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Elftes Kapitel.
Sein letztes Wort – ihr Name!

Während Hilarius mit Hilfe Meinböcks und eines Dieners beschäftigt war, die Ohnmächtige zu beleben und nach der Zelle zu bringen, fuhr der Wagen mit dem Gefangenen langsam unter dem Torbogen weg nach der Straße und schlug die Richtung nach Sonndorf ein. Bald erschien auch der Richter mit dem Staatsanwalt und dem Verteidiger am Tor, um in den für sie beritstehenden Wagen zu folgen. Der Richter war eben im Begriffe einzusteigen, als der Staatsanwalt aufmerksam machte, dass der vorangefahrene Wagen wieder stille hielt und der Gefangenwärter unter Zeichen, dass er eine Mitteilung zu machen habe, zurückeile.

»Was gibt es?« fragte der Richter den Herangekommenen. Dieser erwiderte, dass der Arzt dringend bitten lasse, sich zu dem Wagen zu bemühen, da der Gefangene heftig nach den Herren verlange. Der Richter ersuchte seine Begleiter, ihm zu folgen, und sie waren nicht so bald bei dem haltenden Wagen angelangt, als sie Zeigen einer ergreifenden Szene wurden.

Der Arzt hatte Mühe, den unter seltsamen Symptomen zuckenden Gefangenen aufrecht zu halten, und gab dem Richter lebhaft zu verstehen, dass Gefahr im Verzuge sei und der Unglückliche nur noch wenige Minuten am Leben bleiben werde. Rasch war demnach der Richter an der Seite des Wagens, wo der Gefangene ruhte, öffnete den Wagenschlag und neigte sich grüßend so weit als möglich vor, um auch die leiseste Mitteilung des mit dem Tode Ringenden zu vernehmen. – Es waren nur wenige Worte, die der Letztere zu sprechen im Stande war, dann sank sein Haupt gegen die Brust, das starre Auge brach, die Finger griffen krampfhaft in die Luft; ein leiser, tiefer Atemzug – und das Leben des Verlorenen hatte ausgerungen …

Schaudernd trat der Richter mit seinen Begleitern, nachdem sie den Entseelten eine Weile betrachtet hatten, bei Seite und besprachen, was zunächst zu tun sei. … Vor allem sollte jedes Aufsehen vermieden und der Wagen mit dem Entseelten nach Sonndorf weiter gefahren werden. In diesem Sinne wurde der Kutscher beauftragt und der Arzt gebeten, seines unliebsamen Amtes auch unter den veränderten Umständen unterwegs und in Sonndorf zu walten; Richter und Begleiter wollten nur noch kurze Zeit nach dem Klosterhofe zurückkehren und dann unverweilt nach Sonndorf folgen …

Auf dem Rückwege teilte der Richter mit, dass der Sterbende nur im Stande gewesen sei, auszusagen: die abenteuerliche Fremde im Klosterhofe sei jene einst durch Talent und Schönheit hervorragende Bühnenkünstlerin, die sein Herz so unheilvoll umstrickt und auf die Abwege geleitet habe, die zum Abgrund führten.

Der Richter und seine Begleiter hatten zwar von dem Auftritt mit einer Verstörten im Klosterhof gehört, aber wenig Notiz davon genommen; nun war ihr Interesse rege geworden, und sie beschlossen, über die gefallene, unheimliche Bühnengröße Näheres zu hören, insbesondere, dieselbe zu sehen.

Im Klosterhofe erfuhren sie nun, dass die Fremde in eine ebenerdige Zelle gebracht worden sei. Sie begaben sich dahin und trafen Hilarius, wie er die Zelle eben verließ und einer bejahrten Dieneri, die vorläufig zur Aufsicht bestimmt war, die nötigen Weisungen gab. – Auf den Wunsch der Gekommenen drückte Hilarius die Zellentür noch einmal leise auf und zeigte nach dem altertümlichen Lehnstuhl, in welchen die Gesuchte in einem ohnmachtähnlichen Schlafe ruhte. Erstaunt über die Verwüstungen, die ein schrankenloses Leben in dem einst so bedeutend und schön angelegten Antlitz angerichtet hatte, versanken die Gekommenen, die vor wenigen Minuten eines der Opfer dieser Verführerin ausringen gesehen, eine Weile in düsteres Nachdenken und traten dann mit Hilarius in den Hof zurück.

Hier erfuhr der Letztere den Tod des Gefangenen. Die Nachricht machte einen tiefen Eindruck auf sein Gemüt. Welch' ein Jubilar! Welch' ein Ende! Und Hilarius war es beschieden, in dem Augenblick des Todes dieses Unglücklichen sich hilfeleistend um die Hauptschuldige seines Unterganges zu bemühen!

Mit dem Vorschlag, den Tod des Gefangenen vorläufig nur dem Medizinalrat und Altringer bekannt zu geben, war Hilarius einverstanden, und er übernahm es, diese Mitteilung im geeigneten Augenblicke zu machen; die übrigen Jubilare sollten erst nach Schluss er Tagesfeier davon erfahren, damit letztere nicht abermals durch eine düster Nachricht beeinträchtigt werde.

Hilarius drückte nun dem Richter und Verteidiger, welche sich vor das Tor begaben, um in den Wagen zu steigen, zum Abschied die Hand; als er dieselbe auch dem Staatsanwalt reichte, ergriff sie dieser mit ungewohnter Lebhaftigkeit.

»Lebe wohl«, sagte er und konnte seine Stimme nicht ganz beherrschen, »empfehle mich unserem Oberschulrat und – seinen schönen Töchtern … Ich will Dir die Unruhe nicht verbergen, die mich seit den Bekenntnissen des Gefangenen in der Stille quält. Dieser hat – sei es aus Schonung, sie es in Folge leidenschaftlicher Hast der Mitteilung, die Wunderbare nicht näher bezeichnet, die ich zu seinen letzten Liebesrasereien und Verbrechen hingerissen. Erwäge nun, dass der Schauplatz dieser letzteren die Hauptstadt gewesen: dass nur eine Schönheit, gleich einer der Schwestern, im Stande sein konnte, einen Roué in solche Liebesekstase zu versetzen. Die Hauptstadt kann keine ähnliche Schönheit mehr bergen. Nun merke: waren es zwei weibliche Masken, welche den jungen Mann auf den Maskenball begleiteten; nun rief der Gefangene, als er den tödlichen Stoß gegen seine Brust führte: ›ich habe sie nochmals gesehen!‹ – und im selben Augenblicke gingen die Schwestern, zwischen dem Gebüsch nur flüchtig sichtbar, im Garten vorüber!«

Hilarius bebte und begann lebhaft, ja leidenschaftlich einer solchen Annahme zu widersprechen. »Soll ich abermals an Dein Amt erinnern«, rief er, »das Dein Herz mit Argwohn füllt und für arglose Auffassung der Dinge unfähig macht? – Die Engelsgestalten dieser Schwestern auf dem Hintergrund so höllischer Taten! O, halte an Dich! Sei nur Dein eigener Vertrauter solcher Gedanken! Du kennst die Welt und den Reiz der Verleumdung, die sich umso toller auf das Allerheiligste wirft, je verruchter die Anklagen sind, die man erfindet!«

Der Staatsanwalt war auf eine lebhafte Erwiderung gefasst, er ließ den Freund zu Ende reden, ergriff dann die Hand desselben, um sie zum Abschied zu drücken.

»Du kannst ruhig sein«, sagte er; »wenn ich Dir etwas vertraue, so ist es eben auch noch mein alleiniges Geheimnis. – Der Schuldige ist übrigens tot. Er hat vor seinem Ende den Mord mit allen Nebenumständen bekannt, hat die Unschuld der beiden weiblichen Masken ausdrücklich beteuert. Das Gericht schließt seine Akten über den Fall; die Richter, selbst wenn sie wüssten, dass die Schwestern Wahrberg Zeugen jenes Mordes gewesen, würden human genug denken, die Unschuldigen nicht dadurch zu strafen, dass sie die Namen derselben der öffentlichen Misshandlung ausliefern; oder sollten sie weniger rücksichtsvoll sein als der Mörder, der die Namen der Bedauernswerten verschwieg? – Lebe wohl, mein Freund. Wir sehen uns bald wieder – vielleicht ehe dir Jubilare sich zerstreuen, die nach so bunten Erlebnissen und Kämpfen zu solchen Überraschungen sich hier zusammenfanden! – Erfreue mich bei unserem Wiedersehen mit der angenehm-vertraulichen Nachricht: dass von diesem Tage an der geheimnisvolle Schleier der Schwermut von dem Antlitz der Schwestern Wahrberg verschwunden sei!«


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