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Letztes Leuchten

Mehr der Zufall und die Sache selbst hatten die Erfolge bei den Männern errungen als seine Kunst. Er sah es ein, und es ärgerte ihn, denn jetzt, da er zu den Frauen ging, würde er keine Gelegenheit mehr haben, die Überredung zu üben.

*

Aber es kam auch hier anders. Frau van den Daele hatte schlecht geschlafen, die Migräne der letzten Tage war kaum überstanden, ihre Toilette war nachlässig, man sah den Puff Gaze unter ihrem Kopfhaar. Zuerst war sie schläfrig, wurde bald verdrießlich – siehda, da war sie ungnädig. »Was sollen wir arbeiten?« sagte sie, »wir haben genug. Nein, warum sollen wir! Überhaupt, das ewige Schachern! Lassen Sie die Ordnung der Dinge, sie ist gottgewollt, Sie und wir sind ja reich. Man hat Sie im Verdacht, ein Sozialist zu sein. Ich muß mich leider empfehlen. Man wartet auf mich.«

Bernhard Menniken saß verblüfft in dem tiefen Sessel. Woran war dieses Haus und waren diese Frauen innerlich zugrunde gegangen? Ein Etwas hatte diesem Hause gefehlt, ein Ring, in dem alle Triebe und Instinkte begriffen worden wären. Arbeit hatte gefehlt.

Warum sollen wir arbeiten?

Es war still. Das Wort der Frau van den Daele lag noch hörbar in der Luft. Sie aber, Sandra, bot, in stilvoller Ruhe liegend, die Schönheit ihrer wohlgebildeten Glieder dar. Er jedoch, von der Arbeit und seinen Plänen barbarisiert, hatte kein Auge für diese Reize.

Er erhob sich, »Also höre,« sagte er lächelnd, »wir werden uns nicht durch ein paar nichtstuende Frauen aufhalten lassen. Ohne eure Gruben ›am Teufelsschreck‹ können wir nichts unternehmen, sie liegen gerade zwischen den unsrigen. Nun wohl, wenn ihr kein Geld verdienen wollt, werden wir es euch aufdrängen. Hör' und sag' es deiner Mutter: wir werden eure Grube einfach in Angriff nehmen.«

»Ach was, dummes Zeug,« rief sie, »mach meinetwegen was du willst. Du bist langweilig, Bernhard. Was kümmern mich eure Gruben und Genossenschaften? Aber du kümmerst mich, hörst du, du bist langweilig, Bernhard.«

Er erhob sich jäh und drückte plötzlich ihren Arm oberhalb des Gelenkes. »Utsch!« schrie sie, »du tust mir weh! Wie kannst du mich nur so anfassen?«

»Man sollte dich von Zeit zu Zeit ein bißchen hart anfassen ...«

Betroffen sah sie auf.

»Was hast du mit dem armen Franzosen gemacht?« stieß er hervor.

»Nichts hab' ich mit ihm gemacht! Niemand kann mir etwas nachsagen.«

»Allerdings hast du nichts mit ihm gemacht.«

»Nun also.«

»Das gerade ist das Schlimme, daß du nichts mit ihm gemacht hast.«

»Ich versteh' dich nicht ... was kannst du überhaupt wissen?«

»Alles. Willst du dich überzeugen, ob ich das richtige weiß?«

»Geh, du bist langweilig. Alle Jubeljahre läßt du dich einmal bei mir blicken, und dann sprichst du von Steingruben und von ...«

»Was hast du mit dem armen Franzosen gemacht?« fragte er hart.

» Mon Dieu, nichts hab' ich mit ihm gemacht, du sagst es doch selbst!«

»Freilich nichts. Du hast ihn schmachten lassen, bis alles, was von Kraft und Männlichkeit in ihm, zerglüht war.«

»Gott, er ist mir nachgelaufen ...«

»Wobei du ein bißchen gelockt hast. Ich bin überzeugt, damals, als du nach dem Flußbade dalagst und er dich besuchte, um seiner Retterin zu danken, hat dein Spiel schon begonnen.«

»Abscheulicher!«

»Er war noch ein junger unerfahrener Kerl, dieser ... wie hiest er doch wieder? Monsieur Laurie hatte eben das Bakkalaureat und wollte ... was wollte er auch wieder studieren?«

»Medizin«, ergänzte sie kleinlaut.

»Richtig, Medizin. Plötzlich aber erklärte er sich wider Lust und Begabung für Mathematik; weißt du warum, Sandra?«

»Was soll ich wissen, was so ein junger Laffe...«

»Weil er Mathematik in deiner Nähe an der Hochschule in der Stadt studieren konnte, und du hattest ihm dazu geraten.«

»Ich?«

»Du!«

»Nun sage auch noch, ich habe ihn verführt...!«

»Nein, das hast du nicht. Im Gegenteil, du hast ihn schmachten lassen. Du hast ihn alle Sonntage zu dir gerufen, manche halbe Woche ist er hier bei euch gewesen, du tatest zärtlich mit ihm... Sag', Sandra, durfte er dich auch in solcher Aufmachung sehen, wie ich dich sehen darf? – Hm, vielleicht mehr, Sandra, was...?«

»Quäl' mich nicht«, stieß sie hervor.

»Haha!«

»Ich bin eine anständige Frau!« rief sie aufspringend.

»Die Entrüstung wirkt stillos bei dir, die sich so erhaben über Philisterbegriffe zeigte! So bist du recht: nicht die Kraft zur Tugend und nicht den Mut zur Sünde. Du weißt nicht, was es heißt, einen Mann reizen. Wenn er eigensinnig ist und nicht locker läßt, kann es ihn verrückt machen. Das hat es in diesem Falle getan.«

»Was geht das mich an? Er war doch kein Kind mehr.«

»Du hast ihn aber als Kind behandelt. Nun will ich dir auch sagen, was weiter mit ihm geschehen ist. Er ist zuletzt vor zwei Monaten hier gewesen und hat dich wieder angefleht. Da hast du ihm die Bonbonsschachtel gegeben. Hast du, Sandra?«

»Woher ...«

»Geduld. Er war ein lieber Junge, nicht wahr?«

»Ja ...«

»Er hatte geschworen, er könne ohne dich nicht leben?«

»Das hat er!«

»Jetzt kann er's aber.«

»Wie ...?«

»Und er wird nie wiederkommen.«

»Ich weiß es besser ...«

»Nein, diesmal ich! Hör' zu, ich will es dir erzählen. Ich habe die Sache ja lange gewußt und gesehen, aber sie ging mich nichts an ...«

»Freilich ging sie dich nichts an ...«

»Du kannst nicht sagen, daß ich mich ungebührlich hineingemischt habe.«

»Nein, das hast du, bei Gott, nicht.«

»Ich verstehe dich nicht, Sandra.«

»Erzähle weiter.«

»Nun also. Plötzlich nahm ich Interesse an dem jungen Mann. Durch einen Zufall erfuhr ich, daß M. Laurie, der Bibliothekar an Ste. Geneviève, ein trefflicher Mann, dem ich manche Förderung verdanke, sein Vater ist. Da hielt ich es für meine Pflicht, ihn zu benachrichtigen, daß sein Sohn auf dem besten Wege sei, zu verlumpen. Der Vater kam. Der Sohn ist ein lieber Junge. Er erzählte die ganze Sache und ging nach Frankreich zurück. Ob er sich aber wieder zusammenraffen wird, ist eine andere Frage.«

Sie antwortete nichts.

»Nun, Sandra, du siehst, man versteht dich wohl, wenn man sich den Kopf freihält. Manchmal hast du eine Idee, die vorzüglich ist. Man fragt sich nur, woher sie kommt. Soviel ist sicher: die Kraft, sie durchzuführen, hast du nicht. Aber es beweist doch, daß etwas aus dir werden könnte, wenn deine Seele ein Ziel bekäme. Ihr arbeitet nicht, Sandra. Dadurch habt ihr jede Festigkeit der Lebenshaltung verloren. Ihr schwankt wie junge Bäume, die sich vom Pfahle gelöst haben. Durch euern Müßiggang seid ihr auch aus dem Zusammenhange dieses Landes herausgefallen. Das Land steht unter dem Zeichen der Arbeit, gemächlicher Arbeit, die Lohn nicht Fron ist. Der Viehwirt, der im Vorstall an seiner Werkbank einen Schreiner aus dem Brot setzt, singt und pfeift zu seinem Geschäft, daß es schallt. Ihr seid zu bequem zu energischer Arbeit und zu wenig gebildet zu einem feinen Müßiggange. Und doch gehört ihr gewissermaßen negativ in dieses Land, indem das Geschick in euch die Kontrastfiguren geschaffen hat, immerhin, wenn ihr recht philosophisch wärt, auch ein Lebenszweck. Aber ihr solltet doch fortgehen aus dieser für euch so langweiligen Gegend und euch nach Vergnügungen umsehen, so lange, bis euch auch das ekelt. Dieses Land ist zu gesund für euch.«

»Kannst du mich nicht noch mehr schlecht machen?«

»Nun, lassen wir's, hoffen wir, daß der Franzose wieder den richtigen Weg findet, und dir rechnet man es nicht so schlimm an, mit der Kraft und Jugend eines Menschen ein freventliches Spiel getrieben zu haben, weil du dir gar nicht überlegt hattest, was du tatest.«

Sie sah ihn drohend an. »Und wenn ich mir das nun sehr wohl überlegt hätte ...!«

»Wie? Nein, das hast du nicht. Das wäre nichtswürdig gewesen.«

»Wenn ich dich denn nun hätte – eifersüchtig machen wollen ...!«

Er erbleichte. »Sandra, ich weiß nicht, ob man sich nicht vor dir wie vor einer Wahnsinnigen fürchten muß.«

Einen Augenblick blitzte es in ihren Augen wie Siegesfreude auf. Doch es war nur das letzte Aufflammen eines erlöschenden Feuers. Es fiel zusammen vor dem lauten Lachen, in das er ausbrach, als er, ohne ein Wort zu sagen, die Halle verließ. Sein Schritt verhallte auf der Zugbrücke. Dann war es still.

Jetzt wußte sie, daß alles zu Ende war. Sie saß und brütete stumpf über dem kalten toten Aschenhaufen ihrer Reize.

Und die Langeweile breitete sich wieder weit und gräßlich um sie aus in diesem öden Lande.

»Die Gewissenlosen sind uns doch immer überlegen und überhaupt die Stärksten auf der Welt«, sagte Menniken zu seiner Frau.

»Ich mag nicht mit dem Weibe verkehren und ich gönne dir das Spiel mit ihr«, lachte sie. »Aber bist du des Spielens noch nicht müde?«

»Manchmal beneide ich doch diese Starken«, sagte er nachdenklich.


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