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Zweites Kapitel.
Der Präsident.

Im schönen und glänzend geschmückten Schlosse Lotfahrs waren inzwischen nahezu alle Gäste erschienen. Nur Graf Starrenberg, welcher sich nach Tisch ansagen ließ und einige Nachzügler, deren noble Passion, überall zu spät zu kommen, bekannt war, fehlten noch.

Die Erscheinung des allmächtigen Präsidenten von Bergen und die Nachricht von der Verlobung seiner Tochter mit dem Sohne Lotfahrs waren zwei Neuigkeiten, welche dem Feste, auch wenn es weniger glänzend veranstaltet und weniger zahlreich besucht gewesen wäre, einen besonderen Reiz verliehen hätte.

Herr v. Bergen, getreu der straff-unnahbaren Haltung kleiner Ministerdespoten jener Zeit, schien als stolzer und bewunderter Mittelpunkt der Feier an urgewaltigem Bewusstsein zu wachsen, und das Leuchten seines Sternes schien den Verwegenen zu suchen, der die Bedeutung des erhabenen Trägers nicht im vollen Maße würdige.

Jedoch würde man irren, wenn man annehmen wollte, der Präsident habe sein Erscheinen den erwartungsvollen Gästen so leicht gewährt und denselben mit einiger Liberalität vergönnt, seines stolzen Anblicks sich zu freuen; im Gegenteile zog sich Se. Exzellenz sofort nach seiner Ankunft und nach deinem huldvollen Wort an den von Ehre tief gebeugten Lotfahr nach den innersten Ehrengemächern des Schlosses zurück und besah hierauf ausschließlich in Begleitung Lotfahrs und dessen Sohnes die inneren Räume des Gebäudes, später auch den großen Park.

Die auffallende Unruhe seiner Tochter Helene, die ihn begleiten sollte, brachte hierbei einen Umstand zur Sprache, welcher dem Präsidenten Gelegenheit gab, die Bedeutung eines Wölkchens auf seiner Stirne ahnen zu lasen.

Helene, die schlanke und schöne, aber keineswegs anziehende Tochter Sr. Exzellenz, erbat sich nämlich statt in den Park zu folgen, die Erlaubnis, die Schwester ihres Verlobten aufzusuchen, welche bei ihrer Ankunft nicht sichtbar gewesen und auch jetzt noch immer nicht zum Vorschein käme. Sie erwähnte zugleich, dass sie umso sehnlicher die Tochter des Hauses zu sehen wünsche, als sie ja ihre Institutsgefährtin gewesen und heute noch die Heimreise größten Teils in ihrem Wagen zurückgelegt habe.

Der Präsident warf einen Blick auf seinen künftigen Schwiegersohn und sagte dann zu seiner Tochter:

»Nun – so folge Deinem Herzen!«

Mit diesen Worten ging er nach dem Park, und der junge Lotfahr, welcher den Blick des Präsidenten und die Wolke auf seiner Stirne zu würdigen wusste, folgte ihm erschüttert.

Helene verfügte sich nicht selbst zu der Tochter des Hauses, sondern schickte den Diener Philipp, sie zu melden.

Dieser fand die Türe der Burgei verschlossen, wie schon ihr Bruder zuvor und kam dann unverrichteter Sache wieder zurück.

»Nun?« rief ihm Helene in lebhafter Unruhe und pressiert entgegen.

»Ich habe geklopft und gesagt, was ich wolle – das Fräulein gibt keine Antwort«, sagte Philipp.

»Die Institutsgefährtin sei es, die sie sprechen wolle …« betonte Helene.

»Hab' ich gesagt – aber das Fräulein gibt keine Antwort!«

»Die Verlobte des Bruders wolle sie sprechen …«

»Hab' ich gesagt – Fräulein Burgei gibt keine Antwort!«

»Die Tochter des Präsidenten von Bergen wolle – rief Helene in hochfahrendem Tone.

»Hab ich gesagt«, wiederholte Philipp, den Ton nachahmend – »Das Fräulein gibt keine Antwort!«

»Es ist gut …« winkte Helene dem Diener, der sich mit einem ironischen Blicke entfernte …

Helene blieb einen Augenblick wie vom Donner gerührt.

»Unerträglich!« rief sie dann. »In welche Lage bin ich geraten! Wo habe ich meine fünf Sinne gehabt, da ich dieser wilden, unerzogenen Gefährtin plaudernd mein Herz eröffnet? … Zu Eckhof angekommen, musste ich erfahren, dass es – ihr Bruder ist, der mit zum Verlobten erkoren. Kaum konnte ich die Stunde erwarten, hierher zu kommen – Burgei zu sehen – sie bei Seite zu ziehen – und all' meine Reden als Scherze auszugeben! Aber Burgei erscheint weder beim Empfange meines Vaters, noch lässt sie mich vor zur Begrüßung! Abgeschlossen in ihrem Zimmer, brütet sie, weiß der Himmel, welche jener Tollheiten aus, mit denen sie alle Welt zum Überdruss belästigt! … Aber mein Entschluss ist gefasst. Von jetzt an leugne ich, gegen Burgei jemals vertrauliche Äußerungen getan zu haben – ich will sehen, wer Glauben findet, das Kind des ehemaligen Pächters – oder die Tochter des Präsidenten von Bergen!«

Zunächst musste der Präsident und der junge Lotfahr noch empfindlicher gegen Burgei aufgeregt werden, deshalb beschloss Helene, dieselben im Park aufzusuchen.

Beinahe hätte sie, indem sie eilig aus dem Zimmer trat und nach der Treppe stürmte, dem Diener Anton, der ihr entgegenkam, ein kostbares Service aus den Händen gestoßen.

Wer weiß, welche seine Bemerkung dieser ihr zum Danke nachgerufen hätte, wäre nicht Philipp eben gekommen, ihn aufzusuchen und vor Beginn der Tafel noch eine wichtige Sache mit ihm zu besprechen.

»Ist alles bereit?« fragte Anton, den geistesverwandten Diener erblickend: »Sin die Leute draußen?«

»Wie zum Wettrennen, in Reih und Glied«, erwiderte Philipp, während aus dem fernen Speisesaale ein Tusch erscholl.

»Es ist hohe Zeit«, sagte Anton. »Die Tafel wird gleich beginnen … Auch Deine Frau ist vor der Türe?«

»Die fehlt nie«, erwiderte Philipp: »Sie hat auch die Tochter zu Hilfe.«

»Ganz in der Ordnung. Einen Schnitt wie heute werden wir nicht bald wieder machen. Wie der Champagner bei Seite zu schaffen, weißt Du; – die übrigen Weine in einen großen Holzkorb – alten Teppich darüber – später in Sicherheit! Braten und Bratenreste wandern die Hintertreppe hinab – um Mitternacht alles Übrige durch mein Fenster ins Freie! – Die Tafel ist groß genug, um heute wieder einige Silbersachen – verlieren zu lassen …«

»Es tut auch not«, sagte Philipp. »Ich hab' eine Schwanung, dass unsere schönen Tage vorüber sind. Sie wären schon vorüber, wenn Burgei nicht – krank – oder sonst war wäre. Das Absperren – das Stillsein ist nicht geheuer … Mein Herz hat etwas wie ein Leichdorn vor dem Gewitter; – es gibt Regen, sag' ich Dir – Sturm und Platzregen. Wir werden wohltun, unser Schäflein ins Trockene zu bringen! Adjes – ans Werk, mein Lieber!« …

Helene traf inzwischen ihren Vater noch einigem Suchen bei dem künstlichen Wasserfall und bereits auf dem Rückweg nach dem Schlosse. Lotfahr war soeben abgerufen worden, und der Präsident kam nur in Begleitung Remis des Weges.

»Schloss und Parkanlagen finden meinen Beifall«, sagte er eben. »Sie sind solid und geschmackvoll. Auch dem rigorosen Betrachter müssen sie genügen.«

Nicht ohne ironischen Anflug setzte er hinzu:

»Es war wohl eine Vorliebe aus früheren Tagen, dass Ihr Vater die Ökonomie-Gebäude nicht besser dem Auge entrückte?«

Der junge Lotfahr suchte eine verlegene Bemerkung zu machen, als der Präsident seine Tochter gewahrte und sagte:

»Ah – sieh da, meine Helene. Nun, hast du die Schwester Remis gesprochen?«

»An Bemühungen habe ich es nicht fehlen lassen«, erwiderte Helene mit affektierter Verlegenheit – »Doch muss man eben Nachsicht haben …«

»Nachsicht – mit wem?« sagte der Präsident. »Ich will nicht hoffen … Herr Lotfahr, kennen Sie den Vorwand Ihrer Schwester, sich so zurückzuziehen?«

»Wenn ich nicht irre – ein plötzliches Unwohlsein der Schwester«, – erwiderte Remi erschüttert.

In diesem Augenblicke kam Remis Vater zurück und meldete:

»Graf v. Starrenberg lässt sich entschuldigen. Erst nach Tische könne er erscheinen … Beliebt es Ew. Exzellenz, dass zu Tisch gegangen werde?«

»Zu Tische denn«, sagte der Präsident: »Auch ohne Ihre Familie ganz zu kennen, Lotfahr … Komm, meine Tochter!«


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