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Drittes Kapitel.
Um den Preis der Ehre.

Der Abend war angebrochen. Die Tafel entfaltete seit einer Stunde die erlesensten Genüsse. Trommelwirbel und Trompetenschall erklangen, wenn hie und da ein Trinkspruch ausgebracht wurde. Die Klänge der Musik nahmen ihren Weg fast ungeschwächt durch die offenen Fenster des Tafelsaales und verloren sich in den feenhaft beleuchteten Räumen des anstoßenden Gartens, die übrigens von Gästen noch leer waren. höchstens ein Diener in prächtiger Livrée schlüpfte dann und wann zwischen den Gebüschen nach einem Hinterpförtchen, um sich dort eines tuchumwickelten Packes zu entledigen.

Endlich – als die Tafel sich bereits dem Ende näherte – erschien eine männliche Gestalt, die ihrem Anzuge nach nicht zu den Gästen gehörte, hinter dem linken Schlossflügel, wo bis auf zwei Fenster alle übrigen in der schönsten Beleuchtung prangten.

Die Gestalt war in einen grauen Mantel gehüllt und blieb nach einer Weile genauen Forschens unter den zwei dunklen Fenstern stehen.

Es schien, als warte der ungeladene Gast auf ein Zeichen von oben, denn er blickte eine Weile ernst und unverwandt nach den dunklen Fenstern …

»Alle stille … Kein Lebenszeichen!« sagte die Gestalt jetzt und schlug den Mantel zurück, um bei der noch immer warmen Temperatur des Abends besser Luft zu schöpfen.

Es war Otfried.

Er war gekommen, um, wie Burgei gewünscht hatte, nahe zu sein und ihr, wenn es nötig sein sollte, Zeugenschaft zu geben.

Was Burgei im Schilde führe, wusste er ebenso wenig als alle anderen – und nur durch Erkundigung hatte er erfahren, dass droben die zwei dunklen Fenster zu ihrem Wohnzimmer gehörten.

Die von Zeit zu Zeit auflärmenden Tusche stimmten seltsam zu der tief bewegten Stimmung des jungen Mannes, und er fing nach einer Weile an, seine Anwesenheit für überflüssig, ja bedenkich zu halten, wenn er früher als etwa Burgei es wünschte, von jemand entdeckt und angehalten würde.

Indem er noch bedachte, ob er sich wieder zurückziehen solle, gewahrte er eine andere männliche Gestalt, die denselben Eingang gefunden hatte wie er selbst. Die Gestalt war in einen weißen Husarenmantel gehüllt und schlich mit großer Vorsicht näher und gegen die Ecke des Schlossflügels hin.

Unter den dunklen Fenstern schien der Fremde nichts suchen zu wollen, ihn zog es vielmehr nach jenem Teil des Schlosses hin, wo die Tafel eben zu Ende ging.

Otfried fand es unter diesen Umständen leicht, hinter einem Baume unentdeckt zu bleiben, und dann, als der Husar vorübergeschlichen war, in einiger Entfernung ungesehen zu folgen …

Ein langer, dreimal wiederholter Tusch kündigte jetzt das Ende der Tafel an, von der man sich nach dem Geräusche und den Stimmen, die an den offenen Fenstern hörbar wurden, soeben erhob …

Zwei Männer waren es, welche, allen Gästen voran, die Treppe zum Gartensalon herunterkamen, offenbar in der Absicht, einen Augenblick allein zu sein und das Herz sich durch eine Mitteilung zu erleichtern.

Kilian Lotfahr war es und sein Sohn Remi. …

»Nur einen Augenblick allein mit Dir«, sagte Lotfahr, von Wein und Freude aufgeregt, »dass ich Dir sagen kann, wie froh, wie glücklich ich bin!«

»Das freut mich – freut mich wirklich«, sagte Remi, in Haltung und Sprache sehr vornehm, ein Ordensband im Knopfloche.«

»Solche Gäste in meinem Haus! Und alle vergnügt und zufrieden!« rief Lotfahr.

»Inmitten so vielen Glanzes – bei solcher Bewirtung kein Wunder, Vater.«

»Welche Liebe, welche Ehre ist mir angetan worden! Ich, der Schwager des allmächtigen Präsidenten! Ich mit solchen Toasten beehrt! Ein Muster von Bürger und Wirt genannt! Eine Ehre müsse man es nennen – hat der Präsident nicht so gesagt? – eine Ehre, mit mir in Verbindung zu treten!«

»Die eigenen Worte des Präsidenten …« sagte Remi.

»O Sohn!« fuhr Lotfahr in erhöhter Stimmung fort: »Nie hab' ich besser gefühlt, was Ehre heißt – was es sagen will in Achtung und Ansehen vor der Welt dazustehen! Es ist das Schönste und Höchste, es hebt den Menschen heraus aus der dunkeln, nichtsbedeutenden Menge und stellt ihn glänzend hin und macht ihn beneidenswert, und alles drängt sich um ihn, einen Blick, einen Druck der Hand, ein freundliches Wort zu erlangen!«

»Es ist das Höchste und Schönste, Vater. Ein Mensch ohne Ansehen und Macht – ohne Stellung – zählt nicht mit unter den Geschöpfen, welche Beachtung verdienen. Der Zug, sich hervorzutun – sich durchzukämpfen durch die ringende Menge nach erhabenen Stellen, die Glanz, Macht und Respekt gewähren – er ist der vornehmste Zug der menschlichen Brust. Wer diesen Zug nicht fühlt, ist eine gemeine Natur; ein Schwächling, wer ihm nicht durch alle Hindernisse zu folgen wagt; ein Narr, der sein Gewissen zu Rate zieht über Anfechtungen, welche auf dem Wege liegen!«

Lotfahr sah mit Bewunderung zu seinem Sohne auf.

»Du bis durchgedrungen!« rief er aus: »Was stellst Du dar? Wie begegnet Dir Respekt auf Schritt und Tritt! Wie ein Kornfeld im Winde neigt man sich vor Dir, wo Du hintrittst – Sohn! Mein Sohn! … Verzeih', dass eine Träne des Entzückens meine Wange netzt! … Und es sind wohl große Hindernisse, schwere Anfechtungen, bis man eine Stellung am Hofe erringt und seine Geltung hat?«

»Es ist der Kampf und Sturm über einen schmalen Steg«, erwiderte Remi: »Hinter sich hat man drängende Feinde, vor und neben sich Rücksichtslose, die desselben Weges wollen; wer nicht verdrängt sein will – muss verdrängen; wer nicht gestürzt sein will – muss stürzen; wer an das Ufer des Sieges, der Macht und des Glanzes will – und ginge an seiner Seite Freund und Bruder – der eigene Vater gar – hinunter in den reißenden Strom, wer uns den Rang ablaufen – und hindern wollte, vorwärts zu kommen!«

»Ach – ein schwerer Kampf, vielleicht zu schwer«, sagte Lotfahr etwas kleinlaut über diese Darstellung des Sohnes: »Und ist man am Ufer – ist man dann geborgen?«

»Man ist es nicht!« sagte Remi, und seine Stirne legt sich in Falten: »Man wird es eigentlich nie. Der Ehrgeizigen sind zu viele über den Steg gekommen, und die Stellung, die man erlangt, wird nur durch neue Kämpfe, durch Anwendung aller Mittel gesichert. Von einer Laune des Fürsten, von einer glücklich angelegten Intrige, von Hass oder Liebe einer einflussreichen Persönlichkeit hängt das Wohl und Weh – die Festigkeit unserer Stellung – die Möglichkeit unseres Fortschritts zu neuen Ehren – hängt unser Glück und alles ab!«

»Und da ist es gut und rätlich – sich mächtige Freunde …« sagte Lotfahr leise behutsam tastend.

»Die Kasse meines Vaters hat manche Hand zu meiner Stütze gemacht«, erwiderte Remi mit realistischer Aufrichtigkeit, lächelnd.

»Besonders …« fuhr Lotfahr fort, »sind wohl Familienverbindungen mit vornehmen Personen zu suchen?«

»Das hat mich an das Haus des Präsidenten gefesselt«, gestand Remi ganz offen.

»Fallen diese Verbindungen für das Glück des Hauses immer gut aus?« fragte Lotfahr etwas verlegen.

»Da man ein einer Welt eigener Verhältnisse lebt – findet wenigstens der Schein seine Rechnung«, sagte Remi.

»Und Treue, Liebe, Häuslichkeit?«

»Man trifft sie – vielleicht öfter, als man denkt – doch müssen Glanz und Festigkeit der äußeren Stellung in vielen Fällen entschädigen.«

»Was hoffentlich bei dir nicht der Fall sein wird«, sagte Lotfahr mit großer Verlegenheit. »Du kanntest Deine Braut schon lange vor der Verlobung?«

»Ich sah sie heute zum ersten Male. Sie wurde seit Jahren in den besten Instituten erzogen.«

»Und über ihr Herz – ihren Charakter, ihre Grundsätze? …«

»Richten Siesolche Fragen an niemand als an mich«, sagte Remi, vornehm lächelnd. »Man muss seinen bürgerlichen Gesichtskreis nicht jeden Augenblick verraten. Sehen Sie nicht, was Helene darstellt? Fein, vornehm, musterhaft und sicher unter Ihresgleichen – wird sie repräsentieren! Nachdem mich ihr Porträt beruhigt, dass sie von Natur – wenn nicht bevorzugt, doch auch nicht vernachlässigt ist – habe ich getrost die Zusage des Präsidenten als glänzendes Glück aufnehmen dürfen.«

»Wohl – nun wohl …«

»Und wie eminent sie durch Charakter und Sitte hervorragt, hat sie das nicht glänzend gezeigt, seit sie hier im Hause ist?«

»Recht – ganz recht«, erwiderte Lotfahr verlegen.

»Die Schwester – vor Kurzem noch Institutsgenossin derselben – heute noch Reisegefährtin in Helenes Wagen – zieht sich zurück, schließt sich ab wie eine ungezogene Plebejerin, während Helene – die Tochter des Präsidenten – mit fliegenden Pulsen den Augenblick kaum erwarten kann, Burgei zu sprechen – ihre Freude auszudrücken, dass sie in ihrem Bruder den Verlobten gefunden! … Ein tiefer Ingrimm sitzt mir in der Brust über dieses Benehmen der Schwester – unerbittlich hätte ich sie zur Rechenschaft gezogen, wäre der Tag zu einer Szene geeignet! Vater – dass ich's nur sage: eine Last hängt an den Fersen unseres Glückes – ihr Name ist Burgei!«

»Mein Sohn …«

»Ich weiß am besten, was der flüchtige Schatten auf der Stirne des Präsidenten bedeutete, als ihm seine Tochter meldet – Burgei, die Tochter des Hauses, die Instituts- und Reisegefährtin – habe sie gar nicht vorgelassen!«

»Mein Sohn!« stotterte Lotfahr peinlich verlegen.

»Wie dieser Schatten seitdem wiederkehrt, sooft der Name Burgei genannt wird oder der leiseste Umstand an unsere Abkunft erinnert!«

»Du glaubst, dass der Präsident …«

»Ich weiß, dass das Benehmen der Schwester und manches, was niemand sonst merkt – den Präsidenten wünschen lässt, bald in die Residenz zurückzukehren, um nicht länger und zu viel an das Haus erinnert zu werden, das er der Ehre einer näheren Verbindung gewürdigt!«

»Willst Du mich trostlos – unglücklich machen?« rief Lotfahr zerknirscht.

»Sie werden unglücklich werden, Sie und ich, wenn Sie nicht Mittel schaffen, dass Helene vor ihrer Abreise noch Revanche geboten wird für ein so plebejisches Betragender Schwester! Der Präsident muss wissen, ob unserem Blute dieser grobe Tropfen ungestraft angehören darf oder nicht!«

»Sie soll – sie soll erfahren …« sagte Lotfahr, sich ernstlich ereifernd.

»Mein Glück und meine Ehre sind Ihr Glück und Ihre Ehre, Vater …«

»Ja, mein Glück – meine Ehre – wenn ich recht verstanden habe …«

Die Erscheinung Helenes, die offenbar einen Augenblick vor der Gesellschaft sich entfernen wollte, um allein zu sein, unterbrach hier die Unterredung zwischen Vater und Sohn. Sie hatte einen eben erbrochenen Brief in der Hand und las ihn mit Unruhe, ja ängstlicher Hast.

»Helene! Allein – und so aufgeregt?« sagte Remi teilnehmend und ihr entgegen kommend.

»Sie hier?« erwiderte Helene zusammenschreckend und den Brief versteckend – »Ich wollte unbemerkt soeben – einen letzten Versuch machen …«

»Meine Schwester zu sehen?« fiel Remi ins Wort – »Nimmermehr! Sie sollen Genugtuung haben! In meinem und meines Vaters Namen!«

»Ja, in meinem …« sagte Lotfahr wie betäubt.

»Und diese Genugtuung muss umso glänzender ausfallen, je größer Ihr eigenes Herz ist!«

» O nein, mein Lieber«, erwiderte Helene mit künstlicher Ruhe und Resignation: »Nichts von Revanche. Mir genügt zu wissen – was man von Burgeis Reden und Benehmen zu halten habe!«

Ein Diener, welcher in diesem Momente die Ankunft des Grafen von Starrenberg meldete, kam ihr offenbar sehr gelegen, denn er befreite sie jedenfalls von der Gegenwart ihres Schwiegervaters – wenn nicht auch von der Nähe ihres Verlobten.

Lotfahr empfahl sich in der Tat sofort, um den angekommenen Grafen zu begrüßen, und wollte sich nur noch durch die Worte empfehlen:

»Alles gnädiges Fräulein – was ein erzürntes Vaterherz vermag – für Ihre Ehre!«

Leider wollte Remi seine Verlobte nicht sobald wider ohne Begleitung lassen; er bot ihr seinen Arm und wollte sie zu der Gesellschaft zurückführen. Allein sie wusste sich zu helfen und sagte:

»Remi – ich habe auf dem Weg hierher einen Handschuh verloren …«

Dergleichen Winke lässt sich ein Liebender oder Verlobter nicht zwei Male geben – Remi sagte auch sogleich:

»Erlauben Sie mir, der glückliche Finder zu sein!«

Remi hatte sich kaum entfernt, als Helene den Brief wieder hastig hervorzog und las.

»Er ist mir wirklich gefolgt?« rief sie dazwischen: »Er ist in der Nähe? Er will mich sprechen?«

In diesem Augenblick erschien ein Husar, in einen Mantel gehüllt, an der Gartentüre.

»Ah – welch' ein Dränger!« rief Helene erschrocken und erfreut.

»Verzeihung!« rief der Husar, in den Salon eilend, da er Helene allein sah – »Meine Sehnsucht war nicht zu bändigen! … Nur drei Worte! … Wo sehe ich Sie wieder?«

»Ich werde meinen Vater acht Tage hier zurückhalten … Bleiben Sie nahe …«

»Ich wird im Schlosse des Grafen von Starrenberg …«

»Dann erwarten Sie dort das Weitere«, sagte Helene, sich ängstlich umsehend: »Leben Sie wohl! Man kommt!«

»Süße Helene! Gute Nacht!« rief der Husar und ließ sich auf ein Knie nieder, um Helenes Hand zu küssen; dann sprang er auf und eilte nach dem Garten und dem Ausgange aus demselben zu, um nicht entdeckt zu werden – eine Vorsicht, welche zu spät in Anwendung kam, da Otfried, in seinen Mantel gehüllt, der kurzen Begegnung des Husaren mit Helene durch die offene Salontüre zugesehen hatte und nun dem davoneilenden Abenteurer folgte.

»Er ist's – Braggen!« murmelte Otfried, aus dem Garten auf die Straße tretend; er zog finster entschlossen den Hut tiefer in die Stirne und suchte den Abenteurer einzuholen …


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