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Siebentes Kapitel.
Ein Weg zum Glücke.

»Ein reitender Bote bringt diesen Brief«, sagte Tobias.

»Woher?« fragte Lotfahr.

»Vom Gute Eckhof. Der Bote entschuldigt sich, dass er sich auf dem Wege verspätet.«

Tobias entfernte sich, während Lotfahr, die Adresse betrachtend, sagte:

»Die Handschrift meines Sohnes! Was führt denn ihn in unsere Nähe? Er schreibt mit sonst nur, wenn er eine neue Stufe seines Glückes erstiegen.«

Er erbrach und las den Brief und rief dann in höchster Überraschung und Freude aus:

»Burgei – Burgei – Dein Bruder Remi …«

»Nun, ist er endlich Minister?« sagte Burgei mit heiterer Ironie.

»Das noch nicht, aber einen Schritt näher daran … Er ist verlobt – verlobt mit der Tochter des Lieblings am Hofe, des allmächtigen Präsidenten! Auf dem Gute Eckhof trafen sie zusammen, Remi mit Schwiegervater und Braut – und werden heute unsere Gäste sein!«

»Auf dem Gute Eckhof? Fragte Burgei betroffen: »Heißt der Präsident nicht Herr von Bergen?«

»Ja, das ist sein Name«, sagte Lotfahr arglos – »und seine Tochter, die eben aus einem In – sti – tu – te …« hier erstarb ihm das Wort auf den Lippen.

»Institute kommt«, ergänzte Burgei – »ist Fräulein von Bergen, meine Reisegefährtin, die mir so schöne, erbauliche Bekenntnisse gemacht hat!«

»Fräulein von Bergen …?«

»Der es genügte, dass mein Bruder Millionär und angehender Minister ist und die trotz ihrer Verlobung und Ehe – ihre Liebschaft mit einem Husaren-Leutnant nicht aufgeben werde!«

»Welch' ein Schlag in unsere Freude!« stammelte Lotfahr.

»Der zu rechter Zeit erfolgte, um den Bruder warnen zu können!« rief Burgei.

»Besser, wir hätten nie davon erfahren!« sagte Lotfahr zerknirscht.

»Nein, danken wir dem Himmel für diese Entdeckung!« rief Burgei aufrichtig erfreut: »Die Verlobung muss rückgängig werden! Der Bruder muss aus diesem Netz heraus! Unsere Familienehre duldet nicht, dass Remi zu schwarzen Tafel werde, auf die eine leichtfertige Frau ihre Sünden schreibt!«

»Was steht uns für eine Prüfung bevor«, sagte Lotfahr, und sein Haupt sank ratlos gegen die Brust: »Präsident und Braut können jeden Augenblick erscheinen!«

»Umso schneller wird sich die Sache entscheiden lassen!« rief Burgei.

»Der Graf – die Honoratioren werden sich einfinden …« sagte Lotfahr ganz verzagt.

»Umso mehr Zeugen werden wir auf unserer Seite haben!«

Die resolute Entschiedenheit Burgeis trieb Lotfahr zu verzweiflungsvoller Anstrengung, einen Mittel- und Ausweg zu finden, und so sagte er nach einer Pause:

»Vielleicht hat das Fräulein von Bergen nur im Übermut – im Scherze so gesprochen …«

»Ein weibliches Herz, das also scherzen kann, ist im Stande, noch viel schlimmer zu handeln!«

»Im Präsidenten beleidigen wir seine hohe Stellung, den Hof«, rief Lotfahr verwirrt und geängstigt: »Die Hälfte unserer Gäste wird uns von Stund' an hassen als rücksichtslose Plebejer!«

»Das können wir ruhig ertragen, ist unsere Ehre gerettet!«

»Die hohe Stufe, die Dein Bruder hinaufgestiegen, wird er häuptlings und für immer herunterstürzen!«

»So erreicht er den väterlichen Boden wieder, den er niemals hätte verlassen sollen!«

»Burgei – Burgei«, rief Lotfahr im Ausbruch der höchsten Verzweiflung, »bringe mich nicht um die höchste Freude meines Lebens! Sage wenigstens heute nicht – lasse das Fest erst vorübergehen!«

»Die Wahrheit säume am wenigsten, wo sie nützen kann!«

»Du wirst den Bruder selber gegen Dich erhitzen!«

»Mich hat er längst gereizt durch sein zugeknöpftes Wesen – seinen Hochmut und die leichtfertige Wahl von Mitteln, die zu Macht und Ansehen führen!«

»Soll ich Dich fußfällig bitten, Tochter?...«

»Knien Sie vor der göttlichen Wahrheit, die ich bekennen will«, rief Burgei und hielt ihren trostlosen Vater von einem Kniefalle zurück …

»Der Herr Präsident von Bergen …« meldete Tobias zurückkehren.

»Sehr willkommen«, sagte Lotfahr und winkte Tobias, sich zu entfernen.

»Gott! Mein Gott!« fuhr er fort und wendete sich, mit schmerzlicher Erschütterung und kaum im Stande, sich aufrecht zu halten, zu Burgei: »Kind – Du wirst Rücksicht nehmen – Du wirst … Wir nehmen das Fräulein vertraulich ins Verhör … Es ist jung und hat noch Zeit, sich zu bessern … Wir nehmen auch Remi zur Seite und machen ihn sachte aufmerksam. Er wird Mittel und Wege finden – seine Bildung und Erfahrung werden ihm den rechten Rat erteilen … Gelt, Du wirst der väterlichen Weisung folgen? Du wirst, Du wirst!« rief Lotfahr und küsste mit Tränen in den Augen Burgeis Stirne: »Ja, Du wirst, mein gutes, folgsames Kind!«

So ganz war Kilian Lotfahr in die augenblickliche Sorge und Wehmut versunken, dass er, indem er sich zur Begrüßung des Präsidenten entfernte, den herankommenden Otfried nicht gewahrte, den er im Vorübergehen beinahe streifte. Doch war es bei der augenblicklichen Stimmung Lotfahrs ein Glück, dass er den unerwarteten Besuch nicht gewahrte – namentlich die Botschaft nicht vernahm, welche Otfried einige Augenblicke später seiner Tochter, der Burgei vertraute …

Diese hatte sich nach der Entfernung des Vaters eben angeschickt, den Garten ebenfalls zu verlassen, als sie Otfried seitwärts von der Allee stehen sah, unentschlossen, ob er sich sogleich nähern oder warten solle, bis er gesehen werde.

Burgei erkannte ihn nicht sogleich, da er den Hut in die Stirn gedrückt hatte; doch als er einen Schritt näher trat und grüßend den Hut zog – war sie keinen Augenblick mehr im Zweifel, wer vor ihr stand – du ein Ruf des Entzückens und der Überraschung entrang sich ihrer Brust.

»Burgei …« sagte Otfried, nun rasch sich nähernd.

Burgei drückte einen Augenblick beide Hände krampfhaft gegen ihr Herz, eilte dann mit wilder, unendlicher Freude auf Otfried zu und ergriff mit beiden Händen seine Rechte:

»Sie sind es?« – sagte sie – »Otfried – den ich tot geglaubt – und der doch lebt und zurückkehrt – zu meiner Freude!«

»Sie gedachten meiner, Burgei?« sagte Otfried und küsste ihre Hand.

»Warum soll ich hier die Wahrheit verschweigen?« rief Burgei: »Mit allen Gedanken meines Herzens gedachte ich Ihrer! Mit Tränen und Gebet – und wachend und träumend!«

»Dank! Tausend Dank! Nun darf ich mich doppelt freuen, meine Abwesenheit rechtfertigen zu können!«

»War es wirklich nötig, so lange wegzubleiben und zu schweigen?« sagte Burgei mit Wehmut.

»Urteilen Sie selbst, Burgei! – Im Interesse Ihres Hauses und Ihrer Ehre bin ich so lange ferne geblieben; denn um nichts Geringeres hat es sich gehandelt als die Mörder Ihrer Mutter – den eigentlichen Grund ihres Todes zu erfahren!«

»Die Schuldigen kennen Sie?« rief Burgei triumphierend und hastig Otfrieds Hand ergreifend.

»Nach wilder Irrfahrt durch die Welt – nach langer Fieberkrankheit – gestand mein Vater auf dem Sterbebette alles … Burgei … Ihre Mutter war das Opfer der rohesten Gelüste des Junkers! Durch einen schurkischen Spießgesellen – Ihr kennt ihn – durch Braggen – wurde Ihre arme Mutter in Verdacht der Zauberei versetzt, gefänglich eingezogen – und ihr im Kerker, unter allen Schrecken und Martern die Wahl gestellt: auf dem Scheiterhaufen zu sterben – oder den Gelüsten des Junkers schmachvoll zu dienen! Sie wählte den Tod! – Und umfangen von der lodernden Flamme sag sie, die erhabene Märtyrerin, das Lob des Allerhöchsten!«

Burgei stand einen Augenblick betäubt, wie von Schmerz gebrochen da und drückte beide Hände gegen ihre Schläfe … dann schnellte sie empor, warf das wundervolle Lockenhaupt in den Nacken und rief mit wilder Begeisterung:

»Hab' ich Dich endlich – Dich eine, höchste, erhabenste – schmerzlichste Wahrheit! – Hab' ich Dich, nach der ich geseufzt, gebetet, auf den Knien den Himmel angerufen – Hab' ich Dich, Wahrheit? Nun, Mutter – Mutter! – freue Dich dort über den Sternen – Dir soll auch auf Erden Gerechtigkeit werden!«

»Das soll ihr!« bemerkte Otfried erschüttert.

»O!« fuhr Burgei fort, wie verzückt in die Lüfte starrend: »Das heutige Fest – wie ist es wahrhaft ein Fest und gelegen! … Lasst sie kommen – alle, alle – in Schmuck und fröhlicher Laune! Sie sollen sich freuen, die hohen, zahlreichen Gäste – sie sollen sich freuen! – denn es ist wahrhaft ein Fest meiner Mutter! … Und Sie, Otfried – bleiben Sie nahe, steh'n Sie mir bei – es gilt ja, den Ehrentag meiner Mutter – meiner armen, geopferten Mutter zu feiern! …«


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