Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Wer der Mörder?

Es war gegen Mitternacht, als am Buckingham-Square Kapitän Ochterlony von dem deutschen Arzt sich trennte, indem er ihn bat, im Hause des Todes seiner nicht etwa noch zu warten, da er erst gegen Morgen zurückkehren werde.

Während er nach einem auf dem Platz haltenden Nachtfiaker ging und dem Kutscher nach dem Hyde-Park zu fahren befahl, näherte sich der Doktor Walding der Wohnung des verstorbenen Freundes. Bei dem gewöhnlichen nächtlichen Treiben in den Straßen Londons fiel es ihm nicht auf, daß er zwei Männer an dem äußeren Gitter lehnend fand; ohne sie zu beachten, ließ er den Klopfer an der Haustür ertönen, und als ihm von einem schläfrigen Diener geöffnet und auf seine Frage mitgeteilt worden, daß Tukallah, der Indier, bereits seit einer Stunde sich in seinem Zimmer eingeschlossen, suchte er das seine auf und warf sich, ermüdet und angegriffen von den Anstrengungen des Tages, auf sein Lager.

Eine halbe Stunde später war jedes Licht in dem Hause erloschen.


Die beiden Männer am Vorgitter des Hauses verließen jetzt ihre Stellung. Nachdem sie sorgfältig nochmals jedes Fenster geprüft und sich umgesehen, ob sie nicht etwa von einem Watchman beobachtet würden, gingen sie nach dem Square, an den das Haus mit seinem kleinen Garten stieß.

An einer Mauer, welche den Garten des verstorbenen Radschah von einer Seitengasse des Square trennte, blieben die Männer stehen. Der Garten hatte hier ein Seitenpförtchen, das wohl verschlossen war.

»Der Bursche, der vorhin ins Haus ging,« meinte der Jüngere, »würde uns nicht viel zu schaffen machen, wenn es schlimm ginge. Anders wäre es mit dem alten ausländischen Kerl gewesen, der vorher aus dieser Tür kam und vor dem uns der Matrose warnte. Wir müssen auf unserer Hut sein, damit er uns nicht überrascht, und deshalb wird's am besten sein, Hampton, wenn Ihr hier bleibt. Der Mensch hat Augen wie Feuer, gerade wie brennende Kohlen.«

Der Leichendieb stellte sich mit dem Kopf an die Mauer, seinen Rücken beugend, und Jack schwang sich mit einem Sprung hinauf und mit einem zweiten auf die Mauer. Dann ließ er sich ebenso auf der inneren Seite hinab. Einige Minuten darauf wurde die Tür von innen geöffnet, und der Leichendieb verschwand.

Die Tür wurde sorgfältig wieder verschlossen.


Der Kapitän war am Eingang von Park-Lane ausgestiegen, und indem er sich in den leichten Regenmantel, den er trug, hüllte, schritt er in tiefem Sinnen die schöne Straße entlang, die den Hyde-Park auf dieser Seite begrenzt. Indem er an der Mount-Street vorbeiging, bog er in eine der parallellaufenden Querstraßen und blieb an einem eleganten Hause stehen.

Eine von Mauerwerk getragene Veranda nahm die eine Seite des ersten Stockwerks ein und war von Laubgewächsen dicht begrünt. Ein matter Lichtschein fiel aus der hohen Glastür in das dunkle Laubgewölbe, zu dem von unten her eine in dem Mauerwerk hinauslaufende und durch eine Gitterpforte geschlossene Treppe führte.

»Sie erwartet mich,« sagte der Kapitän, »es muß geschehen, ich kann nicht zurück. Und dennoch – wohin soll diese Unterredung, dieses Wiedersehen führen? Es soll und muß das letzte sein!«

Er schritt vorwärts bis zu einer Seitenpforte in dem Straßengitter, und indem er sie mit einem Schlüssel öffnete, betrat er den Garten. Durch diesen hinschreitend meinte er ein Geräusch in ihrer Nähe zu hören und einen Schatten im Dunkel dahingleiten zu sehen. Er blieb stehen und schaute sich um, da er aber nichts Verdächtiges weiter bemerkte, glaubte er sich getäuscht zu haben und öffnete mit einem zweiten Schlüssel das Gitter in der Mauer, hinter welchem die Stufen hinauf zum Plateau der Veranda führten.

Er hatte die Tür unverschlossen gelassen und war kaum in dem Dunkel des Treppenganges verschwunden, als aus dem Schatten des Gebüsches ein schwarzer Körper sich erhob.

»Heilige KaliBei den Indiern die Göttin des Todes, die Gottheit des furchtbaren Bundes der Würger., du Allesverschlingende,« murmelte er, »der Bann, der die Hand deines Jüngers gefesselt hielt, ist gelöst mit dem Tode dessen, der dieselbe Milch von mir getrunken. Lange war die Schlinge des Phansigars von BundelkundDie Sekte dieser Würger, Phansigars oder Thugs genannt, hatte ihren Hauptsitz in dem Königreich Aude und dem Flußgebiet der Nerbudda. begraben in der Erde des Friedens, ehe die Hand Tukallahs sie wieder schwingen durfte. Sein Geist ist frei geworden von allen Schatten, und seine Hand kann töten – töten – töten!«

Er blieb wie von einem Gedanken erfaßt stehen und lauschte dem leichten Geräusch, mit dem auf dem Balkon die Glastür geöffnet wurde.

»Was tut er bei ihr, die die Feindin meines Herrn war von Jugend auf, obgleich sein Blut in ihren Adern fließt? Ist das Geschlecht der weißen Männer denn immer falsch und treulos? Soll die Schlinge des Thugs ihn zuerst treffen? – Doch nein! auf seiner Stirn lese ich das Zeichen des finsteren Kali, wie auf der des Knaben Srinath es steht: den Tod von Tausenden! Er ist bestimmt, ein Würger zu sein wie ich. Aber wissen muß ich, was er bei der Schlange tut, die sich eingenistet in das Geschlecht der Somroo!«

Mit einer Bewegung, so leicht und leise wie die der Eidechse, glitt der Finstere durch das angelehnte Gitter und schlich die Stufen hinauf. – – –

Zu derselben Zeit, als Kapitän Ochterlony am Buckingham-Square den Fiaker bestieg, war bereits die Gartenpforte in der Mount-Street in gleicher Weise, wie nachher von ihm, geöffnet worden und ein Mann in Matrosenkleidung eingetreten. Der Fremde schritt rasch und sicher, mit der Örtlichkeit vertraut, nach der Veranda, erstieg sie nach Öffnung des Gitters und verschwand in der großen Glastür des Salons.

Der junge Matrose warf sich erschöpft und aufgeregt auf den Diwan, und indem er eine silberne Klingel ertönen ließ, schleuderte seine andere Hand den beschattenden Hut von sich und enthüllte die schönen Züge der Lady Georga Savelli.

Der Ton der Glocke war noch nicht verklungen, als die Portiere der linken Seitentür aufgeschlagen wurde und eine französische Kammerzofe hereinhüpfte.

»Enfin, Mylady,« sagte sie anscheinend ohne Verwunderung über die Verkleidung ihrer Herrin – »ich wäre beinahe bange geworden über Ihr Ausbleiben. Befehlen Mylady, daß ich Sie entkleide?«

Die Baronesse nickte und ließ sich von der Zofe entkleiden.

»War jemand hier während meiner Abwesenheit?« fragte die Indierin.

»Mylord, der Herzog von Devontport ist vorgefahren. Seine Herrlichkeit schienen sehr ärgerlich, daß sie Mylady nicht angetroffen.«

»Bah – glaubt der alte Geck, ich müsse auf seinen Besuch warten! Ist das alles?«

»Dieser Brief, Mylady, ist von einem Diener gebracht worden. Man sagte, er habe Eile.«

Die Baronin nahm hastig das Billett und erbrach das Siegel. Es war von dem alten Marquis, der ihr mitteilte, daß er den Schreiber des Advokaten noch nicht habe auftreiben können, daß aber alles Nötige geschehen sei, um das Erscheinen des Kanzleigerichts im Sterbehause bis zum nächsten Mittag zu verzögern.

Ein Lächeln finsteren Spottes entstellte den schönen Mund der Dame. »Diese jämmerlichen Männer glauben alles getan zu haben mit der Käuflichkeit ihrer Gesetze. Zum Selbsthandeln fehlt ihnen Mut und Tätigkeit. Brauchte ich den alten Heuchler und seine bleichgesichtige Tochter nicht als Schild meiner eigenen Interessen, nimmer sollten sie eine Rupie mehr von dem Gelde der Sombres haben. Bring mir die Hukah, Fanchette!«

»Befehlen Sie Tee?«

»Nein! – Stelle einen Teller mit Konfekt und spanischem Wein dort auf den Tisch und bringe das Schlafgemach in Ordnung. Ich werde mich später allein entkleiden und die Jalousie schließen. Du mußt mir noch einen Dienst erweisen, Fanchette. Schicke die Leute zu Bett und bleibe wach in der Küche. In zwei Stunden etwa wird ein Mann an der Einfahrt schellen. Du öffnest ihm und führst ihn ins Haus, dort, in die Garderobe« – sie wies nach der rechten Seitentür. – »Wenn er da ist, benachrichtigst du mich davon durch ein Zeichen. Gib genau acht, daß niemand als du den Menschen zu Gesicht bekommt!«

Die Pariserin nickte verschmitzt und mit jener dreisten Vertraulichkeit, die dienstbare Personen so leicht annehmen, wenn sie die Geheimnisse ihrer Herrschaften unterstützen müssen, und öffnete dann die Portiere des anstoßenden Schlafgemachs.

Die Indierin war in tiefe Gedanken versunken.

Das sonnige Land ihrer Heimat trat vor ihre Seele, gleich den bunten Gestalten eines Traumes, so glühend und farbenreich gegenüber dem kalten, grauen Nebelland, wohin eigene Schuld und Verführung sie getrieben. Sie fühlte, wie sie schuldvoll und schuldvoller geworden, wie das glühend heiße Gefühl ihres Busens erstarrt sei an den Formen und Torheiten, die jedes hochherzige, edle Empfinden in ihr ermattet in dem raffinierten Leichtsinn der Welt, der von Genuß zu Genuß drängt; wie sie untergegangen und sich selbst verloren in all dem Glanz und Luxus, der sie umgab.

Sie preßte die kleine Hand auf das stürmisch wogende Herz. »Ihn – ja, ihn habe ich geliebt,« flüsterte sie – »er hätte mich retten können – er allein und jetzt ... warum verließ er mich auch und bedachte nicht, daß das Feuer einer glühendern Sonne, als die seine, in diesen Adern brennt! – Ob er kommen wird – ob er es wagen wird, mir feindlich gegenüberzustehen – er – der an meiner Brust geruht – den meine glühende Liebe in seligen Stunden dem kalten Leben entführt ...«

Sie drückte heftig die Hände an die Schläfe, – dann schrak sie zusammen, sie glaubte ein Geräusch auf der Terrasse vernommen zu haben und warf sich zurück in die Kissen der Ottomane, die glühenden Augen fest auf die Tür geheftet.

Ihr feines Ohr hatte sie nicht getäuscht, die Glastür des Balkons öffnete sich, und die hohe Gestalt des Kapitäns Ochterlony erschien in ihrem Rahmen.

Ihre Augen begegneten sich. –

Er setzte sich an ihre Seite, betrachtete sie einige Augenblicke ernst, aber nicht unfreundlich, und nahm dann ihre Hand, die er leise drückte.

»Sie wollten mich sprechen, Georga,« sagte er dann, – »hier bin ich. Reden Sie, denn es muß das letzte Mal sein, daß ich Ihrem Rufe folge; unsere Wege sind längst auseinandergegangen!«

Ihre Hand zitterte in der seinen, während sie die langen dunklen Wimpern zu ihm aufschlug und ihn mit einem traurigen und dennoch glühenden Blick ansah.

»Einst war es nicht so, Ralph – ich weiß eine Zeit, wo Sie nicht so hart zu mir sprachen!«

Eine dunkle Wolke zog über seine breite freie Stirn. »Jene Zeit, Lady Savelli,« sagte er finster, »liegt hinter uns. Zwölf Jahre, Jahre ernsten Lebens und Leidens, decken sie mit ihrem Schatten. Ich habe abgeschlossen mit jener Zeit.«

Ihre Hände faßten krampfhaft seinen Arm. »Und glauben Sie, daß ich nicht gelitten, daß ich nicht empfunden?«

»Beschwören Sie die Schatten nicht selbst herauf, Mylady,« entgegnete der Kapitän fest – »jene Schatten, die Sie selbst veranlaßt. Das Böse gebärt Böses – ich selbst klage mich an – der erste Schritt vom rechten Pfad kettet Schuld an Schuld!«

»Grausamer, kaltherziger Mann!« rief die Dame, sich in die Kissen zurückwerfend – »Sohn eines eisigen Landes, das mit Gefühlen prahlt und mit Tugend Wucher treibt. O Ralph, wie ich Sie liebte – ist sie denn so ganz, so für immer aus Ihrer Seele geschwunden, daß Sie nicht mehr sich erinnern, wie das junge Weib nur in Ihnen, nur in Ihrem Auge sein Leben fand?«

Der Kapitän preßte krampfhaft die Lippen zusammen. Ein Zug tiefer Bitterkeit legte sich um seinen Mund. »Ich war ein törichter junger Bursche, Mylady, der sich einbildete, ein armer Leutnant könne mit Grafen und Herzögen in der Liebe eines Weibes sich messen und der Liebesschwur einer – einer Frau sei ein Gelöbnis für die Ewigkeit!«

»Pfui, Ralph – Sie selbst belügen sich und mich, Sie wissen und fühlen, daß unsere Liebe damals wahr und echt war. Sie selbst waren es, der sie trennte. Ihr Regiment bekam Befehl nach Malta, Sie wissen, daß ich alles verlassen, daß ich Ihnen folgen wollte über Meer und Raum, in Not und Gefahr – Sie, Sie waren es, der meine Liebe zurückstieß, der es mir hartherzig verweigerte, mit Ihnen zu gehen.«

»Der Soldat hatte Pflichten, Mylady,« sagte der Kapitän, von ihrer Schilderung hingerissen, »der Mann gleichfalls. Sie wissen so gut wie ich, daß ich unrecht an Ihnen und mir gehandelt hätte, die Frau, die wenn auch nur dem Namen nach die Gattin eines anderen war, als – meine Geliebte in fremden Ländern umherzuschleppen und eine kümmerliche untergeordnete Existenz mit mit teilen zu lassen!«

Die dunklen Augen der schönen Indierin flammten. »Und dennoch wagen Sie es, mit der Last Ihrer Verachtung, Ihres Hasses diese Frau zu beladen, die verlassen von dem Mann, den sie liebte, in den wilden Strudel des Lebens gestürzt, nicht heuchlerische kaltherzige Tugend zu bewahren verstand, sondern das Leben genoß und genießt, so lange ihr Blut noch warm und des Lebens Freuden ihr Bedürfnis sind!«

Der Kapitän stand auf, sein Auge ruhte einen Augenblick halb mitleidig, halb verächtlich auf der schönen Sünderin. »Ich glaube, Mylady, Sie werden mich nicht hierher beschieden haben, um diese Bekenntnisse und Entschuldigungen nochmals zu hören. Darf ich Sie bitten, mich wissen zu lassen, womit ich Ihnen dienen kann?«

Ein Blitz von Drohung und Zorn schoß aus den Augen der Lady, doch mit einer gewaltsamen Anstrengung bezähmte sie jeden Ausdruck der Erbitterung.

»Sie sind von meinem Bruder zu seinem Testamentsvollstrecker ernannt worden?«

»Sir David Dyce Sombre hat mir dies Vertrauen gezeigt!«

»Mein Bruder, mein Herr! verstehen Sie mich wohl. Ein solches Testament ist bereits im Jahre 1849 gemacht, und ich bin darin, wie mir bekannt geworden, auf das schändlichste übergangen. Sie werden das nicht leugnen, Sir?«

Der Kapitän verbeugte sich schweigend.

»Der schwache mißleitete und gegen seine natürlichen Erben eingenommene Mann,« fuhr die Dame heftig fort, »hat dieses Testament heute morgen wiederholt. Noch mehr! – ich weiß, daß er eine zweite Verfügung über sein Vermögen in Indien getroffen und diese mit allen Schikanen des Gesetzes legalisiert hat. Ein drittes Dokument ermächtigt den Inhaber, von dem Maharadschah Nena Sahib in Bithoor gewisse Kostbarkeiten und Papiere in Empfang zu nehmen. Ist dem so?«

Der Kapitän sah sie erstaunt an. »Ich begreife nicht, Mylady, woher Sie wissen – Doktor Duncombe ist ein Mann von ehrenhaftem Ruf – –«

»Bemühen Sie sich nicht mit Vermutungen,« sagte die Lady verächtlich – »ich weiß noch weit mehr, zum Beispiel: daß Kapitän Ochterlony, das Parlamentsmitglied, ein eifriger Anhänger der geheimen Verbindungen in Irland ist, daß er mit den Flüchtlingen vom Kontinent in der vertrautesten Verbindung steht, ihre Pläne unterstützt und noch vor wenig Stunden in der Gesellschaft der Herren Mazzini, Ledru-Rollin und einer gewissen überspannten jungen Dame sich befand, bei deren bloßem Namen schon seine Stimme zu beben pflegt!«

»Madame! – Mylady!« Das stolze Gesicht des Kapitäns war blaß vor innerer Aufregung, doch faßte er sich mit Gewalt. »Das Gold des Herzogs von Devontport und seiner glücklichen Genossen,« sagte er endlich mit Hohn, »scheint auf die Besoldung trefflicher Spione verwandt zu werden. Nur muß ich Ihnen bemerken, Mylady, daß die Kosten, was meine Person anbetrifft, verschwendet sind. Miß White ist meine vollste Hochachtung gewidmet, – ich würde keinen Augenblick anstehen, zu sagen: meine Liebe, – wenn dieses Wort in meinen jüngeren Jahren von mir nicht herabgewürdigt und entweiht worden wäre!«

»Abscheulicher!«

Der Kapitän ging festen Schrittes nach dem Balkoneingang und hob seinen Mantel auf.

In diesem Augenblick klopfte es dreimal an der rechten Nebentür.

»Ich will nicht länger stören, Mylady,« sagte er mit leichtem Spott, »und Sie einer angenehmeren und – vorteilhafteren Gesellschaft entziehen. Die Schlüssel werde ich Ihnen morgen wieder zustellen.«

Er verbeugte sich zum Abschied, aber die Baronin stürzte mit einem Sprung auf ihn zu. Ihre Stimme drückte Angst und die höchste Aufregung aus. »Um Himmelswillen, Ralph – verlassen Sie mich nicht so! – Einen Augenblick noch, ich beschwöre Sie! – Der Verdacht, den Sie soeben ausgesprochen, ist Ihrer und meiner unwürdig, Sie sollen sich überzeugen!« Sie schleppte ihn halb mit Gewalt zurück und drängte ihn in das Schlafgemach, dessen Portiere sie hinter ihm fallen ließ. »Verhalten Sie sich still, einen Augenblick – ich bitte, ich beschwöre Sie!«

Als sie sich allein und an den schweren ruhigen Falten des Vorhanges sah, daß der Kapitän als Gentleman zurückgetreten war und wenn auch hören, doch nicht sehen konnte, bewegte sie die Klingel, worauf sogleich Fanchette, die Kammerzofe, eintrat.

»Ist der Mann da?«

»Ja, Mylady, er harrt, wie Sie befohlen, in Ihrem Ankleidezimmer.«

»So laß ihn eintreten!«

Die Worte begleitete eine ausdrucksvolle Gebärde, die nach dem geschlossenen Vorhang und dem Mantel wies, der auf einem Sessel liegen geblieben, und dann für den Einzuführenden Schweigen und Vorsicht gebot.

Die vertraute Zofe nickte zum Zeichen, daß sie den Befehl wohl verstanden und führte gleich darauf den schönen Jack herein.

»Mylady,« sagte der Dandy-Spitzbube, »Ihr Befehl ist erfüllt – hier ist, was Sie verlangt.«

Er legte ein Portefeuille auf den Tisch, die Baronin warf hastig ein Tuch darüber.

»Ist dies alles?«

»Alles, Mylady, was vorhanden war – auf Gentleman-Ehre!«

»Und wie?« – ihr Ton war so leise, daß selbst ein Lauscher unmöglich hätte die Frage verstehen können – »ohne Hindernis? Es ist keine Spur zurückgeblieben?«

»Mylady, man wird morgen in London sagen, daß es noch Hexenmeister gibt.«

»Nehmen Sie, Herr,« sagte die Dame laut, indem sie ihm eine Börse zuwarf, »ich bezahle Ihnen hiermit meine Schuld!«

Der Dieb warf einen neugierigen, lüsternen Blick umher. »Auf Ehre, Mylady, Sie sind reizend hier eingerichtet!«

»Gehen Sie jetzt – unser Geschäft ist abgetan!«

Sie wandte ihm den Rücken zu und schellte.

Der Spitzbube warf währenddem weitere verdächtige Blicke auf sie und dann auf die Eingänge des Zimmers. »Noch nicht, meine Schöne,« murmelte er zwischen den Zähnen, »wir werden uns eher wiedersehen, als du denkst.«

Das Kammermädchen trat ein.

»Laß diesen Herrn wieder hinaus, Fanchette,« befahl die Baronin, »und begib dich dann schlafen, ich bedarf deiner nicht mehr.«

Lady Savelli überlegte einen Augenblick – dann ging sie leise auf den Tisch zu, auf dem das Portefeuille lag und nahm es auf, um sich von dem Inhalt zu überzeugen.

Es war verschlossen.

Ein Ruck der kräftigen Hand, und der leichte Verschluß sprang auseinander.

Die Papiere fielen ihr in die Hände.

Es waren zwei Dokumente, die sie rasch mit gierigem Blick überflog.

Das erste war die notariell vidimierte und am Morgen desselben Tages ausgefertigte Bestätigung des Testaments ihres Bruders, dessen Inhalt ihr bereits bekannt war.

Das zweite Papier, das sie mit zitternder Hand ergriff, war die Urkunde, welche den Besitz des verstorbenen Radschah in Indien an Nena Sahib übertrug und den beiden Testamentsvollstreckern die Mittel zur Führung des Prozesses vor den britischen Gerichtshöfen aussetzte.

Aber der Brief, das Verzeichnis der Kostbarkeiten und Dokumente, mit der Vollmacht, sie in Empfang zu nehmen – –

Sie durchwühlte die Taschen des Portefeuilles – das Dokument, das wichtigste, einzig wertvolle für sie, war nirgends zu finden.

»Wird Lady Savelli mir jetzt erlauben, mich zu entfernen?« fragte eine Stimme hinter ihr.

Mit einer gedankenschnellen Bewegung verbarg sie den Raub wieder unter das Tuch.

Weder die Dame, noch das honorable Mitglied für Ballycastle bemerkten den Zeugen, der dieser Szene beiwohnte.

Ein dunkles Antlitz, an die Spiegelscheiben der Balkontür gepreßt, verfolgte mit unheimlich funkelnden Augen jede Bewegung der Lady.

Ihre Wange war schreckensbleich. Hatte er gesehen, was der Fremde gebracht, was sie soeben in Händen gehalten?

Die Frage durchzuckte wie ein Blitz ihre Seele, und ihre Augen hingen prüfend an dem Antlitz des früheren Geliebten.

Aber seine Züge waren streng und spöttisch, doch ohne jede Spur einer Überraschung.

Der nächste Gedanke, der sie durchzuckte, war, daß er allein in dem Besitz des wichtigen Papieres sein mußte.

Sie flog auf ihn zu und zog ihn zurück in das halbdunkle Klosett auf die schwellenden Kissen des Lagers.

»Ralph – ich war eine Wahnsinnige, daß ich dich beleidigte! Vergieb mir die Liebe und Eiferfucht, die noch immer jede Ader durchströmt. Mann meiner einzigen und wahren Liebe, geh' nicht von mir so – und sollte diese Stunde unsere letzte sein, sie soll mir gehören und du mit ihr, mein sollst du sein, wie du es warst in glücklichen Zeiten und mir ein Zeichen geben, daß du Georga wirklich geliebt hast, wie sie dich noch immer liebt!«

Wie die Schlange sich um ihr Opfer schlingt, so wanden die weichen Glieder der Verführerin sich um den starken Mann und zogen ihn nieder auf die Polster, während ihr Mund heiße, wahnsinnige Küsse auf seine Lippen preßte.

»Georga, lassen Sie mich!«

»Höre mich an, Mann meiner Seele! Du, an den der Gedanke der nagende Wurm in ihrer Entwürdigung, der dunkle Schatten in aller Lust und allem Glanz meines Lebens war! Ich kann nicht arm sein, Armut ist Elend, ist Schrecken, ist Entsetzen! Willst du sie verdammen dazu, und die Jahre, die ihr Gott noch gegeben, zu Pein und Leiden machen? Reichtum, Besitz allein kann sie wieder erheben, vor dir – vor sich selbst – und du willst einem grausamen, unnatürlichen Bruder das Werkzeug sein, noch aus seinem Grabe sein eigen Blut, das Weib, das du selbst geliebt, in die Ketten des Elendes zu schmieden?«

»Georga – martern Sie mich nicht! Sie werden das Testament angreifen, Sie und Ihre Schwester und jener heuchlerische Schurke – Sie werden es angreifen mit allen Waffen des Gesetzes, und es wird ein Kampf sein, dessen Entscheidung ebensogut zu Ihren Gunsten ausfallen kann, wie zu den unsern!«

»Ich fürchte das Testament nicht!« rief das leidenschaftliche Weib – »es ist ein leeres Papier gegen die Rechte der Natur, geltungslos selbst vor den Gesetzen dieses berechnenden Landes. Führe den Kampf, kaltherziger Mann, nach deinen starren Gedanken von Recht und Ehre – aber eine Waffe gib heraus, jene niedrige bübische Tat, die dein Freund noch von seinem Totenbett gegen mich geschleudert!«

»Ich verstehe Sie nicht, Georga.«

»Den Brief,« keuchte die Indierin, »jenes verfluchte, abscheuliche Papier, das Nena Sahib die Auslieferung der Dokumente befiehlt – wer, wer hat es?«

»Da Sie nun einmal darum wissen, der Brief ist mir selbst von dem Radschah übergeben worden, und wohlverwahrt soll er auf meiner Brust ruhen, bis ich mein Versprechen lösen kann!«

»Den Brief, Ralph – um der Barmherzigkeit, um deiner Liebe willen – den Brief!«

»Aber Mylady – was soll Ihnen der Brief?«

Sie lag zu seinen Füßen und umklammerte diese. »Jene Dokumente – Ralph – meine Geburt – sie würden beweisen, daß ich eine Bettlerin bin – wenn jenes Schreiben vernichtet ist, teile ich das Erbe! Habe Mitleid, Ralph – gib das Papier ...«

»Ich kann nicht, Georga, ich darf nicht, die Ehre des Mannes – das Wort an den Toten – –«

»Du willst nicht, Schändlicher? – Nicht lebendig verläßt du diese Stelle, bis du das Papier mir gegeben!«

Alle dämonische Glut der Leidenschaft lag auf ihrem Gesicht, als sie, wie die Tiger ihrer Heimat, auf ihn zusprang, in der Hand den Malayendolch.

Der Irrländer erwartete sie mit der überlegenen Ruhe des Mannes, faßte ihre Hand am Gelenk und entwand ihr den Dolch, wobei sie sich leicht an der entfesselten Brust verletzte, daß das hervorquellende Blut ihn befleckte.

Er schleuderte den Dolch in den Winkel des Gemaches.

»Wenn Sie morden wollen, Mylady,« sagte er, »so bedenken Sie, daß Sie nicht an den Ufern des Ganges, sondern an denen der Themse sind.«

Die wilde Natur ihrer Heimat war entfesselt. »Den Brief, Verräter, den Brief!« Sie umklammerte ihn, wie die Schlange den Löwen, wie die Liane die mächtige Zeder und riß ihn mit Gewalt nieder zu sich auf das Lager von Seide und Spitzen, das so oft ihre geschmeidigen und üppigen Glieder aufgenommen und das jetzt der Schauplatz eines wütenden, empörenden Ringens war!

Vergeblich strengte der starke Mann seine Kraft an, um zu fliehen. – –

Von neuem und immer von neuem schlang das dämonische rasende Weib ihre Glieder um ihn! – –

 

Stille – Ruhe in dem glänzenden Gemach, auf dessen Vergoldungen die erlöschende Lampe ihren letzten Schein wirft. Weit geöffnet steht die Tür zum Balkon der Veranda und die Nachtluft weht kühl herein und bewegt die zuckende Flamme.

Eine dunkle Gestalt huscht durch den Salon – zwei funkelnde Augen glühen im Halbdunkel – –

Sie verschwindet – ein leiser, dumpfer, erstickter Ton –

 

Eine Stunde ist es kaum noch vor Tagesanbruch! – Die Portiere der Tür zur Rechten wurde leise emporgehoben – das hübsche, schlaue Gesicht Jack Slingsby, des schönen Jack, erschien zwischen den Falten und blickte spähend umher in dem dunklen Gemach.

Der Gentleman-Dieb schlich leise und verstohlen hervor; er hatte so wohl verstanden, der leichtfertigen Kammerzofe den Hof zu machen, daß er mit allen Gelegenheiten des Hauses vertraut war, ehe er es verließ, um eine Stunde darauf sich wieder in dasselbe einzuschleichen.

Das Antlitz des schönen Jack glühte, seine Augen funkelten seltsam, als er sie jetzt auf den schweren Vorhang richtete, der die Schlafstätte des schönen Weibes verbarg.

Die Pulse seiner Adern pochten wild, das Herz hämmerte fast hörbar in der Brust des Verbrechers. Wollte er die schöne Schläferin berauben? – wollte er – –

Auf den Zehen schlich er zu dem Vorhang und schob ihn unhörbar von einander.

Wiederum lauschte der Dieb.

Kein Laut!

Die günen Gardinen des Himmelbettes waren geschlossen.

Jack schlüpfte über den dicken persischen Teppich, und gierig, lüstern, sinnberauscht in dem Gedanken an die reizenden Formen, schlich er weiter und legte die Hand an die Gardinen des Bettes.

Atemlos, mit vorgebeugtem Kopf, auf den Atem der Schlummernden zu lauschen, stand er einen Augenblick dort.

Dann zog seine Hand die Gardine zurück.

Ein Schrei des Schreckens und Entsetzens scholl aus dem Schlafgemach! – –

 

Wie von Furien gepeitscht, stürzte Jack Slingsby über den Rasenteppich und zu der Auffahrt, welche die Villa der Lady von dem äußern Straßengitter trennte. Er legte die Hand darauf und wollte sich hinüberschwingen, als eine andere, kalte die seine erfaßte.

Der Dieb griff nach der Brusttasche, um eine dort verborgene Waffe hervorzureißen und sich des Angreifers zu entledigen, aber eine bekannte Stimme flüsterte an seinem Ohr: »Du sollst sein Ben ha moweß selber, wenn du nicht läßt stecken das Messer. Wenn du bist gescheut, können mer teilen zusammen den Bekauech-massematten

Umschauend blickte Jack in das Gesicht des Juden Joël, des Wirtes der Diebesschenke.

»Goddam – welcher Teufel führt dich hierher? – Warst du's etwa – –«

Der Jude ließ ihn die Frage nicht aussprechen.

»Mensch, wie tust du sehen aus? – kein Tropfen Blut im Gesicht – wie eine Leiche – –«

Jack Slingsby schaute ihn mit einem furchtbaren Blick an. »Abscheulicher! – Fort mit dir, daß man uns hier nicht trifft!« Er riß den Juden mit Gewalt davon. – – – – – – – –

 

Es war um Mittag des nächsten Tages, als die Beamten des Kanzleigerichts im Hause des verstorbenen Sir Dyce Sombre erschienen, um im Beisein der beiden Testamentsvollstrecker, der Dienerschaft und des Notars, Doktor Duncombe, die amtliche Eröffnung der von letzterem deponierten Dokumente vorzunehmen.

Von seiten der Familie des verstorbenen Radschah hatte sich niemand zur Beiwohnung der Handlung eingefunden.

Nachdem Doktor Duncombe und der Kapitän, der auffallend bleich und angegriffen aussah, als Hausherr den Beamten mitgeteilt, daß der zweite Ausgang des Sterbezimmers von innen verriegelt worden, also ein äußerer Verschluß nicht nötig gewesen sei, wurden die an der Haupttür befindlichen Siegel sorgfältig in aller Gegenwart untersucht und unverletzt gefunden.

Der Beamte erbrach dieselben sodann, und die Tür wurde aufgeschlossen.

Doktor Duncombe, der Notar, war der erste, welcher die Schwelle betrat, aber in demselben Augenblick auch prallte er erschrocken zurück und breitete die Arme vor die Tür, damit niemand hineindringen möge.

»Zurück, meine Herren! – so lieb Ihnen Ihr Ruf ist – hier ist eine Felonie, ein Diebstahl begangen – das Testament ist gestohlen!«

Ein Blick auf den Tisch in der Mitte, auf den er am Tage vorher vor aller Augen das Portefeuille mit den Dokumenten niedergelegt, hatte ihm gezeigt, daß dasselbe verschwunden war.

Ein allgemeiner Ausruf des Staunens und Entsetzens folgte. Der Beamte des Kanzleihofes war der erste, der darauf das Wort ergriff. »Als Besitzer des Hauses, Sir,« wandte er sich an Kapitän Ochterlony, »muß ich Sie ersuchen, sofort dem nächsten Polizeiamt Anzeige davon machen und einen Beamten desselben requirieren zu lassen, ehe wir weiter mit der Untersuchung vorgehen. Wie ich gehört habe, sind die Interessen, die sich an diese Dokumente knüpfen, so mannigfacher Art, daß um der Ehre aller Beteiligten willen eine genaue Untersuchung des von Master Duncombe behaupteten Diebstahls stattfinden muß.«

»Sie können sich zu dieser Untersuchung nicht dringender verpflichtet fühlen, Sir,« sagte der Kapitän stolz, »als ich selbst. Haben Sie die Güte, lieber Freund,« wandte er sich zu dem erschrockenen Arzt, »sich mit einem der Diener nach dem Polizeiamt zu begeben, den Vorfall mitzuteilen und um das schleunigste Erscheinen zu bitten. Das beste wird sein, unterdes die Tür wieder zu schließen.«

Dies geschah, nachdem der Beamte des Kanzleihofes sich von außen überzeugt, daß der zweite Eingang zu dem beraubten Zimmer wohl verschlossen schien.

Es fiel allgemein auf, daß Kapitän Ochterlony ein seltsames, an dem klaren, ruhigen Mann sonst ganz ungewohntes Wesen bei diesem wichtigen Ereignis zeigte, wortkarg blieb oder zerstreute Antworten gab und mit Gewalt diese Gemütsstimmung zu bemeistern suchen mußte.

Die Dienerschaft stand und schwatzte und erging sich in Phrasen über die Unmöglichkeit, daß ein Einbruch verübt sein könne, ohne daß sie das Geringste davon bemerkt hätte. Nur Tukallah der Indier hielt sich in seiner gewöhnlichen Weise still und abgesondert, sein Bronzeantlitz blieb wie aus Stein gehauen und verriet nicht durch die geringste Bewegung seine Gedanken. Doktor Duncombe schien von solchen der schlimmsten Art desto mehr heimgesucht und versuchte wiederholt, dem Kapitän und den Gerichtsdienern seine Besorgnisse mitzuteilen.

Es war jedoch kaum eine halbe Stunde vergangen, als Walding, in Begleitung des Master Hay, zurückkehrte.

»Was muß ich hören, Sir,« sagte der Policeman, »Diebstahl im Hause eines Parlamentsmitglieds? Nächtlicher Einbruch ohne Spur – gestohlenes Testament? Bah – wollen der Sache schon auf den Grund kommen – für was hieße ich Hay? Giles Hay? – Keine Besorgnis – ich bin da! Wollen aber hübsch von vorn anfangen, Gentlemen, wenn's beliebt. Zunächst mit der Lokalität und der Konstatierung des verschwundenen Objekts.«

Er ließ sich darauf das Zimmer bezeichnen und las mit Aufmerksamkeit das Protokoll über den Befund der Siegel durch.

»Einen Augenblick noch, Gentlemen – ich möchte ein paar Fragen an das Hausgesinde tun. Hat einer von euch irgend etwas Ungewöhnliches, ein Geräusch oder dergleichen in der Nacht vernommen?«

»Nicht das ich wüßte,« erklärte James, der zugleich das Amt des Portiers versah. »Nachdem der fremde Herr hier gegen Mitternacht zurückkehrte und sogleich auf sein Zimmer ging, hat sich nichts mehr im Hause geregt, bis seine Ehren der Herr Kapitän um drei Uhr nach Hause kamen. Doch halt – einmal, ich habe einen leisen Schlaf – war es mir, als ob eine Tür im oberen Stock ging, ich mag mich aber getäuscht haben, denn ich hörte nichts weiter.«

»Hat jemand von euch während der Nacht sein Zimmer verlassen?« fragte Hay die Dienerschaft.

Jeder verneinte.

»So waren Sie also nicht zu Hause, Sir, und haben deshalb selbst nichts bemerken können?« wandte sich der Polizeibeamte an den Kapitän.

»Ich brachte die Nacht in Geschäften außer dem Hause zu,« entgegnete kurz der Kapitän.

»Nun, Gentlemen, lassen Sie uns jetzt das Zimmer öffnen. Sie wissen also ganz bestimmt, daß das Portefeuille bei dem Verschluß auf dem Tische gelegen?«

Der Notar, Ochterlony und der Deutsche bekräftigten es, auch die Haushälterin und einer der Diener, die bei der Anlegung der Siegel zugegen gewesen waren.

Die Tür wurde geöffnet – Hay, der Kanzleibeamte, Ochterlony und der Arzt nebst dem Notar traten ein – die anderen blieben auf Befehl an der Schwelle stehen.

Hay ging zunächst nach einem der Fenster und zog das niedergelassene Rouleaux in die Höhe, ebenso am zweiten. Die Fenster waren von innen geschlossen und konnten unmöglich geöffnet sein.

Als so das Zimmer genügend erhellt war, trat der Polizeibeamte zu der zweiten Tür. Ein pfeifendes Hm! entfuhr seinen Lippen – der Fall zeigte sich schwieriger und bedenklicher, als er geglaubt, – die Tür war von innen verriegelt und der Nachtriegel vorgeschoben, wie man ihn am Tage vorher verlassen hatte.

Ein allgemeines Erstaunen zeigte sich auf den Gesichtern, nur der Polizeibeamte bewahrte seine ruhige unveränderte Gelassenheit.

Man durchsuchte zunächst, ohne die Tür weiter anzurühren, das Zimmer, ob durch einen Zufall, vielleicht durch eine Ratte, das Portefeuille von seiner Stelle geschleppt und irgend wohin versteckt worden sei.

Plötzlich stieß der deutsche Arzt einen Schrei des Entsetzens aus. Er hatte die dicht geschlossenen Vorhänge des Himmelbettes auseinandergezogen, um noch einmal den toten Freund zu sehen. Jetzt aber starrte er mit weit geöffneten Augen, gleich denen eines Toten, selbst auf das Lager: die Stelle war leer, die Leiche war verschwunden!

»Damned!« murmelte Hau, als das allgemeine Entsetzen sich ein wenig beruhigt hatte, – »da ist von einer Täuschung oder von einer kleinen Eskamotage nicht mehr die Rede, wie ich beinahe zu glauben anfing. Das sind Craksmen der schlimmsten Art – da muß ein echter Burker dabei gewesen sein. – Bitte, Gentlemen, rühren Sie sich nicht von der Stelle, bis ich alles aufs Genaueste durchsucht habe.«

Er prüfte jetzt sorgfältig jeden Teil des Bettes, dann jedes Möbel, den Teppich des Fußbodens, gleichsam Zoll um Zoll. Nichts blieb unbeachtet. Am längsten verweilte er bei der Besichtigung der zweiten Tür. Endlich erhob er sich und schöpfte tief Atem, sein graues Auge leuchtete gewissermaßen im Siegerstolz seines Handwerks.

»Very well! Ich wußte es ja,« sagte er mit stillem Lachen, »sie sind bei all ihrer Schlauheit nicht so pfiffig, daß sie den alten Giles Hay täuschen könnten.«

»So haben Sie eine Spur der Diebe aufgefunden?« fragte der Notar.

»So deutlich liegt alles, was in diesem Zimmer geschehen ist, vor mir, als wär' ich selbst der Dritte bei ihnen gewesen – denn die Spitzbuben, Gentlemen, waren zu zweien.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Es ist nur ein Umstand,« fuhr der Polizeioffiziant fort, ohne die Frage zu beachten, »nur einer, der mich beunruhigt. Ich kannte bisher nur einen einzigen Menschen, der die Kunst verstand, eine von innen verriegelte Tür zu öffnen und wieder ebenso zu schließen, und dieser eine ist deportiert und nicht in England. Hier aber liegt dieselbe geheime und schwierige Manipulation vor.«

»Aber könnte der Verbrecher nicht bereits wieder, vielleicht heimlich und als Flüchtling, hierher zurückgekehrt sein?« meinte der Doktor.

»Richtig – stop! Das ist's! Auf den Gedanken bin ich wahrhaftig noch nicht gekommen, und er lag doch so nahe. Jack Slingsby, der Matador aller Diebe dieses gesegneten Eilandes, muß wieder in London sein! – es ist nicht anders möglich und klärt manches auf, was ich in den letzten Tagen gehört habe.«

»Haben Sie die Güte,« sagte der Kapitän, »uns mitzuteilen, worauf Ihre Vermutungen sich gründen und welche Schritte zu ergreifen sind.«

»Sehen Sie sich einmal diese Tür an, Kapitän – bemerken Sie irgendeine Öffnung an ihr?«

»Nein!«

»Dennoch haben die Spitzbuben sie angebohrt!«

Der Polizeioffizier zog eine lange Nadel aus dem Ärmel, prüfte einige Stellen mit dem Finger und drückte dann die Spitze in einen etwa einen Zoll vom Schloß entfernten Punkt. Die Nadel ließ sich ohne Mühe durch die ganze Tür stoßen, und es zeigte sich ein Loch von dem Umfang etwa einer starken Stricknadel.

»Sehen Sie her – die Öffnung ist sorgfältig mit Wachs von der Farbe der Tür wieder zugeklebt gewesen.«

»Aber was nutzt dieses kleine Loch?«

»Freund Jack, Sir, besitzt die Mittel, durch dieses Loch in jedes verriegelte Zimmer zu schlüpfen.«

»Keinen Scherz, Sir!«

»Ich bin weit davon entfernt, mit Euer Ehren mir einen Spaß zu machen.« entgegnete Hay. »Die Sache erklärt sich einfach auf folgende Weise. Durch dieses Loch, was in horizontaler Linie mit der Lage des Riegels von außen mittels eines sehr feinen und wohlgeschmierten Holzbohrers gebohrt wird, so daß selbst eine im Zimmer wache Person kaum das Geräusch hören würde, wird ein dünnes, langes Stahlplättchen gesteckt, an dessen Spitze eine Schlinge von gedrehten Roßhaaren befestigt ist. Die Dicke der Tür ist für eine gewandte Hand leicht zu erproben. Sobald die Spitze des Instruments sich in gleicher Linie mit dem Nachtriegel befindet und die elastische Haarschlinqe sich frei im Zimmer bewegt, wird durch das Drehen des Stäbchens so lange manipuliert, bis die Schlinge den Zieher des Riegels gefaßt bat. Eine so geübte Hand wie die Jacks erkennt das im Nu. Das Stäbchen wird zurück und die Schlinge angezogen, und da sie trotz ihrer Dünne von großer Festigkeit ist, folgt der Riegel dem Zug, und die Tür ist geöffnet.«

»Aber wir fanden sie mit dem Riegel verschlossen?«

Der Offiziant lachte. »Wenn die Diebe einmal im Zimmer sind, ist dies eine sehr leichte Sache. Sie bringen ihre Beute fort und schlingen dann um den Griff des Riegels ein paar starke Pferdehaare, die sie bei dem Schluß der Tür an der Vorderkante derselben mit einklemmen. Keine Tür schließt so fest, daß sich nicht ein paar Pferdehaare dazwischen leicht durchziehen ließen, und wenn es ja der Fall wäre, macht ein einziger Strich einer Feile eine genügende Höhlung. Der Riegel wird auf diese Weise wieder vorgeschoben, die Haare werden, indem man das eine Ende losläßt, wieder herausgezogen, und jede Spur des Einbruchs ist verschwunden.«

Die Anwesenden sahen sich erstaunt an – sie begriffen, daß durch diese einfache und dennoch so seltsame und schwierige Manipulation dies Verbrechen verübt sein mußte.

Nur die Frage, wie die Diebe ins Haus gekommen, und wie sie sich wieder entfernt, war noch zu lösen.

»Daß zwei Personen bei der Verübung des Diebstahls beteiligt gewesen,« erläuterte der Beamte, »ist ganz klar. Die Anwesenheit Jacks ist, wie ich mich überzeugt habe, gewiß, aber er hat es sicher nur auf die Papiere abgesehen gehabt; denn es scheint außer diesen und dem Leichnam nicht das Geringste im Zimmer gestohlen, und das führt mich auf die bestimmte Vermutung, daß Jack nicht in seinem eigenen Interesse, sondern in eines Dritten Auftrag gehandelt. Dagegen macht er sich gern einen tollen Spaß, und da sein Helfershelfer, den er für den Fall einer Gefahr bei sich gehabt, wahrscheinlich einer unserer Resurrektionsmänner gewesen ist, so hat dieser der Versuchung nicht widerstehen können und den Leichnam mitgenommen und Jack ihm bei dem tollen Streich geholfen.«

Der geübte Scharfsinn des Polizeioffiziers hatte in der Tat das Tun der Diebe so genau erraten und beschrieben, als habe er sie unmittelbar belauscht.

Master Hay öffnete jetzt die verriegelte Tür, wobei ein eingeklemmt gebliebenes Pferdehaar entdeckt wurde, und verfolgte mit der Spürkraft eines Indianers den Weg der Diebe, während der Kapitän und der deutsche Arzt mit dem Notar und dem Mitgliede des Kanzleigerichts berieten, welche Schritte zu ergreifen wären.

Nach wenigen Minuten schon kam Hay wieder. »Wenn Sie mir folgen wollen, Gentlemen,« sagte er, indem er sich vergnügt die Hände rieb, »will ich Ihnen den ganzen Weg zeigen. Wie sie hereingekommen, weiß ich noch nicht, eines der Fenster oder die Tür nach dem Garten muß offen gewesen sein. Aber wie sie hinausgekommen, das liegt ganz deutlich zutage. Das Fenster des Hinterzimmers ist bloß angedrückt, und unten sind die Spuren von Männerfüßen. Wollen Sie sich selbst überzeugen, so kommen Sie mit.«

Aber ehe die Gesellschaft ihm folgen konnte, trat ein neues Ereignis ein, das sie zurückhielt.

Ein Fremder, dessen Amtszeichen ihn sofort als Sheriff erkennen ließen, trat in das Zimmer, begleitet von dem alten Marquis St. Paul und dem Doktor Jennys.

Das Gesicht des letzteren war sehr bleich und aufgeregt, während die Züge des alten Roué nur boshafte Schadenfreude ausdrückten. »Wer von den Herren,« sagte der Sheriff, »ist der sehr ehrenwerte Kapitän Ralph Ochterlony, Mitglied des Unterhauses?«

»Das bin ich! Was steht zu Ihren Diensten, mein Herr?« Der Kapitän war einen Schritt auf ihn zugetreten, während er mit stolzem, finsterem Blick den intriganten Schwiegervater seines verstorbenen Freundes fixierte.

»Mein Name ist Richard Powell, Sir,« bemerkte der Beamte, »ich bin der Sheriff von Westminster und Pimlico, und Master Hay wird nötigenfalls meine Person rekognoszieren!«

»Es bedarf dessen nicht, Sir,« sagte der Kapitän höflich, »jeder Engländer wird Ihr Amtszeichen respektieren. Es ist mir lieb, daß Sie gekommen sind, noch ehe die weiteren Anzeigen dieses abscheulichen Diebstahls gemacht werden konnten, mit dessen Feststellungen wir eben beschäftigt sind, und die Begleitung dieser Herren beweist mir, daß ich mich in meinen Vermutungen wahrscheinlich nicht sehr geirrt habe.«

Der Sheriff sah ihn befremdet an. »Es scheint mir hier Ihrerseits ein Irrtum obzuwalten, Sir. Eine Anklage auf Diebstahl liegt nicht vor.«

»So kommen Sie nicht wegen des in meinem Hause während meiner Abwesenheit diese Nacht verübten Einbruchs und des Diebstahls des Testaments und der Leiche des verstorbenen Radschah Dyce Sombre?«

»Das Testament gestohlen? Goddam! das ist eine wichtige Neuigkeit!« schrie der Marquis und auf seinem Gesicht zeigte sich ein unverkennbares Frohlocken.

»Das sollte Mylord Saint Paul nicht wissen, vielleicht der am meisten Interessierte dabei?« fragte mit Hohn der Kapitän.

»Sir,« unterbrach die Gegenantwort der Beamte, »ich wiederhole Ihnen, daß ich von dem Diebstahl, der Ihnen zugefügt sein soll, nichts wußte. Mein Geschäft ist, Sie um die Beantwortung einiger Fragen zu bitten. Zunächst, Sir – ist Ihnen diese Brieftasche bekannt?« Er hielt ihm ein kleines Portefeuille mit Stahlschloß entgegen, auf dessen Vorderseite sich eine Stickerei befand.

Das Gesicht des Parlamentsmitglieds für Irland färbte sich mit hoher Röte, und er streckte schnell die Hand nach der Brieftafel aus. »Es ist mein Eigentum, Sir, ich muß sie gestern verloren haben und habe in der Zerstreuung wirklich den Verlust noch nicht einmal bemerkt. Ich danke Ihnen für die Wiederherbeischaffung.«

Der Beamte zog jedoch die Hand mit dem Portefeuille zurück. »Ehe ich sie Ihnen zurückliefern kann, Sir, muß ich meine Fragen fortsetzen. Sie selbst erklärten vorhin, daß Sie diese Nacht nicht zu Hause zugebracht. Können Sie mir sagen oder Zeugen stellen, wo Sie sich während derselben befunden? Ich mache jedoch ausdrücklich darauf aufmerksam, daß Sie keine Erklärung abzugeben nötig haben, die Sie später belasten könnte.«

»Wahrhaftig,« lachte der Irländer gezwungen, »das sieht ja beinahe aus wie ein Verhör vor dem Untersuchungsrichter von Bow-Street. Ich war gestern mit diesem Herrn hier, meinem Freund,« er wies auf Doktor Walding, »bis gegen Mitternacht in einem Kaffeehaus in der Nähe von White-Chapel.«

»Ich kann es bezeugen,« bekräftigte Doktor Walding.

»Und später?«

»Später« – der Kapitän zögerte einen Augenblick – »später verließ ich ihn an Buckingham-Square in der Nähe meines Hauses und war bis Tagesanbruch allein abwesend – in einer Privatangelegenheit.«

»Sie wollen den Ort also nicht näher bezeichnen?«

»Nein!«

»Auch nicht, wenn er Mount-Street heißt?«

Das Auge des Beamten fixierte ihn scharf – Kapitän Ochterlony fuhr sichtbar bei der unerwarteten Frage zurück.

»Sie werden unverschämt, Herr, entfernen Sie sich sogleich, ich werde Ihnen nicht länger Rede stehen.«

»Dennoch habe ich noch eine Frage an Sie zu richten. Welche Farbe hat der Rock, den Sie gestern abend trugen, und wo befindet sich derselbe?«

»Sir – –«

Durch die neugierig die Tür versperrende Dienerschaft machte sich ein Polizeioffizier Platz. Ein Konstabler, der ihn begleitete, trug auf dem Arm einen Rock und ein Gilet – beides war mit Blut befleckt, an dem ersteren war ein Knopf mit dem umgebenden Zeugstück ausgerissen.

»Diesen Rock und dies Gilet,« sagte der Polizeimann, »habe ich in dem Ankleidezimmer des Herrn Kapitäns gefunden – ebenso auf der Toilette diese Schlüssel. Das Waschbecken zeigt die unverkennbaren Spuren, daß blutige Hände oder ein anderer blutiger Gegenstand darin gewaschen worden sind.«

Die Augen des Irländers funkelten, indem er sich auf den Beamten stürzte. »Schurke, du hast es gewagt, in das Zimmer eines Gentleman zu dringen?«

Der Sheriff trat dazwischen – sein Stab berührte die Schulter des Kapitäns. »Sir Ralph Ochterlony! Im Namen der Königin – ich verhafte Sie auf dringenden Verdacht des Meuchelmordes!«

Der Kapitän taumelte leichenblaß zurück. – »Mich, wegen Mordes? Sind Sie wahnsinnig, Sir? Welchen Mordes?«

»Begangen diese Nacht an der Person der Lady Savelli geborenen Sombre, in ihrer Wohnung in der Mount-Street.«

Der Unglückliche schlug die Hände vor das Gesicht. »Georga – ermordet?«

»Das sollte Kapitän Ochterlony nicht wissen? der vielleicht am meisten dabei Interessierte?« höhnte giftig der Marquis, wie vorhin sein Gegner.

Doktor Duncombe, der Notar, war der erste, der sich von dem furchtbaren Schlage faßte. »Bedenken Sie wohl, was Sie tun, Herr,« warnte er. »Kapitän Ochterlony ist Parlamentsmitglied und darf als solches nur auf den Beschluß des Hauses verhaftet werden, außer in flagranti delicto oder auf die Ausnahme-Ordre Seiner Herrlichkeit des Lord-Kanzlers!«

»Hier ist der Befehl,« sagte der Marquis giftig, indem er ein Papier mit dem großen Siegel des Geheimen Rats hervorzog. »Wir haben uns vorgesehen gegen alle Schikanen, und der Mörder meiner Schwägerin soll nicht dadurch unbestraft bleiben, daß der Mörder von den Privilegien eines Standes Gebrauch macht, dem er zur Schande gereicht, um sich dem Galgen durch rechtzeitige Flucht zu entziehen.«

»Mein Befehl lautet, Kapitän Ochterlony zu verhaften,« berichtete der Beamte, »wenn der vorliegende Verdacht gegen ihn sich durch gewichtige Beweise verstärken sollte. Lady Savelli ist diesen Morgen auf ihrem Bett verwundet und erwürgt gefunden worden, auf dem Teppich des Schlafzimmers diese Brieftasche, deren Inhalt sich als Eigentum des Kapitäns erwies und in der sich ein Billett der Lady vorfand, das ihn für diese Nacht zu einem geheimen Besuch einlud. In ihrer Hand befand sich dieser Knopf mit dem Stück Zeug und ein Blick kann genügen, um zu erkennen, daß es zu jenem Rock gehört. Unter diesen Umständen bleibt mir nichts übrig, als zur Verhaftung zu schreiten, so leid es mir tut.«

Der Advokat schwieg – die furchtbare Gewalt der augenscheinlichen Beweise betäubte ihn.

»Es ist unmöglich,« rief Walding – »was auch für zufällige Umstände sich so unglücklich fügen mögen – Sir Ralph hat sich mit einem solchen Verbrechen nicht befleckt. Ich bürge für seine Ehre und Unschuld.«

»Bürgen Sie für sich selbst, mein deutscher Herr Doktor, der so wohl die Kennzeichen des Irrsinns zu beurteilen versteht,« höhnte der Doktor Jennys, »Sie werden genug damit zu tun haben, wenn der Prozeß wegen Erbschleicherei gegen Sie erhoben wird, und – wer weiß, was neben jenen Dokumenten, die schon wieder zum Vorschein kommen werden, wenn man sie braucht, sonst noch für Sachen von materiellerem Wert verschwunden sein mögen!«

»Still!« donnerte die Stimme des Kapitäns. »Noch bin ich Herr in meinem Hause. Ich danke Ihnen, Walding, für Ihre gute Meinung, aber ich halte es unter meiner Würde, mit einem Wort meine Unschuld zu beteuern. Der Schein ist gegen mich, und die Machinationen dieser Herren haben von dem Zufall eilig genug Vorteil gezogen, um mich für den Augenblick durch die Last einer furchtbaren und grausamen Anklage wehrlos zu machen. Ich bin bereit, Ihnen zu folgen, Sir, und mich zur Haft zu stellen. Aber zuvor werden Sie mir erlauben, mein Haus zu bestellen?«

»Verfügen Sie ganz nach Ihrem Willen, Herr Kapitän!«

»So bitte ich Master Hay, in seinen Nachforschungen auf das eifrigste fortzufahren. Dieser Herr hier, den ich mit der Verwaltung meines Hauses und meines Eigentums beauftrage, wird Ihnen die nötigen Geldmittel zur Disposition stellen. Tukallah!«

»Sahib!« antwortete der Indier, der regungslos der ganzen Szene beigewohnt hatte, indem er die Arme über die Brust kreuzte.

»Nimm jene beiden Schufte beim Kragen und wirf sie die Treppe hinunter, wenn sie sich nicht augenblicklich entfernen und je wieder wagen, die Schwelle dieses Hauses zu überschreiten.«

»Ich protestiere gegen jede Gewalttat,« rief der Marquis, indem er sich hinter die Polizeibeamten zurückzog, »ich bin berechtigt, hier zu sein, um den Nachlaß meines Schwiegersohnes zu überwachen! Ich verlange Ihren Schutz, meine Herren!«

Der Sheriff und der Polizeibeamte zuckten die Achseln. »Es ist das Haus des Herrn Kapitäns,« sagte Master Hay, »er ist Herr darin, wenn er auch unter Kriminalanklage steht.«

»Gehorche, Tukallah!«

Der Indier sprang auf die beiden zu, erwischte aber nur noch Doktor Jennys, der schwerfälliger als der Marquis, dem Flüchtenden nicht so rasch zu folgen vermochte. Der Indier drehte den Scheltenden wie einen Kreisel um sich selbst und stieß ihn vor sich her.

Während alle mit einer gewissen Genugtuung diesem Intermezzo nach den vorhergegangenen furchtbaren Eindrücken zusahen, hatte sich der Kapitän zu dem Arzt geneigt.

»Sie wissen, wo Sie den Brief finden, Walding?« flüsterte er ihm zu.

«Ja!«

»Das ist das Wichtigste. Bewahren Sie ihn wie Ihr Leben. Sie sollen bald von mir hören – bis dahin leben Sie wohl. – Jetzt, Sir, bin ich bereit, Ihnen vor den Richter oder in das Gefängnis zu folgen.«


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