verlangte diesen letzten Dienst von ihm. Gelingt uns die Flucht, so bringe ich Lady Adelaide bis zur Osterie. Hören Sie dagegen bis morgen um Mitternacht nichts von mir, so ist mir ein Unglück begegnet, und die Gewalt der Waffen ist das einzige, was Sie zur Rettung der Dame noch versuchen können. Jetzt beendigen Sie rasch den Brief, denn dieser muß fort nach Monako, wenn Sie nicht alle Hoffnung auf Beistand aufgeben wollen.«

Der Vikar reichte ihm die Hand. »Gott segne Sie, Freund,« sagte er tiefbewegt, »Sie retten mein Leben zum zweitenmal! Jetzt bin ich wieder Herr meiner selbst und werde Ihnen beweisen, daß Sie sich nicht in mir geirrt!« Er setzte sich zum Schreiben.

Der Kapitän wandte sich an den Albanesen. »Du hast gehört, Danilos, daß ich diesen Fremden mein Versprechen verpfändet habe, ihren Boten sicher nach Monako zu schaffen. Du hast auch vernommen, wohin ich meine Schritte wende. Hast du deinen Auftrag erfüllt, so eile nach dem Monte Vittore, mich dort zu treffen, ich könnte deines Beistandes bedürfen.«

»Dieser Mann,« sagte mit wahrhaft erhabener Einfachheit der Korsar, »wird nach Monako kommen, oder Danilos wird ein Toter sein.«

Der Kapitän steckte seine Pistolen und ein Messer zu sich, Mac-Allan nahm die Waffen des Uskoken – sie waren bereit. Stillschweigend, mit ernsten, besorgten Mienen umgab sie die Gesellschaft, als der edle Flüchtling jetzt in ihre Mitte trat.

»Sir Richard, leben Sie wohl! – Folgen Sie genau meinen Worten, und der Himmel, dessen Auge über alles wacht, wird gnädig sein und Ihre schöne Braut gerettet in Ihre Arme führen. Machen Sie dieselbe glücklich im fernen Lande – recht glücklich, Sie wissen nicht, wie innig ich es wünsche. In diesem Leben sehen wir uns wahrscheinlich nicht wieder, – darum nochmals – leben Sie wohl! – Und nun – Danilos – vorwärts!«

Aus dem Hause schaute manch bleiches Gesicht ihnen nach; allein in einer der Kammern lag der Vikar auf den Knien, und sein inbrünstiges Gebet stieg zum Himmel empor um gnädigen Schutz für die Braut, – den Freund – für sie alle! –

Die Uhr schlug dreiviertel auf Mitternacht! – Wenig über eine Stunde noch – dann entschied sich ihr Schicksal!


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