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Fünftes Kapitel.
Nach der Tat.

Das Gewitter war vorüber. Nur einzelne Donner rollten noch an dem Gebirge hin, als spät vernehmbare Wirkung der Blitze, die von Zeit zu Zeit nur kurz und matt, wie Wetterleuchten zuckend, einen flüchtigen Schimmer über das Tal um Bingerbach warfen, wo im Namen der Gerechtigkeit soeben eine Tat des schwärzesten Wahnes und tollster Verruchtheit vollzogen worden.

Ein kurzer, scharf niederschlagender Regen hatte die letzten aufzuckenden Flammen des Scheiterhaufens erstickt, als schiene ein Tränenstrom vom Himmel die Zeichen der Untat verlöschen und sich klagend mit der Asche der hingemordeten Unschuld mischen zu wollen.

Die mit Grauen und wilder Neugier um den düsteren Richtplatz versammelten Massen, Tausende an Zahl, hatte Wetter und Regen nicht zu verscheuchen vermocht; noch lange regungslos starrend oder auf den Knien liegend und von wüster Andacht erfüllt, umgaben sie die Unglücksstätte, während der Zug der Mönche aus dem nahen Barnabiter-Kloster in dunkler Reihe über Feld- und Wiesengründe hinzog und in monotonem Gesange: »Dies irae, dies illa« anstimmte …

Junker Otto, so tapfer im Verfolgen der Unschuld, solange sie lebte, hatte beim Anblick derselben im Heldentode nicht mit gleicher Tapferkeit Stand gehalten und war mit verhängten Zügeln nach der Starrenburg geritten, als die ersten Wirbel von Rauch und Flammen um die Märtyrerin aufschlugen und des Himmels Zorn aus donnernder Wolke sprach …

Wild und rastlos durch die Zimmer des Schlosses eilend, erhielt er endlich Gesellschaft in dem Spießgesellen Braggen, welcher, die oft missbrauchte Mönchskutte über dem Arm, hereintrat, um den aufgeregten Freund durch Beispiel und Zusprache wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

»Dahin! Dahin!« rief ihm der Junker entgegen: »Standhaft wie eine Märtyrerin! Ungebeugt wie eine Heilige!«

»Ich glaube, Sie hätten sich auch wie ein Held gezeigt, hätten auch Wort gehalten wie einer!« erwiderte Braggen.

»Wäre es nicht geschehen! Wäre es noch zu ändern!«

»Dann fallen Sie spät aus Ihrer Rolle!« sagte Braggen.

»O!« fuhr der Junker fort und warf sich in einen Lehnstuhl: »Die Welt hat ein Kleinod, ein Meisterstück verloren! Die Erde ist um ein schönes, süßes Wesen ärmer!«

»Wenn's nur die Erde wäre, dann hätte es wenig zu sagen – aber Sie sind um das Kleinod ärmer, und das ist verdrießlich!«

»Lass mich diesen Ton nicht mehr hören, willst Du meinen ganzen Zorn nicht erregen! Elender!« fuhr der Junker fort und sprang auf: »Wer machte mich auf die Schönheit der Pächterin aufmerksam? Wer schlich in dieser Kutte in ihr Haus und verkaufte ihr Kräuter und Gebete, um derentwillen sie dann verurteilt wurde? Wer gab mir den Rat, den Pächter zu verschicken, bis das Los über sein Weib geworfen sei; wer half mit die Richter bestechen, treulose Priester gewinnen – wer anders als Du – Du – und dafür erwartest Du Schonung oder gar Dank? Mir aus den Augen!«

»Nun ja«, erwiderte Braggen: »Ich gehe. Wenn ein hoher Herr an Kongestionen leidet, so setzt sein rasches Blut auch neue Freunde in Umlauf. Da …«, und er legte die Kutte bei Seite, »zur Erinnerung an den Versucher behalten Sie dieses Gewand und denken Sie oft daran, dass niemand Rat erteilen kenn, es sei denn, dass jemand – Ratgeber brauchte! – Hätte die schöne Priesterin ihre Tugend in die Hölle geschickt und wäre hübsch folgsam auf Ihr Schloss gekommen, welcher Lohn war da dem Ratgeber gewiss! So sie aber tapfer ins Feuer gegangen und Ihnen nur ihr Angedenken hinterlassen – welcher Undank ist jetzt für den Freund groß genug? … Nun ja, ich gehe … Etwas muss ein großer Herr nach einer Katastrophe immer wegschicken – seine Freunde oder die gute Meinung der Welt! Waschen Sie Ihre Hände in Unschuld wie Pilatus – ich nehme Ihre Schuld auf mich – leben Sie wohl!«

»Und Du glaubst, ich werde Dich so ohne Weiteres ziehen lassen?«

»Wenn Sie nicht vorziehen, mich im dunkelsten Turmloch unterzubringen.«

»Schweig!« rief der Junker und stampfte auf den Boden – »Und Du wirst bleiben. Ich bedarf Deines Umgangs. Das ist die leidige Folge Deiner zu lange geduldeten Nähe … He da! Wein!« rief er dem Diener. »Ich muss aus dem Grau meiner Stimmung heraus. Wein, wenn's mit Weibern und Gesang nicht flecken will! … Ich fürchte, ich werde Deinen Rat wieder brauchen – wenn sich's bewähren sollte, was dunkle Gerüchte verbreiten …«

»Die Nachricht von dem Frieden?«sagte Braggen, während ein Diener Wein brachte und sich wieder entfernte.

»Ja«, sagte Junker Otto.

»Ich glaube nicht daran«, bemerkte Braggen.

»Aber gut wird es sein, Dich vorzusehen … Hier ein Glas Wein. Reichen sich die Kaiserin und Friedrich die Hand zum Frieden, so muss das auch für uns ein neues Band des Friedens geben!«

Beide stießen an.

»Der Friede führt meinen Vater wieder heim, er wird mein Tun und Lassen prüfen, meine Behandlung des Volkes untersuchen; – er, ein Bewunderer Friedrichs, ein Freund der Aufklärung, wird von dem Prozess wider die Lotfahr hören, wird dem falschen Spiel auf die Spur kommen. Was hieraus erfolgen müsste, will ich lieber gar nicht sagen.

Hier unterbrach den Junker das Erscheinen des Schlossamtmanns, der meldete:

»Ein Bote Ihres Vaters ist da. Er will Siesprechen.«

»Und das meldet Ihr mit solcher Miene?« rief der Junker betroffen und zornig zugleich.

»Der heutige Tag, Herr Junker …«

»Da trinkt! Schwemmt Eure Melancholie hinunter – ich will frohe Gesichter sehen!«

»Zu Befehl!« sagte der Schlossamtmann, nippte einmal am Glas und entfernte sich verstimmt …

»Der leidet mehr an der Furcht, dass Ihr Vater komme als an dem Andenken an die Zauberin«, sagte Braggen.

»Wie ein solches Novembergesicht gleich auf die Nerven wirkt!« rief der Junker: »Wein!«

Er stieß mit Braggen an, stellte das Glas heftig weg und sagte: »Da ist der Bote!«

Burghardt – den wir als Begleiter des Pächters Lotfahr kennen gelernt – war eingetreten.

»Ihr kommt aus dem Lager?« fragte der Junker rasch und barsch.

»Ja, Herr Junker.«

»Erhalten wir Frieden?«

»Wir haben ihn schon.«

Der Junker machte eine erschrockene Bewegung und sagte nach einer Pause:

»Dann wird wohl mein Vater bald zurückkommen?«

»Er folgt mir auf dem Fuße.«

Der Junker fuhr zurück. »So rasch?« sagte er; und setzte mit erzwungener Fassung hinzu, indem er auf und ab ging: »Gut – da es nicht anders ist. Habe Ihr sonst einen Auftrag?«

»Keinen – als den Gruß Ihres Vaters – der alles in bester Ordnung zu finden hofft!«

Der Junker, von Furcht überwältigt, musste sich setzen.

»Das wird er«, sagte er mit schwacher Stimme … »Genug … Lasst Euch Stärkung reichen …Wir sprechen uns morgen wieder …«

Burghardt hatte sich kaum entfernt, als der Junker, außer sich, im Lehnstuhle sich hin und her warf.

»Mein Vater zurück!« rief er: »In dieser Stunde noch! Er wird mein Tun und Lassen prüfen – unser ganzes falsches Spiel wird ans Licht des Tages kommen – ah, hilf! rate!« fügte er hinzu und sprang auf.

»Ja, hilf und rate«, sagte Braggen nachdenkend: »Fürs Erste ist es schwer, einen Rat hier zu entdecken – und dann – wenn ich auch ein Mittel ausfindig machte – es wäre höchstens – gegen mich selbst gerichtet!«

»Wie meinst Du das?« sagte der Junker, schon durch die Aussicht getröstet, dass es überhaupt ein Mittel gebe.

»Nun«, erwiderte Braggen nach kurzem Besinnen – »Sie entdecken in diesem Augenblick, dass ich ein unerhört verwegener Abenteurer – ein Verführer Ihres edlen Herzens war. Zu spät haben Sie mir die Maske abgerissen – haben entdeckt, dass ich dies heilige Mönchsgewand entweiht – und kurz und gut: Sie nehmen mich mit Ostentation gefangen, werfen mich in den Turm und kommen Ihrem Vater mit der Miene tief betrübter, entrüsteter – und getäuschter Unschuld entgegen …«

»Ah – das wäre wirklich Dein ernstgemeinter Rat?«

»Vorausgesetzt – dass für meine Rettung die nötigen Vorkehrungen getroffen werden.«

»Welche meinst Du?«

»Alsbald nach meiner Verhaftung muss es mir möglich gemacht werden, zu entschlüpfen und glücklich zu entkommen … Bin ich einmal fort, dann mögen Sie mich schwarz malen wie die Hölle, ich gebe Ihnen unbeschränkte Vollmacht! …«

Aus dem Schlosshofe tönte jetzt froher Lärm herauf, und man hörte deutlich den Ruf: »Hoch der gnädige Herr! Hoch der regierende Graf!«

»Dieser Freudenlärm – dieser Ruf …« sagte der Junker und eilte ans Fenster; allein er prallte beim ersten Blicke zurück und bedeckte die Augen mit beiden Händen.

»Mein Vater! Er ist zurück!« sagte er und wankte einige Schritte nach der Mitte des Zimmers. Aber plötzlich – von verzweiflungsvoller Aufregung erfasst – erinnerte er sich des guten Rates, den ihm Braggen soeben erteilt, er stürzte sich gegen denselben, packt ihn krampfhaft an der Brust und stöhnte: »Ja – hier hilft kein Zaudern und Bedenken – Dein Rat ist gut; he Diener! Hilfe!« fuhr er mit greller Stimme fort.

»Was gibt es, Euer Gnaden?« sagten die bestürzt hereintretenden Diener.

»Eine Kreatur der Hölle – ein Teufel in Menschengestalt ist entdeckt! Ergreift und bindet ihn!« rief der Junker.

»Zurück, und wag' es keiner«, sagte Braggen und schien sich zur Wehr setzen zu wollen.

»Soll ich Euch zweimal befehlen?« herrschte der Junker den Dienern zu: »Zaudert nicht! Greift ihn! Mein Vater soll …«

Der Junker vollendete seinen Aufruf nicht, indem die Türe des Zimmers aufging und der Graf in demselben Augenblicke eintrat, als die Diener über Braggen herfielen und ihn gefangen nahmen …

»Dass ich so den Boden meines väterlichen Schlosses wieder betreten muss«, sagte der Graf eintretend; – seine Stimme bebte vor Ingrimm und Schmerz – »Wo ist mein Sohn?«

»Hier, mein Vater«, sagte der Junker, indem er Braggen den Dienern überließ und mit gesenkten Blicken seinem Vater einen Schritt entgegen ging.

»Was geht hier vor?« fragte der Graf, die seltsame Gruppe der Diener mit Braggen erblickend: »Wer ist der Mensch?«

»Ein Verruchter«, sagte der Junker bebend: »Ein Verruchter, der zu spät entlarvt worden ist … um ein großes Unglück abzuwenden.«

»Ein Schuldiger bei dem Verbrechen, das soeben mit Flammenzunge gegen Himmel rief?«

»Der Schuldigste …«, sagte der Junker bleich und stotternd.

»Ha! Dann führt ihn fort und bewahrt ihn wohl – denn ich will nicht ruhig atmen, bis ich dem ewigen Richter sein Werk erleichtert und die Schuldigen alle in meinen Händen habe!«

Zum Junker gewendet, setzte der Graf hinzu: »Du selbst bist mein Gefangener. Ich will Dich nicht sehen und grüßen, bis ich die Größe Deiner Mitschuld kenne … Ist nach dem Pächter gesendet? Sind seine Kinder freigelassen?« fragte er den eintretenden Burghardt –

»Ja, Herr Graf«, erwiderte dieser.

»So will ich mein Herz zum Mindesten durch Wohltun erleichtern«, sagte Graf von Starrenberg: »Folgt mir, Burghardt!« Und damit begab er sich auf sein Zimmer …


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