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Viertes Kapitel.
Es wird vollbracht.

Der Pächter hatte sich kaum von der majestätischen Eiche entfernt, als diese das Ziel dreier wild aussehender Gesellen wurde, die, um den Wall eines Feldweges biegend und mit Äxten bewaffnet, eilig heran kamen.

»Tapfer voran!« rief der eine, dessen Stimme nicht verkennen ließ, dass sie einem geistig und leiblich Berauschten angehöre: »Nieder mit dem Drudenbaum! Sein Holz soll die Hexe brennen helfen!«

»Höllenholz zum Hexenfeuer – das ist die rechte Weise!« rief der Zweite.

»Vergesst nicht, die Hiebe wohl zu führen«, warnte der Dritte, »zwei Hiebe stets im Kreuz, sonst fällen wir vergebens!«

Sie führten Streiche gegen den Baum und sagten später aus, dass sie unheimliche Klänge in den Zweigen vernommen.

Sie wurden aber bald in ihrem Eifer unterbrochen, indem ein junger Mann in Jäger-Tracht hinzutrat und rief:

»Was schafft ihr da? Zurück!«

»Holz von diesem Baum da helfe die Hexe brennen!«

»Zurück, sag' ich! Der Baum bleibe ungefällt!«

»Dass er noch andere zur Zauberei verführe?«

»Er hat noch niemand verführt, als die mit Aberwitz geboren sind, wie Ihr und Euresgleichen! Ihr wütet gegen die Wohltat dieses Bodens, diesen ehrwürdigen Baum – und jene führen die Unschuld auf den Scheiterhaufen – Wahn und Wahnsinn dort wie hier!

»Das lasst Ihr uns nicht zweimal hören!« riefen die Knechte und drohten mit den Äxten!

Der Bedrohte zeigte sich keineswegs eingeschüchtert, sonder griff nach der Axt des einen und rief: »Zurück sag' ich!«

Unzweifelhaft wäre sein Los im nächsten Augenblick sehr bedenklich gewesen, wenn nicht die imponierende, wohlbeleibte Gestalt des Schlossamtmanns Beiwart erschienen und zwischen die Streitenden getreten wäre.

»Was stockt die Arbeit?« rief er: »Soll die Hexe ohne Holz vom Drudenbaume brennen?«

»So will es Euer Sohn«, sagte der eine Geselle.

»Dem Wahnsinn wehr' ich – einer Schandtat wider die Natur!« rief dieser.

»Otfried – nimmst du den Baum in Schutz, der viele von Gott und ihrem Glauben abgelenkt?«

Die solches glauben, sind von Gott schon abgefallen!«

»Das sagst Du, da man eine Schuldige zum Scheiterhaufen führt?«

»Ein Opfer des niedrigsten Betrugs, der Rachsucht, einer Niedertracht, die Gott noch an die Sonne ziehen wird!«

»Bist Du von Sinnen? Die Sünderin hat hier Wurzeln gegraben, Natternkraut gestreut und Kreise gezogen!«

»Um hier zu beten, war sie hergekommen!«

»Zu beten unter diesem Baum!«

»An dem vordem ein Muttergottesbild gehangen!«

»Zu Hause fand sie Bild und Kruzifix! Ihr ganzer Wandel war verdächtige!«

»Seitdem man es so haben wollte. Keine bessere Hausfrau, keine holdere Mutter ihrer Kinder gab es je!«

»Bevor sie Höllenwerk getrieben! … Ich weiß es wohl, dass Du die Mutter nur verteidigst, weil Dir das Töchterlein gefällt!«

»Ja, hier im Angesicht des Himmels schwör' ich, dass ich nicht ruhen noch rasten will, das Herz des Kindes zu gewinnen!«

»Drum soll die Mutter doppelt brennen! Zur Strafe des Frevels, Dich durch Künste auch betört zu haben! … Voran, ihr Knechte! Schafft mir Holz vom Drudenbaum!«

»So sei's!« rief Otfried und entriss dem einen Knecht die Axt: »Doch über meine Leiche kommt zur Stelle!«

Diesem Ausbruch folgte eine Szene der Natur, die wohl geeignet war, auf jeden Zeugen erschütternd, ja betäubend zu wirken. Ein Feuerstrahl durchriss die lange, schon düster brütende Wetterwolke und zuckte mit Gedankenschnelle gerade auf den Gegenstand des Streites – die majestätische Eiche – nieder.

Dieser Feuerstrahl des Blitzes schien die Losung eines ungeheuren Aufruhrs in den Lüften und Erden.

Ein Donnerschlag folgte zunächst; dann ergriff ein tobender Sturmwind die Wipfel der Bäume und verbreitete ein wildes Brausen, das mit dem Rollen des Donners wetteiferte; weißgelbe Staubwolken erhoben sich von Fuß- und Fahrwegen und eilten, hie und da zu turmhohen Wirbeln aufgerichtet, gleich riesigen Gespenstern feldein, während das Licht des Tages zu erlöschen und völlige Nacht hereinzubrechen schien.

Unter dem Eindruck dieser Szene der Natur war es kein Wunder, dass auf die Männer, die um die Eiche standen, ein Umstand ganz besonders wirkte.

Der Blitz war vom Wipfel herab der majestätischen Eiche ins Herz gefahren und hatte sich, die Rinde und das Holz bald streifend, bald ins Mark zerklüftend, im Boden verloren. Allein indem er mannshoch über der Erde morsche Höhlung des Baumes berührt hatte, war hier das Holz in Flammen geraten, und im Lichte derselben erschien ein den Blicken lange schon entzogenes Muttergottesbild im Hintergrunde der Höhlung. Die bald nur glimmende, bald hell aufschlagende Flamme erzeugte die Täuschung, als bewege sich das Bild, als rege es Augen und Lippen, und diesem Umstande, zusammengenommen mit dem Toben der Elemente und dem geängstigten Gewissen mag es zugeschrieben werden, dass die Knechte auf ihr Angesicht stürzten und der Schlossamtmann, mit starr-entsetzten Blicken nach dem Marienbilde starrend, nahe daran war, dem Beispiel der Knechte zu folgen.

Er sagte später aus und blieb sein Leben lang dabei, dass er klare und wunderbar klingende Worte vernommen, die das Bild zu ihm gesprochen.

Geistesaffektion und Gewissen helfen in solchen Momenten zusammen, eine gleiche Wirkung hervorzubringen, und so wollen wir, die Aussage des Schlossamtmannes bei Seite lassend, nur erwähnen, welch' tiefe Wandlung im Herzen derselben von diesem Momente an Platz griff und welche Folgen siespäter hatte …

»Wie ist mir – und was war das?« sagte er, als die Flamme der Höhlung erlosch und das Wunderbild verschwunden war.

»Die Gerechtigkeit in Mariens himmlischer Gestalt«, erwiderte Otfried, den Zustand seines Vaters rasch erkennend.

»Sie regte die Lippen – sie sprach … Weh' mir, was ich vernommen!«

»Die Stimme Eures Gewissens – nehmt sie Euch zu Herzen!«

»Entfernt Euch!« sage Beiwart zu den Knechten, die mit verstörten Mienen sich erhoben … »Sohn …«

»Noch vieles ist zu bessern«, sagte Otfried – »vor allem sagt Euch von des Junkers Diensten los!«

»Es ist ein übler Dienst … Zum Werkzeug böser Dinge hat man mich gemacht – das Ärgste half ich heut' vollbringen! … Sohn – die Lotfahr ist nicht schuldig! Konnte ich sie retten – wär's noch Zeit!«

»Eilen wir zur Unglücksstätte! Ruft vor aller Welt die Untat aus! Entlarvt die Sonde und die Sünder! Noch ist's Zeit …«

»Zu spät …« erwiderte Beiwart mit tonloser Stimme, indem er in die Ferne starrte – »Die Flamme schlägt empor – umzüngelt ist die Unglückliche!«

»Ihr Himmlischen!« rief Otfried – »Und wie? Vernehmt Ihr nichts? Noch sterbend singt sie ein gottergeben Lied! … Wie eine Märtyrerin des Glaubens steht sie aufrecht – standhaft, ungebeugt ihr Auge zum höchsten Gott gerichtet! … Heldin! Siegerin! Verstumm Dein Mund auch bald in Rauch und Flammen – Dein Ruhm wird fort durch alle Zeiten tönen!«

In diesem Augenblicke hörte man Lotfahrs verzweiflungsvollen Ruf: »O rette sie! Mein Weib! Mein Weib! Brigitte!«

»Engel und Engelscharen, ist das nicht Lotfahr? Ist er zurück?« rief Otfried.

»Mein Weib! Brigitte!« fuhr Lotfahrs Stimme fort: »Helft und rettet! … Ach zu spät!«

Und mit diesen Worten stürzte der Unglückliche unweit der Eiche bewusstlos zu Boden …


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