Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Die indische Wüste.

Fünf Jahre sind vergangen seit jener Nacht auf Sankt Helena – unser Buch führt den Leser zu anderen Menschen, zu anderen Zonen, in das Mutterland aller Nationen, nach Indien!


Im Dickicht eines indischen Dschungel, am Hang eines Hügels, der von Tamarinden besetzt ist, zwischen deren Kronen ein riesiger Pisang die kolossalen, sechs bis acht Fuß langen Blätter breitet, liegt ein Mann in halb europäischer, halb indischer Kleidung, das gigantische Chaos der Vegetation um sich her mit sinnendem Auge betrachtend.

Die versengende Hitze des Mittags hat ihn genötigt, hier Schutz und Ruhe zu suchen. Im Bereich seiner Hand liegt die sichere Flinte; das edle, hübsche, gebräunte Gesicht auf den Arm gestützt, schaut er träumerisch auf das Pflanzen- und Tierleben, das ihn umgibt. Der trotz der Hitze feuchte und mit üppigem Grün bedeckte Boden der Niederung verschwindet unter einem unentwirrbaren Gestrüpp von Lianen, Farrenkraut und bauschigen Binsen von einer Frische und Kraft des Wachstums, daß ein Reiter mit seinem Pferde dazwischen verschwinden würde.

Der Wanderer am Hügel hatte sich aufgerichtet und war aus dem Schatten des Tamarindendaches hervorgetreten. Er sah, die Augen mit der Hand beschirmend, in die lichte Höhe, aus der ein schriller Schrei die totenähnliche Stille der Umgebung unterbrach. Im nächsten Augenblick fiel ein Körper zu seinen Füßen, dem rasch ein zweiter, größerer folgte. Der letztere breitete sich etwa noch hundert Schritt vom Boden entfernt aus, es war ein Adler, der einen Falken verfolgte, und begann, auf seinen breiten Schwingen ruhend, umherzukreisen, offenbar von dem Anblick des Menschen verscheucht. Der Falke zappelte verwundet am Boden zu den Füßen des Mannes, dessen Schutz er gleichsam aufgesucht zu haben schien, und von einem unwillkürlichen Gefühl getrieben, hatte dieser nach der Flinte gegriffen, den Hahn gespannt und auf den mächtigen Räuber angeschlagen. Der Schuß krachte, und der große Raubvogel taumelte getroffen zur Erde nieder, die er mit seinen langen Flügeln schlug.

Der Schuß schien die Dschungeln lebendig gemacht zu haben. Papageien flatterten umher, das schwarze Rebhuhn stieg aus dem langen Grase empor, wo es versteckt gelegen, ein Schakal heulte in der Ferne, und in den Zweigen der großen Tamarinden und Pigalas, die sich aus den Büschen erhoben, begann eine Affenfamilie ihre Sprünge und ihr Geschrei.

Das einzige menschliche Wesen, das diese Einöde belebte, kümmerte sich aber wenig um die Störung, die sein Schuß angerichtet; ohne die Flinte nach der alten Jägerregel wieder zu laden, warf er sie auf den Boden, hob den Falken auf, der, ruhig und mit klugen Augen den Helfer anschauend, sich dies gefallen ließ, und trug ihn an die schattige Stelle zurück, die vorhin sein Lager gebildet hatte.

»Räuber und Würger sind alle, vom Kleinsten bis zum Größten,« sagte er vor sich hin, – »Alles, was der Odem des Lebens beseelt, verfolgt seine Mitgeschöpfe und schöpft aus ihrer Vernichtung sein Dasein!«

Er war offenbar ein Europäer, wie die Bildung seines obschon von der Sonne Indiens tief gebräunten Gesichts und seine Kleidung bewies. Sein Gesicht zeigte die Züge der germanischen Rasse, ein offenes freies Aussehen mit dem Blick des Denkers und der unwillkürlichen Forschung und Gelehrsamkeit. Eine zusammengerollte wollene Decke und eine mit verschiedenen Bedürfnissen wohl gefüllte Jagdtasche auf dem Rasen, sowie eine daneben ausgebreitete Karte der Präsidentschaft Bombay und des Pendschab mit einem kleinen Taschenkompaß bewies, daß er ein Reisender sei.

Der Fremde untersuchte den Falken genau, um zu sehen, ob das mutige Tier bei dem Kampfe mit dem viel größeren Gegner gefährlich verwundet worden sei. Das erste, was ihm auffiel, war ein um das Bein befestigter, goldener Reif, auf dem in den Schriftzeichen der Sanskritsprache einige Worte eingegraben waren. Dies und ein rotes goldgesticktes Samtband um den Hals des Vogels bewies ihm, daß derselbe kein bloßer Bewohner der Wildnis, sondern einer jener im hohen Werte stehenden abgerichteten Edelfalken sei. Der Schnabelhieb des Adlers hatte den edlen Vogel zwischen Brust und Flügel, wenn auch nicht tödlich, doch so schwer verletzt, daß er für den Augenblick im Fluge gelähmt worden und machtlos aus der Luft herabgestürzt war.

Der Reisende zog aus der Tasche seines Rockes ein wundärztliches Besteck, öffnete es und verband den Vogel kunstgerecht, indem er die verletzten Teile mit einer Bandage umwickelte, um die Heilung zu erleichtern.

In diesem Augenblick glaubte er hinter sich ein leises Geräusch zu hören und wandte den Kopf, sah aber nichts, worauf er in seiner Beschäftigung fortfuhr:

»Der Herr des Vogels,« sagte er, »muß in der Nähe auf der Jagd sein und könnte mir Beistand leisten, wie ich seinem Falken Hilfe geleistet. Selbst wenn er ein Feind wäre, ist es besser, ihm entgegenzutreten, als noch länger in dieser Wildnis umherzuirren. Vielleicht hörte er den Knall meiner Flinte und wird dadurch herbeigezogen – ich will das Signal noch einmal wiederholen –«

Er erhob sich, um das Gewehr zu nehmen – aber bevor er noch sich völlig in die Höhe gerichtet, sah er eine dunkle Linie vor seinen Augen flimmern und fühlte eine Schlinge um seinen Nacken fallen. Im nächsten Moment wurde sie, als er danach griff, zugezogen und der Reisende stürzte, krampfhaft um sich schlagend, zu Boden.

Aus dem Gestrüpp erhob sich ein gelbbraunes wildes Gesicht, das lange schwarze Haar nur mit einem schmutzigen blauen Tuch bedeckt, und der nackte Körper, den nur von den Hüften bis zum Knie eine Hose bekleidete, folgte. In dem Gürtel steckte ein kurzes Messer.

Zugleich kam eine zweite gleiche Gestalt hinter dem Stamm der Tamarinde hervor; ihre Hand hielt noch das Ende der Schnur, deren Schlinge den Fremden erwürgt hatte. Leichte kurze Zuckungen, des Opfers zeigten, daß der Strom des Lebens, der noch in ihm floß, am Versiegen war.

»Ehre sei der geheiligten Bhawani!« rief der, welcher aus dem Dschungeldickicht sich erhoben; »ihr Herz ist nimmer gesättigt und sie sendet ihren Jüngern stets eine Arbeit. Eine Seele ist auf dem Wege zu Brahma, dem Urwesen, und aus dem Tode wird Leben hervorgehen. Der wievielste ist es, o Sohn des großen Faringhea, den du ihr, der feueräugigen Göttin, geopfert?«

Der Thug – denn ein Mitglied dieser furchtbaren Sekte war es, der nach dem Reisenden die Schlinge geworfen, – wandte sich nach seinem Gefährten. »Die blutige Kali hat mir erlaubt, ihr fünfmal so viel Opfer zu bringen, als der Tag Stunden zählt. Du weißt, o Kassim, daß es noch nicht der vierte Teil von der Zahl ist, die mein Vater zu töten so glücklich war. Wischnu, der Erhalter, gebe mir lange Jahre des Lebens, und ich hoffe, die Zahl einzubringen, die er in dem Kerker der schändlichen Faringis versäumte.«

»Soll ich das Bheel graben für den Toten?« fragte der andere. »Vielleicht sendet die Göttin uns den Zweiten, daß wir sein Haupt zu den Füßen dieses Mannes betten, wie es sich gehört.«

»Laßt uns zuerst die Habe des Ungläubigen nehmen, die er an seinem Körper trägt!«

Der Mörder war dabei, als hätte er eine ganz gleichgültige Handlung verübt, an dem jetzt bewegungslos ausgestreckten Opfer niedergekniet.

»Bin ich ein Buthote und habe die Weihe der Chams erhalten, oder zittert meine Hand wie die eines Weibes?« rief er plötzlich, indem bei der Untersuchung der Kleider des Gewürgten ein leiser Seufzer den Lippen desselben entfloh. »Diese Faringi haben ein zähes Leben und fürchten sich, zu Brahma zu gehen! Das Tuch wird seine Seele rascher befreien als die Schnur!«

Er riß das Seidentuch, das um seinen Kopf geschlungen war, herunter und wollte es nach der Art dieser fanatischen Mörder, seinem Opfer um den Kopf werfen, als der Falke, der bisher unbeachtet neben der Gruppe gekauert, auf ihn losflatterte und mit wütenden Schnabel- und Klauenhieben ihn anfiel, gleich als wolle er den Mann verteidigen, der ihm selbst zu Hilfe gekommen war. Im ersten Augenblick fuhr der Thug vor dem unerwarteten Angriff zurück. Dann aber schleuderte er das Tier von sich und beschäftigte sich aufs neue mit seinem Opfer, obschon der Falke furchtlos fortwährend seine wütenden Angriffe erneuerte.

»Halt mir das verfluchte Tier vom Halse, Kassim,« schrie der Würger, erbittert von den erhaltenen Hieb- und Krallwunden, indem er das Tuch um den Kopf seines Opfers festschlang. »Dreh ihm den Hals um – ein böser Geist wohnt in dem Vogel!«

Der zweite Thug war herangekommen und hatte sich des Falken bemächtigt.

»Bei dem heiligen Wagen von Hadramaut!« rief er plötzlich, »laß ab, mein Bruder, bis mit der Göttin Hilfe wir dieses Rätsel gelöst. Dieser Vogel trägt auf seinem Halsband das Zeichen eines Häuptlings unserer Brüderschaft!«

Der andere sprang erstaunt empor – ehe er jedoch eine Antwort geben oder sich näher überzeugen konnte, änderte sich die Szene.

Auf einem weißen arabischen Roß sprengte ein prächtig gekleideter und bewaffneter bejahrter Mann herbei. Mehrere andere Begleiter folgten in einiger Entfernung, blieben aber auf einen Wink ihres Gebieters zurück.

Der Ankommende trug die Gewänder eines vornehmen Mahrattenhäuptlings, wie sie, zum Teil noch unbezwungen, im Sindh oder in den bewohnten Teilen der Thur oder indischen Wüste und an den Ufern des Sedledsch ihre Felsenburgen bewohnen. Er war ein Mann von etwa sechzig Jahren, mit dichtem grauen Bart, der breit auf die Brust herabfiel, und einer dunklen bronzeartigen Farbe. Er lenkte mit Kraft und Geschicklichkeit den feurigen Renner. Sein schwarzes feuriges Auge blickte unter buschigen grauen Brauen hervor und richtete sich durchbohrend auf die beiden Thugs, die bei seiner unerwarteten Annäherung Miene gemacht hatten, zu entfliehen, dann aber, als sie sahen, daß es vergeblich sein werde, trotzig stehen blieben.

Der Reiter trug auf dem kahlgeschorenen Haupt die hohe Kappe der Sindhbewohner, von Seide mit Gold durchwirkt, weite weiße Beinkleider in Stiefeln von rotem Korduan, mit Silber und Perlen gestickt, und einen blauen Ärmelüberwurf. Er führte außer der Dschambea in seinem Gürtel Bogen und Pfeile, und sein Speerträger trug die mit Gold und Schildpatt kostbar ausgelegte Flinte nebst dem Kugelbeutel. Die rechte Hand des Reiters war mit einem starken ledernen Falkenhandschuh bedeckt. Ein eigentümliches Werkzeug hing an dem kostbaren Samtsattel seines Pferdes, ein etwa eine Elle langer runder Stock und eine runde etwa vier Zoll im Durchmesser haltende Stahlscheibe, die in der Mitte eine Öffnung hatte und an dem Rande haarscharf geschliffen war.

Der alte Mahrattenhäuptling hatte sein Roß dicht vor der Gruppe der Mörder und ihres Opfers pariert. Der zweite der Thugs hielt noch den Falken in seiner Hand, der bei dem Erblicken des Reiters ein wildes Geschrei ausstieß.

»Bei dem, der das Weltall geschaffen hat – wer seid ihr und wie kommt jener Vogel in eure Hände, der mein Eigentum ist?«

Die Thugs kreuzten die Arme über die Brust.

»Wenn der Vogel dein Eigentum ist, edler Serdar, so sind wir deine Knechte,« sprach der Sohn Faringheas. »Wir fanden den Vogel bei dem Faringi, der zu deinen Füßen liegt.«

»So hat ihn der Hund erschossen – der Falke blutet!«

»Deine Worte sind Weisheit, o Serdar, aber sie reden nach dem Schein. Ein Adler stieß auf den Falken, und der Fremde schoß nach dem großen Räuber der Lüfte. Dort liegt er tot am Boden.«

»Und ihr habt den Faringi getötet?«

»Es war der Wille der Bhawani – sie hat uns das Opfer gesandt!«

Der Häuptling legte die Hand an die Stirn, als der Name der furchtbaren Göttin ausgesprochen wurde.

»Nehmt das Tuch von dem Antlitz des Mannes!« befahl er alsdann.

Kassim gehorchte. Das blaugeschwollene Leichenantlitz des Erwürgten kam zum Vorschein, die Augen aus den Höhlen gedrängt, starrten gräßlich gen Himmel.

Der Serdar betrachtete ihn einige Augenblicke, dann ließ er erschrocken den Zügel fallen und schlug die Hände zusammen.

»Verfluchte – was habt ihr getan! Dies Leben war tausend Tote der euren wert! Wehe euch Unglückseligen!«

Er sprang mit der Rüstigkeit eines Jünglings vom Pferde und warf sich neben dem Gemordeten auf die Erde, dessen Kopf er in seinen Schoß nahm, rasch die noch um den Hals befestigte Schlinge lösend.

Der Mahrattenhäuptling legte die Hand auf die Brust der Leiche und glaubte noch einen leisen kaum bemerkbaren Schlag des Herzens zu fühlen. Sofort rief er seine beiden Diener herbei und befahl ihnen, des Erwürgten Glieder leise zu reiben, während er selbst den Arm desselben entblößte und mit dem Seidentuch, das zu der Mordtat gedient, unterband. Dann befahl er, eine Ader des Mannes zu öffnen.

Mit stummem Erstaunen waren die beiden Mörder den Bemühungen gefolgt, welche der Serdar der Wiederbelebung ihres Opfers widmete. Die Ader, die der schwarze Leibdiener mit Geschicklichkeit geschlagen, gab anfangs wenig Blut, nach und nach aber begann dies reichlicher zu fließen, die Brust des Gewürgten hob sich, seine Augen verloren die gräßliche Starrheit des Todes, und die Augenlider schlossen sich.

Der alte Häuptling wandte sich jetzt zu dem zweiten Diener.

»Gib mir die Phiole des Lebens, Aly, aber schnell!« rief er, und nahm aus seiner Hand ein kleines Fläschchen von Kristall. Als er es öffnete, verbreitete sich daraus ein scharfer Rosenduft, und der alte Mann träufelte vorsichtig und in längeren Zwischenräumen drei Tropfen auf die Lippen des Bewußtlosen.

Die Wirkung dieses Elixiers war wunderbar. Schon beim ersten Tropfen schien ein Zucken durch den Körper des Unglücklichen zu gehen, mit dem zweiten flog eine dunkle Blutröte über das Antlitz und bei dem dritten Tropfen öffnete sich wieder das Auge, und der noch verschleierte, aber allmählich sich aufhellende Blick starrte umher.

Als er auf den Mahratten fiel, malte sich Erstaunen in den Zügen des Reisenden, und das erste Wort, das er aussprach, war der Ruf: »Tukallah!«

Der Mahrattenfürst lächelte.

»Du hast ein gutes Gedächtnis, Doktor Walding,« sagte er auf Englisch, »daß du nach fünf Jahren und in einem viel tausend Meilen entfernten Lande den Diener dessen wiedererkennst, dem wir beide Freunde waren. Wie ist dir?«

Der deutsche Arzt – denn dieser war es in der Tat, den wir am Rande der Thur oder indischen Wüste wiederfinden – faßte mit der Hand nach Stirn und Hals, setzte sich empor und schaute nochmals verwundert umher, sich besinnend, was mit ihm geschehen war. Erst als sein Auge auf den Falten fiel, kehrte die Erinnerung zurück.

»Der arme Vogel,« sagte er, »war verwundet – ich hatte Mitleid mit ihm – als ich plötzlich von unbekannter Gewalt zu Boden geworfen wurde und das Bewußtsein verlor. Wie glücklich bin ich, dich getroffen zu haben, Tukallah, denn ich habe ein Unternehmen begonnen, das, wie ich einsehe, ich wohl schwerlich ohne Hilfe werde durchführen können.«

»Schiwa,« sagte der Indier, »will, daß du es vollbringst, darum hat er mich hergesandt, die Hand der dunklen Göttin aufzuhalten. Du warst in schwerer Gefahr, mein Bruder, und die Kali hatte bereits ihren Schleier über dein Haupt gebreitet!«

»So wollte man mich ermorden?« fragte der Arzt erschreckt, denn er kannte bereits genug von den Gebräuchen der Eingeborenen.

Dieser wies nach den beiden Mördern, die noch immer schweigend in geringer Entfernung standen.

»Du hast nichts mehr zu fürchten, du bist in meinem Schutz.«

Tukallah wandte sich zu den beiden Dienern, befahl ihnen, die Sachen des Fremden zu tragen und ihn sofort nach seinem Wohnsitz zu geleiten.

»Mein Bruder ist unter dem Schutz dieser schwarzen Sklaven,« sagte er seinem Gast, »und sie werden mit ihrem Leben für das seine bürgen. Du magst unbesorgt dich ihnen anvertrauen – sie werden dich nach Malangher, meiner Burg, geleiten, und in kurzem werde ich bei dir sein.«

Der Arzt hielt es für das Beste, sich in die Bestimmung des so unerwartet Wiedergetroffenen zu fügen, und verließ in Begleitung der beiden Schwarzen, von denen einer seinen Gang unterstützte, den Tamarindenhügel. Ohne seine Stellung zu verändern, schaute der alte Mahratte ihm nach, bis er die entfernte Jägergruppe erreicht hatte und die kleine Gesellschaft Anstalt zum Aufbruch traf.

Dann erst wandte er sich zu den beiden Mördern und redete sie an.

»Dein Name?«

»Karam, der Sohn Faringheas, dessen Name bekannt ist vom Himalaya bis zu den großen Inseln. Dieser ist Kassim, der Matscheri.«

Der Mahratte öffnete das Gewand auf seiner Brust, zog einen schwarzen Stein von dreieckiger Form mit eingegrabenen Zeichen, der an einer Schnur an seinem Hals hing, hervor und zeigte ihnen denselben.

Der Sohn Faringheas und sein Gefährte beugten demütig das Haupt.

»Wir erkennen an, daß du einer der Auserwählten bist und sind bereit, dir zu gehorchen.«

»Wohin geht euer Weg?«

»Wenn die Nacht dreimal wiedergekehrt ist, mächtiger Cham, feiert, wie du weißt, die dunkeläugige Göttin ihr Fest an der heiligsten Stätte zwischen Indus und Ganges, das nur jedes zehnte Jahr wiederkehrt. Wir kommen aus dem Lande des Holkar, der Erhabenen die Seelen zu bringen, die wir ihr geopfert.«

»Wer hat jenen Mann in eure Hände geliefert?«

»Wir folgen ihm seit zwei Tagen von den Ufern des Sedletsch. Erst hier hat die Kali ihn in unsere Hand gegeben.«

»Wer von euch verrichtet das Geschäft des Lugha

Kassim neigte das Haupt. »Dein Diener ist es, tapferer Serdar!«

»Du hast das Grab des Faringi gegraben?«

»Es ist geschehen nach dem Gebrauch unseres Bundes!«

»Geh voran!«

Die beiden Thugs gingen in die Dschungel voran, aus der sie hervorgeschlichen, um ihr Opfer zu überfallen. In der Entfernung von etwa fünfzig Schritt war zwischen den Karrylbüschen an einer freien Stelle eine lange und schmale Grube gegraben.

Der Serdar blieb an dem Grabe stehen.

»Der Mann, den ich dem seidenen Tuch entzogen habe,« sagte er, »ist im Besitz eines Geheimnisses, das Zwietracht säen mag zwischen die Stämme der Weißhäutigen, daß sie unter einander sich selbst verderben. Aber der finsteren Kali darf die Zahl der ihr Geweihten nicht geschmälert werden oder sie würde zürnen dem Bunde ihrer Gläubigen, wie damals, als sie zum letztenmal niedergestiegen war zur Erde, die Spuren der Opfer zu vertilgen. Einer von euch wird die Stelle des Faringi einnehmen, der dem Tode entgangen ist. Die Stimme der Göttin möge entscheiden.«

Ohne ein Wort des Widerspruchs oder der Entgegnung neigten die beiden Mörder das Haupt zum Zeichen des Gehorsams.

»Es geschehe, wie du sagst, Sahib,« sprachen sie, »was sollen wir tun, um den Willen der Göttin zu erforschen?«

»Wartet und seid bereit zu sterben!«

Alle drei setzten sich am Rande des offenen Grabes nieder und murmelten leise Gebete vor sich hin, gleich den Auguren der Römer den Ausspruch des Schicksals aus dem Fluge der Vögel oder dem Bellen des Schakals erwartend.

Aus dem Kamelkraut pirlte plötzlich ein Schwärm schwarzer Rebhühner auf und strich über die Dschungel. Einer der Vögel streifte dicht über dem Haupte des Sohnes Faringheas hin, kehrte, von dem Anblick der Männer erschreckt, wieder um und flog nach der Seite davon, auf welcher der Buthote saß.

Sogleich erhoben sich die drei, – die Kali hatte entschieden.

Karam, der Sohn Faringheas, legte schweigend sein Oberkleid von sich, zog aus dem Gürtel einen ledernen Beutel, der mit Gold und Silberstücken, der Beute seiner letzten Mordtaten, wohlgefüllt war und übergab ihn seinem Gefährten. Die einzigen Worte, die er an den Serdar richtete, waren: »Die eiserne Axt, das Symbol des Bundes, ist nicht zur Stelle. Wie befiehlt der Cham, daß der Diener der Kali sterben soll und durch wessen Hand?«

»Nur das Eisen darf die Glieder des Bundes berühren,« sagte der Mahratte. »Knie nieder am Grabe, welches das deine sein soll, und die Göttin wird dich würdig halten, in deinen letzten Augenblicken ein Geheimnis zu vernehmen, das deine Seele erfreuen wird.«

Karam neigte sein Haupt und kniete an der Grube nieder, das Gesicht gegen Morgen gewendet.

»Lebe wohl, Kassim, mein Erbe,« sagte er, »und möge die Finstere dir viele Opfer senden!«

Der Mahrattenhäuptling flüsterte ihm einige Worte ins Ohr, dann entfernte er sich mit langsamen Schritten nach der Richtung, wo er sein Pferd am Tamarindenhügel zurückgelassen.

Mit einem Ausdruck der Begeisterung schaute ihm der dem Tode Geweihte nach, auf seinem Antlitz lag die Freude des Fanatikers.

Dann beugte er, ohne nur einen Blick noch auf die Welt umher zu werfen, das Haupt und betete.

Ihm gegenüber kniete mit gleicher fanatischer Inbrunst Kassim, der Totengräber.

Plötzlich zischte und funkelte es durch die Luft.

Tukallah hatte vom Sattel seines Pferdes das seltsame Gerät gelöst, einen runden kurzen Stock und den breiten Stahlring. Mit leisen unhörbaren Tritten hatte er dann den Weg zurückgemacht zu dem Grabe der Thugs und war etwa fünfzehn Schritt entfernt von demselben stehen geblieben.

Dort steckte er die Spitze des Stabes in die Öffnung der Stahlplatte, hob denselben und wirbelte, kaum die Hand bewegend, den Ring um den Stab.

Plötzlich schnellte er, mit einer kräftigen Handbewegung, das Ende des Stabes in der Richtung des knienden Mannes. Der Stahlring fuhr gleich einem Blitzstrahl durch die Luft, und in demselben Augenblicke flog das Haupt Karams zu Boden, aus dem glatt durchschnittenen Hals sprudelte eine Welle dunklen Blutes, der Rumpf hielt sich noch einen Augenblick in der knienden Stellung und stürzte dann schwerfällig nieder.

Der Mahratte trat zu dem noch leise zuckenden Körper, tauchte seine Finger in das Blut und spritzte es nach allen vier Himmelsgegenden mit den Worten: »Möge sein Geruch dir wohl duften, o dunkeläugige Göttin, und mögest du der Seele Karams gnädig sein auf den sieben Wanderungen, die sie zu machen hat!«

Nachdem die Hinrichtung verübt worden, legte Kassim den Körper in die Grube und bedeckte ihn mit Zweigen und Erde, die er so sorgfältig dem Boden umher gleich machte, daß bald keine Spur mehr von dem schrecklichen Geschäft zu sehen war. Tukallah hatte unterdessen sich zu seinem Pferde begeben und bestieg, als der Thug zu ihm zurückkam, den Sattel.

»Du wirst den Spuren der Hufe meines Rosses folgen,« befahl er, »und in meiner Felsenburg Malangher dich einfinden. Die Göttin will, daß du der Diener werdest des Faringi, den ihr töten wolltet, allen seinen Winken gehorchend und sein Leben schützend vor jeder Gefahr. Es ist wichtig für die Zeit, die da kommen wird.«

»Aber die schwarzen Sklaven, die uns gesehen haben am Werke?« fragte der Thug, »werden sie nicht zu Verrätern werden an uns?«

»Tor! Ihre Zunge ist begraben – sie sind stumm!« Der Serbar schüttelte den Zügel seines edlen Rosses und sprengte davon.

 

Als der deutsche Arzt zu der Gesellschaft der Jäger und Diener kam, sah er, daß sie aus etwa zwanzig Personen bestand, die meisten mit arabischen und turkomanischen Pferden beritten und einige darunter prächtig gekleidet und bewaffnet.

Unter den Reitern fiel namentlich ein junger Mann,offenbar der Kaste der Krieger angehörend und durch Tracht und Aussehen sich von der übrigen Gesellschaft unterscheidend, dem Arzte auf.

Der junge Mann ritt einen prächtigen turkomanischen Hengst von schwarzer Farbe.

Als die beiden schwarzen Sklaven langsam den noch einigermaßen betäubten Reisenden herbeiführten und die Augen des erst kurz vorher zu der Gruppe der Jäger zurückgekehrten Reiters auf die Kleidung des Fremden fiel, loderte eine Glut von Haß daraus hervor, und seine Rechte schwang drohend den Speer.

»Verfolgen diese verfluchten Faringi uns denn selbst in die Einöden der Wüste und senden ihre Späher zu jeder Zusammenkunft freier Männer?« rief der Gepanzerte wild in hindostanischer Sprache. Aber der Flintenträger des Mahratten-Serdar streckte die Waffe seines Herrn schützend über das Haupt des Arztes aus, zum Zeichen, daß der Bedrohte unter dem Schutz der Gastfreundschaft des Gebieters stehe, und dann machte er dem Schobedar oder Platzmacher und obersten Diener des Mahrattenhäuptlings, welcher in dessen Abwesenheit den Befehl über die Jäger und Dienerschar führte, eine Reihe von Zeichen, die diesem vollständig verständlich schienen, denn er wandte sich alsbald zu dem jungen Krieger, der nur mit gefurchter Stirn dem Widerspruch des Sklaven Gehör gegeben.

»Edler Khan,« sagte der Schobedar, »dein Gastfreund, mein Gebieter, fordert uns auf, mit diesem Fremden nach der Burg zurückzukehren. Er gebietet mir, für ihn Sorge zu tragen und wird uns bald folgen.«

Der Khan näherte sein Roß dem Europäer und betrachtete ihn lange mit durchdringenden Blicken.

»Verstehst du das Hindostani?« fragte er ihn.

»Ich rede deine Sprache!«

»Du bist ein Faringi?«

»Wenn du unter Faringi das Volk der Franken im allgemeinen verstehst,« antwortete der Arzt, »so bin ich ein Faringi oder Franke; ein Engländer aber bin ich nicht.«

»Wie heißt das Volk, dem du angehörst?«

»Preußen!«

»So bist du ein Tapferer, denn du gehörst einem tapferen Volk an, das kein Verräter sein kann an seinesgleichen. Fattih Murad Khan liebt die Männer seiner Nation und wird dein Freund sein.«

Der Jagdzug hatte jetzt den Gürtel der Dschungeln durchbrochen und trat in die wirkliche Wüste ein, als der Serdar bei ihnen eintraf.

»Vorwärts, Murad-Khan,« sagte er, »wir wollen so rasch, als unsere Renner uns tragen können, nach Malangher, meiner Burg.«

»Aber die Boten, die du erwartetest?«

»Sie werden uns folgen mit denen, die keine Pferde haben, und dem Jagdgerät!«

Er wandte sich zu dem Subedar und erteilte ihm leise einige Instruktionen, worauf dieser mit einigen der Jäger und zwei Reitern den Weg in der Richtung nahm, welche die Gesellschaft anfangs bei dem Zusammentreffen mit dem deutschen Arzt verfolgt hatte.

Hinein ging es in die Wüste in gestrecktem Lauf. Doktor Walding bemerkte, daß sie zweimal an steinernen Brunnen vorüberkamen, in deren Nähe einige Karylbüsche wuchsen, die aber, und zwar durch Menschenhand, verschüttet waren.

Er erinnerte sich, gehört zu haben, daß die Stämme, welche die Oasen der Wüste bewohnen, oft auf viele Meilen in der Runde durch dies Mittel den Zugang zu ihren Wohnsitzen zu erschweren und unmöglich zu machen suchen.

Gegen zehn Uhr abends befahl der Mahrattenfürst einen Halt. Man lagerte an der Seite eines Sandhügels, die Reiter holten die mit Wasser gefüllten Ziegenschläuche hervor, die an ihren Sätteln befestigt waren, und stillten den eignen und den Durst der Tiere, worauf ein einfaches Mahl von ausgetrockneten Datteln und Brot eingenommen wurde.

Nach zwei Stunden der Rast befahl der Serdar aufs neue den Aufbruch, und es ging wie vorher im Galopp weiter, wobei der Arzt die Sicherheit bewunderte, mit welcher seine Begleiter, ohne alle sonstigen sichtbaren Zeichen eines Weges, nach dem Stand der Sterne ihre Richtung zu regeln schienen, ohne je einen Augenblick darüber in Zweifel zu geraten. Die frühe Dämmerung begann den Horizont zu erhellen, als Walding bemerkte, daß sich die Gegend änderte, mächtige Felsenblöcke häufig ihren Weg unterbrachen und in der Entfernung von einigen Meilen eine dunkle Bergwand sich vor ihnen erhob. Auf diese ging ihr Lauf zu, und sie erreichten den Fuß, als die ersten Sonnenstrahlen eben über die Wüste zitterten.

Staunend sah der Deutsche zu diesen Felsenmauern empor, die sich fast senkrecht aus der Sandfläche umher in schwarzen gigantischen Massen erhoben, ohne daß sein spähendes Auge einen Weg zu ihrer Überschreitung erblicken konnte. Erst als Tukallah sein Roß am Vorsprung derselben bog, sah der Arzt, daß sich hier eine jener schmalen Klüftungen öffnete, die einem Riß zwischen Felswänden durch irgendeine Gewalt der Natur hervorgebracht, gleichen, und daß dieser Spalt in verschiedenen Windungen sich in die Berge hinaufzog.

Der Serdar hielt am Eingange des Felsenpasses an und stieß in sein Horn dreimal einen langgezogenen Ton.

Das Echo war kaum verklungen, als von der Höhe der Felsenlabyrinthe ein ähnlicher Hornstoß antwortete.

»Die Wachen sind auf ihrem Posten und benachrichtigt,« sagte der Serdar. »Vorwärts denn!« Und er lenkte sein Pferd in den gefährlichen Weg.

Sie waren eine halbe Stunde bergan gestiegen, wobei sich die Kluft immer mehr und mehr öffnete, als sie auf der Höhe derselben und an der andern Seite des Felsenwalles anlangten.

Zu seinen Füßen erblickte der Deutsche im lieblichen Licht der Morgensonne mitten in dieser Wüste ein Paradies, wie es die Phantasie nicht herrlicher schaffen konnte, ein Zauberbild aus einem orientalischen Märchen mit aller Wunderpracht der tropischen Vegetation.

Dies paradiesische Leben entwickelte sich natürlich erst vor den staunenden Augen des Deutschen, als er langsam mit seinen Begleitern in das herrliche Tal hinabritt, dessen plötzlicher Anblick ihn auf der Höhe der Felsen mehrere Minuten lang gefesselt hatte, während der Mahrattenfürst und der Khan sich an seiner Überraschung weideten.

Dann streckte Tukallah die Hand aus, wies nach dem Hintergrunde des Tales und sprach den Namen: Malangher!

An der Südseite des Tales, auf einem eckig hervorspringenden Felsengrat lag das Mahrattenschloß, die geheimnisreiche dunkle Felsenfeste der Würger!


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