Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von bunten Sonn- und Werkeltagen

Vier Jahre waren vergangen. In dieser Zeit hatte sich allmählich der durch einen außerordentlichen Mann erregte Auflauf des Volkes verloren und das öffentliche Leben war in die festen Ordnungen der ländlichen Gewerbe, der Familien und Stände zurückgekehrt. Einiges vom heiligen Alltag ist dieses: So entleerte sich Sonntags die Kirche: Wenn im Kirchturm die Glocke stößt und die Töne durch die Schallbretter hinauspreßt, dann sagen die wenigen, die daheimgeblieben sind, Kranke, Kinder und Hausmütter am Herd: »Die Mess' ist aus. Herr, mach' uns teilhaftig all deiner Gnaden und Wunder. In einer halben Uhr essen wir.«

Noch ist der Kirchplatz leer. Auf der Rampe, die von der Kirche herunterführt, laufen einige Tauben umher. Die Wirte in den Schenken schlagen ein Bierfaß an, spülen die Gläser und stellen die Flaschen zurecht.

Bis in die Mündung der Kirche heraus steht das Volk. Da lösen sich einige Männer von der Menge ab. Sie kommen die Rampe herunter. Das sind die Kalten und Gleichgültigen. Der Priester hat drinnen das feierliche Ite, missa est! Geht nach Haus, die Mess' ist aus! gesagt. Aber er sieht es doch ungern, wenn man sich schon entfernt. Da sind noch einige Gebete zu verrichten, auch noch ein Segen mitzunehmen.

Eine Weile. Die Männer bummeln die Rampe herab und treten in die Schenken. Da stößt die Kirche einen neuen starken Haufen aus. Das sind die jungen Männer, nicht gerade die Warmen, auch nicht die Kalten, die Lauen. Ihnen folgen nach kurzer Pause, während der die Rampe wieder leer lag, die mit dem vorschreitenden, nachdenklich machenden Alter wieder fromm werdenden Männer und Greise. Die jungen Männer stellen sich unten auf dem Kirchplatze in Gassen, die nach den verschiedenen Dorfschaften gerichtet sind, auf, denn nachher soll alles Weibervolk hindurch. Manche von den Männern gesellen sich dazu, die Wände der Gassen werden dicker. Die Greise aber haben keinen Grund mehr zum Verweilen und sind die ersten, welche die Gassen passieren.

Jetzt ist es eine rechte Weile. Die Männer stehen umher und erzählen sich die Neuigkeiten der Woche. Einige treten in die Wirtshäuser; das sind die eigensinnigen Junggesellen, Witwer und diejenigen, welche Bange vor ihren Weibern haben und fürchten, an den Arm gefaßt und mit nach Hause genommen zu werden. Die Weile ist sehr groß. Die Weiber sind gottesfürchtig, und der Pfarrer benutzt die Gelegenheit zu besonderen Bekanntmachungen an die Frauen. Nun aber ist alles zu Ende! Nun kommen sie!

Und in dickem bunten Schwall stößt die Kirche sie aus. Es ist, wie wenn aus einem Füllhorn eine Flut von Blumen ausgegossen wird. Man sieht die Rampe hinauf nichts als Gesichter, Kopf über Kopf, runde fränkische Gesichter wie gesunde Eier. Unten löst die bunte Masse sich auf. Da sind altertümliche blaue Kleider und großgeblümte indische Schals. Die bunte Flut bewegt sich durch die einzelnen Gassen nach der Richtung der Heimat. Was kreuzen sich da die Augen! Wieviel des Glückes geschieht in den Blicken, die sich versprechen! Wieviel Unglück, wenn einer sucht und keine Antwort findet!

Auch diese Blumenflut geht vorüber. Aber sie war eine übergroße Kraftprobe für die Gassen. Die Wände beginnen zu weichen und abzubröckeln. Jungens begleiten ihre Mädchen, Gatten ihre Frauen nach Haus.

Da steht einer in der Gasse, die nach dem Kannendorfe gerichtet ist, und beäugt scharf die braune Philomene. Sie gewahrt ihn, macht ihm schöne Augen, er drückt sich an ihre Seite, drückt sich sacht an ihren Ellbogen, sie spricht vom Wetter, vom Fuchs, der sich am hellen Mittag den Hahn aus dem Küchengarten geholt hat, von der Hündin, die läufig geworden, der Junge ist selig, hört nur ihre Stimme, nicht ihre Worte – da, wie sie von der Straße in die saure Wiese des doppelten Michel eingebogen sind und den Fußpfad nach Himmelsplatz einschlagen, da fängt sie an, Hochdeutsch zu sprechen: »Du Hundsjunge, du Löbbes, du Tropfnase, du Salatvogel, du Hosenbläser, was hast du da gestern mit den Rabauen im ›Schellenbaum‹ gesessen und die Bell geküßt! Sie hat es sich gefallen lassen, aber sie hat es mir gesagt. Wir Mädchen haben uns besprochen, wir wollen weniger geküßt, mehr geheiratet sein. Du sollst dich noch wundern, du Kuhjunge, du ...!«

O Nicola! ...

Unterdessen verläuft sich das Volk auf dem Kirchplatze. Aus der Kirche kommen noch einige heraus, aber nur tropfenweise, wie es aus einem leergelaufenen Fasse nachtropft. Zuerst einige alte Männchen, die ihre guten Jahre wacker gelebt haben und nun daran denken, für den Himmel zu sorgen. Dann einige Mädchen mit züchtigen Bewegungen, niedergeschlagenen klugen und heiligmäßigen Manieren, die, von dem Herrn Rektor seinerzeit angestiftet, das Gelübde getan haben, niemals als unter einer schweren Sünde einen Tanzsaal zu betreten. Das hat damals dem Herrn Rektor viel Feindschaft und den Mädchen argen Spott eingetragen. Die Burschen haben barbarisch gelacht und sie »die fünf törichten Jungfrauen« genannt. Immer dünner tropft es aus der Kirche. Die Nebentore zu den Seitenschiffen werden geschlossen. Jetzt kommen die Messungen, sie riechen noch nach Weihrauch ... Ein altes Mütterchen mit schwerem Herzen ... Der Tieß Bertz, der einer von denen ist, die dem Herrgott die Zehen abküssen, und gleich rechts abbiegt, um nicht in eine Schenke gerufen zu werden ... Der Knopfmann mit gemessenen Schritten und der Ruhe eines Mannes, der sich durch Treue und Hartnäckigkeit seinen Platz erkämpft hat – – leer ist die Kirche! Der Küster Pütz Karel kommt heraus, schließt mit dem großen Petrusschlüssel ab und läuft eilends nach Haus. Er hat nüchtern den ganzen heiligen Dienst versehen. Während er vorüberläuft, hört man es in seinen Eingeweiden knurren.

So ist es Sonntags in den Milchdörfern, Werktags ist es anders. Morgens mit Sonnenaufgang fahren die Milchwagen aus nach der Stadt. Auf dem Bocke sitzt ein Junge, der Fuhrmann, ein Mädchen, die Verkäuferin. Lustig ist es, in den frischen Morgen hinauszufahren, zwischen betauten Wiesen durch, an grauen Häusern und breiten Höfen vorüber. Aus den offenen Ställen dampft die Nachtwärme der Tiere in Wolkenstreifen heraus. Aus dem Stalldunkel treten die Tiere und zwinkern in das Licht hinein; da streckt eine Kuh weit den Hals, Rücken, Hals und Stirn werden eine gerade Linie, und sie brüllt gewaltig die Sonne an: ein herrliches Morgengebet. In der Ferne taucht die heilige Stadt auf, die mit ihren vielen Türmen sich aus dem nächtlichen Nebel in die freie Luft hinauftastet, – ein Junge, der Fuhrmann, ein Mädchen, die Verkäuferin.

Oft, sehr oft regnet es auch. Dann setzen sie die Wagenkappen auf den Bock und ziehen das Beinleder vor, ein Junge, der Fuhrmann, ein Mädchen, die Verkäuferin. Dann ist es vielleicht noch lustiger.

Der Kaplan Simon Feuerstein ist vorgerückt, aber aus der Landschaft verschwunden. Sein väterliches Judentum ist ihm von Nutzen gewesen, indem man wegen dieser Absonderlichkeit an höherer Stelle die Augen beständig auf ihn gerichtet hielt. Als man seinen Eifer eines ersten Christen sah, kam er in die einflußreiche Stelle des Hauskaplans beim Kölner Kardinal.


 << zurück weiter >>