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Sechstes Kapitel.
Eine Waffe des Ehrgeizes.

Schloss und Garten Kilian Lotfahrs hatten am späten Morgen noch ziemlich das Aussehen eines verstörten Ballgastes. Nur ein geringer Teil des Festschmuckes war von Treppen und aus den Gängen beseitigt, und die Bäume des Gartens schienen sich unwillig zu schütteln, dass sie am hellen Tage von dem Flitter der verunglückten Festnacht noch nicht befreit waren.

Wer hätte auch rascher die Ordnung gewöhnlicher Tage wieder herstellen sollen?

An den Vortagen des Festes waren hundert – wenn auch keineswegs rührige – Hände beschäftigt, die Dekorationen zur Stelle zu schaffen, während jetzt kaum ein halbes Dutzend Leute, und diese noch dazu schlaftrunken und verzagt – das Werk der Umgestaltung vollzogen.

Denn außer Tobias und einigen aus dem Pachthofleben mit herüber genommenen Personen war das ganze Übrige aus dem Ausland (recte Nachbarlande) berufene und sozusagen mit Dekret und hoher Gage angestellte Dienerpersonals beim ersten Feueralarm des Unglücks auf und davon gegangen. Dazu kam noch, dass Tobias, der natürliche Anführer der treuen Schar, durch dir fürchterliche Katastrophe, insonderlich durch die Verstoßung Burgeis – wie er sagte – »sich das Hirn verstauchte« und zwei Stunden lang nicht wusste, ob seine rechte oder seine linke Hand ungeschickter sei, etwas anzufassen. Auch musste er sich nach je fünf Minuten niedersetzen, weil – wie er auch wieder sagte – in seiner Kniekehle etwas geknackt habe und er wie eine Landkutsche umwerfen würde, wenn er nicht vorsichtig wäre …

Als dieser Zustand etwas besser geworden, holte Tobias noch zwei verlässliche Dorfbewohner und kommandierte:

»Abräumen!«

Er selber leistete zwar, was ein armer Mann wie er zu leisten im Stande war: allein sein gar so leicht in die Quere geratender Kopf wurde durch zwei Umstände von Zeit zu Zeit von der Arbeit wieder abgelenkt. In diesem Zustande blieb er dann regungslos auf einem Flecke stehen und glotzte entweder nach dem Flügel des Schlosses, wo sein Herr, Kilian Lotfahr, wohnte; oder er glotzte ziellos in die Ferne, wo jetzt Burgei, deren Andenken ihm zum größten Teile Herz und Kopf so schwer machte, ihr Dach und Fach suchen musste.

Einige Male war er nahe daran, alles hinter sich im Stiche zu lassen und der Burgei nachzulaufen; allein sein Kopf war bald insoweit klar, dass er einsah, seine Flucht würde den Herrn um den treuesten Diener bringen und der Burgei, deren Aufenthalt ihm unbekannt war, gar nichts nützen.

Also blieb er, und wenn dein »Glotzen« jetzt der Wohnung Lotfahrs galt, so geschah es, weil er dachte: »Ruht er endlich? Oder hat ihm der Schmerz sein Schlägle beigebracht?«

Er meinte damit weniger den Schmerz um die verlorenen Herrlichkeiten dieser Erde als den Schmerz um das verstoßene Kind; denn die Verstoßung war kaum von ihm ausgesprochen und der Weindampf mit den aufreizenden Reden seines Sohnes verflogen – als ein namenloses Weh um sein herrliches Kind ihn überfiel und beinahe tötete. Man fand ihn einige Male – auf der Treppe, in seinem Zimmer, im Garten ohnmächtig liegen und sein einziger Ruf war:

»Verflucht mein Kind! Verstoßen und in Verzweiflung getrieben meine Burgei!«

Da jedoch niemand wusste, wohin sich die Flüchtende gewendet habe, da bis auf Wenige die Dienerschaft geflohen und Tobias nicht beauftragt wer, Burgei aufzusuchen, so erklang der Ruf des Verzweifelnden vergeblich und diente höchstens dazu, ihn laut an seine Verblendung zu erinnern.

Gegen 10 Uhr morgens warf Tobias wieder einmal seinen fragenden Blick zu den Fenstern Lotfahrs empor – als er durch die Erscheinung des jungen Lotfahr davon abgelenkt wurde.

Obwohl Tobias den jungen Herrn am wenigsten suchte und die Sympathien, die er für ihn hegte, sehr wenig besagten, war es doch die Art der Erscheinung, welche des Dieners Blicke unwillkürlich festhielt.

Remi kam barhaupt – fliegenden Haares – in einen leichten Mantel gehüllt – und mit wild forschenden Blicken. Als er sah, dass man im Ziergarten mit dem Wegräumen des Festons beschäftigt sei, trat er rasch nach der Allee, die er von niemand besucht sah.

Hier ging er einige Male mit großen Schritten auf und ab, hielt dann wie zu einer verzweifelnden Beschlussfassung einige Momente inne – riss eine Pistole unter dem Mantel hervor – hatte im Nu den Hahn gespannt und die Mündung des tödlichen Geschosses an die Stirne gesetzt – als er von rückwärts am Arme gefasst und ihm mit Blitzesschnelle die Pistole aus der Hand gerissen wurde.

»Gnädiger Herr! Ist da auch eine Art, sein Morgengebet zu verrichten?« rief Tobias mit einem Nachdruck, der offenbar darauf berechnet war, Aufsehen zu erregen und Leute herbeizuziehen.

»Zurück!« sagte Remi zusammenschreckend und zornglühend zugleich: »Wer hat Ihn gerufen? Die Pistole her!«

»Nein – lassen Sie mich den Spatzen schießen, der durch Schreien Ihre Morgenruh gestört!« erwiderte Tobias mit verzweifelter Spaßhaftigkeit.

»Noch einmal – ich töte Dich, verwegener Mensch!« rief Remi und trat mit drohenden Fäusten auf ihn zu. Er wurde umso wütender, als er bemerkte, dass das Schreien des Tobias wirklich Leute herbeigelockt. Aber Tobias ließ sich in seinem guten Werke nicht stören, rief: »Aufgepasst!« und schoss die Pistole in den nächsten Grasplatz ab.

Jetzt öffneten zwei zitternde Hände ein Fenster, welches nach der Allee herab sah, und ein fast weiß gewordener Kopf lehnte sich heraus, mit bebender Stimme rufend:

»Remi – Remi – mein Sohn!«

Es war Lotfahr.

Indem er rasch erriet, was unten zu dem Lärm und Schusse Anlass gegeben, wendete er sich jammernd wieder nach dem Zimmer zurück, um zu versuchen, ob er stark genug sei, den Garten zu erreichen …


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