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Fünftes Kapitel.
Die wilde Hummel.

Lotfahr hatte den Gartensalon kaum verlassen, als dieser das Ziel der in wildem Schrecken fliehenden Dienerschaft beiderlei Geschlechtes wurde.

Mit den Insignien und Werkzeugen ihrer Stellung und eben verlassenen Beschäftigung kamen sie und schienen ernstlich entschlossen zu sein, den Salon zum Schauplatz ihres ersten Widerstandsversuches zu machen.

»Aus ist's und nicht mehr zu tragen!« rief Anton zitternd und bebend.

»Schrecklich, schrecklich! – sie ist wieder da!« rief die Köchin, nicht weniger angsterfüllt.

»Die neueste aller ägyptischen Plagen!« tobte Fritz voll Furcht und Zorn.

»Das Schwert Petri – Schwert Petri!« lachte Philipp mit seltsamem Zucken.

»Mit jedem Hiebe ein Ohr ab!« kreischte das Kammermädchen in hohem Diskant.

»Drum eh' sie uns den Kopf gespalten – unsere Schwerter vorgehalten!« rief Anton mit einem Anflug poetischer Tapferkeit.

Und Bartwisch, Flaschenzieher, Zimmerbesen usw. schwangen sich plötzlich in mutiger Kämpferlaune.

Aber da war sie auch schon – in siegreichem Fluge – Burgei, die eben alle vor sich hergetrieben hatte! Ihr Anblick schlug sofort alle Selbstermannungsgedanken des Gesindes wieder zu Boden.

»Hab' ich Euch?« rief die schwer Gefürchtete und stürmte mitten unter sie. In reisender Wildheit flatterte ihr reiches Haar im Nacken, und ihre rechte Hand schwang einen toten Truthahn drohend:

»Seid ihr alle beisammen? Treuloses, lässiges, habsüchtiges Volk, das man mit dem feurigen Schwert des Engels aus dem Paradiese dieses Hauses treiben soll!«

Sie wendete sich gegen den Anton, der erschrocken zurückfuhr:

»Er da«, sagte sie, »am hellen Mittag – Scham und Arbeit hinter sich lassend – wie kann er's wagen, mit Weib und Tochter sich hinüber zu setzen und am offenen Fenster, im Angesichte des ganzen Dorfes Backhuhn und Kuchen zu verzehren?«

»Erlauben Sie, Fräulein«, erwiderte Anton halb frech, halb furchtsam, »heißt es nicht: Was du hast, genieß' in Ehren?«

»Wie kann er sich unterstehen«, fuhr Burgei, gegen Philipp gewendet, fort, »an einem Festmorgen, wo es in Hülle und Fülle zu tun gibt, in seine Kammer sich hinzusetzen und – Bordeaux zu trinken – Bordeaux aus dem Keller meines Vaters?«

»Weil ich dachte: Bordöer – bohrt eher …«, sagte Philipp, etwas angetrunken und auf die Stirne zeigend.

»In Seiner Monatsrechnung wird er den Posten finden … Welcher lächerliche Kobold hat ihm die fünf Sinne verrückt«, fuhr sie, gegen Fritz gewendet, fort, »dass er sich vor dem Spiegel einen Kranz aufsetzt, der für diese Wand da bestimmt ist?«

»Es war dumm wie die Wand, ich muss es selber sagen«, erwiderte Fritz mit edler Offenheit.

»Und Sie – Sie …«, wendete sich Burgei zur Köchin, »ich hätte Lust, noch einmal den Truthahn das Wort führen zu lassen! … Wie kann Sie alle Ehre so aus dem Auge lassen, dass Sie eine solche Tagesrechnung führt!« Sie blickte in ein großes Buch, das sie in der linken Hand trug: »Meinem armen Vater allein, der sich im Essen und Trinken so mäßig hält, für den Mittagstisch – acht Pfund Rindfleisch, einen Schöpsenschlegel, fünfzig Dampfnudeln, achtzehn Paar Rostbratwürste, einen Rehrücken, vier Fasanen, drei Ganslebern, für drei Gulden Nachtisch und sechs Flaschen Weine aufzuschreiben?«

»Erlauben Sie, Fräule, wovon hätten denn wir leben sollen?« sagte die Köchin mit ziemlicher Fassung.

»Ist der Herrentisch auch für Euch da? Steht Euer Mittagstisch nicht besonders – für zehn bare Gulden verzeichnet? Ist diese Gewissenlosigkeit nicht reif für das ewige Gericht? … Wer ist diese Person da?« brach sie plötzlich ab und zeigte auf ein Frauenzimmer.

»Das ist mein Kammermädchen«, sagte die Köchin.

»Ihr Kammermädchen – Und wer ist diese Person da?« fragte sie das Kammermädchen.

»Das ist die Aushelferin«, erwiderte die Gefragte.

»Deine Aushelferin – Und wer ist diese fremde Person da?«

»Das ist meine Zuspringerin«, sagte die Aushelferin.

»Heiliger Gott im Himmel!« rief Burgei: »Eine Dienerschaft mit Dienerschaft und diese wieder mit gehörigem Aushilfspersonal! … Und da steht noch ein ganzes Heer überzähliger Beamter – derjenigen nicht zu gedenken, welche gar nicht da sind; Hausmeister, Hausknechte, Büchsenspanner! … Ich seh', ich bin im rechten Augenblicke gekommen, um wie das ewige Gericht dazwischen zu fahren! … Eine Stunde lass' ich Euch Zeit, Euch auf Euer Schicksal vorzubereiten – benützt sie wohl, denn das sage ich Euch: der Richter wird nicht Gnade und Barmherzigkeit kennen!«

Sie war der Köchin den Truthahn vor die Füße und entfernte sich mit dem Rufe: »Wo ist mein Vater? …«

In welchem Zustande die Dienerschaft im Gartensalon zurückblieb, ist leicht zu erraten.

Eine Weile standen alle starr und schweigend da, dann erhob Philipp seine zweifelhafte Stimme und sagte, um sich blickend:

»Nun?«

Seinem Beispiele folgte nach einer Weile der Anton, indem er seine fragenden Blicke ebenfalls über die Versammlung fliegen ließ und sagte:

»Nun?«

Situation und Stimmung waren ganz danach angetan, dass die Versammlung plötzlich mit einem tragischen Schritte näher zusammentrat, als wolle man in dem tiefsten Jammer das beliebte Klagelied anstimmen:

 

O!
Wie ist der Dienstbot' elend,
Wie ist er über d'ran!
Für jedes bissel Essen
Sieht man ihn gleich schief an,
Mit jedem bissel Trinken,
Ist eine Sünd' getan! usw.

 

Aber man sang nicht, sondern verharrte noch einen Augenblick in stummer Wehmut, bis Herr Anton sich das strohtrockene Auge wischte, die eingebildete Träne mit schnalzendem Finger von sich warf und ausrief:

»Fort, Krokodilstränen! Es ist genug! Jetzt heißt es aufbegehren! Herbei, ihr armen Küchlein, sammelt Euch um mich. Wir lassen uns nicht aus dem Felde schlagen. Der Weg zu unserem guten Herrn steht uns immer noch offen – wir verfassen eine Landespetition und überreichen sie im hellen Donnerwetter. Wir wollen unsere Angelegenheiten selber ordnen!«

»Ja«, sagte Tobias ironisch, »und der Aufschneider wird das erste Wort führen.«

»Fritz als Tafeldecker wird den Mantel der Liebe über uns werfen«, sagte Philipp, wieder guter Laune.

»Und die Köchin soll dem Fräulein was einrühren für das, was es an uns getan hat«, sagte Fritz.

»Setzen wir unsere Ehre und Reputation nicht durch, so treten wir wie ein Rotlauf zurück und nehmen unsere Gesamtentlassung!« rief Anton; sprach's und gab den andern das Beispiel, sich wieder zur ungewohnten Arbeit zu begeben …


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