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II.
Nach Jahren

 


 

Erstes Kapitel.
Umschau.

Wenn eine friedliche Stadt oder Gegend, jählings aufgeschreckt durch ein Verbrechen, eine Zeit lang in Aufregung, Entrüstung, Neugier und Teilnahme für die Betroffenen dahingelebt, beruhigen sich nach und nach die Gemüter wieder, und das Leben und Treibender Menschen nimmt den friedlichen Charakter von früher an; erst wenn die Richter ihr stilles Werk der Untersuchung vollendet haben und die Gerichtssäle die Tat mit allen ihren Motiven, psychologischen Rätseln und erklärenden Umständen dramatisch wieder aufleben lassen, erwacht auch die volle Kraft der Neugierde wieder, die Gerichtssäle werden belagert und erstürmt; die Blicke, glühend von sittlichem Zorn, suchen den Mörder auf der Anklagebank und zucken vor Grauen, indem sie ihn ersehen …

So haben auch wir die Gegend um Bingerbach in großer Bewegung nach einer schauderhaften, empörenden Tat gesehen und verlassen.

Allein die Ruhe der Gemüter musste hier umso früher wiederkehren, als das Verbrechen an der Pächterin in den Augen des Volkes den Schein der Gesetzlichkeit hatte und mit dem Tag des 1. Juli als abgetan betrachtet wurde. Zwar vernahmen die Leute mit großer Überraschung, dass der vielgefürchtete Schlossamtmann mitsamt seinem Sohne entflohen sei, der Junker auf dem Schlosse in Verhaft sich befinde und der Graf energische Anstrengungen mache, die Schuldigen und den letzten Grund des Verbrechens zu entdecken; die Spannung wuchs, in dem die Leute eines Tages vernahmen, der Gefährte und Hausfreund des Junkers, Braggen, sei es gewesen, der als Mönch der Pächterin die Kräuter und Gebete geschenkt, die ihr verderblich werden sollten; – allein indem sich bald darauf die Nachricht verbreitete und bestätigte, dass es Braggen gelang, aus dem Turm zu entfliehen, und dass des Junkers Haft in mehrjährige Verbannung aus der Nähe des Vaters verwandelt worden sei, da hielt man auch diese Nachuntersuchung für geschlossen. Für das Volk war es entscheidend, dass die Zeigen gegen die geopferte Lotfahr fest bei ihren Aussagen beharrten, dass sie auch jetzt noch behaupteten, sie habe Milch in Blut verwandelt, in ihren schönen Augen den bösen Blick gehabt usw. Und so legten sich die Wogen der Bewegung nach und nach, und das Vergangene wurde fast vergessen über dem äußeren Glücke, welches sich dem Hause Lotfahr in einer an Wunder grenzenden Fülle zuwendete …

Nach einigen Monden bereits war es höchst wahrscheinlich, dass in Sachen der unglücklichen Lotfahr sich kein Gerichtssaal mehr auftue und das Verbrechen mit erhöhtem Interesse vor die Schranken fordern werde. Diese Ansicht stand nach einem Jahre bei jedermann fest, und noch lange nachher ereignete sich nichts dem Widersprechendes …

Allein es gibt einen Richter. Wo das Auge der irdischen Wachsamkeit sich schließt, bleibt das allsehende Auge dieses Richters noch offen, und nicht in geschlossenen Räumen, hinter Schloss und Riegel, führt er seine Untersuchung, sondern in Feld und Wald, in Hütte und Palast, mitten in Freuden und Festlichkeiten der Welt. Wo der Schuldige in sicherem Behagen auf weichem Diwan sich wiegt, an äußeren Ehren reiche Ernte hält und mit triumphierendem Blicke die Ohnmacht irdischer Gerechtigkeit betrachtet, gerade da stellt der ewige Richter die Anklagebank plötzlich vor den Schuldigen, als Kläger erscheint das menschliche Herz, und das Urteil spricht wie im Kaufmann von Venedig ein jungfräulicher Mund … Und so trat auch eines Tages in Sachen der Pächterin Lotfahr der große, wunderbare Gerichtshof unerwartet ein und trag die Schuldigen, wo sie's am wenigsten erwarteten …

Halten wir, bis dieser Tag erscheint, bewegte Einkehr bei denjenigen, die wir im höchsten Jammer einst verlassen haben.

Wir entsinnen uns, dass Lotfahr und seine Kinder mitten in ihrem Weh um die Verlorene nach drei Idealen blickten: Reichtum, Macht und unbeugsame Wahrhaftigkeit. Durch sie, war ihre Meinung, hätte die Geopferte gerettet werden können; durch sie würden sie im Stande sein, für sich und andere Sicherheit und Wohl zu bereiten.

Von Kilian Lotfahr wissen wir, dass seine Sehnsucht nach Reichtum fast zur Stunde, da er sie aussprach, Erhörung fand; Graf Starrenberg beschenkte ihn mit einem seiner schönsten Güter.

Wie aber gingen die Gelüste seines Sohnes nach Macht und Ansehen in Erfüllung? Was erntete die arme Burgei für ihre Liebe zur Wahrheit, die der Welt so unbequem zu werden pflegt? …

Lassen wir uns zunächst mit dem Eintritt in das Vaterhaus genügen; soll hier Wohl und Weh der Kinder nicht am besten zu erfahren sein? …

Allein was bedeutet das! Ist ein unerhörtes Wunder geschehen? Ein feenhaftes Schloss erhebt sich vor unseren Blicken; ein Fest wird vorbereitet, wo wir zwar glückliche Menschen, aber in bescheidener Stille lebend, zu finden hofften? … Doch treten wir ein …


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