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Format Das Männchen

Bernhard Männchen!

Bis ihn eines Tages der Tieß Bertz hinaussetzte und die Tür hinter ihm abschloß.

Das Verhältnis der beiden Direktoren der Werkgesellschaft zueinander war ein krankgeborenes Kind. Auf die Dauer mußte die Doppelheit der Leitung durch die Vormachtstellung des einen abgelöst werden. Tieß Bertz griff dreist aus seinem betriebstechnischen Gebiete in das der allgemeinen Leitung hinüber, und der überraschend schnelle Erfolg seiner geschäftlichen Versuche war die Rechtfertigung. Es gab heftige Szenen. Tieß Bertz ließ sich ohne ein Wort der Erwiderung zurechtweisen und tat am andern Tag nach seinem Belieben. Dabei sah sein Gesicht immer so ruhig und selbstverständlich aus wie eine Tafel voll Einmaleins. Menniken in Zorn, Protest und Beschwerde; da wurde einmal auch Tieß Bertz aus seiner starren Unempfindlichkeit gerissen, einen Augenblick liest er seine weißen schneidigen Zähne sehen, dann war ein hämischer Zug um seinen Mund, als er das große Wort für Mitleid und Geringschätzung sprach: »Armer Hals!« Und ging ruhig und unauffällig fort.

Und nun packte er ihn. Unversehens, wie der eine von zwei Ringern nach langem, scheinbar gleichgültigen Kampfe plötzlich den andern bei der Hüfte faßt, ihn jäh aufhebt und blitzschnell zu Boden wirft – er liegt besiegt und beschämt an der Erde.

Das Leben des Tieß Bertz wies eine merkwürdige Zufälligkeit auf, wie fast jedes Dasein eine hat, der Nagel, an dem sich die Erinnerungen an einen Menschen, seine Taten und Tugenden, anknüpfen; Tieß Bertz hatte bei allen wichtigen Ereignissen seines Lebens ein Gerstenkorn am Auge: am Tage seiner ersten Kommunion, am Tage seiner Hochzeit; schließlich ist er auch mit einem Gerstenkorn selig im Herrn entschlafen.

Zunächst aber lebte er noch und war eine überaus gefährliche Macht.

Wie, und Tieß Bertz sollte keinen stehenden Beinamen haben? Er hätte kein rechter Kerl sein müssen. Er hatte einen. Er hieß bürgerlich: Hubert Voller, nach seines Vaters Mathias und seinem Vornamen Hubert gerufen: Tieß Bertz, zubenannt: der verlorene Sohn. Harmloserweise. Es hatte nämlich von seiner Mutter geheißen, sie gebäre so leicht und schnell, daß sie ihre Kinder verlöre. Sie soll ihn auf dem Kirchwege in der Wiese, welche »Bethanien« heißt, beinah »verloren« haben.

Im Aufsichtsrat der Gesellschaft stand der Bau von Arbeiterhäusern zur Verhandlung. Immer mehr des jungen Volkes war, wenn es an den Sonntagen oder den Festen des Jahres in die Heimat kam, zurückgeblieben und hatte sich ansässig gemacht. Was jetzt noch von Einheimischen in der Fremde weilte, das, durfte man annehmen, würde nicht mehr zurückkehren. In den Häusern wurde es eng. Anfangs rückte man zusammen. Aber einmal an Behäbigkeit und Weiträumigkeit gewohnt, wurde man bald unzufrieden. Wohnungsnot war da. Darum verhandelte man im Aufsichtsrat über den Bau von Arbeiterhäusern.

Bernhard Menniken konnte mit dem äußeren Verlauf der Dinge zufrieden sein. Was er gewollt, war im allgemeinen erreicht. Nun flammte ihm wieder mächtig der Sinn. Er legte den ausführlich ausgearbeiteten Plan einer Art Erbbaupachtvertrages vor.

Von Erbbaupacht hatten die meisten der Räte, es waren der Speckkopf, Tieß Bertz, der doppelte Michel, der stille Lenates, der geräuschvolle Peterpauls Hary, ein benachbarter Notar und einige andre, noch nie etwas gehört. Aber sie ließen sich nicht durch Worte verblüffen. Also wohl, Erbbaupacht! Er sollte nur einmal auskramen! Doch lächelten einige von ihnen spöttisch, denn sie hielten den Gedanken wieder für einen idealen Spuk.

»Gebaut wird auf der Fläche der vor sechzig Jahren von unsern Vätern aufgefahrenen leeren Halden, die nunmehr hinreichend fest sind. Der Grund ist rein verdient. Die Baupolizei wird keine Schwierigkeiten machen. Außerdem ist der Baugrund pulvertrocken.«

So! Aha! Das ließ sich hören! Das Lächeln der Geringschätzung war vor den trockenen Angaben verschwunden. »Er ist doch ein Märchenprinz«, flüsterte der doppelte Michel dem Notar zu. Mit Schreck gewahrte es der Tieß Bertz.

»Da wir für die Gesellschaftsgründung alle Aktien in unserm Lande haben unterbringen können, so sind, scheint mir, unsre örtlichen Geldkräfte genügend angespannt und wir werden uns nach auswärtigem Kapital umsehen müssen. Es werden nur Einfamilienhäuser gebaut. Sie werden abgetreten auf sechsundsechzig Jahre. Dafür wird eine Rente gezahlt, welche die Zinsen des Kapitals deckt und die Bausumme allmählich tilgt. Die Unterhaltungskosten tragen die Pächter. Nach sechsundsechzig Jahren ist die Gesellschaft Eigentümerin der schuldenfreien Häuser.«

»Ausgezeichnet!«

Tieß Bertz barst vor Neid. Aber seine Finanzkraft war aufs tiefste angeregt.

Bernhard Menniken, aufrecht am Tische stehend, die Seele in Erregung, war so unvorsichtig, den Gedanken fallen zu lassen: »Auf diese Weise machen wir die Leute ansässig, machen sie für zwei Generationen zu Eigentümern und erwecken Heimatsgefühl in ihnen.«

Einige bliesen wieder das Lüftchen der Geringschätzung durch die Nase.

Nur einer hatte dafür Verständnis, Lenates, der Junggeselle. Er hatte ein wenig Kultur. Er pflegte auch Zähne und Nägel. Er hatte so weiche Hände wie eine Hebamme und war verschwiegen wie ein Zahnarzt. Die andern waren gesunde Bursche, nicht angekränkelt von Idealen, und hatten alle ein gewisses Naturgenie. Der Notar war ein stilloser Emporkömmling, hatte eine schlechtsitzende Halsbinde und eine reiche Frau. Mennikens Stern neigte sich wieder nach unten. Sie fingen bereits wieder an, an Fantasterei zu glauben. Der doppelte Michel sagte: »Aufrechnen!«

»Rauch und Wolken lassen sich nicht berechnen nach meinem dummen Dunk«, höhnte Tieß Bertz.

»Der Zins mit Amortisation darf den ortsüblichen Mietpreis nicht übersteigen. Das ist sehr leicht zu erreichen.«

»Haha, bei viereinhalb Prozent Anleihezinsen, der Amortisation und der Abnutzungsentschädigung«, höhnte Tieß Bertz. Er sah dabei sehr häßlich aus.

»Für solche öffentlichen Zwecke, besonders für einen sozialen, wie dieser ist, leiht der Staat Geld zu drei Prozent, wenn Sicherheit geboten wird, daß die Gruben nicht etwa in kurzer Zeit erschöpft und die Arbeiterhäuser dadurch wertlos werden. Diese Sicherheit, denke ich, können wir, die Gesellschaft als Ganzes, wohl bieten; denn man kann an unserm überall zutage tretenden Steinzuge sehen, daß zweihundert Jahre nicht hinreichen, die Masse abzubauen. Ein mir bekannter Geologe hat auch in diesem Sinne sein Gutachten abgegeben. Hier der Brief, der uns auf meine Anfrage die Zusicherung erteilt.«

Im Augenblick schlug die Stimmung wieder um.

Drei Prozent! Das ist ja nicht möglich! Das ist ja nie dagewesen! Das Finanzgenie im Tieß Bertz war durch diese Zahl so mächtig gepackt, daß für einen Augenblick sogar Neid und Hast still waren. Drei Prozent! Er hatte ein Gefühl, als hätte er gern zu diesem Fuße irgendeine Summe auf seinen Besitz aufgenommen, einzig um das Vergnügen zu haben, nur drei Prozent zahlen zu müssen. Auf dem bärtigen Gesicht des doppelten Michel, das sonst so finster war wie ein Tannenforst, war plötzlich eitel Sonnenschein und Unschuld. Der Speckkopf mit dem runden Schädel eines Bullen und dem Fett einer Muttersau machte sein süßestes Maul. Lenates wackelte mit dem Kopf und meinte: »Drei Prozent ist drei Prozent.« Peterpauls Hary, der Riese, der reiche Diepenbender, brummte einmal gewaltig, wie die Kühe es tun, wenn sie winters im warmen Stalle vor vollen Krippen stehen. Alle Teile waren zufrieden und guter Dinge.

Nur Tieß Bertz nicht, den Neid und Ränke wieder erfüllten, sobald sein Finanzgenie sich von dem Schwächeanfall der drei Prozent erholt hatte.

Menniken aber war der Mann des Tages.

Zu einer Beschlußfassung kam es nicht, dafür sorgte der andre Direktor. Aber obgleich Tieß Bertz mit der ganzen Schwere seiner Person für eine langfristige Vertagung eintrat, so erreichte er nicht mehr, als daß man am folgenden Tage wieder zusammentreten solle. Konnten bis dahin auch genaue Aufrechnungen nicht vorgelegt werden, so wollte man doch weiter über die Gelddinge behaglich sprechen.

In dieser Nacht schlief man in der Landschaft wenig. Den Räten gingen die Finanzprojekte im Kopfe herum. Die frisch getraute Frau Philomene wollte in einem neuen Kleide zur Kirche gehen, und zwar diesmal in zwei Messen. Die Burschen, die ihre Mädchen besuchen wollten, juckte es wie von einem Floh. Die Mädchen, die von ihren Burschen heimgesucht werden sollten, juckte es auch wie von einem Floh. Es war eine süße Not. Bernhard Menniken saß die Nacht über Berechnungen und Nachweisen. Tieß Bertz aber wälzte sich auf seinen rotüberzogenen Kissen in Sorge und Qual: auf welche Weise Alleinherrscher werden?

Übrigens war dem Tieß Bertz auf dem oberen Lid seines rechten Auges ein Gerstenkorn im Entstehen. Sollte das nicht wieder einen wichtigen Tag seines Lebens verkünden? Alleiniger Direktor der Rheinischen Blausteinwerke A. G. – ?

Doch nicht der Ehrgeiz trieb ihn an. Bei Gott nicht! Was kümmerte ihn die Ehre! Nicht einmal die notwendige Ehre störte ihn, das Mindestmaß, das ein Mann davon besitzen muß, wie sollte ihn die überflüssige Ehre beschweren! Aber ein alleiniger Direktor hat es in der Hand, sich in aller Ehrlichkeit Vorteile zuzuwenden, die ebensogut einem andern zufallen können. Auch die verdammten Schwärmereien, die der »sozialistische Kapitalist da oben« im Gehirn hatte, würden nicht verwirklicht werden, wenn der Fantast einmal aufs Trockene gesetzt sein werde. Warum nicht Arbeiterhäuser bauen mit möglichst geringen Kosten, billigen Materialien und gedrückten Löhnen, die möglichst hohe Mieten einbringen sollen, sodaß man selbst noch etwas davon hat? Was kümmert es mich, wenn erst nach zwei Generationen die Gesellschaft Eigentümerin wird und meine Kinder und Kindeskinder den Profit haben? Freilich, daß nur für einen solchen fantastischen Zweck Geld so billig zu haben war, das erzeugte in ihm einen schrecklichen Seelenkampf. Er wollte an der Welt irre werden. Am Morgen aber, mit dem Licht des Tages, zog Klarheit in seine Seele, und er wußte genau, was zu tun war.

Diesmal war auch Tieß Bertz unter den Männern, die nach der hohen Messe auf dem Kirchplatz zusammentraten, er ging von einem zum andern und flüsterte etwas. Da standen die Männer und raunten untereinander. Und sie standen noch, als das übrige Volk sich längst verlaufen hatte. Dann gingen sie ins Wirtshaus, setzten sich nieder und steckten die Köpfe zusammen. Und saßen noch, als das übrige Volk sich zur Vesper wieder versammelte. Daß »der da oben« und seine Familie niemals in der Kirche erschien, hatte wohl stilles Ärgernis erregt. Doch nun war es zu arg. Die trieben es ja wie die Heiden und öffentlichen Sünder! Eine nicht kirchlich gesegnete Ehe nennt die Kirche, die Gesetze des Staates verhöhnend, ein Konkubinat. Und das Volk glaubt es. Das Paar hatte in der Kirche die Rüfe erhalten, woraus man geschlossen, daß irgendwo in der Heimat der Frau die kirchliche Trauung stattgefunden habe. Wenn aber doch Tieß Bertz so bestimmt versicherte, daß es nicht der Fall gewesen! ... Wenn er sich, wie er sagte, erkundigt hatte! ... Man würde ja sehen, was der Menniken dazu sagen würde. Wenn die Behauptung des Tieß Bertz zuträfe, so erklärten alle, die an jenem Nachmittag beisammen waren, mit einem solchen Manne nicht mehr zusammenarbeiten zu können. Das gäbe das Recht, den Vertrag, durch den er als Direktor angestellt sei, auf der Stelle zu lösen. Der Speckkopf, der dem Menniken sonst wohlwollte, gab mit der tiefsten Respektstimme, deren er fähig war, seine Zustimmung zur plötzlichen Verabschiedung. Sorge hatte es einen Augenblick gemacht, Mariänne Lenates, den bekannten Freund und Bewunderer des Menniken, zu gewinnen. Der gute Lenates war sonst geduldig wie ein Kupferstecher und so wenig vorschnell, daß er zu sagen pflegte: »Ein Schnarchender hört auf zu schnarchen, wenn man es abwartet.« Um so größeres Aufsehen machte es, als dieser, der abseits sitzend still zugehört hatte, nach langem Schweigen auf die Frage des Tieß Bertz erklärte: wenn die Sache so läge ... es täte ihm leid ... dann müsse der Menniken abgedankt werden. Nachdem er dies mit tiefer Bewegung leise gesagt hatte, ging er schnell hinaus.

Am späten Nachmittag kam Menniken, die Brust voller Freude, den Kopf voller Pläne, die Mappe voller Berechnungen. Knappes Grüßen, magere Worte, dumpfes Schweigen. Hin und wieder auffälliges Hüsteln. Speckkopf, der Herr Bürgermeister, den gewaltigen Kopf hochrot, die Augen groß, die Augenbrauen, Nasenflügel und Schultern hochgezogen, mimte den Brutus. Lenates sah zum Fenster hinaus. Vor Eintritt in die Tagung erhob sich Tieß Bertz und erklärte, die Wand und nicht den Menniken ansehend, der Rat habe angesichts des Umstandes, daß der Herr Direktor Menniken nicht kirchlich getraut sei, weiter ansehend, daß bei den schwierigen Geschäftsverhältnissen und dabei, daß die Geistlichkeit das Land beherrsche und die Anknüpfung von Geschäften, besonders für Kirchen-, Kloster- und Pastoralsbauten, worauf die Gesellschaft in erster Linie angewiesen sei, durch jenes Ärgernis sehr erschwert sei und der Boykott seitens der Geistlichkeit des Landes drohe, weiter erwägend, daß im allgemeinen dergleichen höchst anstößig sei und dem Volke durch schlechtes Beispiel der religiöse und sittliche Halt genommen werde ... – Jetzt hatte der heilige Eifer ihn aus der Konstruktion geworfen; er suchte ... er stammelte ... fatal, ein Direktor muß doch ein paar Worte im Zusammenhang reden kennen! – Also, meine Herren, nach meinem Dunk ist es weder christlich noch geschäftlich gehandelt, und wir bedauern, indem daß wir müssen, wobei es uns allen sehr leid tut, beauftragte die Versammlung mich, zu sagen, den Herrn Direktor Menniken zu ersuchen, seine Entlassung zu erbitten.« Sprach's, setzte sich nieder und sah aus leeren Augen wie ein unbewohntes Haus aus seinen Fenstern.

Lenates schaute zum Fenster hinaus.

Tiefes Schweigen – –

»Gute Verrichtung, meine Herren«, sagte Menniken. Damit ging er hinaus.

Als er draußen vorbeiging, stand Lenates nicht mehr am Fenster.

Das Wetter an diesem Tage war sehr schön gewesen.

*

Es war im Spätsommer, als so geschah. Es dunkelte früh. Menniken machte, wie jeder Geschlagene es tut, einen weiten Gang, um die Enttäuschung zu überwinden. Es dunkelte früh.

Eine Schar kleiner Mädchen begegnete ihm, die, aus dem Kommunikantenunterricht nach Hause gehend, immerzu das Verschen wiederholten:

»Wer mir in den Weg kommt,
Den tret' ich mit dem Fuß.«

Ein halbes Hundert Male hörte er den Sang, bis der dunkle Abend ihn verschluckte.

Warum hatte er sofort den Kampf aufgegeben? Warum nicht aufgeklärt? Warum den dazu unbegründeten Verdacht sich aufladen lassen? Ekel über die an Tag gekommene Schlechtigkeit hatte ihm jede Rechtfertigung von vornherein entwertet. Nur Schweigen und Verachtung schien ihm am Maße zu sein. Dadurch hatte er sich nun einfürallemal außerhalb des öffentlichen Unternehmens gestellt, das er doch ins Leben gerufen und eine Strecke weit in die Welt hineingeleitet hatte!

Er wanderte in weitem Bogen um die Dörfer und Weiler herum, stille dunkle Wiesenpfade, und kam dem Kirchdorfe nahe. Von der Höhe herab aus dem steinernen Bau strahlte ein rotes Licht gleichmäßig in die Nacht. Ruhig, wie gemalt. Es flackerte nicht einmal.

Dort war ein Standpunkt! Aber warum verschmähte ihn der Einsichtige?

Er kam bis an die Wälder der Tausend Morgen. Drei Steinwürfe von der Grenze des Reiches, auf »Langewiese« wohnte, solange die Großmütter und Erzählungen sich erinnern konnten, das Geschlecht der Käfer. Da die Larven sich in gesunder Folge stetig vermehrt hatten, war das Nest bald zu klein geworden, es wurde aufgeteilt und an- und eingebaut, und wieder aufgeteilt und ein- und angebaut, aufs neue aufgeteilt, eine monumentale Bruchrechnung, sodaß »Langewiese« beinah ein Dorf für sich war. Der Häuptling dieses kleines Stammes, der Familienälteste, war Käfer Johann Leonard, wie im Kirchenbuche stand, Jan Lennar, wie das Volk ihn hin und wieder, der Maikäfer, wie es ihn wegen der Fruchtbarkeit seines Geschlechtes nannte.

Aus den Fenstern strahlte das Licht der Lampe über Hof und Wiesen in die Nacht. Der gesunde Mann im festen Haus, mit Weib und Kind und dem traulichen Lampenschein am Abend, mit täglichen Pflichten und Sorgen kann es nicht verstehen, daß die Welt so voller Rätsel und Widersprüche sein soll, wie die weisen Männer glauben machen wollen. Es ist doch alles so klar und verständig, die Sonne ist Sonne, saure Wiesen sind weniger wert als süße, Röte der Schleimhaut und Lahmtreten verraten die Maul- und Klauenseuche; wer arbeitet, nicht vorbestraft ist, Gott gibt, was Gottes, dem Kaiser, was des Kaisers ist, der ist ein Ehrenmann; wer faulenzt, ist ein Lump, und die Weltordnung ist klug und mit der Hälfte durchschnittlicher Vernunft zu fassen. Kinder, es ist neun Uhr. Wir wollen schlafen gehen. Herrgott, behüte und beschütze uns diese Nacht als dein Gut und Eigentum. Früh um halb sechs muß gemolken werden. Und daß ihr mir vor dem Einschlafen betet!

Die traulichen Lichter erloschen nach und nach, der Maikäfer und alle Käferfamilien krochen in ihre Nester.

Dort war auch ein fester Punkt! Aber wenn auf dem einen die Intelligenz nicht stehen wollte, auf diesem konnte sie nicht mehr stehen, so gern sie es gemocht hätte.

Die Nacht war dunkel und warm. Die Erbitterung legte sich mählich und Ruhe kam über sein Gemüt. Die Bäume standen dunkel in Hecken und Wiesen, leise rauschend, und ihre Natur war nur schwer zu erkennen. So dünkte ihn die Erkenntnis im ganzen und das Weltbild, wir sehen nur Schattenrisse der Dinge, bekommen eine Ahnung ihrer Wesenheiten und deuten nach alten Erfahrungen. Aber aus der Nacht in die Nacht schauend, sieht und unterscheidet man mehr, als wenn man aus dem Licht ins Dunkel hinaussieht. Freilich ist es hell bei jenen Menschen im Licht, man kann lesen, schreiben und Geschäfte machen; aber wenn der eine oder andre nachdenkliche Kopf unter ihnen einmal in der hellerleuchteten Stube ans Fenster geht, um die Welt anzusehen, so ist draußen alles finster und schwarz.

Als er lange über Mitternacht nach Hause kam, war er ganz stille.


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