Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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3. Im Meß-Bungalow

Es war heute Dienstag, der Tag, an welchem die Messe der Offiziere des 71sten Eingeborenen-Regiments, das zur Garnison von Cawnpur gehörte, ihre Kameraden und Bekannten einzuladen pflegte.

Die Einladungen waren an diesem Tage ziemlich zahlreich gewesen. Gäste von Bithoor und Lucknow, der 45 englische Meilen entfernten Residenz uon Aude, waren anwesend, und man hatte bereits zwei volle Stunden bei der Tafel zugebracht.

Diese ist überhaupt eine der wichtigsten Beschäftigungen des europäischen Offiziers in Indien.

Der Kreislauf seines Tages ist – wenn nicht ein Feldzug, eine Jagd oder eine Festlichkeit Abwechslung hineinbringen, ziemlich eintönig.

Am oberen Ende der Tafel saß Oberstleutnant Robert Stuart, der Kommandeur des 71. eingeborenen Regiments, anstelle des abwesenden Chefs desselben.

Sir Robert Stuart hatte – was selten ist bei den Offizieren in Indien – eine rasche Karriere gemacht, und war noch ziemlich jung. Hinter seinem Stuhl stand Mickey, wohlbestallter Sergeantmajor und Proviantmeister im Regiment. Der Bursche war ein Liebling des Oberstleutnants, das Faktotum aller anderen Offiziere und nicht wenig eingebildet auf seine Stellung.

Bei Tafel hatte der Sergeantmajor zugleich das Amt eines Haushofmeisters. Er hielt die Köche und die braune Dienerschaft ganz vortrefflich in Ordnung und ließ nichts verschwinden, außer was er selbst beiseite brachte.

Der Gentleman, welcher zu des Oberstleutnants Rechten saß, war Major Rivers, der britische Resident von Cawnpur. Der hochmütige, stolze und falsche Ausdruck, den das Gesicht des kommandierenden Offiziers in der Missionsstation am Somo, des falschen Tochtgängers im Kaffern-Kral gezeigt, war noch immer derselbe.

Mit seinem Regiment vor drei Jahren vom Kap nach Indien gekommen, hatte es der Major für vorteilhafter gehalten, seinen Abschied zu nehmen und in die Dienste der Kompagnie zu treten, die ihn zum Residenten in Cawnpur und Ihanst ernannte.

Hier war Major Rivers in seinem Element.

Sein hochmütiger, grausamer Charakter fand in der knechtischen Unterwerfung der Bevölkerung, in der Mißhandlung und Demütigung der eingeborenen Fürsten volle Befriedigung.

Ihm gegenüber, an der anderen Seite des Oberstleutnants, saß eine andere, dem Leser bereits bekannte Gestalt, ein junger Mann im Anzuge eines Gentleman-Reiters, soweit es tunlich diese Kleidung mit den Ansprüchen des Klimas vereinigt.

Es war Eduard O'Sullivan, der Bruder Margaretens, der Schwager des Nena.

Er schien mit Rivers sehr bekannt, und dieser behandelte ihn mit einer kordialen Vertraulichkeit, die jeden andern, der eine größere Menschenkenntnis besessen hätte, besorgt gemacht haben würde.

Die Reihe der dem Leser bekannten Personen an der Meßtafel des Regiments war damit noch nicht erschöpft. Der Brevet-Kapitän Eduard Delafosse, der weiter unten an der Tafel, zwischen den Offizieren des Regiments und einigen jüngeren Beamten der Zivilverwaltung saß, gehörte zu jenen. Er war jetzt Adjutant des Gouverneurs von Lucknow, Sir Thomas Lawrence, und für einige Tage nach Cawnpur herübergekommen, um bekannte Kameraden zu besuchen.

Das Verhältnis zwischen ihm und dem Residenten war kalt und gemessen.

Noch immer lagerte ein tiefer Ernst auf der edlen Stirn des braven Offiziers, die Erinnerung an das unglückliche Abenteuer in den Wildnissen Afrikas.

Die Unterhaltung war sehr lebhaft und wurde über die verschiedensten Gegenstände geführt. Pferde, Jagd, die angekommenen Posten, der Krimfeldzug, Regimentsanekdoten, alte Liebschaften und neue Eroberungen, Cholera, Regierungsmaßnahmen.

»Haben Sie gehört, Sir,« rief von dem Ende der Tafel herüber der Quartiermeister, »daß am vierzehnten der ›Mogador‹ in Kalkutta eingetroffen ist?«

»Wissen Sie, wer mitgekommen ist? Heraus mit der Liste, Follington!«

»Lady Overston soll ihre vier Töchter mitgeschickt haben, da sie kein Geld hat, um noch eine Londoner Saison mit ihnen durchzumachen. Der Schatzmeister Warlett hat die jüngste zwei Tage nach der Landung geheiratet – sie ist nach dem Taufzeugnis wirtlich erst zwanzig Jahre!«

»Hurra für den Markt von Kalkutta! Alle Gänschen Alt- Englands finden ihre Käufer – ich fürchtete schon, die Conoissements wären in letzter Zeit zu stark gewesen.«

»O, wir können auch hier in Aude noch Zufuhr brauchen. Nicht alle sind so wählerisch wie Miß Wheeler!«

»Armer Toby, mein Junge,« sagte bedauernd der Doktor zu dem langen, hageren Fähnrich. »Sanders, der brave Bursche, hat Ihnen das Feld geräumt, und Sie haben nun wieder Hoffnung.«

»Was ist mit Sanders?« fragte Kapitän Delafosse, »Wann kehrt er zurück von der Expedition am Sedletsch?«

»Wenn die Toten auferstehen, Sir!«

»Wie meinen Sie das? Ist er tot?«

»Aller Wahrscheinlichkeit nach – er ist verschwunden, ohne daß man seine Leiche aufgefunden hat. – Seine Ehrwürden, Dekan Hunter, schrieb uns gestern von Delhi, daß er Nachricht erhalten, unser Freund sei von einer Jagdstreiferei nicht wieder zurückgekehrt und die Expedition habe ohne ihn den Weg fortsetzen müssen. Entweder hat ihn ein Tiger gefressen, oder die Thugs haben ihn verscharrt.«

»Ihre Schönen schenk ich Ihnen, Follington,« meinte der Vorsitzende. »Ich will wissen, ob niemand von Bedeutung mitgekommen?«

»Sir Lytton Mallingham hat von Madras die Überfahrt mitgemacht. Er geht nach Lucknow und Delhi.«

»Hoffentlich ist Mylady dabei, die reizendste Frau Indiens. Ihre Gesellschaften in Kalkutta sind die gentilsten.«

»Mein Korrespondent schreibt mir, der Rat wäre allerdings mit einer Dame eingetroffen, aber es sei ein dunkles Gerücht von einem furchtbaren Unglück verbreitet, das ihn betroffen. Unter den Passagieren befindet sich auch Jung Bahadur, der von England zurückkehrt.«

»Wer ist Jung Bahadur?« fragte der Fähnrich.

»Wie, Kamerad, Sie kennen Jung Bahadur nicht, den größten Schurken diesseits und jenseits des Ganges?«

»Sie wissen, ich bin erst seit sechs Monaten in Indien.«

»Ei, Jung Bahadur ist der echte Typus eines indischen Abenteurers. Gegenwärtig ist er Premierminister des Königs von Nepal, und wenn Sie von London gekommen waren, statt von Halifax, würden Sie wissen, daß er dort der Löwe der letzten Saison war und seine Diamanten allen Damen die Köpfe verrückten und die fashionablen Diebe von Smithfield zu den verwegensten Plänen begeisterten.«

»Damned! Ich hoffe, der Bursche hat Witz genug gehabt, dort zu lernen, daß mit England nicht zu spaßen ist!«

»Wir wollen es hoffen,« sagte Kapitän Lowe vom 32. Regiment der Königin, das zum Teil in Cawnpur, zum Teil in Lucknow stand. »Man sagt, die Rani von Lahore befinde sich noch immer in Nepal und intrigiere von dort.«

»Was können die Weiber tun! Ihr Sohn ist in Firozpur und Montague wird ihn schon zu bewachen wissen. Man hätte ihn nach England schicken sollen, da wären alle Intrigen mit einemmal zu Ende gewesen. Apropos Sullivan, haben Sie nichts von dem Nena gehört?«

»Er wird zu Lande am Sedletsch über Delhi zurückkehren, wir erwarten ihn erst in 14 Tagen.«

»Wissen Sie, Moore, daß Miß Soldie morgen von Kalkutta kommt?«

»Gott segne Ihre Augen, mein Bursche, die Nachricht ist ein Lichtblick in unserm langweiligen Leben. Nur –« er flüsterte über den Tisch hinüber – »möge Gott sie davor bewahren, daß jener Schurke seine unreine Hand nach ihr ausstreckt.« Die Augen des Kapitän Forbes von den Audher Irregulären warfen einen leichten Blitz nach dem Platz hinauf, wo Rivers noch immer im eifrigen Gespräch mit dem jungen Irländer war.

»Ich haue sie ihm vom Leibe, wenn er es wagt,« sagte der Offizier. »Es ist ohnehin eine Schmach, daß sein Treiben geduldet wird. Die Residentur ist schlimmer als ein Bordell. Nur die lange Abwesenheit und die Gleichgültigkeit des Generals trägt die Schuld.«

»Zum Henker – Sie wissen, welche traurige Zwitterstellung das Militär in diesem verwünschten Lande einnimmt, die Zivil- Administration hat alle Gewalt in Händen.«

»Wie steht es mit dem Tiger?« fragte der Oberstleutnant – »es ist doch sicher, daß wir keinen vergeblichen Ritt machen, Rivers?«

»Unbesorgt, Oberst – die Späher haben sichere Kunde von seinem Lager in den alten Ruinen gebracht und den Weg durch die Dschungeln erkundet. Eins nach dem andern. Am Abend die Sotti – am andern Morgen den Tiger!«

»Goddam!« schwor der Kapitän Lowe – »ich will lieber der Bestie allein entgegengehen, als das traurige Schauspiel des Opfertodes eines Weibes sehen. Ist es gewiß, daß die Sotti stattfinden wird?«

»Aller Wahrscheinlichkeit nach, wenn der Scindia sie nicht hindert. Er ist der Lehnsherr von Ihansi und hat allein das Recht, einzuschreiten. Indes fürchte ich nicht, daß er uns das Schauspiel verdirbt.«

»Wie, Sir – Sie fürchten es nicht?« Es war das erste Wort, das Kapitän Delafosse an seinen ehemaligen Gefährten richtete.

»Nein, Kapitän. Der Scindia wird kein Narr sein. Der Ruf sagt allerdings, daß die Rani ein verteufelt schönes Weib sein soll – indes, wenn sie am Leben bleibt, ist sie die Erbin ihres Mannes, während seine Schätze und sein Gebiet sonst ihrem Oberherrn, dem Scindia von Gwalior, zufallen.«

Delafosse wandte sich mit unverhohlenem Abscheu von der Unterhaltung.

»Die Hauptsache bleibt mir die Jagd,« sagte der Oberstleutnant. »Wann wollen wir den Tiger stellen?«

»Der Scindia hat mir Botschaft gesandt,« berichtete der Resident, »er wird alles bereit halten. Übermorgen, wenn die Sonne sich neigt, findet die Sotti statt – der Scindia trifft an dem Tage gleichfalls in Ihansi ein. Beim nächsten Sonnenaufgang suchen wir das Lager des Tigers auf.«

»Und wer ist von der Partie? wir können die Stadt nicht ganz allein lassen!«

»Nun, ich glaube, Kapitän Lowe und Kapitän Delafosse haben die Einladung angenommen. Sie, Oberst, Follington, Halliday und ich – das sind unserer sechs.«

»Aber geht denn Master O'Sullivan, Ihr Pythias, nicht mit uns?«

Der junge Man errötete leicht, als viele Blicke sich auf ihn richteten.

»Ich habe dem Nena versprochen,« sagte er endlich verlegen, »während seiner Abwesenheit nicht weiter als nach Cawnpur mich zu entfernen.«

»Ei, Unsinn, Mann,« lachte der Oberst – »wir sind nicht länger als sieben oder acht Tage abwesend, und die Entfernung ist ein Pappenstiel. Ihre schöne Schwester bedarf Ihres Schutzes nicht.«

»Freund O'Sullivan,« sagte der Major mit wohlberechneter Nachlässigkeit – »hat vielleicht noch einen anderen Grund. Ich glaube, er hat eine Aversion gegen die Tigerjagden.«

Eine fahle Blässe überzog das vom Trinken erhitzte Gesicht des jungen Irländers.

»Wie meinen Sie das, Sir?«

»O, nichts Schlimmes, Ned! – es ist mir nur, als habe ich einmal gehört, Sie hätten, so wie manche Menschen gegen die Katzen, eine natürliche Antipathie gegen die Tiger. Haben Sie nicht schon einmal ein solches Abenteuer irgendwo gehabt?«

»Nun, es ist kein Wunder,« lachte übermütig Halliday, »ich verdenke es Ihnen nicht, O'Sullivan, ein hübsches Mädchen einem borstigen Tiger vorzuziehen! Nicht jeder hat die doppelte Liebhaberei des Nena und seinen Mut.«

»Zweifeln Sie an dem meinen, Sir?« fragte heftig der Irländer. »Bei Sankt Patrik, er steht Ihnen jeden Augenblick zur Erprobung zu Diensten!«

»Torheit, Ned,« fiel der Major ein, »niemand zweifelt daran, daß Sie wie eine Mauer vor der Mündung eines Pistols stehen. Halliday meint nur, es sei etwas anderes auf der Tigerjagd.«

»Ich wette hundert Pfund, daß sich unter uns allen keiner findet, der einer solchen Bestie anders zu begegnen wagt, als auf dem Rücken seines Elefanten und die Büchse an der Wange!«

Der Irländer hatte sich erhoben und mit beiden Händen auf den Tisch gestützt. »Meinen Sie, Sir? Die Wette gilt!«

»Zum Henker, Sir – würden Sie etwa die Kurage haben, den Tiger zu Fuß in seinem Lager aufzusuchen?« fragte der Leutnant roh.

Die Farbe des Verhöhnten war fahl, seine Glieder zitterten, aber die Zähne fest aufeinander gepreßt, antwortete er zischend durch diese:

»Ich werde es, mit diesem Messer bewaffnet, so wahr ich O'Sullivan heiße!«

Alle waren aufgestanden und drängten sich herbei. »Unsinn, O'Sullivan, Torheit! – Das ist kein Gegenstand für eine Wette, es hieße, sein Leben mutwillig opfern.«

Der Resident war der eifrigste unter den Abmahnenden, aber jedes seiner Worte war so eingerichtet, daß es ein neuer Stachel wurde.

Eduard war von dem vielen genossenen Wein und der Erinnerung an die bei jenem Stiergefecht in der Arena von San Franzisko bewiesene Schwäche taub gegen Vernunft – nur der Gedanke, das Gedächtnis jener schwachen Stunde, das ihn jahrelang gepeinigt, um jeden Preis auszulöschen, erfüllte ihn.

»Ich habe die Wette angenommen,« sagte er mit erzwungener Ruhe. »Sie alle sind Zeugen und ich werde nächsten Freitag bei Sonnenaufgang den Tiger, den Sie zu jagen beabsichtigen, in seinem Lager aufsuchen. Kein Wort weiter darüber, Gentlemen, wenn Ihnen an meiner Freundschaft gelegen ist. Dies Messer, Stewart, werdet Ihr mir einstweilen leihen müssen.«

Bei den meisten war die Mißstimmung über das Ereignis sichtbar, und obschon Rivers sich die größte Mühe gab, die frühere Heiterkeit wieder herzustellen, wollte dies nicht gelingen und man trennte sich und jeder ging, begleitet von seinem harrenden Chiprassy, den Weg nach seinem Bungalow.

Major Rivers hatte den Arm des Irländers gefaßt und einem Lancier-Kapitän einen Wink gegeben. »Kommen Sie mit, Mowbray – ich habe etwas ganz neues, das besser ist, als alle weißgesichtigen Ladys der Dampfer aus England. Wir trinken noch ein Glas Sangarih und rauchen eine Manilla!«

Der Offizier warf ihm einen fragenden Blick zu, Rivers nickte bedeutsam und schickte seinen Palankin voran, um den Weg zu Fuß zurückzulegen.

»Ich kann Sie nicht begleiten, Rivers,« sagte O'Sullivan, »ich werde kaum Zeit haben, nach Bithoor zu reiten und wieder zurück zu sein, wenn der Zug aufbricht.«

»Unsinn, Ned! Sie bleiben bei mir. Sie wissen, daß Sie alles, was Sie brauchen, bei mir finden und um nichts zu sorgen haben.«

»Aber ich muß von meiner Schwester, von Margarete, Abschied nehmen. Als ich sie heute verließ, konnte ich nicht ahnen, daß ich mehrere Tage ausbleiben würde.«

»Torheit, Mann! Sie sind ja kein Pantoffelheld. Schreiben Sie einige Zeilen, das ist eben so gut, oder vielmehr noch besser! Jhansi ist ja keine zwei Tagereisen weit.« Er neigte sich zu dem Zaudernden und flüsterte ihm zu: »Narika erwartet Sie – wir werden uns den Kavalleristen bald vom Halse schaffen und dann an warmen Busen und süßen Lippen uns für den verlorenen Abend entschädigen.«

Der junge Tor folgte ihm ohne eine weitere Einwendung.

Das Bungalow des Residenten befand sich in malerischer Lage unfern der großen Militärstraße. Eine prächtige Aussicht bot sich von seinen Verandas aus rings über die Stadt, den Strom und die Gegend. Ein großer, mit Üppigkeit eingerichteter Garten, durch hohes Gitterwerk abgesperrt, umgab das in italienischem Stil erbaute Haus, an das sich eine Reihe von Pavillons anschloß, die Zenanah oder das Harem des Besitzers, wie der schlimme Ruf behauptete.

Die vom Bungalow vorausgeschickten Palankinträger harrten mit zahlreichen anderen Dienern am Säulenaufgang der Veranda. Die Fackelträger gesellten sich zu ihnen und stellten sich zu beiden Seiten der Marmorstufen auf, während der Schobedar mit seinem Stabe Platz zwischen den Peons und der niedern Dienerschaft machte. Der Major hatte eben mit seinen Freunden den Fuß auf die Treppe gesetzt, als plötzlich eine Bewegung unter den Hindudienern entstand, und eine Gestalt, welche ihnen von den Ruinen her gefolgt war, sich hindurchdrängte und vor dem Residenten niederwarf.

Es war ein alter Mann von ehrwürdigem Aussehen, in weißer Kleidung, mit dem Abzeichen der Kaste der Wechsler oder Babus. Seine Hand faßte den Rockzipfel des Residenten und drückte ihn zum Zeichen der Ehrerbietung wiederholt an seine Stirn.

»O Sahib, übe Gnade und Gerechtigkeit,« flehte der alte Mann.

Der Resident trat unwillkürlich einen Schritt zurück, als er den Bittenden erkannte.

»Was willst du, Tippo-Singh,« fragte er rauh, »daß du mich überfällst bei Nacht wie ein Räuber? Weißt du noch nicht, was sich schickt gegen den Residenten der Regierung? Die Gartenwächter sollen fünfzig Bambusschläge auf die Fußsohlen haben, daß sie es gewagt, einen Fremden gegen das Verbot einzulassen.«

»Sie sind unschuldig, Sahib,« entschuldigte der Babu, »ich folgte dir auf dem Fuß und sie mußten glauben, ich käme mit deiner Bewilligung.«

»Nun, so komme morgen wieder und bringe dein Anliegen an, die Geschäftsstunden sind jetzt längst vorüber.«

»Der Gerechte soll sein Ohr stets offen halten für die Klage des Unglücks. – Ich weiß, du wirst morgen früh Cawnpur für viele Tage verlassen.«

Der Resident sah, daß er in seiner Schlinge gefangen war und stampfte ungeduldig mit dem Fuße. »Zum Teufel, so rede, was willst du?«

»Meine Tochter, Sahib, Nurjesan, mein einziges Kind, ist diesen Morgen geraubt worden, als sie sich aus den unteren Gangesbädern in ihrem Palankin nach Hause tragen ließ, während ich in Lucknow war.«

»So wende dich an den Darogah, den Chef der Polizei. Es ist seine Sache, nicht die meine,« sagte Rivers höhnisch.

»Der Darogah, Sahib, kann mir nicht helfen. Was ist ein feiler Darogah gegen die Hand des Mächtigen?«

»Schone dein Gold nicht, würdiger Babu,« spottete der Resident. »Du mußt bei der Gelegenheit von deiner Sparsamkeit lassen, die ich zu kennen das Vergnügen habe. Hast du schon einen Verdacht, wer deine Tochter geraubt haben könnte? Die Phansigars sollen wieder sehr ihr Wesen treiben.«

»Kein Phansigar hat mein Kind geraubt. Jedermann weiß, daß Tippo-Singh bereit wäre, das Gewicht seines Kindes in Gold für ihre unbefleckte Freiheit zu geben. Die Diebe, die sie gestohlen, gehören nicht meinem Volk.«

»Nun zum Teufel – soll ich etwa wissen, wer sie sind? Warum hütest du die Dirne nicht besser.«

Der Babu näherte sich dem Vertreter der Regierung. »Laß diese Männer einige Schritte sich entfernen,« sagte er leise, »ich habe dir etwas zu sagen, Sahib, das nicht für fremde Ohren geeignet ist.«

Der Resident schien einige Augenblicke zu schwanken, dann faßte er einen Entschluß und winkte seinen Begleitern, zurückzutreten.

»Jetzt rede! Was willst du?«

»Man hat die Fußstapfen der Diebe verfolgt und die Spuren gehen bis zur hintern Tür deines Gartens, Sahib.«

»Schurke – du erdreistest dich doch nicht, zu behaupten ...«

»Ich klage niemand an, Sahib, verstehe mich wohl. Aber ich muß mein Kind wiederhaben. Der Sahib-General ist leider nicht in Cawnpur und du allein hast die Macht dazu. Wenn sich mein Kind in dieser Stunde wiederfindet, will ich dem, der sie mir bringt, ein Lack geben.«

Auf dem Gesicht des Residenten spiegelte sich der Kampf der Habsucht mit anderen schlechten Eigenschaften. »Du schlugst mir vor kurzem noch eine geringere Summe zu leihen ab,« sagte er endlich. »Jetzt kommst du, um meine Hilfe zu erkaufen. Ich will mir die Sache überlegen – komm morgen wieder und frage bei meinem Sirdar nach.«

»Nein, Sahib – was geschehen soll, muß jetzt geschehen. Die Rose darf nicht entblättert werden von dem Hauche des giftigen Monsun!«

»Nun, so sieh selbst zu, wo du die Dirne bekommst und laß mich ungeschoren,« fuhr der Major ihn an. »Ich habe keine Zeit, mich mit dir länger einzulassen. Pack dich von meiner Schwelle!«

Er wandte sich, hinauf zu steigen, aber der alte Mann hielt ihn nochmals zurück. »Ist das dein letztes Wort, Sahib? Bedenke wohl, was du tust und wessen graues Haar du mit Kot bewirfst.«

»Will der alte Schurke noch drohen? fort mit dir oder ich rufe die Diener!«

Ein rascher Griff in die Falten der Tschoga, in den Händen des Babu blitzte ein Dolch – aber die Faust des Engländers erfaßte gewandt das Handgelenk des alten Mannes und preßte es so gewaltig zusammen, daß die Waffe seiner Hand entfiel. »Herbei, Leute!« befahl er kaltblütig. »Schnürt dem grauen Mörder die Hände auf dem Rücken und sperrt ihn in die Hundehütten. Morgen früh, bevor ich aufstehe, werde ich über ihn entscheiden. Kommen Sie, meine Herren!« Er winkte seinen über den Mordversuch ziemlich erschrockenen Begleitern und stieg mit ihnen die Stufen des Gebäudes vollends hinauf.

Der Schobedar öffnete weit den Seidenvorhang, der den Eingang zu der Reihe luftiger Gemächer verschloß, welche die Wohnung des Residenten bildeten.

»Treten Sie in meine Garderobe, O'Sullivan, und machen Sie sich's einstweilen bequem,« sagte der Major, indem er mit einem Wink seines Auges den Lancier-Offizier zurückhielt. »Ich habe nur noch einige Befehle für die Abreise zu erteilen und folge Ihnen sogleich.«

Eduard ging mit der Sicherheit eines mit allen Einrichtungen des Hauses vollkommen Vertrauten voraus. Eine Tür hatte sich kaum hinter ihm geschlossen, als sich der Resident zu seinem Begleiter wandte.

»Sie haben Ihre Anstalten getroffen, Mowbray?«

»Zuverlässig, Sir!«

»Die Zeit, wann Sie mit Ihrer Eskadron aufbrechen wollen, mögen Sie selbst bestimmen. Was ich von Ihnen verlange, ist, daß Sie übermorgen bei Sonnenaufgang vor den Toren von Jhansi stehen. Sie werden die Zugänge des Forts unbewacht und geöffnet finden, alles wird mit der Sotti beschäftigt sein. Am Tor nach Cawnpur wird Sie einer meiner Diener erwarten und mir sofort die Nachricht Ihrer Ankunft bringen. Wer Sie befragt, dem sagen Sie, daß Sie meine Eskorte bilden. Leistet die Torwache Widerstand, so wird sie entwaffnet. Der Schobedar wird Sie an den Ort führen, wo ich bin. Ich hoffe, Ihre Gegenwart wird genügen, um jeden Widerstand zu verhindern.«

»Sie werden mich pünktlich auf meinem Posten finden, Major.«

»Ich rechne darauf, Kapitän, wir möchten sonst in eine schlimme Lage geraten.«

Er winkte dem Kapitän und ging mit ihm in die inneren Gemächer.

Hier trafen sie den jungen Irländer bereits damit beschäftigt, die lästige europäische Kleidung abzulegen und sich in die weiten und wallenden Gewänder der reichen Eingeborenen zu hüllen.

In wenig Minuten standen die drei Wüstlinge in den prächtigen orientalischen Gewändern gleich sybaritischen Fürsten des Morgenlandes.

»Und jetzt – vorwärts, ihr Herren, die Freude ruft!«

Wie vor dem Harem eines Sultans hielt an dem Eingang ein Verschnittener Wache. Neben ihm befand sich ein altes, indisches Weib, die Aya, auf der Lauer.

»Alles bereit – Zulma, du alte Hexe, die du das Himmelreich bewachst?«

»O Sahib, möge deine Hand offen und dein Schatten ewig sein! Die Houris des Paradieses harren, ihren Gebieter zu bedienen!«

Er winkte sie zur Seite. »Hast du das neue Täubchen gezähmt?«

»Sie hat das Opium im Kaffee genommen, Sahib. Der Trank hat Feuer gegossen in die Adern ihres jungen Leibes – du wirst ein glücklicher Mann sein.«

»Wohl! Aber wenn du mir dienen willst, so denke, daß die nächsten Tage die wahre Gelegenheit dazu bringen. Wenn es jetzt nicht geschieht, ist es unmöglich, denn der Nena kehrt zurück, ehe der Mond wechselt.«

»Ehe drei Tage vergehen, wird das stolze Weib mit den goldenen Haaren in deiner Zenanah sein, vielleicht morgen schon.«

»Fünfzig Mohurs, wenn Ihr die Dame mir in das Haus schafft. Nur Vorsicht und sicheren Gewahrsam.«

»Aber wenn der Faringi, ihr Bruder, Verdacht schöpfen sollte?«

Ein höllisches Lächeln zuckte um den falschen Mund des Hausherrn. »Für den ist gesorgt – beunruhige dich nicht! Er wird nicht stören!«

»Und der Nena? – Seine Rache wird furchtbar sein.«

»Mein Fuß wird ihn zertreten, wenn er gefährlich ist. Genug der Worte – du hast deine Instruktion, und meine Freunde werden ungeduldig. Öffne!«

Er faßte Eduard am Arm. »Nun, Ned – lassen Sie uns die Stunden bis zum Aufbruch in unserer Weise verträumen.«

Eine feste Tür von Eisenholz flog vor dem Schlüssel der alten Kupplerin auf, ein kurzer Weg durch ein halbdunkles Vorgemach – heiteres Lachen, der Ton eines Tamburins scholl gedämpft herüber, dann rauschte der Teppich des Eingangs zur Seite, und die Männer traten über die Schwelle der Zenanah.

Zehn liebliche, reizende Gestalten von wunderbarer Schönheit, jede in ihrem nationalen Typus, lagen und saßen auf den Diwans und dem Teppich.

Das Auge des Gebieters flog gleichgültig durch den Raum, während sein jüngerer Begleiter sich eilig auf das Kissen zu den Füßen der schönen Kaschmirerin niederwarf, die seine erschlafften Sinne reizen und beleben sollte.

Gegenüber der Tür, durch welche die drei Europäer eingetreten waren, saß auf einem Haufen loser Kissen die Gesuchte.

Es war eine junge Hindu. Das reizende Oval ihres Gesichtes zeigte ebenso liebliche als reine Züge, und dennoch bewies der leichte, wie ein Reif um die feingeschnittenen Mundwinkel sich lagernde Flaum, daß unter dieser reinen Hülle glühendes Feuer geschlummert und nur nötig gehabt hatte, geweckt zu werden.

Und es war geweckt, geweckt auf das schändlichste und empörendste durch den Verrat und das Verbrechen.

Es war Nurjesan, die unglückliche Tochter des noch unglücklicheren Babu, den der Resident in die Hundeställe des Bungalow hatte sperren lassen.

Dachte die Tochter an den grauen, der Habsucht und der Rache seines Feindes verfallenen Vater?

O, welche Tränen der Angst hatte sie nach ihm geweint, wie oft seinen Namen nach Hilfe gerufen – aber jetzt –

Der Resident klatschte in die Hände. »Auf, Mädchen, tanzt, singt – strengt all eure Kräfte an, daß die Stunden der Nacht uns zu Minuten werden! Den Sangarih her, wir wollen lustig sein!«

Die Frauen waren emporgesprungen beim Eintritt des Gebieters, bis auf Nurjesan und die bequeme Chinesin, und begrüßten ihn mit lärmender Fröhlichkeit. Das Auge der jungen Hindu ruhte glühend und dann zornig auf dem jungen Irländer, der sich zu den Füßen des schönen Mädchens aus Kaschmir geworfen. Sie bemerkte es kaum, daß der Major ihr nahte und sich neben sie auf die Kissen setzte. Erst als sein Arm sie umschlang, blickte sie halb erschrocken auf ihn.

»Was willst du? – Ich liebe dich nicht – jener dort ist es, den Camah, die Göttin der Herzen, mir beschieden hat.«

»Törin! Er hat sein Teil, und hier bin ich der Herr!« Seine frechen Lippen verschlossen ihren Mund.


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