Sir John Retcliffe
Nena Sahib
Sir John Retcliffe

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Tod den Faringi!

Der Palast Nena Sahibs zu Bithoor im Audh war ein prächtiges, langgedehntes Gebäude in halb europäischem, halb indischem Stil.

Ein langes Eisengitter mit Türen und Einfahrten schloß den Vorplatz des Hauses von der Straße ab, während ein breiter Kanal vom Ganges hergeleitet bis an diesen Vorplatz sich erstreckte und dem Besitzer somit erlaubte, aus einem Säulengang direkt den Fuß in seine Barken zu setzen.

Seit drei Monaten jedoch – eine solche Zeit war verstrichen seit dem letzten Kapitel unserer Erzählung – schien die Freude und die Lust aus den glänzenden Hallen des Palastes zu Bithoor verschwunden. Einsam und schweigsam lag das prächtige Gebäude, und nur aus den Zweigen der Tamarinden erklang der liebliche Gesang der indischen Nachtigall.

Seit dem rätselhaften Verschwinden des geliebten Weibes, von dem die eifrigsten Nachforschungen des Maharadschah auch nicht die geringste Spur hatten ermitteln können, lag es wie ein finstrer Schleier auf der Seele des Fürsten. Er hielt sich größtenteils in seine innersten Gemächer eingeschlossen, sah nur wenige Menschen und verbrachte seine Zeit im stummen Brüten. Gibson war der einzige, mit dem er sich besprach. Der Bote, den er bald nach seiner Rückkehr nach Ihansi gesandt, sich nach dem Zustand O'Sullivans zu erkundigen, hatte die Nachricht gebracht, daß dieser an den Folgen der furchtbaren Operation, wie Doktor Todd gefürchtet, gestorben war. Der volle, lebenskräftige, Genuß und Gefahren liebende Mann war ein finsterer Fanatiker geworden, aus dessen Augen ein verzehrendes Feuer brannte. Jener unheimliche, dämonische Blick, der früher in Momenten der höchsten Aufregung aus seinen dunklen Augen zu blitzen pflegte, brach jetzt öfter als je hervor und scheuchte seine Umgebung zurück.

Die Regenzeit war vorüber – man zählte an dem Tage, da wir unsere Geschichte wieder aufnehmen, den 18. Oktober – und der erquickende Himmelshauch der gemäßigten Jahreszeit lag über der prächtigen, üppigreichen Gegend.

In diese Zeit fällt das reizende poetische Fest der Wasserlichter.

An diesem Tage strömen die Frauen und Mädchen der Hindus, oft aus weiter Ferne herbeigekommen, zu den Ufern des Ganges, des heiligen Stroms. Jede hält in der zierlichen kleinen Hand ein aus Holz oder Borke geschnitztes, reich verziertes Kähnchen. Dann, wenn die Sonne am Horizont versunken ist und die Dämmerung sich in die sternengoldne Tropennacht verwandelt, sieht man, so weit das Auge reicht, tausende weißer Gestalten ihre Kähnchen, auf denen sich eine brennende Lampe befindet, in den Fluß setzen. Jede verfolgt mit ängstlicher Spannung das von den Wellen geschaukelte Schiffchen mit ihrem Hoffnungslichte, an dessen Erhaltung irgendein Wunsch sich knüpft. Bleibt es so lange sichbar, als das Auge es zu verfolgen vermag, dann wird der dem heiligen Strom anvertraute Wunsch erfüllt, erlischt es aber früher, so ist auch die gehegte Hoffnung untergegangen. Und obgleich oft tausend solcher kleinen Lämpchen von den Wellen bergauf, bergab geschaukelt werden, so weiß doch jede das ihrige bis in weite Ferne genau zu unterscheiden.

Auch an diesem Abend drängten sich die leichten zierlichen Gestalten der Frauen und Mädchen mit ihren lichten, wallenden Gewändern zu den Ufern des riesigen Stroms und bald blinkten unter heiterem Gelächter und Gesang zahllose kleine Flämmchen, so weit das Auge zu tragen vermochte.

Die indischen Diener des Maharadscha waren bei dem Fest, der Gebieter hatte ihnen die Erlaubnis gegeben, den Abend und die Nacht allein ihrem Vergnügen zu widmen.

Der Anschein, der das Bungalow des Bahadurs in Einsamkeit und Stille versenkt sein ließ, trog jedoch.

Wenn auch die Front des Gebäudes dunkel war, so glänzte doch Licht durch die Jalousien der hinteren Gemächer; die Pforte, die beide Gärten verband, war geöffnet und der Kanadier Adlerblick stand hier auf Wache.

In einem nach indischer Sitte dekorierten Gemach schritt finster der Maharadschah auf und nieder. Er trug die Kleidung eines Sepoys, einen weiten indischen Mantel darüber geschlagen. Cordillier und Vaillant in ähnlicher Tracht wie der Gebieter, Ralph, der Bärenjäger, seine riesige Gestalt in die eines englischen Matrosen gesteckt, lehnten an den Wänden des Gemachs, mit ihren Waffen beschäftigt.

An der Tür stand der Schotte Mac Scott. Sein Antlitz, das seit wenigen Monaten schwer gealtert, drückte Kummer und Schmerz aus, so oft sein Auge auf den Gebieter fiel, der – wenn ihm das seine begegnete – es finster abwandte. Der Zorn des Bahadur hatte sich ungerechterweise auf seinen alten Erzieher geworfen und ließ diesen den Verlust Margaretens entgelten, da er die Sorge um sie bei der Reise nach Bombay ihm auf die Seele gebunden. Der unglückliche Zufall, der den tapferen Tigerjäger an jenem verhängnisvollem Morgen entfernt gehabt, schien ihn alles Vertrauens beraubt zu haben.

»Hoheit,« sagte endlich der Schotte, »es ist Zeit, daß wir aufbrechen. Eine Stunde nach Sonnenuntergang sollte der Doktor zu dem Prinzen gerufen werden, und wir müssen zur Stelle sein, die Flüchtigen zu empfangen.«

Der Maharadschah fuhr aus seinem Sinnen empor. »Laß die Pferde vorführen. – Sind die Frauen vom heiligen Strom zurück?«

»Noch nicht, Hoheit. Gibson ist mit ihnen und sorgt für ihre Sicherheit.«

»So bitte sie, wenn sie zurückkommen, sich sogleich in ihre Gemächer zu begeben und sie nicht zu verlassen, bis ich ihnen Botschaft sende. Wie lange ist es her, daß der Khan und sein Begleiter voraus nach Cawnpur find?«

»Eine Stunde, Hoheit. Aber ich glaubte, ich sollte dich begleiten? Es wäre das erstemal, daß Mac Scott an der Seite des Nena fehlte in der Stunde der Gefahr.«

»Bei Yama, dem Unterirdischen! hättest du nie an der Seite der gefehlt, die deiner Sorge vertraut war, es stände besser um dich und mich! Du wirst hier bleiben und mit Gibson alles zur ungesäumten Fortsetzung der Flucht bereiten. Ist Joaquin Alamos auf seinem Posten?«

»Er harrt mit den Pferden.«

»Wohl! So laßt uns aufbrechen!«

Er winkte dem Schotten, voranzugehen, und verließ, gefolgt von seinen Getreuen, das Gemach und das Haus. Der Maharadschah legte die Linke auf den Bug des nächsten Rosses, und ohne die Steigbügel zu berühren, sprang er in den Sattel. Die übrigen hatten alsbald gleichfalls ihre Pferde bestiegen, und nachdem sie vorsichtig ein Seitentor passiert und sich möglichst im Dunkel haltend eine Strecke weit geritten waren, setzten sie ihre Rosse in Galopp und jagten auf der Straße nach Cawnpur weiter.

Als sie sich der unglücklichen Stelle näherten, an welcher seine Gattin geraubt worden, ließ der Maharadschah sein edles Pferd langsamer gehen und indem er seinen Gefährten befahl, voranzureiten, ließ er seinem Roß die Zügel hängen und versank in eine düstere Träumerei.

Plötzlich erfaßte eine Hand den Zügel des Pferdes und zwei dunkle Gestalten erhoben sich vor ihm auf dem Wege im Schatten der mächtigen Tamarinden.

»Wenn der Tiger auf Beute streicht,« sagte eine tiefe Stimme, »ist er nicht gewohnt, die Augen zu schließen. Der Peischwa von Bithoor möge sich erinnern, daß seine Feinde wach sind.«

Der Maharadschah faßte nach dem Pistol im Gürtel und war mit einer raschen Bewegung im Nu wieder Herr seines Pferdes.

»Wer seid ihr? Was wollt ihr in der Stunde der Nacht?«

Der Fremde lachte heiser. »Ist es so weit gekommen, daß Srinath Bahadur seine Freunde fürchtet, wenn sie an der Stelle zu ihm treten, deren Erinnerung aus ihm wieder einen Mann machen sollte?«

Der Strahl des Mondes fiel bei einer Bewegung auf den Sprechenden.

»Tantia-Topi?«

»Ich selbst, Bahadur. Sollen die Gäste, die dein Haus in diesem Augenblick verbirgt, nicht vollzählig sein?«

Ein Grauen überflog den Indierfürsten, als er sich der Erzählung des deutschen Arztes und seines eigenen Verdachts gegen diesen Mann erinnerte und unwillkürlich behielt er die Hand am Griff der Pistole.

»Wo kommst du her, Sirdar? was ist deine Absicht?«

»Wo ich herkomme, Nena? Tukallah ist überall und bald wird man von einem Ende Indiens bis zum anderen seine Stimme vernehmen. Meinst du, daß ich in den Einöden der Thur nicht erfahren, daß der tolle Versuch des Delhi-Prinzen, den Sohn der Maharani aus Firozpur vor seinem Nebenbuhler zu entführen, mißglückt sei und die Versetzung des gefangenen Knaben nach Cawnpur zur Folge gehabt? – Was ich will? Die Nacht der Lichter am heiligen Strom ist wichtiger für uns alle, Srinath Bahadur, als du denkst. Einen jungen Adler, der in den Fesseln der Faringi schmachtet, will ich dir befreien helfen und dem Tiger des Audh seine Krallen und seine Zähne wiedergeben mit dem Reh, das man ihm geraubt.«

Der Bahadur prallte zurück. »Was bedeuten die Worte, Sirdar? Bei deinem und meinem Leben, spiele nicht mit dem Herzen Srinath Bahadurs!«

Der Mahratte lachte verächtlich. »Frage diesen da, er wird dir Antwort geben!«

Der Fürst betrachtete den Begleiter Tukallahs. Es war eine hohe Gestalt mit ernstem, stolzem Gesicht, das ein grauwerdender Bart umwallte. Die hohe Kegelmütze der indischen religiösen Bettler bedeckte sein Haupt, ihr brauner zerlumpter Mantel hüllte seinen Leib ein.

»Wer bist du?«

»Kennst du die Säule, die auf der Esplanada von Kalkutta vor dem Palast des General-Gouverneurs, eures Herrn und Gebieters, steht? Nenne den Namen der Säule, und du nennst den Namen dessen, der sie stürzen wird.«

»Kapitän Ochterlony

»Ich bin's!«

Der Maharadschah warf sich mit einem Sprunge vom Pferde und umarmte herzlich das ehemalige Parlamentsmitglied von Großbritannien.

»Seien Sie mir willkommen, Kapitän, von ganzer Seele,« sagte er mit Gefühl. »Viel hab' ich von Ihnen, von diesem Manne und dem Frankenarzte gehört, der mit Ihnen am Sterbelager meines unglücklichen Verwandten stand. Lassen Sie mich die Hand des Freundes auf die schlimmen Wunden legen, die das Leben Ihnen geschlagen.«

»Das Unheil, Prinz,« entgegnete ernst der ehemalige Kapitän, »wird auch ohne mich schnell genug über jene Schwelle schreiten. Sie haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, die tränengeröteten Augen einer Mutter und einer Schwester können ohne Ihren Beistand nicht getrocknet werden. Und haben Sie nicht gehört, Prinz, daß ich eine noch wichtigere Sendung zu beenden habe?«

»Welche?«

»Sie der Rache wiederzugeben.«

»Reden Sie klar – ich beschwöre Sie!«

»Wohlan denn – eine ernste Stunde, ein Wendepunkt Ihres Lebens ist Ihnen nahe. Ich weiß, oder glaube zu wissen, wo Lady Margarete, Ihre Gemahlin, sich befindet.«

Der Bahadur warf sich auf ihn. »Rede, Mann – wo, wo ist sie? – Nimm alles was ich habe für ein Wort Gewißheit.«

»Beantworten Sie die eine Frage – was werden Sie an denen tun, die sie Ihnen geraubt?«

»Wollen Sie die Tigerkatze fragen, was sie denen tut, die ihr das Junge geraubt? Rächen will ich mich, vertilgen die Brut von der Erde, die es gewagt, an mein Liebstes zu tasten!«

»Und wenn es nicht gemeine Diebe und Mörder, wie Ihr Land sie erzeugt, wenn es die Gebieter desselben, die Faringi selbst wären?«

»Tod dann allen Faringi, Männern, Frauen, Müttern und Kindern! Tod dem verfluchten Geschlecht!«

»Wohl, Prinz – ehe zwei Stunden vergehen, werden Sie die Gewißheit haben. Zu Rosse, Prinz, und nach Cawnpur, Ihr Werk zu tun. Wir vollenden das unsere, und wenn das Weib Ihres Herzens noch unter den Lebendigen, sollen Ihre Arme es umfangen oder Ihre Hand die Mörder bestrafen.«

Und plötzlich, wie sie gekommen, waren beide Gestalten im Schatten der Bäume verschwunden und der Ruf des Inderfürsten verhallte ohne Antwort in der Einsamkeit der Nacht.

Da gab er seinem Rosse die Sporen, und wie der Geist des Unheils, das über die Geschlechter der Menschen kommt, jagte er nach Cawnpur.


Wir haben bereits in einem früheren Kapitel erwähnt, daß Cawnpur an und für sich nur ein geringer, schmutziger Ort an dem rechten Ufer des Ganges ist, aber bedeutend als Waffenplatz der Engländer und durch die weitausgedehnte Reihe der Vorstädte und Bungalows der Offiziere und Kaufleute. Am nördlichen Ende, in geringer Entfernung vom Ufer des Stroms, liegt das kleine aber ziemlich feste Fort, von mehreren Kasernen umgeben.

Hierhin hatte man nach dem mißglückten ersten Befreiungsversuch Dhulip-Singh, den jungen Thronerben von Lahore, gebracht. Er genoß selbst innerhalb des Forts wenige Freiheit, und wurde streng von allem Verkehr mit der Außenwelt, namentlich mit den Eingebornen, abgesondert gehalten.

Wie in Bithoor und an allen anderen Orten am Ufer des heiligen Stroms war dasselbe auch hier an diesem Abend von vielen tausend Menschen belebt.

Eine Gruppe englischer Damen, von mehreren Offizieren begleitet, kam den Abhang des Ufers herab in der Nähe der Schiffbrücke, die auf die Straße nach Lucknow mündet, und nahte sich dem Rande des Wassers. Die meisten der Damen hatten gleichfalls zierliche Schiffchen in der Hand oder ließen sie von den Kavalieren tragen.

»Ihr Kollege ist ein trauriger Gesellschafter auch an der Meßtafel, Doktor,« bemerkte Kapitän Lowe. »Wäre nicht sein Verdienst um die Rettung Miß Highsons und unseres wackeren Kameraden, sowie die warme Empfehlung Nena Sahibs – wir protestierten gegen sein Patent bei dem lustigen Zweiunddreißigsten.«

»Schade, daß der Prinz noch immer um jene irländische Dame so verzweifelt trauern soll,« meinte eine junge Miß, – »erinnern Sie sich, Arabella, im vorigen Jahre gab er uns an diesem Abend eines seiner Zauberfeste in seinem prächtigen Palast zu Bithoor.«

»Armer Mann! Jemehr er sie geliebt hat, desto grausamer muß sein Verlust sein!«

»Pah – es ist ja nur ein Indier und sein Glauben gestattet ihm reichen Ersatz.«

Editha Highson wandte sich von Halliday, dem herzlosen Sprecher, und stützte ihre Hand auf den Arm des Leutnant Sanders, als er ihn ihr bot beim Hinabsteigen von der Böschung des Ufers. Ihre Blicke begegneten sich dabei und strahlten in Liebe.

»Teure Editha!«

Der Druck ihrer Hand gab ihm die süße Erwiderung. »Wie traurig ist es, daß Sie diesen Abend nicht in unserer Gesellschaft sein können!«

»Sie wissen, der General, Ihr Oheim hält streng auf den Dienst. Ich darf seine gute Meinung nicht verscherzen, wo ich bald ein teures Kleinod von seiner Hand begehren will.«

Wir haben einige Worte über das Gelingen seiner Flucht nachzutragen. Erst an der Grenze des Gebietes der Kompagnie, in Firozpur, hatte die Bajadere ihren Schützling verlassen. Sie weigerte sich, seinem Verlangen, ihn zu begleiten, Folge zu leisten, aber sie sagte ihm, daß sie immer in seiner Nähe sein, daß ihre Liebe ihn schirmend umschweben werde. Noch in der Stunde, da sie sich trennten, warnte sie ihn, seinen Schwur des Schweigens zu halten und nicht treulos gegen ihre Liebe zu werden; denn die Töchter einer heißen Sonne wüßten gebrochene Eide schrecklich zu rächen.

Da an der Grenze der Wüste Walding mit einem Teil des Gefolges des von Angst und Besorgnis unaufhaltsam vorwärts getriebenen Maharadschah zurückgeblieben war, so wurde es leicht, ohne das bisher so wohl bewahrte Geheimnis zu verraten, die Rollen der beiden Mädchen zu vertauschen. Anarkalli, die Tänzerin, trat an die Stelle Edithas und diese wurde von Agra aus durch den Offizier nach Cawnpur und in die Arme ihrer Familie geleitet, die sie längst verloren geglaubt.

Die Abenteuer des Offiziers und der Engländerin konnten natürlich nicht verschwiegen bleiben, ohnehin war die Miß nicht durch dasselbe Versprechen gebunden, wie ihr Schicksalsgefährte.

Leutnant Sanders selbst kannte weder die Namen noch die Lage und das Aussehen der Burg der Thugs. Überdies band ihn sein Ehrenwort, alles zu verschweigen, was die Personen, die bei seiner Rettung mitgewirkt, kompromittieren konnte. Da nun Doktor Walding in Firozpur mit dem Khan und der Bajadere zurückgeblieben war, konnten die Behörden aus den Aussagen des Offiziers und der Dame nur die längst bekannte Tatsache entnehmen, daß die indische Wüste einen oder mehrere Hauptsammelplätze der furchtbaren Würgerbande barg. Es befanden sich in den Gefängnissen der Präsidentschaften zu jener Zeit über 700 Personen, der Teilnahme an dem Bunde der Mörder verdächtig und angeklagt.

So mußte man sich begnügen, ein Dutzend der Verurteilten zur Warnung aufzuhängen und die von Major Sleemann im Jahre 1851 begonnenen Maßregeln zur Verfolgung der Sekte mit neuer Strenge wieder aufzunehmen.

Als Walding einen Monat später unter dem Namen eines Doktor Clifford in Cawnpur eintraf, beschränkte er sich auf die Angabe, daß er gleichfalls Gefangener in den Händen der Thugs und nur durch dritte ihm unbekannte Personen gerettet und instand gesetzt worden, auch zur Rettung seiner Schicksalsgefährten beizutragen. Dagegen sicherte sie ihm den Schutz des Generals Wheeler, und durch dessen und des Maharadschah Protektion wurde ihm die Stelle des während der Regenzeit an der Cholera verstorbenen Oberarztes des 32. Regiments interimistisch übertragen.

Mit dem Gefühl schmerzlicher Täuschung mußte Walding jedoch bald die Erfahrung machen, daß die Hoffnung, die ihn nach Cawnpur begleitet, eine vergebliche gewesen. Leutnant Stuart Sanders war kaum dem Zauberrausch entronnen, mit dem die glühende Leidenschaftlichkeit der Tänzerin ihn umfangen, als ein gewisses Grauen sein Herz erkaltete und das Bild Editha Highsons seine Seele mehr und mehr einnahm. Für Walding, oder Clifford, wie er auch für sie und Stuart Sanders hieß, fühlte sie wohl eine warme Dankbarkeit und Freundschaft, aber die zartere Blüte ihres Herzens gehörte dem jüngern Mann. – –

Editha sah zu dem Geliebten empor. »Sie haben recht, Stuart,« bemerkte sie auf seine frühere Entgegnung, »aber der Abend wird mir traurig vergehen, da Sie entfernt bleiben.«

»So lassen Sie mich jetzt wenigstens das Glück genießen, in Ihrer Nähe zu bleiben und zusammen mit Ihnen das Orakel für unsere Wünsche versuchen, das tausende von gläubigen Herzen hier versammelt hält. Schauen Sie die sehnsüchtigen und ängstlichen Blicke, mit denen diese Schar von Mädchen und Frauen das Spiel verfolgt, als gälte es wirklich die Zukunft und die Entscheidung ihres Lebens.«

Zwischen den besorgten Liebenden tauchte, wie der Erde entwachsen, die Gestalt der Indierin empor.

Ihre Linke hob den verhüllenden Yaschmack zur Seite und das glänzende dunkle Augen Anarkallis flammte mit dem Ausdruck leidenschaftlicher Eifersucht ihm entgegen.

Der Name der Tänzerin erstarb auf seinen Lippen. Ohne ein Wort zu sagen, hob die Bajadere die Hand drohend und warnend gegen ihn, und verschwand eben so rasch und geheimnisvoll, wie sie gekommen. – –

 

Es war zwei Stunden später, das nächtliche Fest in vollem Gange. Vor den Pagoden und Tempeln tanzten die Bajaderen, Gaukler und Märchenerzähler hatten an den Ufern des Flusses ihre wandernde Bühne aufgeschlagen. Feuerwerke wurden abgebrannt, Freudenschüsse knallten ringsum, und überall war die Freude und das Vergnügen in vollem Gange.

Auch in den Häusern der Vornehmen und Reichen waren Festlichkeiten aller Art. Wir haben bereits erwähnt, daß auch im Landhaus des Gouverneurs, General Wheeler, ein kleines Fest stattfand, und dem entsprechend überließ sich die ganze Garnison der Freiheit und dem Vergnügen.

Es war in der zehnten Stunde, als Doktor Walding oder vielmehr Clifford mit seinem indischen Diener, der einen Arzneikasten unter dem Arme trug, durch das Tor des Forts schritt. Auf dem Platz vor demselben, auf dem die Alarmkanone stand, vergnügten sich die müßigen Sepoys und Soldaten im Zuschauen der Künste einer Gauklerbande und der Tänze einer Gesellschaft Bajaderen, und die Nachricht, daß Anarkalli, die berühmteste Tänzerin Indiens, sich darunter befände, lockte selbst die Offiziere und die Schildwachen näher.

Die Zitadelle stammte aus der Zeit der Herrschaft der Großmogule und bestand zum Teil noch aus den alten Türmen und Mauern, die mit Anlagen und Einrichtungen der neuern Kriegskunst verstärkt waren. Das obere Stockwerk eines dieser Türme war Duhlip-Singh – dem Erben der Herrscher von Lahore – zur Wohnung und zum Gefängnis angewiesen. Der unglückliche Jüngling wurde hier seit dem mißlungenen Fluchtversuch in Firozpur mit großer Strenge bewacht, ein Posten stand vor der Türe seines Gemachs, dessen mit Eisenstäben vergittertes Fenster wohl 25 Ellen über dem darunter herlaufenden Wall sich erhob, und nur in Begleitung eines britischen Sergeanten durfte er sich eine Stunde in den Höfen oder auf den Wällen der kleinen Feste ergehen.

Dennoch hatten alle Vorsichtsmaßregeln nicht verhindern können, daß die Freunde des Gefangenen aufs neue mit ihm Verbindungen anknüpften. Ein Zettel, den ihm ein indischer Soldat zusteckte, hatte ihm empfohlen, sich schon am Tage vor dem Fest der schwimmenden Lichter krank zu stellen und die Hilfe eines Arztes zu verlangen. Dies traf den Hospital-Arzt und dessen Funktionen vertrat zurzeit Walding.

Auf seine Meldung beim wachthabenden Offizier führte ein alter Sergeant den Arzt und seinen Begleiter die Treppen hinauf und schloß die Tür auf, vor der ein Posten, wie der prüfende Blick des Arztes zu seinem Leidwesen bemerkte: ein Europäer stand,

»Der Jüngling hat ein heftiges Fieber, ich werde ihm zur Ader lassen und habe deshalb einen Diener mitgebracht, um mir den nötigen Beistand zu leisten.«

Der Sergeant sah mit Verachtung und Widerwillen auf den Hindu. »Ich darf diesen Sohn Satans nicht in das Gemach des Heiden lassen. Es ist strenger Befehl.«

»Aber ich brauche seine Hilfe zu den ärztlichen Verrichtungen!«

»Diese Hand wird die Hilfe des Gottlosen ersetzen, Doktor. Treten Sie ein, und du, schwarzer Sohn des Teufels, bleibe unter der Aufsicht dieses Streiters des Herrn zurück.« Er schlug Kassim die Tür vor der Nase zu, nachdem er ihm das Kästchen mit den Instrumenten abgenommen.

Dhulip-Singh, in sein Obergewand gehüllt, lag auf einem Rohrdiwan. Eine fieberhafte Röte war auf seinem hübschen jugendlichen Gesicht und seine schwarzen Augen funkelten wie im Delirium.

Der Arzt trat zu ihm, ergriff seine Hand und fühlte seinen Puls. Er befand sich in der größten Verlegenheit, denn die unerwartete Begleitung des alten fanatischen Platzsergeanten drohte den ganzen Entweichungsplan zunichte zu machen.

Es galt vor allem, einige Augenblicke mit dem Gefangenen allein zu sein.

»Das Fieber ist im Zunehmen,« erklärte der Doktor, »ich muß den Aderlaß vornehmen und einige beruhigende Mittel anwenden. Vermögen Sie sich zu erheben, Hoheit, und auf diesen Stuhl zu setzen? – es würde mir die Operation erleichtern.«

»Ich fühle mich sehr krank und weiß nicht, ob dein Tun Linderung meinen Leiden geben wird, weiser Hakim,« murmelte der Gefangene, »aber ich habe Vertrauen zu dir und die Götter mögen deine Freundlichkeit lohnen, besser als ich es kann.«

»Holen Sie frisches Wasser, Sergeant, da Sie doch meinem Diener die Hilfeleistung nicht gestatten wollen. Haben Sie wohl acht, daß es mit Eis gekühlt ist und besorgen Sie zugleich noch etwas Scharpie – ich sehe, daß Kassim vergessen hat, sie mitzubringen.«

Der Schließer murmelte einige Worte des Widerspruchs und verließ das Gemach. Dagegen hörten sie ihn draußen die Riegel sorgfältig vorschieben und der Schildwache anempfehlen, den indischen Diener der Tür nicht nahe kommen zu lassen.

Seine Schritte waren kaum verhallt, als der Arzt, der aufmerksam an der Tür gelauscht, sich zu dem Gefangenen wandte.

»Rasch den Ärmel Ihres Rockes hinauf, Prinz, wir müssen den Mann täuschen, als sei Ihnen wirklich zur Ader gelassen. Unser Plan ist gescheitert an dem unglücklichen Umstand, daß dieser Murrkopf mich nur allein das Gemach betreten lassen will und mit Argusaugen uns bewacht. Sie sollten sich in die Gewänder Kassims, meines Dieners, hüllen, und dieser an Ihrer Stelle zurückbleiben und dann die Flucht versuchen. Bei der allgemeinen Unruhe und dem Lärmen des Festes durfte ich hoffen, Sie unerkannt aus dem Tor der Zitadelle zu bringen.«

»Ich bin zum Unglück geboren,« jammerte der Jüngling. »O Mahe Tschund, meine unglückliche Mutter und du Mahana, arme Schwester! mein Auge wird euch niemals wieder sehen!«

Walding hatte eine Schale ergriffen und leerte ein Fläschchen mit Hühnerblut hinein. »Noch ist nichts verloren, Prinz, wenn Sie den Mut und die Kraft haben, die Rolle selbst zu übernehmen, die Kassim bei Ihrer Flucht zugedacht war. Haben Sie getan, was der Zettel Ihnen anempfahl, den ich Ihnen gestern zusteckte?«

»Es ist geschehen – ich habe mit der Flüssigkeit, die Sie mir als Medizin zurückließen, die Gitterstäbe des Fensters alle Stunden befeuchtet.«

»So muß das Scheidewasser seine Schuldigkeit getan haben und die Eisenstangen werden einer mäßigen Kraftanstrengung weichen. Diese Binde, die ich um Ihren Arm wickele, ist eigens dazu gefertigt, sie kann eine Last zweifach so schwer als die Ihre tragen und ist lang genug, um doppelt bis zum Boden zu reichen. Sie müssen dieselbe mit fortnehmen, um keine Spur der Flucht zurück zu lassen.«

»Aber es steht ein Posten am Fuße des Turmes auf dem Wall?«

»Der Mann ist einer der unseren – ein Hindu-Sepoy, den der Haik Beni-Mahib, seit der Beschimpfung durch einen jungen Offizier ein wütender Feind der Engländer, dahin gestellt hat. Er wird Ihre Flucht unterstützen, Hoheit und Sie über die Bastionen geleiten. Es handelt sich nur darum, daß Sie den Mut haben, das Wagstück sogleich nach meiner Entfernung und mit so wenig Geräusch auszuführen, daß der englische Posten vor Ihrer Tür keinen Verdacht schöpft.«

Man hörte Schritte eines Nahenden. »Stellen Sie sich erschöpft und verlangen Sie ungestört zu sein – der Glaube, daß ich Ihnen zur Ader gelassen, wird das Geheimnis Ihrer Flucht erhöhen.«

Die Tür öffnete sich und der mürrische Sergeant trat mit einer Kanne Wasser und dem verlangten Leinenzeug ein, während der Doktor eifrig die mit Blut befeuchtete Binde um den Arm des Gefangenen wand, dessen Seelenaufregung und Unruhe die Simulation des Fiebers erleichterten.

»Reicht das Gefäß mit dem Eiswasser her, daß ich die Binde befeuchte und das Blut von dem Arm wasche.« Der Sergeant tat das Geheißene, während Dhulip Singh den Zustand eines Schwerkranken nachahmte und ungestört zu ruhen verlangte.

Walding erklärte es für das beste, was geschehen könnte, und nachdem er versprochen, am anderen Tage nach dem Befinden des Patienten sehen zu wollen, verließ er diesen mit dem Sergeanten.

Vor der Tür erwartete ihn Kassim, sein wildes blutgieriges Auge traf bedeutungsvoll auf das seines Mayadar, während seine Hand unter das Gewand nach dem Griff des dort verborgenen vergifteten Malayendolches faßte. Aber der Doktor sah ihn warnend an und ein unbemerkliches Zeichen empfahl ihm Ruhe und Vorsicht.

So stiegen sie die Treppe des Turmes hinab, an dessen Tür Walding dem Sergeanten Gute Nacht sagte. Als er aus dem Tor der Zitadelle trat und über den mit Fackeln erhellten Vorplatz schritt, kam Anarkalli mit dem Tamburin auf ihn zu, wie eine Gabe heischend, während ihr Auge forschend einen Moment auf seinem Begleiter ruhte. Der Arzt schüttelte bedeutungsvoll den Kopf und flüsterte ihr zu, noch eine kurze Zeit die Aufmerksamkeit der Soldaten zu beschäftigen.

In einiger Entfernung vor dem Tore der Zitadelle warteten im Schatten eines alten Gemäuers mehrere Personen in der Tracht der Sepoys. Hierhin wendete hastig der Arzt seine Schritte, gefolgt von Kassim.

Es war der Nena mit zwei seiner abenteuerlichen Trabanten, der hier des Gelingens des Unternehmens harrte, während die anderen Mitglieder seiner Truppe teils in einer entfernten Vorstadt mit den Pferden warteten, teils auf der anderen Seite der Zitadelle den Weg bewachten, den Kassim einschlagen sollte, wenn die Rettung des jungen Prinzen durch den Wechsel der Kleidung und der Personen ausgeführt worden wäre.

Mit eiligen Worten berichtete Walding das Hindernis, das die Rettung zu vereiteln drohte, und daß der Prinz sich entschlossen habe, selbst das schwierige Wagnis zu versuchen, daß sie ihn also auf der anderen Seite am Fuße des Walles zu erwarten hätten.

Der Maharadschah winkte dem Kanadier und deutete nach dem Eingang des Forts, wo die Lärmkanone postiert war.

»Es mögen etwa 300 Schritt bis zu jenem Geschütz sein,« sagte er, »getraust du dich, auf diese Entfernung sicher im Dunkeln dein Ziel zu treffen?«

Adlerblick verzog den breiten Mund zu einem verächtlichen Grinsen. »Ich werde doch heute ein Ziel nicht fehlen, wo die Nacht fast so hell ist wie der Tag von den Fackeln und Feuern, die sie angezündet.«

»Du siehst die Kanone. Wenn es irgendein Soldat wagt, die Lunte zu erheben, um sie abzufeuern, so schieße den Schurken nieder, ehe seine Hand das Zündloch erreicht, und mache dich aus dem Staube.«

Der Trapper untersuchte sein Gewehr, setzte ein neues Zündhütchen auf und richtete sein Auge nach der entfernten Kanone.

Der Maharadschah näherte sich dann dem vorspringenden Winkel der Bastion, von dem aus man das Gefängnis des jungen Prinzen beobachten konnte.

Die dunkle Gestalt einer Schildwache schritt auf der Krone des Walles auf und nieder.

Der Maharadschah ahmte dreimal den Zischlaut einer Schlange nach, und aus dem Schatten eines Oleandergebüsches erhoben sich zwei dunkle Gestalten und nahten sich ihm vorsichtig. Es waren Murad-Khan und Alamos der Mexikaner.

»Hat der Hakim mit dem Prinzen das Tor glücklich verlassen,« fragte ungeduldig der Khan.

»Es ist ein unglücklicher Zufall eingetreten,« erwiderte der Fürst, den die Teilnahme an dem Abenteuer aus seinem finsteren Brüten gerissen, »Freund Walding hat das Gemach des Prinzen allein betreten müssen, seinem Diener Kassim wurde der Eintritt verweigert. Dhulip Singh wird die Flucht durch das Fenster versuchen. Halten wir uns bereit, sie zu unterstützen. Deine Flinte, Bursche!«

Er nahm dem Mexikaner das Gewehr ab.

»Was willst du tun, Hoheit?«

»Bei der ersten verdächtigen Bewegung jenem Burschen dort, der die Wache auf dem Wall hat, eine Kugel durch den Kopf schießen. Du kennst den Weg zu der Stelle, wo der Kahn unterhalb der Brücke eurer harrt, Alamos?«

»Mit verbundenen Augen würde ich ihn finden.«

»Der indische Diener wird am jenseitigen Ufer mit den Pferden zur Stelle sein. Du darfst den Prinzen nicht verlassen, Khan, bis er in völliger Sicherheit ist.«

»Still!« – die Hand des Mexikaners deutete nach dem Turme.

Der Maharadschah hob das Gewehr und nahm den Sepoy aufs Korn; der jedoch tat, als ginge das, was sich über ihm ereignete, ihn nichts an, und schritt nach der anderen Seite des Turmes.

Jetzt sah man deutlich in dem matten Licht der Sternennacht einen dunklen Gegenstand an der Mauer niedergleiten.

Zum Glück für den Erfolg des Unternehmens gehörte der wachehaltende Sepoy wirklich zu denen, die sich bereits in geheime Konspirationen gegen die Engländer eingelassen. Der Gefangene hatte nicht so bald den Boden erreicht, als jener Gewehr und Tschako wegwarf und ihm zurief, daß Beistand in der Nähe sei. Beide eilten jetzt an den Rand des Walles, nachdem sie das Doppelband, an dem sich der Prinz aus seinem Kerker herabgelassen, an sich gezogen.

»Kannst du schwimmen?« fragte der Sepoy den Flüchtling.

»Nein.«

»So laß dich ruhig in das Wasser des Grabens gleiten und halte dich an meinem Gürtel fest. – Still – ich höre Schritte – das ist der Offizier der Ronde! – schnell, schnell, oder wir sind verloren!«

Der Offizier, Leutnant Stuart Sanders, blieb einen Augenblick erstaunt stehen, als er die Schildwacht nicht auf ihrem Posten sah und keine Spur von dem Mann entdeckte; hierauf hörten die Lauscher auf dem anderen Ufer des Wallgrabens deutlich seinen Anruf:

»Schildwacht! Schildwacht!«

Als keine Antwort erfolgte, sprang er vor und sah das Gewehr und den Tschako des Sepoys am Boden liegen.

Zugleich vernahm man ein lautes Plätschern in dem Wallgraben, das durch das ungeschickte Hinabgleiten des jungen Mannes entstand.

»Halt! – Wer da?« Der Offizier bückte sich, das weggeworfene Gewehr zu ergreifen. Diese Bewegung rettete sein Leben, denn im selben Augenblick knallte der Schuß des Maharadschah und die Kugel schlug gegen die Wand des Turmes.

»Verrat!« In dem hellen Schimmer der Nacht sah der junge Krieger deutlich zwei Gestalten den Wasserspiegel des Grabens teilen, und die Überzeugung, daß die Flucht des Gefangenen vorliege, schoß ihm durch den Kopf.

Die Flüchtigen waren bereits an der anderen Seite des Grabens, aber die Böschung war hier so steil, oder der Sepoy hatte gerade eine der tieferen Stellen gewählt, daß er, von dem Gewicht des Prinzen belästigt, nicht emporzuklimmen vermochte.

»Den Lasso – den Lasso hinunter, sonst sind sie verloren!« befahl der Bahadur. »Dort kommen die gottverdammten Schurken!«

Obschon der Schuß des Maharadschah bei dem fortwährenden Knallen der Freudensalven und Raketen wenig Aufmerksamkeit erregt hatte – eilten jetzt auf den Ruf des Offiziers: »Wache herbei! Verrat!« mehrere Posten herzu und schossen aufs Geratewohl ihre Gewehre ab.

Der Sepoy hatte unterdes im Graben den zugeworfenen Lederstrick des Mexikaners glücklich erfaßt und die Schlinge über den Prinzen gezogen. Die Kraft der drei Männer hob die Last leicht auf den Rand – mit ihr zugleich schwang sich der Soldat in die Höhe.

»Jetzt, Khan, mach daß du fortkommst mit dem Jüngling,« flüsterte der Fürst, »in der Eile allein liegt eure Rettung. Ich werde die Rotröcke aufhalten, solange es geht – zunächst jenen dort.«

Er deutete nach dem englischen Offizier, der, um das Alarmzeichen zu geben, den Wall entlang nach dem Haupttor der Zitadelle flog.

Ohne sich weiter um seine Gefährten zu kümmern, eilte der Maharadschah nach der Stelle zurück, wo er den Kanadier Adlerblick zurückgelassen.

Neben Adlerblick und dem Franzosen Cordollier fand der Maharadschah die Bajadere.

»Bei allen Dämonen – Feuer!« befahl der Hindu.

Ein gellender Angstschrei ertönte – mit ihm warf sich die Bajadere vor die Mündung der Flinte und schlug den Lauf in die Höhe. Der Schuß ging los und das Pulver verbrannte das Gesicht der Tänzerin.

»Wahnsinnige Törin,« zürnte der Fürst, »das Signal hetzt uns vor der Zeit die ganze Garnison auf den Hals und fordert zur Verfolgung der Deserteure auf. Suche jeder, so gut er kann, den Sammelplatz zu erreichen, wo die Pferde stehen.«

Der Wirbel der Alarmtrommel aus dem Fort und den naheliegenden Kasernen und der ferne, rasch näherschwellende Ruf: Feuer! Feuer! unterbrach ihn.

Kapitän Cordollier faßte den Arm seines Gebieters und deutete nach rückwärts.

»Sie werden andere Dinge zu tun haben, als uns zu verfolgen, Hoheit,« sagte er. »Wenn mich die Richtung nicht trügt, ist es das Landhaus des Residenten, das in Flammen steht.«

»Das rettet uns und den Prinzen,« flüsterte der Fürst. »Aber nun fort und nehmt jenes törichte Weib mit euch, die, einen Faringi zu retten, ihre Brüder verrät.«

Er wandte sich nach der Tänzerin um – aber Anarkalli war verschwunden.


Das Gerücht, daß das Landhaus des viel gefürchteten Residenten in vollen Flammen stand, veranlaßte ein Zusammenströmen der Volksmenge. Die Nachricht von dem Brand traf zugleich mit der Flucht des Sikh-Prinzen im Salon des Gouverneurs ein und störte das Fest. Der General vermutete sogleich, daß beide Ereignisse im Zusammenhang ständen und erteilte zugleich seine Befehle zur Verfolgung der Flüchtigen und zur Löschung des Brandes. Der Generalmarsch wirbelte durch die Straßen und von allen Seiten eilten die Sepoys nach ihren Alarmplätzen, während die Pompier-Kompagnien bereits nach dem Ort des Brandes marschierten.

Eine dichtgedrängte Menschenmasse umgab die Stätte, und ihr höhnisches Geschrei bewies klar, wie verhaßt Major Rivers unter der Bevölkerung war.

Das Feuer war, während der größte Teil der Dienerschaft sich an den Ufern des Flusses umhertrieb, plötzlich in den vorderen Räumen des Bungalow ausgebrochen.

Drei Männer waren es, welche unbekümmert um die sprühenden Funken und stürzenden Balken, in das Innere der Villa eingedrungen. Der eine, welcher den Führer zu machen schien, war ein kleiner, alter Mann in indischer Kleidung. Die beiden anderen trugen die Tracht der Laskaren oder indischen Bootsleute; der ältere war in einen weiten arabischen Mantel gehüllt, des zweiten Gesichtszüge trugen, obschon von der Sonne heißer Zonen gebräunt, offenbar das europäische Gepräge. Seine Hand schwang eine schwere Spitzaxt, die sie so leicht wie eine Feder regierte.

Den Greis voran, eilten sie durch die Reihe der Gemächer, in denen wir einige Monate vorher Eduard O'Sullivan und seine beiden Gefährten sich für die nächtliche Orgie vorbereiten sahen. Rauch und Glut erfüllte bereits diese Räume, denn die Flammen verbreiteten sich an dem trockenen Bambusgebälk und dem andern leichten Baumaterial mit großer Schnelligkeit.

Sie durcheilten diese Räume und richteten, von dem Alten geführt, ihre Schritte nach dem Korridor, der das Hauptgebäude des Bungalows mit dem Harem des Residenten verband.

Die Gefahr der Feuersbrunst war noch nicht bis hierher gekommen, obschon das Lärmen derselben die Bewohner erschreckt haben mußte.

Das Gekreisch der Weiber drang ihnen entgegen, die aus den verschlossenen und wohl gesicherten Räumen des Harems von dem Tumult erschreckt, vergeblich einen Ausweg suchten und von innen an die Tür ihres glänzenden Kerkers schlugen und Auskunft und Beistand verlangten.

Vor dieser Tür zeigte sich ein Hindernis. Hier hielt der schwarze Eunuch des Residenten Wache und seine funkelnden Augen bewiesen, daß er nicht gutwillig den Eingang öffnen werde.

»Öffne jene Tür, Bursche, und mach dich davon, ehe das Feuer dich noch schwärzer bratet als die Natur dich geschaffen.«

Der Neger fletschte grimmig die Zähne, stieß ein heiseres Geschrei aus und holte zu einem Streich aus.

Mit Blitzesschnelle hatte der Rais der Praua, denn der Uskoke Danilos war es, den weiten arabischen Mantel um seinen linken Arm geschlungen, und diesen schützend über seinen Kopf erhebend, unterlief er den Mohren, fing mit dem dicken Gewebe den Hieb des Säbels auf und gab seinem Gegner zugleich einen heftigen Tritt gegen die Schienbeine, diesen verwundbarsten Teil der Schwarzen. Heulend vor Schmerz beugte sich dieser nieder, und der Uskoke führte einen so mächtigen Schlag gegen den Wollkopf des Negers, daß der Schwarze völlig betäubt zu Boden stürzte. Der Rais entriß seinem Gürtel die Schlüssel und öffnete die Tür.

Die zehn Mädchen drängten sich wie eine Herde um Aya, ihre Hüterin, die bei dem Anblick der fremden Männer ein Zetergeschrei erhob und sie mit dem Zorn ihres Sahibs bedrohte.

Mit dem Rufe: »Nurjesan! mein Kind!« stürzte der Babu auf eine der zierlichen Gestalten zu und preßte sie in seine Arme. Bestürzt wankte das Hindumädchen zurück und verhüllte ihr Gesicht mit dem Schleier, indem sie das Gefühl ihrer Schande, die sie bereits liebgewonnen, mit Gewalt bei dem unerwarteten Anblick ihres Vaters überkam. Schluchzend warf sie sich auf den Diwan, während der alte Mann vor ihr kniete und mit Schmeichelworten sie zu beruhigen suchte.

Währenddessen hatten die Blicke des Uskoken die Schar der Odalisken gemustert, gleich als suchten sie nach einem bestimmten Gegenstand, den sie nicht aufzufinden vermochten.

»Der Schuft von Schobedar hat mich getäuscht,« murmelte er zwischen den Zähnen, »unter diesen Weibern ist keine einzige, die einer Europäerin ähnlich sieht.«

Er sprang vor in das Gemach unter dem Gekreisch der Weiber, die ihre Stimmen jetzt mit dem Gezeter der Alten vereinten.

»Antworte, du Scheusal – wo ist die Gattin des Nena?« Die Alte fletschte grimmig ihre wenigen Zähne und spie mit einer Verwünschung nach ihm.

»Um Gottes willen, Kapitän, rasch, rasch!« schrie von der Tür her, die er geöffnet, der Gefährte des Albanesen. »Das Feuer hat den Korridor erreicht und ich höre den Generalmarsch der Soldaten.«

»Willst du reden, Canaglia!«

Im Nu hatte Danilos von seinem Halse eine dünne, aber feste Schnur geknüpft, an der er ein Amulett trug, und sie um die Stirn des Weibes gewunden. Dann steckte er den Griff seines Dolches zwischen die Schnur und begann sie zusammenzudrehen.

Ein entsetzliches, gellendes Geschrei erfüllte das Gemach, das Geheul des draußen versammelten Pöbels übertäubend.

»Erbarmen, Sahib – ich will bekennen, alles, alles, was du willst!«

»Befindet sich die Gattin des Maharadschah von Bithoor in dieser Höhle des Lasters?«

»Im geheimen Gemach unter dem Boden des nächsten Kiosk – sie ist –«

»Wo ist der Eingang? Sprich, Hexe, oder stirb!«

»Erbarmen! In der Wand jenes Gemachs befindet sich eine verborgene Tür zum nächsten Kiosk. Unter dem Teppich in seiner Mitte führt die Falltür hinab in das Gefängnis der Faringi!«

»Die Schlüssel, wo sind die Schlüssel? –«

»Ich habe sie nicht – der Sahib-Resident allein besitzt sie!«

Wiederum, heftiger als zuvor, schnitt die Schnur das Fleisch bis auf die Knochen durch. »Barmherzigkeit bei der Mutter, die dich geboren,« heulte die Alte. »Möge ich ewig verdammt sein, wenn ich dir Lügen sagte!«

Der Uskoke sprang empor. »Es ist kein Augenblick zu verlieren. Suche die Tür und schlage sie ein, Enrico!«

Sein jüngerer Gefährte war bereits in dem Kabinett und untersuchte die Wände.

»Hier ist die Tür – die Hexe sprach die Wahrheit!«

Unter seinen gewaltigen Schlägen brach die verborgene Tapetentür in Stücke, aber zugleich dröhnte von der anderen Seite her das Gekrach der zusammenstürzenden Balken, das Glas der Bedachung sprang von der sengenden Hitze, und der Rauch der immer näher rasenden Flamme drang durch den vorderen Eingang.

Die Frauen erhoben ein gellendes Hilfegeschrei.

Danilos riß den Babu empor. »Fort mit dir, Mann, wenn du dich und dein Kind retten willst. Dort hinaus muß ein Ausgang nach dem Garten sein, ich fühle es an dem Luftzug. Ihr alle flieht, wenn euch das Leben lieb ist. Ihr seid zu schön dazu, um zu verbrennen!«

Er sprang durch die Öffnung der eingeschlagenen Tür; in wilder Hast folgten ihm der Babu mit seiner Tochter und die Odalisken.

Der Raum, den sie durch die eingeschlagene Tür betraten, war zunächst wieder ein kurzer Korridor, der zu einem anderen Pavillon führte. Einige Axthiebe des Laskars zertrümmerten die verschließenden Jalousien und die Todesangst der Frauen erweiterte mit Gewalt die Öffnung, durch die sie sich ins Freie und die dichten Bosketts des Gartens stürzten.

Der Uskoke und sein Gefährte dagegen stießen die Tür des zweiten Pavillons ein und betraten das genügend von dem Feuerschein erleuchtete Innere.

»Wo ist der Eingang – was sagte die Alte?«

»Hier unter dem Teppich in der Mitte!« beantwortete eine dritte Stimme die Frage. Umschauend sah der Uskoke das Mädchen aus Kaschmir hinter sich stehen.

»Was tust du hier? warum bist du nicht geflohen mit deinen Gefährtinnen?«

»Wallah – warum sollte Narika fliehen? Sie kann hier ebensogut sterben, wie anderswo. Ich habe niemand, der für mich sorgen würde, und mein Herz ist leer, seit der Sahib mit den goldenen Haaren nicht mehr zu mir kommt.«

»Du sollst uns begleiten, Mädchen,« entschied der Rais – »überdies bedürfen wir vielleicht deiner Hilfe.

Die Matte war bereits zur Seite gezogen.

»Da ist ein Ring eingesenkt und hier ist das Schloß!«

»Brauche die Axt, Enrico, als gälte es dein Leben!«

Vor seinen wütenden Schlägen sprangen die Planken – wenige Augenblicke und das Schloß der Falltür zersprang und die Axt hob die schwere Last in ihren Angeln. Eine viereckige Öffnung gähnte ihnen entgegen, die Stufen einer Treppe führten hinab – Lichtschimmer glänzte aus der Tiefe.

»Mein Bräut'gam war ein schöner Mann,
Er saß gar stolz zu Roß!
Am hohen Fels von Karnogan
Da steht sein gold'nes Schloß!«

tönte es in der melancholischen Melodie einer irischen Volksballade herauf, und die zitternden Töne klangen so deutlich und traurig, daß selbst der wilde Uskoke erschüttert zauderte.

Im nächsten Augenblick aber hatte er den Eindruck überwunden und sprang die Stufen hinab, von Narika gefolgt, während der Mann, den er mit dem Namen Enrico benannt, auf seinen Befehl an der Falltür zurückblieb.

Der Anblick, der sich dem Uskoken und der Kaschmirerin bot, wirkte noch erschütternder, als der seltsame Gesang, den sie gehört.

Der Raum, in den die Treppe mündete, war ein unterirdisches Gewölbe von runder Form.

Auf dem Boden in der Mitte dieses Raumes auf einem Haufen Reisstroh lauerte eine weibliche Gestalt in reicher, aber jetzt von der Feuchtigkeit modernder, zerstörter und an mehreren Stellen zerrissener orientalischer Kleidung.

Das Gesicht, mager und eingefallen, aber der ängstlich leidende Ausdruck der einst so schönen und kühnen Augen, die hohl unter der Stirn hervorschauten, gab ihm jetzt etwas entsetzlich Gespenstiges.

Die junge Frau wiegte singend im Takt den Kopf; als sie aber den Mann und das Mädchen eintreten sah, streckte sie ihnen mit einem Schrei die hageren Hände wie zur Abwehr entgegen.

»Rührt mich nicht an! rührt mich nicht an!« bat sie mit ängstlichem Ton. »Wißt ihr nicht, daß ich die Tigerbraut bin? – Barmherziger Gott, er wird euch und mich zerreißen! – Tut keinen Schritt weiter – ich rufe den Nena!

»Und kommt er nicht mehr zurück?
Und kommt er nicht mehr zurück?
Er ist tot, o weh!
In dein Todesbett geh,
Er kommt ja nimmer zurück!«Ophelia im »Hamlet«

Der rohe Uskoke schauderte. »Sie ist es – wir können nicht zweifeln. Aber beim Acheron – hier ist traurigeres Unheil noch, als wir gefürchtet.«

Narika hatte zwar die englisch gesprochenen Worte des unglücklichen Wesens vor ihnen nicht verstanden, aber sie begriff das Entsetzliche.

»Allah hat ihre Seele mit Nacht bedeckt,« sagte sie. »Was auch ihr Los hier gewesen – sie gehört zu den Unschuldigen.«

»Ihr seid gut – ihr seid keine Faringi – ich kenne euch!« flüsterte die junge Frau. »Sagt nicht der Glaube eures Landes, daß die Flammen den Leib rein brennen zu neuem Leben? – Ich will rein sein, ich gehöre ihm allein! Wo ist die Sotti – ich höre die Flammen knistern.«

»Mylady, ermannt Euch! Wir sind hier, Euch zu befreien. Das Haus steht in Brand, wir müssen flüchten.«

»Seht ihr – wie er in die Arena springt – das Eisen flammt in seiner Hand – meine Seele war die seine – er ist gerettet! – Hei – ich bin die Tigerbraut – aber ein anderer Tiger hat mich gefaßt – er reißt die Kleider von meinem Leib – er erstickt meine Stimme – Nena, rette dein Weib!

»Der Räuber frönt der Lust und dann
Höhnt er das Liebchen sein,
Jetzt magst du, Held von Karnogan,
Die Buhlerin dir frei'n.«

»Herauf, herauf! ich höre die Signale der Soldaten,« tönte von oben her der Warnungsruf des Laskaren.

»Wir müssen Gewalt brauchen,« murmelte der Uskoke, als die Unglückliche vor seiner Annäherung aufspringend, floh und ein Angstgeschrei erhob. »Bei dem Namen Eures Bruders, Mylady, wir sind Freunde und kommen, Euch zu retten. Eduard O'Sullivan –«

Die Unglückliche sprang auf ihn zu. »Eduard, sagst du? – Wer schrieb den Brief? – Barmherziger Gott, der Brief!« Sie schlug die Hände vor das Gesicht – diesen Augenblick nahm der Albanese wahr und hob sie in seinen Armen empor. Sie leistete keinen Widerstand, nur ein leises Wimmern drang aus ihrer keuchenden Brust.

So trug er sie die Treppe hinauf. Feurige Glut umgab den Pavillon, an dem leichten Holz der Wände des verbindenden Ganges leckte bereits die tausendzüngige Flamme in die Höhe – der Kiosk, dessen üppige Pracht sie vor wenigen Minuten verlassen hatten, krachte zusammen und begrub das Angstgeheul der Aya.

Von der Front des brennenden Bungalow her rasselten die Trommeln der anrückenden Militärwache, die den Pöbel durchbrach, tönte das Kommando, der Ruf der Pompiers.

»Nimm sie in deine Arme, hülle ihr Haupt in den Schal!« befahl der Rais, »und nun mir nach!« Er entriß die Axt seinem Gefährten und drang zurück in den Rauch und die Flammen. Sein jüngerer Gefährte, die Gerettete auf seinen Armen, folgte ihm, hinter diesem die Odaliske.

»Hier – hier hinaus! Springt hinab!« Der Uskoke gab ihnen das Beispiel und sprang durch die durchbrochene Jalousie in den Garten. Im nächsten Augenblick flohen sie durch die Gebüsche nach der Mauer zu, die den Garten nach der Seite des Flusses umgab.

Jetzt hatten sie die Mauer erreicht, durch welche eine Pforte ins Freie führte. Der Albanese wollte sich eben ihr nähern, um mit Gewalt sie zu öffnen, als sie von außen her aufgeschlossen wurde und der Resident in Begleitung des Lancier-Kapitäns Mowbray und einiger Diener in den Garten stürzte.

Die Nachricht von dem Brande seines Hauses hatte ihn bei dem Fest des Gouverneurs getroffen: – wütend über das Unheil, das sein ränkevoller Geist sofort nicht als Zufall, sondern als das Werk eines Feindes betrachtete, war er nach der Brandstätte geeilt und betrat dieselbe jetzt, statt sich durch die Volksmenge am vorderen Eingang zu drängen, mit seinem Vertrauten von der Gartenseite.

Sein Blick hatte sofort die Laskaren und die Last entdeckt, die der Jüngere trug.

»Steht, Diebe! – nieder mit dem gestohlenen Gut! Bewacht die Tür, daß sie nicht entwischen können!«

Der Uskoke warf sich, die Axt schwingend, die er noch in der Hand trug, gegen den Kapitän und die Diener, und erreichte die Pforte, durch die er Narika ins Freie stieß, dann sie offen haltend für den Gefährten, indem seine schwere Waffe die Gegner in respektvoller Entfernung hielt.

Jenem hatte sich unterdes der Resident entgegengeworfen und ihn am Arm gefaßt.

»Was trägst du hier, Schurke?«

»Die Rache für die Toten!«

Die Hand des Residenten riß den großen, verhüllenden Schleier herab, in den Narika die unglückliche Gefangene gehüllt. Von ihrem bleichen, hageren Gesicht hob sich sein Auge voll Furcht auf das Antlitz ihres Retters.

Zwei funkelnde Augen blitzten ihm entgegen im Schein der nahen Feuersbrunst.

Wie von dem Zahn einer Zange getroffen, fuhr er zurück.

»Hendrik Prätorius! – Verflucht!«

Der unglückliche Geliebte der geopferten Luise hob mit grellem, wildem Hohnlachen die leichte Gestalt der Wahnsinnigen wieder in die Höhe. »Kennst du mich jetzt? Dann weißt du, warum ich diese aus den Flammen geholt, Bösewicht! Deine Stunde ist nahe!«

Und an dem unwillkürlich Zurückweichenden vorüber sprang er vorwärts und erreichte mit seiner Last die Pforte.

»Auf Wiedersehn, Kapitän Rivers!« scholl die Stimme des Todfeindes – dann fiel die Tür krachend ins Schloß und die Flüchtigen waren mit ihrer Beute glücklich entkommen. – – – – –


Der Südwind blähte helfend das dreieckige Segel einer Praua, die mit aller Kraft von sechs Ruderern stromaufwärts getrieben ward.

Am Steuer stand der junge, aus seiner Heimat vertriebene Boor, jetzt der erste Maat oder Gehilfe des albanesischen Korsaren auf den indischen Gewässern, während an das niedere Bollwerk des Fahrzeuges gelehnt der Schiffsherr selbst mit Tantiah-Topi oder Tukallah, dem Mahratten-Sirdar, und dem graubärtigen Fakir, der dem Nena im Hain die Rückkehr der Geliebten verkündet.

Am Fuße des Mastes saßen zwei Frauen: das Mädchen aus Kaschmir, und die Gattin des Nena, das bleiche Haupt an jener Brust gelehnt und mit glanzlosen Augen vor sich hinstarrend.

Vor den beiden Frauen aber hockte, in einen weiten arabischen Mantel gehüllt, ein Mann.

Sein Gesicht war noch jung, obschon hohl und eingefallen, und bekundete den Europäer, aber sein verwilderter Bart und sein Haar waren vollständig ergraut.

Aus diesen toten, glanzlosen Augen sprach, wie aus denen der unglücklichen Irländerin, der Irrsinn.

»Furchtbares Schicksal!« sagte der Derwisch zu seinen Gefährten – »es wird sein Herz brechen, das so sehr an ihr gehangen!«

»So ist es die Strafe dafür, daß sie ihm mehr galt, wie Heimat und Glauben. Fluch seiner Gleichgültigkeit gegen das Wehe des eigenen Landes! Wer Schmach säet, der wird die Schmach ernten.«

»Wenig kennst du den Nena, wenn du fürchtest, die Wunde, die man ihm geschlagen, werde seine Kraft erlahmen. Wenn die Tigerin ihr Junges rächt, schwillt die Kraft ihrer Muskeln. Wie die Mine zerstörend emporflammt, wenn der Funke das Pulver berührt, so wird die Rache des Maharadschah alles verderben, dem er bisher angehangen.«

»So möge es sein, wie traurig auch das Schicksal der Ärmsten ist,« meinte der Derwisch. »Wird nichts den Weg verraten, den wir zu ihm genommen?«

»Wenn die Flucht des Sikh-Prinzen gelungen, muß der Nena längst nach Bithoor zurück sein. So groß auch die Macht und die Bosheit des Faringi ist, er darf es nicht wagen, sein Opfer in das Haus des Nena zu verfolgen, und wenn der Morgen graut, wird diese Praua unter den tausend ähnlichen Schiffen verborgen sein, die den heiligen Strom bedecken.«

»Ich spotte ihrer Verfolgung,« sagte der Uskoke. »Viele Mittel hab' ich, ihre Augen zu täuschen: doch seht, dort schwimmen die Lichter von Bithoor, und jene dunkle Masse, die sich über die Wipfel der Tamarinden erhebt, ist der Palast des Maharadschah. Herum mit dem Steuer, Enrico, und wende das Schiff nach dem Ufer. Soll ich das Zeichen geben?«

Der Sirdar bejahte und im nächsten Augenblick zischte eine Rakete von der Praua in die Höhe und ließ hoch am Himmelsbogen ihre blauen Sterne durch das Dunkel schwimmen.

Sogleich antwortete vom Ufer her das Aufsteigen einer andern Ratete mit rotem Licht.

»Baber Dutt ist auf seinem Posten,« erklärte Tukallah – »lege die Praua an der Stelle gegen das Ufer, Freund, wo das rote Licht leuchtet und laß das Boot in Bereitschaft setzen, dein Werk ist getan und die Rani soll erfahren, daß es gut getan wurde.«

Der Derwisch war, während das Boot wendete, zu den beiden Unglücklichen getreten und auf sein ernstes und strenges Gesicht legte sich ein tiefes und inniges Mitleid.

»Arme Wesen – unglücklich durch eigne und fremde Schuld,« murmelte er – »muß euer Elend zum Mittel werden, die Freiheit zu fördern? Welch schreckliche Saat wird aus dem Schrecklichen entspringen!«

Und die Stirn an den Mast gelehnt, horchte er traurig auf den leisen Gesang der Irren, während die Praua unfern des Bithoor- Palastes Anker warf.

In dem großen Gemach des Bungalow, in dem bei Beginn des Festes der Wasserlichter der Nena mit seinen Getreuen der Stunde des Aufbruchs entgegen geharrt, befanden sich fast dieselben Personen wieder versammelt, nur daß statt Murad Khans die Gestalten zweier Frauen seine Stelle auf dem Diwan eingenommen: Mahe Tschund, die entthronte Königin von Lahore und ihre Tochter.

Bleiern waren die Stunden bangen Harrens ihnen verflossen, bis die Rückkehr des Nena ihnen Kunde gebracht, daß der Khan mit dem Befreiten bereits weit auf dem Wege nach Audh sei.

Man hatte die weiteren Schritte beraten, und es war beschlossen worden, daß am nächsten Morgen die beiden Frauen verkleidet unter dem Schutz einiger Jäger des Maharadschah aufbrechen und die Straße nach Audh einschlagen sollten, um dort mit Dhulip Singh zusammen zu treffen. Nachdem der Nena seine genauen Befehle erteilt, war er im Begriff, die Frauen durch den Garten des Bungalow nach den Gemächern zurückzugeleiten, als plötzlich drei Schläge an die Tür, die nach der Veranda des Kanals führte, seinen Fuß an den Boden fesselten.

Der erste Gedanke war Verrat und Überraschung. Bald aber hatte er seine Ruhe und Entschlossenheit wieder gewonnen, und seiner Umgebung winkend sich ruhig zu verhalten, näherte er sich selbst der Tür.

»Wer wagt es, zu dieser Stunde die Ruhe des Maharadschah von Bithoor zu stören?«

»Freunde des Peischwa!«

»Die Worte sind leicht auf der Zunge der Menschen.«

»Der Peischwa weiß,« entgegnete die Stimme des Einlaßbegehrenden, »daß Freunde auch ungerufen im Dunkel der Nacht erscheinen. Er selbst hat es erfahren an diesem Abend unter dem Schatten der Tamarinden auf dem Weg nach Cawnpur. Er möge uns öffnen und das Geschenk entgegennehmen, das seine große Freundin von Ihansi ihm sendet.«

Der Nena erbebte. Er erkannte die Stimme, und die Worte, die der verkleidete Fakir vor wenig Stunden auf dem Wege nach Cawnpur zu ihm gesprochen, erfüllten seine Seele.

Dann streckte er die Hand aus nach der Tür und befahl mit gepreßter Stimme:

»Öffnet!«

Die Tür flog auf – zwei Männer erschienen in ihrem Rahmen, eine ganz von einem weiten indischen Schal verhüllte Gestalt in ihrer Mitte führend; hinter ihnen erblickte der Nena das ernste und traurige Antlitz eines Dritten: Baber Dutts, seines Bruders, den er während mehrerer Tage nicht gesehen.

Die beiden Männer waren Tantiah Topi, der Mahratten-Sirdar, das Haupt der Verschwörung gegen die Faringi, und der geheimnisvolle Derwisch.

Der Nena erzitterte, als sein Auge auf der verhüllten Gestalt in ihrer Mitte ruhte.

Auf einen Wink Baber Dutts schloß Gibson die Tür, durch welche sie eingetreten und lehnte sich mit dem Rücken dagegen.

»Sei willkommen edler Sirdar, du und dein Begleiter, in dem Hause Srinath Bahadurs,« sagte der Nena mit zitternder Stimme.

Der Nena trat hastig auf sie zu, als er sich näherte, wichen der Mahratte und der Derwisch zurück und er stand allein in der Mitte des Gemachs vor der verhüllten Gestalt.

»Kapitän Ochterlony,« sagte der Maharadschah zagend, »geben Sie mir Antwort – was soll dies alles bedeuten?«

»Mut, Prinz – sehen Sie selbst und – seien Sie ein Mann, der das Unvermeidliche zu tragen versteht.«

Als hätte er einen verzweifelten Entschluß gefaßt, ergriff die Hand des Maharadschah hastig den Schal und riß ihn herab.

Starr, einer Marmorstatue ähnlich, das hohle Auge ausdruckslos umherschweifend, stand die Gestalt der Irländerin, ohne sich zu rühren, auf der Stelle, wo ihre Führer sie hingestellt.

»Margarete!«

Der Schrei des Maharadschah zuckte so grell durch das Gemach, daß Schauder durch die Adern der Hörer bebte.

Er schlug an das Ohr der Frau, der es galt, und eine leichte Röte zeigte sich auf ihren Wangen. Dann wandten sich ihre Augen auf den Mann, der sie so unendlich geliebt, und ein ängstliches, verlegenes Lachen entstellte ihr abgehärmtes Gesicht.

»Ich bitte dich, Freund,« sagte sie im Flüsterton, »sprich dem Nena nicht davon, daß Margaretas Bruder sie ins Verderben gelockt und daß sie das Bett eines andern Mannes geteilt hat. Der Nena hat eine böse Natur – ich kenne ihn – sie schläft nur unter der Liebe zur schönen Margaret' und könnte uns alle vernichten!«

»Margarete – Weib – Geliebte meiner Seele – kennst du mich nicht?«

»Ophelia hat ihren Kranz zerrissen, Hamlet, der Dänenprinz, mag sie nicht. Und dennoch

»er liebt Ophelia, vierzigtausend Brüder
Mit ihrem ganzen Maß von Liebe hätten
Nicht seine Summ' erreicht!«

Der Nena wischte den kalten Schweiß von seiner Stirn – die Farbe seines Angesichts war fahl – das erst so blitzende Auge irrte stier, gleich dem des unglücklichen Wesens vor ihm, umher von einem zum anderen.

Es war so totenstill im Gemach, daß man das steigende Keuchen seiner Brust hörte.

»Erbarmen! Erbarmen! – Äffen mich die Dämonen? Ist dies das Weib meines Herzens? Ist sie –«

Die Hand des ehemaligen Parlamentsmitgliedes legte sich auf seine Schulter. »Gott im Himmel weiß allein, was uns frommt. Seine Hand hat die Schleier des Wahnsinns über die Verzweiflung dieser Ärmsten gedeckt.«

Ein dröhnender Schall – der Maharadschah stürzte zu Boden – alle eilten hinzu, ihm beizustehen.

In diesem entsetzlichen Augenblick vernahm man ein neues heftiges Klopfen und Ralph, der Bärenjäger, der am Tore die Wache gehabt, trat hastig ein.

»Wo ist der Maharadschah?«

»Wo ist der Maharadschah?« wiederholte der Riese die Frage.

Baber Dutt trat ihm entgegen. »Siehst du nicht, Mann, daß der Nena erkrankt ist? Was willst du von ihm? was ist geschehen?«

»Ein Läufer von Cawnpur bringt dies Blatt. Er sagt, es gälte Tod und Leben!«

Baber Dutt riß das Papier auf. Es enthielt eine einzige Zeile:

»Die Geier folgen dem Fluge der Schwalbe in das Nest des Adlers!«

»Tod und Verdammnis über die rotrockigen Schurken! Was ist zu tun?«

In diesem Augenblick erhob sich der Maharadschah. Sein Aussehen glich dem eines Toten, aber sein Auge starr, fest und unheimlich, zeigte, daß er jetzt vollkommen wieder Herr seiner Sinne war.

Zwischen den Brauen lag eine tiefe Falte furchtbarer, unheilverkündender Entschlossenheit. Um den Mund tiefte sich ein häßlicher böser Hohn, ein Ausdruck grausamer Gier, der die Oberlippe hob, und die spitzen weißen Zähne gleich dem Gebiß eines Raubtiers erscheinen ließ.

Niemand wagte ihn anzusprechen, jeder unterlag dem Eindruck dieser so schrecklichen Veränderung.

Langsamen Schrittes trat der Maharadschah zu der Irren, hob sie in seinen Armen empor und trug sie zu den Kissen des nächsten Diwans, auf die er sie sorgsam niederlegte, indem er sie, wie die Mutter ein Kind, in den weiten Schal einhüllte.

Baber Dutt fühlte, daß jeder Augenblick kostbar war. »Mein Bruder,« sagte er, indem er auf den Nena zutrat, – »dieser Brief ...«

Der Maharadschah winkte ihm mit der Hand Schweigen. »Ich weiß – ich hörte es. – Mac Scott, die Tore des Gitters geöffnet, daß die Faringi-Häscher kein Hindernis finden! Cordillier, sorge dafür, daß alle Leute sich zurückziehen, aber bewaffnet in der Nähe bleiben. Nichts darf verraten, daß wir benachrichtigt sind. Hoheit, ich weiß nicht, wie weit der Verdacht der Faringi sich erstreckt. Du und die Prinzessin werden hier in meiner unmittelbaren Nähe sicherer sein, als in euren Gemächern. Aber es ist notwendig, daß ihr als die Dienerinnen des Hauses erscheint und euch mit dieser Unglücklichen zu schaffen macht.«

Die entthronte Königin begriff sofort die Zweckmäßigkeit des Rates und ordnete Turban und Schleier nach der einfachen Art der niederen Hindufrauen.

Der Mahratte wendete sich jetzt zu dem Nena, der alle diese Befehle so ruhig und sicher erteilt hatte, als wären seine Nerven von Eisen, als hätte nicht eben der entsetzliche Schlag seine Seele in ihren Tiefen zerrissen.

»Was beschließest du über uns? Sollen wir fliehen oder uns verbergen?«

»Keiner, der als Gast die Schwelle Srinath Bahadurs überschritten, hat hier zu fürchten.«

Der Nena hatte die Hand des verkleideten Derwisch ergriffen, der mit Erstaunen und Teilnahme das Gebahren des Hindufürsten, die erhabene aber mehr noch furchtbare Entwicklung dieses Charakters verfolgte.

»Freund meines Freundes,« sagte er mit fester Stimme, – »ich bitte dich, wäge die Worte, die du sprichst, ehe du meine Frage beantwortest, denn das Schicksal von Tausenden hängt an dem Hauch deines Mundes. Wo fandet ihr das Weib Srinath Bahadurs, des Maharadschah von Bithoor?«

»Bei meiner Ehre! in dem Harem eines der Tyrannen deines Landes, eines Engländers, der sie entführt und entehrt.«

Die Augen des Bahadurs schlossen sich einen Moment. Der Kapitän sah, wie Schweiß sein bleiches Gesicht bedeckte, wie die krampfhaft geballte Faust erzitterte.

»Baber Dutt!«

»Was befiehlst du, mein Bruder?«

»Sind die Ruder in der Barke an der Wasserpforte?«

»Ich werde dafür sorgen.«

»So geh' und wirf dich in den Strom. Schwimm nach der Praua dieser Männer und befiehl dem Rais, seine Anker zu lichten und stromaufwärts zu fahren ohne einen Augenblick der Zögerung, eine Stunde weit bis zur Stelle, wo die Sandbank von Osten weit hinaus in den Fluß tritt. Du bleibst auf dem Schiff. Erhält der Rais bis morgen eine Stunde nach Sonnenaufgang keine Nachricht, so möge er zurückkehren an das Ufer von Bithoor. Geh' – und niemand erblicke dich auf deinem Wege.«

Und sich wieder zu dem Kapitän wendend, während Baber Dutt das Gemach verließ, fragte er:

»Den Namen des Faringi! sage mir den Namen!«

»Du mußt sein Haus in Flammen gesehen haben, ehe du Cawnpur verlassen hast, angezündet von der Hand der Rächer, um dein Weib zu befreien.«

»Rivers – der Resident?«

Der Kapitän nickte schweigend.

»Rivers, der Freund und Gefährte ihres und meines Bruders? Nimmer hätte es der Faringi gewagt, seine Hand an das Weib Srinath Bahadurs zu legen!«

»Rivers selbst trieb den Unglücklichen zum Kampf mit dem Tiger, um ihn von der Schwester zu entfernen.«

Der Nena preßte die geballten Hände an die pochenden Schläfe. »Du lügst! Du lügst! Er war der erste, welcher den Tod O'Sullivans beklagte!«

»Die Gräber werden sich öffnen, dir die Wahrheit meiner Worte zu beweisen. Zwei Menschen hat jener Mann lebendig begraben – den Bruder und die Schwester! Aber die Hand Gottes hat sie erhalten zu rächenden Zeugen von dem Verbrechen der Tyrannen Indiens!«

Der Nena starrte ihn verwirrt an: »Eduard O'Sullivan?«

»Er ist tot und dennoch lebendig!«

»Und sie – sie–«

»Der Rais der Praua, und ein Mann, dem der Verbrecher im fernen Lande gleichfalls die Braut geraubt, holten sie aus dem unterirdischen Kerker seines Harems vom faulenden Stroh, wo das Opfer seiner Lüste begraben war, um nimmer wieder das Tageslicht zu schauen und die Rächer zu rufen.«

»So sei er verflucht! verflucht! und mit ihm das Volk, das ihn geboren! Das Kind im Leibe der weißen Mutter soll büßen für die Taten seines Erzeugers! Der Strom des Jammers soll über ihre Geschlechter kommen und sie vertilgen vom Angesicht der Erde! Die Dunkeläugige soll ihre Seelen zerreißen und sie tauchen in den dunklen Strom der Vernichtung! Mögen die Geister meiner Väter Schmach häufen auf das Gedächtnis Srinath Bahadurs, wenn der Tiger von Bithoor nicht badet in einem Meer weißen Blutes! Fluch und Tod den Faringi!«

Vor dem Bungalow rasselte der Hufschlag vieler Pferde, Waffen klangen, das Kommando eines britischen Offiziers – – – –


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