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Herr Speckkopf im schwarzen Rock

Der Stein singt

Bernhard Menniken als einer der Direktoren schritt auf dem Steinplatz einher. Er verfolgte, wie ein grober Block durch das Kabelwerk aus der Grube heraufbefördert wurde, unter die Hände von drei jungen Steinmetzen geriet, die ihn mit dem Spitzeisen vierkantig ausrüsteten, den Schlag herumführten, die Arbeit mit dem Stockhammer begannen und die Rohteile in feinen weißen Staubwolken gewissermaßen verdampfen ließen, während der Hammer klang und der Stein sang in starken Naturtönen. Menniken suchte sich freundlich und teilnehmend in die Gespräche der Arbeiter zu mischen, um ihr Denken verstehen und ihre Wünsche kennenzulernen. Er lachte mit, eingehend auf einen Scherz des roten Josef aus der Pavei. Aber da er lachte, verstummten plötzlich die andern und beugten sich tiefer über ihre Arbeit. Als er fortgegangen war, sagte der rote Sef halblaut: »Der Menniken macht sich gemein mit mich.«

In den Hütten saßen die Steinmetzen zur Kaffeerast, aßen ihr Brot und tranken aus porzellanenen Köppchen. Der rote Sef, der lebensgefährliche Johann, dann ein Epileptiker, geistiges Kind und körperlicher Riese, der zur Belustigung den dummen Hund spielen mußte, Karl François aus Himmelsplatz, den sie den »Scharlemang« nannten, der nur aus Körper, Leben und Geschlecht zu bestehen und nichts von dem zu haben schien, was man unter dem warmen Worte »Mensch« begreift, Andreas Kannegießer, jenes tapfern Kannegießer, der wieder in Afrika war, Bruder, ein Mensch, der bis unter die Hirnschale wie eine Scheune bis unter den First vollgestopft war mit Brennstoffen und mit den Mienen und dem Zorn eines scharfen Hundes auf eine Gelegenheit zur Wut lauerte; und die andern. Bernhard Menniken stand und sprach mit ihnen. Sprach zu ihnen. Denn niemand antwortete auf das, was er sie frug. Er sprach zu ihnen über das, was ihre Arbeit Schönes habe; auch verschwieg er nicht, daß gewisse neue große Pläne den Arbeitern zu einem eignen Häuschen verhelfen wollten, das sie aus dem Stande der Besitzlosen herausheben würde. Es schien großen Eindruck auf sie zu machen, denn sie saßen tief niedergebeugt. Mit einem sah der Scharlemang auf, und es lachte ihm breit und ehrlich aus dem Gesicht, als er sagte: »... Jebt für einen Schnaps!«

Sie lachten alle einmütig, treu und ehrlich, der rote Sef, der Lebensgefährliche, Andreas Kannegießer, der Scharlemang und die andern. Die schlimme Philomene hatte mit Erfolg Sonntags, wenn sie aus der Kirche kam, schöne Augen gemacht, denn sie führte jetzt ihren Nikola zum Standesamt.

Der Speckkopf stand hinter dem grüngedeckten Tische; der schwarze Rock vermochte seine Leibeskugel nur halb zu umspannen. Er war so dick, als hätte er sich mit dem Äquator die Hose zugebunden. Da stand er und polterte dem Paar einen letzten donnernden Rat, eine allerletzte Verwarnung vor. Dabei schlug er auf den Tisch und spuckte einen feinen Landregen über die Hörer hin. Wenn die Berta und ihr stilles Wort: »Vater, sprich leise, man versteht dich«, nicht zur Hand war, konnte der Speckkopf sich austoben.

Ehestand – Wehestand!

Wie Donnerkeile fielen die Worte nieder auf die Philomene und den Nikola.

Und den Nikola schienen sie zu zerschmettern.

Da sprang die Philomene auf und fuhr in den Lärm der Specktopfsrede hinein – zuerst hörte der Speckkopf vor seinen eigenen Worten sie nicht – sobald sie sich aber durchgesetzt hatte, brach seine Rede so plötzlich in seinem Munde ab wie ein Porzellanstab – »Herr Speckkopf,« rief die Philomene und neigte sich über den ächzenden Tisch hinüber, »tönt doch nicht, Ihr habt dreimal getraut und habt es noch nicht satt, Ihr alte Untugend ...« und wenn sie noch mehr gewußt, hätte sie sicher noch mehr gesagt; jetzt bewegte sich noch stumm ihr Mund wie ein Mühlrad, nachdem der Wasserzulauf abgestellt ist.

Man muß gesehen haben, wie eine wilde Sau einen Schuß aufs Blatt bekommt. Sie steht einen Augenblick steif wie aus Holz gemacht – – dann klappt sie zusammen.

So stand einen Augenblick der Speckkopf wie eine Wildsau, die einen Schuß aufs Blatt bekommen hat.

Wie aus dem Mühlrade, indem es zur Ruhe kommt, noch einige letzte Tropfen fallen, so kam es aus dem Munde Philomenens: »Ja ... Herr Speckktopf ... ja ... und man soll auch sein Geschäft selbst nicht schlechtmachen und die Kunden verjagen.«

Da lachte der Speckkopf, und seine kleinen Schweinsäugelchen sahen wohlgefällig die Philomene an. Schnell vollzog er die Formalien, während das Lachen noch hin und wieder durch die tiefen Klüfte seiner weiten Brust kollerte wie der Donner in fernen Gebirgstälern, nachdem das Gewitter sich verzogen.

Der Speckkopf gratulierte mit großer Herzlichkeit und lud sich zur Taufe des Ersten ein. »So Gott will«, sagte die Philomene. »So Gott will«, meinte auch der Bräutigam. »Ihr«, sagte zum erstenmale der Specktopf, nicht weil er sehr höflich, sondern weil er Standesbeamter war. Es kam ihm oftmals seltsam genug vor, immer der erste sein zu müssen, der zu den Getrauten »Ihr« statt »du« sagte. Aber so verlangte es die Sitte des Stammes, die den Verheirateten vor den Unverheirateten auszeichnete, mochte dieser auch ein Weißkopf und jener eine Grünschnauze sein.

Jetzt traten sie ab, die Zeugen und das Brautpaar. Die Philomene führte ihren Mann heim.

O Nikola! ...

 

Ein großer Eifer ging über das Land. Und wo er hintrat, verging der Rasen unter seinen Füßen, und wo er hinfaßte, schwand der Rost vom alten Eisen, und wo er sich niederließ, tat die Erde sich auf und entblößte sich bis in ihre Eingeweide. Vor seinen Schritten fielen die trennenden Grenzwände der Gruben nieder, das Grundwasser trocknete aus vor seinem Hauche, die Arbeitshütten an seinem Wege faßten Mut, hielten ein im Verfall, belebten und füllten sich wieder mit Gestalten, Schüsse aus dem Boden begleiteten wie Böller seinen königlichen Gang, das Gestein klang und sang wie ein irdenes Glockenspiel neben seiner Bahn unter den Schlägen der Spitzhacke und des Hammers.

Der Eifer schälte die Erde. Wie von einem Apfel die Schale, so wurde der Rasen vom Erdreich abgezogen. Und wie man dann den Apfel aufteilt in Kugelausschnitte, so wurde der Stein herausgelöst in Würfeln oder Prismen nach den Fugen der Lager, Abschnitte und Spalzel. Und wie man das Kerngehäuse herausschneidet und wegwirft und was sonst an mürbem und faulendem Stoff vorhanden, so wurden Geröllager und Lehmschichten ausgehoben, abgefahren und als Bindemittel oder Kleinschlag in Weg und Straßen des Landes gewalzt.

Viele hundert Hände waren am Werk, höhlten die Erde und brachen den Stein. Wie erschrocken schaute der drein, da er aus seiner finsteren Ruhe von Millionen Jahren plötzlich in das ungewohnte Licht sehen mußte; wie wenn man einen Apfel aufschneidet und ein Wurm aus seinen dunkeln Gängen sich heftig gegen die Helle und Freiheit hebt. Viele hundert Hände zogen dem Stein das grüne Obergewand und das braune Unterkleid ab, nun lag er da, erschauernd in seiner blauweißen Nacktheit.

In den Brüchen klangen die Hämmer, sangen die Treibeisen, seufzten die Winden, schluckten die Pumpen, stöhnten die Kabelräder, knarrten die Ketten, ächzten die braven Hebelbäume, knirschten wütend die Bohrer, während aus den Bohrlöchern ein weißer Brei herausfloß. Aber sie zwangen es, die hartnäckigen Bohrer. Der Gang wurde durch ein natürliches Lager in das Gestein getrieben bis zu der Tiefe, wo ein Abschnitt den Naturzustand des Steines teilte. Dann kam der Sprengmeister, legte seine Stummelpfeife in weiter Entfernung nieder, füllte die Bohrröhre bis zur Hälfte mit Pulver, legte die Lunte an, nahm die rote Fahne in die Hand – für einen Augenblick traten die Leute von den benachbarten Arbeitsstellen weg und gönnten sich die kurze Ruhe hinter einem Sonnenschutze aus Stroh –, das Feuer kroch die Lunte entlang, winzig, glimmend, ohne Flamme, nur ein glühender Punkt – er war fast lächerlich anzusehen, dieser Anlauf und Sturm eines einzigen Feuerfunkens auf die gewaltige starre Felswand –, der Funke kroch klein und geduckt durch die Lunte, nun war er am Bohrloch, flammte ein wenig auf ... jetzt ist nichts mehr zu sehen – jetzt ist er erloschen – –! Natürlich, war ja auch lächerlich, dieser Sturmlauf eines Feuerfunkens gegen die Felswand, die seiner geringschätzig nicht einmal – – Da! da bebt sie, wankt sie, gerüttelt, geschüttelt, als hätte eine Riesenhand sie in der Tiefe gefaßt ... ein dumpfer Ton, ein lautes Krachen, die Pulvergase zwängen und drängen sich in die Fugen mit einer Hitze, Roheit und Stärke, wie das Erdgeschick selbst sie nicht gehabt hat, als es diese Mauern in tausendjähriger Arbeit baute. Darüber erschrickt, erstaunt das Gestein; denn es ist ein Wunder, ein Dämonisches, ein Unnatürliches, es würde sicher mehr Widerstand leisten, wenn die Gefahr eine zu berechnende, schon einmal erlebte, nicht so Un- oder Übernatürliche wäre ... ›Wenn das Un- oder Übernatürliche siegt, geht die Natur zugrunde‹, denkt das Gestein, glaubt an den Untergang der Welt, ergibt sich und wird zersprengt, zertrümmert, zerrissen, zerbrochen, zermalmt – – Seit Menschen in der Natur sind, versteht die Natur sich selbst nicht mehr.

Mit Hebel, Kette, Winde, Kran und Kabel gelangen die rohen Steinblöcke auf die Werkplätze, unter die Stockhämmer, Spitz- und Schlageisen, in harte Hände und unter kunstsinnige Augen, vor die Steinsägen oder in die Kalköfen; auf die Karren, auf die Eisenbahn, in die Rheinkähne, in die Maas- und Scheldeschiffe; als Treppenstufen, als Fensterbänke, Schweinetröge, als Spülsteine, Taufbecken, Grabdenkmale, als Sockelsteine in die Häuser der Städte, als Maßwerk in gotische Kirchenfenster; nach Köln, nach Mainz, nach Basel, nach England und über den Ozean, dahin, dorthin, überallhin, die schweren Steine, die, im selben Bette geboren, auseinander geweht werden vom Willen der Menschen, mehr als es Staubkörnern hätte geschehen können, in die ein Orkan geblasen ...

Um einen Posten gab es unter den Arbeitern arge Schikanen. Auf dem Wagenrahmen der eisernen Hunde zu stehen, welche die Talsohle hinab zum Hofe der Industriebahn rollten, und mit dem als Hemmschuh zwischen die Räder des Wagens gesperrten Baumast die Schnelligkeit zu regulieren, war ein großes Vergnügen, Als Tieß Bertz die Freude der Arbeiter und die Strebereien nach dieser Stelle bemerkte, setzte er dafür den Tagelohn um zehn Pfennige herab, indem der Posten wahlfrei gelassen wurde. Am nächsten Morgen meldete sich niemand dazu.

Kirche und Kloster »St. Peter vom dicken Kieselstein« hinter dem Ölberge auf dem Welschen war nunmehr vollendet. Die große Lieferung war für die »Rheinischen Blausteinwerke A.-G.« das Sprungbrett gewesen, das sie mitten in den Geschäftsbetrieb und den Kreis der Kundschaft geschleudert hatte. Tieß Bertz, der andere und wegen seiner Sachkenntnis der eigentliche Direktor, war meist auf Reisen. Er erweiterte mit Erfolg das Absatzgebiet, und wie ein Eroberer kehrte er jedesmal heim. Er legte dem Aufsichtsrat seine Vorschläge vor und tat im übrigen meist nach seinem Willen. Aber ein geheimes Leben war in diesen Mann gekommen, eine merkwürdige Hellsichtigkeit, eine geheimnisvolle Treffsicherheit. Etwas vom Genie. Und der Grund war das Geld. Er wurde reich. Nun ward es offenbar, daß der Bertz gar nicht geizig war. Das, was als Geiz erschien, war nur die in widrigen Umständen verkümmerte Gestalt des geborenen Finanzmannes, wie eine edle tropische Pflanze in herbem fremdem Klima über die Erscheinung eines kriechenden Unkrautes nicht hinauskommt. Er war jetzt tiefinnerlich glücklich, der Bertz, wie man nur sein kann, wenn die gesunde Natur nach Stillung der Triebe sich in vollkommenem Gleichmaße befindet.

Er wurde um nichts gesprächiger, wurde seiner Frau kein liebevollerer Gatte, seinen Kindern kein gemütlicherer Vater. Das Geld zu angenehmerem Leben und völligerer Haushaltung gab er trocken und wortlos aus seinem sich mehrenden Verdienste. Er ging nicht öfter ins Wirtshaus und nicht seltener in die Kirche, am Orte wurde er nicht beliebter, seine Freundschaften wurden nicht enger, sein Heim nicht traulicher. Für all das hatte er keinen Sinn, aber in seinen Augen glänzte es, aus seinen Blicken glühte es – tiefinnere selige satte Zufriedenheit.


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