Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Die Geheimnisse der schwarzen Burg.

Schon von der Höhe der Felswand hatte der Serdar einen der Reiter vorausgeschickt, ihre Ankunft zu melden, und als sie jetzt der Burg näher kamen, konnten sie leicht bemerken, daß der Bote bereits eingetroffen war und man sie erwartete.

Walding hatte nun volle Gelegenheit, das Äußere der Mahrattenfeste zu betrachten. Der Aufgang zu ihr war steil, aber breit und selbst für die Elefanten passierbar. Er wand sich im Zickzack empor, so daß er leicht von den Mauern des Schlosses bestrichen werden konnte, und endete in dem gewölbten Portal eines breiten viereckigen Turmes, von dessen Plateau drei große metallene Kanonen drohend ihre Mündungen niederstreckten. Eine starke aus dem schwarzen Gestein des Felsens meist in senkrechter Linie mit den Abgründen aufgeführte Mauer umschloß die inneren Gebäude der Feste, die terrassenförmig übereinander emporstiegen, so daß von der Höhe des letzten, das mit einer mächtigen, in der spitzen orientalischen Kugelform geschweiften Kuppel geziert war, das ganze Innere der Festung übersehen werden konnte. Die Mauern hatten, wie bei den orientalischen Bauten üblich, nur wenige Öffnungen nach außen und wurden an vier Ecken durch hohe, schlanke Minaretts überragt, die gleich Wächtern hinaus in das Tal lugten. Dicht hinter diesem eigentümlichen Bau erhob sich die Bergwand, die ohne Ausgang hier das reizende Tal abzuschließen schien. Kurz vor der Wölbung des Eingangsturmes, deren riesige Torflügel von Erz gegossen und mit Hieroglyphen bedeckt waren, jetzt aber weit geöffnet standen, durchbrach eine tiefe Felsspalte quer den Weg und wurde von einer in Ketten hängenden Zugbrücke überdeckt. Männer standen auf den Mauern und unter dem Tor in verschiedenartigen reichen und ärmlichen Gewändern und Trachten, alle bewaffnet und in ihrer Mitte eine hohe Frau, über die erste Blüte der Jahre hinaus, aber mit wohlerhaltenem, stolzem und kühnem Gesicht und mit prächtigen Kleidern und Juwelen geschmückt.

Neben dieser königlich ausschauenden Frau, und in der Tat war sie die Königin einer mächtigen und kriegerischen Nation gewesen, standen ein junges Mädchen und zwei Männer, die gleiche Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Das Mädchen war gleich prächtig gekleidet wie ihre Mutter, denn obschon ihr Gesicht von einem Schleier bedeckt war, hinderte dieser doch nicht das Erkennen. Der eine Mann trug die hohe persische Mütze von schwarzem Schaffell und den langen blauen Talar dieses Volkes. Der wilde Ausdruck des Gesichts und die schwere Bewaffnung deuteten jedoch darauf hin, daß er einem der kriegerischen Nachbarstämme, und zwar dem Afghanenvolk, angehöre, diesen erbitterten und glücklichen Gegnern der Engländer. Der andere war ein Greis von ernstem, strengem Ansehen, und obwohl seine Farbe von der Sonne des Ostens so mahagonibraun gefärbt war, wie die der Eingeborenen, bewiesen doch die Züge dieses Gesichts und der Orden der französischen Ehrenlegion, den er auf seinem Kaftan trug, daß er ein geborener Europäer war.

Sobald Murad-Khan der hohen Dame ansichtig wurde, sprang er von seinem Rosse und nahte ihr mit Ehrerbietung.

»Möge Wischnu, der Erhalter, der hohen Rani langes Leben und den Sieg über ihre Feinde verleihen, daß diese Augen sie wiedersehen auf dem goldenen Thron von Lahore,« sagte der junge Sikhkrieger. »Dein Sklave ist zurückgekehrt, früher, als er es gehofft, nach dem Willen unseres Gastfreundes, der einen Freund gefunden aus dem Lande der Faringi, obschon er nicht von dem Volk unserer Tyrannen ist.«

Die Augen der Rani, der letzten Königin des Sikhstaates, wandten sich auf den Deutschen und dann auf den Serdar.

»Tukallah ist ein so weiser und treuer Mann,« entgegnete sie, »daß er keinen Verräter in unsere Nähe bringen wird. Sein Gast ist der Rani willkommen, auch wenn sie ihn nicht kennt.«

»Der dir naht,« sprach der Mahratte, »kann die Hoffnung deines Hauses werden. Wir haben in ihm gefunden, was wir suchten, und der junge Maharadschah der Sikhs soll frei sein, ehe der Mond sich aufs neue füllt!«

Auf diese Versicherung reichte die entthronte Fürstin dem Deutschen die Hand nach europäischer Sitte.

»Möge dein Wort zur Wahrheit werden, weiser Serdar der Mahratten, unserer Brüder!«

Damit verließ sie den Eingang und schritt in Begleitung ihrer Tochter der Gesellschaft voran durch das Tor in das Innere der Burg. Der Mahrattenfürst ging an ihrer andern Seite und redete heimlich und eifrig mit ihr.

Der Khan legte die Hand auf den Arm seines neuen Freundes. »Was sagte der weise Arzt der Franken zu der Rose von Lahore?«

»Sie muß in ihrer Jugend schön gewesen sein,« entgegnete er, »und ihr Auge ist noch feurig und voll Hoheit.«

Der Greis mit dem europaischen Gesichtsausdruck, der an ihrer Seite ging, lachte über das Mißverständnis.

»Der tapfere Murad,« sagte er in französischer Sprache, »glaubt, daß wenn er von einer Dame spricht, jedermann wissen muß, daß es nur von seiner Verlobten, der Prinzessin Mahana, der Tochter der Rani, geschehen kann. Es war das junge Mädchen an der Seite ihrer Mutter. Doch erlauben Sie, mein Herr, da unser junger Freund uns bereits benachrichtigt hat, daß Sie kein Engländer von Geburt sind, Sie zu fragen, welcher Nation Sie angehören?«

»Ich bin ein Deutscher, ein Preuße!«

Die Stirn des Greises verfinsterte sich einen Augenblick, dann aber reichte er dem Arzt zum Willkommen die Hand. »Die Preußen waren Feinde meines großen Kaisers,« sagte er in Erinnerungen verloren, »aber sie sind eine brave Nation und begnügen sich, den Löwen zu besiegen, nicht ihn zu ermorden. In meiner Jugend war ich unter den französischen Adlern in Ihrem Vaterland und zog in die Tore Ihrer Hauptstadt ein. Verzeihen Sie einem alten Mann die glorreichen Erinnerungen seiner jüngeren Jahre.«

»So sind Sie einer der alten napoleonischen Offiziere in den Heeren der indischen Fürsten?«

»Ich bin der General Ventura,« sagte der Greis mit einigem Stolz, »früher Kapitän der französischen Armee, seit 1822 in Diensten des berühmten Rundschit Sing und seiner Nachfolger, jetzt mit ihnen ein flüchtiger Verfolgter. Da Sie bereits bei Ihrem Eintritt das wichtigere Geheimnis von der Anwesenheit der Maharani erfahren haben, nehme ich keinen Anstand, auch meinen Namen Ihrer Ehre anzuvertrauen.«

Der Preuße verbeugte sich. »Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß das, was ich hier sehe und höre, in meiner Brust verschlossen bleibt. Überdies bin ich gewissermaßen selbst ein Flüchtling, wenigstens würden mich englische Augen als solchen betrachten.«

Der Vorhof, den sie zuerst betraten, enthielt zu beiden Seiten unter großen kolonnadenartigen Bogen die Ställe der Pferde und die Wohnungen der Krieger und Diener, welche die Besatzung der Burg bildeten. Zahlreiche Männer, bewaffnet oder in Pilgerkleidern, gleich als hätten sie einen weiten Weg zurückgelegt, standen und saßen umher, besonders um den Rand des steinernen zisternenartigen Brunnens, der sich in der Mitte des Hofes öffnete. Sie alle erhoben sich und machten ehrerbietig ihren Salem oder Gruß, als der Serdar mit seinen Begleitern vorüberschritt nach dem Gittertor, das sich in der zweiten Gebäudereihe öffnete. Zwei Krieger hielten an dem Tore Wache, von dem aus eine breite Treppe von schwarzem Marmor emporführte, zum nächsten Hof, der nur zwei oder drei Fuß tiefer lag als das flache Dach der zweiten Reihe, mit demselben durch Zugänge und Stufen verbunden. So einfach finster und kriegerisch auch die vordere Hälfte des Mahrattenschlosses erschien, so verschwenderisch reich und reizend, dem Charakter des lieblichen Tales angemessen, war dieser Teil ausgestattet.

Die Pagode oder der Tempel, der die Mitte des Gebäudes einnahm, war ein Prachtwerk des zierlichen und kunstvollen altindischen Baustils und mochte, wie die ganze Burg, mehr als ein halbes Jahrtausend zählen. Die beiden Marmortreppen, die sich um die Pagode zur Höhe des Gebäudes wanden, zeigten rechts und links Seiteneingänge in dasselbe, und zwei riesige Mohrensklaven, die mit blanken Säbeln an dem Fuß der Doppeltreppe Wache hielten, bestärkten noch die Vermutung des Arztes, daß ein Teil dieses Gebäudes und die oberste Terrasse die Zenana oder den Aufenthalt der Frauen bildeten.

Diese Vermutung bestätigte sich auch, indem die Maharani mit ihrer Tochter alsbald sich auf einer Seite der Treppen entfernte und in das Innere des Gebäudes hinabstieg, während der Serdar sich dem Arzte näherte und zwei Diener herbeiwinkte, die ihnen aus dem Vorhof gefolgt waren.

»Mein Freund und Gast,« sagte der Mahratte, »wird müde sein nach dem anstrengenden Ritt. Diese beiden werden zu deinem Dienst bereit sein, bis ich dir einen eigenen Diener geben kann. Jener Pavillon soll deine Wohnung sein, und wenn du geruht hast, wollen wir von dem sprechen, was uns beiden wichtig ist.«

Es war dem Arzt nicht unlieb, auf diese Weise einige Ruhe zu genießen, denn die überstandene Gefahr, die wechselnden Eindrücke und der angestrengte Ritt hatten seine Kräfte erschöpft. So folgte er denn den Dienern und ward nach dem Kiosk, den der Serdar ihm zur Wohnung angewiesen, geführt. Hier fand er köstliche Früchte, Scherbett und Kaffee zu seiner Erfrischung bereit, und nachdem er davon genossen, warf er sich auf das Lager aus Kissen und Teppichen und sank sogleich in einen tiefen und festen Schlaf.

Die Mittagssonne war vorüber, und die Sonne senkte sich zum Untergang, als er neu gekräftigt die Augen öffnete und sich emporrichtete, erstaunt, sich in so fremder prächtiger Umgebung zu sehen, bis die Erinnerung an das Vergangene ihm zurückkehrte.

An der Tür des Gemachs kauerte ein Diener, dessen Antlitz er schon gesehen zu haben vermeinte, obschon er mit den indischen Physiognomien noch zu wenig vertraut war, um sich genügend erinnern zu können, wann und wo dies geschehen.

Der Diener erhob sich soqleich, als er das Erwachen des Arztes bemerkte, und trat an sein Lager.

»Was befiehlst du, Sahib? Dein Diener ist bereit, deine Befehle zu vollziehen!«

»Der Serdar sagte mir, daß er einen eigenen Diener mir bestimmt hat. Bist du der Mann?«

»Ich habe einen Eid geleistet auf das, was mir das Heiligste ist, jedem deiner Winke zu gehorchen, und mit meinem Leben das deine zu schützen, bis die Zeit gekommen, wo ich wieder frei sein kann. Ich bin dein Sklave, ein Hauch in deinem Munde, ein Nichts vor deinen Augen, so lange ich dir diene. Dein Wort ist mein Gesetz und dein Gebot mein Leben. Die Dunkeläugige hat es befohlen!«

Obschon Walding die bilderreiche und überschwängliche Redeweise der Orientalen bereits kannte, waren ihm diese Versicherungen seines neuen Dieners doch auffallend, und er fragte daher:

»Wie kommt es, daß du mir, der ich dir ein Fremder bin, dein Leben und Sein weihen willst, während ich doch höchstens die Ergebenheit und die Dienste von dir fordern kann, die jeder Herr von seinem Diener zu verlangen berechtigt ist? – Zunächst, wie nennst du dich?«

»Kassim, Sahib!«

»Dann beantworte mir meine Frage, Kassim.«

»Sahib, ich bin nicht dein Diener, ich bin dein Mayadar!«

»Was ist das – ich verstehe den Ausdruck nicht. Erkläre mir ihn!«

»Meine Worte haben es bereits getan. Ich bin der Schatten deines Schattens. Wenn ein Mann sich einem andern durch einen heiligen Eidschwur verlobt hat, so ist er von der Stunde an sein Mayadar, bis Mahadeoh, der Gott des Todes, einen oder den andern von diesem Leben befreit. Kassim war ein freier Mann, aber der Wille eines Mächtigeren hat ihm zum Hunde eines Faringi gemacht.«

»Und wenn ich mich weigere, deine Dienste anzunehmen?«

Der Hindu lächelte verächtlich. »Kannst du dem Ganges gebieten, rückwärts zu fließen? Mein Schicksal ist an das deine geknüpft durch geheimnisvolle Mächte, über die wir beide nichts vermögen. Nur dein Tod oder der meine kann mich erlösen, und so lange habe ich mein Blut für deinen Willen zu geben.«

»Und wer ist es, der dir diesen Eid auferlegen konnte?«

»Wer anders als Tukallah, der Gebieter dieser Burg und des Tales!«

Walding erhob sich, um eine kurze und einfache Toilette zu machen. Er fand einen vollständigen indischen Anzug vor dem Diwan, dessen er sich nach Kassims Erklärung bedienen sollte und den er nach kurzer Überlegung mit dessen Hilfe anlegte. Bald war er in den weißen Kaftan, den Turban und den weiten wollenen Beinkleidern eines Parsen, deren Sekte die meisten Kaufleute Indiens angehören, gekleidet, steckte den zu dem Anzug gehörenden Yatagan in seinen Gürtel und folgte seinem neuen Diener, der ihn durch den Garten nach der Treppe begleitete, die um die Pagode hinauf zur höchsten Terrasse des Schlosses und den Räumen der Zenana führte. Die schwarzen Wächter am Eingang, die sonst kein männliches Wesen diese Schwelle überschreiten ließen, schienen bereits benachrichtigt, denn sie senkten ihre Säbel und ließen die beiden ohne weiteres passieren.

Auf der Höhe der Terrasse angekommen, fanden sie auf der einen Seite unter einem Sonnenzelt Tukallah, auf Kissen sitzend und die Hukah rauchend. An dem andern Ende der Terrasse war ein ähnliches Zelt aufgeschlagen, und Walding glaubte dort Frauengewänder schimmern zu sehen, doch verhinderte eine Wand blühender Gesträuche jedes nähere Erkennen.

Auf einen Wink nahm der Deutsche neben dem Sirdar Platz und wurde mit Kaffee und einer kostbaren Pfeife bedient, während Kassim wieder die Terrasse verließ.

»Wir sind allein,« sagte Tukallah, »denn der Mund dieses Sklaven ist auf immer verschlossen, und seine Seele ist mir ergeben. Es wird den weisen Arzt der Faringi manches in Erstaunen gesetzt haben. Er möge fragen, und Tukallah wird ihm antworten.«

»Zunächst,« entgegnete der Deutsche, »glaube ich, daß du mich aus einer schweren Lebensgefahr, ja vom Tode gerettet hast, obschon mir die Umstände dieser Gefahr und Rettung noch immer dunkel sind. Nimm meinen Dank dafür, denn wenn an meinem Leben auch wenig gelegen, so kann seine Erhaltung doch deinem Volke selbst nützlich sein.«

»Du hast weise getan, von der Gefahr nicht zu sprechen, in die ein unbesonnener Reisender in dieser Wüste leicht verfällt. Wie kommt es, daß ich den Freund des Somroo, den ich in England verließ, am Rande der Thur wiederfand?«

»Du erinnerst dich, daß ich zwei Monate nach dem Tode des Sir Dyce und jenem schrecklichen Morgen, an dem Kapitän Ochterlony verhaftet wurde, noch in London blieb, um dem Kapitän jede mögliche Hilfe zu leisten, seine Angelegenheiten zu ordnen und Nachforschungen nach dem verlorenen Testament anzustellen.«

Der Indier bejahte.

»Es war vergebliche Mühe! Der Prozeß, den wir auf Grund des früheren Testaments anstellten, hatte nicht den geringsten Erfolg ohne die legalisierten Dokumente, und selbst wenn diese herbeizuschaffen gewesen wären, war der Erfolg, wie mir Duncombe, der Notar, versicherte, mehr als zweifelhaft. Dazu fehlten mir die Mittel zur Betreibung eines Prozesses, welcher bei dem Gange der englischen Zivilrechtspflege über ein Menschenalter dauern mußte. Unsere Feinde waren mächtig und hatten einen Hinterhalt an der Regierung und der Kompagnie – der Mann, der allein vermocht hätte, ihnen Trotz zu bieten, lag unter einer falschen, aber furchtbaren Kriminalanklage im Kerker, und der Sieg seiner Feinde war gewiß. Du selbst weißt, daß er mir durch Duncombe anempfehlen, ja gebieten ließ, ihn seinem Schicksal zu überlassen und vor den Verfolgungen unserer Gegner nach dem Kontinent zu flüchten, um von dort mich nach Indien einzuschiffen und dem von dem toten Freunde ernannten Erben, dem Srinath Bahadur, jenes Schreiben auszuliefern, das wir glücklich gerettet. Ich wußte jeden meiner Schritte beobachtet von unseren Gegnern, und so ging ich, wie ich hoffte, heimlich nach Plymouth, um mich dort nach Frankreich einzuschiffen – aber das Auge der Verfolgung war hinter mir, ich wurde überfallen, zu Boden geschlagen und in bewußtlosem Zustande geplündert. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich am Bord eines Kriegsschiffes – ich war zum gemeinen Matrosen gepreßt und wurde als solcher behandelt.«

Die Augen des Sirdar funkelten unter den grauen, buschigen Brauen. »So hat man dich jenes Schreibens an Nena Sahib beraubt, das Dyce Sombre euch beiden anvertraut hatte?«

»Es ist hier – ein glücklicher Zufall hat es gerettet, und ich habe es bewahrt nach dem Willen des Kapitäns. Höre mich weiter an, Tukallah. Obschon ich mich auf dem Schlff weigerte, Handgeld zu nehmen und meine Freiheit forderte, hielt man mich doch zurück. Mehrere Monate nachher, als wir an der afrikanischen Küste kreuzten und ich empörende Mißhandlungen erduldet, traf ich durch ein seltsames Geschick an dem Grabe des Mannes, der einst Englands größter Feind gewesen, mit Männern zusammen, die dort ihren Racheschwur gegen die britische Tyrannei vereinten. Unter diesen Männern befand sich Kapitän Ochterlony, jetzt ein Deportierter, auf dem Weg nach Botani-Bai, und Baber Dutt, der Bruder Nena Sahibs. – Nach dem Willen des Kapitäns blieb ich auf dem Schiff, das nach den indischen Meeren bestimmt war, und von dem ich ohnehin nicht hätte entfliehen können, bis sich eine günstige Gelegenheit zur Erfüllung unserer Absichten zeigen würde. Fünf Jahre waren der Zeitraum, innerhalb dessen wir uns in Indien in der Nähe Nena Sahibs wiederfinden sollten, denn auch er hoffte in dieser Zeit von Australien Gelegenheit zur Flucht zu finden. Das Schiff, dem ich angehörte, wurde vom Admiral nach Ozeanien gesandt, und erst vor etwa Jahresfrist in das arabische Meer beordert. Mein Leben am Bord hatte sich zwar gebessert denn als bei der auf dem Schiff ausgebrochenen Cholera der Arzt und sein erster Gehilfe gestorben waren, übernahm ich aus Menschenpflicht des ersteren Funktion, und habe sie vier Jahre lang gewissenhaft geübt. Ich bezog das Gehalt, denn ich mußte leben, aber ich weigerte mich, trotz der Freundlichkeit, die ich bei der Bemannung fand, definitiv in die englischen Dienste zu treten. So wurde mir die Gelegenheit erschwert, das Schiff zu verlassen, wenn es sich in Bombay befand, und erst auf einer Expedition in das Sindh, den Indus hinauf, gelang es mir bei einer Jagdpartie, mich von meinen Begleitern zu entfernen und, jeder Gefahr trotzend, den Weg in das Innere Indiens einzuschlagen. Da ich des Hindostani jetzt vollkommen mächtig war, hoffte ich, glücklich nach Audh zu gelangen und vielleicht am Hofe des Bahadur Nachricht von Kapitän Ochterlony zu erlangen. Ich wanderte nach dem Kompaß mehrere Tage, indem ich die bewohnten Gegenden vermied, um mich erst genügend vom Ufer des Setletsch zu entfernen, ehe ich mich unter irgend einem Vorwand, der meine Kleidung und mein Alleinsein erklärte, einer Reisegesellschaft nach dem Osten anschloß. Dies ist meine Geschichte, würdiger Sirdar, und ich hoffe, durch einen so glücklich und unerwartet aufgefundenen Beistand jetzt die Mittel zu erhalten, nach Audh und unter den Schutz des Srinath Bahadur zu gelangen.«

Der Alte wiegte einige Augenblicke sinnend das Haupt.

»Du sprachst von einem Eid, den die Männer gegen die Faringi geleistet. Hast du daran teil genommen?«

»Ich schwor ihn mit, obschon es mir, aufrichtig gestanden, leid tut, daß ich mich von der Erbitterung über einzelne tyrannische Handlungen zur Verdammung einer ganzen Nation hinreißen ließ, die viele Edle und Gute in ihrer Mitte zählt!«

Der Mahratte lächelte verächtlich. »Dein Eid kettet dich an die Feinde Englands, wenn auch dein Herz schwankendes Rohr ist, wie das Herz dessen war, der in dem Nebellande schläft. Du willst zu Nena Sahib?«

»Es ist meine Pflicht!«

»Er ist ein schwankendes Rohr, wie du bist und Dyce Sombre war, halb Hindu, halb Faringi, zum Weib geworden an dem Busen eines Weibes. Ehe das Weltall um 24 Stunden älter ist, wird sich entscheiden, ob er zu unseren Freunden oder Feinden zählt.«

»Wie meinst du das?«

»Ehe die Sonne zum zweitenmal sinkt, wird Nena Sahib in den Mauern dieser Burg sein.«

»Er kommt hierher?«

»Seine Läufer haben die Kunde mir vor drei Tagen gebracht. Er ist auf dem Rückweg nach Delhi von Bombay, wohin er sich vor Mondenfrist zu den Wettrennen der Faringi begeben hat, denen der Tor nachläuft.«

»Das ist ein seltener und glücklicher Zufall,« sagte der Arzt, »und ich bin dir umsomehr deshalb Dank schuldig. Doch Tukallah, wenn es dich nicht beleidigt, möchte ich wohl hören, wie du nach Indien zurück und zu dieser Macht kamst, während ich dich nur für einen Diener unseres verstorbenen Freundes hielt?«

Der Sirdar schaute nachdenkend, gleich als habe er die Frage nicht gehört, auf den Arzt.

»Ich habe dein Leben gerettet, in einem Augenblick, da Mahadeoh bereits seine schwarze Hand auf deine Stirn gelegt hatte.«

»Ich ahnte es – und ich wiederhole dir meinen Dank!«

»Hast du den Mut, ihn mit einer Tat zu bewähren?«

»Ich bin bereit mit meinem Blut die Aufrichtigkeit meiner Gefühle zu bekräftigen.«

»So gieb einer Mutter ihren Sohn, einer Schwester den Bruder, einem Lande seinen rechtmäßigen Gebieter zurück!«

»Ich verstehe dich nicht! Was vermag ich, ein Fremdling, in diesem Lande?«

»Höre mich an! Was du auf Malangher, meiner Burg, auch sehen und hören mögest, gelobe mir Schweigen, auch wenn du die Bitte, die ich im Namen einer trauernden Mutter dir ans Herz lege, zurückweisen solltest.«

»Ich gelobe es dir! Die Ehre verpflichtet mich schon dazu.«

»Du fragtest mich soeben, wie ich in den Besitz dieses Schlosses gekommen, da ich doch im Lande der Faringi der Diener eines andern Mannes gewesen sei?«

»Ich gestehe – der Wechsel erschien mir seltsam, obschon in diesem Lande der Wunder eigentlich nichts in Verwunderung setzen sollte.«

»Ich war nicht der Diener, sondern der Mayadar Dyce Sombres. Verstehst du, was das Wort zu bedeuten hat?«

»Eine Art von Blutbrüderschaft zwischen Diener und Herrn. Ich habe diese Bedeutung von dem Manne erfahren, den du zu meinem Diener bestimmt hast, und hörte mit Erstaunen, daß er mein Mayadar geworden.«

»Nimm ihn als Geschenk, das ich dir mache. – Mein Vater war ein Mahrattenfürst – er zählte drei Söhne, ich war der jüngste. In einem Kampf gegen die Faringi rettete Oberst David Ochterlony, ein Oheim des Kapitäns und ein Freund der Begum von Somroo und der Pate ihres Enkels David Dyce Ochterlony Sombre, meinen Vater vom Tode am Galgen, und dieser gelobte dafür Friede mit den Faringis und gab mich, seinen jüngsten Sohn, den Gehaßten zur Geißel, indem er mir den Eid eines Mayadar für den Paten seines Retters auferlegte. Ich zählte damals zwanzig Jahre und der Knabe zwölf. Seitdem blieb ich am Hofe der Begum, bis sie starb, und Dyce über das Meer zog. Ich habe den Eid gehalten, bis er gestorben war – sein Tod machte mich frei und gab mich meiner Kaste wieder. Als die Gerichte der Faringi den Kapitän wegen eines Verbrechens verurteilten, das er nicht begangen, kehrte ich mit dem nächsten Schiff nach Indien zurück. Ich fand meinen Vater und meine Brüder tot, gefallen im Kampfe gegen die Engländer, ihre Habe in den Klauen jener Kompagnie. Nur in den Einöden der Thur, wo die Familie meiner Mutter ihre Besitzungen gehabt, war Gerechtigkeit zu finden, und sie, die das Erbe Tukallahs dreißig Jahre bewahrt, sie gaben es ihm zurück, als er den Namen seiner Väter nannte.«

»Du hast mir noch immer nicht angedeutet, edler Sirdar,« sagte er, »wie ich einer Mutter ihren Sohn zurückzugeben vermag.«

Der Mahrattenfürst klatschte dreimal in die Hände, worauf sich die Blumenwand auf der anderen Seite des Daches öffnete und die Rani, von ihrer Tochter begleitet, hervorkam. Tukallah ging ihr ehrerbietig entgegen und führte die Frauen zu dem Sitz, den sie einnahmen, während der schwarze Diener sich entfernte.

»Was Du zu wissen begehrst,« hob der Sirdar wieder an, »sollst du alsogleich erfahren. Du wirst wissen, daß Rundschit Sing, der große und berühmte Maharadschah des Volkes der Siths, im Jahre 1839 in Lahore starb. Der Löwe des Pendschab hinterließ sein Reich Khuruk Sing, seinem ältesten Sohne, dessen Wessire Dheian Sing und Gholab Sing von der edlen Familie der Dschummu waren, der letztere der Vater des jungen Kriegers, der an deiner Seite durch die Wüste ritt.

»Dheian und Gholab aber riefen den verbannten Sohn des neuen Maharadschah, Nau Nehal, von der Grenze Afghanistans, und setzten die Krone seines schwachen Vaters auf sein Haupt, aber Schiwa zürnte ihm, und als er auf seinem Elefanten aus dem Tore von Lahore ritt, fiel ein Balken herunter und erschlug ihn. Den Thron von Lahore nahm Sher Sing, der zweite Sohn Rundschits ein, von den Khalsas zum Maharadschah ausgerufen. Die Dschummus hatten mächtige Feinde, die Familie der Sindawalla, die, von den Faringis unterstützt, schon früher den Sohn Rundschits vom Throne ausschließen und diesen der Gattin Khuruks geben wollten, damit die Fremden herrschen möchten im Lande der Sikhs. Wenn der Zorn des Maharadschah und seiner Getreuen gegen sie war, flohen sie auf das Gebiet der Faringi und hielten sich dort auf, bis deren Gesandten mit den gespaltenen Zungen ihnen die Erlaubnis zur Wiederkehr erwirkt hatten. Aufs neue schmiedeten sie Verrat, mordeten hinterrücks den Maharadschah und seinen ersten Wessir und wollten das Land den Engländern übergeben. Da erhob sich wiederum das Heer der Sikhs unter General Ventura, den du gesehen, erschlug die Sindawalla-Häuptlinge, setzte Dhulip Sing, einen Knaben von sieben Jahren, den jüngsten Sohn des verstorbenen Rundschits und seine Mutter, die Mahe Tschund, auf den Thron von Lahore (1843). Aber die Faringis – lüstern nach dem Besitz des Pendschab – spannen fortwährend gegen die Rani und ihren Sohn Intriguen und erregten Aufruhr im Lande. Offen rüsteten sie zum Kriege und zur Eroberung des Pendschab, wie die Zeitungen Englands dreist verkündeten. Sie weigerten sich, den Schatz herauszugeben, den der Bruder der Rani in einer ihrer Festungen niedergelegt, verweigerten den Sikhshäuptlingen ihr Erbe auf der linken Seite des Sedletsch und sperrten die Wege, so durch tausend Schikanen und Ungerechtigkeiten den Kampf herausfordernd, bis endlich erbittert die Khaljas mit ihren Sirdars im nächsten Jahr über den Sedletsch zogen, 60 000 Mann und 200 Kanonen, ihr Eigentum zu schützen und die Faringis zu züchtigen. Das Schicksal der Schlachten war gegen sie, sie wurden geschlagen in den Schlachten von Ferodscha und Sobraon trotz ihrer Tapferkeit. Die Engländer verlockten die Hindus, die unter den Sikhs dienten, zum Abfall, drangen über den Sedletsch, erklärten das Land an beiden Ufern für ihr Eigentum und zogen in Lahore ein. Obschon der junge Maharadschah nichts für den Kriegszug seiner wilden Krieger konnte, nahmen die Faringi ihm die Hälfte seines Landes, vernichteten die Armee seines großen Vaters und stellten die Regierung des unabhängigen Landes unter die Aufsicht eines englischen Residenten.«

»Drei Jahre,« erzählte der Sirdar weiter, »waren unter diesem Druck vergangen, der so gewaltig auf dem tapferen Volke lastete, daß die Sikhs selbst ihren Haß gegen die Anhänger Muhameds des Propheten vergaßen und sich mit Mohamed, dem Emir von Kabul, im Lande der Afghanen, verbanden, um ihre Freiheit wiederzugewinnen. Mulradsch Khan erschlug die Faringi-Offiziere, die zu ihm nach Multan gekommen, ihn seines Erbes zu berauben, und noch einmal sammelten sich die tapferen Krieger Rundschits und schlugen die Engländer am Tschenab und bei Tschillianwallah in die Flucht1848,1849. Da zogen auf ihren Schiffen von allen Seiten die Heere der Faringi heran, Verrat schlich sich zwischen die Sikhs und Afghanen, die Agenten der Europäer streuten Zwietracht zwischen die Führer, und einzeln wurden die Tapferen geschlagen. Sechzigtausend edle Krieger fielen kämpfend für die Freiheit ihres Landes, und die Faringi stürzten den Thron des Löwen Rundschit, vor dessen Brüllen sie einst gezittert, und machten das Reich tapferer Soldaten zum Eigentum ihrer Kaufleute. Dhulip Sing, den Knaben, den sie seiner Krone beraubt, dessen Kindesalter – denn er zählte kaum dreizehn Jahr – ihnen nie ein Leid getan, schleppten die Räuber nach einer ihrer Festungen und halten ihn dort gefangen, damit sein Name nicht dazu diene, daß noch einmal das Volk der Sikhs sich um ihn schare.«

»Und die Maharani, seine Mutter?«

»Man hatte sie gleichfalls eingesperrt in eine ihrer Festungen, aber sie entfloh mit Hilfe ihrer Getreuen und begab sich nach Nepal, klagend um den Sohn und Hilfe suchend gegen die Räuber ihres Thrones. Und jetzt – –«

Was der Arzt bereits geahnt, zeigte sich begründet. Die hohe Frau vor ihm, die mit immer leidenschaftlicherer Erregung der Erzählung gefolgt war, erfaßte seine Hand.

»Sie – die beraubte Mutter, die beraubte Königin sitzt vor dir! Ich bin die Maharani Mahe Tschund, die Flüchtige, die Mutter Dhulips, die dich anfleht, weiser Fremdling, ihr den Sohn, diesem Mädchen seinen Bruder zurückzugeben!«

»Hoheit,« sagte der Deutsche – »wenn meine schwache Kraft etwas vermag in eurem Dienst, so soll sie euch gewidmet sein, aber ich fürchte ...«

»Du bist der Mann, der uns fehlt zu dem Werk der Befreiung,« unterbrach ihn der Sirdar. »Einem Europäer allein kann es gelingen, zu Dhulip Sing zu dringen und seine Flucht unbeargwohnt vorzubereiten. Murad Khan wird dein Gefährte sein auf dem Weg nach Firozpur, wo der Prinz gefangen ist. Alles ist vorbereitet, nur das Haupt fehlt, das den Plan ausführen kann. Wenn du einwilligst, so ist der Prinz frei, ehe der Mond zweimal gewechselt.«

Die glänzenden stolzen Augen der entthronten Königin, die sanften Blicke des jungen Mädchens ruhten so flehend auf ihm, daß er nicht widerstehen konnte.

»Wie es auch kommen möge,« sagte er entschlossen, »du hast mein Leben gerettet, und es gehört der Tat, die du ihm bestimmst. Aber wie soll ich dorthin gelangen und in die Festung?«

»Du wirst mit Srinath Bahadur dich nach Audh begeben und dort die Mittel erfahren, deinen Zweck zu erreichen. Murad Khan findet dort einen Mann, der eure Wege leiten wird. Jetzt, wo das Herz dieser Frauen beruhigt, laß uns aufbrechen und zu dem Feste gehen, das ich euch bereitet.«

Das Gespräch hatte die Aufmerksamkeit des Sirdars von der Beobachtung des Tales abgewendet, so daß er die Annäherung des an der Grenze der Thur zurückgelassenen Reisezuges nicht beachtet hatte, denn allen unerwartet verkündeten jetzt die drei Hornstöße die Ankunft von Fremden und forderten Einlaß in die Burg.

Auf das Zeichen erschien der Herr derselben und begab sich, von seinen Gästen gefolgt, an den äußeren Turm. Die ankommende Schar bestand aus Kriegern, Dienern und Jägern, welche der Mahratten- Fürst in den Dschungeln zur Aufsuchung und Nachführung erwarteter Personen zurückgelassen hatte. Diese waren zwei Männer im mittlern Alter und einfacher europäischer Kleidung mit zwei orientalischen Dienern. Die Fremden, obschon sie Zivil trugen, hatten ein unverkennbar militärisches Äußere und bekundeten in ihrem Benehmen die Männer von vornehmer Geburt und Erziehung, was den Arzt in seiner Vermutung bestärkte, daß sie nichts weniger als einfache Reisende, sondern Agenten jenes gewaltigen Reiches seien, dessen Zusammenstoß mit den Engländern in Asien über kurz oder lang erfolgen muß.

Die Ankommenden schienen gemächlicher gereist, als der Zug des Sirdars in der Nacht vorher, denn sie waren keineswegs ermüdet, und nachdem sie die notwendige Erfrischung der heißen Länder, ein Bad genommen, fanden sie sich bei der Gesellschaft ein, die nun wieder im Garten zusammengekommen.

Dieser war jetzt zauberisch erleuchtet und gewährte zum ersten Male dem Arzt das Bild eines jener indischen Feste, von deren Wunderpracht die Reisenden so viel erzählen.

Festons bunter Papierlaternen hingen von Baum zu Baum in den barocksten Formen und Bildern.

Feuerbecken von wohlriechendem Harz und Sandelholz brannten um die Fontänen und brachen ihren Schein in den Millionen perlender Tropfen, und das murmelnde Geräusch der fallenden Kaskaden paßte wundersam zu dem eigentümlichen Anblick des Ganzen.

Zwischen den Blumen auf dem weichen Rasen und den mit glänzenden farbigen Kieseln ausgelegten Wegen schritten die Pfauen umher, schlugen ihr buntes Rad und ließen von Zeit zu Zeit ihr Geschrei erschallen.

Für die Maharani war unter den Boskets von Rosen, Jasmin und Oleander eine Art von Thron, mit kostbaren Schals drapiert, errichtet, auf dem sie bei ihrem Erscheinen Platz nahm. Der Sirdar führte ihr hierauf die beiden Fremden zu und stellte sie ihr vor; da dies aber in persischer Sprache geschah, verstand der Arzt nichts davon und blieb auf seine Vermutungen beschränkt. Die Rani sprach lange und eifrig mit ihnen, dann ließ sie dieselben an ihrer linken Seite Platz nehmen und winkte dem Arzt zu dem Ehrensitz an ihrer Rechten. General Ventura, der Afghanen-Häuptling, Murad-Khan und mehrere Mahrattenkrieger bildeten außerdem die Gesellschaft.

Das Fest begann mit der in Indien üblichen Besprengung der Gäste mit Rosenöl. Dann brachten andere Diener auf goldenen Tellern die in Blättern des Betelbaumes eingehüllten Arekanüsse und überreichten sie jedem der Gaste.

Es wäre eine schwere Beleidigung des Wirtes, diese Frucht zurückzuweisen, selbst wenn man davon nicht jenen Gebrauch machen kann, den die Indier, Männer und Frauen, mit so leidenschaftlicher Vorliebe pflegen. Walding sah mit einigem Erstaunen, wie alsbald auch die Maharani die Betelnuß in ihren Mund steckte und mit Behagen zu kauen begann.

Zugleich trat auf jeden Gast ein besonderer Diener zu und stellte eine kristallene, mit Rosenwasser gefüllte Hukah vor ihn, zündete den duftigen Tabak von Schiraz an und legte das mit Edelsteinen verzierte Mundstück zwischen die Lippen des Gastes.

Der Sirdar klatschte in die Hände, und alsbald erschien ein Spaßmacher und Märchenerzähler, hockte vor der Gesellschaft auf seinen Fersen nieder und begann mit leise singender Stimme, bald in Versen, bald in Prosa redend, die im Pendschab einheimische und durch ganz Indien beliebte Erzählung von dem Liebespaar Hir und Ranjhan.

Die Erzählung, die der Sänger der Versammlung zum besten gab, erntete großes Lob und jeder warf eine Münze in des Mannes Kappe, ehe dieser sich zurückzog.

Ein neues Zeichen des Sirdars und eine Gesellschaft Gaukler und Zauberer erschien auf dem Platz.

Die Gesellschaft der Jongleure und Zauberer, die auf dem Platz erschien, bestand aus vier Personen: einem großen robusten Schwarzen, einem kleinen Chinesen mit langem Zopf, einer Frau und einem Knaben. Sie führten nur einen Korb, eine große Bastmatte und eine wollene Decke, einige Waffen, Stäbe, Messer und Kugeln bei sich, Geräte, die sie jedermann zur Prüfung anboten.

Die Künste begannen damit, daß der Chinese eine wohl zehn Ellen hohe und oben scharf zugespitzte Bambusstange aufrecht und ohne weiteren Halt frei auf die Matte stellte, an ihr mit der Geschwindigkeit eines Affen emporstieg, sich mit dem Nabel auf deren Spitze warf und den Leib in horizontaler Linie gleich einer Scheibe so schnell herumzuwirbeln begann; daß die Augen der Zuschauer seinen Bewegungen kaum zu folgen vermochten.

Den Anwesenden schien dieses Kunststück jedoch ein sehr gewöhnliches, oft gesehenes, denn als Walding entsetzt und fragend auf sie schaute, blickten sie sehr gleichgültig auf die Anstrengungen des kleinen Jongleurs, der sich jetzt wieder bis auf die äußerste Spitze hinauf gewirbelt hatte, mit Blitzesschnelle an der Stange herunterglitt, die der Knabe auffing, dann eines der am Boden liegenden langen Messer ergriff und es mehreremal durch das Hemd bis ans Heft sich in die Brust stieß, so daß das Blut sofort seine ärmliche Kleidung übergoß und bis zu den Füßen der Gesellschaft spritzte.

Walding sprang mit einem Ruf des Entsetzens auf und eilte dem Unglücklichen zu Hilfe, aber der Chinese machte ihm eine tiefe Verbeugung, überreichte ihm das Messer und öffnete das Hemd auf seiner Brust – keine Spur einer Verletzung war auf dieser zu sehen, und den Getäuschten begrüßte das Gelächter des alten französischen Offiziers und des jungen Khans.

Der Knabe trat nun auf die Matte und begann das bekannte Kugelspiel mit einer Anzahl von glänzenden Kugeln und Messern, das er mit großer Geschicklichkeit und Gewandtheit ausführte, dann einen Gegenstand nach dem anderen hoch in die Luft zu werfen begann, daß er sich über den Lichtkreis der Laternen und Feuerbecken im Dunkel verlor.

Wunderbarerweise aber fiel keiner wieder zurück, einer nach dem andern verschwand gleichsam in der Nacht, und als er die letzte Kugel geworfen, setzte sich der Knabe mit gekreuzten Beinen ruhig auf den Teppich nieder und blickte in den Äther.

Zum zweitenmal begann er das seltsame Spiel, und wie scharf auch der Deutsche aufpaßte, er sah deutlich die Messer und Kugeln in der Luft verschwinden, ohne sie wieder nach dem Gesetz der Schwere niederfallen zu sehen. Als der Knabe sich diesmal nach einer noch längeren Zwischenpause von der Matte erhob, deckte er diese selbst auf, und Kugeln und Messer lagen unter derselben.

Das merkwürdigste und zugleich grauenhafteste Stück, welches die Jongleure nach vielen anderen seltsamen Künsten produzierten, war folgendes:

Der Mohr, wie bereits erwähnt, ein großer und kräftiger Mensch, setzte sich auf die Matte und bog seinen Körper derart zusammen, daß er einer unförmlichen Masse glich, worauf seine Gefährten ihn mit dem Korbe zudeckten, über den sie die zweite Decke breiteten. Darauf ergriffen alle drei Spieße und Messer und stachen mehrere Minuten lang in den Korb, so daß das Blut stromweis darunter hervorfloß, worauf Decke und Korb aufgehoben wurden und zum Erstaunen der Zuschauer statt des zerfetzten Leichnams des Unglücklichen nichts zu erblicken war, als einer der Pfauen, die während des Tages im Garten umherstolzierten.

Wiederum wurde der Korb darübergedeckt, und als man ihn zum zweiten Male aufhob, befand sich statt des Pfaues ein junges, anscheinend kaum wenige Tage altes Kind darunter.

Auch diese Erscheinung verschwand auf gleich rätselhafte Weise, und als Decke und Korb wieder darüber gedeckt waren, kroch der Knabe mit darunter.

Eine kurze Weile blieb die Hülle in wellenförmiger Bewegung, dann entfernte der Chinese zum drittenmal die Decke und den Korb, und darinnen saß unverwundet der Neger, der Knabe aber war verschwunden, und als die Fremden erstaunt und verwundert nach ihm umherschauten, glaubten sie plötzlich seine Stimme hoch aus der Luft ihnen einen Salem zurufen zu hören und sahen den Burschen auf der mittleren Galerie der Pagode sitzen.

Die Geschenke, die dem sammelnden Weibe gereicht wurden, zeigten von dem Beifall, den die Kunststücke der Gesellschaft gefunden, worauf diese sich wieder entfernte und einer neuen und dem Arzt nicht minder interessanten Unterhaltung Platz machten.

Die neuen Schauspieler, die erschienen, angekündigt durch die Töne eines Tamburins, einer Trommel und Pfeife, bestanden in einer Gesellschaft Bajaderen.

Die Bajaderen Indiens sind die Almen der türkischen Harems, die öffentlichen Tänzerinnen Arabiens.

Im allgemeinen ist ihre Liebe zwar für Geld und Geschenke feil, doch ist dies nicht durchgängig der Fall und gehört keineswegs zu ihrem Stand und Gewerbe.

Man findet unter ihnen Mädchen von wahrhaft ätherischer Gestalt und reizender Schönheit, aber noch öfter widrige, schlappe, unförmlich dicke Gestalten und Häßlichkeit der Formen und des Gesichts, die Zähne durch das fortwährende Betelkauen glänzend schwarz gefärbt.

Die Tänzerinnen, die der Sirdar zur Unterhaltung seiner Gäste beschieden, gehörten, wie der Arzt von dem ehemaligen General Rundschits hörte, zu einer wandernden Horde, indem augenblicklich eine große Anzahl von Pilgern und Reisenden sich in dem Tal und dem Schloß aufhielt.

Zwei Männer, mit Trommel und Pfeife, begleiteten die Tänzerinnen, deren Anführerin ein mit Silberblechen verziertes Tamburin in ihrer Hand trug.

Diese Anführerin war ein Geschöpf von wunderbarer idealer Schönheit.

Überaus zart und fein war die Gliederung dieses Körpers, Fuß und Hand von einer besonderen Kleinheit und Schöne.

Anarkalli – Granatblüte – so hieß die Tänzerin, war in faltenreiche blaue Gewänder gekleidet, die von den Hüften ab übereinander, bis auf die Knöchel herabfielen und in Goldfransen endeten, ohne den nackten, an den Knöcheln mit Goldringen geschmückten Fuß zu verhüllen. Der prächtige Schweif eines Paradiesvogels war auf ihrem Hinterhaupt befestigt und senkte sich in hochgeschwungenem Bogen auf die linke Seite nieder.

Ihre Augen wandten sich mit einem Ausdruck ängstlichen Forschens, als sie den Kreis betrat, auf die Reihe der Gäste, schienen einige Augenblicke prüfend auf jedem zu haften und blieben dann an den freundlichen und Vertrauen erweckenden Zügen des Arztes hängen.

Erst der Ton der Trommel und der Flöte schien sie aus ihrer Träumerei zu wecken, sie trat rasch einige Schritte vor, ließ das Tamburin über ihrem Haupt erklingen und begann nach dem einförmigen Takt jener Musik und dem leisen Singen ihrer Gefährtinnen ihren Tanz.

Zuerst waren die Bewegungen der Bajadere langsam, indem sie nach dem Takt der Musik die Arme über den Kopf erhob, den Oberkörper vor- und rückwärts oder zur Seite bog, allmählich aber begann sich ihr Gesicht zu röten, der Takt wurde rascher und die Linien, die ihr Körper beschrieb, glichen den wollüstigen Windungen einer Schlange. Ohne daß man ein Vorschreiten oder Rückwärtsgehen ihrer Füßchen zu bemerken vermochte, glitt sie doch bis dicht an die Zuschauer hin, schien sich über sie her zu neigen und zog sich ebenso eigentümlich zurück. Zweimal, als sie sich ihm nahte, glaubte Walding eine flüsternde Stimme an seinem Ohr zu hören, die in gebrochenem Englisch ihm zuraunte: »Lobe mich, Fremdling! lobe mich!«

Immer lauter und wilder rauschte die Musik und der Gesang, immer heftiger und üppiger wurden die Bewegungen der Bajadere, ihr schlanker Leib schien eine Linie von zuckenden Blitzen, bald sinnlich vorgeworfen, bald weichend und kokettierend in lustglühenden Wendungen zurückgezogen; dann wieder schmachtend die Arme vorstreckend, schien sie nach einem Gegenstand in der Luft zu haschen, ihre schwellenden Lippen öffneten sich, ihren Augen schien ein glühendes Feuer zu entstrahlen, und seltsam glaubte Walding sie wiederholt dabei auf sich gerichtet zu sehen mit einem ängstlichen, flehenden Ausdruck, bis in die höchsten Ekstase des Tanzes, wirbelnd gleich einem rasenden Derwisch um sich selbst, mit einem leisen Aufschrei die Bajadere zu den Füßen der Rani sank.

»Lobe mich! Bei dem Christengott, lobe mich, Fremdling!« tönte es in demselben Augenblick wieder leise an das Ohr des Arztes; aber es bedurfte diesmal der Mahnung nicht, denn der eigentümliche Reiz dieses bei aller Wildheit und Üppigkeit nicht ungraziösen Tanzes hatte ihn derart ergriffen, daß er in lauten Beifall ausbrach und der Tänzerin nach indischem Brauch ein Goldstück zuwarf, das sie geschickt mit ihrem Tamburin auffing, ihn dabei mit einem dankenden Blick anschauend.

Im nächsten Moment war sie mit Lobeserhebungen und Geschenken überschüttet, selbst die Maharani zog aus ihrem Kopfschmuck eine prächtige Nadel und warf sie der Bajadere zu.

»Dein Auge hat wohlgefällig auf das Mädchen geblickt.« sagte der alte Sirdar höflich zu dem Arzt, dessen entschlossene Rettung der Prinzessin ihn heute, trotz seiner sonst so bescheidenen Stellung, zum Helden des Tages gemacht hatte – »sie ist dein Eigentum, so lange du ein Gast in diesen Mauern bist!«

Es mochte gegen 11 Uhr sein, als der Sirdar, der schon seit einiger Zeit eine eigentümliche Unruhe gezeigt, das Zeichen zum Aufbruch und zur Beendigung des Festes gab, indem er sich erhob und von seinen Gästen beurlaubte. Die Diener ergriffen die Fackeln und Laternen und waren bereit, jeden nach der ihm angewiesenen Wohnung zu geleiten. Kassim harrte in gleicher Weise des Arztes.

»Möge mein Bruder sanft ruhen und Freude auf seinem Lager sein,« sagte der Khan, indem er Walding umarmte, »denn eine gute Tat ist ein süß duftendes Kissen, sagen die Dichter. Morgen mit dem Sonnenaufgang werde ich bei ihm sein, um ihn zu dem Ritt in die Wüste abzuholen.«

Der Mayadar leuchtete demütig seinem Herrn voran, der kaum mehr an die schöne Bajadere dachte. An der Tür des Pavillons, der ihm zur Wohnung diente, reichte ihm Kassim die mit wohlriechendem Öl gefüllte Lampe, indem er ihm sagte, daß es ihm verboten sei, die Schwelle des inneren Gemaches zu überschreiten, und daß er, seines Winks gewärtig, die Nacht auf derselben verweilen werde, und Walding betrat arglos das Zimmer.

Er setzte die Lampe auf einen von Perlmutt und Schildpatt zierlich ausgelegten Koffer, als ein schweres und heißes Atmen ihn aufmerksam machte.

Erschrocken wandte er sich um.

Auf dem breiten Diwan, der zu seinem Lager dienen sollte, lag, frei jetzt von der herabgsworfenen Seidendecke, Anarkalli, die Bajadere, im weißen, leichten Nachtgewand.

Er trat befangen zurück – die Bitte der Tänzerin, das Geschenk des Sirdar war ihm jetzt erst verständlich.

»Wenn du deiner eigenen Wahl gefolgt bist, Anarkalli,« sagte er, »so sei mir willkommen. Es versteht sich von selbst, daß nicht das Wort Tukallahs mir eine verächtliche Macht über ein so schönes Geschöpf gegeben haben soll, sondern daß dein Besuch und das Glück, das du mir bereiten willst, dein freier Wille sein muß!«

»Lösche das Licht der Lampe,« flüsterte die Tänzerin, »und komm an meine Seite Christ, daß mein Mund sich an dein Ohr legen mag, – ich habe dir Wichtiges zu sagen!«

Der Arzt begriff im Augenblick, daß hier von keinem Liebesabenteuer die Rede war, und folgte erstaunt der Weisung der Hindu. Er löschte die Lampe und kniete neben dem Diwan nieder.

»Näher! näher! Jedes Wort, das andere Ohren vernehmen, würde dir und mir den Tod bringen!« Ihre weichen Arme zogen ihn näher herbei, auf den Diwan, und er fühlte die warmen elastischen Glieder sich an ihn schmiegen. »Sage mir Liebesworte, Fremdling,« flüsterte die seltsame Sirene, »laut, damit der Lauscher getäuscht wird! – Cama wird es uns vergeben!«

Trotz der seltsamen Lage und der Ahnung einer großen Gefahr begann sich in der Nähe der schönen Tänzerin sein Blut zu erwärmen und zog sie sanft an sich. Die Bajadere duldete seine Liebkosungen, ohne sie zu erwidern.

»Still! Du bist ein Faringi?«

»Nein – aber ich bin ein Europäer und Christ, und jeder, der dies gleich mir ist, ja, jeder Mensch, hat Anspruch auf meine Hilfe. Was trägst du um deinen Leib gewunden, Mädchen?«

»Seidene Schnuren – die uns dienen müssen! Höre mich an Fremdling mit dem weisen und guten Antlitz. Ich bin im Begriff, einen heiligen Eid zu brechen, geschworen der mächtigsten Göttin; aber ich muß die Gewißheit haben, daß die Worte, die ich sprechen werde, nur eines Erschaffenen Ohr vernehmen, die Geheimnisse, die ich enthüllen muß, nur eines Menschen Auge erblicken soll, daß nie sein Mund zum Verräter an mir und den Meinen werde. Schwöre mir bei dem Gott der Christen, daß du niemals verraten willst, was du durch Auge und Ohr diese Nacht erfahren wirst.«

»Ehe ich einen Eid leisten kann, muß ich vorher den Zweck wissen – muß prüfen ...«

Sie warf sich auf ihn und erstickte mit ihren Lippen seine lauter gewordenen Worte.

»Still! – es gilt das Leben eines deiner Brüder, eines Christen zu retten. Bei dem Gotte, den ihr verehrt, schwöre mir Schweigen, und du sollst alles erfahren! – Schwöre, und ich will die Sklavin sein deines Odems, die Luft deines Leibes, der Hauch deines Willens!«

Ihre Liebkosungen wurden heiß und glühend und umstrickten seine Sinne, zwangen seinen Willen. Unter ihren Küssen flüsterte der sonst so besonnene Mann: »Ich will – ich schwöre!«

Kaum hatte er das Wort gesprochen, so drängte sie ihn von sich. »Weißt du, Fremdling, wen du in deinen Armen hältst, wen du an dein Herz drückst?«

»Anarkalli – die Tänzerin! Die schönste Bajadere Hindostans!«

»Törichter Christ! Die du umfängst, ist Anarkalli, die Sutha! Das Lager, auf dem du der Liebe pflegst, kann jeden Augenblick sich in dein Totenbett verwandeln. Du bist in der heiligen Burg der Thugs!«

Er fuhr entsetzt zurück, denn er hatte genug von der furchtbaren Sekte gehört, um zu wissen, in welcher Gefahr er sich befand. »Aber Tukallah?«

»Er ist einer der unseren, ein Guru, der uns gebietet – sein Wort ist Tod oder Leben.«

Im Augenblick stand vor dem Geist des Arztes die Erklärung seiner Gefahr vom Tage vorher – seine Rettung aus den Händen der Mörder.

»Kassim – mein Diener?«

»Er ist ein Thug, wie ich, einer der geschicktesten Lughas, aber du bist sicher vor ihm, da er jenen Eid auf die heilige Spitzaxt als Manadar dir geschworen. Er soll das Werkzeug sein in deiner Hand.«

Dem Deutschen waren längst alle Liebesgedanken vergangen bei der furchtbaren Eröffnung. Kalter Schweiß brach aus allen seinen Poren, und er überlegte still, wie es ihm gelingen könne, sich aus der Mörderhöhle zu retten.

Die »Granatblüte« schien die Gedanken, die ihn bestürmten, zu begreifen, denn sie suchte zuvörderst ihn über seine eigene Sicherheit zu beruhigen.

»Ich weiß nicht, wer du bist,« sagte sie, »noch welches Band dich an den Guru bindet. Aber es ist gewiß, daß er dich in seinen Schutz genommen und dein Leben nicht der Kali zum Opfer bringen will. Darum hat er Kassim dir gegeben. Ich fühle, daß, was ich dir gesagt, dir Abscheu gegen mich erregt, doch höre meine Geschichte. Heute – diese Nacht – wird das Fest der Devy in den unterirdischen Gewölben dieser Burg gefeiert, und die Glieder des Bundes sind aus allen Himmelsgegenden dazu in die Wüste gekommen, den furchtbaren Dienst im Geheimen zu verrichten. Viele von ihnen haben ihre Opfer mitgebracht, denn wisse, o Fremdling, das Blut in der goldenen Schale, die vor dem Bilde der Göttin steht, darf nimmer vertrocknen und muß das Jahr lang rot und feucht erhalten werden, oder schweres Unheil fällt auf die Thugs. Die Männer, mit denen ich von Buhawalpur kam, begegneten einer Gesellschaft von reifenden Faringis. Ich erhielt den Befehl, mich ihnen anzuschließen und einen der Sahibs, den jüngsten von ihnen, zu verlocken, daß sie ihn gebunden heimlich zur Burg der Göttin mit sich schleppen möchten. Der Mann, den sie mir bezeichneten, war jung und schön wie Krischna selber. Ich tanzte vor ihm und seinen Freunden, während die Thugs sich verborgen hielten vor ihren Augen. Meine Blicke sandten Feuer in seine Seele, und er drang in mich, seine Geliebte zu werden. Ich versprach es ihm, wenn er in der Nacht sein Zelt verlassen und zu mir kommen wolle, und gab ihm einen Ort, an dem wir uns treffen wollten. Der Faringi ging in die böse Falle, die ich ihm gestellt. In der zweiten Nacht, nachdem ich seine Gesellschaft getroffen hatte und also kein Argwohn auf mich und meine Begleiter mehr fallen konnte, verließ er das Lager seiner Gefährten und suchte mich auf an den Trümmern des Grabmals, das ich ihm als Ort unserer Zusammenkunft bezeichnet hatte. O, wie innig hatte ich gehofft, daß er nicht kommen, daß die blutige Bhawani ein anderes Opfer erkühren werde! Aber er liebte mich und kam, und er lag an meiner Brust und an meinem Herzen, und er schwur, daß er sich nicht mehr von mir trennen werde, als die wilden Buthotes herbeistürzten und ihn aus meinen Armen rissen. Nur seine Augen vermochten noch zu sprechen, und sie lagen mit Abscheu und Vorwurf auf der Verräterin! Da, Fremdling, flüchtete ich wehklagend in die dichteste Wildnis: ich verfluchte mich und den Dienst der Göttin, denn jetzt erst erkannte ich, daß Cama wahre Liebe zu dem Verratenen in mein Herz gesäet. Entschlossen, mit ihm zu sterben, den ich verraten, begleitete ich die Bande der Thugs, und die Aufmerksamkeit seiner Wächter machte es mir unmöglich, ihm ein Wort des Trostes zuzuflüstern. Vor zwei Tagen trafen wir in Malangher, der Burg Tukallahs, ein, und seitdem schmachtet er in den furchtbaren Höhlen des bösen Zauberers!«

»Aber wie soll ich, der Fremde, Machtlose, das unglückliche Opfer eines teuflischen Wahnes retten?«

»Höre mich an! Die Feier der blutigen Göttin dauert drei Nächte. Ich weiß, daß der Faringi erst in der zweiten zu sterben bestimmt ist – wenn sie kommt, muß er fern sein von der blutigen Stätte.«

Die Bajadere hatte sich leise von seiner Seite gestohlen und war mit der Gewandtheit und Geräuschlosigkeit einer Schlange nach der Tür des Gemaches geglitten, wo sie lauschte.

Dann öffnete sie leise diese Tür – es war, wie sie vermutet, Kassim, der Thug, hatte bereits das Lager vor der Tür seines Herrn verlassen, ihn in den Armen der Tänzerin bis zum nächsten Morgen in Sicherheit wähnend. Sie huschte zum Erstaunen des Arztes blitzschnell hinaus, kehrte aber schon nach wenigen Augenblicken zurück, ein Bündel tragend, das sie draußen verborgen gehabt.

»Kassim,« berichtete sie hastig, »ist bereits hinabgestiegen zu den Tiefen der Burg, und die Zeit des Handelns ist da. Jetzt, Fremder, merke auf meine Worte, denn das geringste Vergessen würde uns beiden das Leben kosten und eines verderben, das kostbarer ist, als das unsere. Hast du je von der Ramasyana gehört?«

»Nein.«

»Es ist die geheime Sprache der Thugs. Dies« – sie machte die eigentümliche Bewegung der Hand, durch welche Tukallah sich den Mördern zu erkennen gegeben – »ist das Zeichen. Dieses Gewand mit der Verhüllung des Hauptes wird uns beide unkenntlich machen, wie die Mitglieder des Bundes einander unbekannt bleiben bei dem Opfer. Obschon ich als Weib ausgeschlossen bin von dem Opfer der Göttin, sind mir die Geheimnisse dieser Burg wohl bekannt, daß ich selbst in der dichtesten Finsternis durch ihre Gänge und Schluchten dich leiten könnte. Jetzt entkleide dich rasch, birg deine Waffen in deinem Gürtel und hülle dich in dies Gewand, damit ich deinen Leib dem der braunen Männer ähnlich mache!«

Sie ging rasch dem Deutschen mit ihrem Beispiel voran, indem sie ihre Frauengewänder von sich streifte und sich in einen weiten dunklen Überwurf hüllte, der am Hals eine Art von Wachskapuze hatte, die über den Kopf gezogen werden konnte und Öffnungen für Augen und Mund enthielt. Dann beugte sie sich nieder und begann ihm die Beine bis zum Knie aufwärts mit einem Pflanzensaft zu reiben, der die europäische Weiße alsbald in das Mahagonibraun der Eingeborenen verwandelte, damit, da sie mit nackten Füßen ihre Wanderung antreten mußten, die hellere Farbe des Fremden nicht die Aufmerksamkeit des einen oder des anderen Spähers auf sich zöge.

Nachdem alle diese Vorbereitungen getroffen waren und beide die Kapuze über das Gesicht gezogen hatten, hieß die Tänzerin den Gefährten folgen und verließ den Pavillon, dessen Tür sie wieder anlehnte.

Anarkalli flüsterte dem Deutschen zu, sich gleich ihr einige Schritte im Schatten zu halten, damit die Mohren nicht erkennen möchten, aus welchem der Kiosks sie gekommen, dann schritten sie dreist hinaus in das Mondlicht, und quer durch den Garten, nach dem großen Eingang der Pagode.

Die ehernen, mit seltsamen und grotesken Figuren gezierten Flügel der großen Tür derselben standen geöffnet, und sie traten in das Innere.

In der Mitte dieses Raumes stand einer jener kolossalen und prächtigen Sarkophage, die man so häufig noch in den gigantischen Ruinen Indiens findet, und die der Asche eines mächtigen Herrschers, eines heiligen Mannes oder berühmten Kriegers zur Ruhestätte dienen.

Zu Häupten desselben stand eine kleine metallene Schale, aus der eine weiße Flamme emporzüngelte. Dieser näherte sich die Bajadere und zündete daran den Docht einer Lampe an, die sie aus ihrem Gewände hervorholte und die der Form ähnelte, deren sich die europäischen Bergleute bedienen. Dann winkte sie ihrem Begleiter und schritt auf die dem Eingang der Pagode gegenüberliegende Wand zu.

Aus dem dunklen, unheimlichen Dämmerschein schienen sich plötzlich zwei riesige Elefantengestalten aufzurichten, während das langgekrümmte Elfenbein der Zähne drohend hervorleuchtete.

Es bedurfte einiger Augenblicke, ehe der Arzt begriff, daß die beiden riesigen Tiere nur Steingestalten waren, die in halbem Körper aus dem Bau hinter ihnen, gleichsam zum Schutz der höhlenartigen Tiefe, die zwischen ihnen gähnte, hervortraten.

Auf diese Höhle schritt die »Granatblüte« zu und begann sofort eine Reihe von Stufen hinabzusteigen, die in die unergründliche Tiefe führten.

Walding sah ein, daß er zu weit gegangen, um von dem Abenteuer zurückzutreten, auch wenn ihn sein der schönen Verbrecherin gegebenes Wort nicht gebunden hätte, und folgte daher dicht hinter ihr drein, um das leitende Licht nicht zu verlieren.

Anfangs schräg, dann immer steiler, schritten sie weit über hundert Stufen in die Tiefe.

In den Gängen und Wölbungen schwanden zuweilen schwache Lichtstreifen vorüber oder glühten einzelne Lampen, wie die, welche seine Begleiterin trug, gleich Funken sich annähernd oder entfernend. Hastig und ohne in der Wahl der Gänge zu zaudern, schritt die Bajadere vorwärts, und sie stiegen aufs neue abwärts in die Tiefen der Erde.

Aber nicht mehr allein waren sie jetzt in der unterirdischen Einöde. Dunkle Gestalten, in Kapuzen gehüllt, am Gürtel oder um den Kopf gewunden den Rumal – das verhängnisvolle Seidentuch – oder die Phansi, die Schlinge, und oft mit schweren Bündeln beladen. Sie machten stumm einander das Bundeszeichen und schritten vorwärts. Zweimal erbebte der Deutsche in dieser furchtbaren, dämonenartigen Gesellschaft: das erste Mal, als zwei der Thugs an ihnen aus einem Seitengang vorüberschritten, auf einer Art von Hängematte einen langen, ballenartigen Packen tragend, der im Licht der Lampen sich zu bewegen – von dem ein dumpfer Seufzer an das Ohr des Arztes zu tönen schien; – das zweite Mal, als ein hochgewachsener, fremdartig gekleideter Hindu an ihnen vorbeikam, dem auf den Fersen ein gezähmter, ziemlich großer Tiger nachschlich. Die Bestie, den Kopf tief auf den Boden gebückt, blinzelte mit den gelbgrünen Augen auf die Vorübergehenden und knurrte so wohlgefällig wie die Katze, wenn sie sich putzt oder einen fetten Schmaus wittert.

Immer weiter kamen sie, und immer größer wurde die Zahl derjenigen, die dem gleichen Ziel wie sie zuschritten. Walding glaubte ein dumpfes Geräusch, ein Murmeln und Grollen in weiter Ferne zu hören, und er sah in einiger Entfernung einen matten Lichtschimmer, gleich der rötenden Glut einer mächtigen Feuersbrunst, zu der Decke des Gewölbes empordämmern.

»Mut, Fremdling, und Vorsicht!« flüsterte noch einmal die Stimme des Mädchens dicht an seinem Ohr, – »wir nahen dem Kreis der Gurus und Chams bei dem Bild der Göttin, und müssen vorsichtig die gegenüberliegende Seite des Gewölbes zu erreichen suchen. Sprich nichts, als den Gruß der Thugus, und tue alles, was du mich tun siehst.«

Sie waren kaum hundert Schritt gegangen, als sich vor ihnen ein ebenso eigentümliches wie schreckliches Schauspiel eröffnete.

Sie standen am Rande eines etwa fünfzig Fuß tiefen Abgrundes, der sich zu einem riesigen Kesselgewölbe bildete, dessen Enden in der Dunkelheit verschwanden, obschon das Licht von wenigstens zweihundert Fackeln und ein großes, in der Mitte dieses riesigen Felsensaales unterhaltenes Feuer auf einen ziemlich weiten Umkreis volle Tageshelle verbreiteten.

Wohl tausend Menschen bewegten sich in diesem Raume.

Ihnen gerade gegenüber, nahe dem Feuer, stand auf einer Erderhöhung das riesige Bild der furchtbaren Göttin, der dieser scheußliche Kultus galt.

Auf einer breiten etwa drei Fuß hohen Stufe von schwarzem Marmor erhob sich ein gleicher Würfel und auf diesem die mindestens zehn Fuß große Gestalt der Bhawani von massivem Silber. Sie hatte die Gestalt einer Furie, reitend auf einem Tiger, in wilder, drohender Stellung. Das Antlitz war scheußlich anzuschauen, halb Wolf, halb Mensch, in den Augenhöhlen funkelten zwei kolossale Rubinen. Schlangen und Eidechsen bildeten ihr Haar, und während der linke Krallenarm sich auf das Haupt des Tigers stützte, schwang der rechte die gewaltige Kassy, die eiserne Spitzaxt, das heiligste Symbol der schrecklichen Verbrüderung, bei dem zu schwören den Thug für alle Ewigkeit an seinen Eid bindet, fester als der Schwur auf den Koran oder das heilige Gangeswasser.

Der Fuß der Bildsäule war mit Blumen bestreut, dazwischen lag ein ehernes Bild der Schlange und der Eidechse, eine Schlinge und das Seidentuch, ein Messer und die heilige Spitzaxt.

Um das Bildnis der Göttin hatte, an dem Rande der untersten Stufe, ein Kreis vermummter Männer Platz genommen, die jedoch statt der schwarzen Verhüllung eine solche von weißer Wolle trugen; Es waren die Chams und Gurus der Sekten, in ihrer Mitte der Ober-Guru, kenntlich an dem weißen Turban mit blitzenden Goldbändern, den er trug – nicht weit von ihm bemerkte Walding den Phansigar mit dem Tiger, der ihnen vorher begegnet war.

Ein Zwischenraum von einigen Ellen, in dem zierlich geflochtene Körbe mit Früchten, Backwerk und geistigen Getränken standen, trennte den Kreis der Häupter von der Masse der rings umher auf den Fersen hockenden oder an dem Feuer beschäftigten gewöhnlichen Mitglieder des Bundes. Von Zeit zu Zeit wurden in dies Feuer wohlriechende Essenzen gegossen, deren lieblicher und berauschender Duft das ganze kolossale Gewölbe erfüllte.

Es war ihnen gelungen, unfern der Masse einen etwas erhöhten Standpunkt hinter einem Felsvorsprung zu gewinnen, von dem aus sie, ohne auffällig zu werden, den ganzen Mittelgrund und die sich auf demselben ereignenden Szenen übersehen konnten, während sie zugleich, ohne Furcht, gehört zu werden, mit leiser Stimme sich unterhalten mochten, da das dumpfe Gemurmel dieser Masse von Menschen eben jenes rollende Getöse verursachte, das der Arzt auf dem Wege gehört.

»Siehst du die goldene Schale, die vor dem Bilde der Göttin steht?« fragte schaudernd das Mädchen. »Es ist das ewige Opfer des Rakkat-Byj!«

»Was willst du damit sagen?«

»Rakkat-ByjBlutsamen war der mächtigste Dämon, so groß, daß der tiefste Ozean seine Brust nicht erreichte, welcher die Welt beunruhigte und alle Geborenen verschlang, bis die Bhawani ihn tötete. Aber aus jedem seiner Blutstropfen entstand ein neuer Dämon. Da schuf die Göttin zwei Männer aus dem Schweiß ihrer Arme – das waren die Urväter aller Thugs – und gab jedem ein Tuch, die Rumals, damit sie die Dämonen erdrosselten, ohne daß aufs neue Blut vergossen werdeDie indische Sage von der Entstehung bei Thugs, die bis ins fernste Altertum hinaufreicht. Schon Herodot erwähnt im Heere des Xerxes einer Rotte dieser Mörder.. Seitdem ist das Blut der süßeste Wohlgeruch, den die Göttin empfängt, und darf nimmer trocken werden zu ihren Füßen. Im Tempel der Feueräugigen zu Kalkutta und Bindabaschni werden jeden Monat tausend Ziegen und andere Tiere geopfert, damit das heilige Blut fließend bleibe, aber hier ...« Sie schauderte und schwieg.

»Rede weiter – jene Schale ...?«

»Sie wird nie leer und trocken von dem Blut aus den Adern der Menschen.«

»Entsetzlich! – aber wie ist es möglich, daß diese Unzahl von Morden alljährlich ungestraft verübt werden kann, bloß um einem Aberglauben zu frönen?«

»Blick hin, und du wirst schauen, wie groß die Zahl der Opfer sein muß, denen man solche Reichtümer abnehmen konnte.«

Auf ein Zeichen des Ober-Guru stand einer der Chams nach dem andern auf, winkte hinein in die dunkle Menge, und jedesmal traten ein oder mehrere Männer mit Packen beladen heran, schritten in den heiligen Kreis und leerten ihre Säcke oder Körbe auf der untersten Stufe des Bildes.

»Das sind die Jumaldehythags aus Aude und von östlich des Ganges,« berichtete das Mädchen. »Sie haben die reichen Länder des Duab zu ihrem Gebiet und bringen den dritten Teil ihrer geraubten Schätze. Jene dort, die jetzt ihre Körbe leeren, sind die Multhaneas, Mahomedaner aus dem Norden, die ihre Reisen als Ochsenführer machen und als Kaufleute ihre Schlachtopfer verlocken. Ihnen folgen die Chingarys oder Raiks, die in der Nachbarschaft von Hingoly leben. – Jetzt folgt die große Schar der Sufyas, Männer der niedersten Kasten aus Jeypure, Malwa und der Radjputana, die als Handelsleute, Geldträger und Sepoys das Land durchstreifen. – Dort kommt der Guru der mächtigen Phansingars von Myhore, dem Carnatic und Chittar« – sie wies auf den Mann mit dem Tiger, der sich eben erhoben und seine Begleiter heranwinkte. »Es sind die Tiger der Wüste, und sein Tiger greift den Phansigar an. Sie haben ihre besondere Sprache und ihre Zeichen, aber ich kenne sie und jenen Mann, der der blutigste ist von ihnen allen. Leicht ist es ihnen, jene Schätze zu bergen, denn sie lauern auf dem Wege den Diamanten- und Perlenträgern aus dem Westen auf und morden um einer Rupie willen. – Jetzt nahen die Flußthags von Burdwan an den Ufern des Hughly, die den Ganges auf- und niederschiffen, die Pilger nach den heiligen Orten einladen, mit ihnen zu fahren und sie auf dem Fluß erdrosseln. – Die Lodahas und Matnas aus Bahar und Bengalen sind jetzt an der Reihe, ihre Geschenke niederzulegen, und ihnen folgen die Männer aus Scinda.«

Die Niederlegung der Schätze war jetzt beendet, der Ober- Guru bestieg die Stufe des Altars und berührte mit Hand und Stirn dreimal die Füße der Göttin. Eine tiefe lautlose Stille verbreitete sich unter der unheimlichen Menge, und der Ober-Guru erhob seine Stimme, die dem Ohr des Arztes nicht unbekannt zu sein schien, und rief: »O Kaley! Kankaly! Bhudkaly! Deine Knechte sind bereit und haben zu deinen Füßen niedergelegt das Dritteil deines Segens. Wenn es dir gut deucht, mächtige Göttin, daß das Opfer beginne, damit das von dir vergossene Blut erneuert werde, so gib uns den Thibau

Auf seinen Wink wurde ein schwarzes Schaf herbeigeführt und auf die Höhe des Piedestals gelegt, wo ihm der Ober-Guru den Hals abschnitt, während seine Gehilfen den rechten Vorderfuß in das Maul des Tieres steckten.

Der Körper des Opfers zuckte hin und her und warf sich zuletzt auf die rechte Seite, worauf der Ober-Guru der Versammlung verkündete, daß die Göttin ihnen gnädig sei und die Feier beginnen könne.

Ein wildes Delirium, ein Wahnsinn schien zugleich die düstere Menge erfaßt zu haben, und es entfaltete sich ein Anblick vor den Augen des Arztes, wie ihn kaum die Phantasie Dantes aus den Schlünden der Hölle entlehnen könnte.

Gleich Besessenen sprangen und tobten alle die menschlichen Dämonen umher, einzeln, in Kreisen und Reihen drehten sie sich wirbelnd, wie tanzende Derwische, springende Bachanten. Hier rissen sich einige die Verhüllung vom Haupte, durchbohrten ihre Wangen mit Messerstichen und schlitzten sich Lippen und Zunge, oder stießen die Klingen in das Fleisch ihrer Arme und Schenkel, daß das Blut weit umherspritzte; andere warfen die Gewänder ab, tanzten nackt mit wilden phantastischen Gebärden um das Feuer und stürzten sich durch dieses hin, daß die Flammen an ihrem Haar und Bart emporloderten, wenn sie auf der entgegengesetzten Seite heraustaumelten.

Walding sah betäubt diesem entsetzlichen Schauspiel zu, bis plötzlich der laute, die ganze Wölbung wie Posaunenstoß durchzitternde Ton eines Tamtam dem Toben und Rasen ein Ende machte. Ein zweiter Schlag, und lautlose Stille trat ein.

Vor dem Altar der Göttin standen der Ober-Guru und drei der Priester des schrecklichen Kultus, die anderen waren während des Tobens und Rasens verschwunden.

Die Hand der Bajadere legte sich schwer auf den Arm des Arztes. Hätte sein Auge die Verhüllung ihres Gesichts durchdringen können, er würde gesehen haben, wie bleich und blutlos ihr Antlitz war – so fühlte er bloß das Zittern ihrer Hand und Gestalt.

»Was gibt es?«

»Fasse deine Kraft zusammen und verbanne das Gefühl aus deinem Herzen, Fremdling – der Augenblick der Prüfung ist erschienen.«

Ein eintöniger Gesang schien aus den Tiefen der Wölbung wie aus dem Grabe emporzusteigen und schwoll mächtiger und mächtiger an, wie die, von denen er ausging, aus der Finsternis dem Lichtkreis näher und näher kamen.

Die Menge der Thugs um das Bild der Göttin öffnete sich, dem Zuge Platz zu machen.

Voraus schritten sechs in weiße Gewänder gehüllte Chams, von denen jener Gesang ertönte. Dazu trugen sie in den Händen metallene Becken, auf die sie von Zeit zu Zeit im Takt zugleich schlugen, so daß der dröhnende Klang eigentümlich durch ihren Gesang schnitt.

Hinter ihnen kamen dunkel verhüllte Gestalten, die große Bahren trugen, auf denen lange mit Tüchern bedeckte unerkennbare Gegenstände ruhten.

Es waren ihrer fünf solcher Bahren, auf jeder zwei verhüllte Packen: langsam, unter dem Gesang der Vortretenden, schritten die Träger mit den Bahren in der Mitte des Kreises, und setzten sie dann rings um den Fuß des Götzenbildes nieder.

Hinter den Bahren kam in grotesken, buntem Aufputz, mit goldenen und silbernen Flittern und den schreiendsten Farben geschmückt, mit getrockneten Schlangenhäuten, Eidechsen und Gebeinen behangen, tanzend und springend eine koboldartige Figur von gräßlichem Ansehn daher.

Die Thugs warfen sich mit dem Antlitz auf den Boden, als der Zauberzwerg mit seinen giftgeschwollenen Reptilien an ihnen vorübertanzte.

Hinter ihm her kamen wiederum, singend und die Becken schlagend, sechs Chams und schlossen den Zug, der sich um das Bild der Bhawani auf der erhöhten Stufe gruppierte, so daß alles, was vorging, den Augen der ganzen Versammlung sichtbar war.

Der Zwerg war hinter dem Fuß der Bildsäule verschwunden.

Ein gewaltiger dröhnender Schlag auf das Tamtam – und ringsum herrschte wiederum feierliche Stille.

Ein weiterer Schlag, und wie von unsichtbaren Händen hinweggerissen, flogen die Decken zur Seite, welche die fünf Bahren verhüllten.

Auf jeder derselben lagen zwei menschliche Körper – lebend – denn ihre Bewegungen zeigten dies, wenn auch ihre Füße und Hände durch unzerreißbare Schnüre von Kokusfäden fest zusammengefesselt waren und die Lippe stumm blieb, denn ein teuflisches Werkzeug füllte und schloß ihren Mund.

Kein Brahmine, kein Armer, keine Bajadere und kein Barde dürfen die ersten Opfer sein, die der Thug tötet; die Menschen, die hier eines furchtbaren Schicksals harrten, waren zwei reiche Kaufleute aus Bombay, ein Juwelenschleifer, ein Landmann, zwei Sepoy, ein Schreiber aus dem Bureau der Kompagnieverwaltung, ein Parsi, ein europäischer Seemann und eine prächtig geschmückte Frau, die Begum oder Witwe eines indischen Fürsten.

Einer der Chams ergriff die goldene Schale, von der die Tänzerin dem Arzt erzählt, daß sie das ewig feuchte Menschenblut enthalte, und folgte damit dem Ober-Guru, der von Bahre zu Bahre schritt, an jeder den Finger in die Schale tauchte, und mit einem blutigen Streifen die Stirn jedes einzelnen Opfers bezeichnete.

Dann trat der Ober-Guru zurück zu dem Altar – ein anderer Cham reichte ihm ein Messer von oben breiter und unten schmaler Form, und zwei Priester hoben auf seinen Wink den Körper des Parsi auf.

Ein Augenblick, und der Unglückliche war aller seiner Kleider beraubt, und der nackte Körper wurde auf den schwarzen Steinwürfel gehoben, der das Piedestal des scheußlichen Götzenbildes ausmachte, und zu dessen Füßen ausgestreckt. Einer der Chams nahm den Knebel aus seinem Mund.

Der alte Kaufmann hatte das Schicksal, das ihm bevorstand, längst erkannt und den Thugs, die ihn gefangen genommen, neben den Schätzen, die sie ihm bereits geraubt, eine kolossale Summe für seine Freilassung geboten, – aber sein Vorschlag war von den blutigen Fanatikern verächtlich zurückgewiesen worden. Jetzt – dem Tode so nahe – schaute er mit Entschlossenheit und Gleichgültigkeit, welche diese Leute und die Hindus im allgemeinen gegen den Tod erfüllt, diesem trotzig ins Angesicht. Kein Schrei der Furcht, keine Bitte um Gnade, ja nicht einmal ein Zucken der so natürlichen Angst und Qual entstellte sein ernstes, schönes Antlitz, als der Ober- Guru mit dem Messer ihm nahte, nur Haß und Drohung sprühte aus dem kühnen Auge des alten Mannes.

Im Schein der Flammen blitzte die dreieckige Klinge – hochgeschwungen – dann senkte sie sich nieder und tauchte die Spitze mit anatomischer Genauigkeit in die Kehlader des Opfers.

Ein Strom dunklen Blutes spritzte empor. Zwei der kräftigsten Chams warfen sich auf den Körper, Beine und Kopf festzuhalten, während der dritte in der goldenen Schale das Blut auffing, das den Adern entströmte.

Den unwillkürlichen Schrei, den der Arzt bei dem kaltblütigen Morde ausstieß, übertönte der Gesang der Priester.

Entsetzlich, empörend anzuschauen war es jetzt, wie der kräftigste der bei dem Morde tätigen Chams, als das Blut langsamer und weniger zu fließen begann, auf den Körper des Parsi sprang und diesen gleichsam zu kneten begann, um jeden Tropfen des kostbaren Blutes für den scheußlichen Dienst der Göttin auszupressen.

Schwächer und schwächer wurden die Zuckungen des Opfers, bis die Glieder im letzten Kampf erstarrten und sich streckten.

Dann erhob der Ober-Guru seine Hände zum Bilde der Bhawani und bespritzte sie siebenmal mit dem frischen Blut.

Mit einer Schnelligkeit, die es kaum bemerken ließ, war der Leichnam des Parsi von bereitstehenden Priestern aufgehoben und fortgebracht worden zu den Gräbern, die vorher zur Aufnahme von je zwei Körpern, die mit den Füßen stets gegeneinander gelegt werden, vorbereitet waren.

Wieder tauchte der Ober-Guru seine Finger in das Blut, bezeichnete erst seine eigene Stirn mit einem Tropfen desselben und dann die der Chams, welche bei dem Morde tätig gewesen waren, worauf andere deren Stellen einnahmen und die ersten mit der Blutschüssel zu der sich herandrängenden Menge traten, um jeden einzelnen auf gleich abscheuliche Weise zu salben.

Unterdessen war das zweite Opfer herbeigebracht worden – es war die Begum, eine noch junge, schöne Frau von den anmutigsten Formen. Schonungslos wurde ihr die reiche Kleidung vom Leibe gerissen und der sich in Furcht und Entsetzen windende herrliche Leib auf den schrecklichen Stein gehoben. Als der Ober-Guru ihr den Knebel aus den Zähnen zog, gelang es der Unglücklichen, die wahrscheinlich zu lose Fessel ihrer Fußgelenke abzustreifen. Sie stürzte sich herunter, ward aber im Augenblick wieder ergriffen und zu Boden geworfen. Ihr Flehen, ihr Jammern, ihr Geschrei waren herzzerreißend und übergellten den bei dieser schrecklichen Szene lauter anschwellenden Gesang der Priester, der ihre Stimme zu ersticken suchte.

Im Nu waren die Füße der jungen Frau wieder gefesselt und sie hinaufgehoben auf den noch bluttriefenden Stein.

Hinter dem Vorsprung der Felsen rang der Arzt gegen seine Begleiterin, die seine Hand festhielt, welche nach dem verborgenen Pistol faßte, um den bedrohenden Mörder niederzuschießen.

»Wahnsinniger! – vergißt du so deinen Eid? Es ist eine Verächtliche, Ausgestoßene, die dein Mitleid nimmer verdient, denn sie hat sich der Sotti entzogen, die ihre Seele in den Schoß Gamas befördert hätte!«

Ein gellender entsetzlicher Schrei belehrte besser als ihre Bitten und Abmahnungen den Widerstrebenden, daß jede menschliche Hilfe zu spät käme. Ein Blick in das dunkle Gewühl zeigte ihm die lange blutige Furche, die das Opfermesser des Guru über den Leib der unglücklichen Frau gezogen hatte, und daß ihr Körper bereits in den letzten Todeswindungen sich unter den Händen der entmenschten Priester bäumte.

Kalter Schweiß bedeckte seinen ganzen Körper, seine Glieder zitterten, sein Herz schlug hörbar, als er sich willenlos von der Tänzerin fortziehen ließ.

»Es ist Zeit, daß wir selbst in das Gewühl uns mengen, um die andere Seite der Höhle zu erreichen,« flüsterte das Mädchen. »Fasse mein Gewand, schließe die Augen und folge mir!«

Ein Teil der Chams war fortwährend beschäftigt, den Thugs die entsetzliche Salbung zu erteilen und bewegte sich durch die andrängende Menge, während das Geschäft des Mordens und Blutauffangens in große Becken unaufhaltsam im Mittelpunkt seinen schaurigen Gang ging.

Plötzlich hörte er zwischen dem Gesang der Priester, in den nach und nach die Menge der Blutgeweihten einzufallen begann, ein dumpfes Murmeln fremdartiger Worte dicht vor sich und fühlte sich mit Gewalt niedergerissen von der Hand seiner Begleiterin. Umblickend erkannte er schaudernd vor sich das weiße Obergewand zweier Chams und in den Händen des einen das entsetzliche Becken – sah eine Hand erhoben, die leicht seine Kapuze lüftete, und fühlte im selben Augenblick einen warmen, feuchten Tropfen auf seiner Stirn.

Er wußte – es war Menschenblut – das warme, frische Blut des unglücklichen Parsi oder der schönen Witwe.

Er war einer Ohnmacht nahe und begriff kaum die entsetzliche Gefahr, der er soeben entgangen.

Zum Glück für sie war die Menge zu sehr mit dem entsetzlichen Schauspiel in ihrer Mitte, mit der blutigen Salbung der Chams und mit ihren eigenen dämonenartigen Sprüngen und Bewegungen beschäftigt, um auf das Paar und sein Ringen zu achten. Erst in der Tiefe eines Seitengewölbes, wohin der Flammenschein der großen Höhle nur dämmernd drang und das teuflische Lärmen wie summendes Getön erklang, hielt die Bajadere inne. »Das Entsetzliche für deine Augen ist überwunden, jetzt gilt es zu retten, ehe es zu spät ist!«

Sie zog aus ihrem Gewand eine Rolle fester Schnur, knüpfte das Ende an einen der hervorspringenden Felszacken und gab den Faden in die Hand des Arztes.

»Die Gänge und Windungen dieser Höhlen,« sagte sie, »sind so verschlungen, daß keiner, der sie nicht genau kennt, sich in ihnen zurückfinden könnte. Ein Zufall vermöchte uns zu trennen; – in diesem Fall wird die Schnur in deiner Hand das Mittel sein, dich zurückzuführen zur Opferstätte, von der du unbesorgt den zum Tageslicht Emporsteigenden folgen kannst. Die Augenblicke sind kostbar für unser Wagnis – lege die Hand auf deine Waffen, fasse mein Gewand und folge mir!«

Ohne Gegenrede tat der Deutsche, wie ihm geboten, und eilte hinter der Flüchtigen her, in der Linken den Faden, den er sorgfältig sich abwickeln ließ.

So rannten sie durch mehrere sich kreuzende Gänge, die von Strecke zu Strecke in einer bestimmten Richtung durch einzelne Fackeln erhellt waren.

Als sie eine Anzahl von etwa sechzig Stufen am Ende eines Ganges herabgestiegen waren, erscholl ein Brausen mit furchtbarer Gewalt über ihren Häuptern, Wasserstaub sprühte umher und drohte ihre Lampen zu verloschen, und als Walding die seine geschützt emporhob, erkannte er sich am Fuß eines furchtbaren Abgrundes, in den über sie hin aus der Felswand ein mächtiger Wasserkatarakt sich stürzte.

Das Getöse war so gewaltig, daß die Bajadere ihren Mund an sein Ohr legen mußte, um ihm zu erklären, daß hier der unterirdische Ausfluß der Gewässer sei, welche von den Gebirgswänden des schönen Tales von Malangher in den kleinen See in dessen Mitte strömten, dessen Wasser in unerklärter Weise dort wieder verschwand.

Zur Seite der stürzenden Flut, auf dem Plateau, auf dem die Eilenden sich befanden, bemerkte Walding seltsame, wie große Tannen geformte Gegenstände stehen – doch blieb ihm keine Zeit, seine Begleiterin nach deren Zweck zu befragen, denn unaufhaltsam zog diese ihn weiter, und bald lag der Wasserfall hinter ihnen.

»Jetzt,« sagte Anarkalli, und die Hand, die den Gefährten hielt, krampfte sich fester, ihre Augen funkelten entschlossen im Schein der Lampen – »gilt es, zu zeigen, daß du ein Mann bist. Wir sind im Augenblick zur Stelle, aber unser Nahen deckt das Rauschen des Wassers. Der Ort, wo die Gefangenen aufbewahrt werden, liegt hinter jener Windung des Ganges – zwei Wächter stehen an seinem Eingang und müssen ihrer Göttin zum Opfer fallen, ehe wir zu jenen gelangen können. Brauche deine Waffen ohne Besorgnis, gehört zu werden, wenn du siehst, daß ich mich auf den einen von ihnen stürze!«

»Ein Überfall – ein Mord hinterrücks ...« erwiderte der Arzt entsetzt.

»Zehnfacher Tor – morden sie nicht deine Brüder heimlich – ist es Schande, wenn der Jäger den auf Beute schleichenden Tiger aus seinem Versteck niederschießt?«

Der Arzt fühlte die Notwendigkeit und versprach, zu gehorchen. Die »Granatblüte« löschte ihre Lampe aus, nachdem sie einen malayischen Dolch aus ihrem Gewand gezogen und Walding seinen Revolver gespannt hatte – dann schlichen sie oder krochen vielmehr in der Dunkelheit vorwärts.

Sie mochten etwa fünfzig Schritt zurückgelegt haben, als ein neues Bild sich ihnen bei einer Biegung des Felsenganges entrollte.

Vor ihnen, in der Entfernung von kaum zwangig Schritten, öffnete dieser sich zu einer, wenn auch nicht so umfangreichen wie die Opferhöhle, doch geräumigen und ebenso hell erleuchteten Grotte, die in dem Licht der brennenden Wachsfackeln und Harzbecken in blendendem Goldglanz strahlte.

Am Boden dieses Gewölbes lägen eine Anzahl von nahe an fünfzig menschlichen Wesen im bittersten Jammer der Gefangenschaft, jeder einzelne gebunden an Händen und Füßen, wie die Opfer, die zum scheußlichen Altar geschleppt worden. Die Tänzerin berührte mit ihrer kalten, zitternden Hand die ihres Gefährten und wies nach einer Seite des glänzenden Kerkers hin.

Deutlich konnte Walding dort die Kleidung eines Europäers erkennen – ja, er glaubte ein europäisches Frauengewand nahe derselben Stelle zu bemerken.

An dem torartigen Eingang lehnten gleich Schatten auf hellem Grund zwei bewaffnete Thugs, Bildsäulen gleich.

Nur wenn einer oder der andere der Gefangenen – von brennendem Durst gefoltert – nach Wasser rief, bewegte sich einer der Wächter von seinem Posten, füllte ein Schale aus einem großen in der Mitte des glänzenden Kerkers stehenden Gefäß und hielt dies dem Verschmachtenden an den Mund.

In dem Augenblick, als die Bajadere noch einmal bedeutungsvoll dem Deutschen die Hand drückte und dann, einer Schlange gleich, vorwärts glitt, standen beide Wächter unbeweglich am Eingang.

Walding hatte sich über das Verfahren, das er innehalten wollte, entschlossen. Leise hob er die Kapuze in die Höhe, um bei dem bevorstehenden Kampfe besser sehen zu können, und hielt die gespannte Pistole in der Hand, bereit, im Augenblick vorzuspringen.

Plötzlich wandte sich der eine der Thugs um, er glaubte ein Geräusch in dem Gang gehört zu haben. Im selben Augenblick war das Mädchen, am Boden fortkriechend, an die Seite des anderen gelangt, hob sich mit Blitzesschnelle in die Höhe und stieß ihm den Malayendolch bis ans Heft in die Seite. Dann, ohne sich um den Erfolg zu kümmern, stürzte sie in das Gewölbe.

»Bei der Devy! ich bin ein Toter! Feinde! Feinde!« schrie der getroffene Mahratte, indem er taumelnd nach seinen Waffen griff, aber in dem Bemühen zu Boden stürzte. »Das Seil! das Seil!«

Vor dieses, das aus einer in der Mitte der Decke gähnenden Öffnung herabhing und zu einer mächtigen Glocke in einer der oberen Felsenetagen führte, deren Klang sofort Hilfe herbeigerufen hätte, stand Anarkalli mit geschwungenem Dolch, entschlossen, mit ihrem Leben jede Annäherung daran abzuwehren.

In dem Augenblick, wo Walding den Wächter getroffen sah und seinen Ruf hörte, war er gleichfalls vorwärts gesprungen und im Licht der Felsenspalte erschienen.

Einen Moment lang zögerte bei dieser Überraschung der zweite Thug, ob er zu dem Seil eilen oder den zweiten Feind niederschlagen solle – dann wandte er sich mit dem grellen Kampfruf der Thugs: »Bajid! Deo!« ihm entgegen und hob die schwere Dschambea zum tödlichen Schlage.

Der Schuß des Deutschen dröhnte durch die Wölbung – die Kugel hatte ihr Ziel getroffen und die Brust des Mörders durchbohrt, der in die Knie sank. Bei diesem Anblick flog die Bajadere herbei, und ehe Walding sie daran zu hindern vermochte, fuhr ihr Stahl über die Kehle des Wächters und vollendete sein Werk.

»Sie oder wir,« sagte das Mädchen fest, »keine Lippe darf verkünden können, was hier geschehen! Aber bei Ganesa, dem Gott der Weisheit, lege das Tuch um dein Haupt, ehe du einen Schritt weiter gehst, denn niemand soll wissen, daß du in dieser Höhle des Todes gewesen, oder das Verderben würde sich an deine Fersen heften. Unser Werk ist erst zur Hälfte getan – komm!«

Mit zwei Sprüngen war sie an der Seitenwand des Kerkers, kniete neben einer der dort liegenden Gestalten nieder, und der Dolch, der soeben noch in das Blut ihrer bisherigen Gefährten sich getaucht gehabt, durchschnitt die Fesseln der Glieder.

»Stehe auf, Sahib,« sagte sie, »die dich in das Verderben geführt, wird auch dein Leben wieder erretten!« Sie schlug die Kapuze von ihrem Antlitz zurück.

Der Befreite war ein junger Mann von etwa dreiundzwanzig Jahren mit kühnem, offenem Gesichtsausdruck und, wie er jetzt aufrecht stand, militärischer Haltung, obgleich er einen einfachen Jägerrock, ähnlich der Kleidung Waldings, trug. Wer der tapferen Verteidigung der einsamen Posada von Monako in der Wildnis der Apenninen gegen die Banditen vor fünf Jahren beigewohnt hätte, würde leicht in diesen von der Sonne Indiens gebräunten, männlicher gewordenen Zügen einen der jungen, übermütigen, aber wackeren Engländer wiedererkannt haben.

Das erste, was der junge Mann tat, war, der Tänzerin, ohne sie eines dankenden Blickes zu würdigen, den Dolch aus der Hand zu reißen, einige Schritte zur Seite zu springen und die ähnlichen Fesseln der dort halb bewußtlos ruhenden Gestalt zu durchschneiden und dieselbe emporzurichten und an die Felsenwand zu lehnen. Dann stellte er sich vor sie, den Dolch in der Hand, und seine flammenden, wild umhergeworfenen Augen verkündeten, daß er auf jeden Angriff gefaßt sei.

Die Gestalt, welcher der gefangene Brite eine so sorgfältige Aufmerksamkeit bewies, zu deren Schutz er sein Leben zu opfern bereit schien, war ein junges, jetzt todesbleiches Mädchen, offenbar seine Landsmännin.

Mühsam nur erhielt, an den linken Arm ihres Befreiers sich anklammernd, die von Angst und Schrecken schwankende Gestalt sich aufrecht. Ihr reiches blondes Haar fiel ungeordnet und wirr auf ihre Schultern, ihre einfache, aber den gebildeteren und höheren Ständen angehörende Kleidung war an manchen Stellen zerrissen – blutleer Wange und Lippe, und das große blaue Auge halb geschlossen von den müden Wimpern und ausdruckslos, aber ein eigentümlicher Zauber von Sanftmut und Jungfräulichkeit lag über dem ganzen Äußeren des jungen kaum siebzehnjährigen Mädchens, dem ein so entsetzliches Schicksal bevorgestanden.

»Kommt heran, blutige Mörder,« rief der junge Soldat mit entschlossenem Ton. »Nicht lebendig sollt ihr mich und dieses Wesen von dieser schrecklichen Stätte weiterschleppen! Nur einmal können wir sterben.«

Die Bajadere, ohne Rücksicht auf die Folgen, warf die Hülle zurück, die ihr Haupt deckte. Ihr dunkles Auge sprühte in eifersüchtigem Feuer, als es sich auf das bleiche weiße Mädchen richtete, das der Mann, den sie liebte, so eifervoll verteidigte.

»Erkennst du mich?«

»Falsche! Schändliche! Du bist es, welche meine Torheit mißbrauchte, die mich in die Hände der Unholde lieferte! Du kommst hierher, um dich an den Leiden deines Opfers zu laben – fort von mir!«

Sie senkte einen Augenblick das Haupt, wie vernichtet von dem Vorwurf; dann erhob sie es wieder, stark und entschlossen.

»Weißt du, was mit deinen zehn Gefährten in diesem Augenblick geschieht, welche die Finsteren, denen das Schicksal mich beigesellt, von dieser Stätte gestern entfernt haben?«

»Was kann ihr Schicksal in den Händen solcher Menschen wohl anders sein als der Tod – wir sind auf das schlimmste gefaßt!«

»Tor – nicht auf die Wirklichkeit, die schrecklicher ist, als dein Geist sie zu malen imstande. Gräßliche Marter wird dein Hirn verzehren und jedes deiner Glieder tausendfache Pein erleiden. Ich, ich – die ich dich liebte, die dir Verderben gebracht – ich kann dich erretten. Überlaß jene dort dem Schicksal, das Schiwa ihr bestimmt, und folge uns!«

»Wer bürgt mir für deine Aufrichtigkeit nach dem schändlichen Verrat, den du an mir begangen?«

»Ein Landsmann – ein Europäer,« sagte der Arzt. »Ich bin Zeuge, daß Anarkalli ihren Verrat bitter bereut hat, daß sie unter hundert Gefahren diesen Versuch unternommen, Sie zu befreien. Und der Tod Ihrer grausamen Wächter muß Ihnen beweisen, daß wir Ihre Freunde sind, daß es uns Ernst ist mit unserer Hilfe!«

Der junge Offizier sah erstaunt auf den Verhüllten, dessen Sprache und Worte ihn so unerwartet als einen Europäer erwiesen.

»Großer Gott,« rief er bewegt, »wenn Sie ein Christ, wenn Sie ein Engländer sind, so dürfen Sie uns in dieser schrecklichen Not nicht verlassen. Mein Name ist Stuart Sanders, Leutnant in Ihrer Majestät 84. Regiment. Ich bin auf einer Reise nach dem Pendschab von meinen Gefährten ab- und in die Hände von Menschen gelockt worden, deren Zwecke mir unbekannt sind, aber nur verbrecherisch sein können!«

»Sie sind in der Gewalt der Thugs, Sir!«

»Ich ahnte es. Aber Sie, mein Herr – wer sind Sie, und welche Macht haben Sie über diese Mörder, die uns retten könnte?«

»Leider keine – ich selbst bin eine Art Gefangener und kann Ihnen nur die Hilfe bieten, die Mut und Kraft eines einzelnen Mannes gewähren können. Ihre Befreiung sowohl als meine Rückkehr aus diesen entsetzlichen Höhlen hängt von dem guten Willen und der Umsicht dieses Mädchens ab, das mich hierher gebracht, Sie retten zu helfen!«

Der junge Offizier betrachtete Anarkalli von der Seite – ihre Augen waren nach immer trotzig und finster auf ihn und die junge Dame gerichtet.

»Wohl,« sagte er endlich, »ich will es glauben, daß Sie beide es ehrlich meinen und Ihnen trauen. Aber ich bin Mann und Soldat und weiß der Gefahr und dem Tod ins Auge zu sehen. Wenn Sie nicht uns alle zu retten vermögen, so retten Sie diese unglückliche Dame, die Nichte des Generals Wheeler, die, von den Mördern geraubt, ich in diesem Kerker gefunden habe. Retten Sie diese und seien Sie sterbend meines Dankes gewiß!«

Die Tänzerin faßte leidenschaftlich seinen Arm.

»Die Minuten sind gezählt – jede Versäumnis kann uns allen den Tod bringen. Was geht das bleiche Weib mich an? Dich will ich retten, dich allein! Anarkallis Brust ist bereit, den Todesstreich für dich zu empfangen oder dich zu neuem Leben zu erwärmen! Folge mir, o folge mir schnell!«

Sie warf sich nieder zu seinen Füßen und umklammerte seine Knie.

»Nicht ohne diese Dame!«

Dämonische Flammen sprühten aus den Augen der Bajadere, als sie wild emporsprang.

»Bei der blutigen Göttin, der ich dich entreißen wollte – du liebst dieses Weib, Faringi?«

»Was würde es dich kümmern?«

»Bei der Devy sei es geschworen – nimmer sollst du sie besitzen – eher möge der blutige Altar euch beide empfangen! An diesem Herzen hast du geruht, dieser Leib war der deine, Liebe hast du mir geschworen, und keiner anderen sollst du gehören, falscher Faringi! Komm!«

Sie wollte stürmisch den Arzt mit sich davonziehen.

Waldings Blicke ruhten mit inniger Teilnahme auf dem lieblichen blassen Gesicht der Halbohnmächtigen, die einem so scheußlichen Tode verfallen sein sollte.

»Wenn Sie ein Christ, wenn Sie ein Mann sind,« flehte der Offizier, »so verlassen Sie uns nicht in dieser Not! Retten Sie die Lady!«

Der Deutsche machte sich gewaltsam los von der Hand der Eifersüchtigen.

»Du bist ein Weib, Anarkalli, und hast die Gefühle eines Weibes,« sagte er. »Kannst du eine deines Geschlechts, eine Unschuldige, Hilflose, einem so gräßlichen Schicksal überlassen?«

»War die Begum, die auf dem Altar im Todeskampfe sich wand, nicht gleichfalls ein Weib und schuldlos? Was kann ich dafür?« zürnte die Tänzerin.

»Habe Erbarmen – auch ich kann diese Unglückliche nicht verlassen, wenn ich auch unser Verderben vor Augen sehe!«

»Er liebt sie – der Faringi liebt sie?«

Ihr Ton war heiser und zischend, man fühlte, daß das bessere Gefühl mit der Leidenschaft rang.

»Ich habe die Lady hier in diesem scheußlichen Kerker zum erstenmal gesehen!«

»Sprichst du die Wahrheit, Christ?«

»Bei meiner Ehre – bei der Hoffnung meines Glaubens!«

»Komm hierher und überlaß das Weib diesem da.« Sie wies auf ihren Begleiter. »Er wird für sie Sorge tragen.«

Mit Gewalt zerrte sie den jungen Offizier von dem Mädchen hinweg, dem Walding seinen Arm bot, sich darauf zu stützen. Ein Gefühl warmen innigen Mitleidens und fast zärtlicher Teilnahme überkam sein Herz, als er auf die zitternde Gestalt in das mit Furcht und mit Flehen auf seine Verkleidung blickende blaue Auge schaute, das in Tränen der Angst und neuer Hoffnung schwamm.

»O Herr, den Gott uns zum Retter gesandt,« flüsterte sie, »wer Sie auch sein mögen, verlassen Sie uns nicht in dieser entsetzlichen Stunde!«

»Nie – so lange Leben in mir ist, ich gelobe es Ihnen!« Er schwor es sich zu in diesem Augenblick in seinem Herzen.

Während dieser kurzen Momente waren rasche, heiße Worte gewechselt worden zwischen der Bajadere und dem englischen Offizier.

»Höre mich an, Faringi,« flüsterte das Mädchen, das ihn zu den Leichen der beiden Wächter gezogen hatte, »die Frauen dieses Landes lieben nicht wie die deinen, in deren Adern eisiges Blut rinnt. Mein bist du, denn ich habe dich erkauft mit dem Bruch heiligen Eides, mit der Strafe Jahrtausende langer Wandlungen nach diesem Leben! Niemals, niemals kann meine Liebe von dir lassen, aber Tod und Verderben würde sie jedem bringen, der dich mir entreißen wollte! Schwöre mir, mich zu lieben – immer – unverändert – keine andere, und ich werde dich retten und jeden, den dein Gebot mir bezeichnet!«

Der Offizier zauderte einen Augenblick – sein Blick schweifte unwillkürlich hinüber nach der jungen Engländerin.

»Du willst nicht? – Fluch und Verderben über dich und sie – über alles, was atmet!«

»Ich schwöre!«

Eine wilde Freude loderte in ihren Augen. Leidenschaftlich warf sie sich in den Staub vor ihn und umfaßte und küßte seine Füße.

»Ich bin deine Sklavin, Sahib, von diesem Worte an, der Hauch deines Mundes, der Schatten deines Leibes! – Komm – denn die Zeit ist da!«

In triumphierender hochaufgerichteter Haltung sprang sie empor und zog ihn hin zu dem Arzt und der Engländerin. »Ich werde euch beide retten, aber es ist nötig, daß ihr blind jedem meiner Worte folgt, so seltsam meine Weisung auch klingen möge. Dein Wille, daß dieses Mädchen uns begleite, macht eine Änderung meines Planes notwendig. Jetzt fort von hier, denn die Minuten sind kostbar. Nehmt die Waffen der Erschlagenen und folgt mir!«

»Anarkalli« sagte der Offizier, sie noch einmal zurückhaltend, »sollen wir alle diese Unglücklichen einem schrecklichen Schicksal überlassen – können wir nichts tun, sie zu retten?«

Sie stand einen Augenblick sinnend, die kleine Hand an die Stirn gepreßt, dann schien ein Gedanke sie zu durchzucken.

»Retten? das ist unmöglich – aber ihnen Mittel geben, um ihr Leben zu kämpfen und sich zu rächen – ja, bei Yama, dem Richter der Toten – das ist ein glücklicher Gedanke und wird uns helfen!«

Ehe fünf Minuten vergangen, waren alle ihrer Fesseln entledigt und drängten sich jetzt um die Befreier, denn die apathische Ruhe, mit der sie, dem morgenländischen Charakter gemäß, ihrem Schicksal sich unterworfen hatten, machte einer wilden, energischen Tätigkeit Platz, als so plötzlich ihnen die Gelegenheit wurde, ihre Lebenskraft zu entwickeln.

Ein Wink Anarkallis, deren Haupt wieder mit der Kapuze verhüllt war, versammelte alle um sie her.

»Brüder,« sagte sie mit erhobener Stimme, »die meisten von euch werden wissen, daß sie in den Händen der Thugs, der unerbittlichen Mörder sind. Nur eines bleibt euch übrig: zu kämpfen, um euer Leben und euch zu rächen. Ich habe euch befreit, aber ich vermag nur wenig mehr für euch zu tun. Seht diese Schnur, nehme einer sie in die Hand; wenn ihr derselben folgt, wird sie euch zu dem Versammlungsort eurer Mörder führen, die bereits eure Gefährten ihrer blutigen Göttin geopfert haben. In der ersten Höhle zur linken Hand auf dem Weg, den ihr verfolgt, findet ihr Waffen – aber eines versprecht mir zum Dank, verlaßt diesen Kerker erst, wenn die Fackel, die ich in diese Felsenspalte stecke, völlig bis zu dem Stein niedergebrannt ist!«

»Und du schwörst uns, daß die Schnur uns zu unseren Feinden führen wird?« fragte ein muhamedanischer Kaufmann aus Kaschmir.

»Bei den neun Wandlungen Wischnus! – Lebt wohl und möge er euch allen gnädig sein!«

Sie legte die Schnur in die Hand des Kaufmanns, bedeutete ihn nochmals, wo sie die Waffen finden würden und zog die drei Europäer mit sich fort.

Sie schritten, von Anarkalli geführt, eilig den Weg zurück, den diese mit dem Deutschen nach dem schrecklichen Kerker gekommen war. Walding unterstützte die junge Engländerin, um die Eifersucht der Bajadere nicht noch mehr zu erregen, während die letztere stumm und anscheinend noch mit sich selbst uneins, voranschritt.

Bald vernahmen sie aufs neue das Brausen des Wasserfalls näher und näher, als die Tänzerin in einer Erweiterung des Gewölbes stehen blieb und ihre Gefährten dicht zu sich zog.

»Der Augenblick naht,« sagte sie ernst, »wo es gilt, euren Mut und euren Gehorsam zu zeigen. Nur das unbedingteste Befolgen jedes meiner Worte kann uns retten. Wenige Schritte – und wir müssen uns trennen: zwei von uns müssen einen abgesonderten furchtbaren Ausweg aus diesen Höhlen einschlagen, bei dem nur Besonnenheit und Glück ihnen helfen kann. Hast du den Mut, mit diesem Mädchen allein durch die Masse der Mörder zurückzukehren?«

»Sie – allein – bedenke –«

»Der Pfad, den wir beide gehen,« erwiderte kalt die Bajadere dem Offizier, »ist ein Kampf um jeden Atemzug, der Tod in dem Abgrund der Unterwelt, wohin nie das Licht, der belebende Hauch der Gottesluft dringt, hörst du das Rauschen in deinem Ohr?«

»Ein unterirdischer Wasserfall?«

»Wohlan – seine Fluten sind der Weg, dem wir uns anvertrauen müssen. Was sind die Gefahren menschlicher Wut und Tücke gegen die unsichtbaren Schrecken der Tiefe. Oder fürchtest du, mit Anarkalli zu sterben, wenn der Augenblick des Todes gekommen?«

Er schauderte und beugte einwilligend sein Haupt. Editha aber reichte der Hindu die Hand.

»Ich vertraue dir,« sagte sie, »was du über mich bestimmst, möge geschehen – was sollte das Verderben eines armen Mädchen dir nützen, das dich nie beleidigt.«

Mehr als alle Worte der Männer wirkte die einfache Rede der Jungfrau auf die Bajadere. Sie preßte die dargebotene Hand an Brust und Stirn. »Möge dein Schatten lange dauern, Jungfrau, und die Blume deines Herzens nimmer den milden Tau des Glückes vermissen,« sagte sie. »Cama, der Gott der Liebe, wird deine Wege leiten und uns in wenig Stunden den goldenen Sonnenschein wieder teilen lassen. Folge mir hinter diesen Felsen, damit wir eilig die Gewänder wechseln und die Augen der Männer uns nicht beleidigen.«

Als sie nach wenig Augenblicken hinter den Vorsprung wieder hervortraten, hatten die beiden Mädchen so vollständig als möglich ihre Kleider getauscht, und die Lady erschien in der Verhüllung der Teilnehmer des blutigen Opferfestes.

Die Bajadere trat zu dem Arzt. »Kröne das Werk deines Mutes, Hakim der Franken,« sagte sie, »indem du Vorsicht und Entschlossenheit die Begleiter deines Weges sein läßt. Die Gefahr, die ihr zu bestehen habt, ist dann nur gering. Diese Schnur führt dich, wie du weißt, zu der Opferhöhle der Thugs. Das Opfer für die dunkle Göttin wird beendet sein und du findest ihre Jünger in wildem Rasen, in dem man deiner und deiner Begleiterin nicht achten wird. Merke die Richtung wohl, und dringe durch die Menge zu der gegenüberliegenden Seite der Höhle, von welcher wir gekommen. Dort mußt du der Dinge harren, die sich ereignen werden – bald wird der Kampf jener Männer beendet sein, denen wir die Freiheit gegeben: ihr Entkommen ist unmöglich, aber ihr Tod wird euch retten. Sind sie besiegt, so werden die Thugs sich zerstreuen, denn nicht darf der junge Tag sie in diesen unterirdischen Gewölben finden. Folge schweigend den ersten, die den Gang betreten, aus dem wir gekommen; sie werden dich bis zum Grabmal Nurheddins in der Pagode geleiten, von wo aus du leicht den Kiosk, deine Wohnung, erreichen kannst. Viele Fremde befinden sich auf der Burg Matangher; wenn Gefahr oder Zweifel dir aufstößt, so mache dem ersten begegnenden das Zeichen des Bundes, das ich dich gelehrt und spich: »O Kaley! Ombra Nurheddin!« und sie werden euch für fremde Brüder halten und den Weg zeigend vor euch her schreiten, habt ihr glücklich den Kiosk gewonnen, so hülle diese Jungfrau mit den Goldhaaren in die Gewänder, die ich zurückgelassen, färbe ihre Füße mit dem Hennah und verbirg den Reiz ihres Angesichts in dichte Schleier. So wird sie für Anarkalli, die Abtrünnige, gelten, die ihr Erzeuger dir zum Eigentum gegeben. Morgen nach Sonnenaufgang wird Kassim dich wecken, um die Reiter zu begleiten, die dem Srinath Bahadur entgegenziehen. Befiehl dem Mayadar streng, darüber zu wachen, daß niemand dein Gemach betritt und der falschen Anarkalli naht. Er wird gehorchen und den Weg zu ihr mit seinem letzten Blutstropfen verteidigen. Murad Khan wird mit euch zu Rosse ausziehen, den Radschah von Bithur zu begrüßen. Er ist dein Freund und wird alles tun, was du von ihm verlangst. Wenn ihr das Felsentor des Tales überschritten, dann bleibe unter einem Vorwand mit ihm zurück und fordere ihn auf, dich an das Ufer des schwarzen Flusses zu führen, zu der Stelle, wo die sieben Dattelpalmen zwischen dem Felsgestein ihre Federkronen über die Flut erheben – ist Wischnu, der Erhalter, uns gnädig, so wirst du dort das weitere von mir hören. Hat Schiwa sein Opfer gefordert, o Fremdling, so bete für Anarkalli und ihren Geliebten!«

»Aber wie wird es mir möglich sein, diese Unglückliche, Schuldlose aus den Mauern des entsetzlichen Schlosses zu befreien?«

»Ich vergaß, dir das Mittel zu sagen,« entgegnete hastig die Bajadere. »Wenn Srinath Bahadur, den man Nena Sahib nennt, nach Malangher gekommen ist, so erkläre deine Absicht, mit ihm zu ziehen, begib dich in seinen Schutz und gib ihm das Schreiben, ohne ihm zu sagen, von welcher Hand du es erhalten. Es sollte jenem Mann seinen Schutz sichern, denn der Maharadschah ist ein Freund der Engländer – jetzt möge es dir und der Jungfrau helfen. Wenn der Bahadur es gelesen, wird er noch am selben Abend mit seinem Gefolge aufbrechen und weiterziehen; denn das Papier sagt, daß einer, die er liebt, mehr als das Licht seiner Augen, Gefahr drohe. Unter seinem Schutz wird es dir leicht werden, die Faringi-Jungfrau aus der Feste Tukallahs zu führen, ohne daß dieser den Betrug merkt. Und jetzt – lebe wohl, Hakim, und möge Lakschmi auf deinem Wege dich mit dem Füllhorn ihrer Gaben dafür überschütten, daß du einer, die verzweifelte, deine Hilfe geliehen. Halte deinen Eid des Schweigens, und Cama lasse unser Werk gelingen!«

Anarkalli sprang zu den dunklen Gegenständen, die der Arzt auf dem Wege hierher in einer Felsengrotte bemerkt hatte und schleppte den größten derselben herbei.

Jetzt, im Lichte der Lampen, konnte Walding die Form näher erkennen, er hatte sich in der Tat nicht getäuscht: es war ein ziemlich großes, tonnenartiges Gestell von starken Stahlreifen, das sehr sorgfältig gearbeitet, durch den Druck der Federn sich zusammenknicken ließ und über das ein dunkler, zäher Stoff gespannt war.

Walding überzeugte sich, daß es eine feste, zähe Gummischicht sei, von jenem elastischen, dehnbaren und festen Harz.

Noch begriff er nicht den Zweck des seltsamen Geräts.

Die Hindu riß ihr Oberkleid ab, bedeutete Stuart dasselbe zu tun, sprang schwindelfrei vor an den Rand der Felsplatte und tauchte die Kleider in die herabstürzende Flut.

Dann legte sie ihre Lippen an das Ohr des Offiziers und schrie ihm einige Worte zu.

Einen Blick warf der junge, mutige Mann umher, dann stieg er in die Öffnung und Anarkalli bedeutete ihm, sich an zwei Ringen der Stahlreifen im Innern festzuklammern.

Das Faß oder der tonnenartige Ballon war im Innern groß genug, um Raum sogar für drei bis vier Menschen zu gewähren und mit Klammern und Ringen zum Festschnüren von Gegenständen versehen.

Walding schauderte – eisig kalt rieselte es durch seine Adern – er begann die furchtbar kühne Absicht des Hindumädchens zu ahnen, ohne doch die ganze schreckliche Gefahr zu verstehen.

Anarkalli holte tief und schwer Atem, als wolle sie die frische, vom Wasser gekühlte Luft des Gewölbes in ihre Lungen pressen und schlüpfte mit der Gewandtheit einer Schlange in den Ballon.

Das Haupt verschwand und entschlossen stieß die Hand von innen das die Öffnung auseinander sperrende Holz nach außen.

Die Gummihülle sprang zum luftdichten Verschluß zusammen!

Walding begriff, daß jeder Moment ein Leben wert sei, und sein Fußstoß traf den Ballon.

Leicht rollte derselbe mit seiner lebendigen Last über den Felsengrund – im nächsten Augenblick war er in dem Schaum der Wasserkaskaden verschwunden.

Er fühlte die neue Gefahr, und mit einer mannhaften Anstrengung seiner Seele wurde er wieder Herr seiner Sinne, seines Bewußtseins.

Er wandte sich nach seiner Gefährtin – sie war an der nassen, kalten Steinwand niedergesunken, ein gänzlich hilfloses Wesen, seiner Kraft, seinem Mut allein anvertraut.

Niemals – in keiner der mancherlei bitteren Stunden seines Lebens – war das Gefühl menschlicher Schwäche, des Bedürfnisses nach Gott, so gewaltig vor sein Inneres getreten. Kurz nur war sein Gebet – vielleicht wenige Warte oder Gedanken nur – aber als er sich erhob, war Glauben und Vertrauen in seiner Seele, und ohne falsche Scham, die so oft selbständige und kräftige Geister entehrt, sah er, daß die Britin neben ihm gekniet und Zeuge seiner Anrufung des Allmächtigen gewesen war.

Die wenigen Augenblicke schienen auch das schwache zaghafte Mädchen neu gekräftigt, das Gebet des ihr unbekannten Mannes, dessen Antlitz sie nicht einmal gesehen, ihr Vertrauen zu diesem eingeflößt zu haben. Sie reichte ihm stillschweigend die Hand und gleichfalls, ohne ein Wort zu sprechen, zog er sie von der Stätte des Schreckens und folgte jetzt eilig mit ihr der leitenden Schnur.

Sie mochten etwa zehn Minuten mit verstärkter Eile ihren Weg fortgesetzt haben, als plötzlich ein furchtbarer Ton ihren Schritt hemmte.

Ein metallener Donnerklang, gleich dem schrecklichen Posaunenton des Weltgerichts, dröhnte durch die Windungen der Gänge und erschütterte in gewaltigem Echo die Gehörnerven. Im ersten Augenblick glaubte Walding den Ton des gewaltigen Tamtam zu hören, das das Signal zu der blutigen Feier der Thugs gab, bald jedoch unterschied er die regelmäßigen Schwingungen einer Glocke, deren Geläut in so mächtigen Tönen durch die Gewölbe dröhnte.

»Die Wahnsinnigen – sie haben den Glockenstrang gezogen, der das Zeichen der Gefahr gibt und Hilfe für die Wächter des Kerkers herbeiruft!«

Das furchtbare Läuten schwieg, aber ein fernes wildes Geschrei schlug von zwei entgegengesetzten Seiten an ihre Ohren.

»Ewiger Gott – wir geraten zwischen sie und die Mörder selbst!«

So war es in der Tat! – Als die der Stricke entledigten Opfer der Thugs sich mit den aufgefundenen Waffen versehen hatten und die Fackel – die Anarkalli ihnen zum Wahrzeichen aufgesteckt – niedergebrannt war, begannen die Entschlossenen den Versuch ihrer Rettung auf dem Weg, den die Schnur ihnen angab. Törichterweise jedoch hatte einer von ihnen das Seil ergriffen, das von der Decke herniederhing, und daran gezogen, wahrscheinlich in dem Glauben, daß er mit seiner Hilfe einen Ausweg aus dem Gewölbe finden möge. Der Ton der schwingenden Glocke entsetzte sie, und in dem Gefühl unbekannter vergrößerter Gefahr, mit der todesverachtenden Kühnheit der Verzweiflung stürzten sie in den Gang und eilten vorwärts.

Walding erkannte, daß sie, trotz ihrer Verkleidung, verloren seien, wenn die herbeistürmenden Thugs ihnen begegneten – schon erblickte er in der fernen Tiefe des Ganges den Schein hochgeschwungener Feuerbrände, sah die dunklen Gestalten – da fühlte er zur Seite kühlen Luftzug, die umhergreifende Hand fühlte leeren Raum an der Felsenwand – es war einer der sich öffnenden Seitengänge dieses Felsenlabyrinths, und eilig – die Schnur, ihren einzigen Leiter in diesen Gefahren, loslassend – zog er seine Schutzbefohlene hier hinein und, an den Wänden forttappend, so eilig als möglich mit sich fort.

Wenige Augenblicke danach sahen sie noch am Eingange der Wölbung Fackeln und Waffen schwingende Gestalten vorüberstürzen, dann entzog die Biegung des Ganges ihnen die Aussicht, aber gleich darauf schlugen schwache Pistolenschüsse und Waffengeklirr an ihre Ohren.

Der Arzt griff unwillkürlich nach seinem Revolver – er war fort – er erinnerte sich, daß die Bajadere ihm denselben aus dem Gürtel gezogen und einem der befreiten Sepoys zugeworfen, ihm selbst aber nur den Yatagan des erschlagenen Wächters zu seiner Verteidigung gelassen hatte, aus Vorsicht ohne Zweifel, damit eine Unvorsichtigkeit sie nicht verraten möge.

Die Hand des Höchsten jedoch wachte über ihnen. Nach wenigen Minuten eilfertigen Vorwärtsdringens sahen sie Lichtschein vor sich; – anfangs fürchtete Walding, er künde das Nahen neuer Verfolger, aber bald überzeugte er sich, daß sie auf einem Umweg der großen Felsenhöhle sich nahten, in welcher das blutgetränkte Bild der furchtbaren Göttin stand, und er beschloß, auf jede Gefahr hin, vorzudringen.

Dieser Entschluß erlitt eine harte Prüfung, als sie die Öffnung des Ganges erreichten – denn der Anblick, der sich ihnen darbot, mochte selbst die festesten Nerven erschüttern.

Eine entsetzliche Orgie schien nach Beendigung des Opfers – nachdem das letzte den Atem ausgehaucht – begonnen zu haben. In wilder Raserei tanzten Hunderte der dunklen Gestalten noch immer um den blutigen Altar, unbekümmert um den Kampf, der in der Masse wogte.

Denn wenige Augenblicke vor ihrem Eintritt in die riesige Katakombe war die Schar der Befreiten, die auf den Klang der Glocke zu dem Kerker geeilten Chams zurücktreibend, in die Höhle gedrangen, Dolch und Säbel in der Faust, entschlossen, ihr Leben an die Mörder teuer zu verkaufen.

Gleich einer Wasserflut schloß sich der Kreis der entsetzlichen Fanatiker in wildem Geheul um die Eingedrungenen, als ihnen das Geschrei der fliehenden Chams verkündete, daß es den Gefangenen gelungen sei, sich zu befreien.

Der alte aber kühne und mutige Kaufmann aus Kaschmir hatte die Führung der kleinen, aber verzweifelten Schar übernommen und sie ermahnt, sich dicht aneinandergedrängt zu halten.

Die Thugs dagegen waren sämtlich unbewaffnet, nur mit ihren schrecklichen Phansis oder Rumals versehen, aber von dem Fanatismus ihrer Lehre gleichgültig gegen Wunden und Tod gemacht.

So stürzten sie in die Dolche und Speere der Gefangenen.

Jeder Stoß – jeder Hieb – und es waren kräftige, tapfere Männer, des Kampfes gewohnt, unter der kleinen Schar – spritzte Ströme von Blut auf den Felsboden und machte eine Lücke in dem tobenden, heulenden Menschenwall, der sie umdrängte, aber die Flut schloß sich im Augenblick wieder, und die Gefallenen starben unter den Füßen ihrer Genossen, anrufend mit dem letzten Hauch die blutige Göttin.

Auf der Schwelle ihres Altars stand der Ober-Guru, in seiner Faust hoch die heilige Spitzaxt geschwungen, umgeben von den Chams und Häuptern des Bundes.

»Tötet! – Tötet! – Tötet! – Glücklich sind, die für die Bhawani sterben!«

Sein dröhnender Ruf, seine mächtige Stimme überklang das Geheul und Getümmel des Kampfes, das Jauchzen der rasenden Tänzer um den Altar.

Man sah nur den drängenden Knäuel der Menschenwoge, wie sie hin und her flutete – nur das Blitzen der Waffen hinein in den Wall der dunklen Mördergestalten – kleiner und kleiner wurde die verzweifelte Schar, aber noch immer hielt sie tapfer und fest zusammen und drängte vorwärts nach dem Götzenbilde, dem sie so oder so zum Opfer fallen sollte.

»Bhartoty! Bhartoty!« heulte der mächtige Ruf des Ober-Guru.

Da öffnete sich plötzlich die Menschenwoge um die dem Tode geweihte Schar – an der hohen Gestalt, der weißen Kapuze erkannte Walding den grimmigen Häuptling der Phansigars und in seinen Armen die Tigerkatze.

Ein gellender Ruf – ein wütendes Gebrüll – dann schleuderte seine gewaltige Kraft die Bestie hoch durch die Luft in die Mitte der tapferen Schar.

Einen Moment – dann stob der Menschenknäuel auseinander, vom Rasen des grimmen Tieres war der kleine Haufen gesprengt, und über die einzelnen verzweifelt Kämpfenden warfen sich erdrückend, vernichtend die Wogen der Mörder.

Es war das letzte, was Walding von dem schrecklichen Schauspiel sah. Erkennend, daß er keinen Augenblick zu verlieren habe, um die Verwirrung und das Gewühl zu benutzen, stürzte er sich selbst hinein, die zitternde Lady mit sich fortreißend, sie mehr tragend als führend, – fest im Auge den Punkt, den er als die Stelle zu erkennen geglaubt, an welcher er mit der Bajadere den Ort so vieler Schrecken betreten.

Mit muskelkräftigem Arm teilte er die drängende Masse, von der sich keiner um sie kümmerte, und erreichte nach gewaltiger Anstrengung die gegenüberliegende Seite der Höhle, wo er sich ohne Zögern in den nächsten, die offene Mündung bietenden Felsengang warf und in diesem so rasch als möglich weiter eilte.

Einzelne Flambeaux erhellten auch diesen unterirdischen Weg, aber an keinem Zeichen vermochte der Arzt zu erkennen, ob er sich auf dem richtigen befände.

Der Lärm der Opferhöhle lag längst hinter ihnen, als ihm selbst die Befürchtung sich aufdrang, er möge sich verirrt haben.

»Barmherziger Himmel,« betete das Mädchen, »ich kann nicht mehr – meine Kräfte sind erschöpft! Edelmütiger Helfer – Gott wird Sie segnen für das, was Sie getan, aber lassen Sie mich hier sterben und retten Sie sich selbst – es ist vorbei mit mir!«

Sie hing schwer an seinem Arm. »Mut, Mut, teure Miß,« flehte er, »ich beschwöre Sie, nehmen Sie Ihre Kraft zusammen, edles Mädchen, und lassen Sie uns jene Stelle erreichen, wo die Fackel brennt – dort wollen wir ruhen, bis Sie sich wieder gestärkt!«

Er faßte sie in seine Arme und trug sie weiter. Schon hatten sie den sich erweiternden Raum erreicht, wo die Fackel brannte, und er wollte seine schöne Bürde auf einen rauhen Steinsitz niederlassen, als sich plötzlich eine scheußliche Gestalt vor ihnen erhob, wie aus der Erde gestiegen.

Ein Schrei wilden Entsetzens entfuhr dem Munde der Jungfrau, ein Hilferuf in englischer Sprache, mit welchem sie zu Boden sank.

»Hei – die entflohenen Täubchen! Bhartoty! Bhartoty!« jubelte das Scheusal, »herbei, ihr Männer der Thug – das sind Opfer der Devy, die der Blutigen entfliehen!«

Ein Blick hatte dem Deutschen gezeigt, daß der scheußliche Zwerg es war, der vor ihnen aufgetaucht – zwar seiner züngelnden Ungeheuer entledigt, aber darum nicht minder gefährlich.

»Owh! Owh! Herbei, ihr Getreuen der Blutigen –«

Ein Gurgeln erstickte seinen Ruf – der Stoß des Yatagans, von der kräftigen Faust des deutschen Mannes geführt, fuhr in den breitgeöffneten Schlund und durchschnitt Kehle und Luftröhre – ein Strom schwarzen Blutes sprudelte auf den Entschlossenen, und zuckend im Todeskampf stürzte das Ungeheuer zu Boden.

Aber im selben Augenblick des Sieges, der überwundenen Gefahr, fühlte sich Walding von rückwärts zur Erde geworfen, den Yatagan seiner Hand entrissen, und auf seiner Brust lag das Knie eines Thugs, und im Schein der Fackel glänzte über ihm zum Todesstoß der Dolch einer dunklen Mördergestalt.


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