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Zehntes Kapitel.
Die Ankunft der Verlobten

Es war wirklich der Wagen der Braut gewesen, welchen man durch das Fernrohr vom Schlosse Jeneveldt aus gesehen hatte.

Der Reisewgen hatte seitdem ein der Stück Hochebene zurückgelegt und kam bis zu jenem Teil der Straße, welcher in vielen Windungen allmälig zu Tale und zu jener Stelle führte, die man von Seiten der Familie Jeneveldt erlesen hatte, um die teuren Gäste zu begrüßen.

Die mitunter jähen Wendungen der Straße mussten von den Reisenden sorgsam zurückgelegt werden.

Die Pferde wurden denn auch kurz im Zügel gehalten, sie gingen nur im Schritt; der Wagen war offen, die Regierungsrätin von Vollwarth und ihre Tochter Mathilde saßen allein in demselben.

Seitdem man den Höhenzug der Straße zurückgelegt hatte, waren Mutter und Tochter schweigsam geworden.

Ohne es selbst recht zu wissen, hingen beide ihren besonderen Gedanken mit ungewöhnlichem Ernste nach.

Anfangs war es der Mutter eigentlich nur darum zu tun gewesen, die Tochter in dem Anblick des schönen Landschaftsbildes nicht zu stören, dessen anziehenden Mittelpunkt, von der Bergstraße gesehen, das Schloss Jeneveldt bildet; allein sie übermerkte nur sehr bald, dass es denn doch geraten wäre, die Empfindungen der Tochter durch Gespräche zu zerstreuen; Mathilde selbst schien das Bedürfnis, sich auszusprechen, nicht zu fühlen und überließ sich immer ernster der Betrachtung der Gegend und ihrer künftigen Bestimmung.

Eine auffallende Bemerkung verfehlte nicht Mathilde zu wiederholten Malen aus ihren Gedanken zu wecken.

Es war ihr nämlich schon beim ersten Überblick der Landschaft aufgefallen, dass ihr dieselbe in gar sonderlicher Weise, fast traumhaft bekannt vorkam, obwohl sie dieselbe weder wirklich noch im Bilde je gesehen zu haben meinte; dieser Umstand wurde umso bemerkenswerter, als sich immer bekanntere Partien vor Mathildes Auge entfalteten, so dass sie nicht umhin konnte, ihrer Mutter endlich diese wunderliche Bemerkung mitzuteilen.

Die Regierungsrätin glaubte ihrer Tochter eine genügende Erklärung dadurch zu geben, dass sie sagte:

»Nun, mein Kind, Du hast durch frühe und vielfache Reisen eine reiche Anschauung von Landschaften erhalten, und eine von diesen wird Dir einer gewissen Ähnlichkeit wegen in diesem Augenblicke vor die Erinnerung treten. Es ist mir selbst schon manchmal so ergangen; die Natur in ihrer endlosen Mannigfaltigkeit hat doch in ihren Bildern oft eine unleugbare Familienähnlichkeit, wie sich das menschliche Gesicht trotz unendlichen Wechsels nicht selten in ähnlichen Formen wiederholt.«

Mathilde gab sich mit dieser Erklärung nicht ganz zufrieden, sondern bemerkte, nicht bloß die Linien der Berge und die Gruppierung der Wälder, Hügel und Täler seien es, deren Ähnlichkeit mit Gesehenem sie überrasche, sondern die wunderliche Vertrautheit von Weg und Steg, von Baumgruppen und Wiesengründen, als ob sie hier schon einmal in Freud' und Leid ein früheres seelenvolles Leben geführt hätte.

»Nun dann«, sagte die Mutter lächelnd, »nehme diese Empfindung als ein angenehmes Zeichen hin, dass Dir diese Gegend künftig eine wahre Heimat werden wolle. Gleichwie die Sonne in einem Scheinbilde sichtbar werden kann, bevor sie selbst erscheint, so dringt sich Dir vielleicht in diesem Augenblicke eine Ahnung, ein prophetisches Bild des Zukünftigen auf.

Mathilde schwieg und schien ihre grübelnde Betrachtung fortzusetzen, die Regierungsrätin aber sagte nach einer Weile:

»Ein vertrautes Wechselverhältnis unseres äußeren und inneren Lebens mit der uns umgebenden Natur ist auch in der Tat nicht hoch genug anzuschlagen. Du wirst das bald an Dir erfahren, mein Kind, und oft an meine Worte denken. Sei nur erst Ottos Frau, bewohne erst einige Wochen jenes Schloss mit ihm, führe ein Hauswesen, das Du Dein nennst, sei einige Zeit der Mittelpunkt einer Familie, erfahre hier den ganzen, bunten Wechsel des Lebens – und Du wirst mit tiefer Bewunderung gestehen, wie Dir Berg und Tal und Feld und Fluss, jeder Pfad über Wiesengrund und jede schattige Stelle unter einsamen Buchen und Linden teurer geworden sein wird; denn viel tausend Male hat Dein ernst oder froh bewegtes Herz Dich zu ihnen entführt; ohne Deine Lippen zu regen, hast Du mit ihnen gesprochen, ohne dass Du Dich mitteilst, wissen sie Deine geheimsten Gedanken. Ach und im Spiel der Kinder, im Jubel der Nachkommenschaft fassen erst die Freuden unseres Lebens ihre fruchtbarsten Wurzeln, recht zum Frommen unseres ganzen Lebens.«

Während dieser Worte hatte ein Blick in die Ferne die Regierungsrätin auf eine Erscheinung aufmerksam gemacht; sie hielt die flache Hand über die Stirne und sagte jetzt, die Erscheinung genauer betrachtend:

»Meine Augen wollen mir auf große Entfernungen hin keine guten Dienste mehr leisten – versuche doch die Deinen, Mathilde, und sehe, was sich dort vom Schlosse herwärts zu Tal bewegt. Wenn mir recht ist, so kommt uns die liebenswürdige Familie mit einem und dem anderen Gast zu Wagen und zu Pferd entgegen.«

Mathilde hatte ihr großes Auge kaum nach derselben Richtung blicken lassen, als sie, nicht ohne Bewegung, sagte:

»Du hast ganz recht gesehen, Mutter, man kommt zu Wagen und Pferd die Straße herunter, es ist kein Zweifel, man eilet und entgegen.«

Eine leichte Röte flog über ihr Gesicht, indem sie dieses sagte, ihre Pulse gingen schneller, und indem sie mit wunderlicher Unruhe ihre Lage im Wagen wechselte, griff sie bald an ihren Hut, bald an ihren Reiseschal oder Schleier, um der Mutter ihre innere Bewegung zu verbergen.

Dies wäre indes so leicht nicht möglich gewesen.

Kannte die Mutter ja ihre Tochter zu genau, war sie doch zu sehr vertraut mit den früheren Stürmen ihres Herzens, als dass ihrem klaren Lebensblick die leiseste Welle dieser Bewegung hätte verloren gehen können; mit zartem Takte vermied indessen die Regierungsrätin jeden Schein, als ob sie des Kindes Unruhe bemerke oder gar durch Fragen und Winke vermehren wolle.

Die Straße mündete jetzt in eine langgestreckte Waldung, die bis an den Fuß des Berges reichte.

Indem der Wagen zwischen den ersten Reihen der Bäume dahinfuhr, waren es nur die Schatten der Zweige, welche etwas verdüsternd über Mathildes Angesicht glitten; Mathilde selbst war im Gegenteile lebhaft bestrebt, in Mienen und Betragen der Mutter so harmlos und heiter als möglich zu erscheinen; lag ihr doch allen Ernstes daran, das Vertrauen ihrer Mutter sicher zu machen, die Besorgnisse derselben über gewissen Vergangenheiten gründlich zu beseitigen.

Otto Jeneveldt war nämlich nicht die erste Liebe Mathildes.

Eine wundersame, bis beinahe in die frühen Jahre der Kindheit hinaufreichende Leidenschaft hatte zuvor so sehr ihr ganzes Wesen eingenommen, dass es noch vor einem Jahre den Anschein hatte, als würden alle neueren Versuchungen vergebens bleiben, jede noch so vorteilhafte Werbung fruchtlos sein. Wenn Mathilde vor einigen Monaten durch liebevolles Zureden der Mutter, durch wahre Neigung zur Familie Jeneveldt und durch ihre Achtung gegen Otto, dessen stürmische Liebe sie rührte, endlich doch zur Einwilligung in die Verbindung mit Letzterem bewogen wurde, so geschah es nur darum, weil ihr der Umstand zu Hilfe kam, dass ein Hoffen auf Erfolg ihrer ersten Liebe ewig vergebens bleiben müsse. War doch der Knabe, den sie einst mit so stillem Erbeben gesehen, der Jüngling, welchem sie mit so unvergesslicher Erschütterung hier und dort, unvermutet und nur von Ferne begegnet war, kaum etwas mehr für ihre Hoffnungen als eine traumhaft romantische Gestalt, von der kaum anzunehmen war, dass sie ihr jemals wieder vor Augen treten würde. Dieser Gedanke sowie die Macht der leise wirkenden Zeit, welche die festesten Säulen unserer Leidenschaften wankend machen kann, ließen Mathilde endlich – endlich auch sie nachgiebig werden! Sie erbat sich einige Wochen Bedenkzeit, während welcher sie ihrer Mutter zum ersten Male ohne Rückhalt ein umfassendes Geständnis ihrer frühen und wundersamen Liebe ablegte, worauf sie, durch ernsten praktischen Zuspruch und Trost der Mutter – ihre Einwilligung zur Verbindung mit Otto gab.

Es muss zu Mathildes Natur gesagt werden, dass von dem Augenblicke dieser Entscheidung an ihr Bestreben ernsthaft dahin ging, ihr ganzes Denken und Empfinden mit den Verhältnissen ihrer Zukunft in Übereinstimmung zu bringen; lebensfrisch sollten ihr nun die künftigen Tage nahen, schattenhafter die Träume der Vergangenheit weichen.

Und Mathilde war bei aller Leidenschaftlichkeit ihrer Natur in der Tat auch charakterfest genug, um das zu Bekämpfende auf ein bescheidenes Maß von rührender, gefahrloser Erinnerung zurückzuführen. Ottos Ansprüche sollten dabei um nichts verkürzt werden, sein Glück durfte nicht im Geringsten leiden, da er von Mathildes Erlebnissen nichts wusste und ihre warme Neigung für volle Liebe nahm.

So wie nun am Verlobungsmorgen die Sachen standen, glaubte Mathilde in der Tat, dass die den Erinnerungen ihres Herzens nie gefasster ins Auge gesehen habe als jetzt, wo die Verhältnisse ihrer Zukunft klar, bestimmt und anziehend vor ihr lagen.

Mathilde verkannte nicht, wie viel Treffliches sie an Otto zu schätzen habe, wie warm sie am Herzen seiner Eltern gehalten werden, wie sicher in so gefahrvoller Zeit, wo alle zu wanken schien, sie durch reichen Familienbesitz gestellt werde; sie war daher an dem so bedeutenden Morgen mehr als ausgesöhnt mit dieser Wendung ihres Schicksals, sie war glücklich im Gedanken an die Zukunft und bestrebte sich, ihre Mutter von der Aufrichtigkeit dieser Stimmung zu überzeugen.

Sie begann daher, indem der Wagen jetzt langsam dahinfuhr und der Waldesschatten kühle Wellen über ihre Wangen goss, mit Vorliebe von den Anordnungen ihres künftigen Hauswesens zu reden und dabei des öfter gedachten Grundsatzes wieder zu gedenken, dass es weise sein werde, im Schlosse künftig so wenig als möglich die gewohnte Ordnung zu stören, mehr danach bestrebt zu sein, ihre Gegenwart nur als Förderung des Behagens, als Belebung des gewohnten geselligen Verkehres fühlbar zu machen.

Die Mutter ging mit Vergnügen auf dieses Kapitel ein und suchte ihrer Tochter noch einmal ihre trefflichen Winke, ein reiches Resultat von Erfahrungssätzen, zum Besten zu geben.

Wie warm, wie sicher, wie trostreich wurde beiden während dieser einfachen, liebevollen Unterredung!

»Ach, Mutter«, sagte Mathilde endlich, »nur eines, eines habe ich jetzt noch zu wünschen: Du sollst nicht gehindert sein, bei uns auf dem Lande zu wohnen; mein Glück wäre so erst ganz ungetrübt, ganz vollkommen!«

Zu ihrer freudigsten Überraschung erwiderte die Regierungsrätin:

»Dieses Wort kommt zu gelegenen Stunde, mein Kind. Denn eben ging ich damit um, Dir mitzuteilen, dass ich im Stande gewesen bin, alle Hindernisse zu beseitigen – dass ich vom Tage Deiner Hochzeit an bei Dir auf dem Lande leben kann. Ich habe diese Mitteilung bis zu diesem Augenblicke aufgespart, um sie Dir als Aufmunterung zu Statten kommen zu lassen, wenn Dir etwa noch einmal zu schwer, zu weh werden sollte; ich sehe, Du bist gefasst und froh – so vollende denn diese Neuigkeit Dein Glück!«

Mathilde wollte eben dankend ihren Arm um den Hals der Mutter schlingen – als ein Lärm in der Nähe beide überraschte, ja fast erschreckte.

Pferdegetrapp und eine scharfe Männerstimme drangen zugleich an ihr Ohr, die Töne kamen, wie es schien, abseits der Straße aus dem Dickicht des Waldes.

Aber bevor die beiden Damen noch vermuten konnten, was der Lärm in ihrer Nähe eigentlich bedeuten solle – stürmten zwei Reiter einen Seitenweg des Waldes nach der Straße, und der vorderste derselben – Herr von Jeneveldt – rief:

»Ein Überfall! Ein Flankenangriff, meine Damen! Geben Sie sich gefangen!«

Er schwang dabei mit herzlichem Lachen seinen Hut und hielt nach Verlauf von einigen Sekunden auf einem dampfenden Braunen neben dem sachte fahrenden Wagen.

Die Unruhe der Damen hatte sich bald in freudige Rührung verwandelt; die Regierungsrätin ließ den Wagen halten, reichte dem liebenswürdigen Raubritter die Hand zum Gruße und sagte lächelnd:

»Nun – und das Lösegeld? Unsere Aussicht auf endliche Befreiung?«

Herr von Jeneveldt erwiderte, die dargereichte Hand sehr herzlich schüttelnd:

»Von den Schätzen Euren Herzens ein goldiges Wort …«

»Liebe Schwager …«

»Und zum Zeichen, dass es vom Herzen komme: das heilige Siegel Eurer Lippen …«

»Zugestanden von meiner Seite«, erwiderte die Rätin.

»Dann wird mein Schwiegertöchterlein nicht lange gefragt – der Pakt ist geschlossen!«

Herr von Jeneveldt sprang nach diesen Worten vom Pferde, warf seinem Reitknecht die Zügel zu und trat auf den Schlag des Wagens, um die süße Beute seines Überfalles, zwei herzhafte Küsse in Empfang zu nehmen.

Sein Herz wurde von diesen Schätzen indessen mehr bestochen, als er gedacht hatte.

Zwei warme Tropfen der Freude im Aug' vermochte er nicht sogleich im Tone kriegerischen Humors wir früher fortzufahren; schnell trat er daher vom Wagenschlage herunter, bestieg sein Pferd wieder und suchte so die Trümmer seiner geschlagenen Heiterkeit unter der Fahne festen Humors von Neuem zu sammeln.

Es gelang, und er sagte hierauf.

»Sie erlauben nun, meine Damen, dass wir, zwei leidige Buschklepper, ferner als dankbare Frauenbeschirmer Ihre treue Bedeckung bilden, bis Sie in den Liebesfesseln des Hauses Jeneveldt jene Freiheit finden, nach welchen Sie sich hoffentlich recht von Herzen sehnen!«

Somit kam der Wagen wieder in Bewegung, und das fernere Gespräch ging nach und nach in den Ton natürlicher Unterhaltung über.

Herr von Jeneveldt ließ sich, neben den Damen her reitend, über die Beschwerlichkeiten ihrer Reise erzählen und gab dann seinerseits zum Besten, wie es bewerkstelligt worden, dass man den Reisewagen auf der Höhe der Straße entdeckt habe und ihm so entgegen kommen konnte.

In gewohnter Redeweise beschloss er hiermit seinen Bericht, indem er sagte:

»Da draußen am Waldessaume biwakieren nun meine Frau und einige vom Generalstab unserer Liebe; ich aber bin voraus, um durch einen heftigen Flankenangriff meine Liebesbeute voraus zu erobern, bevor mir Frau und Sohn Ihre Herzen schön säuberlich weggeholt haben.«

Man wusste selbst kaum, wie schnell die Fahrt nun von Statten ging; bevor man's dachte, war der Saum des Waldes erreicht, wo denn in der Tat Frau von Jeneveldt mit ihrer Begleitung der Kommenden harrte.

Ihrer kaum ansichtig, ließ die Regierungsrätin ihren Wagen halten, stieg mit ihrer Tochter aus und eilte mit offenen Armen den Harrenden entgegen.

Es folgte eine lange Umarmung und rührende Begrüßung, worauf man zu Fuße eine Strecke neben einander ging und durch tausend herzliche Fragen und Antworten dem vollen Gemüte Luft und Erleichterung schaffte …

Es konnte nicht fehlen, dass alsbald nach den ersten Begrüßungsreden die Abwesenheit des Bräutigams mit Verwunderung bemerkt und mit Entschuldigungen erwähnt wurde.

Noch alle Zeichen froher Erschütterung in den Mienen und zwischen Schwägerin und Schwiegertochter gehend, erklärte nun Frau von Jeneveldt, was vorgefallen war, dass ein unverhoffter, wahrscheinlich wichtiger Besuch ihren Sohn einige Augenblicke zurückgehalten habe, als sie voraus geeilt, und fügte hinzu, dass ihr die Abwesenheit selbst bereits zu lange dauere, »aber«, sagte sie schließlich, »habt Nachsicht und wartet seine eigene Entschuldigung ab, indessen Euch Vater und Mutter – und dort sein bester auserwählter Freund mit Wärme empfangen.«

Sie zeigte bei diesen Worten auf Friedrich Erbacher, der seitwärts von der Straße im Schatten einiger Linden stand und etwas unruhig nach dem Schlosse blickte.

Friedrich trat jetzt unter den Bäumen hervor, zog den Hut und verneigte sich mit ernster Freundlichkeit gegen die Damen.

Mutter Jeneveldt stellt beide Teile einander näher vor und bemerkte lächelnd, wie es nun darauf ankomme, sich in die Liebe ihres Sohnes zu teilen, dass jedes wohl zufrieden sein könne.

Diese Bemerkung war noch nicht zu Ende, als Herr von Jeneveldt lebhaft aufrief:

»He auf! Zu Wagen, zu Pferd! Seht hin! Die Adjutanten fliegen – unser Herzensgeneralissimus kommt – dort reitet er die Schlossallee herunter!«

Ein froher Tumult entstand; man beeilte sich, die Wagen wieder zu besteigen, und gleich darauf ging es lebhaft auf der Straße vorwärts …

Friedrich Erbacher saß nun auch wieder zu Pferde.

Aber während die Blicke der Gesellschaft nach der Schlossallee hinübersahen, waren seine Augen starr und gebrochen vor sich in die Luft gerichtet; währen die Wangen der Gesellschaft sich von Sekunde zu Sekunde höher färbten, nahmen die Seinigen immer schärfere Todesblässe an …

Und wie ihm, so ging es auch Mathilde.

Starr im Winkel ihres Wagens lehnend, ihr Auge unbeweglich in das Unbestimmte richtend, saß sie da mit leblos bleichen Wangen, ohne Silbe auf den Lippen, ihre Brust erfüllt mit Schmerzen und Entsetzen …

Denn dieser Freund des Bräutigams – war derselbe, der ihr Herz so früh erfasst, so lange Jahre beschäftigt und mit allen Stürmen unsäglicher Leidenschaft erfüllt hatte; und diese Braut des Freundes – sie war dieselbe holde, wundersame Erscheinung, welche Friedrich einst so tief bewegte, als er sie zum ersten Male erblickt, und welche ihn, den sonst so hellen Geist und starken Charakter, seitdem zum Schwärmer in der Liebe gemacht …

Herr von Jeneveldt ritt inzwischen munter neben dem Reisewagen her und ermangelte nicht, in seiner Weise das Wort zu führen.

»Ei, was glauben wir auch«, sagte er, »dass mein Sohn durch irgendein Hindernis, durch einen bloßen Besuch so lange im Schlosse zurückgehalten wurde? Es ist weiter nichts, als dass er seinen Vorteil verstanden, nachdem das erste Geplänkel der Begrüßung vorüber und die holde Aufmerksamkeit der Damen nicht mehr zerstreut ist, kommt nun er daher gewettert, um die gesamte Batterie des Willkommens gegen sich zu lenken und von ihr die volle, ungeschwächte Ladung zu empfangen. Ich gebe dem Bräutigam meinen Beifall – darum – Feuer! Meine Damen, mein Sohn dürfte in der Schussweite Ihrer bewaffneten Augen sein!«

Mit veränderter Stimme fuhr er aber fort:

»Doch wie? Sehe ich recht? Das ist, wie mich dünkt, der Rappe meines Sohnes, aber der Reiter, welcher ihn spornt, ist nicht mein Sohn!«

Und bevor er noch ein Wort der Verwunderung hinzusetzen konnte, stieß seine Frau eine Ruf der Überraschung aus und zeigte erblassend nach dem Schlosse.

Dort entfaltete sich eben eine höchst unerwartete, nichts Gutes verheißende Szene.

Aus dem nördlichen Tore des Schlosses bewegte sich ein Trupp Kürassiere, der mit gezogenen Säbeln einen geschlossenen Wagen mit sich führte und sorgsam bewachte.

Es konnte nicht zweifelhaft bleiben, dass in dem Wagen ein Gefangener saß, den man eben einer traurigen Bestimmung zuführte. Wer dieser Gefangen sei – das wage aus der Gesellschaft bei naheliegender Vermutung doch niemand mit Worten anzudeuten.

Wie auf ein gegebenes Zeichen warf sich nun die ganze Aufmerksamkeit der Gesellschaft dem nahenden Reiter entgegen, der in der Tat nicht Otto, sonder der greise Bereiter des Schlosses war und der nur Ottos Pferd bestiegen hatte, um eine höchst bedeutsame – eine Trauerpost seiner Herrschaft zu überbringen.

Fast geisteswirr von Schrecken und atemlos von Hast, brachte der alte Conrad, als er die Gesellschaft erreichte, hervor, es habe eine Schlossdurchsuchung stattgefunden, man habe, er wisse nicht, was Gefährliches gefunden – Otto, der junge Herr, anfangs nur bewacht und hierauf schon wieder so gut als freigegeben – sei plötzlich doch verhaftet worden, man führe ihn eben hinweg, und wie er gehört habe, schloss er unter Tränen – sei des jungen Herrn Bestimmungsort – die Festung!

Noch bannte nach diesem Berichte ein allgemeines Entsetzen die Gesellschaft wie versteinert fest – als plötzlich wortlos und schnell wie ein vom Bogen fahrender Pfeil, Herr von Jeneveldt sich von der starren Gruppe losriss und sein Pferd die Allee nach dem Schlosse dahin jagte; es war kein Zweifel, er wollte die Reiter erreiche, den Gefangenen einholen – Rede und Antwort fordern – dem Verfahren durch jedes mögliche Mittel noch Einhalt tun …

Die Kürassiere mit dem Wagen lenkten indessen links nach der westlichen Straße und zogen langsam weiter …


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