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Die Heimkehr

Es kam ein Mann von Westen. Er wanderte von Spa, das im Ardennenwalde liegt wie eine Maus in der Tatze eines Bären, die belgische Zollstraße herauf. Einst war er sie hinausgewandert, das Leben gering achtend und diese seine Heimat verschmähend, in die er jetzt mit festen Schritten, die ihres Zieles gewiß waren, mit Augen, in denen ein sicherer Glanz lag, zurückwanderte. Er war dem Leben wiedergegeben in einem der plötzlichen Umschwünge, wie sie bei begabten frühreifen Jünglingen häufig sind, die an der dunkeln Bestimmung der Welt den unzulänglichen Verstand versuchen und ermüden, bis sie sie tätig mit kräftigen reifen und hungrigen Sinnen erfassen lernen.

Auf der Höhe, an der Biegung der Straße, hielt der Wanderer den frohgemuten Schritt an. Dort drüben lag sein Stammhaus, sein Erbe, das Haus seiner berühmten Vorfahren, »Septfontaines«, welcher Wortkiesel im Flusse der deutschen Rede zu »Seffent« abgeschliffen worden war. Von den Türmen des weitläufigen Gebäudes glänzten die Schieferplatten, und die Fenster leuchteten in der Sonne.

Der Heimkehrende stand vor seinem Besitze. Da war der Hain, in dem der Wildbach in sieben Quellen aus der Erde stieg. Die niedrigen Weiden mit den dicken Köpfen saßen wie schützende brütende Hennen auf dem Neste der Quellen. Er hörte das Wasser rauschen und sah hinein in das kühle Dunkel. Am Eingange des Quellbusches standen zwei dunkle schlanke Pappeln, wie Schwurfinger aufgerichtet zum Himmel. Und der junge Mann, welcher auf der Straße anhielt, schwur bei sich, seinen Platz im Leben dieses bedächtigen Landes zu betreten und zu behaupten.

Noch einige Schritte ging er weiter auf der uralten Straße, auf der vor drei Jahrhunderten die Topfkünstler Baldem Menniken mit Engel Kran und Jan Emens aus Flandern eingewandert waren. Jetzt stand er auf der Brücke über dem Graben. Er begrüßte den Schlußstein des Torbogens, auf dem das Hauswappen der Menniken mit dem Zeichen des künstlerischen Gewerbes angebracht war. Dann trat er in den hallenden Torweg. Aus dem Hofe bellten die Hunde den heimkehrenden Herrn wütend an.

Es war Sonntagmorgen, ein friedreicher Tag. Die Sonne schien nicht, doch lag über allem Sein die schwere Ruhe, die sanfte Verklärtheit, die am Sonntag aus der Welt einen Tabor macht. Was ist des Sonntags Reiz? Was ist die Schönheit des Sonntags?

Die Frommen sagen: Es ist die Andacht, die alles Sein, vernünftiges und unvernünftiges, Mensch, Tier, Pflanze, Erde und Himmel dem Schöpfer-Gott widmet. Es ist der allgemeine Gottesdienst der Dinge, es ist die große Messe der Welt. Die Ungläubigen lachen und behaupten, daß der Sonntag ist wie jeder andere Tag, wo es hell ist wie an jedem andern und der Mond und die Sterne nicht scheinen.

Und doch ist der Tag ein andrer, weil er der Feiertag der Menschen ist. Die Arbeit ist der Segen der Menschen, aber die Unterbrechung dieses Segens ist ein Fest. Es ist ein hohes Gefühl, den Werkeltagsrock ab- und den guten anzulegen, an sich hinunterzuschauen und seine Glieder im Festgewande zu sehen. Und was man an Feststimmung an und in sich sieht, das sieht man hinaus in die Dinge, und es ist der Sonntag der Welt, wenn die Dinge ihren guten Rock anhaben.

Es läutete über die stillen Wiesenhügel, auf denen die kleinen Bollwerke der Häuser standen. Über die Wellen des Bodens rollten die Wellen der Luft und trugen die Klänge der Glocken; sie hielten vor jedem Haus und vor jedem Fenster, die Schläfer zu mahnen: »Auf! Wohlan, ihr Schläfer! Gott, der allmächtige Herr, der da groß gebietet über Lebende und Tote, über Lag und Nacht, verlangt seinen wöchentlichen Tribut! Verlangt seine sonntägliche Anbetung! Wohlan, auf, ihr Schläfer! Heraus aus der faulen Ruh, aus dem weichen Bett! Daß ihr nicht zum Altare tretet mit verkniffenen Augen, mit verbuhlten Gesichtern und noch bettwarmen Gliedern! Es ist Tag! Sofort heraus! Auf!« So läuteten die Glocken von dem hohen Kirchturm in alle Runde. Es war eine Stunde vor dem Hochamt.

Hier und da öffnete sich ein Fenster. Da und dort gähnte ein Kopf in die frische Morgenluft hinaus. Hinten erschienen offene Bettjacken, deren Besitzer in den kühlen Morgen hineinrekelten und vor lauter Behagen und Wohlsein stöhnten. Ach, wie wohl tut es, nach tiefem erquickenden Schlafe zu stöhnen! Bald kräuselte sich Rauch aus den Kaminen, der in der kalten Luft wie weiße Wollflocken auf den Weihnachtsbäumen liegen blieb.

Kühle Morgenluft, die sich wie ein kalter Strom in die heißen Lungen ergießt, und stiller Sonntagsfriede gingen über das grüngewellte Land.

Es ist eine halbe Stunde vor dem Hochamt. Die von den Frauen gestiftete »Weiberglocke« läutet. Eilfertiger wogen ihre Wellenkreise und flinker drängen ihre hellen Töne: »Fix! Voran! Ihr Schlafmützen! Was, ihr faulen Männer lauft noch in Hemd und Hose herum? Nicht mal die schwänzelnden Hosenträger habt ihr hochgebunden? Daß ihr wohl fix macht! Ich werd' euch! Eure Frauen und Jungfrauen sind schon gewaschen und kämmen sich die Haare am Herd, während sie den Kaffee kochen, und ihr reckt euch da herum und gähnt sie mit weiten Mäulern an, als wolltet ihr sie auffressen! Mach den Mund nicht so weit auf, Scharlemang, und scharwenzele nicht so um das Mädchen herum, das sich die Schuhe knöpft! Was, noch ehe ihr die drei hochheiligen Namen Jesus, Maria und Josef ausgesprochen habt, denkt ihr schon an Sünde und Lust der Welt! Neben der Schlafkammertür hängt das Weihwasserkännchen. Daran bist du auch vorbeigelaufen, Lausjunge du! Marsch, mach ein Kreuzzeichen, eins, zwei, drei! Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen!« Das war eine halbe Stunde vor dem Hochamt.

Kühle Morgenluft, die sich wie ein kalter Strom in heiße Lungen ergießt, und stiller Sonntagsfriede gingen über das grüngewellte Land.

Nach einer Viertelstunde. Es klippt. Das Glöckchen im Dachreiter über dem Chore schlägt: »Nun macht aber voran, Kinder. Es ist höchste Zeit! Pütz Karel, der Küster, hat schon die Kerzen angezündet. Die Messe liest heute der Herr Pastor und die Predigt hält der gute Herr Ter Heele. Es ist keine Zeit mehr, Agnes, den heißen Kaffee zu trinken. Du weißt, vor der Opferung zu spät kommen ist eine läßliche Sünde. Aber was muß ich denn sehen, Burgs Paulus, du schneidest ja noch deine Hühneraugen? Du weißt, nach der Opferung ankommen ist eine Todsünde. Sei vernünftig, Burgs Paulus, laß die Hühneraugen und denk' an die ewigen Höllenstrafen! Für ein einziges Zuspätkommen! Da wird Heulen und Zähneknirschen sein! Tu mir den Gefallen, Paulus. So, du bist ein braver Mann. Nun macht voran, ihr da hinten von Himmelsplatz. Ja, ihr armen Hälse, ihr habt einen weiten Weg. Trabt ein bißchen, ich gebe noch ein wenig zu. So ... So ...! Seht ihr wohl! Man kann alles, wenn man nur den guten Willen hat. Selig die Menschen, die einen guten Willen haben! Amen!«

So läutete das Klippglöckchen, und auf allen Wegen und Stegen trippelte es wie Ameisen zum Bau heran, zu dem großen Seelenneste, der mächtigen Blausteinkirche. –

Es war in der besten Stunde des Morgens, da ging Menniken eilig aus Seffent hinaus das Land hinab. Die Sonne schwamm in Gold und prustete Gold aus ihrem Bade in das All. Die Erde reiste an diesem Tage nicht im leeren eiskalten raumlosen Raum, sondern sie schwamm in einem Bade von Glanz und Licht wie der goldene Ball, den die Prinzessin im Bache verloren. Den irgendeine himmlische Prinzessin, Tochter Gottes oder eines seiner Großen, nachts aus einem der hellerleuchteten Fenster der Himmelsburg in das dunkle Tal des Weltalls hat fallen lassen?

»Pötterei?!« Das Wort sprang in den kleinen dicken Mann wie ein Funke in Pulver, und seine ganze Seele explodierte. Er hatte klein, breitbeinig, breitarmig vor der Steinfront seines Hauses in Hemdärmeln gestanden, als Menniken herankam. »Wegen der Pötterei kommt Ihr, sagtet Ihr richtig, Meister Menniken?«

»Wir wollen sie wieder aufwecken, Lenates.« »Aufwecken?« schrie der kleine Mann, »aufwecken? So richtig? Daß sie richtig wieder da ist? Wie damals? Wie bei unsern Altvätern? wie vor langer, langer ...«

»Noch besser!«

Da griff der alte Schwärmer, selbst ein Nachfahre aus dem Künstlerstamme des Engel Kran, hastig Menniken unter, zog ihn hinein in das Haus. Er trieb auf wie gärender Teig. Strahlend und stolz sah er umher in dem dämmerigen Raum, und seine Blicke führten die seines Besuches über die alten Truhen, auf denen braun und blau glasiert die berühmten Krüge standen mit prächtigem figürlichen Zierat und würdigen Bäuchen. Der dicke alte faßte den straffen jungen Mann mit beiden Händen an den Schultern, schüttelte ihn und rief: »Ist's möglich? Soll das möglich sein? Nicht möglich! Daß ich das noch in meinem Altertum erleben muß! Da schaut, Meister, da stehen sie herum, Meister, meine Sorgen, meine Kinder ... meine ... Also das Rad soll wieder gerollt werden? Nicht möglich. Was bin ich froh! Was bin ich ... froh! Was bin ich ...«

Zum Zweiten ging der Morgenwanderer. Dieser, Tiest Bertz, war ein sehr frommer Mann und aus der Hohen Messe noch nicht daheim. Er hatte etwas ängstlich Tragendes in seinem Gesicht, forschte einen unruhig an, ob man etwas von ihm wolle, und was man von ihm wolle, und zwar ob man Geld von ihm wolle, oder Geldeswert, oder eine Leistung, die sich in Zahl und Münze ausdrücken ließ, oder einen Rat – den erteilte er gern –, oder einen Trost – daraus machte er sich eine Ehre und konnte selbst dabei nasse Augen bekommen –, und war dünn und hager, die einen behaupteten von Natur, die andern schmähten von Hunger und unersättlicher Begehrlichkeit. Von seinem Geiz und seiner Habgier sagte man, daß er sich für einen Groschen einen Schusterspechdraht durch die Hinterbacken ziehen lasse. Der Besucher wartete, nach kurzer Zeit kam der andre.

»Tag ... was wollt Ihr? ... Ich hab' kein bar Geld im Haus.«

»Guten Tag, Tieß Bertz, ich komme ...«

»Ausleihen könnt' ich nur zu zehn vom Hundert und bis drei Viertel der Sicherheit, und kaufen, ja, da müßt' es schon prima ...«

»Ich komme wegen der Krüge ...«

»Ja, wißt Ihr, der Wert ist so gering bei dem alten Kram, man müßt' denn schon als Liebhaber eine Mark dranlegen, wenn man nichts Besseres damit zu machen weiß ...«

»Ich komme, um zu kaufen.«

»Kaufen?« Da straffte und streckte sich der Mensch, der bisher, den platten Bauernfilz wie ein Rad durch die Hände drehend, nicht wie der Hausherr, sondern wie ein ängstlicher Besucher vor dem jungen Manne gestanden hatte. »Kaufen? Was wollt Ihr kaufen, Meister Menniken?« Und er legte den Kopf zurück, schob die Brust heraus und die gespreizte Rechte wie einen Kamm in seine Weste und stand da als ein Mann, der Besitz hat.

Nun sprach Menniken von seinem Plane, die heimische, einst so berühmt gewesene Kunstindustrie vom Todesschlafe aufzuwecken, und die Begeisterung gab seinen Worten Glut und schlagende Kraft. Doch sie durchschlugen nicht die Seele eines Mannes, deren Wände aus dem Erz aufgebaut waren, aus dem man Münzen prägt.

»Auf welche Sicherheit, meint Ihr, soll das für die ... Heimatkultur – so sagt Ihr ja? – aufzuwendende Kapital beim Notar eingetragen werden?«

»Wie ...?«

»Und welche Rente soll die ... Befriedigung in veredelter Arbeit, wie Ihr das benamt, welche den Arbeitern beigebracht werden soll, abwerfen?«

»Sie verstehen mich nicht.«

Um die straffen Lippen des andern lungerte Spott. »Nein, ich versteh' Euch eben nicht.«

»Ich will ja nur Krüge von Ihnen, die Sie noch von Vaters her haben, als Vorbilder und Muster. Ich will ja kaufen, denn ich konnte mir wohl denken, daß Sie nichts herleihen würden.«

»Da habt Ihr sehr richtig gedacht, Meister Menniken.«

»Ich will Euch einen anständigen Preis zahlen.«

»Einen sehr anständigen werdet Ihr zahlen.« Die Stube war von plebejischer Gemeinheit. In einem Kasten stand eine Reihe herrlichster Töpfe wie vornehme Gefangene in einem Gefängnis des Pöbels.

»Das Brüsseler Museum hat die großen auf hundertfünfzig Franken und den »Bartmann« da auf neunzig taxiert und dafür geboten.«

Menniken merkte, daß er log, weil die Taxe zu – niedrig war. Also kaufte er dafür, und beide glaubten, ein gutes Geschäft gemacht zu haben.

Und zum Dritten kam er. Das war Deeres, der Wirt »Zum Krugenofen«. Der war ein Opfer seines Gewerbes geworden. Nicht durch die Versuchung des Alkohols; aber das Bedürfnis, die Gäste zu halten und zu unterhalten und selbstverständlich mit dem, was man gerne hörte, hatte jeden Karakter in ihm verwischt und seine Seele zu einem moralischen Chaos gemacht, über dessen Schlamm nur der Gedanke schwebte: verdienen. Hinter der Wirtstheke zu stehen ist gefährlicher als auf der Lokomotive, vor Ort und im fliegenden Trapez. Zu Wirten müßte man in einer idealen Gesellschaft die Philosophen und die feinsten saubersten Geister machen.

Deeres stand in seinem Ausschank, zapfte, schenkte, kassierte und sprach aus weitem großem Munde mit den schlaffen karakterlosen Rändern in Worte, Lärm und Tabaksqualm hinein, unbekümmert, ob man ihm zuhöre. Der eine machte ein Geschäft, der andere trieb Politik, der dritte erzählte Scherze, der vierte schlief. Aber Lärm muß in der Kneipe sein, Musikautomat oder Sprechmaschine. Zeit und Aufstehen wird vergessen. Der Wirt sprach gegen die Erwerbung von Kolonien, weil in jenen Jahren die Stimmung der Klerikalen dagegen war. Und mitten im Satz, als er zu seiner größten Verwunderung den jungen Herrn von Seffent in der Tür stehen sah, änderte er den Kurs und fuhr stracks mit dem Regierungswinde. Denn es war im Lande beinahe ein Anstandsdogma, daß die Herren liberal und regierungsfreundlich, die Männer aber klerikal und regierungsfeindlich gesinnt seien. Dann, als sie im Hinterstübchen saßen, brannte der Wirt wie eine Fackel von den neuen Plänen und redete mit weitem Maule von Ruhm, Heimatkultur, Geld und Hebung des Handwerks, und nahm den Mund so voll, daß zu fürchten war, das schlappe Instrument werde aus dem Gefüge gehen. Er wollte seine Wirtschaft »Zum neuen Krugenofen« umtaufen und schlug die plumpste Reklame vor, um das Sonntagspublikum der Städte zu Ausflügen nach der Stelle der alten Industrie zu locken, wobei die Wirtschaft »Zum neuen Krugenofen« für Speis und Trank der müden Wanderer sorgen werde, und zog seine Vorschläge, als sie nicht gefielen, ebenso entrüstet zurück wie er sie begeistert gemacht hatte, und redete in ununterbrochenem Fluß und Atem und Wind und lauten Tönen, als spräche er zu seinen Wirtshausgästen in Lärm und Rauch hinein, und fand seines Geredes und Gehabes kein Ende und kein Ziel und keinen Ausgang, bis Herr Menniken ärgerlich ausrief, er solle nun doch endlich einmal seinen Mund halten! Das tat der Wirt betroffen, bat um Pardon und Entschuldigung und hätte beinahe für die Rüge gedankt. Dann bot er dem Herrn seinen großen Besitz an Steingut und Formen als Muster an und meinte deshalb, daß sie den Gewinn teilen sollten. Als Menniken ihn deswegen auslachte, lachte er mit einem »gewiß, richtig, selbstverständlich« ebenso, nur breiter und wüster, über sich wie der andere. Als Menniken draußen war, ekelte ihn. –

Er ging weiter auf der Suche nach Krügen und kunstvollem Geschirr.

An diesem Punkte, am Eingang zum eigentlichen Kannendorf, änderte er die Richtung und ging hinüber, wo ihm von einer Höhe in der Landschaft ein herrschaftliches Haus entgegenwinkte.

»Ist die gnädige Frau zu sprechen?«

»Welche gnädige Frau?«

»Welche?«

»Frau van den Daele oder Frau Dalton?«

»Wie?«

»Mutter oder Tochter?«

»Ach so! Gleichgültig.«

Nach einer Weile, die der Besucher in der Eingangshalle unter echten und unechten Palmen, Marmor- und Gipsfiguren verbrachte: »Frau Dalton läßt bitten.« Er trat hinein in ein hohes dunkles prunkvolles Zimmer, über dem eine starkvergoldete Stuckdecke schwer und drückend lag. Sein Auge suchte in dem Wirrwarr von schweren Möbeln, die in Überzügen und Decken von roter und gelber Seide eitel taten, nach der, die ihn empfangen wollte. Da lehnte sie an dem weißen Marmorkamin, in der Hand das lebendige Köpfchen, dessen schweres Haar rot war. Der große Prunkspiegel stand schräg hinter ihr, sodaß er auch den übrigen gemächlich gestrafften Körper zeigte. Sie lächelte ihn an. Er stand einen Augenblick verwirrt, und verworren liefen seine Gedanken durcheinander. Ihr glattes Kleid schlich knapp über ihre Formen hin wie die Schale über eine reife Frucht.

Mit Wohlgefallen sah und fühlte sie die hilflosen Augen des Mannes und duldete sie gern.

»Ich nahm – mir die Freiheit eines Besuches, – gnädige Frau, – – wegen Ihrer berühmten keramischen Sammlung – –«

»Also das ist der Herr Menniken!« Sie kam über den dicken Teppich mit leisen Schritten, reichte ihm beide Hände dar und drückte die seinen mit flinkem Ruck und flüchtigem Zucken.

Er sagte kein Wort.

»Ich freue mich sehr«, sagte sie, und ihre Brust schwoll vor seinen Augen hoch auf wie eine Meereswoge.

»Ich komme – wegen der Krüge – und ...« »Ich glaube, ich bin Ihnen wahrhaftig fremd.«

»Ja, gnädige Frau, denn wenn ich Sie je gesehen ...!«

»Dann ...?« Das Wort lief ihm schnell wie ein Wiesel in den Weg.

» – kännte ich Sie sicher wieder.« Er wandte sich ab und schleppte seine Glieder ans Fenster.

Es knackte leise in der Stille. Es waren ihre Hände, die sie in Ohnmacht und Bedrängnis rang. Er wußte, daß es ihre Hände waren. Er drehte sich nicht um. Da fühlte er, daß sie näher kam. Er wußte es, ohne es zu sehen und zu hören, daß sie jetzt hinter ihm stand, wenig hinter ihm.

Da stand sie mit gesenktem Kopfe und sagte leise: »Bernhard.«

Er drehte sich nicht um. »Ich weiß nicht, wie Sie heißen.«

»Sandra«, sagte sie und setzte fort:

»Was hilft es, sich zu wehren? Wie Sie jetzt mich, so habe ich Sie gestern und alle Tage der letzten Woche gesehen und angesehen. Oben bei den sieben Quellen, von ferne, wenn Sie unter den Weiden nachdenklich wandelten. Ich wagte ja nicht, näherzukommen.«

»Wagten – nicht –?«

»Wenn ein Mann so nachdenklich schreitet, dann geht das Weib, das ihn sieht, an ihn verloren.«

»Sie – wagten nicht?« »Wir sind aus demselben Lande und von demselben Alter, aber wir sahen uns nicht. Man hat uns ja beide draußen erzogen. Warum konnten wir uns nicht früher sehen?«

»Warum – wagten Sie nicht, unter die Weiden zu kommen –?«

»Ich habe entsetzliche Angst, mich zu kompromittieren.«

»Würden Sie es denn jetzt tun –?«

Da sagte sie trocken: »Ich bin verheiratet.«

Sie ging und setzte sich in einen Sessel. Er wanderte mit großen Schritten auf und ab, hin und her. Sah auf sie und schritt weiter. Dann trat er an den Sessel heran und streichelte ihr Haar und Wange. Sie hatte die Augen geschlossen und hielt sich unbeweglich.

»Sie sind unglücklich«, sagte er.

Sie hielt seine Hand auf ihrer Wange fest. Jetzt schlug sie die Augen groß und unschuldig zu ihm auf wie ein Kind oder ein Tier. »Warum bist du auch so anders als die andern? Warum sind die andern Männer nicht wie du? Meinst du, mein Mann hatte mich je so gestreichelt? Mit diesem weichen Druck, mit dieser lieben Ruhe? Oder er hätte mich leise an sich gezogen wie du jetzt mich? Er riß mich an sich, daß mir das Herz stehenblieb, und küßte mich, daß mir Hören und Sehen verging. Aber so wild mag ich das nicht.« Aus dem Säulenhofe im Innern des Hauses rief der dumpfe Ton des Gongs zum Frühstück.

»Geh«, drängte sie, »und komm am Nachmittag wieder. Bitte, tu das, ja! Meine Mutter wird nicht zu Hause sein. Heute soll dich niemand außer mir haben. Geh jetzt und komm nachher.«

Und er ging. Fast getragen von den Wogen des Rausches, die durch ihn flossen. Er kam hinaus auf den grauen steinigen Platz vor dem Schlößchen. Leere Schuppen standen am Rande, rostende Schienen liefen drüber hin, und rohe, halb oder ganz behauene Steinblöcke lagen verstreut. Es war der Steinplatz der verlassenen van den Daeleschen Grube. In der Erddecke über den Steinlagern strich eine weiße glänzende Schicht durch den goldenen Sand. Es war Töpfererde, weich, fettig, elastisch. Irdenes Gummi, könnte man sagen, zum Kneten und Formen herausfordernd. Das Lager zog hinauf auch bis zu seiner Grube. Aber wie sollte er jetzt an Ton und Töpfererde und Töpferkunst denken!

Er ging einher in der weißen Mittagsglut und wußte nicht, wo er ging. Er sah die schattenkühlen Schuppen, aber er bemerkte sie nicht. Er setzte sich auf einen weißblauen Block, der als Grabstein halbvollendet liegengeblieben war. Lange saß er und dachte nichts, konnte nichts denken. Zwei Stunden saß er auf dem hellen harten Steinplatz, der dalag wie ein Harnisch, mit dem sich die Erde gepanzert. Und zwei Stunden rasselten die goldenen Sonnenpfeile nieder auf die glänzende Rüstung. Nach zwei Stunden kam er dazu, etwas zu denken, aber auch nur, daß er jetzt wieder gehen müsse.

Und er ging.

Sie stand in der kühlen Flurhalle und lächelte ihm entgegen. Jetzt trug sie ein andres Kleid. Es war von grauem Stoff, über dessen stumpfem Ton ihr blühendes Gesicht und ihr rotblondes Haar leuchteten.

Sie fühlte, wie sehr sie ihm gefiel. Sie streckte ihm lachend beide Hände entgegen und küßte ihn gerade auf den Mund. Er erschrak und sah sich um. »Es ist niemand im Haus«, sagte sie. »Die Mutter ist zu einem Sonntagsvergnügen nach Spa gefahren, und die beiden Mädchen sind ins Dorf geschickt. Wir sind ganz allein«, sagte sie.

Sie sahen sich lange an. Dann lag sie auf den Teppichen des Sofas, er saß auf einem Stuhle, hatte das Kinn in die Hände und die Arme auf die Knie gestützt und schaute zur Erde.

»Ich möchte ... von dem Manne hören«, sagte er langsam.

»Ja,« sagte sie im Liegen, »sonst ist er Gentleman. Ein wenig spöttisch immer, und nennt mich eine verheiratete Nonne. Ich lebe jahrelang nicht mehr mit ihm, denn ich halte es für unsittlich, wenn eine Frau sich einem ungeliebten Manne, auch ihrem Manne, gibt.«

»Das ist energisch gedacht«, sagte er. »Ich merkte es gleich nach der Hochzeit, daß er mich nicht liebte. Gott, ich war achtzehn Jahre und ein dummes Ding. Meine Mutter, die es ja wissen mußte, hatte gesagt, ich sollte ihn nehmen, er sei ein schöner Mann, galant, mit viel Bildung und ein wenig größer als ich. Wir würden gut zueinander passen. Er hat in der Stadt ein Hypothekengeschäft und behauptet, es nähme ihn sehr in Anspruch. Gewöhnlich kommt er Samstags her, um bis Montags auf dem Lande zu bleiben. Er muß sparen, denn es geht ihm schlecht, wie ich weiß. Aber ich kümmere mich nicht darum. Er hat einige freundliche Mädchen, die sehr liebevoll zu ihm sind. Aber das geht mich nichts an. Er würde sich ein Haus voll Mätressen halten, wenn er könnte.«

»Das ist energisch und groß gedacht«, wiederholte er und sah sie schwer an.

Sie erwiderte seinen Blick, und ihr Auge drang tief in das seine, als sie mit dunkler Stimme langsam sprach: »Ich würde mich dem Manne, den ich liebe – und der mich liebt, – ganz hingeben. Ich brenne danach, einen Mann mit Leib und Seele lieben zu dürfen – –«

Er sprang auf. »Sandra!« schrie er.

Da war sie im Augenblick wie ausgewechselt. »Nein!« rief sie und streckte abwehrend den Arm aus. »Brüll' nicht so!«

»Sandra!« schrie er.

»Nein!« – –

Den Abend wanderte er noch lange bei den sieben Quellen, über das Weib und sein merkwürdiges Tun grübelnd. Im Osten spähte über den Rand der Erde ein schwarzes Weib, die Nacht, ob die verhaßte Sonne noch nicht fort sei, erhob sich, wuchs riesenhaft bis in den Zenit, und deckte Land und Leute, Liebe, Leid und Leben mit schwarzer Finsternis zu.


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