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Der Faun

Die Künstlerwerkstatt auf Seffent wurde größer, ein dritter und ein vierter Gehilfe traten ein. Der dritte war eine einsilbige zugeknöpfte Natur mit einem unbeweglichen Gesicht. Er bot den Tag und richtete einen Befehl aus. Er wohnte nicht wie die andern im Gute, sondern in dem Wirtshaus an der Zollgrenze, das ein alter Wallone hielt, Père Rousseau, ehemaliger Zuave in päpstlichen Diensten, und » A la griffe du lion« benamst hatte. Der Zuave war ein schöner Mann mit einer Mähne und einem Napoleonsbart, ein Gauner wie der Deeres, nur in romanischem Stile. Auch hatte er so viel stolzes Nationalgefühl, daß er grundsätzlich keinen Welschen betrog, nur die Deutschen und besonders die Protestanten. Also in erster Linie, was aus dem nahen Truppenübungsplatz herüberkam. Wenn er einem preußischen Offizier eine Mark über Gebühr abknöpfte, so hatte er das Gefühl, die finanzielle Macht des Deutschen Reiches geschwächt zu haben.

Bei diesem Manne wohnte der Unheimliche. In seiner freien Zeit war er hier und da zu sehen. Und jedesmal plötzlich verschwunden wie von der Erde verschluckt.

Der vierte der Künstler war das gerade Gegenteil des Unheimlichen. Beide waren sie wirkliche Könner; aber während der Unheimliche mit ruhiger Stetigkeit erzeugte und sein Genie den ganzen Tag exerzieren konnte, war der andere von unberechenbaren Leistungen. Er lag halbe Tage, halbe Wochen auf dem Sofa in dem großen Atelier, die persische Pfeife rauchend, Anekdoten und Zoten erzählend. Er hatte einen Kopf mit zurückliegender Stirn, und mit seinem schwarzen Haar, den spitzen Augen und dem Bocksbarte sah er aus wie ein alter Faun, der sich zu Spaß und Abenteuer in moderne Kleidung geworfen hat. Er faulenzte und erzählte – nur der Unheimliche lachte nie –. Dann aber packte ihn plötzlich künstlerische Wut, sein Modellierholz schien besessen, und mit glühenden Augen, Speise und Trank vergessend, machte er in einem halben Tage die Arbeit einer Woche. Die Genossen staunten. Nur der Unheimliche nicht; der arbeitete ruhig und stetig. Dann verließ den Faun wieder das Genie.

Vor der Anstellung der beiden neuen Künstler war in der Werkstatt auf Seffent als Vertretung des Ortspfarrers, der wieder einmal gichtbrüchig dalag, der Rektor Hadermacher aus Ludwigsmünster mit dem wohlgemessenen Auftrag seines Vorgesetzten erschienen, höflich dahin zu wirken, daß nicht allzu viel Nuditäten auf den Töpfen erschienen. So hatte er sich damals seiner Aufgabe entledigt:

Menniken war gerade nicht da, als der Rektor eintrat. Eintrat? Aber sehr laut. Sein Schritt rief: Hört ihr es wohl? Ich komme! Die Kunstarbeiter hörten es wohl. Sie waren dienstbeflissener als je. Der Industrielle ahnte, daß er die Konsumenten seiner zukünftigen Heiligenfabrik vor sich habe. Der Rektor verschmähte den schnell bereiteten Sitz, sondern witterte zunächst so im allgemeinen in die Kunststube hinein. Dann ging er ans einzelne und an die Kritik: »Hm ... na ... jaja ... So! ... Das ist ja nett«; er lachte sogar einmal, da er ein kräftiges Trinkgelage dargestellt fand. Aber gleich darauf schoß der Zorn aus seinen Augen, denn auf dem Rücken desselben Kruges war dargestellt, wie Christus die Axt an einen mit Geräten des katholischen Ritus behängten Baum legt und die Worte spricht: »Das unkrut wil ich ausroten und werfen es ins feuer.« Doch weil es ein historischer Krug war, drückte der Rektor die Augen zu. Da trat sein Amtsbruder herein. Trat herein? Schlich herein! Nicht wie die Bescheidenheit es tut, wie Katzen es tun. Er hieß Simon Feuerstein und man sah ihm an, daß sein Vater noch als Jude geboren war. Der Sohn war etwas wie ein erster Christ mit dem großen Bekennereifer und der schwärmerischen Märtyrersehnsucht. Sein Gesicht war gelb, sein Haar war schwarz und die Augen – was für schöne, schrecklich-schöne Augen! Jetzt farblos, stumpf, undurchsichtig, jetzt grell wie Glühlichter. In seiner Brust stand eine ganze Batterie Fanatismus, und wenn zwischen dieser und seinem Aufmerken die Verbindung geschlossen war, leuchteten die Glühlichter in seinem Kopfe.

Da schlug plötzlich der Rektor mit seiner gutgenährten Hand dem Industriellen auf die Schulter: »Da, sieh mal, Bursche, was ist das?«

Das war selbst der klugen Ehrfurcht des Industriellen zuviel. Er sagte also sehr kurz: »Was meinen Sie?«

Der andere war eben mit Andacht dabei, einer weiblichen Figur eine ausladende Hüftlinie zu geben.

»Das, was der junge Mensch da macht!«

»Hochwürden meinen mich?« hauchte der Wehleidige.

»Ja, dich Bengel, wie kannst du solche Schamlosigkeiten machen!«

Das war denn nun auch dieser sanften Seele zu stark. Seine Augen funkelten, und an den Rändern schwammen Tränen. Er sagte mit zuckenden Lippen: »Das ist die Susanna, Herr Rektor.«

»Was?« schrie dieser. »Ein nacktes Weib ist das!«

»Ja, wenn der Herr Rektor meinen ...«, ließ der Wehleidige verlauten. In Feuerstein waren die Glühlichter aufgeleuchtet. »Herr Rektor, sehen Sie doch nur ...!« rief er heilig entrüstet.

Hochwürden Herr Rektor aber machten ihren Zeigefinger naß und fühlten in dem weichen Ton Susanna energisch rings um die volle Hüfte, daß die Spur jeder sündigen Deutlichkeit verschwand. Der Industrielle hatte aber neben seiner Klugheit auch Ehrgefühl. »Was wollen Sie denn, meine Herren? Soll denn die Susanna mit Kleidern ins Bad steigen? Gehen Sie denn so baden?«

Nein. Die Herren gingen überhaupt nicht baden.

In dieser Woche kam wieder in die Künstlerwerkstatt geistliche Revision. Dem Rektor aus Ludwigsmünster und dem Vikar Feuerstein hatte das Gewissen keine Ruhe gelassen. In der Erwägung, daß schon genug Gelegenheit zur Sünde in dieser Welt unter dem gleitenden Deckmantel der Kunst umhergehe, hatten sie sich zusammengetan und beschlossen, nach dem Vorbilde des tempelreinigenden Heilandes die ganze Sündenwerkstatt da oben mit heiligem Zorn auszukehren.

Also kamen sie in der andern Woche nach der Neueinstellung der Künstler. Hatten auch erkundet, daß Herr Menniken auf einer Reise in die Museen der Nachbarstädte war. Also kamen sie mutigen Schrittes.

Also schickten sie sich an, einzutreten. Doch waren sie etwas befangen wie Leute auf bösen Wegen.

Also traten sie denn nun wirklich ein.

Der dereinstige Kommerzienrat und der Wehleidige sprangen. Die beiden andern würdigten die Eintretenden keines Blickes. Der Faun hatte gerade seinen faulen Tag. Das verwirrte die Herren etwas. Feuersteins Augen suchten das ganze Atelier ab, die Susanna fand er nicht. plötzlich der Faun! Er hatte sich den früheren Auftritt erzählen lassen und gerühmt und geprahlt: wenn er nur damals dabei gewesen wäre! Er hätte die Atelierwanzen geknipst! Schadenfroh sahen die beiden Erstlinge der Werkstatt ihn an. Ihnen schwante etwas Böses, denn es gewitterte furchtbar in geistlichen Augen.

Aber der Faun hatte das Genie.

Also warf er sich in weltmännische Formen, begrüßte die Herren, stellte sich vor, sprach von der Ehre und den vielen Heiraten in der Gemeinde. Aber die geistlichen Herren saßen da und schnaubten ihn an. Der Faun wurde stiller. Der Heiligenfabrikant und der Schullehrer stießen sich gegenseitig in himmlischer Schadenfreude an.

Der Herr Rektor fuhr auf den Drehstuhl los, an dem der Unheimliche an einem prächtigen Humpen modellierte. Seine Nüstern atmeten Flammen. Aber der Unheimliche drehte sich ruhevoll um und maß Hochwürden mit einem langen kalten Blick, der eine merkwürdig beruhigende Wirkung auf die von heiligem Zorne erregten Nerven hatte. Und wandte sich ebenso ruhevoll wieder zu seiner Arbeit.

»Guten Tag«, brachte der Herr Rektor hervor.

»Guten Tag, womit kann ich dienen?«

Der Herr Rektor, der sich noch nicht ruhig genug fühlte, bog etwas aus. »Sie sind kein Deutscher, mein Herr?«

»Freilich nein.« »Darf ich wohl fragen – woher Sie sind ... wo Sie geboren ...«, er mußte heftig schlucken.

»Gewiß, mein Herr. Auf See, 87 Grad 20 Minuten 47 Sekunden östlich von Greenwich, 19 Grad 11 Minuten südlich vom Äquator.«

Da riß der Herr Rektor vor Staunen den Mund und die Augen auf. »Sooo – –?« Das Wort würgte sich aus dem Munde. Das Staunen saß ihm wie ein dicker Stein im Halse. Also schluckte er noch einmal und sagte: »Wo ist denn das?«

»Im Indischen Ozean.«

»Soooo – – – –?« sagte der Herr Rektor nun besonders laut und lang. Und dann leiser, aber keineswegs unfreundlich: »Dann sind Sie wohl nicht katholisch?«

Da stach den Unheimlichen der Hafer und er warf es flüchtig hin, wie einen Groschen einem Bettler: »Buddhist.«

»Ei ... Na nu ... Buddhist. Ei freilich ...« Er stand vor dem jungen Mann mit der ganzen staunenden Achtung, mit der ein ungebildeter Binnenländer vor einem weitgereisten Manne steht, den er wie ein fernes Wunder betrachtet. Denn die Geistlichen kommen aus den unteren Ständen, sind arm und oft nicht weiter gekommen als bis in die Stadt, in der sie geweiht wurden. Also über Köln hinaus hatte der Herr Rektor noch nichts von der Welt gesehen, »Ei, ei! Buddhist! So ... ja gewiß! Jawohl, Buddhisten können auch gute Menschen sein.« Und er starrte den Menschen an, den ersten von den Menschen, die nicht an den einzigen Gott der Christen und Juden glaubten, und staunte darüber, daß sie den Christen so ähnlich sähen. »So, so ...«

Herr Feuerstein suchte noch immer vergebens nach der Susanna.

Unterdessen hatte auch der Faun sein Genie wieder in den Sattel gesetzt. »Meine Herren, hier habe ich etwas, das Sie interessieren wird. Sie haben Interesse für die Kunst, das beweist Ihr heutiger Besuch bei uns, also auch für das schönste Kunstwerk, das der allmächtige Gott zu seiner Ehre und zur Freude der Sterblichen geschaffen hat, für den Menschen, insbesondere für das Weib.« Und er holte aus einem Schrank große Mappen, auf denen stand: Le Nu esthétique, künstlerische Aktstudien heraus und breitete alles auf dem Tische und den Stühlen aus. Die Gehilfen standen herum, auch der Buddhist hielt ein in seiner Arbeit und sah ruhevoll zu. Im ersten Augenblick hatten die hochwürdigen Herren aufbegehren wollen ... hatten wollen? Hatten sich erinnert, daß sie wohl wollen mußten ... und dann waren sie ja doch auch gebildete Menschen und keine ungebildeten Bauern ... und der Faun vor ihnen redete so selbstverständlich ... und es war so still im Atelier. Und was da auf den Blättern stand ... Gott, das hast Du geschaffen? Soviel Schönheit hast Du geschaffen? Großer allmächtiger Gott, soviel Schönheit ist ... auf der Erde ...? Und der Faun redete ganz ruhig und erklärte das Anatomische. Es war ganz still im Atelier. Die rote Abendsonne huschte herein und brannte auf den roten Köpfen der geistlichen Herren. Hörbar ging der Atem. Wie angeleimt waren die geistlichen Augen an den Blättern ... Die jungen Männer hinter ihrem Rücken lächelten verstohlen ... Doch der Faun sprach mit großer Ruhe und Selbstverständlichkeit, wenig interessiert, wie der Professor in der Anatomiestunde. Sprach über die Proportionen nach dem Kanon des Lysipp, dem des Polyklet und Schadow, über den pectoralis, biceps und triceps, den gluteus magnus, den Pyramidenmuskel und andere Muskelzüge; und war wie ein feinsinniger Anatomieprofessor ehrlich genug hinzuzufügen, daß er damit an das Wesen der Schönheit nicht im geringsten gerührt, daß die Schönheit ein unfaßbares Geheimnis sei, und fügte ad hoc hinzu, daß damit schon allein das Dasein Gottes, des größten Künstlers, bewiesen sei. Beide Hohen Würden standen gebannt ... und es war so feierlich still ... – da läutete die Abendglocke auf der fernen Dorfkirche, aus Belgien trug der Westwind den gleichen Schall herüber, die Gehilfen waren lächelnd dabei, die Tonmodelle mit nassen Tüchern zu umwickeln, die Modellierhölzer, Drehstühle und Hände zu reinigen und ihre weißen Kittel auszuziehen, da meinte auch der Faun bei sich, daß es nun genug der Quälerei sei, er packte mitleidlos die Bilder vor den andächtigen Augen zusammen, legte sie in den Schrank, sagte Gutenacht und er müsse noch heute abend hinaus nach Spa, ein Modell für seine Bacchantin zu finden.

Er ging.

Auch die andern waren bereit.

So mußten auch die geistlichen Herren gehen. Wie sie aus ihrem Traum erwachten, das war, wie wenn man ein dickes schweres Buch aufschneidet. Sie gingen mit schleppenden Gliedern. Ihre Köpfe brannten aus ihrer schwarzen Kleidung wie Flammen, die aus Ofenröhren schlagen. Ihr Atem schnaubte wie der Zug des Feuers und des Rauches im Kamin.

Als sie draußen waren und durch den hallenden Torweg gingen, stöhnte plötzlich der Herr Rektor aus all seiner Not und Qual: »Und führe uns nicht in Versuchung.«

Und der Herr Vikar responsierte: »Sondern erlöse uns von dem Übel.«

Der Faun war durch eine andere Tür ins Atelier zurückgekommen. Die Künstler stimmten ein ungeheures Lachen an. Selbst der Unheimliche lachte. »Die kommen nicht wieder«, sagte der Faun.

Als Herr Menniken zurückkehrte, lud er die jungen Leute auf ein Trinkgelage ein. Dort feierten sie unter großer Freude die Trennung von Kirche und Atelier, die Emanzipation ihrer Werkstatt von der Klerisei. Frau Johanna Menniken war unter ihnen und war sehr froh. Sie spielte an diesem Festabend auf der Geige, auf der sie eine Künstlerin von Beruf war, denn Bernhard Menniken hatte sich die Frau vom Konzertpodium herab in sein Haus geholt. Und die Frau übte einen stillen wohltuenden Einfluß auf die etwas genialisch-wilden Sitten der jungen Männer aus, kein unschickliches Wort fiel, und die schönste Freude herrschte. Selbst der Unheimliche blieb diesen Abend auf Seffent.

»Das haben Sie gut gemacht, Herr Zillikens. – Er hat eigentlich eine Belohnung verdient, was meinst du, Johanna?«

Johanna Menniken stand auf und schenkte dem Faun einen Ring von ihrem Finger.

»Recht so! Hüten Sie ihn wohl, Herr Zillikens.«

Den Faun faßte Dankbarkeit, Freude und sein wildfrohes Temperament und er rief: »Noch im fernen Tode soll er mir am Finger sein! Es lebe unsere schöne liebe Hausherrin!«


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