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Der Knopfmann

Die Regentschaft des Herrn Rektors und seiner rechten Hand, des Vikars Feuerstein, war eine Art von geistlicher Schreckensherrschaft in der Pfarrei.

In diesen Tagen zerstörte der Rektor viel von religiöser Scheu in dem ihm anvertrauten Volke. Er selbst aber saß im Dienstzimmer des Pastorats und grübelte mit sorgenvollem Herzen, ob denn nun auch alles getan sei, der Aufsässigkeit gegen die geistliche Obrigkeit im Volke und der Gefahr für die öffentliche Sittlichkeit einen Damm entgegenzubauen.

Überall herrschte eine große Sehnsucht nach dem alten kranken Pfarrer, und die Dörfler wünschten die Hand wieder da, welche kaum fühlbar, mehr schützend als herrschend, auf ihnen gelegen hatte. Ordnung muß sein, sagte man sich, eine Obrigkeit ist nötig, und Gottes Stellvertretern gebührt Achtung und Gehorsam. Aber eben, weil sie Stellvertreter des großen Gottes sind, des klugen Gottes, der die vielen Menschen mit all ihren Eigenheiten in wohlüberlegter Absicht geschaffen, müssen sie auch feine kluge Hände haben. Der Herr Rektor aber hatte recht grobe Hände. Auch beim Rektor Radermacher war die Sehnsucht groß nach dem alten Herrn. Er fühlte wohl an der steifen Freundlichkeit und langsamen Folgsamkeit der Dörfler, daß er etwas verdorben hatte.

Schließlich aber machte ihm doch der Unmut den Kamm schwellen. Der Unannehmlichkeiten waren so große, der Widersetzlichkeiten so viele. Und viele Winde machen einen Sturm.

Hatte er, als der Pfarrer fortging, den stillen Vorsatz gehabt, die widerspenstige Gemeinde unter gehörige Zucht des Kirchenregimentes zu bringen, so wünschte er jetzt nur noch, die Gemeinde ebenso zu überliefern, wie er sie übernommen hatte. Er wäre sonst ein schlechter Verwalter gewesen. Es kam die verzweifelte Stimmung des unglücklichen Spielers über ihn, der einen letzten hohen Einsatz auf eine letzte Karte setzt. Die Karte hieß »der Knopfmann«.

Das war eine alte Klage der Landgeistlichen, daß die Männer in Sachen des Glaubens und der Kirche viel lauer seien als die Frauen. Vom Altar und der Kanzel aus gesehen waren fast nur Frauen in der Kirche. Erst unter der dunkeln Orgelbühne und in den Portalen standen die Männer und lungerten an den Wänden, den Türen und Weihwasserbecken herum – in Schulterhöhe war die Farbe von den Mauern, der Firnis von den Türen gerieben –, gafften, schwatzten oder lachten sogar. Und nun erst die Predigt! Oh, die Predigt! Der größte Teil der Männer verließ, wenn der Prädikant die Kanzel betrat, die Kirche, setzte sich draußen auf die Mauer der Rampe, ließ die Beine baumeln und verlangte nach dem Ende. Nur daß sie, auch wenn die Sonne brannte, die Hüte in der Hand behielten. Diese schrecklichen Tatsachen jammerten sich die Herren Pastores vor, wenn sie sich Sonntags zu einigen Flaschen Wein vereinigten. Oftmals hatte der Herr Rektor sich gerühmt: Wenn er Pfarrer wäre, er würde schon Ordnung schaffen! Dann hatte der Pfarrer gelächelt, an seinem Wein geschluckt, an der Zigarre gesogen und nichts gesagt.

Mehrere Male schon war der Rektor, wenn das Hochamt nach dem Evangelium abgebrochen wurde und Ter Heele oder Feuerstein die Kanzel betraten, aus der Sakristei über den Friedhof um die Kirche herumgegangen und im vollen Meßornat draußen an der Kirchentür erschienen. Die Männer hatten groß aufgeschaut. Er hatte mit harten Worten auf sie eingeredet. Die Männer hatten sich angesehen. Das waren sie nicht gewohnt. Und hatten sich nicht gerührt. Ihm war der Zorn gekommen. Und dann: Sollte er im vollen Ornat unverrichteter Dinge um die Kirche herum abziehen? Er hatte die Burschen am Ärmel gepackt und sie in die Kirche gezerrt; die Männer waren schon freiwillig gegangen. Die jüngsten Burschen hatte er hinaufgeführt bis an die Grenze der Frauenplätze. Unter den Männern war viel Murren und Knurren. Einige lachten auch halblaut auf. Und wenn er sich wutschnaubend umdrehte, hatten sie alle ein steifes Gesicht.

Es war am heiligen Osterfeste. Da betete der Vorbeter, der fromme de Losy, vor dem festtäglichen Hochamt, während draußen das Klippglöckchen läutete und die Kirche sich füllte.

Vorbeter: Herr, erhöre mein Gebet und laß mein Geschrei zu dir kommen. Himmlischer Vater, allmächtiger Gott, Herr des Himmels, schütze, erleuchte und stärke den Papst und alle Bischöfe und Priester und Gläubigen deiner Kirche. Erleuchte alle, die im Un- oder Irrglauben befangen sind, führe sie zu deiner heiligen Kirche zurück oder vertilge sie vor deinem Angesichte.

Gemeinde: Das tut er aber auch!

Vorbeter: Das tut er. Vater unser u.s.f.

Gemeinde: Gegrüßest seist du, Maria u.s.f.

Während so gebetet wurde, klang die Chorglocke und aus der Sakristei erschien als Vorantritt der Geistlichkeit zur feierlichen Dreiherrenmesse – ein rotgeröckter Schweizer. Er trug einen weißen Stab mit blauen Quasten und einem mächtigen Knopfe aus blinkendem Messing. Hinter ihm die Reihe der Chorknaben in Rot und Weiß, die außerordentlichen mit geschwenkten Weihrauchfässern, die ordentlichen mit Kerzen auf Kandelabern. Dann die drei geistlichen Herren: Der junge schwarze Simon Feuerstein, als Subdiakon mit der Tunicella und dem Manipel bekleidet; in der Hand hielt er das Epistelbuch. Hinter ihm der greise Peter Ter Hele; er trug den verdeckten Meßkelch in der Linken, mit der Rechten griff er über und hielt die Patene und Bursa. Zuletzt der Rektor Karl Pius Hadermacher in goldbeladener Kasula. Er trug nichts. Seine Hände waren gefaltet; aber er betete nicht. Seine Augen gingen über die versammelte Menge. Doch nicht eifrig und hochfahrend, ängstlich eher. Forschend, beobachtend, fragend. Wie nehmen sie es auf? war die Frage. Er hatte ja die letzte Karte ausgespielt.

Zunächst sah er freilich nicht viel Beängstigendes. Er mußte beinahe lachen, da er so viele verdutzte Gesichter sah. Ein verdutztes Gesicht ist immer ein dummes Gesicht. Viele hundert dumme Gesichter sah er. Denn ein ungeheures Staunen ging umher.

Aber bei der ersten Gelegenheit, als er sich vom Altar mit einem lateinischen Singspruch zum Volke wandte, vereiste ihm fast der Sang in der Kehle. Keine Aufmerksamkeit war in der frommen Gemeinde, keine Sammlung in der Kirche. Aufregung war in der Kirche. Zorn war in der Gemeinde. Denn mittlerweile war der Schweizer an sein Amt gegangen.

Die Schulkinder ließen sich ja leicht meistern; angstvoll starrten sie den großen Stock an. Auch die Jungfrauen gingen geduldig an die angewiesenen Plätze. Die Frauen waren schon etwas widerwilliger. Nun aber die Männer! Der Schweizer störte sie von ihren Lungerplätzen an den Mauern und Türen auf; er holte die jungen Burschen die Kirche herauf, und als er gar am Anfange der Predigt, die Ter Heele hielt, offenbar mit dem besonderen Auftrag des Rektors sich an der Kirchentür aufstellte und niemand von den Männern hinausließ, da war ein altes geheiligtes Recht verletzt, einem Stamme die Unabhängigkeit genommen, eines Volkes Freibrief zerrissen. Es kam beinahe an der Kirchentür zu einer Schlägerei, während auf der Kanzel Peter Ter Heele seine sanften Worte redete. Nur mit Mühe hielten die Männer die Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Ortes fest. Der Schweizer stand da, auch in Wut, und hielt den schweren Amtsstab mit dem dicken Knopfe fest in der Faust. Alles rang mühsam mit der Leidenschaft. Die Kiefer bebten. Und schließlich wäre trotz Messe und Ter Heeles Predigt die kochende Erbitterung explodiert, wenn nicht ein Ventil sich geöffnet und die heiße Wucht hätte ausströmen lassen, ein Ventil, das nur ein Wort war. Es sprang plötzlich dem Hennessens Hennesse Hannes, den sie den »Lebensgefährlichen« nannten, über die wutbebenden Lippen: »Aas, du ... du Knoppmann!«

Der »Knopfmann« war in die Welt gesetzt.

Gleich darauf fingen sie alle an zu lachen.

Der Knopfmann benutzte die Gelegenheit, daß Peter Ter Heele seine Predigt beendet hatte und von der Kanzel zum Chore zurückzuführen war, um mit Anstand den Platz zu räumen. War das ein Gerede und Geräusch im Lande! Wenn der Mond vom Himmel gefallen wäre, es hätte kaum mehr Aufsehen gegeben. Man tat dem Knopfmann nichts, man lauerte ihm nicht auf und verprügelte ihn nicht. Und das stellte man mit Genugtuung fest, daß sich kein Einheimischer zu diesem Schergendienste hergegeben hatte. Es wurde bekannt, daß der Rektor mit verschiedenen Leuten aus den Gemeinden geheime Unterhandlungen ergebnislos gepflogen. Schließlich hatte er in seinem Rektorate Ludwigsmünster in einem Steinbruchbetriebe einen Menschen gefunden, der, wie bald bekannt war, eine Zuchthausstrafe hinter sich hatte. Der Knopfmann!


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