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Hohe Wintertage

Durch das plötzliche unaufgeklärte Verschwinden der beiden Könner hatte der Betrieb der Kunstwerkstatt auf Seffent sein natürliches Ende gefunden. Aufträge waren nicht da, und wären sie da gewesen, so hätten die zwei Kunstarbeiter sie nicht ausführen können. Sie wurden entlohnt und entlassen und traten jeder seine Laufbahn an. Die Kunstwerkstatt war eingegangen.

Obgleich die Art und Weise, wie die drei Personen verschwanden, nicht den Leumund der auf Seffent herrschenden Sitten verbesserte und die von den Behörden ergebnislos angestellte Untersuchung die Augen der Nachbarn ärgerlicherweise auf das Land, das um seinen Ruf als Ganzes sorgte wie eine Familie, richtete, so war man doch im großen mit dem Gange der Dinge zufrieden. Denn erstens hatte man es nicht mit Wonne gesehen, daß ein einzelner Mann wie der Menniken solch ungewöhnliche Bedeutung erhielt. Dann konnten die wichtigen Leute, zum Beispiel ein Mann von der Würde eines Peterpauls Hary, es doch nicht wohl haben, daß fremdes zugekommenes Volk wie die Kunstmänner auf Seffent ihnen im Lichte standen. Denn obgleich es ja keine Leute von Besitz, sondern nur Kunstmänner waren, so sprach man doch zuviel von ihnen, und ein Mann wie z. B. Peterpauls Hary durfte seinen bescheidenen Anteil an der öffentlichen Aufmerksamkeit verlangen und erwarten, daß Samstags nach Feierabend oder am Sonntagmorgen nach der Messe im Wirtshaus wenigstens über seinen letzten Viehankauf oder irgendein Ereignis seines Stalles gesprochen wurde; aber natürlich, der urteilslosen Masse waren die zum Teil romantischen, zum Teil ungebührlichen und frechen Geschichten, z. B. wie die Seffenter die Geistlichen gefoppt haben wollten, lieber! Und das könne man nun sehen, daß diese sogenannte Kunst nur eine gleißende Hülle sei, unter der sich die Schlechtigkeit und Unsittlichkeit der gebildeten Welt da draußen ins Land schleiche und sich einnisten wolle unter Leuten, die für solch dummen Zeitvertreib wie Kunst zu ernst und verständig wären und überhaupt ihr Vieh besorgen müßten. Das könne man nun sehen an dem schlechten Mädchen Agnes, das, solange es beim ehrlichen Deeres diente, sittsam war, das aber, sobald es in dem Kunsthause in Stellung getreten war, seine Freundinnen verleiten wollte zu baden, wo doch Frauenzimmer überhaupt nicht baden. Was man sich aber von dem forschen Jungen, dem Kannegießer, erzählte, machte einen tüchtigen Eindruck, und auch hier bedauerte man, daß der Kannegießer wegen des Frauenzimmers, der Emens Katherina, nicht im Lande geblieben war. Und was für ein Kerl der Menniken war, das konnte man ja jetzt überall in den Zeitungen der Städte lesen; daß er sich blamiert, soviel er will, aber er soll unser Land nicht lächerlich machen, Donner Gottes! Solche Aufregungen sei man wirklich nicht gewohnt. Und dann müßten sie dafür sorgen, daß jetzt ihre Leute etwas mehr zur Geltung kämen, und die da oben sollten von nun an ihre Geschäfte gefälligst für sich machen. Wenn auch der Knopfmann ein Luder sei, so sei es doch wenigstens ein Luder, das wisse, was es wolle, und kein Sausewind und Flausenkopf; wenn man ihm auch die Knochen mahlen müßte, so mache er doch das Land nicht in den Zeitungen lächerlich. Außerdem erregten die Künstler durch ihren Lärm bei den Leuten da draußen den Glauben, als ob es im Lande nur solch spielerischen Zeitvertreib, keine fleißige Arbeit mehr gäbe. Aber nunmehr, da es da oben still geworden, dürfe man ja auf eine gerechtere Verteilung der Rollen und ein ruhigeres Spiel auf dem Theater des Landes hoffen.

Herr Menniken saß viele Tage in dem hochgewölbten Saal des Gutes, in dem er sein Arbeitszimmer eingerichtet hatte, und grübelte. Er war so verdrießlich, wie Männer es sind, wenn ein Unternehmen fehlgeschlagen ist und neue Pläne in ihnen zu reifen beginnen.

Er hatte die Freude an seinem Unternehmen verloren. Geschäftlicher Daseinskampf würde sie ihm wieder mit Gewalt beigebracht haben, ideale Unternehmungen sind kränkliche Pflanzen. Sein Interesse war auf ein andres Dach geflogen, unter dem in stiller einsamer Geistesarbeit ein Gelehrter in Studien über Kulturgeschichte, Volkswirtschaft und Vergangenheit des Heimatlandes saß. –

Johanna Menniken stand am Fenster.

Es war eine von jenen toten Nächten, wo alles Leben gestorben und das Land begraben zu sein scheint. Wo es ist, als ob die nächtlich schwarze Platte des Himmels sich über der Erde schlösse wie der Deckel über einem Grabe. Und die Welt darin im Tode schliefe.

Es war eine von jenen Nächten im späten Winter, wo das Leben wie von selbst stillzustehen oder bis in seine innersten Tiefen geflüchtet zu sein scheint; wo kein Wind sich regt, kein Vogel ruft, kein Tier lärmt, kein Baum im Froste zittert oder schon im Safte quillt – still.

Johanna Menniken hörte den Wildbach nicht rauschen – merkwürdig, der Wildbach rauschte nicht. Kein Lüftchen wehte. Die Welt hielt den Atem an. Wie man aus Furcht den Atem anhält, wenn ein Tier, ein Bär einen beschnuppert. Die Einsamkeit, das riesengroße schwarze stumme sammtpfotige Ungeheuer, beschnupperte die Welt.

Die Mondsichel war nur ein schmaler Spalt wie der Ritz zwischen den Lidern eines Todmüden. Als ob Gott selbst schlaftrunken wäre und mit seinem nächtlichen Auge nur noch mühsam in die Welt hinausblinzelte. Da schrie ein Käuzchen! ... Einmal. Warum schrie das Käuzchen nur einmal? Es klingt so ungeheuer, wie es in der Urzeit geklungen haben mag, wenn eines von den riesigen schwarzen Flugtieren in wildem Lärm und Triumph aufgeschrien hat. So still war es, so einsam wie in Vorzeiten der Welt, Urzeiten des Lebens, bevor ein Mensch auf Erden gesehen wurde, in den tiefen Wäldern von Schachtelbäumen, als die Amphibien die Könige der Schöpfung waren, als der Gedanke »Mensch« noch über der Welt schwebte wie ein ferner utopischer Traum, wie die kühne Idee eines Gottes, wie eine fantastische Messiashoffnung ...

So einsam war es Johanna Menniken in dieser Nacht, als sie allein am Fenster stand.

Obgleich er im Zimmer nebenan war, Bernhard Menniken.

Er war noch immer in seinem Arbeitszimmer, obgleich Mitternacht schon vorüber. Er arbeitete oft so lange. Sie stand am Fenster und grübelte.

Die Blumen blühen, auch ohne daß ein Mensch sie sieht und sie einen Menschen sehen. Und Millionen blühen, die nie ein Mensch sehen wird, und Milliarden haben geblüht, ehe überhaupt ein Mensch da war. Erspäht der Vogel, ob jemand in der Nähe ist, wenn er singt? Er singt, wenn es ihm zu singen in der Seele ist und die Liebe ihm die Kehle klingen macht. Und dann schweigt er. Und später stirbt er. Er hat gelebt und gesungen, genug, die Blumen haben geblüht und sind befruchtet worden, genug, also ist es recht, daß sie sterben. Da sie nicht mehr sind, warum sollen sie die spätere Welt mit ihrem Andenken belasten? Unendliches Leben geschieht jedes Jahr, jede Sekunde, und stirbt in jeder Sekunde milliardenfach. Wenn all dieses Leben sich im Andenken bewahren wollte, die Welt des lebendigen Lebens würde ein Haufen werden von trockenem historischen Schutt.

Für Johanna Menniken war heute eben heute, ein Tag wie andre, an dem sie gearbeitet, sich gefreut hatte. Für ihn war heute ein Tag, an dem er nichts für sein Andenken, seine Ewigkeit getan hatte.

Sie war wie eine Welle im Meer, welche die Sonne in roten Purpur, der Mond in Silber verwandelt, in der die Sterne ihre heißen Äuglein kühlen. Dafür freilich floß und verfloß sie auch wie die Welle. Wurde unter andere gemischt oder von der Sonne aufgesogen und in die Urkräfte der Natur zurückgetrunken, wenn sie sich genügend auf dem Meere geschaukelt. Er freilich würde – wollte – beständig sein, tiefer gegründet sein, unveränderlich sein, während um ihn der Alltag, die Sekunde und ihr Leben flossen.

Wenn die Erde und der ganze Raum mit einer Wolkenhülle wie ein Topf mit einem Deckel zugedeckt ist, dann fühlt man sich verwandter mit allem, was darunter. Man wohnt enger, gedrängter mit Haus und Baum, mit Tier und Stein. Man ist mehr abhängig. Besonders wenn eine dunkle Gefahr dräut. Eine Gefahr, die dich treffen kann ebenso wie die Eiche, wie die Scheune, wie das Pferd, wie die ganze Nachbarerde. Man fühlt sich und jegliches Ding irdisch. Gemeinsame Gefahren schließen zusammen. Dagegen wenn die Luft hell und frei und der Himmel hoch ist und man auf ungeheuern Höhen von Räumen über der Erde bis ins Unendliche reichen zu können meint, dann verliert man den Blick für das Nahe und das Gefühl der Verwandtschaft mit dem Irdischen. Der Himmel ist groß und weit, und die Seele lacht so hell und kühl wie ein Gott aus den Lüften.

Frau Johanna hatte in jüngster Zeit dem Hause der Menniken ihre Sorge gewidmet, war von den hohen weiten Speichern bis in die tiefsten Brunnenkeller gestiegen und hatte untersucht, gebessert und gereinigt. Dabei hatte sie manches alte Stück an Krügen, Modellen, Schriften und Urkunden gefunden und eines Tages aus einem vergessenen Winkel eine längst verlorengegebene Urkunde herausgezogen, in welcher Maria Theresia der nach dem Dreißigjährigen Kriege mühsam noch lebenden Töpferei eine Art Enteignungsrecht verliehen für abbauwürdige Tonschichten. Es war in flämischer Sprache abgefaßt, in herrlicher Schrift auf vielen Pergamentbogen, und begann: Maria Theresia, by Godis gnad Kayserinne und Kuniginne van Duytsland, van Hongarien an gemeine Pottbackers. Menniken war überglücklich und vergaß über der Freude, die ihm die Veröffentlichung der wichtigen Urkunde in den fachwissenschaftlichen Blättern brachte, die glückliche Finderin.

Sie hatte sich um das, was jetzt von den Menniken war, bemüht. Auch nach rückwärts sich bemüht. Auch nach – vorwärts – –?

Nein, das hatte sie nicht.

Freilich hatte sie etwas versäumt. Freilich hatte sie nur an sich gedacht. Freilich trug sie wohl Schuld.

Aber war es nicht vielleicht schon zu spät –?

*

Hohe Frühlingswochen vergingen.

Tiefe Züge schöner ungezäumter Pferde stürmten über die Fläche. Ihre Nüstern schnaubten, ihre Flanken schlugen, ihre Hälse waren schön und stolz gebogen. So flogen sie in edler Wildheit über die Ebene.

Stürme bliesen von den Bergen, frisch und stark wie aus den jungen Lungen des Frühlings. Sie fielen in die jungbelaubten Bäume und zausten an dem Laub. Den kräftigen jungen Blättern und Zweigen war es eine Lust, sich in den frischen Winden zu biegen und zu beugen und das köstliche Wohlbehagen und die wohlige Ermüdung der durchrüttelten Glieder zu fühlen.

Wasser fielen vom Gebirge, frisch, kalt und jung. Sie brausten und schäumten, sprangen und rollten abwärts. Im Fließen spülten und wuschen sie, sprangen und brausten sie, und unmutsvoll rauschten sie an Hindernissen auf.

Licht floß aus der Sonne, junges starkes Licht, in lautlos rauschenden Stürzen. Es erfüllte die Täler, bedeckte die Länder, erreichte die Berge, überschwemmte und ertränkte die ganze Erde. Wie die Grundtiere aus der stillen Tiefe eines Ozeans sahen die beiden Menschen hinauf durch das Meer von Licht, in das beständig neue Fluten rauschten, auf dessen Oberfläche oben in stillen Stunden der Mond und die Sterne schwammen.

Jung, jung!

Johanna Menniken bäumte sich auf, emporgeworfen vom Gefühle der Jugend.

*

Eines Tages, nachdem sie auf der Geige gespielt hatte und ihre Seele durch den Kasten an ihrer Wange geflutet war, als sie dann in unbezwingbarer Fröhlichkeit sang – da brach sie plötzlich ab, denn es war ihr, als habe sie aus den Tiefen ihres Wesens eine andere Kraft, eine fremde Macht, einen gewaltigen Willen mitsingen hören: den Willen der Welt hatte sie aus den fernen Gründen des Alls durch ihren Mund hinausrufen hören. Und plötzlich hörte sie seine Schreie auch im Gesang der Vögel im Haine, wilde Schreie, die aber in die Erscheinung durch die Vogelkehle schön und veredelt heraustraten. Es war ihr, als höre sie den Lebenswillen sein »Ja« und »So will ich« sagen im Rauschen des Wildbaches, im Rascheln der Blätter im Quellbusche. Ja und So will ich! Wer auf irgendeiner Welt oder Sonne, welche Kraft, welcher Gedanke, welcher Gott will anders, daß ich ihm den Hals breche! Sie sah vom Fenster aus die Quellen fließen und sah den Willen der Welt alle Feuchtigkeit in den Finsternissen der Erde in seine hohlen Hände schöpfen und sie durch die Quellen in das Licht des Tages hinausreichen. Sie sah diesen Willen der Welt die weiche Masse der Lebendigkeit durch die Poren der Erde hinauspressen, zum Gras oder zum Kraut, zur Blume oder zum Baum geformt. Sie sah ihn seinen heißen Atem durch den schönen Mund der Blumen auf die Fläche der Erde hauchen. Sie sah ihn plötzlich entsetzt zugleich und selig erhoben das Tier aus Loch und Gang, aus Schale und Ei hinausjagen. So will ich! hörte sie ihn fern-furchtbar rufen, welcher Wille und Widerstand in irgendeiner Höhle und Ecke des Alls will anders, daß ich ihm die Glieder zerstampfe und seinen Brei in eine leere Fuge des Weltgebäudes schmiere! Wo ist er? – Und sie hielt mit allem Ding im Zirkel des Seins den Atem an, während die furchtbare blinde Hand im Raume ragte, die Wände der Welträume abtastete und um jede Sonne herumfühlte ...

Im Winter an einem hohen Tage wurde Johanna Mutter.

*

Und was im Winter alle Tage geschieht, ist so:

Das Vieh steht in den Ställen. Darin ist eine mollige muffige Wärme. Wenn die mit Sackleinen und Stroh wohlverpackte und zugefugte Stalltür sich öffnet, strömt ein warmer Hauch in die kalte Luft. Sie misten. Auf der blinkenden Forke raucht der Mist des Pferdestalles. Schon auf die Forke stürzt sich eine Menge lärmender Spatzen, die frierend und hungernd an den kahlen Obstbäumen der Hauswiese gehangen haben. Mit der Hand fast kann man sie fangen.

Traulich brummt im Kuhstall eine Kuh. Eine Kette rasselt. Dann wird die Tür wieder zugeschlagen.

Auf dem Mist streiten sich pöbelhaft die Spatzen. Zwei schlagen sich um einen Bissen, ein dritter bekommt ihn.

Aus den Kaminen der Häuser steigt der Rauch in die kalte Luft. Zuerst erhebt er sich im Vollgefühle seiner Wärme, ganz gerade, als würde von drinnen ein weißer Stab langsam hinausgeschoben. Dann aber steht er einen Augenblick still, und von der grimmigen Kälte gepackt fängt er an, sich zu winden und zu drehen. Er bohrt sich angestrengt weiter hinauf. Langsamer –. Jetzt steht er wieder. Erschöpft, verzweifelt, kalt. Und mit grimmiger Faust packt ihn lachend die Winterluft und zerreibt ihn zwischen den beiden letzten Fingern. Weißer Schnee, weißgraue Häuser; Bäume, Zäune und Hecken sind schwarz. Die farbige Sommerlandschaft ist zurückgeführt auf Schwarz und Weiß.

Der Postbote macht jeden Tag die Runde und bekommt manchen warmen Schnaps in den kalten Leib.

Manchmal stapft auch der alte Ter Heele mit Pütz Karel, dem Küster, durch die verschneiten Wiesen. Der Küster geht, das schwarze Röckel am Leib, in der Linken die Messinglaterne mit dem brennenden Licht, in der Rechten das Glöckchen; wenn Leute entgegenkommen, schellt er. Wenn sie an den Häusern vorbeikommen, schellt er. Dann stockt drinnen für einen Augenblick Arbeit, Scherz, Gesang. Sursum corda! Die Kühe in den Ställen aber erinnern sich der Sommerweide und beginnen, ferner grüner saftiger Erinnerungen voll, laut zu muhen. Manchmal steckt der Küster die Schelle aber auch in die Tasche, bläst in die blauen Hände und murrt etwas.

Der Geistliche aber murrt nicht. Er trägt, die alten zitternden Hände über der violetten Hülle gefaltet, die letzte Wegzehrung und die heiligen Öle. Und er betet, daß es ihm vergönnt sei, noch zu rechter Zeit den Kranken zu erreichen.

Dann und wann wird aus dem Hofe des Peterpauls Hary in den Diepenbenden einer der Dorfstiere herausgeführt. Der Stier scheut vor der großen Weiße. Aber Hary versteht es, mit Stieren umzugehen. Er läßt ihn ruhig stehen und mit den kleinen Augen blinzeln, bis es dem Stier kalt wird, und er sich von selbst in Bewegung setzt. Mächtig trabt der schwere Körper auf den kurzen Beinen. Hary selber hat rote Backen, strahlende Augen und gesundes Mark in seinen Röhren. Man könnte sagen, er ist krank vor lauter Gesundheit. Nun merkt der Stier, wie warm die Bewegung macht. Er beginnt zu springen, zu laufen, zu steigen. Dampfwolken stößt er aus seinen Nüstern. Der Widerrist steigt hoch und stolz auf; unter dem dicken Halse wackelt im Springen der Buschlappen. Jetzt steht er ... schnaubend, sprühend ... den Schweif erhoben, hoch in der Luft die starke Quaste. Jetzt brüllt er ... aber Peterpauls Hary versteht es, mit Stieren umzugehen.

In den dicken Häusern ist es um so gemütlicher und behaglicher, je kälter und unwirtlicher es draußen ist. Der Stall ist immer gleichmäßig warm. Der Geruch ist nicht unangenehm. Oh, man darf nur nicht eine verzärtelte Nase haben! Als Hennessens Hennesse Hannes, der Lebensgefährliche, vom Militär zurückkam und Hennessens Hannes seinen Sohn begrüßt hatte mit den Worten: »Morgen, Jung, Alles gut? Die Butterblume und der Kronprinz haben gejungt, Kälber wie von Abrahams Weide«, da hatte Hannes nicht auf seinen Alten gehört, sondern die Tür geöffnet, die aus der Wohnstube in den Stall führte, hatte lange gestanden, tief geatmet, die Nase groß gemacht und gesagt: »Ich freue mich als wieder Mist zu rüchen.«

Das ist winters schön leben in den Häusern. Mag man in einem Lande, wo die Leute ihr gutes Auskommen haben, im Sommer nicht allzuviel arbeiten, so kann man es im Winter nicht tun, selbst wenn man wollte. Aber man will auch gar nicht. Die Wiesen sind verschneit; das Vieh steht warm in den Ställen. Vom Venn fährt das rauhe Volk des Berglandes den Brandtorf herunter. In den Steinbrüchen ist hohes Wasser, und eine dicke Eisdecke liegt darüber. Und dann ist der Blaustein so kalt. Aber in den Kalköfen ist es angenehm; da beschäftigen sich denn auch winters die meisten Steinbrecher. Der Ofen brennt nicht schneller, weil viele ihn bedienen. Und Tollheiten sind da in den wohlerwärmten Gewölbegängen der Öfen getrieben worden, oh...!

In den Ställen fressen die Kühe das kräuterreiche Heu aus den Krippen. Auf den Stangen und in den Kästen unter dem Heuboden über den Kuhständen gackern die Hennen. Ab und zu flattert eine von ihnen mit klatschendem Schlage auf aus ihrer molligen Ruhe und setzt sich nieder auf eine Kuh. Eine Kuh, im Stalle vollends, ist ein sanftes Vieh. Besonders wenn sie mit Wiederkäuen beschäftigt ist. Eine zweite, dritte und weitere Hennen fliegen herzu, und eine kleine Herde Federvieh sitzt gackernd und lärmend auf der roten Kuh. Die Kuh kaut und brummt einmal tief dazu. Bis es ihr plötzlich zuviel wird und sie die ganze Gesellschaft Federvieh mit einem Schlage ihres Schwanzes herunterfegt.

Aus dem Vorstalle, wo Torf, Holz, Bütten, Eimer, die Säcke mit Kuhmehl stehen, kommt Hammerschlag, Sägegeräusch, dazu Pfeifen und Singen. Der Viehwirt hat seine Hobelbank aufgestellt und bessert in den langen Stunden der Wintertage dies und jenes aus, die Kuhkrippe, den Schweineverschlag, den Forkenstiel, ersetzt die fehlenden Sprossen der Hühnerstiege, erneuert den Boden des Melkeimers, oder sogar, wenn er mutig und geschickt ist, wagt er ein Möbel für die Aussteuer der Tochter, die nach Ablauf der geschlossenen Zeit Hochzeit machen wird.

Im Wohngebäude, in der Stube, meist im plattenbelegten Vorraum buttern sie. In der Mitte steht das grüne Butterfaß mit den goldglänzenden Messingreifen auf hohem Schragen. Im Winter erlauben die Hausfrauen den jungen Burschen, auch werktags zu den Mädchen auf die Freite zu kommen. Dafür werden diese Jünglinge aber an das Butterfaß gesetzt. Die Hausfrau läßt jedesmal einen Jungen mit einem Mädchen an demselben Schwengel drehen. Die irdenen Schüsseln, m denen die Milch zum Sauerwerden steht, werden hereingetragen, der Rahm wird mit dem langen Holzmesser abgestrichen und in das Butterfaß geschüttet, das Gußloch mit einem Holzdeckel und Leinewand verschlossen, der Riegel vorgelegt – so, nun kann das Buttern beginnen.

Eins, zwei, links, rechts, du bist dran, ich bin dran, du ... ich ... Das Drehen ist im besten Gange. Laut klatscht der Rahm auf die gelochten Bretter im Fasse. Die Hausmutter darf es sogar wagen, den Burschen mit dem Mädchen allein zu lassen, denn der Lärm des Butterfasses ist überall zu hören, im Stall, im Keller, auf dem Speicher. Aber weh, wenn es einen Augenblick still ist! Wie aus den Ritzen des Bodenbelages hervorgezaubert steht die Mutter im Raume.

Ei, die Stunde ist schon vorüber? Der Junge und das Mädchen haben, sich gegenübersitzend, auch sich in die Augen sehend und gelegentlich ein stilles Küßchen tauschend, geschickt, ohne im Drehen einzuhalten – um Gottes willen! – das Butterfaß eine Stunde lang bedient. Ja, die Stunde ist vorüber. Es hilft nichts, es ist gebuttert. Der Rahm ist zerlegt, man vernimmt deutlich das unterschiedliche Geräusch.

Das Faß wird geleert, die Buttermilch in Eimer gegossen und für die Kälber beiseitegestellt, die Butter in breite niedrige Bütten gelegt und so lange in stets erneuertem Wasser gewaschen, bis dieses rein abläuft. Zu Pfunden abgewogen, auf blanken Holzschüsseln zu Kugeln oder Kegeln gerollt, in weißes Leinen gepackt, wird die Butter in nahe und ferne Städte zu den Kunden und auf die Märkte gebracht. 1 Mark 50 kost' das Pfund Butter!

Und die Hausfrauen in den Städten sagen: »O weh, lieber Buttermann, wenn Ihr das nächstemal nicht abschlagt, werde ich mit meinen Kindern lieber Schmalz essen.«

»Gewiß, Madam, die nächste Kehre schlägt die Butter ab.«

1 Mark 55 kost' das Pfund Butter!


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