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Feurige Nacht

Nicht am Tage, dazu war er zu stolz, aber manche Nacht hatte Simon Kannegießer sich am »Stern« gezeigt. Und das Herz tat ihm weh. Die Burschen feierten mit ihm in den Schenken Heimkehr. Sie hätten ihn geschont; aber da sie ihn aufgeräumt fanden, dachten sie, er habe die dumme Trine schnell, wie's in der Ordnung war, vergessen. Der Kannegießer lachte, erzählte auch Lustiges, doch dem, der ihn einen Augenblick bemitleidet hätte, würde er die Glieder zerbrochen haben. Und nachts tat ihm das Herz so weh.

Er saß auf einem Stein des leeren Werkplatzes, der Küche gegenüber. Drinnen sah er ihren Schatten. Wenn sie die Läden schloß, mußte sie ihn sehen. Er trat nicht heran und rief nicht, er erhob sich nur von seinem Steine – aber die Läden wurden geschlossen. Nach kurzer Zeit sah er das Fenster über der Küche hell werden; er erhob sich wieder – oben wurde eine Gardine vorgezogen, und bald war es dunkel.

Mit dem Licht der Lampe erlosch ihm jeden Tag die Hoffnung. Und jeden Tag kam sie ihm wieder.

Sein einfacher Geist umkreiste immer nur den einen Gedanken: warum? wie eine Amsel den Strauch, aus dem das Nest mit den Jungen verschwunden. Er holte die Medaille aus der Tasche und hielt sie in der Hand. Sie blinkte im Mondlicht hell und männlich. Als wollte sie sagen: Tapferer, mach dir nichts aus der dummen Trine!

Warum hatte er es getan? Er hatte nicht an sie gedacht, aber auch nicht ans Vaterland. Auch nicht an die Ehre. An alles das denkt dann ein Mannsmensch nicht. Nein, man sieht ... das Herz bebt, und Mut und Kraft meinen ... und lachen: ja, sie können es leisten! Und man tut's – Der Kannegießer stürzt sich in den Mungo!

Aber jetzt tat ihm das Herz weh. Er steckte den Orden in die Tasche.

Wie? – Was? – Das da?! – Unter Trinens Zimmer in der Küche! Das ist ja rot! Das ist ja –

Er stürzte heran. Und schrie und brüllte – hörten sie es doch unten in den nächsten Häusern! »Feuer! Feuer!«

Man hörte es. Fenster und Türen öffneten sich.

Er sprang auf eines der großen Fenster, trat mit dem Fuß die Spiegelscheiben ein und stürzte in das Haus. Auf dem Treppenabsatz im Säulenhofe begegnete ihm die Katherina. »Trina«, rief er und breitete weit die Arme aus ... Sie stürmte stumm an ihm vorüber ...

Der »Stern« glühte in die Nacht hinaus. Jetzt wirklich ein Stern. Auf der großen Steinkirche im Kirchdorf lärmte die Feuerglocke. – Jetzt auch in den Nachbardörfern, sogar jenseits der Grenze.

Menniken Ober-, Kannegießer Unterbefehlshaber. Die Schläuche sogen durstig Wasser aus der ersoffenen Grube ... »Die Spritzkästen näher! ... Den Wasserstrahl höher! ... Vorsicht, da vorn, der Balken stürzt herab ... Die Sturmglocke stellte eben ihr Heulen ein. Nur drüben in Belgien läutete noch eine. »En avant, mes camerades!« ... »Gott sei Dank, daß alles Lebendige gerettet ist ... Was meinen Sie, Kannegießer, ich glaube, wir müssen noch eine Eimerkette bilden, wir kriegen's nicht unter.« – »Es ist unnütz, Herr Menniken, es brennt doch ratzekahl ab. Wo ein Mensch nicht dawider kann, muß man eben die Hände in den Schoß legen«, fügte der Kannegiester dumpf bei. – »Lassen wir es brennen, Lenates, die Menschen sind gerettet, das Haus ist verloren.« – »Ja, ja, aber die Pötte,« seufzte der Junggeselle, »sie hatten den ältesten Bartmann da, den besten Menniken und einen Emens, für den ich ihnen eine Wiese geboten habe.« – »Meister Menniken, soll ich wohl ein Fäßchen Bier für die tapfere Mannschaft anbringen lassen?« – »Deeres, schert Euch zum ... Achtung! Ho! Ha! Ihr da! Donner ... Zurück! Zurück! Die Obermauer fällt! Die Wasserstrahlen drauf, daß sie nach innen stürzt. Pumpt!«

– Die Obermauer kracht nach außen nieder – –

– – Asche, Staubwolken, der Atem ist benommen. Einen Augenblick ist es still. – Wer wagt die Frage? – – Da einer: »Ist wer drunter geblieben?« – Sie hören es auf dem ganzen Platze. Keiner antwortet ... Da allmählich: »Nein, dem Tieß Bertz ist ein Stein an den Kopf geflogen und hat ihm den neuen Hut zerschlagen. Tieß Bertz ist sehr unglücklich. Dem Herrn Pastor ist ein Brillenglas zertrümmert worden« ... – »Ah, Herr Menniken.« – »Herr Pastor.« – »Gut gegangen, Herr Menniken, kostete beinahe mein elendes Leben. Doch, wie Gott will. Konfrator Ter Heele hat mich aus den Federn geholt. Hier ist er.« – »Guten Morgen, Herr Ter Heele.« Der nickte und stammelte erregt: »Niemand tot ... oder verwundet, Herr Menniken? Ich konnte nicht schneller. Ich habe alles zum Versehen bei mir.« – »Nicht nötig, Herr Ter Heele, alles wohlbehalten unten im Turm.« – – Es wird stiller. Auch heller am Himmel ... »Ist es schon so weit in der Nacht?« – »Dreieinhalb, Herr Pastor.« – Das Pumpen wird müder, das Feuer stiller; es brennt in sich hinein. Rot grinst und bleckt der feurige Moloch aus den schwarzen Mauerhöhlen ... »Messieurs, nous allons partir!« Auch die freundliche Hülfe der Belgier hat nichts retten können. Man schüttelt sich die Hände. Die Belgier ziehen ab ... Es wird heller ... Der Tag hebt sich auf beiden Armen über den Horizont und schaut verwundert, was denn die vielen Menschen da schon auf sind ...

Im Tageslicht ist der »Stern« eine wüste Brandruine. Drinnen brummt und knistert noch zornig und wütig, aber still das Feuer in sich hinein. Alles liegt am Boden. Atemraubender Staub liegt in der Luft von all dem Stuck, Zement und den falschen Materialien und verjagt die Leute.

*

Als das bürgerliche Aufgebot erging und die Namen Bernhard Menniken und Johanna von Raa hinter dem Drahtgitter in dem schwarzen Holzkasten des Bürgermeisteramtes hingen, da ließ der Pfarr den Wagen des Bürgermeisters erbitten und sich in das ländliche Fuhrwerk tragen; denn seine Beine wollten heute wieder nicht. Er kam hinauf nach Seffent, wurde freundlich empfangen, war selbst sehr freundlich gestimmt, musterte die Kunstwerkstatt, drückte seine Bewunderung darüber aus und machte die Zecherei mit, zu der auch die Gehilfen eingeladen waren. Als sie den Herrn Pfarr in die Klapperfuhre hoben, retteten die gichtigen Beine seine priesterliche Ehre; denn außer dem Zipperlein hinderte ihn noch etwas andres an sicherem Gange. Er lag selig wie von Wolken gewiegt in den harten Polstern, und die Hände über seinem Irdischen gefaltet träumte er hinauf in den sternklaren Nachthimmel. Nun er hoffen durfte, daß das herrschaftliche Paar auch eine kirchliche Trauung würde vornehmen lassen – er hatte wenigstens die Erlaubnis bekommen, in der Kirche den Ruf zu erteilen, wenn auch die Hochzeit draußen im Reiche stattfinden sollte –, nun diese geistliche Sorge von ihm genommen, konnte er weltlichen Träumen nachhangen – allzu weltlichen.

Den nächsten Sonntag im Hochamte verlas der Vikar Feuerstein nach dem Evangelium: »Zum heiligen Ehestande werden verkündet zum dritten Male: Johann Janklaes, zum zweiten Male Witwer, und Anna Pottenbecker. Zum ersten Male: Herr Otto Bernhard Menniken und Fräulein Gudula Veronika Johanna von Raa.«

Dann hielt Feuerstein eine hitzige Predigt, in der er den unwiderleglichen Beweis der päpstlichen Unfehlbarkeit erbrachte.

Aber das Volk hörte nicht darauf. Nein, hörte nicht im geringsten darauf! Vor so unaufmerksamen Zuhörern hatte Feuerstein noch nie geredet. Aufsehen war in der Kirche, ein ungewohntes Geraune und Getue. Vor Gott sind alle Menschen gleich! Die Männer scharrten mehr als gewöhnlich, die Weiber schneuzten mehr als nötig. Wenn es auch der oben von Seffent war und sie eine Adlige und vielleicht Kommerzienrats! Solch eine ungebührliche Unruhe hatte die Kirche noch niemals erlebt. Die Heiligen an den Wänden sahen sich verdutzt an. Was bedeutete das nur? Die Evangelisten an der Kanzel und die Apostel an den zwölf Säulen bekamen einen argen Schreck; denn sie hatten es damals nach der Revolution, als die Franzosen da waren, erlebt, was es bedeutet, an die Kirchhofsmauer gesetzt werden und dort in Wind und Wetter flehen müssen. Wurde das Volk aufrührerisch? Oder kamen wieder die Franzosen? Was war denn los? Was wird denn geschehen –?

Zunächst geschah nichts. Die Predigt war zu Ende. Das Hochamt nahm seinen Fortgang; Geheimnis reihte sich an Geheimnis, Wunder an Wunder; Weihrauch türmte und wölkte sich; die Orgel sang in jedem Ton der Begeisterung. Alle Schauer des Mystischen waren entfesselt. Aber dem Männerchor waren die Kehlen wie zugebunden und keine Andacht, selbst bei den Frommen, Mummeln und Möhnen kam mehr auf, obgleich alle Schleusen des Wunderbaren über der Kirche geöffnet waren.

Fünf Tage später ging der schwarze Feuerstein vom Kirchdorf, das wie eine dörfliche Domfreiheit allein und hoch in dem Gemeindeverein von kleinen Dörfern lag, westwärts nach der Grenze zu. Er wanderte Schritt vor Schritt über die grüne stille Flur und betete leise vor sich hin aus einem Buche mit Goldschnitt den Rest seines officium divinum. Und jedesmal, wenn er den Namen Jesus aussprach, lüftete er sein schwarzes Birett.

Alles war so ruhig, so sicher, breit und behäbig. Das Gewoge der Landschaft war sanft und ebenmäßig, wie wenn eine milde See plötzlich erstarrt wäre. Die bunten Farben des Viehes auf den Weiden saßen wie gehörig in der grünen Natur. Und die schweren Häuser standen so breit und fest gegründet, als lägen ihre Fundamente im Mittelpunkt der Erde.

Von Westen her kam ein Trupp von Männern. Sie trugen Geschirr auf den Schultern; neckisch spielte die Abendsonne in den Sensen und Beilen. Ein Wiesenbauer, welcher sich ihnen zugesellt hatte, trug eine Forke, die so spitz und blank in den Abendhimmel stach, daß das Licht an den Zinken aufspritzte. Als sie den Geistlichen von ferne sahen, hielten sie einen Augenblick an; dann kamen sie entschlossen näher. Ihre Hüte stiegen in die Hände hinab.

»Guten Abend, Leute«, sagte er nach einer kurzen Weile, die ihnen bedeuten mochte, daß sie ihn nicht im Beten stören durften. Aber er wollte es doch nicht mit ihnen verderben und bemühte sich, leutselig zu sein. »Wo kommt ihr denn her?« Sie antworteten nicht.

Da holte der Burgs Paulus noch einmal den Hut herunter.

»Und das wollten wir Sie noch sagen, Herr Kaplan: Vor Gott sind alle Menschen gleich. Vor Gott gibt es keine Herrens und Fräuleins.«

Gesprochen, gegrüßt – der Haufe trabte weiter.


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