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Fünfzehntes Kapitel.
Das Festbankett

Schlag zwölf Uhr mittags, als gerade in Thalbrücken und Teufen die Kirchturmglocken anschlugen, ertönte auch im Klosterhof ein Glockenzeichen: es rief zum Festbankett.

Schleuniger und munterer als zwei Stunden früher zur Eröffnungsfeier kamen nun die Jubilare aus allen Richtungen heran und schritten dem Festraum zu, der jetzt durch den Anblick einer wohlgeschmückten und kostbar besetzten Tafel auch den indolentesten Gaumen reizen musste. Was von Verwaltungsrat und Genossen über die ich der Küche entdeckten duftigen Schaustücke herumgesagt worden, fand jetzt nicht nur seine Bestätigung, es wurde noch weitaus übertroffen. Den ein neuer Transpost Heimann'scher Spenden war angekommen, unter Obhut eines Mannes, der, mit den nötigen Kreditiven seines Herrn versehen, sich bei Altringer als erfahrener Tafelmeister auswies und ohne Anstand die Führung der in höchster Parade zur Aufwartung bereitstehenden Diener Heimanns erhielt. Diese Spenden, würdig, eine fürstliche Tafel zu schmücken, standen bald in geschmackvoller Ordnung auf den mitgebrachten Platten und Tassen, offen oder unter Glasglocken zwischen Blumen da, und fanden ihre entsprechende Gesellschaft in den feingeformten, verschiedenfarbigen Flaschen auserlesenster Weine. Leise, auf den Zehen, mit den Lippen patschend, schlichen die zuerst erschienene Feinschmecker an der Tafel auf und nieder und erforschten, mit den Blicken vorkostend, die Namen und Bedeutung dieser Spenden. Hier reifte auch der Beschluss des Diplomästhetikers, auf Heimann, den lieben Bruder Spender, unter Verwertung einiger griechischer Verse, zu toastieren. Das rasche Eintreten des Schauspieldirektors und des Verehrers schöner weiblicher Talente sowie deren rasches Abjagen der Tafelfronten, galt diesen ausgestellten Tafelfreuden nicht; ihr Geistesziel war »höheren Interessen« zugewendet, da bekannt geworden war, dass am Festbankett auch die bisher in tiefster Verborgenheit sich haltenden Töchter des Oberschulrats teilnehmen würden. Es galt vor allem, die Namen der Schwestern nebst den Bestecken aufzufinden und die Nachbarsplätze für sich zu belegen. Leider war da alle Rangordnung aufgehoben und einem jeden überlassen, seinen Platz nach Belieben sich zu wählen; nur der oberste Sitz an der Tafel war dem Präsidenten vorbehalten. – Unter solchen Umständen erübrigte nur, zunächst der großen Eingangstür Fuß zu fassen und beim Eintritt der schönen Schwestern, wie der Schauspieldirektor sagte, »das Geeignete zu veranlassen«. Aber beide mussten bald gewahren, dass dem Erscheinen der Schwestern auch andere Jubilare gespannt entgegensahen, das, wie der Schauspieldirektor wieder bemerkte, »den Raub der Sabinerinnen wesentlich erschwere«.

Die erste Dame, welche den Festraum betrat, war die Frau Justizrätin. Sie erschien am Arme ihres Gatten und grüßte wohlwollend nach allen Seiten, ließ aber die Herren gänzlich ungerührt. Man trat höflich auseinander und ließ sie durchpassieren, hinter ihr schloss der Kreis sich ruhig wieder. Nur der Schauspieldirektor schoss einen wütenden Blick nach seinem Logenstammgast und sagte leise: »Willst Dich, Hektor, ewig von mir wenden – so folge ihr!«

Eine lebhafte Bewegung am Eingang und ein Zuruf außerhalb desselben veranlassten den Verehrer schöner Talente zu bemerken: »Das sind sie! Sie kommen!« Dies zog ihm aber eine Rüge des Direktors zu, der als Kenner aller Nuancen von Beifall und Huldigungen sagte: »Bestehen wir aus Flössern und Kellnerjungen? Wer wird schöne Damen in dieser Tonart empfangen?« Und sich ein wenig streckend, wodurch er mit Leichtigkeit über alle Köpfe wegragte, fügte er hinzu: »Ei, sieh'! Sieh' hin! Eine Achtundvierzigergestalt! Wühlhuber, wie er leibt und lebt!«

Und in der Tat war diese Bezeichnung sehr zutreffend. Eine mittelgroße, vierschrötige Gestalt in Joppe und hochaufgezogenen Stiefeln trat herein, auf dem von langen, grauen Haarsträhnen umwallten Haupte saß der Heckerhut mit schwarz-rot-goldener Kokarde, das Gesicht war von einem Urwald weiß-grauen Bartes umrahmt, aus dem nur Nase und zwei talergroße Brillengläser hervorragten – »Der Ruinenwirt! Unser Wirt von damals!« erscholl es ringsherum, und was an Jubilaren vor dem Eingang gestanden, drängte jetzt dem wunderlichen Gaste nach, der, munter grüßend und die Hände schüttelnd, bis mitten in den Festraum trat, von den Jubilaren heiter und gerührt umringt wurde und mit sonorer Stimme Rede und Antwort gab.

Es war wirklich der Wirt der Burgruine, welcher von Altringer in aller Stille zum Festbankett geladen worden war.

Er hatte vor fünfundzwanzig Jahren, kurz vor dem Tage der Gelobung, die Geschäfte seines Vaters übernommen, darunter die Schenke der vielbesuchten Burgruine während des Sommers eines der lohnendsten war. Von Natur mutterwitzig und aufgeweckt, hatte er auch einige Schulbildung erhalten und war für höhere Interessen, wo sie verständlich und lebhaft vorgetragen wurden, sehr empfänglich. So wurden an dem Jubeltage, während er die Begeisterung der Kommilitonen mit geistigen Getränken schürte, durch die feurigen Reden derselben über Vaterland, Freiheit und Brüderlichkeit in ihm Ideen und Entschlüsse entflammt, die ihn im bald darauffolgenden »Bewegungsjahre« zu einem vielgenannten Volksführer machten. Er war unablässig überall dabei, tapfer und ehrlich, vier Male »ehrenvoll« in den Kasematten. Die letzte Unannehmlichkeit zog er sich in Folge einer lustigen Narretei zu, indem er in den Tagen allgemeiner Reaktion einem ihn vielverfolgenden, politischen Beamten auf öffentlicher Straße plötzlich vortrat, einen riesigen, schwarz-rot-goldenen Regenschirm aufspannte und seine oftgebrauchte Phrase donnernd vor sich hinrief: »Brüder! Freunde! Der Tag ist da! Wir müssen die Revolution wieder in die Hand nehmen!« Sogleich sammelte sich einiges Volk um den Riesenschirm mit den verpönten Farben, und der Wirt fuhr fort: »Man hat immer gesagt, ich stifte Unruhen, ich wiegle das Volk auf; nun so tue ich denn, ihr Freunde und Brüder, was man durchaus von mir haben will; ich wiegle euch auf – zur Ruhe! Haltet euch tapfer und geht nach Hause!« – Diese und ähnliche Erinnerungen weckten bald andere aus der denkwürdigen Zeit, und da unter den Jubilaren keiner sich befand, der im Bewegungsjahre nicht mehr oder weniger beteiligt gewesen, mehr oder weniger verfolgt worden war, so regte sich's beim Anblick des Volksmannes, der noch »wie damals« in »Frakturschrift sprach«, eigentümlich genug, es ging wie ein frischer Luftzug durch die Gemüter. Es erregte große Neugierde und Heiterkeit, als der Volksmann ein Heft aus der Brusttasche zog, es in die Höhe hob und auf den Deckel klopfend sagte: Da steht ihr alle!« Er hatte am Tage des Schwurs in der Ruine über jeden eine Charakterbemerkung eingetragen, die nun nach fünfundzwanzig Jahren bezüglich der meisten Jubilare äußerst drastisch wirkte, das hellste Gelächter losbrach. So war über den Pastor, der am Schwurtage einer der verwegensten Redner, besonders in religiöser Richtung, gewesen, eingetragen: »Antichrists Vormann! Der haut Apostel und Jünger vom Himmelsbrett herunter!« Der in der Nähe stehende Pastor wand sich förmlich unter der Last dieser Reminiszenz und sagte gebeugt und die Hände faltend: »Bedurfte es nicht eines Saulus, um einen Paulus zu erhalten?« – Großes Ergötzen erregte es, als jetzt auch der Schauspieldirektor herbeikam und fragte, was der Volksmann einst über ihn im Heft bemerkte. Pflöcker schlug sogleich nach und las: »Schnellsieder.«

Die laute Heiterkeit hierüber wich erst wieder einer angemessenen Ruhe und Feierlichkeit, als man aufmerksam gemacht wurde, dass der größte Teil der Jubilare, darunter Altringer, der Exminister und Medizinalrat, an der Festtafel bereits Platz genommen habe. Nun eilten auch die Übrigen, sich nach Wahl oder Zufall unterzubringen. Der Schauspieldirektor, voll seltener Ruhe und Zuversicht, war einer der Letzten, die sich an der Tafel niederließen. Er glaubte seiner Sache bezüglich der schönen Schwestern gewiss zu sein, da er kurz zuvor den allein in den Festraum tretenden Oberschulrat abgefasst und veranlasst hatte, seinen Platz an der Tafel zu wählen; er belegte mit der artigen Bemerkung, dass es ihm zu ganz besonderem Vergnügen gereichen würde, seine Gesellschaft zu genießen, zwei Plätze für sich und den Freund in der Nähe, nicht zweifelnd, dass die Töchter neben dem Vater sich niederlassen würden. – Allein, wie erstaunte er, als die Diener bereits aufzutragen begannen und die Erwarteten noch nicht im Saale erschienen. Schon wollte er eine zarte, umschriebene Anfrage an den Oberschulrat richten, ob denn, wie man zu besonderem Vergnügen vernommen, wirklich auch seine bisher in so bescheidener Zurückgezogenheit verharrenden Töchterlein bei der Festbankett erscheinen würden, als diese, geführt von Hilarius und dem Untersuchungsrichter, in den Festraum traten und von den Jubilaren mit wortloser Bewunderung angestaunt wurden. – Man hörte das leise Rauschen der Kleider der Erschienenen, bis diese, auf der entgegengesetzten Seite der Tafel, ziemlich entfernt vom Vater, aber in dessen Angesichte, sich stille niederließen und ihren Begleitern für ihre Aufmerksamkeit lächelnd dankten …


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