Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Ball

Die majestätische, gigantische Polonäse aus Meyerbeers Propheten rauschte in den stolzen herausfordernden Tönen der Militärmusik durch den goldenen Saal des Fürstenschlosses zu Bithoor.

Ein buntes Gewühl von glänzenden europäischen Uniformen, Damentoiletten und orientalischen Trachten erfüllte den weiten Raum des prächtigen Saales.

Volle sieben Monate waren vergangen seit den blutigen Szenen, die wir zuletzt dem Leser vorgeführt. Der Palast von Bithoor hatte seine goldenen Tore längst wieder dem leichten Volk der Schmeichler und den stolzen Gebietern des Landes geöffnet.

Niemals seit jenem Abend, an welchem die beiden Offiziere den flüchtigen Sikh-Prinzen im Bungalow Nena Sahibs suchten, hatte das Auge eines Engländers die unglückliche Gattin des Maharadschah wieder erblickt. Der Fürst war am anderen Tage in Cawnpur erschienen, um bei den Behörden strenge Verfolgung der Bheels zu verlangen, von denen nach seiner Anzeige viele Mitglieder zur Sekte der Phansigars gehörten und deren räuberischen Streichen er die Entführung und die Vergiftung seiner Gattin zuschrieb, infolge deren ihr Verstand und ihr Gedächtnis zerstört sei. Der ehrliche Zorn General Wheelers, unterstützt durch den Eifer des Residenten, der jeden Verdacht von sich ablenkte, hatte die strengste Untersuchung gegen die in der Dschungel von Dscheddagoor an jenem Abend gefangenen Bheels eingeleitet, aber die Männer leugneten trotzig jede Wissenschaft an dem Raube der Irländerin wie an der Flucht des Prinzen von Lahore, und gingen mit der Gleichgültigkeit echter Asiaten zu Tode, als man zur Satisfaktion des Maharadschah ohne weiteres eine Anzahl von ihnen zum Galgen verdammte. Das öffentliche Interesse an der Kranken war seitdem gänzlich geschwunden und man begnügte sich um so leichter mit der Auskunft, daß sie noch immer leidend sei, als der Maharadschah bald darauf die bisherige Abgeschlossenheit aufgab und die frühere verschwenderische Gastfreundschaft wieder eröffnete.

Das heutige Fest galt der Anwesenheit eines wichtigen Mitglieds des großen Rats von Indien, Sir Lytton Mallingham, der nach Cawnpur gekommen, um mit dem Maharadschah persönlich in einer wichtigen Angelegenheit zu unterhandeln, die derselbe seitdem bei dem obersten Gerichtshof der Kompagnie anhängig gemacht, in der durch wichtige Dokumente unterstützten Forderung auf Anerkennung seines Erbrechts an dem Nachlaß seines in England verstorbenen Verwandten Dyce Sombres. Der Gouverneur von Audh, Sir Thomas Lawrence, mit einem großen Teil der Offiziere der Garnison von Lucknow, General Wheeler und seine Familie und viele eingeborene Fürsten und angesehene Personen hatten der Einladung zu dem Feste Folge geleistet, das, neben der allgemeinen Lust, den Charakter diplomatischer Verhandlungen und Zwecke trug.

Sir Lytton Mallingham begleitete seine zweite Gemahlin, und in dem glänzenden Äußern, in dem stolzen, hochmütigen Auftreten und der gänzlichen Beherrschung ihres Gemahls hätten wohl nur wenige die ehemalige demütige und intrigante Gesellschafterin der unglücklichen Lady Helene, das schlaue Werkzeug des Kabinetts der Tuilerien wiedererkannt.

Vor allem waren es zwei Frauen, welche die allgemeine Aufmerksamkeit fesselten. Die eine war die Rani von Ihansi, imponierend durch die kühne stolze Schönheit, die sie auszeichnete, die andere die Begum von Audh, die Gattin des von der Kompagnie entthronten Monarchen, der in Kalkutta in Gefangenschaft gehalten wurde, obschon es hieß, daß er dort nur seine Pension verzehre.

Die letztere war eine Frau in höheren Jahren, vollbusig und stark, ihr fleischiges Gesicht zeigte jedoch den Ausdruck scharfen Verstandes und einer gewissen List und Schlauheit.

Um die Rani von Ihansi, diese schöne und kühne Frau, hatten sich die englischen Offiziere gesammelt, die damals jene unglückliche Tigerjagd an den Grenzen von Gwalior mitgemacht – nur Mowbray fehlte in ihrem Kreise: die Spitzaxt des Herrschers der Thugs hatte dem falschen Vertrauten der Lüste und tyrannischen Handlungen des Residenten ein Ende gemacht. Dieser selbst bewegte sich mit der frechen Sicherheit und dem Übermut der Macht in der Gesellschaft.

In seiner insolenten und gebieterischen Weise machte er der Rani von Ihansi den Hof, auf deren Eroberung sein Ehrgeiz noch tiefere, weitergehende Pläne gebaut hatte. Nicht zum erstenmal wäre es gewesen, daß ein Europäer die Witwe oder Tochter eines indischen Fürsten geheiratet und dadurch auf den Thron eines jener vielen kleinen Reiche erhoben worden, denen die Kompagnie unter dem Namen von Schutzstaaten noch einen Schein von Selbständigkeit gönnte.

Diese Pläne waren es auch, die Major Rivers bewogen hatten, vielen sonst gewiß nicht von der Kompagnie geduldeten Handlungen und Einrichtungen der Rani seinen Schutz zu gewähren.

Sein Benehmen drückte die übermütige Gewißheit des Sieges aus und in seinem finsteren Auge, während er neben dem Diwan stand, auf dem die schöne Frau lehnte, lag boshafter Triumph, als es den Offizier suchte, den sein Instinkt ihm als Rival verkündete.

An einen der Spiegelpfeiler in der Nähe gelehnt stand Kapitän Delafosse im Gespräch mit Major Maldigri, dem Befehlshaber der Leibwache der schönen Fürstin von Ihansi.

Auf diese waren seine glühenden Blicke unverwandt gerichtet und nur unachtsam hörte er auf die Worte seines Gesellschafters. Eine tiefe, glühende Leidenschaft hatte sich seit jenem Tage, als er sich in die Flammen stürzte, dem Scheiterhaufen seine Beute zu entreißen und der Fremde ihm zuvorkam, seines Herzens bemächtigt.

Außer den beiden Fürstinnen befanden sich noch verschiedene andere indische Frauen in der Gesellschaft, die Familien der reichen Wechsler und Kaufleute.

Maldigri hatte seine angebliche Verwandte, seine schlaue Bundesgenossin bei dem Auftrag, der ihm geworden, begrüßt und sie seiner neuen Gebieterin vorgestellt. Die Gewandtheit der Marquise hatte sich dabei in ihrem vollen Lichte gezeigt. Ohne der Würde ihres Gemahls und dem übermütigen Stolz, mit welchem die englischen Gebieter selbst die vornehmsten Eingeborenen behandeln, etwas zu vergeben, hatte sie es doch verstanden, der Fürstin auf besondere Weise zu schmeicheln, ihre Regierung, ihren männlichen Mut und ihre Schönheit öffentlich zu rühmen, während zugleich einige versteckte Anspielungen der Rani bewiesen, daß sie mit den Geheimnissen des bereits über das ganze Land verzweigten Bundes wohl vertraut sei und man auf ihren Beistand zählen könne.

Ein Tanz hat soeben geendet, die Offiziere und Gentlemen führten ihre Damen zurück zu den Plätzen und die Unterhaltung wogte aufs neue durch den Saal.

Die großen Türen und Fenster des prächtigen Saales waren zum Teil geöffnet und gestatteten der mildwarmen Luft und den balsamischen Düften des Gartens freien Eingang. Lustwandelnde Gruppen erfüllten die Verandas, stiegen die breiten Marmortreppen auf und nieder und bewegten sich durch die lange Reihe der prächtigen Gemächer.

In dem letzten derselben, groß und geräumig gleich einem zweiten Saal, füllte die Hinterwand eine um mehrere Stufen erhöhte Bühne, auf der bei den Festen des Maharadschah gewöhnlich chinesische Schauspieler oder Bajaderen in den Pausen des Tanzes Vorstellungen gaben. Die Einrichtung der Bühne ließ glauben, daß auch diesmal ähnliche Unterhaltungen der Gäste vorbereitet waren, aber der Vorhang war mit mehr als gewöhnlicher Sorgfalt geschlossen und zwei schwarze Diener, auf beiden Seiten aufgestellt, wiesen die Schaulust der Neugierigen zurück.

Der Nena trug, wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, die indische Tracht. Seine Stirn war glatt, sein Auge heiter und aufmerksam, selbst der schärfste Beobachter hätte in diesem blassen Gesicht nicht die geringste Spur der Leiden und furchtbaren Leidenschaften gefunden, die sein Inneres zerfleischten.

Hier sprach der Fürst Offiziere an, dort drückte er dem Beamten der Kompagnie die Hand, immer aber waren es die europäischen Gäste, denen er fast ausschließlich seine Aufmerksamkeit widmete. Vor allem waren es der Baronet und die beiden Residenten von Lucknow und Cawnpur, denen er seine Aufmerksamkeit und seine Zeit zu widmen bemüht war.

In diesem Augenblick nahte eben wieder der Nena der Gruppe der hohen Offiziere und Beamten, die an einer Tür der äußeren Veranda in der Nähe der Lady Mallingham stand. Der Baronet hatte soeben seiner Gemahlin einen Herrn vorgestellt, dessen Kleidung zeigte, daß er der englischen Geistlichkeit angehöre.

»Euer Hochwürden,« sagte der Rat, »haben mir eine große Freude gemacht, daß Sie, der notwendigen Ermüdung der Reise Trotz bietend, noch diesen Abend mich aufgesucht haben. Die Nachrichten von Kalkutta müssen jetzt stets von hoher Wichtigkeit für uns alle sein; denn wenn ich auch keineswegs die Besorgnisse einiger ängstlicher Gemüter hege, daß die Spuren von törichter Unzufriedenheit und religiösem Eigensinn, die sich unter einigen Sepoy-Regimentern gezeigt und sogar Verbrechen erzeugt haben, von Bedeutung werden könnten, – so wird es doch immer beruhigend sein, zu erfahren, daß die Regierung energische Maßregeln zur Unterdrückung solcher Symptome ergriffen hat.«

»Wann haben Euer Hochwürden Kalkutta verlassen?« fragte die Dame.

»Am Achten, Mylady. Da ich allein reise, machte ich den Weg ziemlich schnell. Ich hoffe, in fünf bis sechs Tagen in Delhi bei den meinen einzutreffen, denn ich muß gestehen, ich teile die Ansicht ihres Herrn Gemahls über die Bedeutungslosigkeit der letzten Vorgänge nicht ganz.«

»Sind neuere, wichtigere Ereignisse in Kalkutta bekannt, Sir?«

Der Fragende war der General Sir Henry Lawrence, der Gouverneur von Audh. Der General war ein Mann nahe an Sechzig, von hoher hagerer Gestalt.

»In Barakpur und Burampur haben aufs neue zwei Sepoy-Regimenter den Gehorsam verweigert,« berichtete der Geistliche, »unter Wiederholung des Vorgebens, daß die Patronen für die neu eingeführten Endfieldbüchsen mit Rinder- und Schweinefett bestrichen worden. Man hat vergeblich den Soldaten erklärt, daß die Patronen nur in eine Komposition von Öl und Wachs getaucht waren. Überdies fürchte ich, man hat sich kaum die Mühe gegeben, ihnen Beweise zu liefern, die sie von ihrem Irrtum überzeugen konnten. Man hat ihnen befohlen, zu glauben, und – mit einem Befehl schafft man den Glauben nicht um.«

»Aber was hat man mit den Widersetzlichen getan?« fragte General Lawrence.

»Zwei Regimenter sind gänzlich aufgelöst, die Sepoys in ihre Heimat zurückgeschickt worden, das Schlimmste, was diesen Menschen geschehen kann.«

»Das ist eine Maßregel, die ich nicht billigen mag,« sagte heftig der Gouverneur von Cawnpur. »Wir haben hier ähnliche Vorgänge gehabt, aber –«

»General Wheeler hat es verstanden, durch rechtzeitige Strenge die törichten Beschwerden zu unterdrücken,« unterbrach eine fremde Stimme die Rede. Der Maharadschah hatte sich der Gruppe unbemerkt genähert und begleitete seine Worte mit einer höflichen Verbeugung gegen den General.

»Sie haben recht, Hoheit,« entgegnete dieser, »Strenge bei Zeiten hindert oft argen Schaden nachher.«

»Darf ich Euer Exzellenz bitten, mich dem Sahib Padre vorzustellen?«

»Verzeihen Sie, Hoheit, daß ich es versäumt,« sagte der General. »Erlauben Sie mir, Sie unserem gastfreundlichen Wirt vorzustellen, Sir. Seine Hochwürden der Dechant von Delhi, Master Richard Hunter, auf der Rückreise von Kalkutta begriffen, ist uns hierher gefolgt, um uns Nachrichten aus der Hauptstadt zu bringen.«

Der Nena begrüßte den Gast mit der ausgesuchtesten Höflichkeit.

»Der Ruf der Frömmigkeit des ehrwürdigen Herrn,« sagte er, »ist selbst bei uns armen Heiden verbreitet, gleich dem der Milde und Menschenfreundlichkeit seiner edlen Gemahlin. Darf ich fragen, ob Mylady Sie begleitet?«

»Meine Gattin,« entgegnete der Dechant, »ist in Delhi zurückgeblieben, ich wollte sie den Anstrengungen der weiten Reise nicht aussetzen, da ihre Gesundheit leidend ist. Entschuldigen Sie, Hoheit, daß ich, auf den Ruf Ihrer Gastfreundschaft vertrauend, die Wunder des Palastes von Bithoor mit eigenen Augen schauen wollte und meinen Landsleuten hierher gefolgt bin, da ich hier alte Freunde zu begrüßen hatte.«

»Wenn mir recht ist, hochwürdiger Herr,« sprach der General, »genoß ja auch Leutnant Sanders, mein Adjutant, gleich meinem Neffen Pond, zum Teil das Glück Ihrer Erziehung und Ihrer Begleitung aus dem Mutterland?«

»Der Wunsch ihn wiederzusehen, ist mit eine der Ursachen, die mich die Gastfreundschaft des Fürsten in Anspruch nehmen ließen. Wir haben Gefahren zusammen bestanden, und ich habe mit Freuden gehört, daß er einer noch schlimmern glücklich entronnen ist, nachdem man ihn schon verloren gegeben, und sogar das Glück gehabt hat, Euer Exzellenz Familie einen Dienst zu leisten.«

»Ganz recht – Sie meinen das geheimnisvolle Abenteuer mit den Thugs. Nun, der junge Herr hat sich den Dank bereits selbst genommen. Alfred,« rief er seinem vorübergehenden Sohn zu, »suche Leutnant Sanders und bringe ihn mit Editha hierher, ein lieber Freund erwartet ihn. Wenn sich, ehrwürdiger Herr, in den Depeschen des General-Gouverneurs, die Sie uns mitgebracht, vielleicht die Ernennung Ihres Zöglings zum Kapitän, die wir erwarten, finden sollte, können Sie gleich bei uns bleiben, um die Trauung des jungen Paares zu vollziehen.«

»Wie, Sir – Leutnant Sanders und –«

»Wir feiern heute, wie Sie sehen, auf sehr glänzende Weise seine Verlobung mit Miß Highson, meiner Nichte.«

»Ich vermag Sanders nicht zu finden, Vater,« berichtete der junge Wheeler. »Das Gedränge ist zu groß.«

»So will ich Sie unterdes unserm Wirt übergeben, um Sie mit den indischen Notabilitäten unseres Kreises bekannt zu machen.«

Der Maharadschah verstand den Wink, daß die Generäle ihre Unterredung mit dem Rat fortzusetzen wünschten und führte den Dechant nach dem andern Ende des Saales, um ihn den Fürstinnen vorzustellen.

Währenddessen hatte sich in dem Gewühl der Gäste unbemerkt eine Szene ereignet, die Schuld war, daß der Sohn des Generals weder seine Cousine noch deren Verlobten fand.

Editha war am Arm des Geliebten nach dem Tanz im Saal eine der breiten Marmortreppen hinunter nach dem Garten promeniert, um die köstliche Kühle der frischen Luft zu genießen.

»Der Zufall ist uns günstig, Editha,« fuhr der junge Mann fort, – »lassen Sie uns einige Augenblicke dem Geräusch dieses Festes entfliehen und uns selbst und unserem Glück leben. – Kommen Sie unbesorgt, der Nena ist unser Freund und wir begehen keine Indiskretion.«

Er zog sie mit sich fort, bis das leise Plätschern der Fontäne sie anzog und sie sich auf eine Rasenbank im Schatten duftiger Jasminbüsche niederließen und lange trunken den süßen Odem des Abends und der Blumen einsogen.

Ihre Hand drückte leise die seine – so saßen sie, ohne bemerkt zu haben, daß eine andere Gestalt ihre Einsamkeit teilte, ein Mann in der Tracht eines indischen Babu, der schon lange ihrem Wege gefolgt.

In den weiten indischen Mantel gehüllt stand der Fremde hinter dem Stamm einer alten Zypresse verborgen, und jedes Wort der Liebenden drang zu seinem Ohr und wie ein Dolchstoß in sein redliches, trauerndes Herz.

»Ich weiß es nicht, woher es kommt,« sagte die junge Dame, »ich sollte froh und glücklich sein, und dennoch lastet es wie eine drohende Wolke auf meinem Herzen. Ist es das bangende Gefühl, daß alles Glück des Menschen auf Erden doch nur vergänglich – ist es die Ahnung eines neuen drohenden Unheils? – ich weiß es nicht! Aber ich habe, seit ich in diesem Lande bin, so viel Freundlichkeit und Liebe mir auch erwiesen worden, noch nie eine recht frohe Stunde gehabt.«

»Was kümmern uns diese Verhältnisse, teure Editha,« rief der junge Mann. »Ihr Geist, noch befangen von den schrecklichen Szenen, die Sie erlebt, wird durch die Nachricht von einigen zufälligen Unruhen aufs neue geängstigt. Verbannen Sie jede Furcht, keine Gefahr bedroht uns mehr – nur glückliche, sonnige Tage liegen vor uns. Meine Liebe wird Ihnen in der neuen Heimat das Haus bauen und Sie alles andere vergessen machen.«

Ihre sanften blauen Augen wandten sich fragend auf ihn. »Und ist diese Liebe auch wirklich so groß und ausschließend? Hat nicht bloß die Gefahr und der ritterliche Mut, der sie antrieb, die Verlassene, ohne Sie Verlorene, zu schützen, Ihr Herz für Editha geöffnet? Wird dasselbe ganz und für alle Zeit von Editha gefüllt sein, die dem Mann ihrer Wahl nicht leidenschaftliche Glut, sondern nur treue Neigung und Dankbarkeit entgegenbringen kann?«

»Zweifeln Sie in dieser Stunde? – nach allem noch, was geschehen?«

»Eben in dieser Stunde noch möchte ich offen mit Ihnen sprechen, Stuart, über eines, das schon lange schwer auf meiner Seele liegt. Erinnern Sie sich jener Erscheinung am Ufer des Ganges an dem Fest der Lichter, das die Hindufrauen begingen?«

Der Offizier schwieg. »Ich erinnere mich,« sagte er endlich leise, »ein zufälliges Ereignis, das Sie beunruhigte ...«

Edithas Hand lag auf der seinen. »Nein, Stuart, lassen Sie uns aufrichtig und wahr gegen einander sein, wie wir es beide verdienen. Ich habe jenes Ereignis nie gegen Sie erwähnt, aber, die Frau, die unser Spiel unterbrach – Sie kannten sie ...«

Er wich ihrem Blick aus und wandte das Gesicht ab.

»Kein Geheimnis darf zwischen uns stattfinden, Stuart – sagen Sie es mir, jene Hindufrau war ...«

»Anarkalli!«

»Anarkalli – die Tänzerin, die Furchtbare! Ich ahnte es! Stuart, um unsers künftigen Glückes willen – sagen Sie mir alles. Sie liebten diese Frau, Sie danken ihr das Leben, Sie kennen sie noch – und die Furchtbare, die mir Grauen einflößt, obgleich sie auch mein Leben retten half – hat vielleicht heilige und ernste Rechte auf Sie?«

»Nimmermehr! – Ich will Ihr keusches Ohr nicht beleidigen, Editha, mit dem, was jenes Weib ist! Jenes Weib ist nichts meinem Herzen und nie werde ich sie wieder sehen.«

»Aber Sie folgten ihr – Sie vertrauten ihrem Schutz, ihrer Hilfe das eigene Leben!«

»Es war der einzige Weg, ihren Beistand auch Ihnen zu sichern, Editha!«

»Und kein Versprechen, keine Verpflichtung bindet Sie noch an die Furchtbare? Als Ihre Verlobte habe ich das Recht danach zu fragen.«

»Was denken Sie von mir, Editha? Jenes Weib hat nie Anteil an meinem Herzen gehabt und ihr Gewerbe ist zu verächtlich, um Ihnen auch nur einen Gedanken der Sorge zu machen.«

»Meineidiger Faringi – Lügner mit der gespaltenen Zunge und dem schwarzen Herzen voll Undank und Trug!« unterbrach eine tiefe zürnende Stimme seine Beteuerungen, und wie aus der Erde erstanden, erhob sich eine dunkle Gestalt vor ihnen. Sie warf den Feredschi zurück und das Halbdunkel zeigte die flammenden Augen Anartallis, der Bajadere.

Mit einem Schrei des Entsetzens faßte die Engländerin zaghaft den Arm ihres Begleiters und drängte sich an ihn, aber als ihr Auge sich auf den Mann ihrer jungfräulichen Liebe wandte, sah sie, daß sein Gesicht bleich, sein Auge unstät war.

Die Tänzerin lachte grell auf. »Die Bhawani sendet die Pfeile ihrer Rache in die Brust des Hindumädchens, das die Opfer ihrem Altar entzogen. Bleiches Mädchen mit den Haaren von rotem Gold – du fragst, ob Anarkalli ein Recht hat auf diesen Mann? Sieh' in sein Antlitz, das sich von Scham erfüllt zu Boden wendet vor der, die ihm mehr als ihr Leben geopfert, tausendmal mehr, als du ihm geben konntest, denn sie gab ihm ihre Seele und lud den Fluch ihrer Götter auf sich zu ewigem Verderben!«

»Fort von mir. Freche!« rief der Offizier sich ermannend – »ich will nichts zu tun haben mit der Genossin blutiger Thugs! Deine Höllenkünste hatten meine Sinne bestrickt, aber du selbst zerrissest jedes Band, indem du mich in die Hände der Mörder liefertest.«

»Und wer hat dich wieder aus ihnen befreit?« fragte die Bajadere, sich stolz emporrichtend. »Wer setzte sein Leben ein für deine Rettung und trotzte allem, was schrecklich ist in diesem und jenem Leben? Hast du vergessen, was du gelobt, damit ich jene dort retten möge? Dreimal rettete ich dem Leben, und wo deine Seele, undankbarer Christ, es nicht ahnte, stand Anarkalli zwischen dir und dem Tode. Wagst du zu leugnen, daß du geschworen, diese hier zu meiden und mir, mir allein zu gehören?«

Der Offizier schaute finster vor sich hin, ohne zu antworten.

»Was hat sie getan, das sich mit Anarkallis Liebe messen könnte? Treuloser Faringi, ich warne dich! Gib es auf, das blasse Weib und fliehe mit der, die dich mehr liebt, als ihr Dasein und der du gehörst für jetzt und immer!«

Sie hatte seinen Arm ergriffen und wollte ihn fortziehen.

Er suchte sich mit Gewalt von ihr zu befreien. »Fort von mir, unverschämte Dirne! Wage es nie wieder, mir und dieser Dame nahe zu treten!«

»So soll die Schlange, die ich um deinetwillen gerettet, schändlicher Christ, auch das erste Opfer meiner Rache sein!« schrie die Bajadere, und ein Dolch funkelte in ihrer Hand, als sie sich auf die halb ohnmächtige Jungfrau stürzte.

Die Tat geschah so rasch, daß der Offizier schwerlich seine Verlobte zu retten vermocht hätte. Aber ein anderes Auge, eine andere Hand wachte über ihr. Mit der Schnelle des Blitzes hatte der fremde Mann in Hindukleidung sich zwischen die Engländerin und die Bajadere geworfen und den Arm der letzteren mit kräftiger Faust gefaßt.

»Wahnsinnige! Gott der Allmächtige, der diese Schuldlose aus den finstern Tiefen der Würger-Kerker gerettet, wird sie auch ferner schützen! Entferne dich, Unglückliche, und beweine die Tat, die deine blinde Leidenschaft begehen wollte.«

»Wahnsinniger du selbst!« zürnte die Tänzerin. »Was entziehst du die Falsche meiner Rache, während der Engel der Vernichtung bereits über ihnen schwebt?«

Sie wandte sich noch einmal zu dem Paare und schüttelte drohend die Hand gegen dieses. »Verfluchte, die ihr seid! Ehe Surya sein Angesicht schaut in dem Spiegel des heiligen Flusses, wird meine Rache dennoch gesättigt sein. Denkt an Anarkalli, die Betrogene, wenn der schwarze Jammer über euch ist!«

Sie war in den Gebüschen verschwunden, der Offizier aber, der die ohnmächtige Braut in seinen Armen hielt, rief: »Wer Sie auch sein mögen, Sir – und Ihre Stimme scheint mir die eines Freundes! – nehmen Sie meinen Dank für die Rettung des Teuersten, was ich besitze, und stehen Sie mir bei, meine Braut von hier zu entfernen!«

Ohne auf ihn zu achten, hatte der Fremde bereits seine Hilfsleistungen begonnen.

Die junge Dame atmete schwer, dann schlug sie die Augen auf und blickte verstört umher.

»Was ist geschehen mit mir? wo ist die Entsetzliche, die mich ermorden will? O mein armes Herz, was habe ich hören müssen!«

»Beruhigen Sie sich, teure Editha,« bat der Offizier. »Sie sind bei Freunden, die Sie schützen.«

Sie stieß seine Hand zurück und schauderte. »Lassen Sie mich, Sir – wir haben nichts mehr gemein miteinander – Sie gehören einer anderen, die Sie nimmer frei geben wird!«

Er versuchte, sie empor zu richten und bot ihr den Arm. Aber wiederum stieß sie ihn zurück und stand jetzt aufgerichtet, und ihr Auge, als es forschend auf den Fremden fiel, zeigte Ruhe und Fassung.

»Sie find es, Sir, der mich vor dem Dolch jener Rasenden schützte. Wer sind Sie?«

Er nahm den falschen Bart, den er um Lippen und Wangen trug, ab: »Ihr Freund, Miß!«

»Doktor Clifford?«

Der Ruf freudigen Erstaunens tönte zugleich von beider Lippen.

»Aber wo kommen Sie her, mein Freund und Retter in dieser Verkleidung?« fragte der Leutnant. »Seit Sie nach jener unangenehmen Untersuchung über die Flucht des Sikh-Prinzen Cawnpur verließen, haben wir nichts wieder von Ihnen gehört.«

»Doch glauben Sie deshalb nicht,« sprach die Jungfrau, indem auch sie seine Hand erfaßte, »daß wir Sie deshalb vergessen. Editha Highson wird stets ihres Retters mit Dank gedenken.«

»Und stellen Sie Stuart Sanders in die zweite Reihe?« fragte der Offizier gekränkt – »rechnen Sie die Liebe des Mannes, dessen Gefühle Sie geteilt, dem Sie sich freiwillig verlobt – für geringer?«

Der Arzt fühlte die Hand des Mädchens, ihren ganzen Körper erbeben. Sie brach in Tränen aus und lehnte sich weinend an die Schulter des älteren Mannes.

»Ein unglückliches Zusammentreffen hat Sie erschüttert,« sagte er mit mildem Trost. »Sie werden ruhiger denken über das, was Sie gehört und vergeben, wenn – Sie Zeit dazu behalten!« setzte er flüsternd hinzu. »Um Ihrer selbst willen, geben Sie mir Gelegenheit, Sie allein zu sprechen.«

»Gehen Sie, Sir,« sagte sie zu dem Verlobten – »und lassen Sie mich allein unter dem Schutz dieses Freundes. Ich kann und mag in diesem Augenblick nicht zu den Heiteren und Glücklichen zurückkehren. Gehen Sie und vermeiden Sie, daß man mich sucht, denn ich bedarf einige Augenblicke der Einsamkeit, um mich zu fassen.«

»Aber kann ich Sie nach dem, was soeben geschehen, hier allein lassen. So hoch ich Doktor Clifford ehre ...«

»Ich schwöre Ihnen als Mann,« unterbrach ihn dieser mit Bedeutung – »Miß Highson wird hier unter meinem Schutz sicherer sein, als in jenem glänzenden Saal unter den Augen und dem Schutz von hundert Ihrer Waffenbrüder.«

»Wenn Edithas Bitte Ihnen noch als Befehl gilt – ich will es! Gehen Sie! Doktor Clifford wird mich in jenen Garten zurückgeleiten.«

Der Offizier verbeugte sich gehorchend und entfernte sich, ohne noch ein Wort zu seiner Entschuldigung zu sagen.

Als sie allein waren, faßte das Mädchen beide Hände des Arztes.

»O Sie, mein bester, mein uneigennützigster Freund! Sie, der Sie die arme Unbekannte mit Gefahr Ihres Lebens den Händen der Mörder entrissen und mit der Zartheit einer Mutter für sie sorgten.«

Er drückte sie, im Innersten bewegt, leise an sich. »Lassen Sie uns hier niedersetzen, Miß Highson – denn ich habe Ihnen wichtiges zu sagen und – jeder Augenblick Verzug vermehrt die Gefahr.«

Sie folgte ihm erstaunt zu der Rasenbank zurück und ließ sich an seiner Seite nieder.

»Wie Sie sehen,« sagte der Deutsche, –. »habe ich dieses Land nicht verlassen. Ich weiß, daß ich Ihrem Einfluß die baldige Entlassung aus der Haft verdanke, welche der Verdacht der Teilnahme an der Flucht des Lahore-Prinzen mir zugezogen. Dieser Verdacht, Miß, war nicht ohne Grund: die Flucht des Jünglings geschah mit meiner Hilfe und ich freue mich meines Anteils daran, denn, Miß, es geschieht viel in diesem unglücklichen Reiche von Ihren Landsleuten, was die strafende Hand Gottes und die furchtbare Rache der Unterdrückten auf sie herniederrufen muß. Editha, ein schwerer, entsetzlicher Sturm, der über dies unglückliche Land daherrauscht, bedroht auch Ihr Glück, mehr als die Eifersucht jener Rasenden, – ja selbst Ihr Leben, und Sie zu schützen, bin ich hier und suchte Sie diesen Abend, dem ein schrecklicher Morgen folgen wird.«

»Barmherziger Gott – Sie erschrecken mich! was ist ... was soll ...«

»Fragen Sie nicht, Editha – denn wie damals, als ich Sie aus den Mordgewölben der Thugs führte, bindet ein Schwur meine Ehre und meine Zunge! Sie gaben mir damals unbeschränktes Vertrauen, Editha – wollen Sie mir auch jetzt es gewähren?«

»Ich vertraue Ihnen, wie meinem Vater – nein,« sie errötete leicht, – »wie ich meinem Bruder vertrauen würde, wenn ich einen solchen hätte.«

»Dann glauben Sie blindlings dem, was ich Ihnen sage – Sie müssen fliehen mit mir, noch in diesem Augenblick, es gilt Ihr Leben!«

»Aber mein Oheim – meine Kusine – meine Landsleute – Stuart – sind sie auch bedroht – oder gilt die Gefahr mir allein?«

»Täuschen Sie sich keinen Augenblick, Miß – jene tapferen Männer und schönen Frauen Ihres Landes, die in den goldenen Sälen sich der Lust hingeben, tanzen auf dem Krater eines Vulkans, dessen Flammen nur des Signals warten, um alles vernichtend, emporzulodern.«

»Und wollen Sie mindestens die Meinen retten – wie mich?«

»Ich vermag es nicht – Sie allein kann ich beschützen, retten!«

»So will ich mit denen sterben, zu welchen mich Gott und die, Natur gestellt haben. Der Tod kann nach den bitteren Erfahrungen, die ich gemacht, nicht so schmerzlich sein!«

Sie wollte sich erheben, um sich zu entfernen, aber der Deutsche warf sich vor ihr nieder und umfaßte ihre Knie. »Bei den Gräbern Ihrer Eltern beschwöre ich Sie, ändern Sie Ihren Entschluß, Editha! Sie wissen nicht, welchem furchtbaren Schicksal Sie trotzen, – zehnfach furchtbarer, entsetzlicher, als rascher Tod!«

Sie sah ihn an – über ihre Züge voll Angst und Schrecken schwebte wie ein Sonnenblick im Gewittersturm ein mildes, freundliches Lächeln, ihre Hand berührte leise das Haupt des Knieenden.

»Sie lieben Editha, mein armer Freund?«

»Ja, ich liebe Sie, Editha, aufrichtig, aus treuem, redlichen Herzen, dessen Blut für Ihr Glück willig dahinströmen würde. Aber niemals, niemals würde ein Zeichen dieser trauernden Liebe Ihr Glück und Ihren Frieden gestört haben.«

»Und dennoch, mein Freund,« flüsterte die Jungfrau mit holder Anmut, »kannte ich Sie. Glauben Sie denn, daß ein Weib so lange der sorgenden Liebe des besten und edelsten Mannes anvertraut sein konnte, ohne sein innerstes Gefühl zu verstehen und zu trauern darüber, daß sie ihm nur Dank und Freundschaft, nicht Liebe dafür zu bieten vermochte?«

Er küßte ihre Hand und fühlte den warmen Druck derselben. »Dann lassen Sie mich auch zeigen, daß ich Ihr Freund bin und mich Sie schützen und retten.«

»Nicht allein – nicht ohne jene, an die mich Pflicht, Liebe und Glauben fesseln. O, wenn Sie mich lieben, so suchen Sie ein Mittel, meine Brüder und Schwestern zu retten, und Editha wird Sie segnen, auch wenn sie selbst als Opfer fallen müßte!«

»Wohlan – Gott hat mir vielleicht den Gedanken eingegeben. Kein Mensch auf Erden kann den Ausbruch der Empörung mehr abwenden, – aber vielleicht ist es noch möglich, den Streit zwischen Hindu und Faringi in einen ehrlichen Kampf zu verwandeln und sie alle wenigstens glücklich in den Schutz von Cawnpur zurückzubringen. Sind Sie zufrieden, wenn dies gelingt?«

»Ich bin es – nur wehrlos sollen die Mörder meine Landsleute nicht überraschen.«

»Sehen Sie, durch die Zypressen hindurch, den Schimmer jenes einsamen Lichts in dem Bungalow?«

»Wie ich höre, ist dort die gewöhnliche Wohnung des Fürsten, unseres Wirts.«

»So ist es – doch ist sie in diesem Augenblick leer und nur ein Mann befindet sich dort; aber es ist der, der allein uns helfen kann. Sie selbst müssen ihm das Versprechen entreißen.«

»Aber wie?«

»Nehmen Sie diesen Ring und übergeben Sie ihn dem Mann, zu dem ich Sie führen werde. Sind Sie imstande, sich einige indische Worte zu merken?«

»Ich hoffe.«

»Es wird gut sein, wenn er Sie zuerst für eine Hindufrau hält, er wird nicht anstehen, aus der Hand einer solchen den Ring zu empfangen und ihr das Versprechen seines Schutzes zu gewähren.«

»Kommen Sie jetzt, Miß – und vertrauen Sie auf mich – ich bleibe in Ihrer Nähe und zu Ihrem Schutze bereit.«

»Einen Augenblick noch, mein Freund,« sie hob den Stahl auf, der der Hand der Bajadere entrungen worden und verbarg ihn in ihrem Kleid. »So – nun bin ich bereit, und die Ehre Editha Highsons ist nicht mehr in der Hand wilder Rebellen!«

Er schritt schweigend voran durch die Gänge von Blumen und duftigen Sträuchern bis an den Flügel des Bungalow, der die Gemächer der Zenanah enthielt, und aus dem das einsame Licht schimmerte.

Die Jungfrau öffnete leise die Jalousietür und trat in das Zimmer. Der Krieger auf dem Diwan war zu vertieft in seine Gedanken, daß er das Geräusch nicht einmal merkte, und erst erstaunt emporfuhr, als die Dame bereits vor ihm niederkniete, ihm den Ring entgegenhielt und in indischer Sprache die Worte sagte:

»Im Namen Gottes und im Namen Mahanas – ich und die Meinen bedürfen deines Schutzes und deiner Hilfe!«

Fast unwillkürlich hatte Murad Khan, denn der junge Shikhäuptling war es, der hier den Gedanken und quälenden Zweifeln um die verlorene Geliebte nachgehangen, den Ring genommen und betrachtete erstaunt bald diesen, bald die Frau.

»Das ist der Ring Mahe Tschunds, der Königin von Lahore, und kein Sikh wird verweigern, was in ihrem Namen gefordert,« sprach er hastig.

»Die Engländerin hatte zwar die indische Antwort des jungen Kriegers nicht verstanden, aber sie begriff aus dem Ton derselben, daß er ihr seinen Beistand gewähren wolle, und kühn entschlossen warf sie, sich erhebend, den Schleier zurück und redete ihn in englischer Sprache an.

»Ich bin eine Faringi, Sir, und komme, mich und die Meinen da unter Ihren Schutz zu stellen, wo man schändlich die heilige Sitte des Gastrechts mit der Ermordung unschuldiger Menschen verletzen will. Man hat mir gesagt, daß der Besitzer dieses Ringes von einem tapferen Krieger der Sikh jeden Dienst fordern dürfe. Es ist nicht das erstemal, daß ich Sie sehe, ich weiß, daß Ihr Herz edel und voller Großmut auch gegen den Feind ist und ich fordere von Ihnen, daß Sie den schändlichen Verrat, den man an uns zu üben beabsichtigt, verhindern und uns möglich machen, Cawnpur zu erreichen. Dann möge ein ehrlicher Kampf zwischen uns und den eingeborenen Söhnen dieses Landes stattfinden, wenn diese glauben, von den Engländern gekränkt zu sein.«

Er sah sie noch immer mit unverhehltem Erstaunen an, aber die edle, vertrauende Miene der Jungfrau, ihr offenes, kühnes Auftreten imponierte seinem ritterlichen Sinn.

»Ich habe gehört,« fuhr die Engländerin fort, »der tapfere Sohn des weisen Gholab Singh liebe ein holdes und edles Mädchen. Bei der Liebe zu der Jungfrau aus seinem Volke möge er die beschützen, die eine weiße Haut tragen, aber gern Mahana ihre Schwester nennen würden!«

Der junge Krieger erbebte bei dem Namen und sein dunkles Auge erglänzte in wildem Feuer. »Bei dem goldenen Thron des großen Rundschid,« schwor er, »du sollst nicht vergeblich den Beistand Fattih-Murad-Khans angerufen haben, Mädchen. Es ist genug, daß der Schutz dieses Daches geschändet ist durch den Verlust der einen, die Murad Khan mehr liebt, als den Apfel seines Auges. Der Ring der Mutter Mahanas soll mit Murads Blute ausgelöst werden, und – bei meinem Schwert! Du und jeder der Deinen soll ungekränkt den Palast von Bithoor verlassen!«

Die Jungfrau sah unwillkürlich mit Vertrauen und beruhigt zu ihm empor.

»Dame,« fuhr der Sikhhäuptling fort, »du kannst ruhig zu den Deinen zurückkehren. Woher du auch diesen Ring empfangen – ich will es nicht wissen; aber sage dem, der ihn dir gab, daß Murad seine Pflicht zu tun bereit ist. Sobald ich den Gebrauch davon gemacht, den du verlangst, werde ich ihn in deine Hände zurückgeben; vielleicht mag er noch einmal dir Dienste leisten.«

Und mit der ritterlichen Galanterie eines der Heroen der arabischen Blütezeit faßte er des Mädchens Hand und geleitete sie zum Eingang des Gemaches zurück, wo er mit einer Verbeugung von ihr schied.

Wenige Minuten darauf sah Editha, bereits wieder im Schutz des deutschen Arztes, das einsame Licht des Bungalow erlöschen. Der Khan hatte ihn verlassen. – – – – – –

Vor dem Portal des Palastes hielten zwei Soldaten der Reiterabteilung, welche die Ehrenwache der beiden Generäle bildete und sie von Cawnpur begleitet hatte.

Sie gehörten zu dem Sikhregiment, das seit etwa zwei Monaten in Cawnpur stand.

Die Sikhs sind ein kühner, stolzer Männerschlag, geborene Krieger und Reiter, wie die arabischen Stämme und die Indianer der Pampas und der Einöden von Texas. Da ihre Religion ein Gemisch von Muhammedanismus und Hinduismus, halten sie sich über beiden Sekten stehend und verachten beider Gebräuche. Sie bilden die besten und zuverlässigsten Truppen unter den eingeborenen Soldaten der Kompagnie, und obschon keineswegs Freunde der Faringi, haßten sie doch noch mehr die Sepoys, weil mit deren Hilfe die Engländer das Pendschab unterjochten und die Sikhs ihrer so lange bewahrten Freiheit beraubten.

Indem Fattih-Murad-Khan seinen Weg vom Bungalow außerhalb der Garten nach dem Platz nahm, wo die Eskadron der Sikhreiter um ein gewaltiges Feuer biwakierte, begegnete ihm Alamos, der Mexikaner, eines der Mitglieder der Kohorte des Nena.

Der Khan hatte eine Vorliebe für den kecken Spürer und Reiter gefaßt, der ihn bei der Flucht des Lahore-Prinzen begleitet hatte, und bei seiner Ankunft vor zwei Tagen im Bungalow des Nena zu seinem Bedauern erfahren, daß der Mann in Geschäften seines Gebieters abwesend wäre.

Um so überraschender war ihm die Begegnung des Mexikaners, den er weit entfernt glaubte.

Jetzt aber aufgeregt und beschäftigt durch sein der Engländerin gegebenes Versprechen, redete er ihn mehr durch Zufall und absichtslos an: »Du bist also zurück, Freund?«

»Seit diesen Morgen, Senjor.«

Die Antwort fiel dem Khan auf, weil er den Prinzen noch am Mittag nach dem Mann gefragt und eine ausweichende Antwort erhalten hatte.

»Deine Reise scheint anstrengend und lang gewesen zu sein, denn dein Fuß ist nicht wie sonst der der Antilope und deine Glieder sind matt!«

»Valga me Dios! Der Weg von Delhi hierher ist auch kein Kinderspiel in sechs Tagen und sechs Nächten.«

»So warst du in Delhi?«

»In Mirut und Delhi. – Ich zog mit dem Sirdar und dem 3. Regiment nach der Stadt und verließ sie erst, nachdem der Sieg uns gesichert war.«

Der Khan sah ihn erstaunt an. »Was sprichst du, Mann – in Mirut und Delhi wäre ein Kampf ausgebrochen?«

»Wie, Senjor – Ihr wißt es nicht? Am zehnten erhoben die Reiter vom dritten die Fahne des Kampfes, zwei Infanterieregimenter waren mit uns, halb Mirut ging in Flammen auf und wir schlugen uns sechs Stunden lang mit den schuftigen Jägern vom sechzigsten und den Dragonern der Garde. Tantia-Topi und der Mann, den sie den Derwisch Sofi nennen, obschon er ein geborener Soldat sein muß, taten Wunder der Tapferkeit, aber wir mußten dennoch die Stadt räumen und zogen nach Delhi, wo alles zum Ausbruch bereit war.«

«Und in Delhi?«

»Caramba! – der Mogulprinz erwartete uns und im Augenblick ging der Spektakel los. Der Kommissar flüchtete in den Palast von Saman Badsch, aber der Tanz war unser und was Engländer hieß, verloren.«

»So war der Kampf in Delhi vorbereitet?«

»Demonio! – Akhbar-Jehan hatte die Sache trefflich in Gang gebracht mit dem alten französischen General, ganz nach dem Willen und dem Rat Seiner Hoheit des Maharadschah. Die Engländer wurden überrascht, daß sie ihre Hälse abgeschnitten fanden, ehe sie nur sagen konnten: Goddam

Die Augen des jungen Kriegers sprühten Flammen, seine Zähne waren fest aufeinander gebissen.

»Also mißtraut meiner Treue – getäuscht, betrogen!« murmelte er, während seine Faust sich krampfhaft ballte – »und Mahana sicher der Preis dieses Knaben, bloß weil er den Namen einer Fürstenreihe führt? Ha, bei Astraoth – sie könnten sich täuschen in ihren Plänen und Murad-Khan wird nicht mit sich spielen lassen.«

Dann zu dem Mexikaner sich wendend, der ihn erstaunt betrachtete, befahl er ihm: »Suche einen der Hausdiener des Nena, und laß ihn seinem Herrn sagen, Fattih-Murad-Khan begehre ihn zu sprechen und werde ihn an dem Springbrunnen des Bungalow erwarten.«

Der Khan aber setzte seinen Weg nach der Stelle fort, wo das Kommando der Sikhreiter in stolzer Absonderung von den Hindus und Mahomedanern sich unter einem riesigen Tamarindenbaum gelagert.

»Wo ist der Subedar, der die Gortschura befehligt?« fragte er die ersten, auf die er traf.

»Im Schloß, Sahib, bei dem Fest.«

»So rufe den Jemedar oder den Unteroffizier, der bei euch ist! Ich habe mit ihm zu reden.«

Der Mann erschien sogleich.

»Kennst du mich?«

»Wer sollte Fattih-Murad-Khan, den Sohn des weisen Gholab nicht kennen, die einzige Hoffnung der Sikhs! Du bist unser wahrer Herr und Gebieter, nicht der Faringi-General, der fern von seinen Kriegern ist.«

»Du hast die Chupnatis der Hindu gegessen?«

»Wir wissen, was geschehen wird, aber wir verunreinigen uns nicht mit den Anbetern der Kuh. Wir sind bereit, zu tun, was unsere Offiziere uns sagen.«

»Bana bak! so wirst du meinen Befehlen gehorchen. Ist Rustam-Singh, der Subedar-Major mit auf dem Fest?«

»Nein, Tuwen-Sahib, er ist in Cawnpur zurückgeblieben.«

»So nimm dein Pferd und reite schnell zurück nach Cawnpur und gib Rustam-Singh dieses Kleinod und diese Botschaft.«

Er schrieb auf ein Blatt Pergament mit einem Silberstift einige Worte. »Sage ihm, er soll schnell sein, wie der Blitz, der über den Bergen von Kaschmir zuckt. Vertraue keinem der Posten der Sepoy's, die du passieren wirst, deinen Auftrag, und ehe du reitest, sende einen Mann nach jenem Palast, und lasse Nassier-Singh, deinen Subedar, herausholen, ich muß ihn sprechen.«

»Du übernimmst die Verantwortung, Khan, daß ich meinen Posten verlasse?«

»Geh unbesorgt!«

Der Unteroffizier trat zu den Reitern zurück und erteilte einen Auftrag. Gleich darauf sah man ihn in der Richtung von Cawnpur davon sprengen, indes der Khan ungeduldig am Feuer auf und nieder schritt. – – – –

 

Major Rivers neigte sich zu der fürstlichen Amazone, an deren Seite er stand.

»Wie lange wird unser Freund, der Maharadschah, das Glück haben,« fragte er mit vertraulicher Höflichkeit, »die Krone der Frauen zu bewirten?«

»Sobald die Begum aufbricht, werde auch ich die Haudah meines Elefanten besteigen. Ich denke, daß morgen schon die Geschäfte meiner Freundin beendet sein werden, und auch die meinen.«

»Ich werde die Ehre haben, Hoheit nach Jhansi zurück zu begleiten.«

»Der Vertreter unserer Herren in Kalkutta,« erwiderte die Rani kalt, »ist auch Herr in Jhansi. Die Tore meines Schlosses sind ihm stets geöffnet!«

»O nicht so, schöne Frau – ich möchte diesmal nicht als Offizier der Kompagnie erscheinen, sondern in einer willkommenern Gestalt. Es ist Zeit, Hoheit, daß es endlich zwischen uns klar wird, und meine Bewerbungen um deine Gunst eine entscheidende Antwort und Erhörung finden.«

»Ich verstehe nicht, was Major Rivers verlangt,« sagte die Dame kühl.

»Dann müßte die schöne Gebieterin von Jhansi keine Frau sein,« bemerkte der Resident, indem er gegen alle Sitte des Orients ihre Hand erfaßte. »Es ist dir nicht unbekannt, Fürstin, daß ich schon lange mich um deine Liebe und deine Hand bewerbe, und diese Gelegenheit, mir das Glück zu bewilligen, nach dem ich strebe, ist so gut, wie jede andere.«

»Eitler Tor! Die Rani von Jhansi würde eher noch einmal den Scheiterhaufen besteigen, als daß sie die Gattin eines Spions der Tyrannen ihres Vaterlandes werden würde!«

Ihr fester Blick begegnete mit verachtendem Stolz dem Ausdruck des Erstaunens und der Erbitterung, mit der sie der getäuschte Bewerber anstarrte.

»Bedenke, was du tust, Weib, und mit wem du dein freches Spiel zu treiben wagst,« knirschte er bleich vor Zorn, »die Hand, die so lange dich und deinen Übermut geschont und geschützt, kann dich niedriger werfen, als die geringste deiner Tänzerinnen steht.«

»Schändlicher Faringi,« sagte die Rani stolz, indem sie mit einer raschen Gebärde den Schleier über ihr Gesicht zog und sich erhebend ihm verächtlich den Rücken kehrte, »wahre dich selbst, denn das Schwert des Gerichts schwebt über deinem Haupt!«

Und ohne seiner weiter zu achten, winkte sie Maldigri zu sich heran, der, wenn er auch den Inhalt des halblaut geführten Gesprächs der beiden nicht zu hören vermocht, doch erstaunt über die Zeichen, die dasselbe begleiteten, näher getreten war, während Kapitän Delafosse ihm folgte und mit einem zornigen, herausfordernden Blick auf seinen früheren Waffengenossen die Hand an den Degen legte.

In diesem Augenblick, ehe die Männer ein Wort der Frage oder Erklärung wechseln konnten, kam der Nena mit dem englischen Geistlichen an der Hand durch den Saal und schritt auf die Sitze der Begum und der Rani zu.

»Seine Hochwürden, der Dechant von Delhi, auf der Rückreise von Kalkutta nach seinem Sprengel begriffen,« sagte er in indischer Sprache, die dem Geistlichen bereits vollständig geläufig war, »wünscht die Bekanntschaft der erhabenen Königin von Audh und der mächtigen Fürstin von Jhansi zu machen.«

Der Dechant verneigte sich höflich vor der entthronten Königin und ihrer jüngern und schönern Gefährtin.

»Viel habe ich gehört von dem starken Geist der edlen Königin von Audh und dem hohen Sinn der Fürstin von Jhansi. Mögen sie beide überzeugt sein, daß sie stets aufrichtige Freunde unter den Engländern finden werden, selbst wenn sie in dem angebornen Glauben beharren.«

»Aber – täuschen mich meine Augen nicht – Verzeihung, Hoheit, ich glaube einen Freund zu sehen, hier im fernen Indien und in fremder Tracht – Kapitän Grimaldi – Sie, der lang Beweinte unter den Lebendigen hier ...«

Er öffnete dem Freunde die Arme und der Grieche, unfähig sich zu verstellen und seine Person zu leugnen, sank an das Herz des Mannes, der ihm das Liebste genommen, was er auf der Welt besessen.

»Wenn Sahib Maldigri einen Freund gefunden,« sagte die Rani milde, »so möge er diesem gehören, so lange es das Schicksal ihm erlaubt. Seine Hoheit der Maharadschah möge uns unterdes zu den Freuden des Gartens geleiten.« Sie sah sich vergeblich nach ihm um, der Nena, von einem der Diner gewinkt, hatte sich entfernt – ihr Auge begegnete dem ihres stillen Anbeters und ihn freundlich näher winkend, bat sie ihn, die Dienste ihres Offiziers zu versehen und sie und die Begum durch die Kühle des Gartens zu geleiten.

Kapitän Delafosse bot ihr nach europäischer Sitte den Arm, und leicht darauf gestützt, ging sie mit stolzem Schritt und Blick an dem Residenten vorüber, dessen Zorn und Erbitterung diese öffentliche Zurücksetzung noch steigerte.

Unterdes hatte der Oberst der Gotschura der Rani, tief bewegt von widerstrebenden Gefühlen, den Arm seines englischen Freundes genommen und ihn aus dem Gewühl des Festes geführt.

»Und ist es denn wirklich,« fragte der Dechant, als sie jenen Saal erreicht hatten, in dessen Hintergrund die geheimnisvolle Bühne aufgeschlagen, indem er die Hand des Freundes fest in der seinen preßte, – »hab' ich Sie wirklich wieder, Sie, den vor unseren Augen die Brandung des Adriatischen Meeres unter den grausamen Schüssen jener deutschen Soldaten verschlungen?«

»Ich erwachte selbst erst zum Bewußtsein am Bord des französischen Schiffes, wohin mich die mutigen Matrosen, die mich aus dem Meere gerettet, gebracht hatten. Ich fand keine Gelegenheit, Sie damals von meiner Rettung zu benachrichtigen und – ich hielt es für besser, daß Sie dem Toten Ihre Erinnerung, als dem Lebenden Ihre Sorge schenkten.«

»Aber wie kamen Sie nach Indien? wie lange sind Sie hier und warum haben Sie mir hier nicht Nachricht gegeben, oder mich aufgesucht, und wie kommen Sie zu dieser Tracht?«

»Seit fast fünf Jahren bin ich in Indien, zuerst in der Präsidentschaft Madras, jetzt im Dienst der Rani von Jhansi. Aber ehe Sie irgend eine weitere Frage tun – ist Lady Adelaide Ihre Gattin und – wo ist sie?«

»Adelaide ist mein Weib – ich sagte vorhin bereits, daß sie meinen Schmerz um Sie geteilt. Aber ihre Gesundheit ist leidend von dem Klima Indiens und sie konnte mich auf der Reise nach Kalkutta nicht begleiten, so sehr sie es auch wünschte.«

»Barmherziger Gott – und sie ist in Delhi zurückgeblieben?«

»Nicht gerade in Delhi. Sie ist bei einer Freundin in Ludhiana an der Grenze des Pendschab, in einer höher und gesünder gelegenen Gegend. Von dort erhielt ich ihre letzte Nachricht. Aber was ist Ihnen – was haben Sie?«

»Dem Ewigen sei Dank für seine Barmherzigkeit. Ihre Worte nehmen eine schwere Last von meiner Seele. Ludhiana ist befestigt und sicher – oh möchte sie seinen Schutz keinen Augenblick verlassen!«

»Um des Himmels willen, was ist geschehen – was meinen Sie?«

»So wissen Sie nicht – nein, es ist unmöglich! Fragen Sie mich nicht weiter, aber danken Sie Gott, der Lady Adelaide gerettet, und hüten Sie sich selbst, denn – was Engländer in diesem Lande heißt, steht auf dem Krater eines Vulkans!«

»Ich fürchte es selbst – aber erklären Sie mir als Freund, – als Christ ...«

»Ich kann und darf nicht. Sie wissen, daß ich zu den Gegnern Englands gehöre, und ein Eid bindet mein Schweigen. Aber seien Sie unbesorgt, ich stehe für Ihre Sicherheit.«

Die raschen Tritte eines Nahenden störten die weiteren dringenden Fragen des bestürzten Dechanten. Es war Leutnant Sanders, welcher eilig herbeikam auf die Nachricht, daß sein Erzieher und Freund unerwartet in Bithoor angekommen.

Nachdem der erste Austausch der Grüße und Fragen vorüber war, heftete sich der Blick des Offiziers erschrocken auf den kaum beachteten Griechen.

»Um des Himmels willen, Sir, wer ist dieser Mann?«

Der Geistliche faßte seine Hand. »Ich sehe, auch er erkennt Sie wieder, Freund,« sagte er, »obschon es mich wundert, daß es nicht längst geschehen.«

»Sir,« sagte der junge Offizier hastig, »es sind länger als fünf Jahre, und dennoch glaube ich mich nicht zu täuschen. Sie sind Kapitän Grimaldi aus Korfu, auf dessen Haupt die britische Regierung einen Preis gesetzt?«

»Ich bin der Mann, den Sie als Kapitän Grimaldi in Italien gekannt, Sir,« erklärte der Grieche.

»So hat meine Unvorsichtigkeit Sie absichtslos in Gefahr gestürzt.«

»Was ist geschehen?«

»Indem ich Sie in der Nähe der indischen Fürstinnen suchte, denen Sie vorgestellt sein sollten, begegnete mir Major Rivers, der Resident. Er fragte, ob ich mich von früher nicht eines Major Grimaldi erinnere und in welcher Verbindung derselbe mit Ihnen gestanden? Ohne Arg sprach ich von der heldenmütigen Aufopferung dieses Herrn, den ich für tot hielt, bis das triumphierende Lächeln des Majors und die Worte: ›Grimaldi – Maldigri! jetzt hab ich sie beide!‹ mich zuerst aufmerksam machte und ich forteilte, Sie aufzusuchen.«

»Wenn es nötig ist, daß Sie flüchten, Sir,« erklärte der Offizier, »so biete ich Ihnen meine Hilfe und meinen Schutz an. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ein Mann, dem ich wahrscheinlich mein Leben schulde, durch mich in Gefahr gebracht worden.«

»Ich erkenne Ihre Freundschaft und danke Ihnen,« sagte der Grieche. »Aber glauben Sie mir, ich bin besorgter um Sie, als um mich. Die Entdeckung meines wahren Namens macht es nötig, daß ich mich einige Augenblicke mit einer andern Person unterhalte; ich bitte Sie aber beide, diese Stelle nicht zu verlassen, bis ich zurückkehre, – ich beschwöre Sie darum, um Ihrer selbst willen!«

Ehe noch die Engländer ihn näher befragen konnten, entfernte er sich schnell.

In der Tür kamen ihm die Generale, Sir Lytton Mallingham und der Resident mit der Begum von Audh entgegen. Der Rat winkte ihm freundlich zu, als der Major zur Seite trat und dann sich entfernte.

»Dieser Ort,« meinte General Wheeler, »wird zu unserer Unterredung der geeignetste sein. Entziehen uns Euer Hochwürden Ihre Gesellschaft nicht,« fuhr er zu dem Dechanten fort, »wir werden Ihres Rates und Ihrer Kenntnis des Landes vielleicht bedürfen. Leutnant Sanders, ich bitte Sie, unsern Wirt aufzusuchen und ihn zu bitten, mit der Rani hierher zu kommen. Dann sorgen Sie dafür, daß wir auf eine Viertelstunde nicht gestört werden.«

Major Grimaldi hatte unterdes den großen Saal erreicht und war in die Nähe seiner angeblichen Verwandtin gelangt. Ein Blick benachrichtigte sie, daß er Wichtiges mit ihr zu sprechen habe. Die gewandte Frau verstand sogleich den Wink.

»Bitte – reichen Sie mir meinen Schal, Kapitän, ich möchte jene Spiele der chinesischen Jongleurs in größerer Nähe sehen.«

Indem sie die beiden nächsten ihrer Anbeter beschäftigte, winkte sie dem Major. »Treten Sie näher, schöner Cousin, und leihen Sie mir Ihren Arm, wenn Ihre wilde Amazonen-Königin nicht etwa Ihre Dienste begehrt.«

Und ihn scherzend mit dem Fächer auf die Hand schlagend, ließ sie sich von ihm nach der Balustrade der Veranda führen.

»Ein unglücklicher Zufall, Madame, hat vor wenig Augenblicken meinen wahren Namen verraten. Ich fürchte, daß Sie dies kompromittieren wird.«

»Wer weiß ihn?«

»Zwei zuverlässige Freunde bis jetzt, – aber außerdem Major Rivers.«

»Der Mensch ist gefährlich und seine Bosheit fürchtet nur das Ansehen des Baronets. Lassen Sie hören – war die Rede von unserer Verwandtschaft?«

»Nein – er weiß bloß, daß ich Ionier und von der englischen Regierung geächtet war.«

»Beruhigen Sie sich, dann kann er uns nicht schaden. Der Baronet ist ganz in meiner Gewalt. Ich werde sagen, daß Sie ihn auf meinen eigenen Wunsch geändert.«

»Sie sind unterrichtet, Mylady – das genügt!«

»Heben Sie mein Tuch auf, das ich fallen lasse. Es ist ein Papier darin für Sie, die Abschrift des geheimen Traktats mit dem Premier von Nepal, und Notizen über den Bestand der Bank von Kalkutta und die Stärke der neuen Garnison. Lassen Sie mich morgen vor unserer Abreise Ihren Bericht über die Fortschritte der Empörung empfangen.«

»Ich fürchte, das Gerücht wird unseren Nachrichten zuvoreilen. Delhi und Mirut sind in vollem Aufstand. Waffnen Sie sich mit all Ihrem Mut, Mylady, ich fürchte, Sie werden seiner bedürfen. Ich werde Sie schützen, aber die entfesselte Leidenschaft dieser Männer wird nichts schonen. Seien Sie auf alles gefaßt, Madame – der Nena sinnt auf Furchtbares!«

Brigadier Inglis trat herbei und beendete das Gespräch durch ein anderes über die Ausbildung der Truppen der Rani, die der Grieche leitete.

Der Maharadschah selbst hatte auf die Botschaft, die ihm der Diener zugeflüstert, den Saal verlassen, und gelangte an den Eingang des abgesperrten Gartens zum Bungalow.

Er trat zu dem Khan, der ungeduldig seiner am Rande des Bassins harrte. »Du hast mich sprechen wollen, ehe das Große geschieht, Fattih-Murad-Khan,« sagte der Maharadscha.

»Srinath Bahadur,« entgegnete der junge Mann mit entschlossenem Ton, »noch einmal, steh' du selbst mir Rede! wo ist Mahana, die Prinzessin von Lahore, die ich dem Schutze deines Daches anvertraute?«

»Törichte Frage – du weißt so gut wie ich, daß sie verschwunden ist am Tage der Abreise ihrer Mutter, und daß wir erst glaubten, sie habe diese begleitet.«

»Verräter! Du hast sie an Akhbar Jehan, den Prinzen von Delhi, verkauft, als Preis für seinen Beistand zu deinen Zwecken! Willst du mir in den Bart lachen, Srinath Bahadur? Seit gestern weißt du, was in Mirut und Delhi geschehen und daß Akhbar Jehan – verflucht sei sein Name – den Aufstand begonnen und die Faringi aus Delhi vertrieben hat.«

»Du redest irre, Khan – Mahana ist tot, ich schwöre es dir bei den heiligen Broten! Daß in Mirut und Delhi der erste Schlag geschehen, war ein Zufall. Du weißt, daß heute das große Werk hier begonnen werden sollte.«

Der Sikhhäuptling wandte sich verächtlich von ihm. »Höre, Maharadschah, was dir Fattih-Murad-Khan zu sagen hat. Einmal hast du den geheiligten Brauch der Gastfreundschaft verletzt und das Mädchen, das dir anvertraut war, schutzlos den Händen der Räuber oder Mörder preisgegeben! Nicht zum zweiten Male sollst du das heilige Recht des Gastes auf den Schutz seines Wirtes mit Füßen treten – ich will, daß du jene Faringi-Männer und Frauen, die du geladen unter dein Dach, ungekränkt nach Cawnpur zurückkehren läßt. Dann laß uns morgen offen die Fahne des Kampfes erheben und ich und die Krieger der Sikhs werden an deiner Seite stehen!«

»Nimmermehr! Bei den Unterirdischen und allen Dämonen der Hölle! Wer sollte mich daran hindern?«

»Ich werde dich hindern daran, zur Ehre deines Namens!« sagte entschlossen der ritterliche Sikh.

Der Hindufürst wandte sich zu ihm, seine Hand fuhr unwillkürlich an den Griff seines Handjars. Aber dem kühnen, furchtlosen Blick des jungen Kriegers begegnend und von dem Gedanken an das Leid, das er ihm zugefügt, erfaßt – änderte er im Augenblick seinen Entschluß.

Seine Antwort war: »Versuche es!« Dann wandte er ihm den Rücken und schritt zurück nach dem Schauplatz seines Festes.

Im Garten des Palastes kam ihm Leutnant Sanders entgegen, ihn und die Rani von Jhansi zu der Konferenz zu bescheiden.

Wenige Augenblicke darauf erschien der Maharadschah, wieder ganz in der höflichen Maske des Hinduwirtes, mit der Rani in dem Saal, während der junge Offizier vor dem Eingang Platz nahm, um den Eintritt Unberechtigter zu verhindern.

Nachdem der Maharadschah und die Rani Platz genommen, eröffnete der Rat sogleich die Verhandlungen.

»Da ich morgen bereits weiter nach Agra reisen muß, habe ich geglaubt, daß wir ebenso gut hier die Angelegenheiten besprechen können, wegen deren ich zum Teil hierhergekommen. Damit keinerlei Mißverstehen und Mißdeutung stattfinde, wünschte ich, daß die Verhandlung vor beiderseitigen Zeugen geschehe, und die anwesenden, mit den Verhältnissen bekannten Personen werden genügen.«

Diese verneigten sich sämtlich zum Zeichen der Zustimmung.

»Zunächst,« fuhr der Rat zur Königin von Audh fort, »wende ich mich an Ihre Hoheit. Durch die Proklamation vom 7. Februar vorigen Jahres hat die Kompagnie, unter Bewilligung einer Pension von 150 000 Pfund Sterling, die Regierung von Audh an sich genommen. Zu ihrem Bedauern müssen die Kompagnie und der General-Gouverneur dagegen erfahren, daß Ihre Hoheit, der man bewilligt hat, im Palast zu Audh zu bleiben, statt Ihren Gemahl nach Kalkutta zu begleiten, fortwährend neue Intrigen und Proteste gegen die Regierung der Kompagnie anspinnen.«

»Sage mir, was ich getan, Sahib, und ich werde dir antworten,« entgegnete die Königin.

Der Rat öffnete ein Portefeuille und nahm zwei Briefe heraus, die er ihr vor die Augen hielt.

»Kennst du diese Schreiben?«

Einen Augenblick entfärbte sich die entthronte Fürstin, dann entgegnete sie mit Hohn: »Ich wußte nicht, daß die Faringi-Regierung Briefe stiehlt!«

Der Rat errötete bis über die Stirn und sah die kecke Frau drohend an: »Wenn es die Interessen des Staates gilt,« sagte er ziemlich heftig, »hat die Regierung das Recht, die Korrespondenz verdächtiger Personen zu überwachen. Ich bin hier, um Sie zum letzten Mal zu warnen und Sie aufzufordern, diese Entsagungsakte auf den Thron von Audh für sich und Ihre Familie zu unterzeichnen.«

»Und wo ist die Unterschrift des Königs, meines Gemahls?«

»Der König wird sich nicht weigern, zu unterzeichnen, wenn Ihre Hoheit ihm mit Ihrem Beispiel vorangegangen. Die Kompagnie verpflichtet sich, Ihnen, außer der Pension Ihres Gemahls, 60 000 Rupien jährlich auszusetzen.«

»Aber wenn ich mich weigere?«

Die Stirn des Rates furchte sich. »So wird man die Mittel finden, Ihre Hoheit zu zwingen.«

»Sie haben bis morgen mittag Zeit, Hoheit, sich zu bedenken,« wandte er sich an die Königin. »Ich breche nach der Siesta auf und werde bis dahin Ihre Unterschrift erwarten. Verweigern Sie dieselbe, so zahlt die Kompagnie die Pension nicht weiter und General Lawrence hat die nötigen Instruktionen in betreff der Überwachung Ihrer Person.«

Die Begum sah ihn mit einem höhnischen Blick an, bewahrte aber ein stolzes Schweigen.

»Es tut mir leid, Hoheit,« fuhr der Rat fort, zu dem Maharadschah gewandt, »daß ich in Ihr schönes Fest politische Verhandlungen und die Strenge der Regierung gegen eine Dame mischen muß, die wir gern schonen möchten. Ich bin überzeugt, daß unsere eigenen Angelegenheiten bei Ihrer Anhänglichkeit für die Sache der britischen Herrschaft sich leichter ordnen lassen werden.«

»Sie haben wiederholt auf Verleihung des Peischwa-Titels und der Pension angetragen, die der verstorbene Peischwa von Bithoor bezogen.«

»Ich verlange nichts als Gerechtigkeit, Sahib Rat. Ich bin der Sohn Bazie Rûs.«

»Aber nur sein Adoptivsohn, Sir.«

»Die Rechte der adoptierten Kinder sind geheiligt durch tausendjährige Sitte. Kein Indier wagt sie zu bezweifeln!«

»Die Sache wird sich vielleicht ausgleichen lassen, wenn wir über die zweite Angelegenheit uns verständigen. Sie haben eine Klage bei dem obersten Gerichtshof der Kompagnie eingeleitet auf Herausgabe des Erbes eines Verwandten des Peischwa, also angeblich auch Ihrer selbst, des verstorbenen Dyce Sombre, des Enkels der Begum von Somroo.«

»Ich will nur Gerechtigkeit. Sahib Rat.«

»Verstehen wir uns recht – ich halte Ihre Ansprüche in dieser Sache für keineswegs rechtlich begründet. Zunächst wiederhole ich Ihnen, daß Ihre Verwandtschaft mit dem Verstorbenen nur aus den indischen Sitten beruht, aber von keinem englischen Gerichtshof anerkannt werden würde.«

»Der Teil des Erbes, den ich hauptsächlich beanspruche, liegt in Indien, nicht in England.«

»Aber es ist Ihnen bekannt, daß Sir Dyce Sombre zur Zeit der Testamentsaufnahme gar nicht testierungsfähig war, daß man ihm wegen Geistesstörung die Disposition über sein Vermögen genommen hatte.«

»So behauptet die dabei interessierte Verwandschaft seiner Gattin, obschon selbst in England namhafte Ärzte das als ein schändliches Unrecht erklärten. Auch ist das Testament nicht in England aufgenommen, sondern in Paris, und wissenschaftliche und amtliche Autoritäten haben die volle Dispositionsfähigkeit meines unglücklichen Verwandten bestätigt.«

»Das Testament ist auf eine so seltsame Weise jetzt zum Vorschein gekommen, nachdem es den amtlichen Feststellungen nach in London unter geheimnisvollen Umständen plötzlich verschwunden, daß die Regierung Aufklärung darüber verlangen muß, auf welche Weise Sie in dessen Besitz gekommen sind.«

»Der indische Diener meines Vetters, Tukallah, überbrachte es mir nebst allen dazugehörigen Dokumenten.«

»Wo ist der Mann? können Sie ihn als Zeugen stellen?«

»Euer Exzellenz wissen, daß das Zeugnis eines Indiers wenig gelten würde vor einem britischen Gerichtshof. Ist Ihnen der Name Tantia Topi bekannt?«

»Ein Mahrattenhäuptling, wenn ich mich recht erinnere, nicht vom besten Ruf und stets mit den Feinden der Kompagnie unter einer Decke.«

»Er ist, nebst dem ältesten Sohne Gholab Singhs, dem Murad Khan, ein Vertrauter der flüchtigen Rani von Lahore,« fügte der Resident bei, »und man hat genügend Grund, ihm die Entführung Dhulip Singhs und noch manche andere Verbrechen schuld zu geben.«

»Tukallah,« sagte der Fürst ruhig, »und Tantia Topi sind ein und dieselbe Person.«

»Dann, Hoheit, erlauben Sie mir die Bemerkung, daß der Name wenig zugunsten Ihrer Sache spricht.«

»Ich verlange einfach mein Recht, Sahib Rat.«

Der Baronet wühlte einige Augenblicke in seinen Papieren, dann sagte er: »Sie fordern die großen Besitzungen der alten Begum in Indien, über die, wie Sie wissen, die Kompagnie längst verfügt hat, und außerdem einen bedeutenden Anteil der Erbschaft in England, zu der dort drei rechtmäßige Erben vorhanden sind. Die Regierung hat über die Besitzungen seit länger als zehn Jahren verfügt und aus einer neuen Aufnahme der abgetanen Sache kann nur Nachteil entstehen. Sie müssen Ihre Klage zurücknehmen, Hoheit.«

»Wenn es die Kompagnie befiehlt – ich bin ihr Knecht.«

»Die Regierung wünscht es. Sie ist bereit, dafür bei dem Direktorium Ihre Ansprüche auf den Peischwa-Titel nochmals zu befürworten. Wir haben mit Bedauern das Unglück gehört, das Sie in – einer Freundin betroffen.«

»In meiner Gemahlin, Sahib Rat,« unterbrach ihn der Maharadschah.

»In Ihrer Gemahlin denn, Fürst. Ich hoffe, daß die Herstellung der Dame bald so weit erfolgt sein wird, daß ihre Aussagen auf nähere Spuren des Verbrechens leiten können. Ich verspreche Ihnen die strengste Gerechtigkeit und energische Verfolgung der Bösewichter.«

Der Maharadschah erhob sich. »Ich nehme Euer Exzellenz Versprechen an und werde Sie daran erinnern! – Darf ich unsere Gäste einladen, einzutreten und das Schauspiel anzusehen, das ich mit meinen geringen Künstlern der hohen Gesellschaft zu bereiten bemüht war?«

»Einen Augenblick noch, Hoheit, ich habe noch einige Worte dieser Dame zu sagen.« Er nahm ein neues Papier aus seinem Portefeuille und wandte sich zu der Rani von Jhansi.

»Ihre Hoheit zeigen sich unzufrieden mit den Anordnungen der Regierung. Sie protestieren in dieser Schrift gegen die Handlungen unseres bestellten, hier gegenwärtigen, Residenten und beschuldigen ihn einer unberechtigten Einmischung in Ihre Angelegenheiten?«

Rivers warf einen überraschten und gehässigen Blick auf die Rani, den diese mit einem stolz herausfordernden begegnete.

»Was geschrieben ist, ist geschrieben,« sagte sie mit erhobener Stimme. »Ich verlange Gerechtigkeit von der Kompagnie für die freien Fürsten Indiens statt Tyrannei und Unterdrückung!«

»Du sprichst kühn, Dame,« warnte finster der Resident. »Die Regierung ist zwar gewillt, alle mögliche Nachsicht gegen dich zu üben, aber sie verlangt Unterwerfung und Dankbarkeit, nicht Trotz und Übermut!«

»Unterwerfung?« fragte die Fürstin stolz. »Schanda, die Rani von Jhansi, ist eine freigeborene Fürstin, nicht die Sklavin habsüchtiger Faringi! Sie ist niemand Rechenschaft schuldig von ihrem Tun, als dem Scindia, ihrem Lehnsherrn, und ihrem Gewissen.«

Die Generale hatten sich, gleich dem Baronet, unwillkürlich erhoben bei dieser kühnen Sprache der Rani.

»Verwegene! ist das die Sprache gegen deine Herren, deren Mitleid allein dich auf deinem Scheinthron duldet? Die Natter des Aufruhrs und des Verrats zischt aus dir, und beim Kreuz von Sankt Andreas – sie soll zertreten werden!«

Mit einer wahrhaft majestätischen Gebärde streckte sie den mit Ringen bedeckten Arm gegen ihre Gegner aus.

»Meine Herren? Stolze Faringi, die ihr euch die Herren und Gebieter in diesem Lande zu sein anmaßet – höret das freie Wort einer Frau, da den Mund der Männer die Furcht und der Verrat geschlossen hält. Frei und mächtig war der Hindu in seinem Lande, ehe der weiße Mann mit der gespaltenen Zunge an seine Küste kam. Der Ruhm Hindostans erklang durch alle Welt, und was Brahma den Menschen an Schätzen und Wissen gegeben, war in diesem Lande. Da kamen die Europäer und baten um Duldung an unseren Küsten – zuerst die Portugiesen, die Holländer und die Franken, zuletzt die verachteten Juden unter den Völkern, die Faringi! Voll Gastfreundschaft nahmen die Hindostani sie auf, aber aus den Gästen sind die Herren, aus den Sklaven die Gebieter geworden. Die Krämer, die Handel treiben, sind die Tyrannen! sie, die feilschten um die Annahs, sie haben den Fuß verräterisch auf den Nacken freier Völker gesetzt. Mit Betrug und List habt ihr die Macht gewonnen, und mit dem Fluch von Millionen erhaltet ihr sie. Betrogen habt ihr die Fürsten um ihr Eigentum – unterdrückt die Rechte der Nationen. Nicht der Mann am Kreuz, sondern die Gewalt und das Gold ist euer Gott – ihr schändet die Frauen und würget die Kinder als Opfer eures blutigen Glaubens! Betrug, Habsucht und Verrat sind eure Waffen – aber reif ist die Ernte und blutig soll die Saat aufgehen, die ihr gesät! Ich, ein Weib, deren Rechte ihr unterdrücken gewollt, künde euch offen und frei den Krieg! Ich trotze eurer Herrschaft, und will die schützen, die zu furchtsam sind, ihre eigenen Rechte zu wahren!« Ihre Hand erfaßte die Entsagungsakte der Begum, und in zwanzig Stücke zerrissen, schleuderte sie das Papier vor die Füße der Erstaunten. »Wie ich den Zeugen der Willkür vernichte, möge eure Herrschaft in diesem Lande in Stücke gehen! ich – Schanda, die Rani von Jhansi – biete Trotz der Macht der Faringi und will meine Freiheit mit der Schneide meines Schwertes verteidigen gegen den Frechen, der es wagte, die Hand einer freien Fürstin zu verlangen, wie gegen alle Tyrannen meines Volkes!«

»Wahnsinnige! – Nur als Gefangene sollst du die Schwelle dieses Palastes verlassen!«

»Wage es, stolzer Faringi! Wahre dein eigenes Leben, denn du atmest in der Höhle des Tigers, der kein Erbarmen kennt!«

»Wache herbei! – Rufen Sie Ihre Offiziere, Exzellenz! so unerhörter Trotz darf nicht ungestraft bleiben!«

General Wheeler eilte nach dem Eingang des Saales, während der Gouverneur von Audh, ein milder und nachsichtiger Charakter, den Zorn des Mitglieds des großen Rats von Indien zu beschwichtigen suchte.

In diesem Augenblick – noch ehe General Wheeler einen Befehl erteilen konnte, flogen die Portieren der breiten Bogentüren zur Seite, und auf den Arm ihres Wirts gestützt, trat Lady Mallingham ein, gefolgt von der ganzen Gesellschaft, die im Augenblick den Saal einnahm und für das angekündigte Schauspiel sich plazierte. Der Rat und die Generale sahen ein, daß dies nicht der Augenblick sei, um den Streit weiterzuführen und verschoben die Ergreifung strenger Maßregeln, gewiß, daß die Trotzige ihrer Strafe nicht entgehen könne.

Unbekannt mit dem, was vorgegangen, lud ein Wink der Lady die beiden indischen Fürstinnen ein, an ihrer Seite Platz zu nehmen, während die Damen sich im Halbkreis gruppierten. Der Rat, die beiden Generale und der Dechant hatten gleichfalls im Kreise Platz genommen, und hinter den Sesseln sammelte sich die Menge der Offiziere und der vornehmen Eingeborenen, die der Sahib zu dem Feste geladen.

Bei der steten Absonderung, die zwischen den englischen und den eingeborenen Offizieren selbst in einem und demselben Regiment herrscht, indem die Briten die Hindus von ihrem Umgang systematisch ausschließen, konnte es selbst einem weniger unbefangenen Auge nicht auffallen, daß die Sepoy-Offiziere sich im Hintergrund zusammendrängten, gleichsam die Ausgänge besetzt hielten, und bedeutsame Blicke und heimliche Reden miteinander wechselten.

»Nun, Hoheit,« sagte die Lady Baroneß zu dem Maharadschah, »wir sind voll Erwartung des Schauspiels, das Sie uns versprochen.«

»Mylady, Sie müssen vorlieb nehmen mit dem, was wir armen ungebildeten Hindu zu geben vermögen. Aber, auf meine Ehre, ich verspreche Ihnen, es ist ein Original.«

»Bitte, geben Sie mir das Programm dazu.«

»Es ist eine Rapsodie, Mylady, deren Text ich selbst den Versuch gemacht habe, in englische Verse zu übertragen. Sie ist dem Kadambari des Banabhatta nachgebildet und wird nach der Sitte der Franken durch stumme Gruppen dargestellt werden.«

»Also lebende Bilder – und Sie selbst der Dichter, Hoheit? das ist reizend. Ihr Fest, muß ich gestehen, läßt nichts zu wünschen übrig. Ich gebe Ihnen zum Dank dafür die Erlaubnis, meine Hand zu küssen, Prinz, und bedaure nur eines bei meinem Besuch.«

»Und darf ich fragen, welcher Umstand so unglücklich gewesen ist, Ihrer Herrlichkeit Mißfallen zu erregen?«

»Ich spreche nur mein Bedauern aus, daß es mir nicht vergönnt war, neben diesen indischen Damen auch die Schönheit unserer Wirtin kennen zu lernen, der es gelungen, die Liebe des berühmten Maharadschah von Bithoor so wunderbar zu fesseln.«

Der Hindufürst verneigte sich. »Ich werde die Ehre haben, Mylady, meine Gattin Ihnen vorzustellen, ehe das Fest zu Ende ist.«

Die Antwort des Maharadschah war so laut und fest gesprochen, daß außer der Lady Mallingham verwundert mehrere der Umsitzenden aufhorchten und den Mund zum Fragen öffneten.

In diesem Augenblick rief General Wheeler herüber: »Den Titel Ihres Schauspiels, Freund Bahadur? Sie haben uns noch dessen Namen nicht gesagt.«

Der Nena trat zurück und näherte sich der Bühne. »Es ist ein Gedicht des Subandhu, Sahib Exzellenz, und führt den Titel: Die Rache des Liebenden!«

Drei Schläge des Tamtams erschütterten die Nerven der Hörer und dann schmetterte eine rauschende wilde Musik durch den Saal.

Und aus dem wirren Getön dieser Musik, verborgen von dem Vorhang der Bühne, erhob es sich in sehnsüchtigen, lockenden Klängen, wie der Gesang der Budurubul, des Vogels der tausend Lieder, herzdurchbebend, träumend in süßer Melancholie, als malten die Töne die Erinnerungen einer süßen und unglücklichen Liebe. Hinter dem Vorhang hervor trat eine ernste Greisengestalt, gehüllt in weiße, wallende Gewänder, den schmalen Goldreif der indischen Barden um das lang flatternde Haar. Und während die süßen, schmelzenden Töne der Nachtigallenmelodie wie im fernen Echo verklangen, kauerte der greise Sänger sich zur Seite des Inderfürsten auf der Rampe der Bühne nieder und seine Finger rauschten über die Saiten der Laute, die er im Arm trug.

Dann – in dem einfachen, halb singenden Rhythmus des indischen Rezitativs entströmte der Wortlaut der Ghaselen in hindostanischer Sprache seinen Lippen.

Alles schwieg, neugierig durch den seltsamen Eingang des versprochenen Schauspiels. Jetzt erhob der Maharadschah die Hand und auch der indische Sänger schwieg. Aus seinem Arm nahm der Nena die Laute, mit kräftigem Akkord griffen seine Finger in die Saiten und, das Auge zur Decke erhoben, wiederholte seine volle, wohllautende Stimme die Ghaselen in freien englischen Versen.

»Golden sind Surikhas Locken,
Wie der Sonne lichter Strahl,
Der der Blüten duft'ge Glocken
Küßt im Himalaya-Tal.
Ihre Augen sind Saphire,
Eine Palme die Gestalt,
Und dem Säuseln der Zephyre
Gleicht des Lächelns Allgewalt.

Weiße Perlen sind die Worte,
Die aus der Rubinen-Pforte
Ihrer Lippen, den Korallen
Ihrer Zähne süß entfallen.
Wie der Antilope Kosen
Tritt ihr Fuß den Rasen nur,
Und ihr Odem gleicht der Rosen
Duft auf Schiraz sonn'ger Flur. –

An des Indus gelben Wellen,
In dem fernen Lande Sindh,
Unterm Zelt aus Löwenfellen
Lebt der Khan von Samarkind.
Stolz entsprossen aus dem Samen
Mächt'ger Helden, ist der Namen
Tarapidas hoch bekannt
Durch das weite Inderland.
Seine Faust erschlägt den Tiger,
Nur im Wohltun sucht er Lohn,
Und als treubewährter Krieger
Steht er an des Sultans Thron.«

Wieder rauschte die wilde Musik hinter der Gardine in den kriegerischen Klängen der Zymbeln und Becken auf, gleich als wollten sie den Ruhm des jungen Helden verkünden, den das Lied des Inderfürsten besang, der jetzt dem greisen Barden die Laute reichte, fortzufahren in seinem Text.

Und wiederum übersetzte er der Gesellschaft die Verse, den Tonfall mit leichtem Ausdruck wechselnd:

»Und von Kaschmirs schönem Kind
Hört der tapfre Held von Sindh.
Da entbrennt in Liebesglut
Ihm das Herz, wie jäh die Flut
Von des Monsuns Hauch gefüllt
An Suratas Küste schwillt.
Und er zieht zum fernen Land
Und er holt mit tapfrer Hand
Von dem Fuß des Dwalagir
Die Rose sich von Kaschmir!
Und der Löwe von dem Sindh
Wird zum schuldlos frohen Kind. Denn des Cama Huld verhieß
Ihm der Liebe Paradies.
Von Kammari bis Kabul
Singt die süße Burubul
Keinen Glücklichern ihr Lied,
Als Surith und Tarapid!«

Unter den zarten Molltönen der Flageoletts rauschte der Vorhang zur Seite, und ein staunendes Ah! der Versammlung begrüßte das reizende Bild, das sich den Blicken zeigte.

An dem breiten Stamm einer Banane auf grünem Rasenteppich ruhte zwischen Rosen und Geranienbüschen ein Liebespaar, der Mann, eine prächtige Kriegergestalt in der malerischen Tracht der ritterlichen Afghanenstämme, Säbel und Schild zur Seite, das Haupt im Schoß eines schönen Mädchens mit köstlich blondem Haar, in die weiche, blaue Tunika der Frauen der tibetanischen Hochgebirge gehüllt.

Wer Major Rivers beobachtet hätte, wie er auf das blonde Frauenbild starrte, würde gesehen haben, wie sein Antlitz sich mit fahler Blässe überzog.

Das Antlitz dort oben auf der Bühne unter dem Bananenbaum und dem Goldschleier des Gewebes von Tibet war ein ihm bekanntes – es glich Narika, der Odaliske von Kaschmir, die bei dem Brand der Zenanah entflohen war, wie eine Rose der andern.

»Ma foi! Sehen Sie, meine Liebe, das Gesicht jenes Afghanen-Kriegers – gleicht es nicht zum Erstaunen unserem liebenswürdigen Wirte selbst?«

»Ich glaube, es ist Baber-Dutt, sein Bruder, der die Rolle übernommen,« erwiderte Miß Wheeler.

Zusammen rollte der Vorhang und verhüllte die Gruppe vor den Augen der Zuschauer. Wieder rauschte der Akkord der Saiten und die Hindostani-Verse flossen von den Lippen des greisen Barden.

Und der Bahadur übersetzte die Verse, während wie in weiter Ferne die wilde Musik seines Volkes hinter dem Vorhang erklang.

»Die Dämonen sind dem Glücke
Feindlich, das uns Cama gibt,
Und in ihrer Bosheit Tücke
Hassen sie, was treu sich liebt.
Hin zu seinem SandeltoreDie berühmten und kostbaren Tore des Tempels von Lahore aus Sandelholz, die bei der Eroberung des Pendjab von den Engländern geraubt wurden.
Ruft der Sultan von Lahore
Seinen Krieger Tarapida.
Und er läßt zurück Surikha,
Auf den Schutz des Bruders bauend,
Und der Treu' des Freundes trauend.
Hassan war wie er ein Krieger,
Und er hat das Zelt und Mahl
Von dem edlen Hindusieger
Schon geteilt wohl hundertmal.
Doch im stillen neidet er
Seiner Liebe Glück ihm schwer,
Und als Tarapida fern,
Raubt er ihm des Lebens Stern! –
Jene zarte Frau'n-Gestalt
Bricht des Schändlichen Gewalt.
Tückisch stürzt er ins Verderben
Ihren Bruder, denn sein Sterben
Ist die Losung seinen Lüsten,
Und er schwelgt an ihren Brüsten
Und entehrt den zarten Leib
Mit Gewalt des Freundes Weib!«

Wilder und wilder rauschten die Akkorde! –

»Nicht die Schande selbst bereuend,
Doch der Tat Vergeltung scheuend,
Birgt er in dem Schoß der Erde,
Daß sie nimmer kundbar werde,
Jetzt Surikha, bis der Götter
Wort den Rächer und den Retter
Ihrem Jammer endlich weckte,
Den des Wahnsinns Nacht bedeckte!«

Und wie ein Beben ging es durch den Saal – kein Laut wagte sich zu rühren – denn selbst auf den stolzen und kalten Männerherzen lag es wie furchtbare Ahnung des Kommenden – die Gewißheit, daß die Verse des Hindufürsten eine entsetzliche Bedeutung hätten!

Ohne dem indischen Barden die Laute zurückzugeben und seinen Gesang abzuwarten, tat der Hindufürst einen Schritt auf den Kreis der Gäste zu, einen schrillen Akkord riß seine Hand über die Saiten und dumpf und dennoch verständlich, bis in die fernsten Ecken des Saales, grollte seine Stimme, als er in dieser dämonischen, erschütternden Improvisation fortfuhr:

»Wollt ihr schau'n das Ungeheure,
Wollt ihr sehn, ihr zarten Frauen,
Wie das Liebste und das Teure
Untergeht in Leid und Grauen? –
Wagt ihr, was, noch jetzt zu fragen,
Tarapidas Herz erfüllt?
Weibern nur gehört das Klagen,
Doch dem Rächer jenes Bild!«

Auseinander fuhr der Vorhang – in dunklem Kerkergewölbe, auf feuchter Binsenmatte kauerte die Jammergestalt der Hindufrau mit dem bleichen Angesicht, den starren Blicken des Wahnsinns, die zerstörten blonden Locken durch die hageren Finger gleiten lassend, und von den weißen Lippen schien Ophelias Schmerzenslied zu zittern.

Und ihr zur Seite standen zwei Männer, einer in der einfachen Tracht der Gangesschiffer, den blanken Stahl drohend geschwungen in der Rechten, die Linke den weiten arabischen Mantel erfassend, der die scheu fliehende Gestalt des zweiten verhüllte.

Ein Schlag des Tamtam durchdröhnte gellend den Saal, wie der Ruf des Weltgerichts, der die Gräber spalten und die Verbrecher vor dem Throne Gottes entlarven wird.

Nieder fiel der Mantel des Fliehenden, seine Kleidung, sein Antlitz wurden sichtbar den hundert fragenden Augen – –

»Goddam! – Das ist Rivers, wie er leibt und lebt!«

Der Ruf des Doktor Brice schien wie ein elektrischer Schlag die allgemeine Erstarrung zu lösen.

Die Generale und der Rat erhoben sich; – Unwillen in den rauhen, von Alter und Strapazen verhärteten Zügen, trat der Gouverneur von Cawnpur auf den Nena zu, dessen Auge mit starrem, furchtbarem Ausdruck auf dem Verfemten haftete.

»Ich muß gestehen, Hoheit, das ist kein Spiel für ein Fest! Ich muß Erklärung fordern – was beabsichtigen Sie mit dem Mummenschanz?«

»Gerechtigkeit!«

Die Stimme des Nena dröhnte durch den Saal, als er das eine Wort sprach.

»Gerechtigkeit? Für was und gegen wen verlangen Sie Gerechtigkeit?«

»Gegen die Entführer meines Weibes, Mahathma!«

»Wir beklagen alle Ihr Unglück, aber Sie selbst wissen, daß die Dacoits, welche das Verbrechen wahrscheinlich begangen, noch nicht zu ermitteln waren.«

»Die Verbrecher sind hier!«

»Hier? – Enden Sie endlich die Rätsel, Hoheit, in denen es Ihnen zu sprechen beliebt. Wo sind die Schuldigen?«

»Dort!«

Seine Hand wies auf den Residenten.

»Also doch – Sie wagen es, die Anklage Ihres Bildes mit Worten zu wiederholen?«

»Ich wage es! Bei den heiligen Broten – bei dem Gekreuzigten der Christen – dieser Faringi ist der Räuber und Mörder meines Weibes!«

»Der Mörder?«

»Ja, Sahib General! Meinst du, Srinath Bahadur werde das Lager seines Weibes verlassen, um den Fremdlingen seine goldenen Säle zu öffnen, wenn ein Hauch des Lebens noch auf den Lippen der Geliebten war? Schaut hin und seht das Opfer der Lüste eines weißen Mannes!«

Er streckte die Hand nach der Bühne – die Gruppe von vorhin war verschwunden, nur der Hindu-Schiffer noch zeigte sich den Blicken und neben ihm ein offener Sarg von Sandelholz mit den weißen und roten Blüten der Orangen und des Lotus. Auf dem Blumenkissen, in das weiße Gewand von indischem Musselin gehüllt, lag eine bleiche, abgezehrte Gestalt, das Auge geschlossen, die blonden Locken um das Totengesicht – Margarete O'Sullivan, die Gattin des Maharadscha von Bithoor!

»Es ist falsch – erlogen, was er spricht!« schrie der Resident durch die grauenhafte Stille, die sich bei dem Anblick über die ganze Gesellschaft gelagert. »Wird man der Lüge eines verräterischen Schwarzen mehr glauben, als dem Wort eines britischen Offiziers? – Wo sind die Zeugen für seine wahnsinnige Anschuldigung? Soll diese Tote es sein, die ihres Verstandes beraubt gestorben ist?«

»Die stummen Gräber nehmen die Toten auf – aber sie geben sie auch wieder zurück zur Stunde des Gerichts,« sagte ernst der Maharadscha mit Hoheit.

Und hinter dem Sarg erhob sich eine seltsame Gestalt, ein Mann, bleich und leidend – kein menschenähnliches Angesicht mehr und dennoch fast jedem bekannt in den Reihen der erschrockenen Gäste.

Die Gestalt trat langsam hinter dem Sarge hervor und mit schwankendem Schritt die Stufen der Bühne nieder, gerade auf den Residenten zu, der entsetzt, wie vor der Erscheinung einer anderen Welt, zurückwich und die Lehne eines Stuhls mit zitternder Hand erfassen mußte, um sich aufrecht zu erhalten.

Dann blieb die Jammergestalt, die sich nahte, auf ihrem Wege stehen und hob die Arme gen Himmel.

Jetzt sah man, daß beide Ärmel leer waren vom Ellbogengelenk – dem Mann fehlten die Arme und Hände.

»Eduard O'Sullivan,« tönte die Stimme des Nena – »armer unglücklicher Bruder! zeige uns den Mörder deiner Schwester!«

Und der Verstümmelte wankte weiter auf den Residenten zu, der zerrissene Schlund bewegte sich, als wolle er Worte von sich geben, aber nur der pfeifende Atem der Brust war zu hören – nur in den Augen flammte der Strahl dessen, was die Lippen nicht mehr zu stammeln vermochten.

So trat er dicht heran an den Mörder seines Lebens und legte die beide verstümmelten Arme auf dessen Brust.

Mit Gewalt hatte der Resident seinen Trotz und seine Fassung zurückgerufen. Er fühlte, daß er von Todfeinden umgeben und daß nur der Trotz der Frechheit sein Spiel retten und seine Gegner zu entwaffnen vermöge.

»Ich fordere Ihren Schutz, Exzellenz, gegen die Anklage der Bosheit. Der Maharadschah von Bithoor ist ein Verräter – ich klage ihn an des Einverständnisses mit den Feinden Englands! Jener Mensch dort, den er zu seinem Possenspiel gebraucht, ist ein Deserteur des 74. Regiments, ein Genosse der aufrührerischen Boers und Kaffern am Kap, Peter Prätorius, wie Kapitän Delafosse bezeugen wird. Und der Führer der Leibwache jener Fürstin, die noch soeben ihren Haß gegen England kundgegeben, ist ein verwegener Abenteurer und Rebell, auf dessen Kopf Lord Ward in Korfu einen hohen Preis gesetzt, – kein Sardinier, wie man seine Beschützer betrogen, sondern der Ionier Marcos Grimaldi. Mit diesen Rebellen stehen meine Ankläger im Bunde und der Zweck der Anklage ist, denk' ich, deutlich genug!«

Diese geschickte und dreiste Wendung war der Meisterstreich eines gewandten Fechters, und die Aufmerksamkeit und Teilnahme, bisher dem furchtbaren Geschick der unglücklichen Irländerin zugewandt und die allgemeine Stimmung gegen Rivers kehrend, änderte sich rasch zu dessen Gunsten.

Ein unerwarteter Zwischenfall kam der dreisten Leugnung des Bösewichts zu Hilfe.

Vom Eingang des Saales her forderte eine gebieterische Stimme laut den Durchgang: »Depeschen für Seine Exzellenz den Gouverneur! Geben Sie Raum, meine Herren!«

Durch die sich öffnenden Reihen der Militärs und Damen kam hastig ein fremder Offizier. Seine Kleidung und sein Gesicht waren mit Staub und Schmutzkrusten förmlich bedeckt, eine schwarze Wundbinde um die Stirn bewies, daß er vor kurzem noch einen Kampf bestanden.

»Wo ist Sir Henry Lawrence, der Gouverneur von Audh? Wichtige Depeschen von General Barnard!«

»Ich bin General Lawrence. Wo kommen Sie her?«

Der Offizier salutierte. Man sah ihm an, daß er so erschöpft war, daß er sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte.

»Von Delhi, Exzellenz. Diese Briefe besagen das Nähere und fordern schleunige Weiterbeförderung.«

Der General riß das Kuvert der Depesche ab und durchflog sie mit den Augen – man sah sein Gesicht immer ernster werden, die Falten seiner Stirn sich furchen und ein leises Beben der Hand.

»Die Sache steht schlimmer, als wir befürchtet haben,« sagte der General, dem Gouverneur von Cawnpur und dem Rat die Depeschen reichend. »Verheimlichung würde wenig nutzen – die Sepoyregimenter im Norden sind in vollem Aufstand, Mirut und Delhi sind von den Rebellen genommen, die schändlichsten Morde sind an unseren Landsleuten, an Männern, Frauen und Kindern, verübt und der abgesetzte Mogul ist zum Kaiser von Indien ausgerufen worden. General Barnard fordert aufs Schleunigste alle disponiblen Truppen zur Verstärkung!«

Diese schreckliche Nachricht erweckte allgemeine Aufregung. Man umringte den Offizier und bestürmte ihn mit Fragen und Aufforderungen nach weiteren Mitteilungen. Er schilderte mit fliegenden, lebendigen Worten die Greuel, deren Augenzeuge er zum Teil gewesen.

»Danken Sie Gott, Sir,« wandte sich Oberstleutnant Stuart zu dem Dechanten, »daß Lady Hunter sich glücklich in Ludhiana befindet.«

Der Dragoner-Offizier wandte den Kopf, »Lady Hunter, die Frau des Dechanten? – Ich weiß nichts von ihrem Schicksal, aber ich sah sie zwei Tage vorher, ehe das Unglück ausbrach, bei einem Besuch des Lazaretts.«

Der Geistliche sprang auf ihn zu. »Barmherziger Gott – täuschen Sie sich nicht, Sir? Lady Adelaide, meine Gattin in Delhi?«

Der Offizier sah ihn teilnehmend an. »Verzeihen Sie, hochwürdiger Herr, wenn ich absichtslos Ihnen eine traurige Nachricht gebracht. Leider ist es wahr, daß Lady Hunter sich in Delhi befand, sie traf in voriger Woche von einer Reise wieder dort ein. Aber noch ist nicht alle Hoffnung verloren – ich hörte nichts von ihrem Schicksal.«

Die Generale, der Rat und mehrere der älteren Offiziere hatten eine rasche Beratung gepflogen.

»Meine Herren und Damen,« erklärte General Wheeler mit erhobener Stimme, »die erhaltene Nachricht macht es uns zur Pflicht, aufs schnellste nach Cawnpur zu eilen. Nach den Ereignissen, die leider schon kurz vorher die Eintracht zwischen den beiden Nationen zu stören gedroht, kann unseres Bleibens hier überhaupt nicht länger sein. Erteilen Sie Ihrer Dienerschaft die nötigen Befehle zum Aufbruch.«

»Gerechtigkeit, Sahib General!« erklang über alles Geräusch der allgemeinen Bewegung die mahnende Stimme des Nena.

»Das ist keine Zeit, um Ihre Klagen anzuhören und zu entscheiden, Sir,« sagte der General mit Strenge, »selbst wenn Sie dieselben auf eine passendere Art angebracht hätten. Bezeigen Sie Ihre gute Gesinnung für die Regierung, indem Sie die Schwierigkeiten, die sich ihr entgegenstellen, nicht noch erhöhen. Später wird sich Gelegenheit finden, Ihre Anschuldigungen zu untersuchen, bis dahin aber warne ich Sie, nicht Rebellen oder verdächtigen Personen Schutz zu gewähren.«

Der Nena lachte höhnisch auf und sprang zurück.

»Ram! Ram! Mahadeo!«

Der wohlbekannte Schlachtruf der Hindus, den er ausstieß, fand sein Echo in dem donnernden Gegenruf der zahlreichen Sepoy-Offiziere auf allen Seiten des Saales:

»Jai – jai – kar!«

Zugleich entstand unter den letzteren eine allgemeine Bewegung, sie zogen ihre Säbel und stellten sich vor die Ausgangstüren des Saales.

»Was bedeutet das?« schrie der General. »Verrat – Empörung?«

»Ja, Empörung,« rief der Nena, »und dieser Schurke soll die erste Sühne des befreiten Hindostans sein!«

Und gleich dem Tiger, ohne seine Waffe zu ziehen, stürzte er sich auf den Residenten, erfaßte ihn am Kragen und versuchte ihn aus den Reihen der Engländer zu reißen.

»Zu den Waffen, Landsleute! Zeigt den Verrätern, daß britische Ofiziere sich vor meineidigen Rebellen nicht fürchten!« befahl General Wheeler.

»Männer, seid ihr wahnsinnig?« rief Sir Hugh Wheeler die Sepoy-Offiziere an. »Steckt die Waffen ein bis auf den Befehl eurer Oberen! Jeder Ungehorsam würde mit dem Tode bestraft werden!«

Nur das tumultuarische Geschrei und der Ruf: »Jai – jai – kar!« antwortete ihm. Die britischen Offiziere hatten ihre Säbel und Degen gezogen, die meisten aber waren gänzlich unbewaffnet, da sie jene zum Tanz, und um im Gedränge und in der Hitze unbelästigter zu sein, in den Vorzimmern abgelegt.

Lady Mallingham suchte ängstlich mit den Blicken Grimaldi, um sich nötigenfalls unter seinen Schutz zu stellen. Sie fand ihn nahe bei sich und dem Dechanten stehend, die Vorgänge aufmerksam und mit entschlossener Miene bewachend.

Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Vetter Maldigri,« flüsterte sie, »Sie bürgen für meine Sicherheit!«

Er winkte ihr ungeduldig, ohne sie anzusehen. Seine Blicke waren fest auf die Begum von Audh gerichtet, die gleichfalls mit der Rani, seiner Gebieterin, nach der rechten Seite getreten war, wahrend die Engländer auf der Linken sich zusammenscharten.

Wir haben den Residenten verlassen in dem ihn bedrohenden Augenblick, als die Hand des Nena ihn bereits erfaßt und mit unwiderstehlicher Kraft in die Mitte seiner Todfeinde zu reißen versucht hatte.

Zufällig stand Leutnant Sanders in seiner Nähe.

Mit einer raschen Bewegung war er an der Seite des Bedrohten und ein kunstgerechter Boxer-Faustschlag zwang den Hindu, sein Opfer loszulassen und machte ihn zurücktaumeln. Ehe er seinen Handjar ziehen, um sich auf seinen neuen Gegner zu stürzen, hatte der junge Offizier den Residenten in die Mitte der Engländer gezogen.

Das Antlitz des Nena hatte sich mit dunkler Glut bei dem Schlage gefärbt, seine Augen flammten jetzt wie die des Tigers, dem seine Beute entrissen wird. Er sprang zurück an den Aufgang der Bühne. »Faringi!« schrie er laut, daß seine Stimme allen Lärm übertönte, während seine Hand sich nach dem Sarge streckte, »stolzes Geschlecht feiger Tyrannen – eure Zeit ist gekommen, eure Herrschaft über das tausendjährige Geschlecht der Hindostani zu Ende! Bei jenem Leichnam, des Teuersten, was ich auf der Welt besaß, gelobe ich, kein Mann und kein Weib, die eine britische Mutter geboren, soll lebendig das Haus Srinath Bahadurs verlassen, wenn ihr nicht freiwillig den Verbrecher seinem Zorn überliefert!«

»Nimmermehr, frecher Heide!« zürnte General Lawrence, »wir sind britische Offiziere, nicht feile Söldner, die ihr eigenes Blut verleugnen. Lieber den Tod, als ehrlosen Schimpf! Nehmen Sie die Frauen in Ihre Mitte, Gentlemen, und lassen Sie uns den Ausgang erzwingen!«

Der Nena schwang mit gellendem Hohnlachen seinen Turban.

Ein Kommandowort erscholl.

Da flogen die schweren Teppiche, die als Portieren dienten, zur Seite, und hundert Gewehrläufe und glänzende Bajonette starrten ihnen entgegen, – dahinter die bronzedunklen wilden Gesichter, die weißen, Rache und Tod drohenden Augen der aufrührerischen Sepoys.

Ein Schrei des Entsetzens erscholl – selbst den Tapfersten erbebte das Herz.

Der Nena lachte höhnisch auf. »Erniedrigen will ich die stolze Fahne Englands zum tiefsten Staube! Sterbt denn in eurem Trotz, ihr Verfluchten!«

Er wandte sich nach dem Hintergrund, um den blutigen Befehl zu geben, aber plötzlich änderte sich die Szene aufs neue.

Mit dem Sprunge eines Löwen war der tapfere Führer der Leibwachen der Rani von Jhansi nach der Stelle gestürzt, wo diese und die Königin von Audh standen. Er hatte die letztere umfaßt und mit Blitzesschnelle mitten in den Saal und vor die bestürzten Engländer getragen, indem er sie hier den drohenden Gewehren der Sepoys entgegenhielt.

»Wer es wagt, auf jene Frauen und Schuldlosen zu schießen,« donnerte seine mächtige Stimme, »der wird das Herz seiner Königin durchbohren. Kämpft mit den Faringis, Hindostani-Kameraden, aber mordet nicht die Wehrlosen!«

Zugleich mit der raschen und entschlossenen Bewegung Grimaldis hatte sich ein anderer Mann in orientalischer Kleidung vor die Bedrohten geworfen, Walding, der deutsche Arzt, der bisher unter der Menge verborgen, sich schützend vor Editha Highson stellte. Neben ihm erschien, wie sein Schatten, Kassim der Thug, sein Mayadar.

»Bei dem Andenken an die Geschiedene, Fürst, vergieße nicht das Blut der Unschuldigen!«

Die Person der entthronten Königin galt den Sepoys für heilig und unverletzlich. Sie erhofften in ihr die Wiederherstellung des alten und glänzenden Reichs und begriffen, daß bei einem allgemeinen Feuer auf die dichtgedrängte Gruppe der Faringi das tödliche Blei unzweifelhaft auch sie durchbohren muhte.

Viele der Gewehre senkten sich – die wilden Krieger wußten nicht, was sie tun sollten und harrten eines neuen Befehls des Nena.

»Schont das Pulver! stoßt sie mit dem Bajonett nieder und hütet die Königin,« befahl er.

Plötzlich fesselte ein lautes »Zurück!« die andringende Menge.

Zwischen den beiden Parteien richtete sich die Gestalt des jungen Khans der Sikh auf und streckte beide mit Pistolen bewaffnete Hände den Sepoys entgegen.

»Zurück!« wiederholte er – »daß keiner wage, diesen Männern und Frauen ein Leid zu tun, bis sie Cawnpur erreicht. Sie stehen unter dem Schutz Fattih-Murad-Khans!«

»Elender Sikh – wagst du es, mir in meinem eigenen Hause zu trotzen?«

»Ich trotze dir, Srinath Bahadur, der du das von Jahrtausenden geheiligte Recht des Gastes deiner blinden Leidenschaft opfern und deine eigenen Götter beschimpfen willst.«

Der Khan hob die eine Pistole zur Decke des Saales und feuerte in die Luft. Im nächsten Augenblick klirrten die Scheiben der Türfenster und eine Anzahl von Kriegern sprang in den Saal und sammelte sich mit Blitzesschnelle um den jungen Häuptling.

Sie trugen die Uniformen der leichten britischen Kavallerie, doch statt der Kaskets oder Helme grünumwundene Turbans, und in ihren energischen dunklen Gesichtern leuchtete entschlossener Mut.

Wie als Antwort auf die Hilfe, welche den Verteidigern der Faringi geworden, hörte man von dem Platz vor dem Palast das tausendstimmige Gebrüll: ›Ram! Ram! Mahadeo!‹ den Schlachtruf der Hindu-Sepoys, die ihre Kaserne verlassen und in gedrängten Massen den Palast umgaben. Dazwischen tönte der Ruf: »Tod den Sikhs!«

»Du siehst, Knabe,« hohnlachte der Maharadschah, »daß du trotz jener Verräter in meiner Gewalt bist. Fluch über dich, der mich zwingen will, das Blut unserer Brüder zu vergießen«

Der Khan schleuderte ihm aus seinen dunklen Augen einen Blick des Hasses und der Verachtung zu.

Als Major Grimaldi erkannte, daß es kein bloßes Morden, sondern ein Kampf werden sollte, widerstrebte es seinem Ehrgefühl, eine Frau zum Schild gegen die Mörderrotte zu brauchen; er gab die Begum frei und ließ sie zu ihren Freunden eilen.

Ein Jubelruf der Hindus begrüßte sie – nur eine Stimme schwieg, die Stimme der kühnen und hochherzigen Rani von Jhansi.

Sie blickte mit Bewunderung auf den Franken, den Führer ihrer Krieger, denn sie begriff sein tapferes und männliches Benehmen.

In den Jubelruf der Sepoys, der die Königin begrüßte, erklang wie zum Hohn das Kommando ihrer Offiziere in englischer Sprache:

»Gewehr auf! – Fertig zum Feuern!«

Die Gewehre klirrten empor – bei dem Nationalhaß der Hindus gegen ihre Brüder jenseits des Sedletsch zögerte kein einziger.

»Schlagt an!«

Da zitterte ein Laut durch den Saal – ein Ruf leise und doch jedem Ohr hörbar in der furchtbaren Spannung.

Ein wilder entsetzlicher Schrei, halb Jubel, halb Schrecken, antwortete ihm. Im nächsten Moment sah man den Nena vor dem Sarge knien und seine Arme wie wahnsinnig emporbreiten.

In dem Sarg aufgerichtet saß die weiße Gestalt der Leiche, ihre hageren Hände bittend über der Brust gefaltet, die blassen Lippen leise Worte murmelnd, wahrend aus den großen blauen, jetzt nicht mehr vom Fieber des Irrsinns unnatürlich glühenden Augen sich große Tränen lösten und über die weißen eingefallenen Wangen rollten.

Zugleich aber hörte man aus der Ferne ein donnerndes Geräusch eilig näher und näher kommen, wie den Galopp einer großen Reiterschar.

»Margarete! Geliebte meines Herzens! Hat dich Lakschmi aus den Hallen des Edens zurückgeführt zu uns Sterblichen, oder bist du die Peri, die kommt, ihren Diener zu rufen zu den göttlichen Wanderungen?«

Ihre zarten Finger legten sich auf sein Haupt und kühlten seine glühende Stirn.

Alles um ihn her, jeder andere Gedanken schien verschwunden für ihn.

»Nena – teurer Freund – wo bin ich? – Die Angst zersprengt mir das Herz! Habe ich geträumt oder alles das Entsetzliche wirklich gehört? Blut um meinetwillen?«

Er hielt sie bereits in seinem Arm. »Geliebte, du lebst – die Götter haben dich erweckt aus deinem Todesschlaf und mir zurückgegeben! Du wirst die Meine sein und niemals mehr mich verlassen!«

Draußen auf dem Platz vor dem Palast schmetterten britische Reiter-Signale, die Erde schien zu beben vor dem rasenden Ansprengen einer Kavallerie-Masse.

Das Kommandowort: ›Halt‹ fesselte die Reihen, noch waren die britischen Offiziere nicht sicher, was sie zu hoffen hatten, aber dennoch löste jener Kommandoruf es wie eine Felsenlast von ihrer Brust.

Es waren die tapferen Sikhreiter, die da unten hielten, das Regiment, das die Botschaft des Khan von Cawnpur herbeigerufen!

Jetzt standen sie dort unten, den Reihen ihrer gehaßten Rivalen, der Sepoys, gegenüber, beide bereit, im Augenblick aufeinander zu stürzen, des Signals zum Kampfe harrend.

 

Doktor Walding, der Arzt, stand bereits an dem Sarg der so wunderbar zum Leben Erwachten, um den sich die Freunde des Nena drängten.

Eine Frau war ihm gefolgt – die einzige, die hier ein erhabenes Vergessen der Gefahr, eine himmlische Aufopferung übte, Editha Highson. Sie unterstützte die Kranke, deren leichte Schattengestalt der Nena mit kräftigem Arm aus dem Sarge gehoben und auf den Stufen der kleinen Bühne niedergelassen hatte, mit der liebenden Sorgfalt einer Schwester, obschon sie dieselbe zum ersten Mal in ihrem Leben sah.

Walding hielt mit leichtem Finger ihren Puls – sein Auge blickte besorgt auf die Erstandene, mit schmerzlicher Teilnahme auf den Nena.

»Die gnädigen Götter haben sie mir wiedergegeben,« jubelte der Maharadschah. »Freund – Bruder! – erhalte sie mir, und alles, was ich besitze, soll das deine sein!«

»Ich hörte deine zürnende Stimme, ich hörte einen Ton, wie die Posaunen des Weltgerichts,« flüsterte die Erwachte, ihre Hand in der des Gatten, »und ich sah dich in einem Meer von Blut. Auf mir lag es wie ein schweres drückendes Band, das meine Augen und meinen Atem schloß – nur mein Ohr war geöffnet und ich vernahm das Entsetzliche! O mein Geliebter, was willst du tun? Was kümmern uns jene Männer und Frauen? – was ist geschehen – wo ist Eduard, mein Bruder – wo sind unsere Freunde?«

Der Nena schluchzte laut, über ihre Hand gebeugt – vergeblich winkte ihm der deutsche Arzt, sich zu fassen. – –

Der Khan war zu den Generalen getreten, die bei dem unerwarteten Ereignis einen Augenblick unentschlossen waren, was zu tun sei.

»Sahib General,« sagte er mit Achtung zu Sir Thomas Lawrence, »die Krieger des Pendschab sind bereit, dich und die Deinen zu schützen – aber wenn ich dir raten darf, brich auf so rasch als möglich, ehe der Tiger auf's neue seine Krallen nach dir streckt.«

Der General reichte ihm die Hand. »Ich danke dir, junger Mann, und England wird niemals vergessen, was du heute getan, du sollst unser Führer sein. Voran, meine Herren, nehmen Sie die Frauen in Ihre Mitte!«

Der Khan trat zurück, als bemerkte er die dargebotene Hand nicht. Dann die gespannte Pistole in der Faust, schritt er auf den Ausgang zu.

« Hell and damnation!« prahlte der Resident. »Sind wir Männer und Engländer? Sollen wir wirklich von hier weichen, jetzt, wo wir die Macht in Händen haben, ohne jenen Verräter unschädlich zu machen? Im Namen der Regierung fordere ich Sie auf, den Verräter und seine Genossen mir verhaften zu helfen!«

Er schritt kühn auf den Nena zu, der seiner nicht achtete, als das Auge seines unglücklichen Opfers ihn traf und zurückbeben machte.

Die Hand Margaretens O'Sullivan fuhr nach ihrem Herzen, ein krampfhaftes Beben erschütterte ihre ganze Gestalt. »Heiliger Gott – schütze mich vor dem Entsetzlichen! Nena, mein Gatte,« jammerte sie in herzzerreißendem Ton, »habe Erbarmen mit mir – meine Seele ist schuldlos und Gott wird meinem Jammer gnädig – – gnädig –« ihre Lippen öffneten und schlossen sich krampfhaft, ihre Brust keuchte.

»Bhawani – Dunkeläugige – übe Barmherzigkeit! sie stirbt! sie stirbt! Zu Hilfe! rettet!« heulte der Maharadschah wie wahnsinnig, indem er sich auf den Körper der Geliebten warf.

General Lawrence hatte heftig den Arm des Residenten gefaßt und ihn zurückgerissen. »Danken Sie Gott, Sir, daß Ihnen die Stunde des Gerichts noch nicht geschlagen und Zeit zur Buße gegeben wird für die Schuld, die Sie auf sich geladen. Vorwärts, Gentlemen – das ist kein Ort ehrlichen Kampfes für einen Briten!«

Unbehindert eilten die Briten, Männer und Frauen, durch ihre geöffneten Reihen und die glänzenden Räume des Palastes, der Haupttreppe zu, welche die Sikhs von ihren Feinden geräumt und besetzt hatten.

Walding berührte leise die Schulter der jungen Miß, die den Kopf der Leidenden hielt, worauf er sie emporhob und fortführte. »Schließen Sie sich Ihren Freunden an, Miß, so lange es noch Zeit ist,« bat er. »Hier können Sie nicht helfen – der erste Blick zeigte mir, daß es nur ein letztes kurzes Aufflammen der bereits erstarrt geglaubten Lebensgeister der Unglücklichen ist.«

»Dann ist meine Stelle dort,« sagte eine ernste Stimme neben ihnen, und alsbald sah man die Gestalt des Geistlichen neben dem Nena und seiner Gattin knien und die Sterbegebete der englischen Kirche mit feierlichem Tone beginnen.

»Wo ist der Arzt? wo ist der Arzt?« rief der Nena – »um des Himmels willen, helft!«

Aber menschliche Hilfe war vergebens. Eine jener eigentümlichen Erscheinungen von Scheintod hatte nach der langen Nacht des Wahnsinns die erschöpfte Nerventätigkeit der unglücklichen Irländerin in eine lethargische Ohnmacht versenkt, deren Äußeres selbst die Kunst des Arztes getäuscht und ihn zu dem Glauben an den eingetretenen, längst erwarteten Tod verführt hatte.

Ihr Scheiden von der Welt war jedoch sanft und schmerzlos, ohne daß ihr Auge sich wieder öffnete. Leiser und leiser wurde der Atem, während ihr Gatte sie in den Armen hielt und der Arzt die letzten Symptome beobachtete. Um sie her knieten der Dechant, ihr Bruder und Narika, das Mädchen von Kaschmir, ihre einzige Freundin im Kerker der Wollust und Entehrung, während die beiden indischen Fürstinnen, die Babus und vornehmen Hindus stumm und ernst daneben standen.

Walding legte sanft die Hand der Irländerin nieder, die er in der seinen gehalten.

»Gott – Brahma – oder Allah – der allmächtige Lenker dort oben, der uns das Leben gegeben, nimmt es wieder auf in seine Hände, wenn es Zeit ist. Beugen Sie sich seinem Willen, Hoheit – Ihre Gattin ist bereits ein Engel im Himmelreich!«

Ein heiseres dumpfes Schluchzen aus der Brust des Hindufürsten antwortete dieser Ankündigung.

Der Dechant machte das Zeichen des Kreuzes über der Leiche.

»Das aufrichtige Gebet des Dieners auch einer anderen Kirche, als die deine war, arme Dulderin,« sprach er fromm, »möge deine Sterbestunde nicht schwerer gemacht haben. Gehe ein zu seiner Herrlichkeit, wo der ewige Lohn ist für alle Leiden dieser Erde!« – Er trat einen Schritt zurück von der Leiche und sah sich im Kreise um – der einzige Engländer, der noch hier verweilte.

»Ich bin in Ihren Händen,« sagte er ergeben, »tun Sie mit mir, was Sie wollen!«

Die Hand Grimaldis faßte seinen Arm und führte ihn ohne ein Wort zu sagen aus dem Saal und zur Treppe des Palastes.

Das Geräusch des Zuges der Faringi verlor sich bereits in der Ferne.

»Folgen Sie Ihren Landsleuten, ich werde für Ihre sichere Begleitung sorgen. Leben Sie wohl, Freund, und denken Sie freundlich meiner in dem großen Kampfe, der sich zwischen den Völkern bereitet!«

Der Dechant lag an seiner Brust. »Gott schütze Sie, Marcos, und helfe mir das Unglück ertragen, das mich selbst zu Boden schmetterte. Adelaide – mein Weib – –«

»Wenn sie noch unter den Lebendigen ist, soll sie gefunden werden. Leben Sie wohl – in einer Stunde bin ich auf dem Wege nach Delhi!«


 << zurück weiter >>