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Zweites Kapitel.
Ein Bote des Friedens. Vorbote des Leidens.

Um die Zeit des eben geschilderten Vorfalls stiegen zwei Wanderer, von einer Reise kommend, zwischen Fels und Wald einen viel gewundenen Geländersteig herab und traten aus dem Schatten in das Tal von Bingerbach heraus.

Wären die Männer nicht so ernst in ein Gespräch vertieft gewesen, die Schönheit des Tales, geschmückt zunächst durch die majestätische Gestalt einer Eiche und weiterhin eingerahmt von grünem Hügel- und Bergland, hätte ihnen einen Ruf der Freude entlocken müssen. Bei dem einen – einer ansehnlichen Pächtergestalt – schien der Anblick auch seine Wirkung nicht zu verfehlen, denn er blieb nach einigen Schritten im Schatten der Eiche stehen, atmete froh bewegt und sagte, um sich blickend:

»Da sind wir, Gott sei Dank! Ja, verreisen muss man, um so recht von Herzen sein teures Heim zu lieben … Nun lebt wohl, lieber Herr. Das ist der Weg zur Starrenburg. Ihr werdet den Junker wohl antreffen.«

»Lebt wohl!« erwiderte der andere: »Sagt jedermann: der Krieg ist aus! Ist er auch nicht in diese Gegend gedrungen, er hat sich doch wohl fühlbar gemacht.«

»Die Geschäfte stockten. Sicherheit und Sitten nahmen ab. Wir werden uns doppelt des Friedens freuen, da der regierende Graf, ein Vater des Volkes, wiederkehrt.«

»Das lautet nicht, als ob der Junker Stellvertreter löblich regierte. War er hart mit den Leuten? Ließ er es an Recht und Gerechtigkeit fehlen?«

Der Gefragte reichte ihm die Hand und sagte: »Nichts für ungut. Aber er ist mein Herr. Von dem schönen Pachte, den er uns lässt, ernähr' ich mich und die Meinen – und er hat mir manche Gnade – besonders in der letzten Zeit erwiesen.«

»Ihr seid ein wackerer Mann; erhalt' Euch Gott in seiner Gnade!«

Mit diesen Worten folgte derselbe seinem Pfade, rechts die Halde hin, während ihm der Bleibenden – es war der Pächter Lotfahr – mit den Augen folgte und dachte:

»Ist mir doch, als schiede ein Freund von mir. Das ist kein gewöhnlicher Bote, den der Graf hier sendet. Was mag er bringen? … Was frag' ich auch? … Ich bin daheim! Dort ist mein Dorf. Das rote Dach des Pachthofes blickt herüber. Weib und Kinder soll ich wieder sehen – Was geht mir näher?«

Indem er nach dem Dorfe einlenken wollte, sah er eben ein kleines Mädchen des Weges kommen und dachte: »Sieh' da, ein Kindlein begegnet mir zuerst – o gute Vorbedeutung! … Grüß' Dich Gott! Wie geht Dir's, Vefele?«

Vefele, einen Handkorb tragend, stieß einen Schrei aus und blieb wie angewurzelt stehen. »Der Pächter Kilian!« rief sie dann und sah mit starren Blicken auf.

»Der bin ich, Kind; wird man zum Wunder, wenn man einen Monat ferne ist?«

»Ihr Engel steht mir bei!« sagte Vefele und entfloh.

Kilian wollte seinen Weg fortsetzen, als er seinem Nachbarn, einen Rechen über der Schulter, vorüberkommen sah. »Hm, hm – ja, ja – du arge Welt, du krause Welt!« brummte der Nachbar vor sich hin.

»Hehner, guten Tag – so ernsthaft in Gedanken?« fragte Lotfahr.

»Ihr da?« sagte Hehner und starrte ihn an.

»Warum denn nicht? Wenn einen der Junker verschickt, soll man da gar nicht wieder kommen?«

»Ihr kommt zu früh – Ihr kommt zu spät. … Nehmt's, wie Ihr wollt – erlaubt, das ich mich spute!«

Hiermit entfernte sich Hehner unter Zeichen der Verwirrung.

»Ist das erhört?« rief Kilian Lotfahr: Bin ich denn noch, der ich bin? … Doch sieh' – da kommt mein Schäfer!«

Dieser erschien in einem Aufzug, welcher keineswegs zur Erbauung des betroffenen Pächters beitrug. Einen Korb auf dem Rücken, kam er in komisch-schmerzlicher Aufregung des Weges und sang oder klagte vielmehr sein Leid in Worten des alten Liedes:

 

Du liebe Not, Du trübe Not,
Was machst Du uns für Pein;
Ja heute rot und morgen tot,
Soll unser Los hier sein!
(Schluchzend)
O, o – ach, ach!
O, o – ach, ach!

Was machst Du uns für Pein,
Ja, heute rot und morgen tot,
Soll unser Los hier sein!
(Auffahrend)
Ich wollt' ich wär' ein großer Held
Und hätt' ein Schwert, o Lust!
Ich rennte dieser argen Welt
Es mitten durch die Brust.
(Schluchzend)
O, o – ach, ach!
O, o – ach, ach!

Und hätt' ein Schwert, o Lust!
Ich rennte dieser argen Welt
Es mitten durch die Brust!

 

»Um Himmels willen!« rief Lotfahr –

»In welchem Aufzug und Zustand kommst Du da?«

Tobias schlug die Hände zusammen und schrie: »Ah – ah!«

»Nun, was sperrst Du Mund und Augen auf, als stünde am hellen Tage ein Gespenst vor Dir? Kennst Du mich nicht?«

»Ja, ja«, sagte der Schäfer und wich verlegen und zitternd zurück: »Ihr seid es, Meister – Ihr – und nicht Euer Geist!«

»Nun, so wird es mit zu bunt. Ihr habt Euch alle verschworen, mich zum Besten zu haben. So wie du betragen sich Jung und Alt, wer mir auch begegnet! Was hab' ich an mir? Hat mich die Reisen in einen Drachen verwandelt? Was glotzt Ihr mich an – schreit und zittert wie vor einem Ungeheuer, das unter Dampf und Krachen aus dem Boden steigt?«

»O, das ist es nicht – das nicht!«

»So ist es was anderes – heraus damit!«

»O, mein Herr und ach, mein Meister!« rief Tobias und fiel, die Hände faltend, auf die Knie.

»Davon wird meine Neugier nicht satt! Was ist geschehen? Wo willst Du in diesem Aufzug hin?«

»Fort, Meister, fort! So weit die Füße mich tragen!«

»Gegen meinen Willen? Muss ich's erleben, dass mir mein treuester Knecht abwendig wird? Du solltest mir den Pachthof führen, wacker mein Haus behüten und Weib und Kinder schützen. Da seh' ich Dich treulos das Weite suchen – Dich, den ich von Kindesbeinen an aus Not und Elend gerissen, in Schutz und Obhut genommen!«

Zu Füßen des Pächters flehte der Schäfer: »Verzeiht, Meister, verzeiht! Wo nichts ist, da hat der Tod – das heißt, wo der Tod nicht ist, da hat das Recht sein Leben verloren! … Meister! Nennt mich betrübt, verrückt, was Ihr wollt – nur nicht treulos, fasche! … O Gott, ach Gott!«

»Bleib aufrecht und red' auch so!« sagte der Pächter.

»Ja, ja – ich will's«, erwiderte Tobias und dachte: ‚Ob ich's aber kann, ist eine andere Frage!' … »O, Meister!« fuhr er fort, »die vier Wochen, die Ihr fort gewesen, hätten bald alles umgekehrt; kein Ziegel auf dem Dach war sicher, kein Wort im Munde und kein Leben im Leibe!«

»Hat mein Haus, meine Familie was betroffen?«

»Euer Hau? Eure Familie?« sagte Tobias. ‚Kann ich ihm's sagen?' dachte er. »O, das nicht«, fuhr er fort, aber euer Nachbar Lehner.«

»Ihn?« fragte Lotfahr.

‚Ich will ihm sagen', dachte Tobias, ‚das der Lehner tot ist – das wird ihn vorbereiten.'

»Nun, was ist's?«

»Lehner hat ausgerungen …«

»Ausgerungen? Er ist ja eben hier vorübergegangen!«

»Das hätte er getan? Da hat er mehr getan, als er sich herausnehmen durfte … Nun, ich will ihn nicht vorsätzlich töten – er war's also nicht, der ausgerungen; – es war … Ist der Nachbar Balzer auch vorübergegangen?«

»Nein.«

»Das lässt sich denken. Der eben hat ausgerungen. Ja, das hat er – und, o Meister – sein ganzes Haus uns seine Familie ist geliefert.«

»Beim Himmel, wieso?«

»Unholderei! Teufelswerk! Zauberei! O, es war, als hätte das Unwesen nur gewartet, bis Ihr zum Tempel hinaus seid, sogleich nahm's überhand! Man hörte von nichts mehr als von verhexten Tieren, gemachten Sturmwettern, Anfechtungen des Teufels, bockartigen Mantelfahrern und Gabelträgern – kurz, von Nachtfreuen, Nebelhexen, Galsterweibern, Schmalzflügeln und Teufelsbuhlen!«

»Da trieb ja der Sturm den Unsinn so dicht herbei, wie Wachteln in der Wüste!«

»Und zieht – was das Schlimmste ist – Prozesse, Folter und Scheiterhaufen nach sich! … Auch Eure Base, die Balzerin, ist so ins Elend gekommen.«

»Meine Base?«

»Man will sie gesehen haben, wie sie unter dem Baum da Wurzeln gegraben, Gebete gemurmelt, Samen von Natternkraut gestreut und mit Geistern gesprochen habe. Ein wandernder Mönch ist bei ihr gewesen, man sagt, er habe ihr Unterricht im Zaubern gegeben. Sie soll Milch in Blut, Korn in Sand und Staub verwandelt, Weiber mit Reißen und Männer mit Hexenschuss heimgesucht haben, da hat man sie eingefangen, peinlich verhört – und ob sie gleich nichts gestanden – zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt! … Ach – und die Kinder hat man in den Turm geworfen, es heißt, man wolle das Haus der Armen der Erde gleich machen, die Felder der Kirche schenken und die ganze Verwandtschaft aus der Welt befördern. – Heute wird die Balzerin gerichtet – dort oben im Turme sitzt die Arme, – da drüben ist der Scheiterhaufen aufgerichtet … O, die Unschuld – die arme Unschuld! Die Balzerin kann keine Zauberin sein, ist keine, niemand glaubt's als die blutigen Riecht! … O wär' ich fort, ich kann das nicht mit ansehen! Meister, merkt Ihr jetzt, warum ich ganz auseinander bin, fort will?«

»Du bringst mir eine schwere Kunde«, sagte der Pächter, von Schrecken und Weh ergriffen.

‚Wie er blass wird und dreinsieht', dachte Tobias und sagt dann bald laut und bald für sich: »Ach, lieber Meister … Wenn er erst wüsst, dass sein eigenes Weib und nicht die Balzerin zumTode verurteilt ist! … Kommt, kommt! Nehmt Euch zusammen! Da Ihr zurück seid, kehr' ich auch wieder um – wenn wir tapfer zusammenhalten, überleben wir's vielleicht!«

»Der Balzer im besten Alter tot!« sagte Lotfahr kummervoll, »sein Weib, ein Muster an Ehren, verketzert und die lieben Kindlein im Turm … O Zeit, o Welt! … Wer erlebt noch den nächsten Tag? Wer ist sicher vor dem Gericht? Wem lässt die Sorge um die Kindlein noch eine ruhig Stunde?«

»Gehen wir, gehen wir«, sagte Tobias und dachte: ‚Wär' ich tausend Meilen von hier! Unterwegs will ich seh'n, wie ich' anstell' – ich fall' wie eine Blanke vor ihm um, die gefalteten Hände auf und sag', was ich weiß!'

»Könnte ich helfen, oder wär' ich später heimgekommen«, sagte Lotfahr tiefbeschwerten Herzens: »Armer Nachbar! Arme Base!«

»Armer Meister!« seufzte Tobias vor sich hin …

In diesem Augenblick hörte man einen fernen, dumpfen Gesang.

»Der Trauerzug im Schloss bricht auf!« rief Tobias: »Hört Ihr's? … Ah – und dort kommt der Junker! Sagt ihm gleich, dass Ihr zurück seid …«

»Da kann ich ein Wort für meine Base einlegen, vielleicht kann's noch helfen«, sagte Kilian Lotfahr …


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