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I.
Ein Opfer der Leidenschaft

 


 

Erstes Kapitel.
Beim silbernen Sporn

Am 1. Juli 1746 blickte die Schänke am Fuße des Wildhags, beschienen von einer scharfen, wetterkündenden Sonne, wie verklärt in die Welt.

Sie schien in Behagen wetteifern zu wollen mit ihrem Herrn von der Pipe, Aurelian Fässel, der, sein grünsamtenes Käppchen schief auf dem Kopfe und die frisch gewaschene Schürze umgebunden, vor der Haustüre stand und, die Augen beschattend, der kleinen Völkerwanderung zusah, welche über Feld und die Straße entlang herankam und vorüberzog, wobei es nicht an Wanderern fehlte, die an dem als Kredenz dienenden Fenster des »Silbernen Sporn« eine Seile stille hielten, tranken und lebhaft in Gesprächen wieder weiter eilten.

Heute zum ersten Male ergründete Fässel den geheimnisvollen Gedanken seines Großvaters, der ein Wirtshaus an dies einschichtige Berg- und Waldesstelle hin gebaut; – er hat, dachte er, diesen Tag aller Tage vorausgesehen und widerlegt das Genärre der Leute, die den Bau des »Silbernen Sporn« für einen selbsteigenen Sporn großväterlichen Gehirns verschrien.

»Gäste! Immerzu neue Gäste!« sagte er dann, zum Geschäfte übergehend: »Bleibt auch nicht alles am Rad meines Sporns da hängen, auf den zehnten Mann darf ich rechnen! … He, Hans! He, Kaspar! … Noch ein paar Stühle!«

Hans und Kaspar erschienen mit Stühlen und verschwanden dann wieder.

»Es bleibt heute nicht bei gemeinen Gästen«, fuhr der Wirt fort: »Sieh', ein paar Reiter und noch ein paar kommen da den Hohlweg herauf. Es sind Militärs. So recht. Wenn die keinen Durst mitbringen, so geht's nicht mit rechten Dingen zu. … He, Balthasar!«

»Da bin ich, Herr Wirt.«

»Stell' dich parat. Einige Reiter kommen. Führe die Herrn in den Stall und die Pferde hierher.«

»Ganz zu Befehl, Herr Wirt«, sagte der forteilende Knecht.

Indessen klappten die Leute am Fenster mit den Deckeln und riefen: »He, Wirtshaus!« So durstig sie waren, so eilig hatten sie's mit dem Zahlen und Weitermarschieren.

»Hans, Kaspar! Aufgepasst! Zahlen!«

Hans und Kaspar eilten zu den Leuten, die ohne Verweilen, nachdem sie gezahlt hinter dem Hause über die Hügel hinweg zogen.

»Wer mir gestern noch gesagt hätte«, fuhr der Wirt fort, »dass ich heut' Ausverkauf habe in allen Artikeln, süß und sauer! Dass ich den Stich noch anstechen müsste, um ihn ausstechen zu lassen – sag' mir keiner, dass auf der Welt etwas umsonst geschieht! Da drüben wird eine Hexe prozessiert und verbrannt – ergo gibt's Zulauf – das Laufen macht warm und durstig – der Durst zieht Gäste ins Wirtshaus – das Wirtshaus zieht ihre Gäste wieder brav aus – und so hat alles seinen höheren, sittlichen Zusammenhang! … Guten Tag, Mannen!« setzte er in einem Atem hinzu und wies die neuankommenden Leute zur Kredenz: »Immer heran! Nur immer dorthin, eben ist frischer Raum geworden. Hier ist's belegt!« bemerkte er einigen, welche am Tische Platz nehmen wollten: »Vaterlandsverteidiger, Helden – sie kommen, da sind sie schon!«

Vier Offiziere in preußischen Uniformen traten heran und näherten sich dem Tische.

»Was ist gefällig?« fragte der Wirt unter vielen Komplimenten.

»Essen und Trinken, Herr Wirt!« sagte der Offizier.

»He, Kaspar! In den Keller! Das Beste für die Herren da! Ich will für das Essen sorgen.«

Der Wirt und Kaspar eilten in das Haus, während die Offiziere sich's am Tische bequem machten …

»Die letzte gemeinsame Station, meine Herren, auf unserem Heimweg«, sagte der älteste Offizier, indem er sich setzte: »Nützen wir sie noch zu fröhlichem Wort und Trunk. Ist es doch wahrlich ein guter Augenblick, nach Jahren wilden Durcheinanders, nach blutigen Attacken und Affären, in den friedlichen Gefilden der Heimat anzulangen, das Schwert mit der Pflugschar zu vertauschen, ein friedsamer Bürger zu werden, nachdem man ein Streiter im Felde gewesen.«

Er schenkte von dem eben gebrachten Weine ein und setzte hinzu:

»Der erste Trunk, liebe Freunde, den hohen Streitenden, welche Frieden gemacht; – es lebe die edle Kaiserin! Friedrich lebe hoch!«

Die Offiziere stießen an und riefen: »Die edle Kaiserin – Friedrich hoch!«

»Wer auch heimkehren kann wie Sie, Herr Graf«, bemerkte ein Hauptmann, »bedeckt mit Ehren, Herr der schönsten Güter in der Runde, begrüßt mit Jubel von glücklichen Untertanen! Dass ich's nur gestehe: als wir vorhin die Windung der Straße herauf gekommen und ich plötzlich Weg und Steg mit Wanderern bedeckt sehe – das gilt dem heimkehrenden Helden und Vater seines Volkes, dacht' ich; ein festlicher Empfang wird ihm bereitet, das zieht Wanderer her von nah und ferne!«

Sie irren, Herr Hauptmann. Niemand ahnt zur Stunde meine Heimkehr. Schwerlich ist die Friedensnachricht hier schon bekannt. Der Bote, der meinem Sohn meine Ankunft meldet, ist kaum eine Meile Weges voraus. – Indessen ist auch mir diese Bewegung aufgefallen. …«

»Sogleich, meine Herrschaften – was meine Küche bietet …«, sagte der Wirt, unter Komplimenten zurückkommend.

»Ein Wort, Herr Wirt«, fiel der Obrist ihm in die Rede: »Was bedeutet diese Bewegung im Volk? Steht ein Fest zu erwarten? Ist etwas Besonderes vorgefallen?«

»Was Besonderes? Ein Fest?« erwiderte der Wirt mit pfiffig wichtiger Miene: »Nun ja, meine Herren, wie man will. Vielen kommt es wie ein Fest vor – was Besonderes ist es auch, wie Figura Zulauf zeigt – und um es kurz zu sagen …«

»Ja, zur Sache, Wirt …«

»Da drüben überm Walde hat man eine seltsame Bescherung gefunden – was lange nicht da gewesen – eine, wie man sagt – Hexe, Zauberin – ein Galsterweib, wie's viele nennen …«

»Wie?« sagte der Obrist und blickte ernsthaft auf.

»Wie ich sage. Natürlich hat die Behörde, die auf solche Namen hört, wie eine Geliebte auf den Namen Julius – sich nicht lange bitten lassen und sich ins Mittel gelegt. In außerordentlichen Fällen kommt auch die Gerechtigkeit in Trab. Kanzel und Richterstuhl sind wie von einem Erdbeben geschüttelt worden. Nicht ganze drei Wochen hat's gedauert und der Prozess war eingeleitet, schwebte, das Urteil klärte sich ab, setzte sich zu Boden, war spruchreif. Natürlich kann die Welt keine Gäste mehr brauchen, die der Allmacht ins Handwerk pfuschen – Schwert und Galgen sind für ordentliche, solide Verbrecher da – also hat man wie vor Alters – nach vorangeschickter Prozedur mit allen Graden der Folter – einen Scheiterhaufen aufgeschichtet, einen regelrechten Pfahl dazu – heute wird die Zauberin gerichtet respektive verbrannt – und zu dem großen Heiden- und Türkenspiel lauft da, was nur zwei Beine hat, haufenweis zusammen!«

Der Obrist hatte dem Wirte finster zugehört und sagte nach einer Pause:

»Zauberin – Folter – Scheiterhaufen – Ist's doch, wenn man diese Worte hört, als versinke ein schönes Stück Gotteswelt vor unseren Augen! – Und leider muss man sie allwärts wieder hören. Aus der Schweiz, vom Rheine, vom Bischofsitz Würzburg verlauten ähnliche vernunftschänderische Prozeduren. Der Wahn von Zauber- und Hexenkünsten verpestet ganze Gegenden, und als dränge betäubender Hauch der Pythia aus dem Boden, werden nicht nur Volk und Bürger, sondern auch Priester und Rechtsgelehrte von höllischem Taumel ergriffen. Während an Höfen in Schulen und Schriften ein Zeitalter des Lichts sich vorbereitet, Maria Theresia ein Manifest gegen Aberglauben und Hexenprozesse publiziert, schichtet man frecher Weise wieder Scheiterhaufen, schleppt Unschuldige und Verirrte herbei und lässt die Todesflamme ins Angesicht des Himmels steigen!«

Er erhob sich und fuhr voll edler Entrüstung fort:

»Aber die Hand des Schicksals führt mich im rechten Augenblicke hierher, um wenigstens hier das Unheil noch abzuwenden! – Wo, Herr Wirt, soll heute die schmachvolle Prozedur vollzogen werden?«

»Ich weiß nur«, sagte der Wirt, »dass die Leute nach Bingerbach ziehen …«

»Bingerbach?« wiederholte der Obrist betroffen.

»Dass Bingerbach zur Gerichtsbarkeit Starrenberg gehört …«

»Ganz wohl, ganz wohl!« sagte der Obrist mit steigender Bewegung.

»Dass also alles mit Willen und Wissen des Junkers von Starrenberg geschehen sein muss!«

»Meines Sohnes!« schrie der Obrist auf und erblasste.

»Hilf Himmel, der Graf …«, sagte der Wirt und zog sich erschrocken zurück.

Es dauerte einige Augenblicke, bis der Graf von Starrenberg, der schwer atmend vor sich hinstarrte, die Sprache wieder fand und sagte:

»Und wer – wer ist das Opfer, das man auf den Scheiterhaufen führt?«

»Eine Pächterin des Grafen – Namens Lotfahr …«

»Meines ehrlichen Pächters braves Weib?«

»So hab' ich gehört, und so muss ich es sagen …«

»Auf, auf, meine Herren!« rief Graf von Starrenberg und warf ein Goldstück auf den Tisch – »was frag' ich hier noch lange und versäume Zeit? Das beste Werk meines Lebens droht verloren zu gehen. Solange ich Herr meines Willens und meiner Güter bin, habe ich Wahn und Finsternis bekämpft und der Vernunft zur Herrschaft verholfen – mein Fernsein im Kriege hat den Mächten der Hölle Mut gegeben, alles wieder in Frage zu stellen! – Wer sie auch seien, die Schuldigen – und ob sie zehnmal den Namen eines Sohnes führten – ihre Strafe sei nicht geringer als ihr Frevel – gelte es Leben um Leben! …«


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